1894 / 105 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 05 May 1894 18:00:01 GMT) scan diff

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den Vorzug geben, weil sie die reicheren Klassen am meisten trifft. Im Uebrigen hat eine weitere Erörterung dieser Frage keinen Zweck; die diesseltige -Mehrheit hat auf, die Mehrheit des Reichstags doch keinen Ginfluß. Zwischen dem Abgeyordnetenhause und dem Reichs⸗ 23 besteht der große Unterschied, daß dieses Haus bei der Wahl be⸗ ruht auf dem plutokratischen System, der Reichstag auf dem all⸗ gemeinen direkten Wahlrecht. In dem plutokratischen System liegt eine Verführung, die Interessen der Wohlhabenden voranzustellen, während das allgemeine direkte Wahlrecht dazu auffordert, gerechter zu verfahren in der Bemessung der Steuern. Ein Srgan der Zentrums⸗ partei bezeichnete diese ganze Debatte als eine große Rückzugskanonade, die herbeigeführt sei von dem Finanz- Minister, um ihm von seiten dieses Hauses Deckung zu gewähren, nachdem seine Steuer, und Finanzpläne im Reiche gescheitert find. Ich halte dies nicht für ganz zutreffend. Mögen Sie mit dieser Resolution gewissermaßen salutieren vor seinen Finanz. und Steuerprojekten; an dem Schicksal des verlorenen Feld⸗ zugs wird dadurch nichts geändert werden, und ich hoffe, daß im nächsten Jahre ebensowenig die neuen Steuervorschläge des Finanz⸗ Ministers angenommen werden, wie in diesem.

Finanz Minister Dr. Miquel:

Meine Herren! Der Herr Abg. Richter hat nach dem Rezept des großen römischen Redners Cicero gehandelt: wenn man eine Sache bekämpfen muß, die nicht bekämpft werden kann, klüglicher⸗ weise die Aufmerksamkeit der Zuhörer auf Dinge zu richten, die für die Entscheidung der gestellten Frage von keiner oder sehr geringer Bedeutung sind. (Sehr richtig! rechts) Gegen diese feste Mauer fester Zahlen, gegen die klaren Konsequenzen, die sich daraus ergeben, kann man nicht mit so allgemeinen Vorlesungen über die Rathsamkeit von Schuldentilgung oder Nichtschuldentilgung, oder die Gesundheit oder Ungesundheit der preußischen Vermögens⸗ bilanz hinwegkommen, sondern die Frage, die hier gestellt wird, ist eine ganz andere; ich werde darauf gleich zurückkommen. Meine Herren, ich möchte aber von vornherein einige von diesen Behauptungen besprechen, ehe ich auf den eigentlichen Kern der Sache eingehe.

Der Herr Abg. Richter und ich wußte das vorher, als ich den Bericht der Budgetkommission las hat sich damit ungemein groß gethan, daß in diesem Bericht zugestanden ist, daß die Vermögens⸗ bilanz des preußischen Staats eine günstige sei. Als wenn das auch nur das geringste für die Frage, die wir hier zu entscheiden haben, bedeutet!

Meine Herren, was ist überhaupt die Vermögensbilanz? Der Herr Abg. Richter sagt, man solle jedes Jahr eine Vermögensbilanz aufstellen. Nun, wenn wir eine Festung, ein Amtsgerichts⸗ oder ein Universttätsgebäude bauen oder ein anderes zum Dienst des Staats nothwendiges Gebäude, wo soll denn das in die Bilanz hingestellt werden? Ist das ein Aktivum? Nein, es ist ein Passivum, weil es nicht bloß die Zinsen der Herstellung kostet, sondern auch noch obendrein die Verwaltungskosten vermehrt. Diese ganze Frage der Gesundheit oder Nichtgesundheit des Vermögensstandes Preußens kommt nur insoweit in Frage, als man sich beantworten will, ob das eigene Vermögen Preußens im Verhältniß zu den Ausgaben und im Verhältniß zu den Steuerleistungen des einzelnen Steuerpflichtigen ein günstiges ist oder nicht.

Und da gebe ich nun vollständig zu, daß es wenige Staaten in der ganzen Welt giebt, wo im Verhältniß zu den Ausgaben, die nun mal beschlossen sind und gemacht werden müssen, die Einnahmen aus dem Vermögen so günstig stehen, also die Mitleistung des einzelnen Steuerpflichtigen verhältnißmäßig eine so geringe ist. (Sehr richtig!)

Wenn der Herr Abg. Richter aus einem solchen Gesichts—⸗ punkt herleitet, daß, wenn es nothwendig würde, eine Steuererhöhung, sei es im Reiche, sei es in Preußen, vorzunehmen, eine solche Steuer⸗ erhöhung ohne übermäßigen Bedruck der einzelnen Steuerpflichtigen in Deutschland und in Preußen möglich wäre, dann würde ich ihm Recht geben. Das führt aber gerade zum Gegentheil der Gesichts⸗ punkte, die er immer vertreten hat, die schließlich immer darauf hin⸗ auslaufen, alle Bedürfnisse gering anzuschlagen, wenn eine Erhöhung der Steuer eintreten sollte, und das Umgekehrte zu thun im entgegen⸗ gesetzten Falle.

Der Herr Abg. Richter hat den Satz aufgestellt und dadurch unterscheidet er sich allerdings wesentlich von Herrn Dr. Bachem —, daß überhaupt eine Vermehrung der Steuern weder im Reich noch in den Einzelstaaten, namentlich in Preußen, nicht erforderlich sei. Darauf konzentriert sich allerdings die entscheidende Frage.

