Verhältnisse im Ausland auf die Worte zurückgeführt, die ich gelegentlich des columbischen Handelsvertrags hier gesprochen habe. Da habe ich gesagt: wer in das Ausland geht, muß die Institutionen in dem Lande, wo er sich niederläßt, nehmen, wie sie sind, und er muß das Risiko tragen, das sich aus diesen Institutionen ergiebt. Das soll nun wie ein Lauffeuer durch ganz Zentral ⸗ und Süd⸗Amerika gegangen sein und den dortigen Deutschen Schaden gebracht haben. Ich erwidere dem Herrn Vorredner: der Satz ist schon seit 20, 30 Jahren juris publici: kein Geringerer als der Fürst Bismarck hat sich in ganz ähnlicher Weise im Jahre 1871 ausgesprochen, und ich halte es geradezu für eine Pflicht, gegenüber den übertriebenen Ansprüchen, die jetzt gestellt werden, das nochmals ganz genau festzustellen. Ich will es negativ fassen: es ist ein Irrthum, zu glauben, daß der Deutsche, der sich in das Ausland begiebt, dort jede beliebige Thä⸗ tigkeit unter dem vollen Schutz der heimischen Institutionen und Machtmittel entfalten könne; es ist ein Irrthum, zu glauben, daß der Deutsche, der in ein Land geht, wo eine schlechte Ver⸗ waltung und eine schlechte Justiz ist, von dem Deutschen Reich und seinen Vertretern verlangen könnte, daß man ihm dort für eine gute Verwaltung und für eine unparteiische und unbestechliche Justiz sorgt. Das sind unmögliche Dinge. Hier kann der Vertreter helfen, er kann rathen, kann in aller möglichen Weise dahin wirken, daß dem betreffenden Deutschen sein Recht wird. Er muß rekla⸗ mieren, sobald Justizverweigerung, Justizverzögerung, irgend ein rechtswidriger Eingriff, irgend ein Gewaltakt vorliegt. Es ist von jeher traditionelle deutsche Politik gewesen, sich in die inneren Angelegenheiten fremder Staaten nicht zu mischen, und im Gegensatz zu dem Herrn Vorredner sage ich, wir wollen keinen politischen Einfluß in jenen Ländern gewinnen, wir wollen uns von den Parteikämpfen freihalten, wir wollen, wenn dort die leider Gottes häufigen Bürgerkriege ausbrechen, volle Neutralität bewahren. Aber ich meine, wir können von den Deutschen in jenen Ländern auch verlangen, daß dieser unser Wille von ihnen respektiert wird, und wir können auch nicht indirekt unsere Neutralität dadurch antasten, daß wir die schützende Hand über diejenigen halten, die sich in die inneren Parteikämpfe mischen, die Gesetze ver⸗ letzen oder gar sich aktiv an Bürgerkriegen betheiligen, und ich erkläre hier ausdrücklich, daß der Deutsche, der das thut, einen rechtlichen Anspruch auf Schutz und Hilfe seitens der deutschen Vertretung für die Folgen seiner ungesetzlichen Handlungen nicht hat, wobei es dem Ermessen des Vertreters anheimgegeben ist, ob er aus Menschlichkeit etwas für den betreffenden Deutschen thun will.
Meine Herren, wir haben es ferner stets für unsere Pflicht ge⸗ halten, amtliche Reklamationen nur dann anzustellen, wenn wir den festen Boden des Völkerrechts oder des Vertragsrechts unter uns hatten, dann aber auch mit dem Nachdruck und der Entschiedenheit vorzugehen, welche dem Ansehen und der Würde des Deutschen Reichs entspricht. Denn Reklamationen anzustellen und sich dann von den fremden Regierungen nachweisen zu lassen, daß die Rekla⸗ mation thatsächlich unbegründet ist, scharf auftreten, mit dem Säbel klirren und schließlich kurz treten — das ist niemals deutsche Art ge⸗ wesen und soll es auch in Zukunft nicht sein. (Bravo!)
Aber freilich — und hier glaube ich, komme ich den An— schauungen des Herrn Vorredners näher — zwischen der amt lichen Reklamation bei der dortigen Regierung, die immer eine ernste Sache ist, und zwischen dem absoluten Nichtsthun ist eine breite Mittelstraße, auf der der Vertreter eine sehr fruchtbare und er⸗ sprießliche Thätigkeit zu Gunsten der Deutschen entwickeln kann. Ja, man kann so weit gehen, zu sagen, der Vertreter verdient das höchste Lob, der die größte Wirkung zu Gunsten der deutschen Inter— essen erzielt und dabei am wenigsten reklamiert. Diese Thätigkeit hängt wesentlich von der Persönlichkeit des Vertreters ab, von der Stellung die er sich in der Kolonie gemacht hat, von dem Vertrauen, das er bei der Kolonie und bei der Regierung erworben, und davon, in welchem Maße er es verstanden hat, bei der fremden Regierung die Ueberzeugung zu begründen, daß hinter ihm und seiner Thätigkeit die Macht und der Wille des Deutschen Reichs steht. Diese Thätig⸗ keit läßt sich allerdings von hier nicht reglementieren, und auch im einzelnen nicht kontrollieren. Ich sage das nicht, um von hier aus die Verantwortlichkeit auf den Beamten abzuschütteln; im Gegentheil, es kann einer ein guter und tüchtiger Beamter sein und doch nicht fähig für die Thätigkeit, die ich eben beschrieben habe, und eben darum ist die Verantwortlichkeit der Zentralstelle um so größer bei der Auswahl der Personen, und wenn in dieser Beziehung ein Mißgriff geschehen ist, so trifft die Verantwortlichkeit aus⸗ schließlich die Zentralstelle; wenn also bezüglich des Herrn Peyer das geschehen ist, so nehme ich dafür die Verantwortung auf mich.
