Deutscher Neichs Anzeiger
und
oͤniglich Preußischer Staats⸗Anzeiger.
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Berlin, Mittwoch, 5. Dezember,
Abends.
1894.
Berlin, den 5. Dezember 1894.
Heute Vormittag um 111 Uhr fand die feierliche Eröff⸗ nung des durch Kaiserliche Verordnung vom 2. November ein— berufenen Reichstags im Rittersaale des Königlichen Schlosses durch Seine Masestät den Kaiser statt.
Der Eröffnung ging ein Gottesdienst vorher, und zwar für die Mitglieder der evangelischen Kirche um 10, Uhr in der Dom-⸗Interimskirche (Monbijou), wo der Hofprediger Kritzinger unter Zugrundelegung des Textes Jesaia 40, z31 die Predigt hielt. Für die Mitglieder der katholischen Kirche wurde um 11 Uhr in der St. Hedwigskirche eine Segens— andacht gehalten.
Nach der kirchlichen Feier versammelten sich die Ab⸗ geordneten zum Reichstag im Rittersaal und nahmen daselbst dem Thron gegenüber Äufstellung. Wegen des beschränkten Raumes in diesem Saale war von der sonst üblichen Einladung der Generalität, der Wirklichen Geheimen Räthe und des diplomatischen Korps abgesehen, auch waren keine Zuschauer zugelassen worden.
Sobald die Abgeordneten zum Reichstag versammelt waren, traten die Bevollmächtigten zum Bundesrath in den Rittersaal ein und stellten sich links vom Thron auf.
Auf die Meldung des Reichskanzlers Fürsten zu Hohen— lohe begaben Sich Seine Majestät der Kaifer unter großem Vortritt und in Begleitung der hier anwesenden Prinzen des Königlichen Hauüses sowie der Mitglieder deutscher Fürstenhäuser in den Rittersaal, wurden beim Eintritt von der Versammlung mit dreimaligem Hoch empfangen, welches der Präsident des Reichstags, Wirkliche Geheime Rath von Levetzow ausbrachte, und nahmen“ vor dem Throne
Stellung. Die Königlichen Prinzen und die Mitglieder der deutschen Fürstenhäuser schlossen sich rechts vom Thron an.
Hierauf geruhten Seine Majestät, aus der Hand des Reichskanzlers Fürsten zu Hohenlohe die Thronrede entgegen— zunehmen und, das Haupt mit dem Helm bedeckt, wie folgt zu verlesen:
Geehrte Herren!
Im Namen Meiner hohen Verbündeten heiße Ich Sie beim Beginn Ihrer verfassungsmäßigen Thätigkeit willkommen.
Sie werden Ihre Arbeit in die neue Stätte verlegen, welche durch zehnjähriges ernstes Schaffen als ein Denkmal vaterländischen Fleißes ihrer Vollendung entgegengeführt ist.
Möge Gottes Segen auf dem Hause ruhen, möge die Größe und Wohlfahrt des Reichs das Ziel sein, welches alle zur Arbeit in seinen Räumen Berufenen in selbstverleugnender Treue anstreben!
Diesen Wunsch empfinde Ich besonders lebhaft im Hinblick auf die wirthschaftlichen und sozialpolitischen Aufgaben, welche unter Ihrer Mitwirkung zur Lösung zu bringen sein werden.
Getreu den Ueberlieferungen der Vorfahren, betrachten Meine hohen Verbündeten und Ich es als die vornehmste Aufgabe des Staats, die schwächeren Klassen der Gesellschaft zu schützen und ihnen zu einer höheren wirthschaftlichen und sittlichen Entwickelung zu verhelfen. Die Pflicht, dieses Ziel mit allen Kräften anzustreben, wird um so zwingender, je ernster und schwieriger der Kampf um das Dasein für einzelne Gruppen der Nation sich gestaltet hat. Von der Ueberzeugung getragen, daß es der Staatsgewalt obliegt, gegenüber den streitenden Interessen der verschiedenen Elemente das Gesammt⸗ interesse des Gemeinwesens und die Grundsätze der aus⸗ gleichenden Gerechtigkeit zur Geltung zu bringen, werden die verbündeten Regierungen fortfahren in dem Bestreben, durch Milderung der wirthschaftlichen und sozialen Gegensätze das Gefühl der Zufriedenheit und der Zusammengehörigkeit im Volke zu erhalten und zu fördern.
