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darin liegt ein Gedanke, der den Herren von der linken Seite sympathisch sein sollte. Es ist eine ganz andere Sache, ob man bei der Etatsaufstellung gesetzlich nur so viel Matrikularbeiträge ein⸗ stellen darf, als man auf eigene Einnahmen rechnet, und die mit ihren wachsenden Forderungen an die Reichsfinanwerwaltung heran? tretenden Ressorts darauf verweist, sie sollten zunächst Mittel und Wege angeben, wie neue Steuern geschaffen werden könnten, — oder ob die Ressorts in der Lage sind, die Ausfüllung der Lücken durch die Erhöhung der Matrikularbeiträge zu empfehlen. Es ist mir, auf⸗— richtig, nicht verständlich, daß für die Frage der Finanzreform in dieser engen Begrenzung von der linken Seite nicht mehr Entgegenkommen gezeigt wird.
Der Herr Abg. Rickert hat ferner eine etwas delikate Frage an mich gerichtet; er wünscht zu wissen, ob in der That eine nachträgliche Erhöhung der Zollbeträge im Etat eingetreten wäre, und in welchem Stadium. Ich bin selbstverständlich nicht in der Lage, Auskunft zu ertheilen über die internen Verhandlungen, die zwischen der Reichs⸗ Finanzverwaltung einerseits und den Vertretern der verbündeten Re— gierungen andererseits schweben. Ich nehme aber einmal an, es wären in der That zunächst sämmtliche Einnahmen nach dem zweijährigen Durchschnitt veranschlagt worden, und man wäre dann zur Ueber⸗ zeugung gekommen, daß dieser zweijährige Durchschnitt gegenüber den thatsächlichen Einnahmen zu gering ist, und man hätte infolge dessen die Getreidezölle nach einem dreijährigen Durchschnitt ver⸗ anschlagt und noch sieben Millionen hinzugesetzt: so wäre das, glaube ich, dech etwas, was der Herr Abg. Rickert nicht tadeln, sondern loben sollte. Wir haben es ehrlich versucht, möglichst wahrheitsgemäß einzuschätzen. Der Herr Abg. Richter hat gestern Zweifel dagegen gehabt, daß aus der Budgetkommission eine Anregung dazu ergangen wäre, in Zukunft so zu veranschlagen, wie hier geschehen ist. Expressis verbis — das gestehe ich dem Herrn Abg. Richter zu — ist das nicht geschehen; aber man hat doch durch die Etatserhöhung, die sich ja theilweise bewährt hat, namentlich bei der Zuckersteuer, den Wunsch zu erkennen gegeben, die Einnahmen einer möglichst kurzen Periode der Vergangenheit der Veranschlagung zu Grunde zu legen, und damit möglichst korrekt zu veranschlagen; und wenn wir statt eines dreijährigen den zweijährigen Durchschnitt ge— wählt haben, sind wir dem Gedanken nachgekommen, der zur Erhöhung der Einnahmeposten im laufenden Etat in der vorigen Tagung des Reichstags geführt hat.
Nun hat gestern der Herr Abg. Richter moniert, daß wir die Zölle noch zu niedrig veranschlagt haben, d. h. noch 2 Millionen niedriger als im laufenden Etat. Ja, ich bin wirklich äußerst ge⸗ spannt, von einem so gründlichen Kenner unseres Reichs- Etats, wie es der Herr Abg. Richter ist, zu erfahren, wie er sich wohl die Veran⸗ schlagung der Zölle denkt. Will der Herr Abg. Richter eine noch kürzere Spanne zu Grunde legen, etwa einen einjährigen Ertrag? Dann könnte es doch sein, daß einmal die Erträge aus den Getreide⸗ zöllen außerordentlich niedrig veranschlagt würden, wenn die Ernte in dem betreffenden Jahre, welches zu Grunde gelegt worden ist, eine außerordentlich günstige ist, und daß andererseits der Er— trag außerordentlich hoch veranschlagt wird, wenn die Ernte in dem betreffenden Jahre der Fraktion eine geringe ist. Es könnte aber dann, wenn man so kurze Zeitperioden für die Etatisierung der Getreidezölle, die doch maßgebend sind für die Zollerträge überhaupt, zu Grunde legte, das Verhältniß zwischen Etat und Wirklichkeit ein umgekehrtes werden; man hat eine geringe Ernte zu Grunde gelegt, und es ist ein ausgezeichnetes Jahr geworden — und umgekehrt, man hat eine reiche Ernte zu Grunde gelegt und der Import ist bedeutend gestiegen. Dann würden wir zu bedenklichen Schwankungen und zu bedeutenden Defizits kommen. Ich bin also gespannt, welche Vorschläge der Herr Abg. Richter in dieser Beziehung in der Kommission des Reichstags machen wird. Wir halten noch immer daran fest, daß, wenn man nicht unangenehme Ueberraschungen haben will, man einen dreijährigen Zeitraum zu Grunde legen muß, um gute und schlechte Ernten, geringe und hohe Importen zu kompensieren.
Es ist dann von dem Herrn Abg. Richter der Vorwurf erhoben worden, die Stempelsteuern wären auf Grund des neuen Gesetzes zu niedrig veranschlagt. Wie kann man eine solche Saure Gurken⸗-Zeit, wie Juni, Juli und August für die Börse ist, zu Grunde legen? sagt Herr Richter. Ich bitte doch den Herrn Abg. Richter, der das technische Ver⸗ fahren der Etatsaufstellung so genau kennt, sich zu erinnern, daß im September die Voranschläge fertig sein mußten, daß gerade in diesem Jahre, dem Wunsche der Regierungen folgend, die Etats außer⸗ ordentlich schnell fertig gestellt wurden, damit der Bundesrath Zeit hatte, die Etats gründlich zu berathen, und daß infolge dessen, wenn wir die neue Stempelsteuer eskomptieren wollten, wir hierfür keinen anderen Zeitraum hatten als Juni, Juli und August. Herr Richter wird doch nicht verlangen wollen, daß wir auch den Mai hinzunehmen, wo das Gesetz eben erst fertig geworden war. Hätten wir den Monat Mai noch hinzugenommen, so wäre das Resultat noch viel niedriger gewesen. Außerdem zeigt sich, wie auf den Ertrag der Stempelsteuer die Ausnahmebestimmung gewirkt hat, daß die ausländischen Papiere noch innerhalb einer Präklusivfrist von sechs Monaten zu dem niedrigen Satze versteuert werden konnten. Im Oktober ist die Frist abge— laufen, und der Oktoberertrag ist dreimal so hoch als in den übrigen Monaten. Es hat sich also alles beeilt, den Termin noch wahrzu⸗ nehmen, um den niedrigeren Satz zu lukrieren. Man wird bei der Veranschlagung der Börsensteuer, die doch sehr abhängig ist von den wechselnden Handelskonjunkturen, außerordentlich vorsichtig sein müssen.
