1895 / 13 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 16 Jan 1895 18:00:01 GMT) scan diff

direkten Staatssteuern und Renten auf die Gemeinden 2c. und die dadurch bedingte anderweite Organisation der Kassen der Verwaltung der direkten Steuern in den Ansätzen des vorliegenden Etats gegenüber denjenigen des laufenden Etats eintreten, ist Folgendes zu bemerken.

I. An Einnahmen fallen im vorliegenden Etat aus:

1) Die Erträge der durch das Gesetz vom 14. Juli 1893 wegen Aufhebung direkter Staatssteuern gegenüber der Staats⸗ kasse außer Hebung gesetzten Grundsteuer, Gebäudesteuer und Gewerbesteuer vom stehenden Gewerbebetriebe, welche im laufenden Etat veranschlagt waren,

die Grundsteuer zu. . 39 844 800 M die Gebäudesteuer zu 40 044 300 die Gewerbesteuer zu . 223447090

2) der Ertrag der nach demselben Ge⸗ setze als Staatssteuer in . kommenden Bergwerkssteuer, welche in dem laufenden Etat der Berg-, Hütten- und Salinen⸗ vermag

veranschlagt war. .

3) Infolge des Uebergangs der Einzel⸗ erhebung der direkten Se ene. auf die Gemeinden ꝛc. ist in dem vorliegenden Etat der Berwaltung der direkten Steuern eine Minder⸗ einnahme an Gebühren und an sonstigen Ein⸗ nahmen veranschlagt in Höhe von

Es ergiebt sich mithin insgesammt ein ö Einnahmeausfall vn 108 955 190 0

II. * Deckung desselben weist der vorliegende Etat folgende Mehreinnahmen bezw. Minderausgaben nach:

1) Die Einkommensteuer ist mit ihrem vollen veran⸗ schlagten Betrag von 121 400 090 M in Ansatz gebracht, was gegenüber dem gemäß 8 149 Abs. 1 des Ergaͤnzungssteuer—

6 393 000

328 390

esetzes vom 14. Juli 1893 erfolgten Ansatze im laufenden 34 872 000 M

Etat eine Mehreinnahme von

ergiebt. ; .

2) Die Ergänzungssteuer ist neu eingestellt mit einem veranschlagten Ertrag von.

3) Gemäß 8 28 des Gesetzes wegen Auf⸗ hebung direkter Staatssteuern tritt das Gesetz vom 14. Mai 1885, betreffend die Ueber⸗ weisung der Erträge aus landwirthschaftlichen Zöllen an die Kommunalverbände mit dem J. April 1895 außer Kraft und kommt daher die im laufenden Etat bei der allgemeinen Finanzverwaltung vorgesehene bezügliche Aus—⸗ gabeposition von JJ

in Fortfall.

4) Durch die Uebertragung der Einzel⸗ erhebung der direkten Staatssteuern und Renten auf die Gemeinden ꝛc. ergeben sich bei der Verwaltung der direkten Steuern, bei der Domänen⸗Verwaltung und bei den Renten⸗ banken Ersparnisse an Veranlagungs⸗ und Erhebungskosten im Betrage von während den aus der anderweiten Organisation der Kassen bei der Verwaltung der direkten Steuern sich ergebenden Ersparnissen an den Ausgaben für Beamte von rund 1191 009 166 aus derselben Veranlassung bezw. sonst infolge der Steuerreform Mehrausgaben von etwa gleichem Betrage gegenüberstehen.

Die sich hiernach für den vorliegenden Etat ergebende Deckung im Gesammt⸗ betrage von.