Soll aber dieses Bestreben, bei welchem Ich Ihre rück— haltlose Unterstützung erhoffe, in seinem Erfolge gesichert werden, so erscheint es geboten, dem verderblichen Gebahren derjenigen wirksamer als bisher entgegenzutreten, welche die Staatsgewalt in der Erfüllung ihrer Pflicht zu stören ver— suchen. Die Erfahrung hat gelehrt, daß die bestehende Gesetz⸗ gebung nicht die erforderlichen Handhaben hierzu bietet. Die verbündeten Regierungen erachten deshalb eine Ergänzung unseres gemeinen Rechts für geboten. Es wird Ihnen unver⸗ züglich ein Gesetzentwurf vorgelegt werden, welcher vornehmlich durch Erweiterung der geltenden Strafvorschriften den Schutz der Staatsordnung verstärken will. Ich hege die Zuversicht, daß Sie für diese ernste Aufgabe Ihre thatkräftige Mitwirkung gewähren werden.
Die seit Einführung der Reichs⸗Justizgesetze gesammelten Erfahrungen haben Mängel der Strafprozeßordnung und der mit ihr im Zusammenhang stehenden Theile des Gerichts— verfassungsgesetzes ergeben. Behufs ihrer Beseitigung wird Ihnen ein Gesetzentwurf vorgelegt werden, in dessen Rahmen zugleich die Entschädigung unschuldig Verurtheilter ihre Regelung finden soll.
Die Untersuchung der Börsenverhältnisse durch die dazu eingesetzte Kommission hat gezeigt, daß die bestehenden Ein⸗ richtungen nicht ausreichen, um die Gefahren abzuwenden, denen der Volkswohlstand durch mißbräuchliche Benutzung der börsenmäßigen Formen des Handelsverkehrs ausgesetzt ist. Ein Gesetzentwurf, der den auf diesem Gebiete hervorgetretenen Schäden abzuhelfen bestimmt ist, wird vorbereitet und Ihnen, wie Ich hoffe, noch in dieser Tagung vorgelegt werden können.
Dasselbe gilt von einem Gesetzesvorschlag, der dem Handels⸗ und Gewerbestand gegen den Wettbewerb, welcher unlautere Mittel nicht verschmäht, Schutz gewähren und damit auf die Festigung des Vertrauens in Handel und Wandel hin— wirken soll.
Das finanzielle Verhältniß der Einzelstaaten zum Reich hat sich in einem für die ersteren bedenklichen Umfange ver⸗ schoben. Während die Einzelstaaten ein Jahrzehnt lang bedeu⸗ tende Mehrüberweisungen vom Reich empfingen, ist das Reich gegenwärtig genöthigt, zur Deckung seiner eigenen Bedürfnisse erhebliche Zuschüsse von den Einzelstaaten zu fordern. Diesem drückenden Uebelstande vermögen die Mehr— einnahmen aus den Reichs⸗Stempelsteuern nur zum theil abzuhelfen. Es ist deshalb die Erschließung weiterer Steuerquellen unerläßlich. Demgemäß wird Ihnen von neuem ein Gesetzentwurf vorgelegt werden, welcher die ander⸗ weite Besteuerung des Tabacks in Aussicht nimmt. Nicht minder halten die verbündeten Regierungen fest an der For⸗ derung einer organischen Auseinandersetzung des Reichs und der Einzelstaaten, um die Finanzwirthschaft des Reichs selbst⸗ ständig zu machen und die Einzelstaaten wenigstens für längere Zeit vor schwankenden und steigenden Anforderungen zu schützen. Behufs baldiger Durchführung jener durch die föderative Gestaltung Deutschlands gebotenen und zur Aufrechterhaltung finanzieller Ordnung unerläßlichen Reform haben sich die ver— bündeten Regierungen indessen entschlossen, auf die im Vorjahre zu Gunsten der Einzelstaaten geforderten Mehrüberweisungen zu verzichten. Ich gebe Mich der sicheren Erwartung hin, daß nunmehr auf dieser neu gewonnenen Grundlage eine volle Einigung mit Ihnen erzielt werden wird.