Ich komme nun, nachdem ich hier in allgemeinen Zügen die Grundsätze dargelegt habe, welche bezüglich des Schutzes der Deutschen im Auslande gelten, auf einige der Spezialfälle, die von dem Herrn Vorredner erwähnt wurden. Es ist mir vollkommen unmöglich, auf alle die einzelnen Punkte einzugehen; es sind da verschiedene Dinge berührt worden aus Zeitungen, von denen ich keine Kenntniß habe. Ich meine, das größte Interesse besteht wohl hier im Hause an den Vorgängen in Salvador. Die kleine Republik Salvador an der Westküste von Amerika ist von jeher der Schauplatz von heftigen Parteikämpfen und wiederholten Bürgerkriegen gewesen. Wenn ich bei meinen Ausführungen gegen Deutsche im Auslande hier polemisieren muß, so schicke ich voraus, daß ich in keiner Weise die patriotische Gesinnung und Ehrenhaftigkeit oder die Wahrheitsliebe dieser Männer in Zweifel ziehe, am allerwenigsten bei Herrn Dr. Prowe, der mir von allen Seiten als ein durchaus ehrenwerther und wahrheitsliebender Mann geschildert wird. Ich hätte nur lebhaft gewünscht, daß er seinem Drange, die Welt zu verbessern, etwas größere Zügel ange⸗ legt und sich insbesondere jener Superlative der Verachtung enthalten hätte, mit denen er die Institution, die Machthaber und die Bevölke—⸗ rung des Landes bezeichnet, wo er seine neue Heimath sich begründet hat. All' den Berichten, die uns über die Vorgänge aus Salvador zugekommen sind, ist eines charakteristisch, das ist, daß die Herren mit außerordentlicher Behaglichkeit das schildern, was Herr Peyer nicht gethan hat, dagegen mit einer gewissen Oberflächlichkeit darüber binweggehen, wenn es sich darum handelt, darzulegen, was die Deutschen daselbst gethan haben. Da ist zunächst der Fall Mathies. Ich schicke voraus, daß das aller— wenigfte Material von Herrn Peyer herrührt, sondern von anderen, aber durchaus zuverlässigen Informationsquellen. Es war im Sommer 1890. Gzeta war zum Präsidenten von Salva dor gewählt worden, aber von Guatemala nicht anerkannt, und
nun standen die beiden Heere kriegsbereit gegenüber. In diesem Augenblick ging der deutsche Staatsbürger Mathies von Guatemala, durch die Vorposten frei passierend, herüber nach Salvador und wurde nun, wie uns der Herr Vorredner ganz richtig mitgetheilt, in Salvador gefangen, mißhandelt. Der deutsche Konsul Augspurg rettete ihn vor dem Tode; er wurde dann ausgewiesen und kam nach Guatemala zurück. Und was war der Grund dieses Vorgehens seitens der salvadoranischen Regierung? Der Herr Vorredner bat seine Lektüre aus der Prowe'schen Broschüre in dem Augenblick eingestellt, wo Herr Prowe, allerdings sehr obenhin, den Grund der Verhaftung des Herrn Mathies darlegt. Herr Prowe sagt, man habe damals ein besonderes Wesen daraus gemacht, daß Herr Mathies in seiner Tasche unter alten Zeitungspapieren auch einige Prokla⸗ mationen der Feinde GEzeta's vergessen hatte. (Heiterkeit) Auf Deutsch gesagt, der Deutsche Mathies hatte in seiner Tasche Proklamationen gegen den Präsidenten Ezeta und Briefe kom⸗ promittierenden Inhalts an politische Persönlichkeiten in Salvador. Ich bin weit entfernt, hier den Staatsanwalt spielen zu wollen und für die Schuld des Herrn Mathies zu plaidieren. Aber das muß ich doch sagen: wenn ein deutscher Staatsangehöriger in dem Augenblick, wo ein Krieg zwischen den beiden Ländern auszubrechen droht, wo die Truppen sich feindlich gegenüberstehen, von einem Land ins andere geht und dabei Anspruch auf den deutschen Schutz macht, so ist es doch seine Pflicht, vorher seine Taschen nachzusehen, ob in diesen Taschen keine feindseligen Proklamationen und keine kompromittierenden Pa—⸗ piere sind. Thut er das nicht und wird dann abgefaßt, so kann, eventuell muß der Konsul ja auch für ihn eintreten, wenn er miß— handelt und ungerecht behandelt wird; aber, meine Herren, eine amt⸗ liche Reklamation auf Entschädigung ist einfach unmöglich, und wenn Peyer diese ubgewiesen hat, so hat er meinem Dafürhalten nach nichts Unrechtes gethan.
Nun, meine Herren, kommt der Fall Prowe; der ist auch typisch für die Art und Weise, wie an sich richtige Thatsachen allmählich in eine Legende verwandelt werden. Der Herr Vorredner hat uns eben, gewiß optima fide, mitgetheilt, es ergebe sich aus den Schriften des Herrn Prowe, daß er ohne jeden Grund „mißhandelt, ins Gefängniß geworfen und dann ausgewiesen sei'. Und nun, meine Herren, die Thatsachen, wie sie wirklich liegen! Ich habe hier das Original des Briefs des Herrn Prowe vor mir, woraus sich ergiebt, daß, als im Jahre 1890 der unglückliche Ruhnke nach Salvador kam und dort in die Dienste des Präsidenten Ezeta eintreten wollte, Prowe ihn dazu bestimmte, er solle die Bedingung machen, daß die spanischen Instrukteure in der salvadoranischen Armee entlassen, be⸗ ziehungsweise nicht mehr angestellt würden, und ebenso ergiebt sich aus diesem Briefe, daß ein Jahr später, am 15. November 1891, der Prowe dem Ruhnke sein Entlassungsgesuch schrieb mit der Be⸗ gründung, daß dieses Versprechen bezüglich der spanischen Instrukteure nicht gehalten worden sei. Herr Prowe theilt uns nun mit, daß dieses Entlassungsgesuch bei dem Präsidenten Ezeta die höchste Wuth erregt habe und zwar gegen ihn, Prowe. Der Präsident wußte also, woher der Pfeil kam.
