1894 / 87 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 13 Apr 1894 18:00:01 GMT) scan diff

Die Vorlage ist von der einen Seite nach ihrer aktuellen und materiellen Bedeutung ganz erheblich überschätzt worden. Sie wird, wenn sie Gesetz wird, unmittelbar überhaupt nicht als eine Aenderung des jetzt bestehenden Rechtszustandes empfunden werden. Ich erkenne aber an, daß sie auf der anderen Seite auch wieder unter⸗ schätzt ist. Sie will in der That einen Schritt vorwärts bedeuten, und zwar vorwärts in der Gestaltung eines friedlichen und würdigen Verhältnisses zwischen Staat und Kirche. Staat und Kirche, meine Herren, sind nach unserer (igenartigen geschichtlichen Entwickelung unzweifelhaft auf einander angewiesen. Das rechte Verhältniß zwischen Staat und Kirche zu finden und das Verhältniß selbstverständlich unter voller Aufrechterhaltung der Staatshoheit friedlich, gedeihlich und versöhnlich zu gestalten und sicher zu stellen, das erachte ich als eine der wichtigsten, wenn auch der schwersten Aufgaben aller dabei betheiligten Faktoren. Innerhalb meines gesammten Ressorts, das kann ich wohl sagen, liegen heutzutage die größten, ja kaum überwindlichen Schwierigkeiten in diesem so viel umstrittenen Grenzgebiete zwischen Staat und Kirche. Mit dem bloßen Gehenlassen ist es aber hier nicht gethan. Jeder falsche Schritt, nach meiner Ueberzeugung aber auch jede unzeitige Unterlassung auf diesem Gebiet, muß und wird die Schwierigkeiten der Zukunft mehren und wird sich dann bitter rächen. Meine Herren, die Kirche, die evangelische wie die katholische, kann und darf sich dem Einfluß des Staats nicht entziehen. Aber der Staat soll sich auch der Kirche nicht entziehen, denn auch der Staat bedarf der Kirche, er bedarf ihrer heute, und wird ihrer in Zukunft bedürfen mehr als je für die Kämpfe, die vor uns liegen. (Sehr richtig! rechts.)

Meine Herren, ich bin nach dem Verlauf, den die Berathung der

Vorlage auf der anderen Seite der Leipzigerstraße genommen hat, nicht im Zweifel darüber gewesen, daß der Entwurf hier auf gewisse Schwierigkeiten, Besorgnisse und Widersprüche stoßen würde. Ich habe mich nicht davor gefürchtet, und zwar um deswillen nicht, weil ich das Bewußtsein habe, daß bei der Aufstellung der Vorlage die Interessen, die der Staat der evangelischen Landeskirche gegenüber hat und haben kann, ich kann wohl sagen, mit der äußersten Sorgfalt zu wahren ge⸗ sucht sind. . Um Staatshoheitsrechte und deren Aufgaben handelt es sich in der ganzen Vorlage überhaupt nicht. Auch die argwöh⸗ nischste Prüfung wird uns das zugeben müssen. Das, um was es sich handelt, ist eine verhältnißmäßig un⸗ wichtige, harmlose Berichtigung der Zuständigkeitsgrenzen der Staats— gesetzgebung gegenüber der Kirche. (Bewegung links.) Lediglich darum soll es sich handeln, und nur darum handelt es sich in der That, wobei von Einzelheiten, auf die ich noch kommen werde, zunächst abzusehen ist; darüber wird sich reden lassen.

Es handelt sich weiter um die thunlichste Vereinfachung des bei der kirchlichen Selbstverwaltung und Selbstregierung in Be⸗ wegung zu setzenden Apparats, und es handelt sich damit um ein freundliches Entgegenkommen gegen die von der General⸗Synode der evangelischen Landeskirche einstimmig ausgesprochenen Wünsche, nach— dem diese Wünsche auf ein diskutables Maß eingeschränkt sind; es handelt sich damit um die Befriedigung eines Verlangens, welches, weil es ohne zureichenden Grund unbefriedigt geblieben ist, eine ge⸗ wisse Bewegung in kirchlichen Kreisen hervorgerufen hat, eine Be— wegung, die anfangs über die berechtigten Grenzen hinausging und deshalb in diesem Umfange seitens des Staats nicht befriedigt werden konnte.

Jetzt, meine Herren, nachdem die Vertretung der Landeskirche selbst ein dem staatlichen Interesse entsprechendes, mit ihr vereinbares Maß für ihre Forderung gefunden hat, erschien der König— lichen Staatsregierung der Zeitpunkt gekommen, wo man in eine Prüfung dieser Wünsche im einzelnen eintreten konnte, ja ich glaube sagen zu dürfen, eintreten mußte, wenn man sich nicht einer mindestens unfreundlichen, um nicht zu sagen verächtlichen Ignorierung der kirchlichen Beschlüsse schuldig machen wollte. (Bewegung bei den Nationalliberalen. Sehr richtig! rechts.)

Meine Herren, enthalten diese Beschlüsse berechtigte An— sprüche, dann wird es nach meiner Ueberzeugung, die auch durch den Vortrag des Herrn Vorredners nicht erschüttert ist, Sache einer weisen Politik des Staats sein, sie zu befriedigen; denn jede dauernde Ver⸗ weigerung begründeter Ansprüche erzeugt im öffentlichen Leben eine ungesunde und eine überfluthende Reaktion; die rechtzeitige Beseitigung wirklicher Uebelstände dagegen ist der einzige Weg, um eine friedliche und maßvolle Entwicklung derartiger Verhältnisse sicher zu stellen.

Das sind die allgemeinen Erwägungen gewesen, aus welchen die Vorlage erwachsen ist. Der nächste Ausgangspunkt der Vorlage beruht aber in der vorjährigen Etatsdebatte dieses Hauses. Damals hat der Herr Abg. Stöcker die Sache bei Gelegenheit der zweiten Berathung des Kultus⸗Etats vorgebracht. Ich habe mich damals zwar nicht völlig, aber doch in sehr viel weiterem Umfang ablehnend aus— gesprochen, als diese Ablehnung jetzt aus der Vorlage ersichtlich wird.

eine Herren, man hat mir daraus einen Vorwurf gemacht. Man hat mich auf meine vorjährige Erklärung festzunageln gesucht, wie ich glaube, ganz mit Unrecht, und ich muß anerkennen, daß in überaus loyaler Weise der Herr Vorredner die Bedeutung meiner damaligen Erklärung hervorgehoben hat. Ich bin es aber dem hohen Hause doch wohl schuldig, mit zwei Worten auf diese Punkte noch näher einzugehen.