In den letzten Jahren hat zu Meiner lebhaften Be⸗ friedigung die Zuversicht in die Erhaltung des europäischen Friedens neue Kräftigung erfahren. Getreu dem Geiste unserer Bündnisse, pflegen wir mit allen Mächten gute und freundliche Beziehungen.
Zwei uns benachbarte Reiche sind im Laufe der letzten Monate von erschütternden Ereignissen heimgesucht worden. Deutschland hat sich aufrichtig der allseiätigen Theilnahme an⸗ geschlossen, welche von neuem Zeugniß ablegt von einer Soli⸗ darität menschlicher Gefühle und friedlicher Wünsche. In dem heimgegangenen Kaiser Alexander III. von Rußland betrauere Ich einen Freund und bewährten Mitarbeiter an den Werken des Friedens.
Geehrte Herren! Indem Ich Sie nunmehr ersuche, in Ihre Arbeiten einzutreten, gebe Ich der Hoffnung Ausdruck, daß diese zum Heil des Vaterlandes gereichen werden. Sie mögen Zeugniß ablegen dafür, daß von der Einmüthigkeit, mit welcher die deutschen Stämme vor nun bald fünfundzwanzig Jahren für die Gründung des Reichs eintraten, ihre Vertreter auch hei dem weiteren Ausbau unserer vaterländischen Ein⸗ richtungen geleitet werden.
Nach 3 der Threonrede trat der Reichskanzler vor den Thron und erklärte den Reichstag für eröffnet.
Seine Majestät der Kaiser verließen hierauf unter er⸗ neutem, von dem Königlich bayerischen Bevollmächtigten zum Bundesrath Grafen von Lerchenfeld⸗ Köfering ausgebrachtem Hoch, in Begleitung der Prinzen, nach allen? Seiten huldvoll grüßend, den Saal.
Seine Majestät der Kaiser und König haben Allergnädigst geruht:
dem Baurath, Professor Dr. Paul Wallot den Charakter als Geheimer Baurath,
dem Baurath Wilhelm Haeger zu Berlin den Rothen Adler⸗Orden dritter Klasse mit der Schleife,
dem Regierungs⸗Baumeister Paul Wittig zu Berlin, dem Regierungs⸗Baumeister Boleslaus Jeske zu Berlin, dem Geheimen Regierungs⸗Rath, Professor Rietschel zu Berlin und dem Bildhauer, Profesfor Stto Lessing zu Berlin den Rothen Adler⸗-Orden vierter Klasse,
dem Architekten Christian Gramm zu Berlin, dem Architelten Stto Rieth zu Berlin, dem Rechnungs⸗Rath Karl Giebe zu Berlin, dem Architekten Ludolph Müller zu Berlin, dem Architekten Ernst Milde zu Berlin, dem Bildhauer, Professor Wilhelm Widemann zu Frank⸗ furt a. M. und dem Bildhauer August Vogel zu München den Königlichen Kronen Orden vierter Klasse,
dem Bauaufseher Max Sch neidewind zu Berlin das Allgemeine Ehrenzeichen in Gold, sowie
dem Bauschreiber Friedrich August Penseler zu Berlin, dem Bauzeichner Wilhelm Brockmann zu Berlin, dem Maurerpolier Hermann Oertel zu Berlin, dem Zimmerpolier Wilhelm Wartenberg zu Lübars, dem Steinmetzpolier Karl Herzau zu Berlin das Allgemeine Ehrenzeichen zu verleihen.