Nun frage ich: was geht denn eigentlich den Herrn Dr. med. Prowe aus Danzig die Frage an, ob die salvadoranische Armee von spanischen Instrukteuren instruiert wird oder von anderen? Eigent—⸗ lich geht ihn das gar nichts an. Aber die Folgen blieben nicht aus; er ist Abends im Wirthshaus, da kamen zwei Offiziere spanischer Herkunft, einer davon ist General — Prowe be— hauptet, er sei früher Bedienter oder Stiefelwichser gewesen; geht mich nichts an — und ruft Prowe heraus. Und nun giebt der General Pastor dem Prowe einen Schlag ins Gesicht, sagt: Ich fordere Sie. Prowe nimmt die Forderung an und die Offiziere, die begleitet sind von Polizisten und einer großen Menschenmenge, gehen weiter, nachdem sie vorher Drohungen ausgestoßen hatten, diese aber nicht ausgeführt hatten. Andern Morgens schickt Prowe dem General Pastor seine Zeugen und verlangt sein Ehrenwort, daß er sich unter allen Umständen mit ihm schlage, eventuell seine Entlassung nehme. Inzwischen hat der Präsident Ezeta von der Sache gehört und schickt nun Polizisten, um Prowe in seiner Wohnung zu bewachen. Darauf nun aber hat General Pastor wieder sein Ehrenwort gebrochen und dem Praͤsidenten Ezeta sein Wort gegeben, er würde sich nicht schlagen. (Heiterkeit) Nach 11 Stunden wird Prowe, der übrigens niemals ins Ge— fängniß geworfen war, sondern in seiner eigenen Wohnung von Polizisten bewacht wurde, freigelassen und begab sich nun, wie er selbst zugiebt, weil er die Rache des Präsidenten Ezeta fürchtete, zunächst nach einem benachbarten Orte und nach wenigen Tagen frei⸗ willig nach Guatemala.
Und nun, meine Herren, soll das Reich in der Sache helfen. Herr von Bergen schreibt einen Brief an den Minister des Aeußern, ftellt die Sache dar, verlangt Aufklärung, und der erwidert darauf: die Verhaftung war ganz berechtigt, denn in Salvador kann nach dortigen Gesetzen jede Behörde, wenn sie Grund hat zur Annahme, daß ein Vergehen begangen sein soll, dies thun. Und was die Mißhandlung durch General Pastor betrifft, so erklärt der Minister, eine gerichtliche Untersuchung würde stattgefunden haben, wenn Prowe nicht Stadt und Land verlassen hätte. Darauf hat Herr Peyer, der die Geschäfte übernommen hatte, die Beschwerde des Prowe zurückgewiesen. Prowe hat sich an den Herrn Reichskanzler gewandt, und diese Beschwerde wurde gleichfalls als unbegründet zurückgewiesen. Es war inzwischen das Novum eingetreten, daß General Pastor gestorben war, also ein gerichtliches Verfahren nicht mehr eintreten konnte, und was die Verhaftung betraf, so war man hier der Ansicht, daß, wer in einem fremden Lande durch Annahme einer Duellforderung gegen die Gesetze des Landes ver—⸗ stoße, daß der sich darüber nicht beklagen kann, wenn er dann eine und eine halbe Stunde in seinem Hause bewacht wird. (Heiter⸗ keit) Das, meine Herren, ist nun der Fall, der seit Monaten in der öffentlichen Presse besprochen wird und mit ungünstigen Kommen⸗ taren gegenüber dem Auswärtigen Amt. Man sagt: wenn das einem Engländer passiert wäre, was hätte die englische Regierung gethan! Darauf erwidere ich: erstens einmal hätte ein Engländer sich um die Frage der spanischen Instrukteure gar nicht gekümmert (sehr richtig ; jzweitens aber, wenn die Sache so verlaufen wäre, so hätte die englische Regierung nach den Grundsätzen, wie ich sie kenne, in der ganzen Sache keinen Finger gerührt und hätte einfach ge⸗ sagt: ein Vorgang, für den jemand sich private Genugthuung im Wege des Duells sucht, kann nicht zugleich auch Gegenstand einer internationalen Frage sein. (Sehr richtig!)
Das, meine Herren, ist der Fall Prowe. Ich komme nun zu den Vorgängen in San Salvador vom vorigen Jahre. Will man diese Vorgänge im vorigen Jahre unbefangen beurtheilen und zu
einem unparteiischen Urtheile gelangen, so muß man, glaube ich .
die Thatsache in den Vordergrund stellen, die auch gar nicht bestritten wird, daß bei der Revolution damals in ganz hervorragender Weise deutsche Staatsbürger sich betheiligt haben, daß auf der anderen Seite in den Heeren des Präsidenten Ezeta, des anerkannten Präsidenten, eine Reihe von Deutschen Kriegsdienste genommen haben, also Deutsche Deutschen gegenüberstanden. Man wird mir zugeben, daß da die Aufgabe eines Vertreters, der gleichzeitig die Instruktion, er solle die Deutschen schützen, er solle sich aber nicht in die inneren Angelegenheiten des fremden Staats mischen — die Situation wahrhaftig keine leichte war. (Sehr richtig) Ueber den Beginn der Revolution erzählt uns nun Herr Prowe in dem ihm eigenen blühenden Stil, daß in der Nacht vom 28. zum 29. April vorigen Jahres der Matthies — das ist derselbe, von dem wir vorhin ge⸗ sprochen haben — in dem ein „zweiter Michel Kohlhaas stecke, seinem Junker von Tronka auf das Dach gestiegen sei und mit 43 ver- wegenen Genossen in Santa Anna die dortige Artilleriekaserne er— stürmt und dadurch das Signal zum Aufstand gegeben habe“. Ja, meine Herren, die Deutschen dort, die jetzt so lebhaft klagen darüber, daß sie nicht genügend geschützt würden, hätten doch vorher bedenken sollen, daß durch diese Handlungsweise die Deutschen, die sich auf Seiten der Regierungsgewalt befanden, in die aller— übelste Lage und allergrößte Gefahr kamen. (Sehr richtig) Es fand nun die Schlacht statt, bei der die Affaire mit dem unglũcklichen Ruhnke statt hatte. Ezeta wurde geschlagen, und nun kommt der Fall Juhl. Das Haus von Juhl wurde zerstört und das Haus eines gewissen Müller. An dem Hause wurde die deutsche Fahne herunter— gerissen und in ganz infamer Weise beschimpft. Herr Juhl hat darüber einen ganz interessanten Brief an deutsche Blätter gerichtet, worin er diese ganzen Vorgänge sehr drastisch beschreibt, und da ist auch in Klammer bemerkt: Mein Kompagnon war abwesend. Ja, er war allerdings abwesend. Es war der Herr Müller; er war General der Revolutionsarmee, und nach meiner Information war das Haus, auf dem die deutsche Fahne wehte, das Haus des Herrn Müller. Ja, meine Herren, das heißt doch ganz einfach: mit der deutschen Fahne Mißbrauch treiben (sehr richtig) und, nachdem man an der Reve— lutionsbewegung theilgenommen, nun die deutsche Fahne aufpflanzen, um sein Eigenthum zu schützen.