Nun erinnere ich daran: wie lag die Sache im Jahre 1890, als ich zuerst die Ehre hatte, einen Etat hier im Hause vorzulegen? Wir arbeiteten damals mit einem Ueberschuß, wesentlich aus den Eisenbahnen, von 102 Millionen aus dem Jahre 1888/89. In das⸗ selbe Jahr fiel der erste Schritt der Steuerreform. Da trat hier der Herr Abg. Richter auf und sagte: Was brauchen wir die Gewerbe⸗ steuer zu reformieren? Wir können sie einfach aufheben. Er stellte sogar Anträge, die Einkommensteuer so degressiv zu gestalten, daß wir daran allein 16 Millionen verloren hätten. Ich warnte damals und sagte: Sehen Sie diese Ueberschüsse nicht als dauernde an, sie sind mehr rechnungs⸗

mäßig als wirthschaftlich; sehr bald wird der Umschlag kommen. Und

was ereignete sich? Im folgenden Jahre 1891/92 hatten wir bereits ein Defizit von 42 Millionen in der Rechnung, im nächstfolgenden Jahre 1892.93 ein solches von 25 Millionen; in diesem Jahre 1893/94 ist ein Defizit veranschlagt die Rechnung liegt

noch nicht ganz vor, ich werde darauf zurückkommen von

57 800 000 S, und im Jahre 1894/95 haben wir ein Defizit im Etat ursprünglich gehabt von 70 200 000 . Das macht doch einiger⸗

maßen irre an dem wirklichen Dur des Herrn Abg. Richter. Wenn man die gesammten Abstimmungen des Herrn Abg. Richter in Beziehung auf unser Finanzwesen im Reich

mund, in den Ginzelstagten durchgeht, so behaupte . .

WMecht behalten hätte mit feinen hegatiwen Voten, so würde von eine Entwickelung des Deutschen Reichs beispielsweise überhaupt nicht die Rede sein. (Sehr xichtig! rechts.)

Nun sagt uns der Herr Abg. Richter; worüber beklagt Ihr Guch Ihr habt es boch zum größten Theil selbst verschuldet, daß die schwan⸗ kenden eigenen Einnahmen Preußens namentlich aus den Ueber schüssen der Eisenbahnen verwandelt worden sind in dauernde

Ausgaben. Gewiß, aber der Herr Abg. Richter hat das genau so mitverschuldet. Ich habe niemals gelesen in allen Debatten seit dem Jahre 1880, daß er gegen diese Vermehrung der Ausgaben ent⸗ schiedenen Protest eingelegt hätte, daß er gesagt hätte: diese Ueber⸗ schüsse aus den Eisenbahnen sind nur schwankender Natur, ihr könnt auf so unsichere Einnahmen keine dauernden Ausgaben basieren. Er hat sich dann in jedem Fall genau so geirrt, wie das ganze Haus, vielleicht auch die Königliche Regierung. Aber das beweist gerade die Irrigkeit seiner ganzen Auffassung von meinem Bestreben, möglichst die Schwankungen namentlich in den Einnahmen aus dem Finanz⸗ wesen des Staats und des Reichs hinauszubringen. Denn es ist gar zu natürlich bei den großen dringenden Bedürfnissen und Aufgaben, die in einem fortschreitenden, in der Entwickelung begriffenen Staatswesen vorhanden sind, daß man geneigt ist, nach den augenblicklichen Ein⸗ nahmen die Ausgaben einzurichten. Das wird immer wiederkehren, wenn nicht organische Einrichtungen eine solche permanente und immer wiederkehrende Selbsttäuschung verhindern. Das ist auch das Ge⸗ heimniß und die Entscheidung der Frage, ob man eine obligatorische Schuldentilgung eintreten lassen soll oder nicht. Gewiß, von dem Standpunkt eines Geschäftsmanns, eines Banquiers ist es durchaus unberechtigt, wenn man Schulden machen muß, gleichzeitig alle zu tilgen; man verliert dabei Zinsen, man verliert Provision und Makler⸗ gebühren. Aber vom Standpunkt einer großen Staatsverwaltung ist es sehr werthvoll, auch selbst an die Verbesserung des Vermögens zu denken durch einen Zwang zur Schuldentilgung, weil um diesen Betrag die jedesmal zur Disposition stehenden Ueberschüsse und Mittel geringer werden. Wenn wir die Schuldentilgung beibehalten hätten, so würden wir gewiß für die Eisenbahn produktive neue Schulden gemacht haben; wenn wir aber gezwungen gewesen wären, jedes Jahr vorab aus den Ueberschüssen der Betriebsverwaltungen bestimmte Summen zurück— zulegen, so würden wir nicht so große Mittel zur Disposition, scheinbar zur dauernden Disposition gehabt haben, wie wir sie bisher hatten.

Darin liegt auch die nach meiner Meinung viel zu ich möchte den Ausdruck gebrauchen rein geschäftsmäßige Auffassung des Herrn Abg. Richter über das Verhältniß des Reichs zu den Einzelstaaten. Gewiß, ich würde auch nicht auf den Gedanken kommen, wenn das Reich ein Einheitsstaat wäre, eine solche Konstruktion der Auseinandersetzung vorzuschlagen, wie das hier geschehen ist. Aber wir haben es hier mit zwei Staatswesen zu thun. Wir haben es zu thun mit einem Staatswesen, welches zwar die Ausgaben souverän dekretiert, aber nicht genöthigt ist, die Einnahmen selbst aufzubringen; und daß das zu einer leichteren Behandlung der Ausgaben führen muß um nicht noch einen stärkeren Ausdruck zu gebrauchen liegt ganz klar auf der Hand. Wir haben es mit einem Stgatswesen zu thun, welches die wesentlichsten Quellen der Einnahmevermehrung sich selbst beigelegt und nur einen anderen Theil einem anderen Staatswesen überlassen hat; einem anderen Staatswesen, das auf die Quellen, die dem Reich gehören, nicht greifen kann, das aber dennoch genöthigt ist, so zu verfahren, als wenn es ein vollberechtigtes Staatswesen wäre, und seine Einnahmen ver— mehren muß nach Maßnahme des Bedürfnisses eines anderen Staats. Wie kann man solche Verhältnisse vergleichen einfach mit einem Einheitsstaat oder mit einer Kommune?! Das sind große staats⸗ rechtliche Konstruktionen, auf welche wir die entschiedenste Rücksicht nehmen müssen bei allen Vorschlägen zur Ordnung der Finanzlage beider Staatsverbände.