35 000 000

JJ bleibt somit hinter dem oben berechneten . Einnahmeausfall von , 7, um 1154 340 zurück. Dabei ist indessen zu berücksichtigen, daß im vorlie— genden Etat an demnächst entbehrlich werdenden Aus⸗ gaben für Beamte für einen Theil des Etatsjahres 174 920 6 und an Dispositionsgehältern 2c. für die bei der anderweiten Kassenorganisation nicht wieder zur Verwendung gelangenden Beamten 895 000 M, zusammen also 1 069 920 6 , , sind, welche keine dauernde Belastung der Staats kasse bilden. In dem Extraordinarium der Verwaltung der direkten Steuern ist ein Betrag von 314000 „M ausgebracht zur Deckung der nach 6 des Gesetzes wegen Aufhebung direkter Staatssteuern auf die Staatskasse übergegangenen Verpflich⸗ tungen des aufzulösenden Fonds zur Erhaltung und Er— neuerung des Katasters in den Provinzen Rheinland und Westfalen. . Bei der Berg⸗, Hütten⸗ und Salinenverwaltung ergiebt sich ein Minderüberschuß von 5 360 563 66 . Wie schon erwähnt, kommt die Bergwerksteuer mit 6 393 000 MS in Fortfall. Die Ueberschüsse bei den Berg⸗ werken sind um 1310 259 S6 und bei den Salzwerken um S3 860 S6 höher, dagegen diejenigen bei den Hütten um 156 890 6 und bei den Gen * gers erte um 60 000 niedriger in Ansatz gebracht. ei der Verwaltung der indirekten Steuern ist ein Minder⸗ überschuß von 2903 550 „MS veranschlagt. Während die Ver⸗ gütung für Erhebung von Reichssteuern um 509 090 S und von den eigenen Einnahmen Preußens insbesondere diejenige aus der Erbschaftssteuer um 100 900 S6 höher angesetzt ist, ermäßigen sich die letzteren Einnahmen einmal bei der Stempel⸗ steuer um 700 000 M und sodann vornehmlich dadurch, daß die Erhebung der Verkehrsabgaben (Brücken⸗, Fähr⸗ und Hafen⸗ gelder, Strom- und Kanalgefälle) vom 1. April 1895 ab auf die allgemeine Bauverwaltung übergehen soll und infolge dessen die bezüglichen Einnahmen in dem im laufenden Etat veranschlagten Betrage von 3100 000 S in dem Etat der Verwaltung der indirekten Steuern abgesetzt, und, unter Berücksichtigung der zu erwartenden Steigerung, in Höhe von 3 300 000 MS auf den Etat der allgemeinen Bauverwaltung übertragen sind. In gleicher Weise sind die betreffenden Ausgaben mit 125 9 „M6 bei der Verwaltung der indirekten Steuern ab⸗ gesetzt und in Höhe von 125 240 M auf den Etat der allge⸗ meinen Bauverwaltung und, unter Berücksichtigung eines un⸗ erheblichen Mehrbedarss, in Höhe von 2232 6 auf den Etat des Finanz⸗Ministeriums übertragen. Wegen des Näheren hierüber wird auf die dem Etat der indirekten Steuern bei⸗ gefügte Denkschrift Bezug genommen. Die Forstverwaltung ergiebt von 2394000 66, indem namentlich die Einnahme für Hol; um 2000000 S niedriger, dagegen diejenige für Nebennutzungen um 103 000 Se höher veranschlagt ist. An Mehrausgaben sind insbesondere 140 000 6 für Werbungs—⸗

einen Minderüberschuß

kosten und 180 000 S zur Erhöhung der Mittel zur Remunerierung von Forst⸗Hilfsaufsehern vorgesehen.

Bei der Domänenverwaltung ergiebt sich ein Minder⸗ überschuß von II 690 6, indem insbesondere die Einnahme an Domänen ⸗Amortisationsrenten um 130 000 M, die Ein⸗ nahme an grundherrlichen Hebungen um 145 0090 S und der Ertrag von Domänen ⸗Vorwerken um 84107 46 geringer, dagegen der Ertrag von anderen Domänengrundstücken 2c. um 90 0600 MS höher veranschlagt ist. Bei dem Ertrage von Mineralbrunnen ist, im wesentlichen infolge der Verpachtung einiger derselben, eine Mindereinnahme von 573 983 S und eine Minderausgabe von 629 864 S6 veranschlagt.

Eine Mindereinnahme ist endlich in Höhe von 100 000 M6 bei dem Erlös aus Ablösungen von Domänen⸗Gefällen und

aus dem Verkaufe von Domänen⸗ und Forstgrundstücken ver⸗

anschlagt. e Die Dotationen und die allgemeine Finanzver⸗

waltung ergeben einen Minderbedarf von 30 191 732 6

Bei der Verwaltung der öffentlichen Schuld ermäßigt sich der Bedarf um 2481 340 6: zur Verzinsung der Staats⸗ schulden sind 645 288 S und zur planmäßigen Tilgung 2685 377 M6 weniger, dagegen zur außerordentlichen Tilgung 975 124 6 mehr veranschlagt. .