Als der Abg. Stöcker im vorigen Jahre die Sache hier zur Sprache brachte, hatte er sich darauf beschränkt, den Wunsch aus— jusprechen, daß diejenigen Punkte der kirchlichen Gesetzgebung, bei denen der Landtag mitzuwirken habe, genauer verzeichnet werden. Er berief sich dabei auf die Beschlüsse der General⸗Synode. Ich hatte die Beschlüsse der General⸗Synode nicht gleich zur Hand; sie waren mir auch begreiflicherweise ihrem Wortlaut nach nicht im Gedächtniß, und da mich die Anfrage hier im Landtage, wie der Herr Abg. Stöcker mir bezeugen wird, vollkommen unvorbereitet traf, so blieb mir gar⸗ nichtszAnderes übrig, als mir schleunigst die Verhandlungen der Ge⸗ neral⸗Synode hierherkommen zu lassen und sie hier flüchtig einzusehen. Und auch da fand ich nur den ganz allgemein gefaßten Wunsch nach einer Revision des Staatsgesetzes vom 3. Juni 1876 in der Richtung, daß der Umfang, in welchem nach Art.! dieses Gesetzes jede Abände⸗ rung der gegenwärtigen kirchlichen Organisation nur durch einen Akt der staatlichen Gesetzgebung möglich ist, näher bestimmt würde. Nun mache ich gar kein Hehl daraus, daß mir damals auf den ersten Blick die Möglichkeit, wie diese

klar gewesen ist; daß mir damals vielmehr die praktische Lösung dieser Aufgabe kaum denkbar erschien. Das habe ich denn auch ganz offen erklärt, und dadurch war damals die Sache erledigt. Nun besteht aber im Kultus⸗Ministerium, wie ich mir schon wiederholt anzudeuten erlaubt habe, die, wie ich annehme, auch von diesem hohen Hause ge⸗ billigte Sitte, daß nach dem Schluß der Etatsberathung die während dieser Berathung hier gegebenen Anregungen zusammengestellt und dann einer Prüfung darauf unterzogen werden, inwieweit es nothwendig ist, oder es sich empfiehlt, den Anregungen im Geschäfts⸗ gange weitere Folge zu geben. Das ist denn auch damals geschehen, und mit Rücksicht auf die überaus große Wichtigkeit, die dieser Frage in der Presse ich kann wohl sagen aller Parteien beigelegt wurde, war ich besonders darauf aufmerksam geworden und bin dann mit meinen Mitarbeitern in diese Prüfung eingetreten. Wir haben den Versuch gemacht, diejenigen Punkte der kirchlichen Organisationsgesetzgebung, deren etwaige Abänderung nach den jetzt bestehenden Gesetzen eines Staatsgesetzes bedarf, einzeln zusammenzu⸗ stellen, um dann weiter prüfen zu können, bei welchem dieser Punkte die Fortdauer der staatsgesetzlichen Bindung durch ein staatliches Interesse etwa geboten sei oder nicht. Es war das eine sehr müh⸗ same Arbeit, die unter anderen Mängeln darauf lege ich großes Gewicht auch den zeigte, daß bei einer großen Reihe kirchlicher Bestimmungen ganz begründete Zweifel darüber obwalten, ob sie als Organisationsbestrebungen aufzufassen sind oder nicht, und daraus ergiebt sich, daß in dieser Ungewißheit schon von vornherein der Keim zu sehr unerwünschten künftigen Streitigkeiten zwischen Kirche und Staat gegeben ist. Hier aber Klarheit und Gewißheit zu schaffen, das erschien mir als eine außerordentlich nütz⸗ liche Sache. So sind wir zur Aufstellung unseres Entwurfs ge⸗ kommen. Dazu kam, daß die Frage, in welchem Punkt das staatliche Interesse die staatsgesetzlichée Bindung der kirchlichen Gesetz⸗ gebung erfordert, in einzelnen Fällen außerordentlich schwierig war, daß aber im vorigen Jahre die oberste Behörde der evan⸗ gelischen Landeskirche Preußens, der Evangelische Ober-Kirchenrath zum ersten Mal mit bestimmt formulierten Vorschlägen an mich herantrat, die sich in derselben Richtung bewegten. Das hat mir Veranlassung gegeben, kommissarische Berathungen zwischen dem Ober⸗ Kirchenrath und meinen Kommissaren herbeizuführen, und das Ergebniß dieser kommissarischen Berathungen ist der Entwurf, wie er jetzt vorliegt.

Meine Herren, ich habe diese Vorgeschichte des Entwurfs nur um deswillen hier mitgetheilt, um damit die Legende zu widerlegen, als handelte es sich für mich hier irgendwie um einen tendenziösen Versuch, etwaigen klerikalen, reaktionären, orthodoxen oder dogmatischen Uebergriffen der Organe der evangelischen Kirche die Wege zu bahnen. Mit irgendwelchen Tendenzen dieser oder ähnlicher Art das darf ich auf das bestimmteste erklären hat die Vorlage absolut nichts zu thun. Sie will nichts weiter sein ich komme darauf noch zurück als ein ernster Versuch der kirchlichen Gesetzgebung, da, wo es ohne Schaden für das allgemeine Interesse geschehen kann, zu vereinfachen. Sie nimmt die gelegten Grundlagen, die ein— mal geschaffen sind im Staat, die geschaffenen Grundlagen der kirchlichen Selbstverwaltung, allerdings ernst; sie will überall, wo der Staat es mit gutem Gewissen kann, diejenige Freiheit gewähren, die im kirch⸗ lichen Interesse die evangelische Landeskirche nicht entbehren zu können glaubt und die sie nach meiner Ueberzeugung auch nach dem Sinn und Geiste der synodalen Gesetzgebung, wie sie jetzt vorliegt, nicht hat entbehren sollen. Sie rechnet auch darauf, daß durch eine maßvolle und verständige Ordnung dieses bisher vielfach zweifelhaften und unsicheren Grenzgebiets der Staat ebenso gewinnen wird wie die Kirche. Alle jene einseitigen Tendenzen, mit denen man die Vorlage in der Presse und zum theil auch im anderen Hause bekämpfen zu müssen geglaubt hat, beruhen auf Annahmen, die absolut nicht zutreffen.