Der Herr Abg. Richter meint, es wären die Schwankungen garnicht so bedeutend gewesen in Bezug auf die Ueberschüsse oder Minderbeträge der Matrikularumlagen gegen die Ueberweisungen. Das ist doch eine sonderbare Behauptung. Nach dem Reichs⸗Etat, wie er von uns ursprünglich aufgestellt war, wurde ein Mehr an Matrikularumlagen gegen die Ueberweisungen gefordert für das Jahr 189495 von 32 532 000 S; und noch im Jahre 1892ñ93 hatten wir ein Plus der Ueberweisungen nach der Rechnung von 25 495 000 ½ für Preußen. Es ist klar, daß kein Einzelstaat, und selbst nicht Preußen, ich brauche den Ausdruck absichtlich: selbst nicht Preußen im stande ist, eine solche Elastizität in seine Finanzverhältnisse zu bringen, um derartigen Schwankungen gerecht zu werden.

Aber noch mehr, Herr Abg. Richter hat sehr klüglicher Weise immer mit sehr langen Durchschnitten gerechnet. Aber die Durch schnitte entscheiden nicht mehr. Wir sind in die Periode eingetreten im Reich, wo die Matrikularumlagen stetig wachsen werden über die Ueberweisungen hinaus; darüber kann nicht der geringste Zweifel sein. Wir sind Schritt für Schritt bergab gegangen; und wenn das so weiter geht, so werden die Finanzen vieler deutscher Staaten schließlich vor dem Abgrunde stehen. (Unruhe.)

Meine Herren, der Herr Abg. Richter hat dann eine Reihe Einzelirrthümer begangen und merkwürdiger Weise solche, die ich ihm gegenüber schon mehrfach als solche zu bezeichnen mir erlaubte. Bei— spielsweise hat er wieder ausgesprochen, daß 41 000 000 Einkommen⸗ steuer kapitalisiert, angesammelt würden und daß man, um die Finanzlage Preußens zu beurtheilen, dieselben doch abzuziehen habe. Meine Herren, erinnern Sie sich denn nicht mehr, daß auf diesen schließlich auf 120 Millionen angeschlagenen Fonds im vollen Betrage desselben über die Zinsen desselben dis⸗ poniert ist?! 4 Millionen sollen für die Schulen verwendet werden. Ob ich den Fonds habe, aber die Zinsen des Fonds weiter bezahlen muß, das kann die Finanzlage des preußischen Staats garnicht berühren; wenn Sie die Einnahmen dem Staat zu gute rechnen, dann müssen Sie natürlich auch ihm die Ausgaben, die darauf fundiert sind, zu gute rechnen.

Meine Herren, der Herr Abg. Richter hat dann gemeint, wir

hätten in Preußen eigentlich schon zuviel gethan in Bezug auf die Schuldentilgung; diese Schulden würden ja nur gemacht für pro⸗

duktive Ausgaben, und es sei daher garnicht nöthig, überhaupt zu einer Amortisation zu schreiten. Er hat dann namentlich die preußische

Durchdringen der Finanzlage seitens

Verwaltung der Privateisenbahngesellschaften und deren Finanz- politik. Nun, der Herr Abg. Richter beschäftigt sich ja mit diesen Fragen; ich möchte ihm mal die Aufgabe stellen, zu ver⸗ ngleichen, in welchem Maße an Erneuerungs⸗ und Reservefonds und an Schuldentilgung die Privateisenbahngesellschaften unsere eigene Schuldentilgung und die Solidität unserer Finanzverwaltung über— ragen. Die Herren werden sich noch erinnern, welche . Betrãge von Erneuerungsfonds wir in das Staatsvermögen verstert haben. Wir haben die Erneuerungsfonds leider nicht beibehalten, sondern wir haben sie verwendet allerdings zu nützlichen Zwecken, wie ich zugebe; aber es wäre doch vielleicht richtiger gewesen, wir hätten die Er— neuerungsfonds wenigstens zum theil beibehalten. Wir haben die Eisenbahnprioritäten der Privatgesellschaften, die mit 10; durch—⸗ schnittlich und Zuwachszinsen getilgt wurden, konvertiert und haben die obligatorische Schuldentilgung überhaupt aufhören lassen. Wir haben uns keine Erneuerungsfonds wieder angelegt, noch weniger einen Fonds, der die schwankenden Ueberschüsse von einem Jahr zum anderen auszugleichen geeignet wäre. Also ich glaube, besonders rühmen können wir uns in dieser Beziehung gewiß nicht, und es wird wahr bleiben, daß, wie die Budgetkommission sagt, wir bis auf den heutigen Tag in viel zu hohem Maße die jeweiligen Ueberschüsse direkt zu den Staatsausgaben verwenden. Ich will darauf garnicht kommen, ob es in allen Fällen richtig gehandelt war, daß eine Reihe von Aus— gaben, die eigentlich der Betrieb hätte bezahlen müssen um in der Privatwirthschaftssprache zu sprechen —, von uns durch Anleihen ge⸗ deckt wurden, ob nicht eine große Summe von neuen Schulden kon trahiert ist, die in diesem Sinne überhaupt garnicht produktiv sind. Selbst die Herstellung eines doppelten Gleises, die Erweiterung eines Bahnhofs ist keineswegs in sich immer produktiv, kann vielmehr die Verwaltungskosten noch erhöhen und das Verhält— niß der Brutto⸗ und Nettoeinnahme ungünstig beeinflussen Wir haben ja jetzt in dieser Beziehung einen sehr erheblichen Schritt vor⸗ wärts gethan. Wenn Sie unsern heutigen Eisenbahn⸗-Etat ansehen, so werden Sie derartige Vorwürfe nicht mehr in dieser Weise geltend machen können. Und wenn heute jedermann begreift, daß diese Aende⸗ rung in der Etatsaufstellung richtig ist und soliden Grundsätzen ent⸗ spricht, so ist es doch charakteristisch, meine Herren, daß die wenigen, die das früher bereits erkannten, gegenüber den andrängenden Bedürfnissen und den Wünschen für Mehrausgaben des Staates zu diesem und jenem Zweck, tauben Ohren auch in diesen Hause predigten. Beweis genug, daß man auf festen Grundlagen und gesetzlichen Bahnen die Finanzen aufrichten muß, aber daß es sehr gefährlich ist, auf die Schwankungen und vorübergehenden Stimmungen sowohl bei den Regierungen als bei den Landes vertretungen allzuviel zu bauen. Meine Herren, die großen Staaten in ganz Europa bilden Tilgungsfonds. England hätte dies vielleicht viel weniger nöthig wie wir; ebenso Frankreich. Aber überall werden Sie finden, daß die Bevölkerung selbst und ihre Vertretung von der Nothwendig⸗ keit der Schuldentilgung vollständig überzeugt ist. Ein Staat die Budgetkommission hat sich nach meiner Meinung übermäßig viel damit beschäftigt und der Herr Abg. Richter gleichfalls —, der sein Vermögen erhalten will, muß es sogar vermehren. Denn die Aus—⸗ gaben wachsen, und das Verhältniß der Einnahmen aus dem Ver⸗ mögen gegenüber den wachsenden Ausgaben wird immer schlechter, wenn das Vermögen nur denselben Stand behält. (Sehr richtig! rechts.) Es wäre also noch gar keine übermäßige Solidität der Finanz verwaltung, wenn sie für eine allmähliche mäßige Vermehrung des Staatsvermögens sorgt. Davon kann bei uns aber erst recht nicht die Rede sein. Stiftungsfonds für Armenzwecke in den Kommunen, wo die Bevölkerung wächst, werden immer ungenügender, und es ist daher ein Gebot einer soliden Stiftungsverwaltung, wie das auch im