Ich muß auch den Vorwurf zurückweisen, daß die Spannung künstlich erhöht wäre und namentlich in einer ganz unangemessenen Weise das Ordinarium zum Besten des Extraordinariums hinauf— geschraubt sei. Ich habe gestern schon darauf hingewiesen, daß wir ohne jede Initiative des Reichstags für die gesammten Einnahmen 8 Millionen mehr auf Grund einer anderen Fraktion eingestellt haben, daß wir auf Grund einer anderen Berechnung des Naturalbedarfs des Heers eine weitere Minderausgabe von 6 Millionen eingestellt haben gegenüber der früheren Fraktion, daß in den Marine⸗Etat unter den einmaligen Ausgaben des Ordinariums 14 Millionen Mark mehr eingestellt sind zur Erneuerung der Kessel und Maschinen der „Sachsen“ Klasse, die eigentlich die Erhaltung der Flotte bedeuten, und daher
in die fortdauernden Ausgaben gestellt werden müßten, daß wir so spontan die Spannung um 153 Millionen verringert haben. Ich muß wirklich zurückweisen, daß man uns eine tendenziöse Behandlung dieses Etats vorwirft. Gerade die entgegengesetzte Ansicht hat vorgeherrscht, und wenn Herr Richter andeutete, er wolle zwar nicht glauben, daß man
die Sache, wie man im bürgerlichen Leben sagt, zurecht geklopft hätte, aber es wäre ein komischer Zufall, daß man aus der Taback⸗ steuer 35 Millionen haben wollte und die Spannung betrage 33 Millionen, — so hat Herr Abg. Richter verkehrt deduziert. Wir haben nicht die Spannung dadurch erreicht, daß wir die Einnahmen vermindert und die Ausgaben erhöht haben, sondern dadurch, daß wir die Einnahmen erhöht, soweit wir es glaubten verantworten zu können, und im heftigen Kampfe mit den Ressorts die Ausgaben verringert haben. Dadurch sind wir zu den 33 Millionen ge— kommen.
Es ist ferner bemängelt worden, daß 2 Millionen, die im vorigen Jahre nicht verbraucht sind von den 5.oo des Werths der Flotte, dies Jahr auf das Ordinarium, statt auf das Extraordinarium ge— nommen worden sind. Meine Herren, vielleicht wird der Herr Abg. Dr. Lieber die Güte haben, seine damalige Auffassung klar zu legen, die er als Referent der Sache hatte. Ich möchte mir aber doch ge— statten, einen Passus aus dem damaligen Vortrage des Herrn Referenten vorzulesen. Der Herr Abg. Lieber sagte bei Besprechung des Marine ⸗Etats:
Nun hat die Nothlage des Augenblicks uns jetzt zu einer ausnahmsweise geringeren Aufwendung geführt. Die Ausnahme zur Regel zu machen, davon war nirgends die Rede. Würden wir aber in der Finanzierung so, wie unsere Registratur es aufgestellt, verfahren, so würde der wirthschaftliche Grundgedanke verwischt oder verdunkelt werden und dem Reichstag wahrscheinlich auch für die Zukunft aus dem Gedächtniß verschwinden, daß er seiner Zeit die
Verpflichtung übernommen und jahrelang durchgeführt hat, jährlich
bis zu o/ des Bauwerths der Flotte für Schiffsbauten auf die ordentlichen Einnahmen des Reichs zu übernehmen. Wie wichtig das ist, daß dies klar gehalten wird, brauche ich hier nicht weiter auszuführen.
Sie sehen also, daß damals Ihr Referent noch auf dieses Verhältniß einen außerordentlichen Werth gelegt hat. Soweit ich die Stimmung in Marinekreisen kenne, wäre es ja der Marine— verwaltung selbstverständlich am allerangenehmsten, wenn sie nicht in dem normalen Fortschritt der Erhaltung und Ausbildung der Flotte auf jährlich zufällig wechselnde Bewilligungen angewiesen wäre. Darüber, glaube ich, meine Herren, sind wir alle einig, daß die Flotte auf der vollen technischen Höhe stehen muß (sehr richtig! rechts), und wenn sie auf dieser technischen Höhe nicht steht, sie nur den Werth von altem Eisen hat. (Sehr richtig! rechts) Und daß der Flotte durch diese wechselnden Bewilligungen es außerordentlich erschwert wird, systematisch Hand in Hand mit den Riesenschritten der Technik fortzuschreiten, das bedarf, glaube ich, keines Beweises. Ich glaube, die Flotte würde sich besser stehen und es dankbar aeceptieren, wenn ihr vielleicht eine bescheidenere Summe, als ge— fordert wird, gewährt würde, aber ein Fixum auf eine bestimmte Anzahl von Jahren, mit dem sie wirklich rechnen kann.
Es ist dann noch weiter auf die Behandlung der Militärvorlage in der Militärkommission Bezug genommen worden und auf meinen sehr verehrten Herrn Amtsvorgänger Bezug genommen. Aber stets, wenn auf die Erklärungen meines Herrn Amtsvorgängers exemplifiziert wird, wird zu meiner Ueberraschung eine Thatsache außer Augen ge— lassen: daß er bei der Vertretung der Militärvorlage ausdrücklich ausging von einer Mehrbewilligung von Steuern in Höhe von 583 Millionen, die aus der Bier⸗, aus der Branntwein⸗ und aus der Börsensteuer beschafft werden sollten. Und was haben wir denn bisher bekommen? Wir haben auf die Militärvorlage, die 57 Millionen erfordert, eine nominelle Mehreinnahme von 24 Millionen bekommen, und davon haben wir bis jetzt erst 16 bis 17 Millionen; es fehlen also noch 40 Millionen an dem, was selbst damals in der Militärkommission gefordert ist; und darüber war doch seinerzeit meines Erachtens im Reichstage ziemliche Uebereinstimmung, daß die Mehr⸗ belastung des Reichs⸗Etats, die in der Militärreform lag, auch wirk⸗ lich durch neue Steuern gedeckt werden sollte.
Es ist ferner gesagt von dem Herrn Abg. Richter, die finanziellen Schätzungen des Reichs⸗Schatzsekretärs wären in allen Punkten widerlegt. Meine Herren, ich bitte doch, sich zu erinnern: in welchen Punkten sind denn die Schätzungen des Schatzsekretärs in der vorigen Tagung des Reichstags widerlegt? Es sind bei drei Einnahmeposten die Einnahmen vom Reichstag erhöht worden: erstens bei der Post, zweitens bei den Reichs⸗Eisenbahnen. Auf diesem Gebiete ist der Schatzfekretär selbstverständlich an die Schätzungen der Chefs der betreffenden Ressorts gebunden und muß diesen Schätzungen absoluten Glauben schenken, und wenn diese Schätzungen zurückbleiben sollten hinter dem wirklichen rechnungs⸗ mäßigen Ertrage, so wäre das, glaube ich, bei einer Betriebsver⸗— waltung sehr einfach; denn so lange bei einer Betriebsverwaltung nicht der vollkommene Abschluß vorliegt, auch über die Ausgaben, ist es außerordentlich schwer, ein abschließendes Urtheil über den Rein⸗ ertrag abzugeben.