Nun kann man ja freilich einwenden ich verkenne das keinen Augenblick daß, wenn auch die Regierung diese tendenziösen Ab⸗ sichten bei Ausarbeitung und Einbringung der Vorlage nicht gehabt hat, doch nicht ausgeschlossen ist, daß sie ihrerseits die Gefahren eines Mißbrauchs der kirchlichen Freiheit, die aus Annahme der Vorlage erwachsen könnten, unterschätzt oder nicht erkannt hat. Aber, meine Herren, auch dieser Einwand erscheint mir nicht stichhaltig, und namentlich haben mich auch die Anführungen des Herrn Vorredners, die ja zum theil im Rahmen dieses Einwands sich bewegten, nicht zu überzeugen vermocht. Zunächst mußte doch einmal der Vorlage gegenüber bewiesen werden, wo denn eine Gefahr läge für die evangelische Freiheit und für das evangelische freie Gewissen, wenn diese Regierungsvorlage zum Gesetz erhoben wird. Daß solche Gefahren in der evangelischen Kirche vorhanden sein können ich bin weit entfernt, das zu bestreiten, das ist möglich, das hat jeder mit sich selbst abzumachen, das ist eine kirchliche Frage, aber mit dieser Vorlage diese Tendenzen stärken zu wollen, liegt der Vorlage völlig fern; das wird sich hoffentlich bei näherer Prüfung er— weisen. Ich will ganz davon absehen, meine Herren, daß ja an der Nothwendigkeit der staatlichen Unschädlichkeits⸗ erklärung nicht gerüttelt wird. Der Herr Vorredner hat ganz Recht, es sind jetzt gewiß keine Gefahren vorhanden, daß derartige Tendenzen, wie sie hier vorgeführt worden sind, zur Geltung kommen. Ich erlaube mir, darauf aufmerksam zu machen, daß in der bisherigen kirchlichen Gesetzgebung der evangelischen Landeskirche der alten Provinzen auch nicht ein einziger Versuch gemacht ist, derartige Uebergriffe in das Gewissensgebiet zu machen. (Sehr richtig! rechts.) Es hat in der ganzen Zeit, seitdem wir die Synodalordnung haben, weder die General Synode noch haben die Provinzial⸗Synoden kirchengesetz⸗ lich denn darum handelt es sich hier allein irgend einen dahin gehenden Versuch gemacht; wenigstens mir ist er nicht bekannt. (Sehr richtig! rechts) Nun, meine Herren, möchte ich wissen, bei welchen Punkten der Vorlage es sich thatsächlich beweisen ließe, daß solche Gefahren vorliegen. Es ist hier auf die Agende hinge⸗ wiesen. Die Agendenfrage ist eine sehr heikle, aber darüber ist nicht der mindeste Zweifel, sie ist eine rein innerkirchliche. (Sehr richtig! rechts) Selbst unsere jetzt bestehende Gesetzgebung denkt gar nicht daran, in der Agendengesetzgebung dem interkonfessionellen Landtag irgendwie das Recht des Mitsprechens einzuräumen. Denn das ist zweifellos, das hat die Kirche mit sich selbst abzumachen, und das wird ja Sache des Staats-Ministeriums und des landesherrlichen

zu thun, was nothwendig ist. Aber, meine Herren, auch

Kirchenregiments sein, wenn da wirklich Uebergriffe geschehen sollen,

irgend einer freiheitlichen Institution solche Gefahren eines in abstract

möglichen Uebergriffs ins Gefecht führt, dann, meine Herren, giebt th

überhaupt keine Freiheit mehr, weder kirchliche noch staatliche. Dann

hätten wir die gesammte kirchliche Organisation, wie sie besteht, und

die das werden doch auch Sie anerkennen bei allen ihren

Mängeln in Segen gewirkt hat, überhaupt nicht einführen dürfen.

Es giebt gar kein gebrechlicheres Argument auf diesem Gebiet, alz

dieses schwache argumentum de abusu.

Dann noch eins, meine Herren! Was ich bei den Gegnern der

Vorlage vermisse, das ist vor allem ein billiges Maß von Vertrauen

zu der eigenen, zur evangelischen Kirche. (Sehr richtig! rechts.) Man

hat den gegenwärtigen Zustand der Landeskirche so darzustellen ver,

sucht, als herrsche in ihr eine Vertretung, namentlich in ihren syno— dalen Organisationen, eine Vertretung, deren schroffe kirchliche Majorifit eine völlig unevangelische Richtung, durch die eine ganz gefahrdrohende Spannung in der Kirche herbeigeführt werde, zur Geltung bringe Meine Herren, ich will hier über die Frage mich gar nicht äußern. Eg ist hier weder positiv zu beweisen, daß solche Richtung vorhanden ist, noch daß sie nicht vorhanden ist. Es giebt thatsächlich verschiedene Richtungen auch in der evangelischen Kirche nach beiden Seiten hin, es giebt Extreme auch auf kirchlichem Gebiete das ist zweifellos. Aber

meine Herren, das halte ich für einen Irrthum, wenn man glaub daß man diesen verkehrten Richtungen der evangelischen Landeskirche durch das Ventil des interkonfessionellen Landtags die Gefahr be— nehmen könne. Wenn man die Verhandlungen unserer bisherigen General⸗Synoden aufmerksam liest und auf die kommt es hier doch wesentlich an, denn um diese Kirchengesetze handelt es sich dann s bis jetzt wenigstens von einer solchen Ueberspannung einseitiger und herrschsüchtiger kirchlicher Tendenzen außerordentlich wenig zu merken. Wenn es aber so wäre, dann muß ich sagen: würde dann wirklich der interkonfessionelle Landtag, der konfessionell gemischte Landtag, im stande sein, die evangelische Kirche in ihren höchsten Gütern zu schützen? Was wäre das für eine Kirche, die in ihren Lebensbedingungen, ihren Grundlagen, auf den Schutz eines gemischt konfessionellen Landtags angewiesen ist! (Sehr richtig! rechts.) Nein, meine Herren, wenn die evangelische Kirche wirklich so weit heruntergekommen wäre, daß sie ihr höchstes Gut, die Freiheit des evangelischen Gewissens, nicht mehr selbst zu schützen vermöchte durch das Ventil der Staatsgesetzgebung würde es nie geschütz werden können. (Bravo! rechts.) Entweder es giebt eine evangelische Kirche, die existenzberechtigtt und darum fähig ist, die heiligsten Güter, die ihr seit der Reformation anvertraut sind, zu pflegen, zu bewahren und zu schützen, dann bedarf sie nicht eines doppelten und dreifachen staatskirchlichen und staatslegislativen Zügel und Zaums, der in der Hand eines nicht ausschließlich evangelischen Landtags läge; oder aber die evangelische Kirche ist so weit herab— gekommen, daß man ihr die Wahrnehmung ihrer eigenen Interessen nicht mehr zutrauen darf, ja, dann schützt sie auch kein staatliches Ventil, dann wäre sie rettungslos verloren.

So liegt aber, Gott sei Dank, die Sache nicht. Noch besteht die evangelische Landeskirche, und zwar besteht sie als Volkskirche, noch ist sie eine Lebensmacht, die tief in die Herzen des evangelischen Volkes ihre Wurzeln hineingetrieben hat; noch ist sie fähig, selbst zu ermessen, was zu ihrem Frieden dient, und noch liefert sie täglich den Beweis des Geistes und der Kraft.