sittelalter allgemein üblich war, in den Stiftungen vorzuschreiben, jedes Jahr nicht den ganzen Stiftungsbetrag zu verwenden für die Ausgaben, sondern entsprechend der steigenden Vermehrung der Aus— gaben auch die Einnahmen der Stiftung zu vermehren. Wir sind aber schon so weit von solchen soliden Grundsätzen ab, daß es der Abg. Richter geradezu schon als einen Vorwurf für die Finanzverwaltung betrachten würde, wenn sie das Bestreben hätte und es durchführen könnte, zu einer mäßigen Vermehrung des Staatsvermögens zu gelangen.

Meine Herren, der Herr Abg. Virchow hatte, als es sich um die Aufhebung der Schuldentilgung durch das Ministerium Camphausen handelte, ganz andere Grundsätze, wie der Abg. Richter. Er erwiderte auf die Behauptung, daß man ja doch jederzeit freiwillig Schulden tilgen könne, mit dem bekannten Sprichwort, daß die Hölle gepflastert sei mit schönen Vorsätzen. (Heiterkeit. So würde es sich bei uns gestalten, und so hat es sich bisher im Reich gestaltet.

Der Herr Abg. Richter hat so sehr die Reichsverwaltung, namentlich die Etatsaufstellung gerühmt. Hat denn bisher schon das Reich Anstalten getroffen, zu einer mäßigen Schuldentilgung zu ge⸗ langen? Der Herr Abg. Dr. Bachem hat ganz recht gesagt:; die meisten Ausgaben des Reichs sind völlig unproduktiv. Um so mehr war hier eine Schuldentilgung am Platze, und um so mehr hätte man ver⸗ hüten müssen, daß Anleihen gemacht wurden für Ausgaben, die man aus den laufenden Einnahmen hätte bestreiten sollen. Aber wo hat denn das Reich, wo hat der Reichstag auf eine solche solide Finanzwirthschaft hingedrängt? Nein, es wird dazu erst einer organischen Auseinander⸗ setzung zwischen Reich und Einzelstaaten bedürfen. Es wird das Ge⸗ fühl der Verantwortlichkeit für die eigenen Handlungen im Reich ganz anders gestärkt werden müssen dadurch, daß das Reich auf die Deckung seiner eigenen Ausgaben durch die eigenen Einnahmen hin⸗ gewiesen wird, um überhaupt einen solchen Gedanken durchdringen zu lassen.

Meine Herrn, wie wird sich nun, wenn die Politik des Herrn Abg. Richter und wenn ganz habe ich es wohl vielleicht nicht richtig aufgefaßt die Politik des Herrn Abg. Dr. Bachem zur Wahrheit würde, wie würden sich dann für uns in Preußen die Dinge gestalten? Meine Herren, wir haben jetzt einen Etat vorgelegt mit 72 200 0090 S De—⸗ fizit; extraordinäre große Ausgaben, die wir unterlassen können, sind in diesem Etat nicht vorhanden, im Gegentheil, ich halte das Extra⸗ ordinarium noch viel zu gering gegenüber dem wirklichen Bedarf. (Sehr richtig! rechts.)

Auch in dieser Beziehung ist unsere Finanzlage durchaus nicht auf der Höhe nothwendiger Solidität. Diese 72 Millionen werden sich verwandeln in 465 Millionen, wenn alles wahr wird, was der Reichstag unter Führung des Herrn Abg. Richter als wahr an⸗ genommen hat, d. h. wenn die Ausgaben dauernd hintenangehalten

Finanzpolitik in Bezug auf die Eisenbahnen verglichen mit der

werden können, die mit rund 11 Millionen gestrichen

sind, wenn die Ginnahmen aus Zucket, aus Cisenkahnen, aus Post und Telegrapbie die Höhe erreichen, die allem früheren Derkommmen entgegen einfuch in den Etat hineingeschrieben ist; und wenn sie diese Höhe erreichen, so wird das Manko im nächsten Jahre kommen, dann

hat man die mögliche Steigerung schon vorweßgenommen und 1836/96 wird dann um so stärker der Fehlbetrag eintreten; endlich, wenn die Vermehrung der Einnahmen des Reichs aus der Börsen⸗ und Lotterie⸗ steuer 4 Millionen beträgt nun, meine Herren, ich glaube, selbst der Herr Abg. Richter, abgesehen selbst davon, daß sie doch am 1. Mai in dies em Jahre erst in Kraft getreten ist, wird mir soviel zugeben, daß es wenigstens Soc /o wahrscheinlicher ist, daß im ganzen ein Plus von kaum 15 Millionen herauskommen wird, als ein solches von 24 Millionen. (Sehr richtig! rechts.)