Ferner ist die Einnahme bei der Zuckersteuer um 5. Millionen erhöht worden. Wenn sich aber die Herren aus der Budget— kommission gütigst dessen erinnern wollen, habe ich damals aus—⸗ drücklich erklärt: es liegt mir fern, zu bestreiten, daß ein solcher Betrag eingehen kann; ich glaube aber, die Vorsicht gebietet, die Schätzungen der Etats Einnahmen so anzunehmen, daß unter allen Umständen ein Ausfall vermieden wird. Wenn man daraus, daß die rechnungsmäßigen Ergebnisse höher sind als die Ergebnisse der Etats— Schätzung, eine falsche Schätzung deduzieren will — ja, so haben wir uns seit dem Jahre 1879 elfmal verschätzt; denn elfmal ist in den Etat des nächstfolgenden Etats ein Ueberschuß eingestellt worden, und der Ueberschuß stellt doch nichts Anderes dar, als ein günstigeres Resultat der Jahreswirthschaft gegenüber der Schätzung.
Es werden in der Presse und sind auch hier im Hause Rechnungen gemacht worden, die denn doch mit den Thatsachen voll— kommen in Widerspruch stehen. Von der einen Seite rechnet man einfach so: Der Reichs⸗Schatzsekretär hat im April dieses Jahres aus— geführt, es wäre ein Defizit von 18 Millionen, wir müßten also 18 Millionen neue Steuern haben; 10 Millionen ist der Ueberschuß größer gewesen, als er ihn damals geschätzt hat, also fehlen noch 8 Millionen, und es ist eine Kleinigkeit, diese 8 Millionen durch eine Erhöhung der Einnahmen und Verringerung der Ausgaben zu be— schaffen.
Zunächst enthält diese Deduktion einen argen Rechenfehler. Wie ich damals diese Schätzung machte, ging ich zunächst von dem gesetzlich erwarteten Betrage der Börsensteuer aus, 24 Millionen, führte aber gleich aus, ich hoffte im ersten Jahre auf keinen höheren Betrag als
15 Millionen. Wir haben jetzt etwa 16 bis 17 Millionen, ez fehlen also noch? Millionen mindestens an dem Ertrage der Börsen. steuer. Addiere ich diese zu den 18 Millionen, die ich damals alz fehlend nachgewiesen, habe, hinzu, so kommt man schon auf ein Defizit von 25 Millionen. Ferner lehrt aber die Erfahrung, daß jshrlich die Ausgaben um 40so steigen; das giebt bei einem Etat von 830 Millionen, wie er jetzt vorliegt, oder von 800 Millionen im vorigen Jahre, in den Ausgaben eine Steigerung von 32 Millionen, es würde sich also selbst unter diesem Gesichtspunkt darum handeln, mehr Einnahmen zu schaffen und Mehrausgaben zu decken in Höhe von 32 plus 26 Millionen.
Der Herr Abg. Richter hat anders deduziert; wenn ich ihm habe vollkommen folgen können, so sagte er: wir haben damals 100 Millionen verlangt, darunter waren 40 Millionen Ueberweisungen; die sind unter den Tisch gefallen, bleiben 60 Millionen; 22 Millionen ist gegenüber der damaligen Forderung der Etat verbessert, bleiben 38 Millionen, und diese 38 Millionen sind ja längst gedeckt durch den Mehrertrag an Stempelsteuern und durch die Mehreinnahmen. Ja, auch bei dieser Berechnung zieht der Herr Abg. Richter nicht in Erwägung, daß eine jährliche Steigerung der Ausgaben eintritt, und daß, wie ich gestern nachgewiesen zu haben glaube, die Proportion der Steigerung der Ausgaben eine größere ist als die der Steigerung der Einnahmen.
Meine Herren, es bleibt die einfache Thatsache bestehen: die Militärvorlage hat 57 Millionen gerostet, durch die Zölle ist ein Ausfall von 30 oder 40 Millionen entstanden, wir haben also eine Mehrbelastung der Bundesstaaten zwischen 90 und 100 Millionen; davon haben Sie uns 25 Millionen bewilligt, 75 Millionen vacant, und die lasten jetzt auf den Bundesstaaten. Es liegt uns vollkommen fern — was ich dem Herrn Abg. Dr. Bachem bemerken möchte —, die clausula Franckenstein in ihrer budgetrechtlichen und finanz— politischen Bedeutung irgendwie abschwächen zu wollen; ich glaube aber, dieselbe hatte doch auch eine wesentlich finanzielle Bedeu— tung: die finanzielle Bedeutung, daß den Bundesstaaten Ueberschüsse oder, wenn man sich auf ein knapperes Gebiet begeben will, wenigstens so viel zuflösse, wie sie an das Reich an Matrikular⸗ beiträgen zu zahlen hätten. Und wenn wir dahin wirken wollen, daß die Mehrbelastung der Bundesstaaten durch die Militärvorlage und durch die Zollausfälle ihnen wenigstens theilweise bis zur Bilanzierung der Matrikularbeiträge erstattet werde, so glaube ich, handeln die ver—⸗ bündeten Regierungen im Geiste der elausulaFrancken⸗— stein. Der Herr Abg. Richter hat ja selbst zugestanden, daß er prinzipiell auch diesem Gedanken einer Balanzierung der Matrikularbeiträge und der Ueberweisungen nicht abgeneigt sei. Ich freue mich dieses Zu— geständnisses; aber ich glaube, er wird das nicht erreichen, wenn nicht eine feste gesetzliche Grundlage dafür geschaffen wird, und die können Sie nur schaffen durch die Finanzreform. (Bravo! rechts.)