Es ist wahr, meine Herren, nach ihrer ganzen geschichtlichen Ent— wickelung ist die evangelische Kirche weit enger mit dem Staate ver— bunden als die katholische. Aber nichts das ist meine tiefe Ueber— zeugung nichts würde verhängnißvoller sein, als die evangelische Kirche einfach mit dem Staate zu identifizieren. Es giebt heute ja noch Leute, die dazu sehr geneigt sind, und die mit einer gewissen Bonhommie darzuthun versuchen, daß die evangelische Kirche sich ohne Synodalverfassung mit einer einfachen staat— lichen Verwaltung besser gestanden haben würde, als nach unserer jetzigen Gesetzgebung. Aber, meine Herren, das in einem paritätischen Staate durchzuführen, halte ich für unmöglich; das wäre ein Rück⸗ schritt in den längst überwundenen Territorialismus hinein, aus dem wir, Gott sei Dank, in unserer ganzen geschichtlichen Entwickelung herausgewachsen sind; das wäre eine völlig ungesunde Reaktion, ja geradezu ein reaktionäres Verhängniß, ein Bruch mit unserer ganzen staatskirchlichen Gesetzgebung, die sich in ihrer Grundlage viel besser bewährt hat, als vor 20 Jahren hier dieses hohe Haus in allen seinen Theilen nur irgend zu hoffen gewagt hat. Müssen wir aber mit der Selbstverwaltung der evangelischen Kirche überhaupt rechnen, dann bleibt garnichts übrig nach meiner festen Ueberzeugung, als man muß damit auch Ernst machen, man muß den evangelischen Organen insoweit Selbständigkeit gewähren, als mit den Interessen det Staats verträglich ist.

Inwieweit der Entwurf hierfür die richtige Grundlage gefunden hat, das wird hoffentlich die Prüfung in der Kommission ergeben, um die ich Sie bitten möchte. Ich bin bereit, in alle Einzelheiten ein⸗ zutreten und jeden Punkt zu vertreten. Ich bin auch bereit, mit mir reden zu lassen. Wird mir der Beweis gebracht: hier liegen Gefahren für die evangelische Kirche, für die evangelische Freiheit des einzelnen Christen vor, Gefahren, die mit der staatlichen Gesetzgebung bekämpft werden müssen, gut, meine Herren, dann werden wir in der Kommission uns darüber verständigen; dann wende ich der Erste sein, der, wenn ich die Gefahr erkenne, dieb auch zugiebt. Wenn ich die Ueberzeugung gewinne, die Gefahr ist vorhanden, dann werde ich gern mitgehen und gern Entgegen kommen zeigen. Ich habe aber bis jetzt auch in der Kommissionk— berathung im Herrenhause mich nicht zu überzeugen vermocht, daj solche Gefahren vorhanden sind.

Man hat die Frage aufgeworfen: nun, wenn die ganze Vorlage so harmlos ist, wie die Regierung annimmt, wozu dann überhaupt jetzt ein Gesetz? (Sehr richtig! links Man hat gesagt und da hat ja etwas für sich —— das Motiv des bloßen freundlichen Gut gegenkommens gegen die General⸗Synode reiche doch nicht aus, um die Fülle unserer Gesetzgebung, durch die wir ohnehin bedrückt werden nun noch um ein Gesetz zu vermehren. (Sehr richtig! links.) Abe meine Herren, man vergißt dabei, daß der Entwurf, wenn er Gesetz win uns in einer ganzen Reihe von Fällen neue Staatsgesetze erspart; der Entwurf entlastet unsere Staatsgesetzgebuug und zwar gerade da, mo es der Staategesetze nicht bedarf. Das ist sein Zweck. Es ist en Stück der Arbeit, die ich zu meiner besonderen Freude zu meiner Aufgile mache, überall, wo es mir möglich ist, einfache Verhältnisse schaff en zu helse

Wir sind in viel zu komplizierte Verhältnisse hineingekommen; une

nähere Bestimmung in einem Gesetz zu formulieren wäre, nicht

darauf gestatte ich mir aufmerksam zu machen, wenn man bei

ganze parlamentarische Gesetzgebung hat nach der Richtung eine si

wisse Gefahr, das verkennt man auf keiner Seite, und es ist unser Aller Aufgabe, jeder muß dazu mithelfen, daß wir unsere Verhältnisse wieder so einfach wie möglich zu gestalten suchen. Hier ist ein Weg, wie wir zu gesunden ein facheren Verhältnissen kommen können, und deshalb bitte ich Sie, diesen Weg doch nicht von vornherein zu ver—

schrãnken. . - .

Meine Herren, ich möchte auf die Einzelheiten, namentlich auf 51 zunächst nicht eingehen, auch nicht einmal auf die Qualifikations⸗ bedingungen und auf das Gelübde. Wir werden in der Kommission darüber sprechen können: es wird sich dann zeigen, wie weit das innerkirchliche Dinge sind und wie weit der Landtag, der inter— konfessionelle Landtag, berufen und im stande ist, dabei das entscheidende Wort mitzusprechen. Meine Herren, ich kann nur wiederholt meiner Ueberzeugung Ausdruck geben, daß die Vorlage nicht nur einen unschädlichen, sondern einen für Staat und Kirche gleichmäßig nützlichen Fortschritt in der Regelung ihres gegenseitigen Verhältnisses zu einander in sich birgt. Man wird sich nach meiner Ueberzeugung, wenn das Gesetz zu stande gekommen ist, in Zukunft wundern, daß wir dieses bescheidene Maß kirchlicher Selbständigkeit nicht schon längst porher gefunden haben.

Ich will auch auf den 2 nicht eingehen. Der Herr Vorredner hat ihn, wenn auch von etwas anderen Gesichtspunkten wie die Vor— lage, doch mit einem außerordentlichen Maß von Wohlwollen behan— delt; ebenso den 5 3. Ich bin ihm dafür dankbar. Soweit da noch zweifel obwalten, wird sich darüber später reden lassen.

Kurz, meine Herren, ich bitte Sie, nehmen Sie die Vorlage nach porgängiger genauer Prüfung ihrer Einzelheiten in der Kommission an! Ich bin überzeugt, Sie werden es nie bereuen. Sie werden dadurch vielmehr dem Staat wie der Landeskirche einen Dienst er— weisen, der in Zukunft gewiß noch einmal heilsame Früchte tragen wird. (Lebhaftes Bravo! rechts.)