Außerdem im abgelaufenen Etat sind die Einnahmen aus den

Zöllen jweifellos über 6 Millionen gegen den Reichs⸗Etat zurück geblieben. Also schon hier ist wahrscheinlich, daß selbst der jetzige Etat im Reich von der Wirklichkeit garnicht erreicht wird und daß ein erheblicher Fehlbetrag in den nächsten Reichs ⸗Etat wieder über⸗ tragen werden muß. Daneben hat der Herr Schatz sekretär Graf Posadowsky nachgewiesen, daß aus Gründen, die man garnicht ab—= lehnen kann, gewissermaßen kraft rechtlicher Verpflichtung auf Grund der bestehenden Gesetze oder sonstigen Institu⸗ tionen im Reich das Mehr der Matrikularumlagen über die Ueberweisungen in dem Etat für 1896/96 mindestens 18 Millionen betragen wird, und dabei hat er weggelassen alle die naturgemäß sonst eintretenden Ausgabesteigerungen, er hat nur diejenigen Positionen genommen, die überhaupt garnicht angefochten werden können, weil sie, wie gesagt, im wesentlichen auf rechtlicher Verpflichtung be⸗ ruhen: Schuldentilgung, Steigerung der Ausgaben für Invaliden · versicherung, der Militärausgaben auf Grund des neuen Militär⸗ gesetzes u. dergl. Bleiben wir aber bei diesen Thatsachen stehen, nehmen wir vorläufig an, es würde wirklich durch das Vorgehen des Reichs, nicht auf dem Papier, sondern Thatsache und Wahrheit, daß das preußische Defizit für das Jahr 189495 bis auf 469 Millionen sich reduziert, so würde dies eintreten, während in dem jetzigen Reichs Etat, wie er sich jetzt gestaltet hat, das Plus der Matrikularumlagen um etwa 8 Millionen höher wäre, als die veranschlagten Ueberweisungen. Jetzt nehme ich an, wir erreichten beim Reich, daß Matrikularumlagen und Ueberweisungen balaneieren, daß Preußen nichts zuzuschießen und nichts zu empfangen hätte, so würde unser Defizit noch immer zwischen 36 bis 38 Millionen be— tragen. Und nun frage ich die Herren: wie soll dies Defizit gedeckt werden? Die Eisenbahnen sind in diesem Etat schon recht hoch ver⸗ anschlagt; ich hoffe wohl, sie werden noch einigermaßen den Etat überschreiten; aber solche Hoffnungen das haben wir namentlich 1892,93 gesehen, wo auf einmal wider Erwarten ein Minderertrag von etwa 40 Millionen eintrat, sind sehr zweifelhafter Natur, und eine verständige Finanzpolitik soll sich eigentlich auf solche Hoffnungen nicht stützen. Aber ich will annehmen, wir kämen selbst auf ein Defizit herunter von nur 30 Millionen, so setzt das doch vor⸗ aus, daß nicht, was, wie ich Ihnen gezeigt habe, in der Zwischenzeit nothwendig eintreten muß, die Matrikularumlagen des Reichs bedeutend gestiegen sind. Mindestens um denselben Betrag, um den man hoffen konnte, daß die Ueberschüsse in Preußen steigen werden, werden die Matrikularumlagen gegen die Ueberweisungen im Reich höher werden. Also wir bleiben dabei stehen: wir haben ein wirk⸗ liches Defizit, die Ausgaben, die dauernden Ausgaben, an denen wir in unserem Etat nichts mehr sparen können ich habe ja immer das Haus aufgefordert, mir zu zeigen, wo noch gespart werden könnte ich sage, die dauernden Ausgaben in Preußen übersteigen die dauernden Einnahmen, auf die mit einiger Sicherheit gerechnet werden kann, um 30 bis 36 Millionen mindestens auch unter diesen ganz unsicheren Voraussetzungen bezüglich des Reichs ⸗Etats. Meine Herren, wie soll das nun gedeckt werden? Es kann durch nichts Anderes gedeckt werden, als durch Erhöhung der Steuern, und insofern begrüße ich die Offen⸗ heit des Herrn Dr. Bachem mit Freude, der das nicht zu bestreiten scheint, der vielmehr noch viel weitere Anforderungen stellt in Be⸗ ziehung namentlich auf die Schuldentilgung im Reich, und sagt, das Defizit muß gedeckt werden in Preußen durch Erhöhung der direkten Steuern.

Meine Herren, ich glaube bewiesen zu haben, daß ich mich vor einer scharfen Heranziehung der besitzenden Klassen nicht scheue, und ich kann daneben sagen, dies hohe Haus, hat sich davor auch nicht ge⸗ scheut. Meine Herren, ein Haus, welches der Herr Abg. Richter als eine Volksvertretung untergeordneter Klasse bezeichnet, hat eine Steuer⸗ reform durchgeführt auf Grund des Prinzips der Leistungsfähigkeit unter einer sorgfältigen Berücksichtigung der minder Leistungsfähigen über dies prozentuale Prinzip hinaus. Das Haus hat zum ersten Mal eine konsequente Unterscheidung gemacht in Bezug auf das Arbeitseinkommen und das Einkommen aus Besitz; das Haus hat die Mehrüberweisungen, die vom Reich gekommen sind und das antworte ich dem Herrn Abg. Dr. Bachem verwendet zur Entlastung der unteren Volks⸗ klassen. Ich erinnere an die Aufhebung der untern Stufen der Klassensteuer; ich erinnere an die Beseitigung des Volksschulgeldes; ich erinnere an die Steigerung einer Menge von Ausgaben, die im wesentlichen den unteren Volksklassen zu gute kamen. Hier haben wir nicht eine einseitige Bourgeoispolitik gesehen, sondern wir haben eine opferfreudige deutsche Volksvertretung vor uns gehabt! (Lachen links.)