Abg. Freiherr von Manteuffel (dkons. ): Der Abg. Rickert meinte, seit dem Ministerium Lippe sei kein solcher Eingriff in die Rechte des Reichstags vorgekommen, wie das beabsichtigte Verfahren gegen den Abg. Liebknecht. Seit dem Bestehen des Reichstags sind aber auch solche Vorgänge nicht vorgekommen, wie hier am 6. De— zember. Der Abg. Rickert mißbilligt die Tabacksteuer, obgleich er die Vorlage noch gar nicht kennt. Daß die Handelsverträge die Land⸗ wirthschaft geschädigt haben, ist selbstverständlich; unter dem Fürsten Bismarck ist aber von solchen Verträgen keine Rede gewesen. (Zuruf des Abg. Rickert: Sie haben ja selbst dafür gestimmt!) Das habe ich Ihnen schon viermal auseinandergesetzt; zum fünften Mal es zu thun, ist doch wirklich überflüssig! Durch die Handelsverträge ist die Land⸗ wirthschaft geknebelt. Der Abg. Richter hat aus einem Artikel der „Kölnischen Zeitung“ allerhand herausgefunden, sogar den Vorwurf des Staatsstreichs. Es ist doch seltsam, daß einer der ersten Redner des Reichstags aus dem Artikel einer Zeitung solche Vorwürfe gegen die preußische Regierung und den Minister⸗-Präsidenten herleitet. Die Handelsverträge sind auf Kosten der Landwirthschaft geschlossen, welche auch durch die Invalidenversicherung besonders belastet wird (Zuruf: Die Industrie auch!, aber die Landwirthschaft ist immer mehr belastet. Durch die schlechte Lage der Landwirthe wird der Reichsgedanke zerstört, weil die Landwirthe ihre Nothlage auf die Maßnahmen der Reichsregierung zurückführen. Der Niedergang der Preise der Naturalverpflegung im Militär⸗Etat ist eine tieftraurige Thatsache und gleichsam der Typus für unsere ganze Lage. Die offiziöse Presse, wozu ich die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung', die „Kölnische Zeitung“ und die große Schar der liberalen Blätter rechne, hat uns den Vorwurf gewerbsmäßiger Opposition ge— macht. Unsere Opposition war keine gewerbsmäßige und keine persönliche. Wir haben lediglich eine sachliche Opposition ge— macht gegen Maßregeln, die wir als heilsam nicht an— erkennen konnten. Demselben Kanzler, dem wir Opposition gemacht haben, haben wir die Militärvorlage bewilligt, trotz unserer lebhaften Bedenken wegen der zweijährigen Dienstzeit, die wir deshalb nur auf zwei Jahre bewilligt haben. Sind die konservativen Parteien der Einzellandtage nicht die besten Stützen der Re— gierungen? Ihrer Natur nach sind die Konservativen regierungsfreund— lich; alle großen Gesetze in Preußen sind mit Hilfe der Konservativen zu stande gekommen. Daß die Bahnen der früheren Wirthschafts— politik verlassen worden sind, hat die Nothlage der Landwirthschaft herbeigeführt. Freilich eine lediglich gouvernementale Partei kann niemals eine gute Stütze der Regierung sein; auf diesem Standpunkte muß die konservative Partei stehen bleiben. Die gestrigen Aus— führungen des Reichskanzlers und die heutigen des Reichk—⸗ Schatzsekretärs haben uns auf das wohlthuendste berührt. Ich bin erfreut, daß wir mit der Regierung zusammengehen können, und hoffe, daß es zum Wohle des Vaterlandes geschehen wird. Wir erwarten zunächst die Vorschläge der verbündeten Regierungen in Bezug auf die Heilmittel für die Landwirthschaft. Sollten uns diese aber nicht als genügend erscheinen, so werden wir mit Gegenvorschlägen kommen, die wir für unerfüllbar nicht halten. Diese Gegenvorschläge beziehen sich nicht bloß auf den Antrag deß Abg Grafen Kanitz, sondern auch auf die Währungsfrage. Bezʒiiglich der Börsenvorlage habe ich nur die Hoffnung auszusprechen, daß sie möglichst bald gemacht werde. Die Börse selbst wird schließlich mit einem Börsenorganisationsgesetz zufrieden sein. Das Börfensteuergeseh sollte die ganze Börse vernichten und jetzt zeigt sich, daß der Börsen, verkehr schließlich noch gestiegen und nicht geschädigt ist. Wem die Börsenorganifation dem Börsenspiel entgegentritt, dann wird der Werth der Börse für die Produktion erhöht werden. Für die Land, wirthschaft fordern wir eine Aenderung des Spiritusgesetzes; die Kontingente der großen gewerblichen Brennereien müssen beschränkt und der Ueberschuß auf die kleinen und mittleren Brennereien ber theilt werden. Wenn der Zuckerindustrie vorgeworfen wink, daß sie zur übermäßigen Rübenproduktion anreize, so der gißt man, daß die schlechten Getreidepreise dazu zwingt Rüben auf einem Boden anzubauen, der dafür etgentli nicht geeignet ist. Ferner muß die Landwirthschaft Schutz vor der Einfuhr fremden Viches verlangen, um die Seuchengefahr zu ber— mindern; die Einfuhr von Zuchtvieh soll nicht verhindert werden. Bezüglich des Verluftes der Staffeltarife muß ich bemerken, daß r jetzgwe Zustand, wonach alle noch bothandenen Staffeltarife in Perl enden, der allerungefundeste ist. Die ftädtischen Behörden von Berlin haben erklärt, daß der Arbeitsnachweis nur den Berlinern dienen . nicht den Zuziehenden. Das ist eine verschämte Umgehung des . zügigkeitsgesetzes. Einen ähnlichen Vorschlag hat man immer als Ve
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ngsbruch ausgelegt. Bezüglich der Umsturzvorlage sind wir gern ⸗ aft h mit, der een, zusammen den Bestrebungen der Umsturzparteien entgegenzutreten. Aber wir sind der Meinung, die Kräftigung des produzierenden Mittelstandes die ,, ,. sein wird, um den Umsturzparteien ihre Anhänger ia entziehen. Daß dabei die religiöse Erziehung der Jugend die uptrolle spielt, ist selbstverständlich. Deshalb bedauern wir leb— aft die Zurückziehung des Volkeschulgesetzes. Wenn der kleine Bruchtheil des Verbrauchs des gesammten Heeres, der nur 1,4 o der Brotfrucht und höso des Haferkonsums beträgt, eine Preisdifferenz von 154 Millionen Mark ergiebt, wie groß muß dann der Verlust für die ge⸗ ammte deutsche Volkswirthschaft infolge der Preiserniedrigung sein! ö empfiehlt die Verwendung einer größeren Anzahl von Offizieren in der Intendantur und eine Aenderung der Bestimmungen über die Flurschaden⸗Negulierung; die Zuschauer ruinieren oft mehr als die Truppen, aber für die Beschädigungen seitens der Zuschauer wird keine Entschädigung gewährt. Die nöthige Zahl von Schießplätzen für die Armee muß nenn n, werden, denn die Störung der