Abg. Dr. Klasing (kons): Wir haben die Vorlage ren dn entgegengenommen, nicht weil wir darin einen Abschluß der kirchlichen SGelbstandigkeitsbestrehungen finden, sondern weil sie eine Wendung bedeutet in der Stellung der Staatsregierung der Kirche gegenüber. Die warme Begründung, welche der Minister der Vorlage gegeben hat, muß meine Freunde mit der größten Freude erfüllen. Wir im Westen erfreuen ung schon lange der kirchlichen Organe, welche durch das Gesetz von 1876 für den Osten erst geschaffen sind, und trotzdem sind bei uns die Bestrebungen nach Unabhängigkeit der Kirche immer am. stärksten gewesen. Die Bestrebungen, die unter den Namen Fleist⸗Retzow⸗ v. Hammerstein zusammengefaßt werden, verdanken nicht dem Osten, sondern geradezu dem Westen ihre Entstehung. Als der Staat seinen Frieden machte mit der katholischen Kirche, dachte niemand an die evangelische Kirche. Es waren evangelische Männer welche ohne kirchliches Mandat für die Interessen der Kirche eintraten' Seitdem die Kirche mit kräftigen Organen ausgestaltet ist, mußten sich die politischen Parteien abwartend verhalten. Es lag für uns die Frage nahe, ob wir nicht noch Erweiterungen der Vorlage vor— schlagen sollten; aber angesichts der Geschäftslage des Hauses und der Veschlüsse der General⸗Syn ode konnten wir nicht kirchlicher fein als die kirchliche Vertretung. Sollte die letztere eine Erweiterung der Selbständigkeit der Kirche verlangen, so werden wir es an' uns nicht fehlen lassen. Energisch ablehnen aber werden wir jeden Versuch die Vorlage einzuschränken. Der Staat will sich nach der Vorlage mit seiner Gesetzgebung zurückziehen, soweit es sich um inner— kirchliche Verhältnisse handelt und soweit es sich mit der Staatshoheit vereinbaren läßt. Bedenken gegen die Vorlage ergeben sich für uns weder in politischer, noch in staatsrechtlicher Be— ziehung. Ein Hauptvorzug, ist es, daß die Mitwirkung des Parlaments nach Möglichkeit zurückgedrängt wird. Wenn ung etwas nach dieser Richtung hin hätte in unserer Meinuug bestärken müssen, so ist es die Rede des Herrn Enneccerus, der hier Auseinandersetzungen vorträgt über die historische Entwickelung und Berechtigung des Apostolikums. Die Stellung des summus opiscopus wird., verstärkt dadurch, daß der politische Einfluß des Staats— Ministeriums in kirchlichen Fragen in Wegfall kommt. Die Er— höhung des Steuerrechts der evangelischen Kirche ist ernsthaft er— wogen, zumal es fraglich ist, ob nach der neuen Wirthschaftspoliti des Reichs die Steuerkraft des Volkes erhalten bleibt. Aber es handelt sich nicht um eine sehr erhebliche Steigerung der Lasten. Herr Cnneccerus bestreitet das Bedürfniß, welches doch in kirchlichen Kreisen sehr lebhaft empfunden wird. Redner wendet sich dann gegen die weiteren einzelnen Ausführungen des Abg. Enneccerus über die Form der Gelübde, die doch lediglich eine innerkirchliche Angelegenheit sei. Nicht bloß Männer des Osteng und konservative Männer träten für die Selbständigkeit der evangelischen Kirche ein, sondern schon in den fünfsiger Jahren seien es auch liberale Männer des Westenz gewesen, wesche danach strebten. Redner schließt sich dem Antrag auf Kom⸗ missians berathung an.

Abg. Rickert, (fr. Vg.) empfiehlt die Einsetzung einer Kom— mission von 21 Mitgliedern. Nach der eben gehörfen Rede, führt er is, wird der Minister seine Meinung von der Harmlofigkeit der Vorlage wohl nicht mehr aufrecht erhalten wollen. 1891 sagte Herr von Kleist⸗Retzow, nach dem Ausscheiden des Fürsten Bismarck, der sich in Opposition gegenüber der Kirche befand, es sei die Situation gur stißer gewesen und man brauche nicht zu verzagen. Fürst Bismarck übersah wohl besser als der jetzige Minister die Ge⸗ fahren einer Abschwächung des staatlichen Cinflüsses. Von einem Jahr sum anderen haben wir auch hier beim Schulgefeß einen vollständigen Umschwung erlebt; im vorigen Jahre bezeichnete der Minister die Lufgabe als unlösbar; er wies der General⸗Synode die Formulierung ihrer Forderungen zu. Das ist der richtige Standpunkt; der Minister ist nicht berufen, die Revision vorzunehmen. Weshalb hat der Minister jetzt die Arbeit der General⸗Synode übernommen? Er hat die von ihr beschlossene vage Resolution in Daragraphen gehracht. Weshalb hat er die Sache nicht der kirchlichen Gesetzgebung überlassen? Nur mit Hilfe des Zentrums kann die Vorlage die Mehrheit erhalten. Wir halten die rege bnn von 1874 und 1876 für einen großen Irrthum; wir chen vollstandig auf dem Standpunkt des Herrn von Stosch. Der in ster will uns die unrichtige Konstruttion der kirchlichen Organe elassen, aber den Schutz, den der Einzelne noch hat, will er ihm nehmen. ; enn die schlechte Or anisation e e wird, dann wollen wir m Minister folgen. Die jetzige Gesetzzebung hat das Gemeindeleben erstickt und nicht gefördert. Auf der Gemeinde beruht die Kraft der Ven elischen Kirche nicht auf den künstlich gebildeten General⸗Synoden.

ie Bedürfnißfrage ist nicht bewiesen, jedenfalls nicht durch die Motive . dere, und im Herrenhause ist ausdrücklich festgestellt worden,

h. 35 Aenderung der Kirchengesetzgebung keine Schwierigkeiten gefunden . se wurde nur unbequem empfunden, daß der interkonfessionelle andtag über kirchliche Dinge entscheiden solle. Bisher sind die kirch⸗ lichen G ĩ . . esetze immer sehr schnell erledigt worden; warum soll es ö D weiter gehen können? Die Ziele der Bewegung hat Herr . . im Herrenhause enthüllt: Einfluß auf die Besetzung

ö lrelichen Aemter, auf die Besetzung der Theologieprofessoren, ö gtionen der evangelischen Kirche u. s. w. Lassen Sie erst einmal nhl in weiteren Kreisen bekannt werden, dann wird der . 4 ehen, welche Wirkung sie ausübt, nicht bloß in liberalen, . auch in strenggläubigen Kreisen. Jetzt wird der Bekenntniß⸗ „ang ins. Werk gesetzt werden, der früher nicht möglich war. Wie