zu Dresden
Seine Majestät der König haben Allergnädigst geruht:
dem Amtsgerichts⸗Rath Dallwig zu Marburg den Rothen Adler-Orden dritter Klasse mit der Schleife,
dem Kreis⸗Bauinspektor, Baurath Beutler zu Kottbus den Rothen Adler⸗Orden vierter Klasse,
dem Prokuristen Hermann Mohaupt zu Liebau im Kreise Landeshut den Königlichen Kronen⸗Orden vierter Klasse,
dem emeritierten Lehrer Gber müller zu Groß⸗Kruschin im Kreise Strasburg W⸗Pr. den Adler der Inhaber des Königlichen Haus-Ordens von Hohenzollern,
dem Gemeinde⸗Vorsteher Julius Ahrens zu Upen im Kreise Goslar, dem Gemeindeförster Adam Vogt zu Bölingen im Kreise Ahrweiler, dem Schriftsetzer Christian Rade⸗ macher zu Schwelm und dem landwirthschaftlichen Arbeiter Friedrich Heinrich Christian Salge zu Behnsdorf im Kreise Gardelegen das Allgemeine Ehrenzeichen, sowie
dem Regierungs-Sekretär, Premier- Lieutenant a. D. Reiche zu Lüneburg und dem ehemaligen Grenadier im 1. Badischen Leib⸗Grenadier⸗Regiment Nr. 109, jetzigen Fabrik⸗ arbeiter Ludwig Kurz zu Grötzingen in Baden die Rettungs⸗ Medaille am Bande zu verleihen.
Aichtamtliches.
Deutsches Reich. Preußen. Berlin, 5. De zember.
Seine Majestät der Kaiser und König trafen nach Beendigung der dem Chef des Manõver⸗Geschwaders gestellten Aufgaben gestern Nachmittag um 4 Uhr mit dem if ebe in Kiel wieder ein und blieben bis zur Abfahrt, um 109 Uhr 50 Minuten Abends, an Bord des Panzerschiffs „Kurfürst Friedrich Wilhelm“.
Heute Morgen 3, Uhr trafen Seine Majestät der Kaiser auf dem Lehrter Bahnhof hierselbst ein und fuhren von dort nach dem Königlichen Schlosse. Kurz vor 16 Uhr Vor⸗ mittags begaben Seine Majestät Sich, wie „W. T. B.“ meldet, nach dem Palais Ihrer ajestät der Kaiserin und Königin Friedrich, um Allerhöchstderselben sowie Seiner Königlichen Hoheit dem Prinzen von Wales einen Besuch zu machen. Seine Majestät erschienen hierbei in der Uniform Allerhöchstihres großbritanni⸗ schen rn, Kurz vor 10½ Ühr erfolgte die Rückkehr Seiner Majestät nach dem Schlosse, und um III Uhr im Rittersaal daselbst die . des Reichs⸗ tags, welche Seine Majestät der Kaiser A ec e voll⸗ zogen. Um 1 Uhr Nachmittags wohnten Seine Majestät der Schlußsteinlegung für das neue Reichstagsgebäude bei.
Ihre Majestät die Kaiserin und Königin kamen heute füüh vor 8 Uhr nach Berlin und * vom Potg⸗ damer Bahnhof nach dem Königlichen Schlosse, von wo aus Ihre Majestat zunächst das useum besuchten. Kurz vor I Uhr empfingen Ihre Majestät im Königlichen Schlosse den Besuch Ihrer Masestät der Kaiserin und Königin Friedrich sowie Ihrer Königlichen Hoheiten des Prinzen von Wales und des Herzogs von Jork und wohnten um 1 Uhr der feier⸗ lichen Sch steinlegung für das neue Reichstagsgebäube bei