TLandwirth— schaft durch die Schießübungen ist viel nachtheiliger und kostet mehr als die Zinsen der Anlagekapitalien solcher Schießplätze. Spar⸗ samkeit bei Dienstgebäuden und namentlich bei den Postbauten können wir auch nur dringend empfehlen. Namentlich müssen wir immer prüfen, ob die Dienstwohnung mit der sozialen Stellung der betreffenden Beamten übereinstimmt. Bei der Marineverwaltung können einige Reduktionen gemacht werden. Aber zur Vertheidi⸗ ung und Befestigung der Küsten und zum Schutze des deutschen andels und des deutschen Eigenthums muß unsere Marine ausreichen, und in der Ostsee mindestens muß die deutsche Marine eine gewisse Suprematie ausüben oder, wenn sie sie ver— loren hat, wieder zu erwerben suchen. Bezüglich der Kolonial⸗ politik bedauern auch wir auf das tiefste, daß deutsche Kolonialbeamten mit einem schlechten Beispiel vorangegangen sind und der Ausbreitung des Christenthums eine erhebliche Schädigung bereitet haben. Nur solche Beamte sollten nach den Kolonien geschickt werden, von denen man einen musterhaften und christlichen Lebenswandel erwarten kann. Die Schwankungen zwischen Matrikularbeiträgen und Ueberweisungen sind unerträglich. Wir steuern wieder in den Zustand hinein, daß das Reich ein lästiger Kostgänger der Einzelstaaten wird; das muß ver⸗ mieden werden, weil dadurch die Anhänglichkeit der Einzelstaaten zum Reich erschüttert werden würde. Wir wollen die Einigkeit zwischen den Einzelstaaten stärken, dadurch wird die wahre Macht Deutsch⸗ lands gestärkt, die jetzt weit nothwendiger ist als je. Abg. Liebknecht (Soz.): Der Vorredner irrt sich, wenn er den Vorfall vom 6. Dezember als früher noch nicht vorgekommen be— zeichnet. Es ist schon früher vorgekommen, daß Genossen von mir sitzen geblieben sind. Aber noch nicht dagewesen ist ein Verhalten, wie es seitens eines Theils des Hauses geübt worden ist. Wer Augen hat zu sehen, der wüßte, daß meine Parteigenossen nicht prämeditiert gehandelt haben; sie waren nur zum geringen Theil erschienen; es war ein Zufall, daß sie anwesend waren. Ich würde es keinem wirklich monarchisch denkenden Manne verargen, wenn er bei einem Hoch auf die Republik sitzen bliebe. Ueber den Umsturz in den oberen Regionen haben wir in der Thronrede kein Wort gehört; auch der Staatssekretär Dr. von Boetticher hat keine Aufklärung gegeben. Die Theorien der Thron⸗ rede kommen mit den Thatsachen in Widerspruch; sie spricht von dem Schutze der Schwachen. von der ausgleichenden Gerechtigkeit, und dabei kündigt sie die Tabacksteuer an, welche die schwächsten Klassen belastet, und das Umstärzgesetz, welches die untersten Volks⸗ klassen mundtodt machen soll. Wenn das nicht Heuchelei ist . . . Große Unruhe. Präsident v. Levetzow ruft den Redner wegen dieser Bezeichnung einer Allerhöchsten Aeußerung zur Ordnung. Beifall), wenn das kein Widerspruch ist, dann giebt es überhaupt keinen Wider⸗ spruch. Ist der ganze Kapitalismus, die Ausbeutung der nicht be⸗ sitzenden Klassen christlich? Ob der Staat christlich oder jüdisch ist, ist gleich, er ist in erster Linie kapitalistisch. Und dieser innere Widerspruch, diese Unfreiheit ist das Charakteristische unserer Verhältnisse. Man sucht solche Vorkommnisse, wie die Attentate von Sand, oder später des christlichsozialen und des nationalliberalen (Widerspruch bei den Nationalliberalen) Attentäters von 1878 immer zu fruktifizieren. Fürst Bismarck hat das selbst zugestanden. Er war nämlich in einer der schwersten Lagen und benutzte als Vivisektionsobjekt die Sozialdemo⸗ kratie, die er früher zu gewinnen gesucht hatte; er wollte mich zum Redakteur des Reichs⸗Anzeigers“ und der Norddeutschen“ machen. (Hört, hört!) Die Vorführung des rothen Gesrenstes hat 1878 ver— wirrend auf das Volk gewirkt; Fürst Bismarck bekam eine Majorität und das Sozialistengesetz und die Wirthschaftspolitik, welche den Großgrundbesitzern Milliarden eingebracht hat. Die jetzigen Etats⸗ verhältnisse sind derartig, daß von neuen Steuern keine Rede sein kann. Aber man verlangt größere, riesige Mehrausgaben für das Heer und die Marine, besonders aber für die Kolonialpolitik. Unsere ganze Po⸗ litik bewegt sich in Widersprüchen. Die Februarerlasse erkannten ver⸗ schiedene Forderungen auf Arbeiterschutz, auch die Gleichberechtigung der Arbeiter an; aber die Gesetzgebung hat die Arbeiter schlechter gestellt als früher und man sucht das Koalitionsrecht der Arbeiter, ohne welches aller Arbeiterschutz wirkungslos bleibt, zu beschränken. In den Bergwerken, welche Musteranstalten werden sollten, werden die Arbeiter am schlimmsten gemaßregelt. Durch Ausnahmemaß⸗ regeln wird die Unzufriedenheit nicht vermindert, sondern nur der Ausdruck derselben verhindert. Und weshalb sollen solche Maßregeln geschaffen werden? Ausschreitungen sind nicht vorgekommen, mit Ausnahme eines kleinen antisemitischen Krawalls in Baden. In Frankreich mit seinen Ausnahmegesetzen sind allerlei Verbrechen vorgekommen, in Deutschland nicht. Aber man sagte, die deutschen Sozialdemokraten sind dieselben Leute, welche in Frankreich bei solchen Verbrechen betheiligt sind. Solche Ausführungen wären zu bedauern, wenn sie ernsthaft gemeint wären. Wenn eine Gesellschaft besonderer Rettungsmaßregeln bedarf, dann ist sie nicht werth, gerettet zu werden. Meine Rede über die Ermordung des Präsidenten Carnot wurde als Grund für die Umsturzvorlage angeführt. Was über meine Rede damals verbreitet wurde, war die reine Lüge, eine absichtliche Mache. Ich habe den Mord wie immer verdammt und auch ausgeführt, daß alle solche Mordanschläge immer von Personen ausgeführt worden sind, welche im Solde der Polizei gestanden. Redner verweist auf die Memoiren des Präfekten Andrieur. Die beiden anarchistischen Verbrecher in Frankreich Henri und Vaillant haben sich nachträglich als Menschen mit nicht normalem Gehirn erwiesen. Deshalb ist es kein Wunder, daß solche herostratischen Gedanken bei ihnen entstehen konnten. Die Repressionsgesetze sind als wirkungslos vorübergegangen, und die taatsmänner, welche sie benutzt haben, sind zu Grunde gegangen, weil sie die soziale — nicht verstanden haben. Die Umsturzvorlage soll nicht bloß