ö diese e, für ,. für rein inner⸗ „z. B. einer Aenderung des Wa ahi ll von der Verpflichtun ; erte e n Tak

d rechen Nicht der Friede, sondern Streit und Hader . entstehen. Wir, wollen die Freiheit des Gewfffens

erhalten und kämpfen gegen dieses Gesetz wie gegen

auf das Apostolikum abhängen soll,

; Es wird überhaupt nothwendig sein, diesem Gesetz eine Fassung zu geben, welche auch der . ele versteht. J gehöre nicht zu denen, die ungern Steuern zahlen, aber daß wir dafũr Steuern zahlen sollen., daß man unt jeden Schutz nimmt und in die Arme des Herrn Stöcker führt, das geht zu weit. Der Minister hat erklärt: der Staat bedarf der Kirche mehn als je. Die Kirche hätte schon längst mehr mitwirken müssen in den Kämpfen in denen wir uns befanden. Sie hätte sich dem krassen Intereffen⸗ Egoismus entgegenstellen müssen; dieser Cgolsmus wird aber von denen groß gezogen, welche hier die Freiheit der Kirche vertreten. Die Waffen, die man hier schmiedet, werden die religiösen Interessen abschwächen. Die Wurzeln der Kraft des Protestantismus liegen wo anders als bei Herrn Stöcker und seinen Genossen. Wenn der Ninister den Frieden erhalten will, dann ziehe er die Vorlage zurück. Ich hoff daß sich die Dinge so entwickeln werden, wie beim Schul⸗= gesetz. Aber die Konsequenz, daß er seinen Posten räumt, möchte ich nicht gezogen wissen.

Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Meine Herren, ich will auf die Rede des Herrn Rickert nicht ausführlich antworten, sondern ich möchte mich darauf beschränken, ihm auf eine einzige direkte Anfrage, die er an mich gerichtet hat, zu antworten, daß ich die Aufstellung des Entwurfs nicht der General— Synode überlassen hätte. Ja, meine Herren, die General⸗Synode ist jetzt nicht zusammen, und als Organ der General⸗Synode, als Träger gerade der Forderungen, aus denen der Entwurf entstanden ist, ist der Evangelische Ober-Kirchenrath an mich herangetreten. Ich glaube also, das, was ich im vorigen Jahre erwartet habe, nämlich von kirchlicher Seite einen Vorschlag zu bekommen, in welcher Weise die Wünsche der General⸗Synode formuliert werden könnten, ist durch den Evan⸗ gelischen Ober⸗Kirchenrath erfüllt, und das hat wesentlich dazu bei⸗

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getragen, mich zu veranlassen, in die kommissarische Berathung, die der Ober⸗Kirchenrath übrigens bei mir beantragt hatte, einzutreten. Ich will nur einen Punkt hinzufügen: Der Herr Abg. Rickert hat mich gefragt, ob ich nicht auch in der evangelischen Kirche den Schwer— punkt in die Gemeinden legte, anstatt in das sogenannte Gebilde der General⸗Synobe. Ich erwidere dem Herrn Abg. Rickert, daß ich allerdings in der evangelischen Kirche den Schwerpunkt wesentlich in die Gemeinde lege (hört! hörth; aber liegt denn nicht auch im politischen Leben der Schwerpunkt in den Gemeinden? und wollen Sie deshalb, weil der Schwerpunkt in den Gemeinden liegt, sagen: der sogenannte Landtag? Das ist die Parallele dazu. (Sehr gut! rechts) Das wäre dasselbe, als wenn Sie die General⸗-Synode als ein sogenanntes Gebilde bezeichnen. Nein, da muß man Gerechtigkeit walten lassen. Ich lege den Schwerpunkt in die Gemeinden, aber aus den Gemeinden wird die General⸗Synode gewählt. (Bravo! rechts.)

Abg. Dr. Schilling (kons. ): Das Bedürfniß ist nicht erst jetzt für diese Vorlage hervorgetreten, sondern schon seit mehreren Jahren, seitdem sich die Synodalordnung im Volke eingelebt hat. Asse Ein— wendungen werden ganz allgemein gemacht, sie richten sich nicht gegen eine einzelne Vorschrift, sie wenden sich gegen das, was in Zukunft geschehen könnte. Redner geht auf die einzelnen Vorschriften des Ge— setzes ein und versucht nachjuweisen, daß dieselben nicht von so großer Bedeutung seien, daß eine staatliche Gesetzgebung eintreten müßte, um in diesem Punkte Aenderungen herbeizuflhren. Die Erhöhung des Besteuerungörechts sei am meisten bemängelt worden. Wenn der Staat nicht in der Lage sei, der Kirche Mittel zu gewähren, dann müsse ihr der Weg der Selbstbesteuerung eröffnet werden. Die Höhe der Steuer sei nicht so bedeutend, daß daraus Bedenken hergeleitet werden könnten. Ohne Noth werde man auch über den jetzigen Steuersatz nicht hinaus⸗ gehen. Wie der Minister meinte, man konne der Kirche vertrauen, so könne, man auch zum Ministerium Vertrauen haben, und brauche nicht staatlicher als die Staatsregierung zu sein.