Nun, meine Herren, habe ich in einer ganzen Reihe von Kritiken gelesen: wie tief eigentlich das Deutsche Reich gesunken sei, ergebe sich daraus, daß bei der Revolution in Salvador nur deutsches Eigenthum zerstört worden sei und keins von anderen Ausländern. Vollkommen richtig; aber auch hier fehlt wieder die Thatsache, daß nur die Deutschen an der Revolution theilgenommen baben (hört, hört!); die anderen dagegen, die Franzosen, die Nord— Amerikaner, sich vollkommen still verhalten haben. Es ist mir erst vor kurzem von ganz glaubwürdiger Seite versichert worden, daß die Haltung der Deutschen bei den übrigen fremden Kolonisten in gar keiner Weise Freude erregt hat, weil sie sagen: wenn wieder ein Umsturz kommt, so werden natürlicherweise wir anderen Kolonisten, obgleich wir uns ruhig verhalten haben, darunter auch leiden.
Meine Herren, nun kommt dies Telegramm an Herrn Peyer, dieser Hilferuf, der aus San Salvador gerichtet worden ist, wo sich die Deutschen in der größten Gefahr befanden, im letzten Moment des ganzen Feldzuges. Herr Peyer hat darauf geantwortet, er könne selbst nicht kommen, und er halte es auch für überflüssig, daß er einen Vertreter schicke. Ich nehme keinen Anstand, zu erklären, daß ich dies Verhalten des Herrn Gesandten Peyer bedauere und mißbillige. Wenn in dieser Weise der Hilferuf von bedrängten Deutschen zu ihm gelangt, so hat er Folge zu leisten und sich nicht damit zu entschuldigen, daß er voraussichtlich keinen Erfolg haben werde. Er hätte es versuchen sollen; mißlang der Versuch, so hätte er jedenfalls seine Pflicht gethan.
Und hier, meine Herren, komme ich auf einen Punkt, der gerade in dem Verhalten des Herrn Peyer mir von ausschlaggebender Bedeu— tung erscheint. Ich habe aus allen den mir gewordenen Mittheilungen zu meinem Bedauern die Ueberzeugung gewinnen müssen, daß Herr Peyer in der Führung seiner Geschäfte eine gewisse Passivität an den Tag legt, die mit seiner Stellung nicht verträglich ist. Ich glaube vor allem, daß es seine Pflicht gewesen wäre, bei den Deutschen in Salvador seinen Einfluß geltend zu machen in der Richtung, daß sie sich nicht an den inneren Parteikämpfen betheiligen (sehr richtig, und gerade dies Verhalten der Deutschen gegenüber der damals geltenden Regierung, ihre aktive Betheiligung am Bürgerkrieg ist für mich eine fast noch schwerere Belastung gewesen des Herrn Pever als seine Nichtthätigkeit im Verlauf des Feldzuges; denn hier muß ich anerkennen, daß die Verhältnisse für ihn außerordentlich schwierig lagen.
Ich habe außerdem den Eindruck gewonnen, daß Herr Peyer sich in der Kolonie dort nicht diejenige Stellung, nicht das Ansehen erworben hat, deren er zu einer Fortsetzung seiner Thätigkeit bedarf. Es ist bezeichnend, daß, obgleich dieser Kampf gegen Herrn Pever seit Monaten dauert, bis jetzt noch niemand aus der Kolonie für ihn auf⸗ getreten ist. Es wird die Konsequenz aus diesen Dingen gezogen, Herr Peyer von Guatemala abberufen und durch einen anderen Diplomaten ersetzt werden. (Bravo) Der letztere wird die In⸗ struktion erhalten, daß er entsprechend den gegebenen allgemeinen Weisungen nachdrücklich und wirksam zum Schutze der Deutschen eintrete, zugleich aber auch die Weisung, daß er mit aller Entschie⸗ denheit die Deutschen in Salvador dazu ermahne, Ruhe und Frieden zu halten und sich nicht in die Parteikämpfe zu mischen, weil, wenn sie dadurch in Gefahr kommen, sie einen amtlichen Anspruch auf Hilfe des Deutschen Reichs nicht haben. (Sehr gut! und Bravo!)
Ich habe vor wenigen Tagen einen Brief bekommen von einem sehr angesehenen Mann in Costa Riea, der früher dort deutscher Konsul war; er übt in diesem Schreiben eine Kritik an den Zuständen in Salvador und dem Verhalten der Deutschen dort. Er sagt am Schlusse:
In unserem Freistaat Costa Rica, kann ich zu meiner Genug⸗ thuung feststellen, sind die Deutschen gerade darum sehr geachtet, weil sie sich nie in die Politik des Landes mischen, und sehr beliebt, weil sie fleißig arbeiten, stets mit allen Parteien im Lande auf freundschaftlichem Fuß stehen; es kommen hier auch außerordent⸗ lich selten Ansprüche auf Schutz seitens der deutschen Ver⸗ tretung vor.