die Sozialdemokratie, sondern überhaupt alle Arbeiter ihrer Rechte berauben; das zeigt das Auftreten des Blattes der Kohlen. Barone gegen den christlich-sozialen Bergarbeiterverein. Der Abg. Freiherr von Stumm hat stets die Erneuerung des Sozialistengesetzes befürwortet; ja, man spricht davon, daß die Regierung der Industrie zum Dank für die Handelsverträge eine solche Vorlage versprochen habe. Wenigstens ist daz von der Münchener „Allgemeinen Zeitung“ verbreitet worden. Wenn es eine Partei giebt, die prinzipiell der Gewaltthat entgegensteht, so ist es die Sozialdemokratie (Heiterkeit); alle anderen Parteien stehen mehr oder weniger auf dem Boden des Anarchismus (Lachen), denn sie sind die Vertreter des Kampfes aller gegen alle. Der Kapitalismus ist die Ursache der Krankheit, und wer die Krankheit eseitigen will, muß den Kapitalismus träftig angreifen. In diesem Etat tritt der Geist des Militarismus ebenso hervor, wie in früheren Etats. Wir haben diesen Geist auch gesehen bei der Einweihung dieses Gebäudes. Die Tafel, auf welcher stehen sollte Dem deutschen Volke„, ist immer noch unbeschrieben. Die auptursache des Anwachsens der Reichkausgaben ist die stetige ermehrung der Militärmacht. Redner kommt bei einem ergleich der Ausgaben Frankreichs und Deutschlands für das Nilltar zu dem Ergebniß, daß seit 1887 in Deutschland dafür 34 Millionen Franes mehr ausgegeben seien als in Frankreich. Daraus gehe herbor, daß die Behauptung, man müsse Frankreich nach⸗
folgen, die allein auf die Wähler gewirkt habe, eine Mythe sei. Die Sozialdemokraten sind der Meinung, daß neue Steuern, außer der progressiven Einkommensteuer, nicht mehr möglich sind. In Bezug auf die Kolonialpolitik hat das Urtheil über den einen Leist, der im Reichsdienst belassen wurde, unserm Ansehen mehr geschadet, als hundert Siege wieder gut machen können. Wenn wir unsere Kolonien ohne Schaden los werden könnten, so würde das Reich dabei das beste Geschäft machen. Woher kommt es, daß die Re— publik Frankreich sich beugt vor dem russischen Despotismus, welcher alle Völker knechtet und die Juden und nicht orthodoxen Christen verfolgt? Das liegt daran, daß Deutschland und 1 sich nicht verständigen können wegen der vor 24 Jahren erfolgten Annexion Elsaß-Lothringenß. Rußland und England werden in. den. Hintergrund geschoben und die große amerika—⸗ nische Republik tritt als Schiedsrichterin auf in Ost ⸗Asien. Was alle europäischen Mächte nicht erreichen konnten, nämlich die Erschließung Chinas für den Verkehr, das wird jetzt von einer asiatischen Nation erreicht. (Präsident v. Levetzow fordert den Redner auf, zum deutschen Etat zu kommen). Die soziale Frage muß im Lande gelöst werden, und wer sie lösen will, der . en den Kapi⸗ talismus vorgehen. Der Mittelstand, die nationale Arbeit in Land⸗ wirthschaft und Industrie wird aber zerstört durch die Maßregeln, welche man zum Schutz der Landwirthschaft durchführen möchte. Auch wenn die Diktatur geschaffen und der Staatsstreich von oben ge—⸗ macht wird — die soziale Frage wird nicht aus der Welt geschafft werden. Daß die Sozialdemokratie sich selbst zerfleischt, ist nicht richtig; die Sozialdemokratie ist auf der Grundlage der Wissenschaft begründet und die Streitigkeiten führen alle zur Einigung der Partei; jede Hoffnung auf Spaltungen ist nutzlos. Der internationale So⸗ zialismus wird Herr werden über den internationalen Anarchismus, den von oben und den von unten! Darauf wird die Dehatte vertagt. Persönlich bemerkt Abg. Freiherr v. Stumm (Rp.): Ich habe in einem mir nahestehenden Blatte die von der Münchener „All⸗ gemeinen Zeitung“ gebrachte Erzählung über die Entstehung der Um⸗ sturzvorlage für eine schamlose Verleumdung erklären lassen, und trotzdem hat der größte Theil der deutschen Presse es nicht für nöthig befunden, meine Berichtigung aufzunehmen. Vielleicht nimmt sie jetzt Veranlassung, diese Unterlassungssünde wieder gut zu machen. Ich für meinen Theil hätte überhaupt ein ganz anderes Gesetz ge—⸗ macht. Was den von dem Abg. Liebknecht zitierten Artikel gegen den christlich⸗sozialen Bergarbeiter⸗Verein betrifft, so ist er nicht von mir veranlaßt worden; ich habe ihn sogar ausdrücklich mißbilligt. Schluß 5 Uhr.
Literatur.
Rechts- und Staatswissenschaft.
Kr. Gesetz zum J der Waarenbezeichnungen und gegen unlauteren Wettbewerb. Vortrag, gehalten in der Juristischen Gesellschaft in Berlin und im Berliner Anwaltverein von Rechtsanwalt Dr. Edwin Katz. Berlin 1894. Siemenroth u. Worms (8W., Wilhelmstraße 139). 8. S. 31. S 0,89. — Dieser von den sachkundigen Zuhörern seiner Zeit mit Beifall auf— genommene Vortrag liegt kenn gedruckt vor. Der Verfasser stellt das neue Gesetz dem vom 30. November 1874 gegenüber, hebt dessen Vorzüge hervor, spricht sich aber gegen die , der Ein⸗ tragung aus, welches Bedenken sich im Verkehr erledigen wird. Zweifelhaft erscheint es, ob der Schutz der Waarenbezeichnung auch auf die Umhüllung“ ausgedehnt werden kann (S. 10). Mevis in seiner systematischen Darstellung des Gesetzes verneint es und ver— weist die eigenthümlich geformten Flaschen u. dgl. in das Gebiet der Gebrauchsmuster (S. 48). Besonders beachtenswerth ist, wie der Verfasser gegen den unlauteren Wettbewerb eintritt, wofür er am Schluß eine Gesetzesfaßsung vorschlägt.
— Kommentar zum Allgemeinen deutschen Handels— gesetzbuch von Dr. Hermann Staub, Rechtsanwalt in Berlin. 3. durchgearbeitete Auflage. Berlin 1895, J. J. Heine's Verlag. — Das Vorwort zur 1. Auflage datiert vom 1. Januar 1893, das zur 2. Auflage vom 15. Februar 1394; wenn seitdem schon wieder eine neue Auflage erforderlich wurde, so bedeutet dies einen für ein rechts—⸗ wissenschaftliches Werk seltenen Erfolg. Letzterer gründet sich ganz besonders darauf, daß der Verfasser nach Inhalt und Darstellung dem Juristen und dem Kaufmann zu genügen wußte. Eine erfreuliche Erweiterung der neuen Auflage besteht in der Berücksichtigung der Rechtsprechung des Obersten österreichischen Gerichtshofes. Der e . ausgegebenen Lieferung 1 (Bogen 1 bis 6, Preis 1,50 „e) sollen in rascher Folge die übrigen Lieferungen sich anreihen und so daz Werk zum baldigen Abschluß bringen.