Meine Herren, wohin sind wir denn nun gekommen? antworte ich den Herren, die da lachen, ohne daß sie wahrscheinlich etwas zu sagen haben wohin sind wir gekommen? Ich habe im Reichstag dargethan, daß trotz der gewaltigen Steigerung der indirekten Steuern wir noch lange nicht die Grenze erreicht haben, wie beispielsweise die Französische Republik oder das frei regierte England. Die englische indirekte Steuer beträgt im Verhältniß zu den direkten weit mehr noch, als es bei uns der Fall sein würde, wenn wir diese Mehr⸗ forderung wirklich erreichen, die im Reichstag von den Regierungen gestellt ist.

Meine Herren, aber weiter! Wo ist denn ein Land England nehme ich bis auf gewisse Grenzen aus —, wo die ganze Kommunal⸗ steuer, die ganze Verbandsteuer in Kreis und Provinz in solchem Maße auf die direkte Steuer gestellt ist, wie in Preußen? Wenn man in Frankreich, in Oesterreich, auch in verschiedenen deutschen Staaten an eine solche Reform der Steuer jetzt denkt und herangeht, so geht man immer in den Gleisen zu dem Ziel, das wir bereits erreicht haben. Man kann daher uns gewiß nicht vorwerfen, wenn wir eine mäßige Heranziehung des Tabacks bis zu 2 M

während Frankreich 7 46, England 5 und Desterreich 4 4 aus dem Taback auf den Kopf der Bevölkerung ziehen daß wir den Bogen der indirekten Steuern überspannten! Haben wir denn nicht längst die frühere Meinung, daß jede indirekte Steuer eine vor⸗ zugtweise Belastung der unteren Volkeklassen und jede direkte Steuer eine vorzugsweise Belastung der besitzenden Klassen ist, überwunden? Können Sie widerlegen, wenn Sie die Statistik unserer Einkommen⸗ steuer ansehen, daß die mittleren Klassen bis tief an die Personen mit 00 M Einkommen einen ganz eminenten und viel lästigeren Eingriff in ihre Vermögensverhältnisse erfahren würden, als wenn wir solche Genußmittel wie den Taback besteuern? Was fällt alles unter indirekte Steuern! Wenn es uns gelungen wäre, den Wein zu besteuern, hätte doch niemand behaupten können, daß das eine vorzugsweise Belastung der unteren Volksklassen ist. Meine Herren, wenn wir Luxussteuern einführen, so sind das auch indirekte Steuern, selbst Stempelsteuern treffen in den meisten Fällen vorzugsweise die besitzenden Klassen. Also mit dieser allgemeinen Bemerkung: direkte und indirekte Steuern die einen belasten übermäßig die unteren Klassen, oder begünstigen übermäßig die besitzenden Klassen damit ist in dieser Frage nichts gethan.

Meine Herren, die Frage liegt ganz anders. Ich habe schon im Reichstag ausgesprochen, die Frage heißt im Reichstag: soll im Reich damit fortgefahren werden, daß die zweifellos noch weiter wachsenden Ausgaben denn die Ausgaben aller Staaten in der Entwickelung müssen wachsen die Einzelstaaten tragen oder das Reich selbst? Mit anderen Worten: selbst abgesehen von den Schwankungen soll das Reich wieder aufs neue nicht mit dem Bettelsack herum⸗ laufen, sondern mit dem Wechselbrief? Denn das Reich kann fordern und die Einzelstaaten müssen zahlen! Wird der Wechselbrief das Deutsche Reich volksthümlich machen oder das Gegentheil thun? Sollen die Einzelstaaten in ihren Finanzen deroutiert werden? Wenn die Quellen, aus denen sie sich rekreieren können, beim Reich ver⸗ bleiben, wird da nicht die Anspannung übermäßig sein in den Einzel- staaten und soll im Reich der Zügel hängen bleiben, und man sagen: wir sind in der glücklichen Lage, andere werden für uns bezahlen? Soll die Gefahr, die für eine solide und sparsame Finanzwirthschaft in einem solchen System liegt, fortdauern und immer gefährlicher werden? Meine Herren, ich glaube behaupten zu können, daß die öffentliche Meinung von ganz Deutschland wenigstens der Urtheils⸗ fähigen (Lachen links) der Urtheilsfähigen, wie ich wiederhole, im großen und ganzen mit wenigen Ausnahmen, von denen wir ja sehr intelligente Beispiele hier im Hause haben, (Heiterkeit von der Ueberzeugung durchdrungen ist, daß doch auf die Dauer eine finanzielle Auseinandersetzung zwischen Reich und Einzelstaaten unerläßlich ist. Diese Ueberzeugung ist da, die gesammten verbündeten Regierungen und die Reichsbehörden sind von dieser Ueberzeugung durchdrungen, die Nothwendigkeit der Dinge treibt dahin, sollen wir nicht anders in die gefährlichen Katastrophen gerathen. Und diese Momente werden stärker sein als aller augenblicklicher Widerstand. Ich habe im Reichstag mit voller Ueberzeugung gesagt: wenn ich jemals von der Nothwendigkeit einer Reform in diesem Sinne durchdrungen ge⸗ wesen bin, so ist es hier, und ich glaube, die Geschichte aller Staaten läßt die Dauer eines ähnlichen Finanzverhältnisses, wie wir es im Reich zu den Einzelstaaten haben, vollständig unmöglich erscheinen. Wo man versucht hat, zu leben von Römermonaten und Matrikular⸗ umlagen, da ist der Rückgang gekommen. Wie das Reich keine eigenen Steuern mehr erhob, sondern von Beiträgen lebte, da ist das heilige römische Reich deutscher Nation zu Grunde gegangen und der Hansebund ist genau an demselben Uebel gescheitert, weil er auch seinerseits nur von Beiträgen seine gewaltigen Ausgaben decken konnte. Soweit wollen wir es mit dem Deutschen Reich nicht kommen lassen; das liegt im Interesse des Reichs und der Einzelstaaten. Diejenigen, die die heutige staatsrechtliche Konstruktion Deutschlands erhalten wollen, diejenigen, die klar voraussehen, daß im anderen Fall nicht das Reich denn auch nach großen Schwierig · keiten würde es Sieger bleiben aber die Einzelstaaten gefährdet würden, sie werden nach meiner Ueberzeugung in der einen oder andern Form eine solche feste Ordnung zwischen Reich und Einzel⸗ staaten herstellen müssen.