Ich hoffe, daß die Deutschen in Salvador sich an ihren Lands⸗ leuten in Costa Rica für die Zukunft ein Beispiel nehmen. (Sebr guth
Und nun der Fall Ruhnke. Ich hätte dringend gewünscht, daß es vermieden worden wäre, diese unglückliche Angelegenheit in die Oeffentlichkeit zu ziehen. Ich meine, man konnte den Kampf gegen den Gesandten Peyer führen, ohne daß man den Verwandten dieses Herrn den Schmerz anthat, die Handlungen dieses Mannes, der im Beginn einer Geistesstörung Dinge gethan hat, die er sicherlich bei gesundem Verstande nicht würde gethan haben, vor das Licht der Oeffentlichkeit zu ziehen.
Der Herr Vorredner hat die Rechtsfrage behandelt, ob Ruhnke noch deutscher Staatsangehöriger gewesen sei. Die Frage ist ganz zweifellos zu bejahen. Aber es ist doch klar, daß, wenn jemand in fremde Kriegsdienste tritt und damit die fremde Staatsangehörigkeit erwirbt, er in dem Maße, wie er dadurch freiwillig dem anderen Staat Rechte über seine Person einräumt, das Recht Deutschlands und seiner Vertreter sich beschränkt.
Wenn dann hier verlangt wird, daß Herr Peyer gegen die Gefangennahme und Bestrafung des Ruhnke amtlich eintrete — ja, wohin sollte denn das führen, wenn wir anfangen, die zahllosen Deutschen, die in allen möglichen Ländern der Welt Kriegsdienste ge—⸗ nommen haben, gegen die Sävitien ihrer militärischen Vorgesetzten zu schützen? Das ist vollkommen unmöglich. Was geschehen konnte, ist für den unglücklichen Ruhnke geschehen; die deutsche Kolonie, an der Spitze der Konsul Augspurg, hat sich bei dem Präsidenten für ihn verwendet, er wurde auf diese Verwendung hin begnadigt; ich glaube, aus dem Bericht des Konsuls Augspurg, den ich veröffentlicht habe, ergiebt sich, daß in der That von deutscher Seite alles das geschehen ist, was überhaupt geschehen konnte.
Nun nur noch zwei Worte über Brasilien! Der Herr Vor⸗ redner hat richtig dargelegt, daß im Süden von Brasilien mehr als 200 000 deutschredende Kolonisten sich befinden. Das ist zuzu⸗ geben; aber eine verschwindend kleine Anzahl dieser Kolonisten hat heute noch die deutsche Staatsangehörigkeit; man kann darüber streiten, ob es Hunderte oder Tausende sind. Dazu kommt, daß ein großer Theil dieser Kolonisten in ruhigen Zeiten es ver⸗ säumte, sich in die Matrikel des Konsulats einschreiben zu lassen, und dann, wenn der Moment kommt, wo sie des Schutzes des Deutschen Reichs zu bedürfen glauben, sie außer stande sind, ihre deutsche Staatsangehörigkeit nachzuweisen. Wir haben über diese Verhältnisse in Brasilien wiederholt die eingehendsten Berichte erholt und die dortigen Konsuln sagen übereinstimmend, daß, soweit es irgend möglich sei, alles geschehe, daß aber in vielen Fällen ein Einschreiten aus dem Grunde ausgeschlossen sei, weil sie der brasilianischen Regierung gegenüber den Beweis nicht liefern können, daß die Leute die deutsche Staatsangehörigkeit nicht verloren haben, somit die Voraussetzung eines Einspruchs fehlt. Denn sowie die deutsche Staatsangehörigkeit verloren ist, sind die Leute lediglich brasilianische Staatsangehörige.
Nun noch zwei Wörter über die Angelegenheit des Handels vertrags mit Guatemala! Es ist richtig, daß 1892 kraft der Mac Kinley⸗Bill ein Reziprozitätsvertrag geschlossen wurde zwischen den Vereinigten Staaten uud Guatemala und andern Staaten, in denen die letzteren gegen freie Einfuhr von Zucker c. die Konzession machten, daß gewisse amerikanische Produkte zu einem niedrigeren Zoll bei ihnen eingeführt werden dürften als diejenigen europäischer Staaten. Guatemala hat, nachdem dieser Vertrag ins Leben getreten war, uns und allen europäischen Staaten gegenüber, mit denen es auf dem vertragsmäßigen Fuß der Meistbegünstigung stand, nunmehr die be— kannte amerikanische Auffassung der Meistbegünstigung geltend gemacht. Wir haben sofort nachdrücklich protestiert, das gleiche haben andere gethan, und inzwischen ist die ganze Sache dadurch erledigt, daß, nachdem Präsident Cleveland ans Ruder kam, die Aufhebung der Mac Kinley⸗Bill, und mit dem Fall der Mac Kinley⸗Bill die Kündi⸗ gung des Vertrags mit Guatemala eintrat.
Meine Herren, ich glaube, Sie heute nicht weiter mit Einzelheiten ermüden zu sollen. Ich kann die Anfrage des Herrn Interpellanten nur dahin beantworten, daß, entsprechend den allgemeinen Instruk— tionen, welche unsere Vertreter im Auslande haben, wir darauf achten werden, daß dieselben allezeit den Deutschen, ihrer Person und ihrem Eigenthum den Schutz und alle die Hilfe gewähren, die vertrags— rechtlich und völkerrechtlich begründet ist; daß die Vertreter im Aus⸗ lande die Weisung haben, alles zu thun, wodurch sie die Stellung der Deutschen im Auslande fördern können; daß, wenn berechtigte Klagen an uns gelangen, sofort Abhilfe eintreten wird, unberechtigte Klagen allerdings eine Berücksichtigung nicht finden können.