— Die Auf- und Abnahme von Testamenten im Geltungsbereich des Allgemeinen Landrechts für die preußischen Staaten, unter Berücksichtigung der Vormundschaftsordnung. Mit Formularen zu Testamenten. Von O. Haentschel, Kammergerichts-Rath. 3. Aufl. Breslau, 1894. J. U. Kern's Verlag (Max Müller). 8. 132 S. Pr. geb. 2,5 M — Die vorliegende dritte Auflage dieses empfehlenswerthen kleinen Handbuchs ist imolge Behinderung des Ver⸗ fassers von einem nicht genannten Amtsgerichts⸗Rath bearbeitet, der dabei auch das Märkische Provinzialrecht berücksichtigt hat. Bemerkt sei, daß das Wort sein“' auf S. 2 Z. 2 geändert werden muß, weil es auf den Richter verweist, was doch nicht beabsichtigt ist.
Theologie.
Die Erkenntniß des Heils. Predigten gläubiger Zeugen der Gegenwart über die altkirchlichen Episteln. Herausgegeben von D. Emil Quandt, Erstem Direktor des Königlichen Prediger⸗ Seminars, Superintendenten und Oberpfgrrer in Wittenberg. Leipzig, 1894, Fr. Richter. Lieferung 11—18 (Schluß). Prels der Lieferung 40 , des ganzen Bandes, eleg. geb., 8 M 50 3. — Mit vorliegenden Lieferungen ist der zweite Band der „Sonn und Festtagspredigten hervorragender Zeugen des Evangeliums in der Gegenwart“, welche der Direktor des Wittenberger Prediger⸗Seminars herausgiebt, voll⸗ ständig geworden. Die heutige evangelische Predigt Deutschlands ist in diesem Buch nach jeder Seite hin auf das würdigste repräsentiert. Die shwierigen Cpisteltexte sind alle durchweg eindringend, praktisch, warm und sinnig behandelt, sodaß man diese Epistelpredigten den Geistlichen warm empfehlen kann: den jungen zum Vorbild, den älteren zur Erfrischung, der Gemeinde zur Erbauung auf dem Grunde des
Glaubens. Dich tun st.
Schicksal“' („ Fatalitâ-'). Gedichte von Ada Negri. Ins Deutsche übertragen von Hedwig Jahn. Berlin, 1894. Verlag von Alexander Duncker, Königlicher Hof ⸗ Buchhändler. — Ada Negri ist eine junge italienische Dichterin von zweifellos großer Begabung und Formgewandtheit. Ihre in dieser Sammlung unter dem Gesammttitel „Schicksal! vereinigten Gedichte werden alle von einem schwermuthsvollen Stimmungscharakter getragen und beherrscht, der sie etwas eintönig erscheinen läßt. Der Lebenslauf der Dichterin, die offenbar aus ärmlichen Ver— hältnissen, hervorgegangen ist, mag die Ursache sein, daß sie in ihren Dichtungen mit innigem Mitgefühl der Mühseligen und Beladenen, der Armen und Elenden mit Vorliebe gedenkt; aber zu bedauern ist, daß die Lebensbilder doch oft zu düster gemalt sind und daß nicht selten eine einseitige Leidenschaft die Feder geführt zu haben scheint. Sehr schön sind einige an die lebendige Natur stimmungsvoll anknüpfende Gedichte und einige andere, in denen die entsagende Liebe den Grundgedanken bildet. Fast überall tritt aber das nicht immer reife subjektire Gefühls, und Empfindungsleben der Dichterin in den Vordergrund. Die Uebersetzerin hat ihre Aufgabe, soweit dies ohne Kenntniß des Originals zu beurtheilen ist, wohl mit Geschick und liebevoller Sorgfalt gelöst. Die Verse sind auch in deutscher Sprache zumeist glatt und klangvoll und schmiegen sich in der Form möglichst den dargestellten Stimmungsbildern an. — Das Büchlein ist geschmackvoll ausgestattet und wird bei Freunden ernster Poesie gewiß Anklang finden. ö
Länderkunde.
Den Freunden der geographischen Wissenschaft widmet die Ver⸗ lagshandlung des Bibliegraphischen Instituts in Leipzig und Wien eine besonders schöne und werthvolle Weihnachts gabe. Das Werk
hrt den Titel: ‚Eurgpa, eine ,, Landeskunde, von Dr.
Philipp son und, Professor Dr. S. Neu mann, herausgegeben von Professor Dr. Wilhelm Sievers (Preis: in Halbleder ge⸗ bunden 16 ). Das Buch bildet den vierten selbständigen Theil des von dem genannten Verlag herausgegebenen großen geographischen Sammelwerks: „Allgemeine Länderkunde“. Zum ersten 36 ist in diesem weit angelegten Unternehmen der Versuch einer Zusammen-⸗ fassung unserer heutigen gesammten Kenntniß von der Erd- beschreibung in einheitlicher, übersichtlicher Form, gemein- verständlicher Darstellung und bildlicher Anschauung unternommen und praktisch gelöst. Von den acht Abschnitten des vorliegenden Bandes verdienen Hervorhebung: der zweite, in welchem die Gletscher, die Hoch- alpen, der Karst und die Oberflächengestalt des russischen Reichs ge⸗ schildert sind, und der dritte mit einer eingehenden Darlegung der klima⸗ tischen Verhältnisse Europas. Interessant ist auch der fünfte Abschnitt, welcher in Wort und Bild die mannigfaltige Bevölkerung Europas dem Leser vorführt. Die großen Stagkenbildungen und . wirth⸗ schaftliche , . behandelt der sechste Abschnitt, unter anderm mit werthvollen Beiträgen zu den sozialen. Verhältnissen der Türkei, Bulgariens und Italiens. Dieser Abschnitt unterrichtet auch über die Volksdichtigkeit Frankreichs sowie über Deutschlands Bedeutung in wirthschaftlicher Beziehung. Das siebente Kapitel ist dem Verkehrswesen Europas gewipmet. Vie illu⸗ strative Ausstattung bietet eine Fülle von erläuterndem Anschauung⸗ material und ist musterhaft sorgfältig. Außer 166 Abbildungen im Text enthält daß Werk 14 Kartenbeilagen. Kleine Kunstwerke ver⸗ dienen die beigegebenen 8 Tafeln in Farbendruck genannt zu werden, namentlich die bildlichen Darstellungen des Ortler, des Vesuv und der Bai von Neapel sowie der deutschen Volkstrachten. Werthvoll ergänzt wird dieser bildnerische Schmuck des Werkes durch 20 Tafeln in Holzschnitt, aus denen die Tafeln „Felsenzirkus von Gavarnie“, „Engelsburg in Rom“, „Hafen von Marseille! wegen der Feinheit der Zeichnung und vortrefflichen Wiedergabe im Druck hervor⸗
gehoben seien. . Unterhaltung.
Im Verlag der Schlesischen Buchdruckerei, Kunst⸗ und Verlags ⸗Anstalt von S. Schottländer in Breslau erschienen folgende neue Romane und Novellen: ‚Die Gehilfin“, Berliner Roman in drei Büchern von Paul Lin dau. (Zwei Bände, Pr. geh. 6 , . 8 S) Dieses Werk vermehrt die Reihe von Lindau's Berliner Romanen um eine Schöpfung, die ihren Vorgängern in keiner Hin⸗
sicht nachsteht. — „Sonderlinge“, Novelle von Otto Roquette.