Meine Herren, ich sage: in der einen oder andern Form! Ich habe das im Reichstag schon gesagt, aber es ist natürlich ungehört verhallt; denn die Gegner batten kein Interesse, die Aufmerksamkeit auf das Wesen der Sache zu richten, sondern die Aufmerksamkeit auf Nebendinge zu schieben.

Der Herr Abg. Richter sagt: diese Reform ist ein Automat! eine solche mechanische Auseinandersetzung kann man nicht brauchen. Ich habe im Reichstag gesagt: Wollt ihr Matrikularbeiträge und Ueberweisungen ganz aufheben mit einer festen Rente an die Einzel⸗ staaten, so soll es mir recht sein. (Zuruf links) Ich habe ferner gesagt: Will man auf eine bestimmte Summe Matrikularumlagen die Ueberweisungen fixieren, so soll es mir auch recht sein. (Wieder⸗ holte Zurufe links) Also ich habe deutlich genug zu erkennen gegeben, daß die Form mir völlig gleichgültig ist, daß es nur auf die Sache ankomme. (Zuruf links: Geld) Wenn man Schulden hat, muß man sie bezahlen, und wir haben die Schulden. Es handelt sich nicht um neue Ausgaben, sondern es handelt sich um Deckung bereits gemachter Ausgaben; es handelt sich um die Frage, ob sie durch Anleihen gedeckt werden sollen oder aus den laufenden Mitteln, wohin sie gehören.

Nun kann jemand was Besseres erfinden, dann mag er es thun. Jede Vermehrung der konstitutionellen Rechte in dieser Beziehung wäre mir recht. Aber die Herren werden nichts finden. Matrikular⸗ umlagen und deren Bewilligung, das soll heute ein gewaltiges konstitutionelles Recht sein! Eine Kalkulaturarbeit ist es (Heiterkeit, sehr richtig! rechts und bei den Nationalliberalen), und weiter nichts, und diese Kalkulaturarbeit lassen wir Ihnen in unserem Vorschlage. Die Ueberweisungen werden ja nur dann Bedeutung haben, wenn sie in einem richtigen Verhältniß stehen zu den Matrikularumlagen. Was nützen den Einzelstaaten große Ueberweisungen, wenn sie umso größere Matrikularumlagen zahlen müssen? Ich habe den Herren vom Zentrum schon oft gesagt: Das Ganze, was die Herren Freiherr von Franckenstein und Dr. Windthorst anstrebten im Jahre 1889 / 90 mit der Franckenstein schen Klausel, existiert nicht mehr, wird auch nicht mehr existieren, weil nicht zu erwarten ist, daß die Matrikularumlagen jemals wieder unter die Ueberweisungen sinken, es sei denn, Sie bewilligten neue Steuern.

Der Herr Abg. Richter sagt: hier sollen Steuern vom Reichstag auf Vorrath gefordert werden. Nein, der Reichstag soll die Steuern

nicht auf Vorrath geben, sondern wir wollen ja die Ueberweisungen

. haben! Dann kann der Reichstag doch nicht mehr über die Gelder isponieren oder die Reichsregierung! (Zuruf links: Nach fünf Jahren) Nach fünf Jahren ?. Wẽenn das System einmal eingewurjelt ist, so werden die Einzelstaaten und die Interessen derselben, die doch von den Vertretern derselben im Reichstag auch vertreten werden, schon dafür sorgen, daß dies Verhältniß nicht wieder rückwärts geht. (Sehr richtig! bei den Nationalliberalen) Andererseits war es doch vor⸗ sichtig, bei solchem neuen System erst einmal Erfahrungen zu sammeln. Auch das Reich haben wir nicht binden wollen länger als über fünf Jahre hinaus. Man kann die Entwickelung nicht so voraussehen, daß man nach fünf Jahren dieses ganze System noch einmal wieder revi= diert und sich fragt: was ist etwa daran zu ändern? Das ist doch durchaus der Vorsicht entsprechend.

Meine Herren, ich meinestheils theile die verschiedenen Be⸗ mängelungen des Herrn Abg. Richter gegen den Inhalt des Berichts und gegen die Resolutionen der Budgetkommission in keiner Weise.

Herr Dr. Bachem hat so eine leise Phrase gebraucht, die etwa dahin gedeutet werden könnte, als wenn dieser Bericht vom Finanz— Ministerium gearbeitet worden sei. Das muß ich ganz entschieden zurückweisen. Der Bericht ist selbständig von der Budgetkommission auf Grund selbst der Materialien, die hier Herr Geheimer Rath Kleinschmidt seit Jahren gesammelt hat, zusammengestellt. Der Herr Berichterstatter selbst hat ja gesagt, daß das Finanz⸗Ministerium aller⸗ dings die Zahlen nachgesehen und im wesentlichen richtig gefunden hat. Also diese ganze Voraussetzung ist falsch. Richtig ist es dagegen, wenn der Herr Abg. Richter sagt: dieser Bericht wäre gemacht meinem Wunsch entsprechend. Gewiß, meine Herren! Getreu dem System, jede Verdunkelung, ob sie bewußt oder unbewußt ist, tendenziös oder nicht, in Finanzsachen nicht aufkommen zu lassen, die Politik mit allen ihren Strebungen auf die Finanzen nicht einwirken zu lassen in dem Bewußtsein, daß Klarheit und volles Verständniß nicht bloß im Landtag, sondern auch im preußischen Volk die erste Voraussetzung für die Heilung be⸗ stehender Uebelstände ist, habe ich nicht selbst eine solche Denkschrift vorgelegt was ich ja sehr wohl gekonnt hätte sondern ich habe gebeten, der Landtag möge sich selbst durch gründliches Eingehen auf die gesammten Finanzverhältnisse ein klares Bild schaffen. Wenn das dem Herrn Abg. Richter unangenehm sein sollte, so ist ihm Klar⸗ heit und Sicherheit in der Beurtheilung in diesem Fall unangenehm! (Beifall rechts und bei den Nationalliberalen.)