Bei der allgemeinen Finanzverwaltung ergiebt sich ein Minderbedarf von 7 711 142 S. Wie schon erwähnt, kommt die Ausgabe von 34 900 000 S zu Ueberweisungen an die Kommunalverbände in Fortfall. Des weiteren ist, ent⸗ sprechend den bezüglichoön Ansätzen in dem Entwurf zum Reichshaushalts⸗-Etat für 1895‚96, eine Mehreinnahme von 10133090 6 bei dem Antheil an dem Ertrage der Reichs⸗Stempelabgaben, dagegen eine Mindereinnahme von 1118210 6 bei dem Antheil an dem Ertrage der Zölle und der Tabacksteuer und eine solche von 688 550 S6 bei dem An⸗ theil an dem Ertrage der Verbrauchsabgabe für Branntwein owie eine Mehrausgabe von g 914771 S an Beitrag

reußens zu den Ausgaben des Reichs in Ansatz 6 An Mindereinnahmen kommen ferner insbesondere in Betracht 1500 000 6 bei dem Fonds des ehemaligen Staatsschatzes und 3 237 741 ½ an Glo für Verschreibungen konsolidierter Anleihe behufs baarer Einlösung von Schuldverschreibungen der Anleihe von 1868 A; dieser Mindereinnahme steht die entsprechende Minderausgabe in dem Etat der Staatsschulden⸗ Verwaltung gegenüber. .

Bei den eigentlichen Staatsverwaltungen sind die Einnahmen um insgesammt 5816 970 6 höher, als im laufenden Etat veranschlagt. . ist mitenthalten die oben erwähnte Einnahme aus den Verkehrsabgaben in Höhe von 3 300 000 M, welche vom Etat der Verwaltung der indirekten Steuern auf denjenigen der allgemeinen Bauverwaltung über⸗ gegangen ist; eine Mehreinnahme von 1137 000 66 ist an 4a und Geldstrafen bei der Justizverwaltung in Ansatz gebracht.

Bei den dauernden Ausgaben der eigentlichen Staats⸗ verwaltungen ist eine Erhöhung um insgesammt 10 302215 veranschlagt.

Der Etat des Finanz-Ministeriums zeigt eine Erhöhung der Ausgabe um 2397 675 6, darunter insbesondere Mehr—⸗ ausgaben von 1300 009 6 bezw. 1 000 000 6 zur weiteren Verstärkung des Zivil⸗Pensionsfonds und des Fonds zu gesetz⸗ lichen Wittwen⸗ und Waisengeldern, von 905 g00 M6 zur Ver⸗ stärkung des Fonds zu Diäten, Fuhr⸗ und Versetzungskosten bei den Regierungen 2c“, von 1060 000 M zur Erhöhung der Mittel zur Remunerierung der außeretatsmäßigen Mitglieder der Regierungen 2c. und von 1990 678 MS zur Vermehrung des Buregu⸗ und Unterbeamten⸗Personals bei denselben Behörden.

Bei der allgemeinen Bauverwaltung erhöht sich die dauernde Ausgabe um 16528 108 Ss. Neben der schon oben erwähnten Mehrausgabe von 126 240 6 an Kosten der Er⸗ hebung der Verkehrsabgaben sind insbesondere Mehrausgaben vorgesehen von 185 800 S4 bei dem Fonds für Arbeitshilfen und Vorarbeiten für größere Bauausführungen, von 600 9000 M zur Verstärkung des Fonds zur Unterhaltung der Binnen⸗ häfen 2c. und von 75 „6 an Kosten der gesetzlichen Unfall-, Invaliditäts- und Altersversicherung 2c.