(Pr. geh. 4 M, geb. R M6) Der Verfasser besitzt die Kunst, merk⸗ würdige Menschenexemplare lebendig und plastisch hinzustellen, wie die fünf Erzählungen dieses Buchs beweisen, die den Sonderling von der ernsten, tragischen, wie von der komischen Seite anschaulich schildern. — „Ein Berliner auf Helgoland“ und andere Novellen von
riedrich Dernburg. (Pr. geh. 5 M6, geb. 6 ) In diesen Novellen sind die Leute von heute, insbesondere die Großstädter, in ihrer charakteristischen Erscheinung tren und lebendig dargestellt. — „ Medusa“, Novelle von E. Vely (Preis geh. 3 , geb. 4). Unter dem sonnigen Himmel Italiens, in den Kreisen der Künstler und der kunstsinnigen italienischen Aristokratie spielt dieser neueste Roman der beliebten Erzählerin, und mit südlicher Gluth schildert sie darin eine alle Schranken der Pflicht durchbrechende Leidenschaft. — „Frau Esther Bruce, Roman von Ola Hansson (Preis geh. 3 4, geb. 4 S6). In diesem Roman ist ein sehr gewagtes Thema mit ebenso viel künstlerischer Meisterschaft wie sittlichem Feingefühl be⸗ handelt. — -Scheinheilige der großen Welt“, Roman von. Wladimir Fürst Meschtschersky swei Bände, geh. 6 6, geb 8 6. Dieser Roman, welcher der religiösen Heuchelei in ihren ver⸗ schiedensten Abstufungen, von ihrer gröbsten und abstoßendsten Erschei⸗ nungsform bis zu jener feinsten, kaum mehr erkennbaren Art, wo sie in unbewußten Selbstbetrug übergeht, die Maske vom Gesicht reißt, zählt zu den besten Erzeugnissen des russischen Autors, dessen Werke in Deutschland nicht minder wie in seinem Vaterlande populär ge⸗ worden sind.
Die il lustrierten Oktap- Hefte der allbeliebten Familien⸗ zeitschrift Ueber Land und Meer“ (Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart) verbinden gleichermaßen Reichhaltigkeit mit Vielseitigkeit und Gediegenheit des Inhalts. Das beweist auch das fünfte, den ersten Band des Jahrgangs 1894/95 abschließende Heft (Preis des Hefts 1 6, des ganzen Bandes, eleg. geb. 7 416). Wir finden da die Fortsetzung des spannenden Romans „Geschieden! von Sophie Jung⸗
ans und den Beginn einer an die Kriegsereignisse des Jahres 1870 gemahnenden fesselnden Erzählung „Nach zwanzig Jahren“ von O. Elster, sowie eine ganze Reihe von anziehenden Aufsätzen aus den Gebieten des wissenschaftlichen, künstlerischen und gesellschaftlichen Lebens: so eine Erinnerung an Hans Sachs, den Nürnberger Schuhmacher und Poeten, . vierhundertjähriges Geburtsjubiläum kürzlich gefeiert wurde, ein Gedenkblatt an den großen deutschen Schauspieler Friedrich Ludwig Schröder, einen Bericht über die neuen Ausgrabungen in Pompeji, Luther-Erinnerungen aus Eisleben, ein erläuterndes Wort über die neue Behandlung der Diphtherie 2c.,, und zwar alles mit guten Illustrationen. Ebenso werden in Wort und Bild die Ereignisse der Zeitgeschichte vorgeführt und daneben eine ganze Reihe von kleineren Arbeiten, poetischen, humoristischen und hauswirthschaftlichen Beiträgen dargehoten. Besonders schön sind die Kunstbeilagen, von denen genannt seien: ‚Seifenblasen“ nach dem Gemälde von Lancerotto; „Sei wieder gut“ nach dem Gemälde von L. Schmutzler; ‚Bescherung“' nach dem Gemälde von C. Reichert; Villa d' Cste in Tivoli“ nach dem Gemälde von A. Wagner.
— Das 7. Heft von „Zur Guten Stunde (Berlin W., Deutsches Verlagshaus Bong u. Co.; Preis des vierzehntäglichen Heftes 40 ) bringt die Fortsetzung der Romane ‚Eva's Erziehung“ von F. v. Kapff-Essenther und „Polypenarme“ von Hans Richter, sowie folgende Artikel: ‚Kaiser Alexander III. von Rußland Fr, Die Deutsche Kaiserin und ihre jüngsten Kinder“, ‚Der Kaiser von Oesterreich und die jüngsten Habsburger“. „Vom Tegernsee zum Gardasee n,. „Besuch in einer Opiumhöhle *‘, „Auf Kompagnie Kammer“, „Die Residenz Alexander's 11I. in Lipvadia“, „Der neue deutsche Reichskanzler“ ꝛc. Die meisten davon sind mit Porträts bezw. anderen vorzüglich ausgeführten Illustrationen versehen. Die Kunstbeilagen in Farbendruck sind Meisterwerke in ihrer Art. Eine willkommene Zugabe ist die lieferungsweise gratis beigegebene . Illustrierte Klassiker ⸗ Bibliothek“, welche jetzt Chamisso's Werke bringt.
Verschiedenes.
Illustrierter Führer in die Berliner Theater und hervorragenden Etablissements für die Spielzeit 1894195, herausgegeben von Adolf Schwenke. Berlin 1894. Verlag von Borstell und Reimarus (Nicolai'sche Buchhandlung). Preis 3 „ — Als ein praktisches und willkommenes Handbüchlein dürfte sich für das Berliner Publikum und die Berlin besuchenden . dieser in geschmackvoller Ausstattung herausgegebene Führer in die Berliner Theater und hervorragenden Etablissements erweisen, der in knapper Schilderung, und doch alles Wissengwerthe berück= r, Aufschluß über die Eigenart und die Geschichte unserer Theater, Spezialitäten Bühnen, Konzert ⸗Etablissements, über Urania und Anguarium, die Panoramen 2c. giebt. Das etwa 150 Seiten starke Büchlein, das auch die Sommer- Ftablissements, die Bäder. und Villen⸗-Kolonien umfaßt, bat neben seinem unterrichtenden aber auch noch einen praktischen Zweck. Der Besitzer des Buchs erhält durch die zahlreich dem . ührer“ beigegebenen Kupons, finanzielle Vergünstigungen für den Besuch der Theater und e , , , Es soll dadurch besonders den Familien der Besuch der Theater ꝛc. er⸗= seichtert werden. Außerdem haben auch zahlreiche Geschäftsfirmen für die . des „Illustrierten Führers. Rabattvergünstigungen ge⸗ währt, fodaß der Erwerb des Buchs nicht nur aus ,,, son
dern auch aus praktischen Gründen zu empfehlen ist.