Nun zum Schluß, meine Herren, noch eine kurze Bemerkung, die ich Ihnen dringend ans Herz lege. Unsere Vertreter in über⸗ seeischen Plätzen können die ihnen zugewiesene Aufgabe allein nicht vollführen. So wichtig die Personenfrage ist, die Persönlichkeit allein thut es nicht, und die Instruktion von hier aus, sie mag noch so schön gedrechselt sein, auch nicht. Soll der Vertreter die fried⸗ liche und fruchtbare Mission, die ihm im Interesse des deutschen Vaterlandes obliegt, ausführen, so müssen wir ihm, dem Lande, wo er ist, der Bevölkerung und den Machthabern desselben von Zeit zu Zeit durch ein sichtbares Zeichen bekunden, daß hinter seiner Thätigkeit die Theilnahme des deutschen Volks und der Wille und die Macht des Deutschen Reichs steht (sehr richtig!), und dieses Zeichen, meine Herren, ist die deutsche Flagge auf dem deutschen Kreuzer. Unsere Handelsinteressen an den überseeischen Plätzen nehmen jährlich zu, und wir freuen uns der Zahlen, die das beweisen. Wir streben dahin, Kapitalien unseren Kolonien zufließen zu lassen, um sie zu befruchten und zu entwickeln; wir sehen fromme Männer hinübergehen übers Meer, um in aufopfernder Thätigkeit zu wirken für das Christen⸗ thum und die Kultur. So erweitert sich jährlich und täglich der Kreis unserer überseeischen Pflichten und der Kreis unserer Ver⸗ antwortung; aber unsere Kreuzerflotte folgt dieser Bewegung nicht, die einzige Waffe, die wir dort haben, droht stumpf zu werden und zu rosten. Wenn auf irgend einem Gebiet, so gilt hier der Satz, daß Stillstand Rückschritt ist. Ich kann nach pflichtmäßiger Ueber zeugung nicht anders als es offen aussprechen: der auswärtige Dienst kann seine Verpflichtungen in ausreichendem Maße nicht mehr erfüllen und die Verantwortlich— keiten, die ihm obliegen, nicht mehr übernehmen, wenn nicht in dieser Beziehung Abhilfe eintritt. Die Marine— behörden thun alles, was in ihren Kräften steht, um den berechtigten Wünschen des Auswärtigen Amts entgegenzukommen; aber wiederholt
Ich erinnere Sie daran, meine Herren, daß, als jüngst in der Delagoa⸗Bai unsere Interessen schwer gefährdet waren — und wir haben dort wichtige Interessen, die wir schützen wollen und schũtzen müssen — wir gezwungen waren, das einzige Kriegsschiff der ostafri= kanischen Station, den Seeadler“, nach der Delagoa⸗Bai zu entsenden, obgleich gerade in dem Augenblick Kilwa von Insurgenten bedroht war. Ich weise darauf hin, daß beute an der westamerikanischen Küste nicht ein einziges deutsches Kriegsschiff ist, obgleich in Peru noch heute der Aufstand wüthet, wo wichtige deutsche Interessen zu wahren sind. Dasselbe ist der Fall an der ostamerikanischen Küste, und in dem Lande San Salvador, von dem wir vorhin gesprochen haben, ist seit mehr als zehn Jahren, seit dem August 1884, die deutsche Flagge nicht mehr gesehen worden. (Hört, hört! rechts.)
Meine Herren, die Nachtheile und Gefahren, die aus einer Fort—⸗ dauer dieses Zustandes entstehen, nicht nur für unsere materiellen, sondern auch für unsere ideellen Interessen, können durch alle diplomatische Geschicklichkeit unserer Vertreter nicht paralysiert werden! Auf der anderen Seite darf ich hinweisen auf die großen Vortheile, welche das Eintreten unserer Kreuzerflotte bei den jüngsten Bürgerkriegen in Chile und Brasilien für uns gehabt hat. Wir haben es ausschließlich unserer Flotte zuj verdanken, der hingebenden und aufopfernden Thätigkeit der ⸗ selben während jener Aufstände, daß wir einerseits unsere Neutralität wahren, aber trotzdem jedem Eingriff in deutsche Rechte entschiedenen Widerstand entgegensetzen konnten, daß es uns möglich war, die feste und maßvolie Politik während jener Bürgerkriege durchzuführen, die uns das Vertrauen jener Länder erworben hat — ein Vertrauen, das nach dem Urtheil aller Sachkenner nach aller Voraussicht uns reichen Segen bringen wird.
Wir bedürfen einer Vermehrung unserer Kreuzer, nicht aus chauvinistischen Gründen, nicht weil wir uns in die inneren Angelegen—⸗ heiten ferner Länder mischen wollen, nicht einer abenteuernden Politik zu Liebe; wir bedürfen der Vermehrung, weil es unsere Pflicht ist, überall da, wo in fernen Ländern die deutsche Arbeit sich niederläßt, von Zeit zu Zeit die deutsche Flagge zu zeigen, als eine Warnung für die Fremden, für die Unsrigen als ein Schutz und zugleich für alle dort lebenden Deutschen als ein Symbol, das sie ermahnt zur Einheit und zum treuen Festhalten an ihrer alten Heimath. (Lebhaftes Bravo!)
Der Abg. Rickert (fr. Vg) beantragt die Besprechung der Interpellation; dieser Antrag erlangt indeß nicht die er⸗ forderliche Unterstützung, und das Haus geht zum letzten Gegenstand der Tagesordnung über, der von dem Abg. Frei⸗
herrn Heyl zu Herrnsheim (nl. eingebrachten Inter—
pel lation, die reichs gesetzliche Einrichtung von Hand— werker- oder Gewerbekammern betreffend. Die Inter— pellation lautet:
„Die unterzeichneten Mitglieder des . richten an die verbündeten Regierungen die Anfrage, welche aßnahmen auf Grund der am 24. November 1891 von dem Herrn Staatssekretär Dr. von Boetticher abgegebenen Erklärung über die reichsgesetzliche Einrichtung von Handwerker⸗ oder Gewerbekammern in Aussicht genommen sind. . .