Bei der Verwaltung für Handel und Gewerbe ergiebt sich eine Mehrausgabe von 300314 6 Zur Vermehrung des Personals der Gewerbe⸗Inspeltion sind 41 700 M vorgesehen; die Ausgaben für sechs zu verstaatlichende gewerbliche Fachschulen belaufen sich auf 466 494 4, von welchen indessen 277 569 den betreffenden Anstalten schon bisher als Staatszuschüsse gezahlt wurden; der ver— bleibenden Mehrausgabe steht eine Schulgeld⸗ Einnahme von 190 900 M gegenüber. Im übrigen sind die Ausgaben für gewerbliche Fachschulen um rund 109 000 ½ς, die Zuschüsse für gewerbliche Fortbildungsschulen um 110 000 6 erhöht, unter Ermäßigung der Ausgaben für Fortbildungsschulen in den Provinzen Westpreußen und Posen um 50 000 S Ein Minderbedarf ist insbesondere veranschlagt in Höhe von 101 000 S bei den Remunerationen für die Vorsitzenden ge⸗ werblicher Schiedsgerichte und in Höhe von 67 820 M bei der Porzellanmanufaktur.

Bei der Justizverwaltung erhöht sich der Ausgabebedarf um 2157 800 S6 Von den Mehrausgaben entfallen ins⸗ besondere 158 140 S auf die Ober-Landesgerichte, 1 275 502 6 auf die Land- und Amtsgerichte, 124 640 M auf die be— sonderen Gefängnisse und 533 0900 6 auf den Fonds zu baaren Auslagen in Zivil⸗ und Strafsachen. Zur Schaffung neuer Richterstellen bei den Ober⸗Landesgerichten und den Land⸗ und Amtsgerichten sind 262 140 6 vorgesehen.

Die Verwaltung des Innern erfordert eine Mehrausgabe von 825 051 M; insbesondere sind mehr angesetzt für die Polizeiverwaltung in Berlin und in den Provinzen 84 559 bezw. 229 508 6, für die Landgendarmerie 72 661 6, zu allgemeinen Ausgaben im Interesse der Polizei 103 569 6, darunter zur Verstärkung des Fonds zu geheimen Ausgaben im Interesse der Polizei 80 000 0 sowie für die Straf—⸗ anstalten 288 575

Bei der landwirthschaftlichen Verwaltung ist eine Mehr⸗ ausgabe von 331 581 S vorgesehen. Davon entfallen ins⸗ besondere auf die General-Kommissionen 143 890 AM, darunter 90 000 S6 mehr zu Beihilfen zu Folge⸗Einrichtungskosten bei Rentengutsbildungen, ferner auf die landwirthschaftlichen Lehr⸗ anstalten 47 479 S½ι, auf die Thierärztlichen Hochschulen und das Veterinärwesen 45 870 6, auf die Ausgaben zu Landes—⸗ meliorationen ꝛc. 41 8090 6 Außerdem sind an einmaligen

Zuschüssen zu verschiedenen Dispositionsfonds der landwirth⸗

schaftlichen Verwaltung 350 000 M6. im Extraordinarium des Etats ausgebracht.

Für die Gestütverwaltung 96 680 M6 veranschlagt.

sind Mehrausgaben von

Bei der Verwaltung der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal⸗Angelegenheiten erhöht sich die dauernde Ausgabe um 1 857 314 6. Insbesondere sind mehr vorgesehen für die Universitäten 82 304 S6, für das Elementarunterrichtswesen 1330 588 S, darunter bei dem Fonds zur allgemeinen Er⸗ leichterung der Volksschullasten 000 Mνυς, zu Dienstalters ulagen für Volksschullehrer und Lehrerinnen 380 9000 , zu . für Lehrer und Lehrerinnen an öffentlichen Volks schulen 200 000 S6 Die Ausgaben für Kultus und Unter— richt gemeinsam sind um 273 047 M erhöht. Bei diesen Aus—⸗ aben erwächst insbesondere ein Mehr von A4 739 S an taatszuschuß zu dem Pfarr⸗Wittwen⸗ und Waisenfonds behuft Anschlusses der evangelischen Landeskirchen der neuen Provinzen an diesen Fonds.

Von den einmaligen und außerordentlichen Aus⸗ gaben entfallen auf die Betriebs verwaltungen 33 327 468 , auf die eigentlichen Staatsverwaltungen 28 931 926 C Bei den einmaligen und außerordentlichen Ausgaben der Eisenbahn⸗ Verwaltung sind 9 600 000 6 zur Vermehrung der Betriebs⸗ mittel für die bereits besteyenden Bahnen ausgebracht; es ent⸗ spricht dies dem vom Landtag in der Session 1892 gefaßten Beschlusse, durch welchen die Staatsregierung aufgefordert wurde, darauf Bedacht zu nehmen, daß thunlichst bald die bisher aus Anleihemitteln bestrittenen Ausgaben dieser Art im Staatshaushalts⸗Etat ausgebracht würden.