Meine Herren! Nur eins möchte ich bezüglich des Berichts noch hinzufügen: Es werden in der Resolution 1 und 2 Forderungen gestellt, die keine solide Finanzverwaltung als unberechtigt bezeichnen kann. Ich bin entschieden der Ansicht, daß eine auf Gesetz beruhende, regelmäßige Schuldentilgung sowohl im Reich als in Preußen eine nothwendige und jedenfalls höchst wohl⸗ thätige Sache ist. Ich bin der Meinung mit der Budgetkommission, daß die Schwankungen der jährlichen Ueberschüsse der Eisenbahnen, die allerdings nicht so groß sind, wie man sie meistens ansieht, wenn man die rechnungsmäßigen Ueberschüsse miteinander vergleicht, aber sehr große, wenn man die rechnungsmäßigen Ueberschüsse vergleicht mit den etatsmäßigen ich werde darauf sogleich mit einem Wort zurück⸗ kommen einen störenden Einfluß üben. Ich bin der Meinung, daß eine Grenze hergestellt werden muß, welche den Zweck hat, in der all⸗ gemeinen Finanzverwaltung nicht die jedesmaligen Ueberschüsse in jedem Jahre voll für allgemeine Staatszwecke zur Verwendung zu bringen, sondern nur Durchschnittsbeträge; darauf kommt es hinaus. Ich sage: wir müssen Fonds haben zum Ausgleich der Schwankungen einer so großen Betriebs verwaltung, und Erneuerungsfondt, auf die man greifen kann nach Maßgabe des jeweiligen Bedarfs in dieser Beziehung also ein Dispositionsfonds, der nicht zwingt, nothwendige Verbesserungen und Herstellungen zurückzustellen bis zum nächsten Etat, wo auch oft eine entschiedene Verschwendung eintreten wird. Aber die Budgetkommission darin hat der Herr Abg. Richter Recht hat vergessen mir zu sagen, wo ich die Mittel für diese schönen Dinge hernehmen kann.

Meine Herren, bei meinen früheren Rechnungen, wo ich auf ein für die nächsten Jahre mindestens 30 Millionen betragendes Defizit Preußens gekommen war, habe ich von einer obligatorischen Schuldentilgung noch garnicht gesprochen, von einer Zurũck⸗ stellung von Eisenbahnüberschüssen für Zwecke der Eisenbahn⸗ verwaltung selbst ebensowenig. Wollen Sie das jetzt durchführen, nun, dann schreiben Sie soviel Prozente mehr auf die Einkommen⸗ steuer. Aber selbst wenn wir soweit nicht gehen: haben wir denn in Preußen nicht eine große Anzahl von Bedürfnissen, die wir noth⸗ wendig auf die Dauer befriedigen müssen, wenn nicht das ganze Staatswesen rückwärts gehen, wenigstens eine entsprechende heilsame Fortentwicklung gehemmt werden soll? Wie oft haben wir hier von der Nothwendigkeit der Aufbesserung der mittleren und höheren Beamten gesprochen! Wie oft haben wir eine Reihe der nützlichsten und zweckmäßigsten Verwendungen im Interesse der Landeskultur zurückstellen müssen! Wie groß sind die Beschwerden, daß Wissen⸗ schaft und Kunst nicht genügend gepflegt werden können! Ich will das harte Wort aussprechen, weil ich mir vorgenommen habe, mit der größten Klarheit und Rücksichtslosigkeit zu sprechen: die Signatur unserer und der Reichsfinanzen ist die, daß wir uns viel zu große Ausgaben erlaubt haben gegen die Mittel, die wir zur Dis⸗ position hatten. (Sehr richtig! rechts Bewegung links.) Und dieser Zustand, wohin muß er führen? Das, was der Herr Abg. Richter uns räth, er will es gewiß nicht. (Zuruf des Abg. Richter: Militärvorlage) Ja, das ist dann die Frage, ob das eine nothwendige Ausgabe war oder nicht, worauf ich hier nicht einzugehen brauche. Thatsache ist, daß die Ausgabe gemacht ist, und daß sie ge⸗ deckt werden muß sowohl von denjenigen, die damals in der Minoritãt waren, wie von denjenigen, die in der Mehrheit waren.

Das, was diejenigen rathen, welche jedes Defizit leugnen, welche jede Nothwendigkeit der Vermehrung der Einnahmen bestreiten, heißt: macht Schulden, lebt von der Zukunft, kümmert euch nicht um die Zukunft, bürdet euren Nachkommen die Lasten auf; mögen die sehen, wie sie damit fertig werden, wir wollen nicht zahlen, wir wollen Schulden machen. Meine Herren, wenn das preußische oder deutsche Tradition werden soll, selbst wenn wir dazu geneigt wären gegenüber den uns entgegenleuchtenden Bildern in anderen Staaten, die auf Grund einer solchen Politik in die allergrößten ver⸗ hängnißvollen Situationen gekommen sind, dann allerdings habe ich vergeblich geredet. Diejenigen aber, welche diese ganze gewaltige Mehrausgabe, diese großen Fehlbeträge im Reich und in Preußen ausschließlich durch direkte Steuern decken wollen, die ent⸗ scheiden nicht; bloß die Frage das möchte ich Herrn