Bei der , der Verhandlung hierüber erscheint auch der preußische Minister 6. Handel und Gewerbe Frei⸗ herr von Berlepsch am Bundesrathstische. Zur Begründung der Interpellation erhält das Wort der
Abg. Freiherr Heyl zu Herrnsheim (n.): Die Forderung nach einer Organisation des Handwerks und Gewerbes datiert nicht erst von heute. Schon im Jahre 1891 erklärte der Staats Minister Dr. von Boetticher, daß die Forderung eine berechtigte sei. Wer die Angelegenheit weiter verfolgt hat, kann nicht daran zweifeln, daß unsere bisherige Gesetzgebung auf diesem Gebiete nicht genügt. Die Handwerker befürworten ihre gesetzliche Organisation, weil .; sehen, daß andere Berufsklassen durch ihre Organisation gute Erfolge erzielen. In Süddeutschland existieren n. bereits genügende Hand⸗ werker⸗Organisationen. Der Wettbewerb, zwischen Großindustrie und Handwerk macht die planmäßige Ausdehnung dieser Organisation nothwendig. Dieselbe kann aber nur von Nutzen sein, wenn sie eine obligatorische wird. Der auf Grund obligatorischer Bestimmungen eingeführten Organisation des Handwerks könnten wichtige Gebiete zur Regelung überwiesen werden, so namentlich das Lehrlings⸗ und Submissionswesen. Der deutsche Handwerkerstand kann fordern, daß die obligatorischen Handels- und Gewerbekammern baldigst eingeführt werden.
Staatssekretär des Innern, Staats-Minister Dr. von
Boetticher: Meine Herren!
Ich freue mich, daß der Herr Interpellant mir durch seine Anfrage Gelegenheit gegeben hat, Mittheilung über das—⸗ jenige zu machen, was seit der letzten Verhandlung über die Hand⸗ werkerfrage im Reichstage von seiten der Regierung geschehen ist. Ich freue mich auch, daß er sich in dem Endziel, welches er als das von seiner Partei angestrebte bezeichnet, mit den Anschauungen, von denen die Königlich preußische Regierung geleitet wird, auf einer Linie be⸗
findet. Ich babe bereits am 24. November 1891 erklärt, daß wir der Meinung seien, es sei unerläßlich, dem Handwerk eine Organisation zu geben, wie sie für andere Berufsstände durch unsere Gesetzgebung bereits geschaffen ist, und ich erkenne an, daß sich inzwischen die Dinge innerhalb des Handwerkerstandes so entwickelt haben, daß diese Forde⸗ rung als eine immer dringendere und immer berechtigtere erscheint. (Sehr wahr! rechts, aus der Mitte und bei den Nationalliberalen.)
Meine Herren, das Ziel, das wir erstreben: eine Organisation zu schaffen, die dazu beiträgt, den Gemeingeist des Handwerks zu beben, die Widerstandsfähigkeit des Handwerks in dem schweren Konkurrenz⸗ kampf, dem es ausgesetzt ist, zu stärken, vor allen Dingen das Lehrlingswesen auf eine höhere und bessere Stufe zu stellen — dieses Ziel ist das, was die verbündeten Regierungen im Verein mit allen denjenigen Elementen der Bevölkerung, die ein Herz für unsere Handwerker haben, an⸗ streben, und wenn, wie ich voraussetzen darf, in der voraussichtlich an die Beantwortung dieser Interpellation sich anschließenden Be⸗ sprechung der Klage Ausdruck gegeben werden wird, daß es zu greif⸗ baren Resultaten auf dem Wege zu diesem Ziele bisher leider noch nicht gekommen ist, so werden Sie mir gestatten, daß ich schon jetzt objektiv die Entwickelung dieser Frage während der letzten Jahre Ihnen darlege, und Sie werden, so hoffe ich, am Schluß meiner Darlegungen sich davon überzeugt haben, daß es uns nicht an dem guten Willen gefehlt bat, wie man uns in der Presse hier und da vorwirft, sondern daß in der That die Umstände so liegen, daß in diesem Augenblick mit einem fertigen Gesetzentwurf noch nicht hervorgetreten werden kann.
Meine Herren, die Verhandlungen über die Organisation des Handwerks, welche zwischen dem preußischen Handels ⸗Ministerium und dem Reichsamt des Innern im Jahre 1891 und 1892 gepflogen worden
ist uns die ultima ratio entgegengetreten: es ist kein Schiff da!
sind, haben, wie Ihnen bekannt geworden sein wird, in der Form der
.
sogenannten Berlepsch'schen Vorschläge Gestalt gewonnen. Diese Vorschläge, welche darauf gerichtet waren, das Institut der Handwerker⸗ kammern hervorgehen zu lassen aus einem Unterbau, der in der Form von sogenannten Fachgenossenschaften gedacht war, sind veröffentlicht
und außerdem der Kritik der oberen preußischen Verwaltungsbehörden
unterstellt worden. Diese Kritik ist im allgemeinen keine günstige gewesen. Es fehlt freilich auch nicht an Stimmen — und wir haben ja auch heute aus dem Munde des Herrn Vorredners vernommen, daß er den damals eingeschlagenen Weg für gangbar erklärt. — Ich sage: es fehlt nicht an Stimmen, die sich beifällig über die damals in Aussicht genommene Gliederung der Organisation des Handwerks geäußert haben. So hat insbesondere eine Versammlung der Vertreter der in Deutschland bereits vor— handenen Gewerbekammern, die in Eisenach abgehalten worden ist, sich, wenn auch nicht durchweg zustimmend, so doch auch prinzipiell nicht ablehnend und mit dem Bemerken über diese Vorschläge geäußert, daß der Grundgedanke nicht zu verwerfen sei. Auch aus den Aeußerungen, welche in anderen Versammlungen gefallen sind, läßt sich entnehmen, daß die Aufnahme der Vorschläge nicht überall im deutschen Handwerkerstande eine ungünstige gewesen ist. Das Eine aber ist zuzugeben, daß die Vertreter des korporierten Handwerks sich gegen die geplante Organisation ausgesprochen haben und daß sie an ihrer alten Forderung: ‚obligatorische Innung und Befähigungs⸗ nachweis“ je länger desto mehr und, ich darf wohl sagen, desto lauter festhalten.