Deutscher Reichstag. 15. Sitzung vom Dienstag, 15. Januar.

Der Sitzung wohnen bei der Staatssekretär, Staats— Minister von Boetticher und der Staats⸗Minister Freiherr von Berlepsch.

Das Haus tritt in die Besprechung der Interpellation des Abg. Freiherrn Heyl zu Herrnsheim (nl), betreffend die reichsgesetzliche Einrichtung von Handwerker⸗ oder Gewerbekammern, ein.

Abg. Hitze (Zentr.): Die hier vorliegende Frage ist keine Partei⸗ frage. Auch meine Partei wollte die vorliegende Interpellation ein⸗ bringen und wurde nur durch die Geschäftslage des Hauses zunächst davon abgehalten. Ich freue mich, daß die nationalliberale Partei nunmehr den gleichen Standpunkt zu der Frage der Organisation des Handwerks einnimmt wie wir. Auch für die vom Bundesrathstisch gestern gegebenen sympathischen Erklärungen bin ich sehr dankbar, wenn ich auch den verbündeten Regierungen den Vorwurf nicht er— sparen kann, daß sie in dieser Angelegenheit eine unbegreifliche Ver— zögerung haben eintreten lassen. Ich erkenne an, daß die sogenannten Berlepsch'schen Vorschläge einen Fortschritt bedeuten; aber wie stellen sich die verbündeten Regierungen zu diesen Vorschlägen? Was sie aus diesen Vorschlägen entnehmen werden, das ist uns nicht gesagt worden. Wenn ich etwas zu tadeln hätte, so wäre es der Umstand, daß nicht, wie es sonst wohl bei wichtigen Fragen geschieht, die Minister aller deutschen Staaten gehört worden ö. as die An⸗ ordnung neuer statistischer Erhebungen betrifft, so ist das die gewöhnliche Art und Weise, Zeit zu gewinnen. Der Staatssekretär Dr. von Boetticher hat am Montag aber zu meiner Freude zugesagt, daß die Vorlage uns noch in dieser Session beschäftigen werde. Ich nehme diese Zu⸗ sage dankbar an; denn es ist ein dringendes Erforderniß, daß das Handwerk eine Interessenvertretung erhält. Die Bedingung unserer Zustimmung ist, daß durch diese Organisation die Innungen nicht verdrängt, sondern ergänzt werden. Die Innungen sind eine alte historische Institution, die gewahrt werden muß. Die ab⸗ lehnende Haltung der verbündeten Regierungen zur Frage der obligatorischen Innungen und des Befähigungsnachweises bedauere ich sehr. Da hat die bayerische Abgeordnetenkammer, welche wenigstens den Befähigungsnachweis angenommen hat, eine bessere Fühlung mit dem Volke. Die Organisation des Handwerks ist auch nothwendig zum Ausbau der sozialen Gesetzgebung. Aber nur keine neue Organi⸗ sation. Wir leiden schon jetzt an einer Ucberproduktion an Organi⸗ sationsformen. Den verbündeten Regierungen möchte ich die Auf⸗ forderung zurufen, den Worten endlich Thaten folgen zu lassen; dem a . aber möchte ich zurufen: Verliert nicht den Muth! Be—

arrlichkeit führt zum Ziele!