Abg. Dr. Langer hans (fr. Vp. ):: Mit der Bedürfnißfrage ist man doch etwas leicht umgesprungen. Wenn ein Bedürfniß schon lange vorliegen würde, hätte man doch wohl schon Anträge seitens der General Synode gestellt. Man blickt so verächtlich auf die ge— mischte Versammlung des Landtags herab und vergißt dabei, daß ö Landtag die staatlichen Gesetze gemacht hat, um die synodale Orga— nisation der Kirche zu schaffen. Dabei wurde die Union aufrecht er— halten und es wurden alle evangelischen Christen zusammengefaßt. Ein Glaubenszwang sollte also nicht ausgeübt werden. Wenn die Ge⸗ setze jetzt nicht mehr gefallen, dann hebe man die Gesetze auf und überlasse es der evangelischen Kirche, sich selbst zu organisieren, oder mache andere Gesetze. Aber wir haben keine Veranlassung, die Gesetze außer Kraft zu setzen, damit die kirchlichen Organe dieselben nach ihrem Belieben ändern können. Wir haben von Anfang an befürchtet, daß die Gesetze zu einer orthodoxen Hierarchie führen würden. Wie recht wir gehabt haben mit unseren Befürchtungen, zeigt die Zusammensetzung der General⸗Synode infolge des Filtrierungssystems. Nach unserer Ansicht sind dadurch die Rechte der Gemeinde illuforisch 5 Man kann nicht sagen: die General⸗Synode ist die evangelische Kirche. Darum bedauere ich, daß der Minister mit diesem Geseße vor⸗ gegangen ist und zwar jetzt gerade, wo die kirchlichen Partelen sich schärfer bekämpfen als die politischen Parteien. Kaiser Wilhelm J. sagte. In der evangelischen Kirche ist eine Orthodoxie eingekehrt, die mit ihren Grundsätzen nicht verträglich ist und in ihrem Gefolge die Heuchelei hat. Diese Worte sind vollständig zutreffend. Wie weit die Orthodoxie geht, zeigt besonders die neu ausgearbeitete Agende und wenn der staatliche Schutz für die Bildung der Gemeindeorgane fehlt, dann kann die Orthodoxie es dahin bringen, daß jeder liberal gesinnte Mann ausgeschlossen wird. In Zukunft sollen die kirchlichen Gesetze nicht mehr vom Minister gegengezeichnet sein; die Angriffe gegen die Kirchengesetze richten sich dann nicht mehr gegen die Minister, sondern gegen den summus episcopus, und das wollen wir vermeiden. Trotz der schlechten Finanzlage waren für die Ablösung der Stolgebühren Millionen vorhanden, obgleich man in kirchlichen Kreisen die Aufhebung der Gebühren nicht i zweckmãßig hielt. Wozu soll da die Steuererhöhung dienen? Sollen neue Ver— tretungskörper mit höheren Diäten geschaffen werden? Eine Ver— ständigung der verschiedenen Richtungen kann eher herbeigeführt werden, wenn die Vorlage abgelehnt, als wenn sie angenommen wird. Werden die Personen, welche nicht der Orthodoxie anhängen, aus der Kirche ausgeschlossen, dann können die Steuern noch etwas mehr erhöht werden; denn die wohlhabenden Leute werden sich nicht so zum Apostolikum bekennen, wie es Herr Stöcker wünscht.

Abg. Dr. Brüel (Hosp. b. n Herr Rickert deutete an, daß das Zentrum eigentlich in dieser Sache nicht mitzuwirken hätte. Da würde also für die evangelischen y, ,, ,, ein eerpus vangelicorum sich ausscheiden müssen, welches allein zu be⸗ schließen hat. Die Folge würde sein, daß bei katholischen Angelegen · heiten die Katholiken allein zu entscheiden hätten. Damit würde wohl das. Zentrum, aber nicht Herr Rickert einverstanden sein. Aus Delikatesse haben die Kathollken sich sonst an evangelisch— kirchlichen Gesetzen nicht betheiligt. Aber sie müssen sich das Recht der Mitwirkung wahren, namentlich, wo es sich hier nicht bloß um eine kirchliche, sondern um eine staatliche Gesetzgebung han— delt. Es handelt sich darum, die Anschauungen zur Geltung zu bringen, welchs das Zentrum von der Selbständigkeit der großen beiden Kirchen hat, wenn auch der Verfassungsartikel über die Selbst— ständigkeit der Kirche aufgehoben ist. Den berechtigten Forderungen der evangelischen Kirche nach Selbständigkeit ist nur in sehr be⸗ schränktem Maße nachgegeben. Aber man muß sich mit dem begnügen, was seitens der. Regierung vorgeschlagen wird. Das Bedürfniß für die Vorlage liegt darin, daß die Kirche die ideale ebenbürtige Stellung einnimmt, welche ihr jukommt. Denn es ist unwürdig der Kirche, daß man der General⸗Synode nicht traut, daß man das

das SchulgesJ 3 ñ

Abgeordnetenhaus als Obersynode einsetzt. Auf die Einzelheiten will

Redner nicht eingehen; es sei aber eine 'nen, Unterstellung des Landesherrn unter die Vormundschaft des Staats. Ministeriums, wenn keine lirchlichen Vorlagen dem Landesherrn gemacht werden könnten ohne Erklärung des Ministeriumz, daß gegen die Vorlage nichts zu erinnern sei.

Abg. Freiherr von Zedlitz (fr. kon): Die Stellung des Vor⸗ redners wird niemand überrascht haben. Ich muß dagegen protestieren, daß die katholische und die evangelische Kirche in ihrem Verhältniß zum Staat gleichmäßig behandelt werden müßten. Wir Evangelischen werden uns, weil unser summus episcopus immer der Landesherr ist, in dieser Beziehung immer enger an den Staat anschließen. Ich bin nicht ein absoluter Gegner der Vorlage; ich erkenne die Berechti⸗ gung des Wunsches der evangelischen Kirche nach einer Revision ihrer Verhältnisse zur Landesgesetzgebung vollständig an. Ein praktisches Bedürfniß nach einer Aenderung der Gesetzgebung ist allerdings nicht nachgewiesen, da ein Mißstand aus der Mitwirkung der dandes vertretung bei den Kirchengesetzen nicht erwachsen ist. Gegen die. Mitwirkung der Landesvertretung wird angeführt, daß sie nicht nur aus Evangelischen zusammengesetzt ist; das Staats-Ministerium braucht aber nicht konfessionell zufammen— gesetzt zu sein, wenn es auch gegenwärtig der Fall ist. So lange der Staat eine Mitwirkung bei der kirchlichen Gesetzgebung hat, wird es unbenommen bleiben, die Art und Weise, wie das geschieht, zum Gegenstand der Kritik im Parlament zu machen, auch wenn die Vor⸗ lage angenommen wird, Ich habe jedoch erhebliche Bedenken über den Umfang der Revision und darüber, ob der jetzige Jeitpunkt der geeignete ist für eine solche Revision. Die Kirche foll nicht bei jedem . abhängig sein von der Zustimmung des Land— tags, aber es mu verhütet werden, daß die Steuerkraft unnöthig Ilhzu. stark angespannt wird. Daß die Stellung des Staats Ministeriums verschoben werden soll, daß es herabgemindert werden soll zu einer bloß begutachtenden Behörde, deren Gut⸗ achten indeß nicht beachtet zu werden braucht, ist bedenk⸗ lich. Die staatsministerielle Stellung, wie sie jetzt in der Kirchen verfassung festgestellt ist, muß aufrecht erhalten werden. Es wird eine erste Aufgabe der Kommission sein, hier eine Verständigung herbeizuführen. Auch in Bezug auf die Grenzen, welche der landesgesetzlichen Mitwirkung in Bezug auf kirchliche Angelegen⸗ heiten gezogen werden sollen, habe ich zecke Einwendungen zu machen. Je weniger die Landesgesetzgebung sich um Kleinigkeiten der Ausführung zu kümmern hat, desto besser ist es für beide Theile. Aber anders steht es bezüglich der Bildung der kirchlichen Vertretungen. Die wesentlichsten Grundlagen dafür dürfen nicht von der Mitwirkung der Landesgesetzgebung befreit werden. Bezüglich der Frage des Ge⸗ lübdes ist es zweifelhaft, ob die gesetzliche Bindung nothwendig ist. Wenn sie nicht besteht, kann sie jetzt nicht neu eingeführt werden. Aber in Bezug auf den Ausschluß vom aktiven und passiven Wahlrecht darf der Rechtszustand ohne staatliche Genehmigung nicht geändert werden. Wenn ich auch vertraue, daß die General⸗Synode alle Be⸗ strebungen, einen Gewissenszwang auszuüben, zurückweisen wird, so sind Befürchtungen nach dieser Richtung hin doch erklärlich; sie beruhen auf gewissen thatsächlichen Verhaͤltnissen, und solche ortho⸗ doren Bestrebungen könnten infolge der leichteren Möglichkeit, von kirchlicher Seite Aenderungen herbeizuführen, noch mehr in den Vordergrund treten als bisher. Das würde zu einer schädlichen Beun⸗ ruhigung der evangelischen Bevölkerung führen. Bei der Agende wird die General Synode die Probe abzulegen haben, ob sie die Glaubeng⸗ freiheit wahren will. Wenn sie diese Probe besteht, dann werden alle Bedenken gegen die Aenderung des Staatskirchenrechts beseitigt sein. Es wird Sache ernster Erwägung sein, ob nicht die Beschlußfassung über ö. ö bis dahin zu vertagen sein wird.