Nun, meine Herren, werden Sie Ihnen sage, daß es für die Regierung unmöglich war, ein— seitig und ohne weitere Prüfung auf die Ideen einzugehen, welche von seiten des korporierten Handwerks bezüglich der Organi⸗ sation ausgesprochen wurden. Es lag für uns die Aufgabe vor, an der Hand der Bedenken, welche gegen die publizierten Vorschläge auf— tauchten, eine Korrektur zu versuchen, welche die Bedenken ausschloß, die man, wie ich schon früher hier ausgeführt habe, mit Fug und Recht gegen die Herstellung obligatorischee Innungen hegen mußte. Es sind infolge dessen andere Vorschläge aufgestellt. Ueber diese Vorschläge hat im Laufe dieses Jahres im Schoße des preußischen Staats⸗Ministeriums ein Votenwechsel stattgefunden, und wenn ich Ihnen sage, daß die letzten der eingegangenen Voten aus dem Dezember vergangenen Jahres datieren, dann werden Sie es begreiflich finden, daß wir schon heute, Mitte Januar, einen vom Bundesrath durchberathenen Gesetzentwurf noch nicht vorlegen können.
Meine Herren, es wäre ja für uns an sich mit keinen besonderen Schwierigkeiten verknüpft, auf die Anregungen, welche von seiten des korporierten Handwerks gegeben sind, neue Gesetzentwürfe aufzustellen, ich könnte sogar sagen: nichts leichter als das; denn an formulierten Vorschlägen dieser Art fehlt es nicht, und an Stimmen, die diese Vorschläge innerhalb des Handwerkerstandes unterstützen, fehlt es auch nicht; woran es dagegen bis jetzt fehlt, das ist eine zweifelsfreie und zu präzisen Entschlüssen befähigende Prüfung darüber, ob diese Vor⸗ schläge nun auch wirklich heilsam und dem Handwerk nützlich sind.
Meine Herren, man beruft sich immer auf die Einstimmigkeit, mit der diese Vorschläge aus dem Handelsstande heraus befürwortet werden. Allein diese Einstimmigkeit ist doch, wenn man näher zusieht, keineswegs eine unbezweifelte. Wenn ich an die Thatsache erinnere, daß nach der Entwickelung, die das Innungswesen bei uns im Reich genommen hat, zur Zeit kaum ½i0 der Handwerksmeister den In⸗ nungen angehört, (hört, hört! links) so werden Sie mir zugeben, daß es mindestens denkbar ist, daß sich die übrigen io, welche den In— nungen nicht angehören, von anderen Anschauungen leiten lassen als die Vertreter der Innungen. Es ist das aber nicht bloß an sich denkbar; sondern es ist vielmehr eine Thatsache, die man überall vernehmen kann und namentlich im Süden und im Westen des Reichs. Ich habe noch auf einer Reise in diesem Sommer, auf der ich auch der Handwerkerfrage an verschiedenen Orten ein reges Interesse zugewandt habe, aus dem Munde von Handwerkern aus dem Elsaß und vom Rhein den Ruf vernommen: Verschont uns mit den obligatorischen Innungen! Meine Herren, das würde mich ja allein noch nicht bestimmen, mich positiv gegen eine Konzession zu wenden, die mit solcher Einmüthigkeit und mit solcher Stärke von dem korporierten Handwerk gefordert wird; allein Sie werden es der Regierung und insonderheit der vpreußischen Regierung nicht ver⸗ denken können, wenn sie Abstand nimmt, ohne weiteres und ohne zwingende Gründe den Schritt zu thun, der denn doch — das darf man nicht verkennen — ein Bruch mit der Gewerbepolitik ist, die seit 200 Jahren in Preußen verfolgt wird. (Zwischenruf rechts.)
Meine Herren, ich kann auf diesen Zwischenruf meinen Ausspruch nur in der Weise modifizieren, daß ich zuzebe: es hat eine Periode gegeben vom Jahre 1849 bis 1869, in der diese Politik in gewissen Beziehungen verlassen worden ist. Zwangsinnungen hat man aber auch damals nicht wieder eingeführt. Aber wenn ich daran erinnere, daß schon der Große Kurfürst auf dem Reichstag in Regensburg den Antrag stellte, den Zunftzwang aufzuheben, daß seitdem, nachdem dieser Antrag nicht den Beifall der Reichsstände fand, die brandenburgische und die preußische Regierung konsequent bemüht gewesen ist, die Auswüchse des Zunftzwangs, die Schädlichkeiten, die er mit sich führte, hint⸗— anzuhalten; wenn ich ferner daran erinnere, daß nach dem unglück⸗ lichen Kriege, von 1867 bis 1809 die preußische Regierung, gerade um dem Handwerkerstande in voller Würdigung seiner Bedeutung für das Land eine Hilfe zu theil werden zu lassen, das Edikt vom Jahre 1810 über die Gewerbesteuer und das Gewerbe⸗ steuergesetz vom Jahre 1811, welches eine freiere Bewegung des Handwerks ermöglichte, erließ — meine Herren, dann können Sie nicht im Zweifel darüber sein, daß die Politik der preußischen Regierung in allen Zeiten darauf hinging, nicht dem Handwerk Fesseln anzulegen, sondern ihm eine freie Bewegung zu gestatten.
Und was soll ich von der späteren Entwicklung sagen? Im Jahre 1837 wurde den Provinzial⸗Landtagen in Preußen und dem Staatsrath der Entwurf eines Gewerbepolizeigesetzes zur Begutachtung vorgelegt. Es ist das derjenige Entwurf, der demnächst in der Gewerbeordnung von 1845 zum Gesetz erhoben worden ist, und es ist interessant, die Verhandlungen zu lesen, die damals in den berufenen Kreisen der Männer, die darüber ihr Gutachten abzugeben hatten, gepflogen worden sind. Damals sind alle die Fragen, die heute das Handwerk bewegen, ebenso frisch und ebenso gründlich erörtert worden, wie wir das heute thun, und schon damals hat man sich gegen die obligatorische Innung ausgesprochen. Das Handwerk war nicht in allen seinen
verstehen, wenn ich
Theilen mit der Gesetzgebung des Jahres 1845 einverstanden; es er—