Abg. Stöcker (kons): Ich will dem Minister noch ganz per— sönlich danken, daß er die von mir im vorigen Jahre . e. regung so freundlich unterstützt hat. Er hat die Diskusston aus dem Nebel von bloßen un cheren Befürchtungen und Besorgnissen auf die richtige Linie gestellt, indem er jagte, es handle sich um ein Stück Grenzregullerung zwischen Staat und Kirche, die uns so lange beschäftigt. Zu glauben, daß in den siebziger Jahren unter den Eindrücken der, Falk'schen Aera die Sache richtig erledigt sei, ist ein Optimismus, den nur ein Liberaler haben kann. Niemand hat sich träumen lassen, daß bei einer Grenz regulierung eine solche Wendung zu stande kommen würde wie damals., Die Fehler des Falk'schen Systems haben sich damals auch in die kirchliche BVerfassung eingeschlichen. Das staatliche Interesse an der evangelischen Kirche ist genügend gewahrt dadurch, daß die kirchlichen Behörden, der Ober -Kirchenrath, von Staatébeamten ge⸗ bildet sind. Die Wahrung der Rechte des Staats von dem Landesherrn guf das Staats⸗-Ministerium zu übertragen, war durch⸗ aus nicht nothwendig. Jedenfalls ist diefe künstliche Konstruktion nicht aus dem Wesen der Kirche genommen. Früher hat die evan⸗ gelische Kirche eine solche Mitwirkung des Ministeriums in kirch⸗ lichen. Dingen garnicht gekannt. Es wird die Befürchtung ausgesprochen, daß eine Minorität des Glaubens wegen rechtlos gemacht werden kann. Das ist nothwendig, wenn eine Kirche eine richtige Kirche sein will. Leute, welche die Kirche bekämpfen, können keine kirchlichen Rechte ausüben. In den unteren Schichten der Bevölkerung ist die Umsturzbewegung vorhanden. Was soll daraus werden, wenn diese Mascenn sich in den Besitz der kirchlichen Macht setzen? Jetzt sind sie noch zu ehrlich dazu; aber wie es später wird, wissen wir nicht. Der Regierung ist zu danken, daß sie gerade diesen Punkt aus der staatlichen Bindung herausgelassen hat; es ist das Nothwendiaste, was geschehen mußte. Herr von Zedlitz berlangt von der General⸗Synode die Probe, daß sie guf die Wünsche der Linken und der Mittelpartei bezüglich der Gewissensfreihest ein- geht. Das heißt im gewöhnlichen Leben Nöthigung“. Das machen wir nicht mit. Die General ⸗Synode hat noch niemals in die Gewisseng⸗ freiheit der einzelnen eingegriffen. Die Kämpfe in der evangelischen Kirche sind niemals von unserer Seite begonnen, sondern immer hon der anderen Seite. Der Kampf gegen das Apostolikum in den 66 Jahren begann von der äußersten Linken, die vor der remden Ueberzeugung keinen Respekt hat und eine Vergewaltigung der Gegner forderte. Jeßht muß die Vorlage gemacht werden. Die Kirche müßte die möglichste Freiheit haben, um ihren Einfluß auf das Volk ausüben zu können. Ein Staatskirchenthum, wie wir es haben, besitzt nicht das Maß von Autorität im Geisterreich, um sozialdemokratische Massen mit dem Christenthum wieder in Berührung zu bringen. Herr . hat die Worte des verstorbenen Kaisers zitiert, aber nicht voll e, Warum hat er die folgenden Worte nicht verlesen: aber je her man im Staatsleben steht, desto mehr muß man an dem Kirchenbesuch festhalten“. Auf der linken Seite stehen immer Leute, die von kirchlichen Dingen nichts verstehen; deshalb macht auf uns der Rumor der Linken keinen Eindruck. Wir wollen niemand aus der Kirche ausschließen, wir wollen nur die Ungläubigen nicht in die kirchlichen Aemter und nicht auf der Kanzel haben. Liberal ist es nicht, daß jede freiheitliche Regung der Kirche unter- prückt werden soll. Herr Enneecerus sagte; Principiis obsta! Das muß jedenfalls übersetzt werden: Widerstehe jeder prinzipiellen Haltung, denn Grundsatze waren in den Ausführungen des Herrn Enneccerus nicht enthalten. Die Abweichung vom Apostollkum kann nicht geduldet werden. Wer nicht mehr glaubt, daß der Herr gen Himmel e . ist,; der kann doch nicht für die Aufrechterhaltung dieses irchlichen Festes eintreten. Wenn alle et, in Mar he und Legenden zul ht werden, dann wird die Kirche aufgelöst. Wenn man alle leberzeugungen frei geben soll, dann entsteht der Kampf aller gegen alle. Die Kirche kann den Atheismus bei ihren Mitgliedern dulden, aber in den Aemtern kann sie nicht die Freiheit des Bekenntnisses gestatten. Wir wollen für die Kirche Glauben und Freiheit. Glauben als festen Boden unter den irn und 6 als Luft und Raum über sich muß die Kirche aben, wenn sie beim Volk Autorität haben soll.

Darauf wird die Vertagung beschlossen.

Schluß 4 Uhr. Nächste Sitzung: Freitag 11 Uhr.

ortsetzung der ersten Berathung des Rirchengesetzes und .