Abg. Richter (fr. Volksp.): Ich bin kein Freund der Hand— werkerkammern weder im Sinne der Nationalliberalen, noch in dem Sinne des Vorredners. Für den Vorredner sind sie nur eine erste Abschlagszahlung. Ich denke vom Handwerk garnicht so schlecht, daß ich annehme, sein Schicksal hängt von dieser oder jener Gesetz⸗ gebung ab. Ich bin ein Gegner jeder amtlichen Organisation von Berufs, und Sonderinteressen. In unserer Zeit machen sich Sonder⸗ interessen überall in so dreister Weise geltend, daß das Wohl des Ganzen von jenen überwuchert wird. Die Handwerker⸗ kammern sind nur eine formale Einrichtung, die die Schreiberei nicht werth ist. Das freie Vereinswesen bietet Spielraum genug, die Interessen des Handwerks zu fördern. Den Vereinen müßte nur die Erlangung der Korporationsrechte erleichtert werden. Der Interpellant hat die Bedeutung des Zwangs ganz über Gebühr hervorgehoben. Mit der Reichs⸗Versicherungsgesetzgebung ist man in Deutschland nicht so einverstanden und nicht so zufrieden, wie es dargestellt wird. Die Landwirthschafts kammern sind nur schwer im Abgeordnetenhause zu stande gekommen, und die Landwirthe vereinigen f in Zentral vereinen und Ausschüssen, damit die Regierung sie mit den Kammern möglichst verschone. Die Handelskammern, die man hier eben⸗ falls angeführt hat, datieren schon seit 1848, aus einer Zeit, wo es noch kein Vereinswesen gab. Sie haben sehr wenig Macht; sie haben weder die Umgestaltung des Zolltarifs zu verhüten, noch die neue Handelsvertragspolitik einzuleiten vermocht. Niemand hat bisher zu sagen vermocht, wo das Handwerk anfängt. Solange man nicht dazu übergeht, die Handelskammern zu beseitigen, halte ich es für richtig, auch das Handwerk in diese aufzunehmen. Man erkläre alle, die Gewerbesteuer zahlen, für wahlberechtigt zu den Handelskammern. Die Vorschläge zur Organisation des Handwerks sind aus den Berlepsch'schen Plänen herausgerissen. Diese Pläne bildeten wenigstens ein Ganzes. Die Fachgenossenschaften, die Regelung der Lehrlings⸗ frage fehlen bei den von dem Staatssekretär Dr. von Boetticher an⸗ geführten Vorschlägen ganz, obwohl gerade die Fachgenossenschaften von Bedeutung sind. Der Staatssekretär Dr. von Boetticher hat eben die Berlepsch'schen Pläne nicht adoptiert. Und wie steht es mit der Gehilfenvertretung? Wenn Sie eine Organisation der Arbeit- geber schaffen, so können Sie garnicht ablehnen, auch eine Orga⸗ nisation der Arbeitnehmer aufzustellen, auf die Gefahr hin, daß die Sozialdemokratie sich derselben bemächtigte. Der Abg. Hitze sprach sich für die Handwerkerkammern aus, erklärte aber, daß die Innungen durch sie nicht geschädigt werden dürften. Und doch bedeuten die Handwerkerkammern nichts weiter, als die Trockenlegung des Innungswesens. Man will jetzt die Innungen mit den Handwerkerkammern dadurch befreunden, daß man den ersteren eine Präzipualpertretung in den Kammern ein⸗ räumt. Das bedeutet die Aufrichtung eines Gegensatzes zwischen Innungsmitgliedern und Nichtinnungsmitgliedern, wie er schlimmer nicht gedacht werden kann. Der Gefammkeindruck der Stellungnahme des Staatssekretärs Dr. von Boetticher zu der Frage ist der, daß er das jüngste Kind der Liebe für das Handwerk gleichfalls nicht für recht entwickelungsfähig hält. Er will erst die Handwerkerkammern aufbauen und dann sehen. Das Ganze ist nur ein Akt der Verlegenheit. Ich mache den Herren von der Regierung gar keinen Vorwurf daraus, daß sie mit ihrem Latein zu Ende sind; denn ich halte es überhaupt für unmöglich, auf dem Wege staatlicher Organisation die Lage eines Berufsstandes zu bessern. Da kann nur Selbstthätigkeit, das Anspannen aller Kräfte helfen. Der Vorschlag der Handwerkerkammern scheint mir der Beginn des

weiter

Rückwärtsorganisierens zu sein. in

hafte ist, daß

Die zünftlerischen Handwerksmeister

d durch eine falsche Politik auf Irrwege geleitet worden; je eber Her Zopf abstreifen, desto eher wird das Handwerk wieder den goldenen Boden gewinnen.

Bevollmächtigter zum Bundesrath, preußischer Minister für Handel und Gewerbe Freiherr von Berlepsch:

Die Ausführungen des Herrn Vorredners machen es mir sehr leicht, den Standpunkt der verbündeten Regierungen und insbesondere den Standpunkt der preußischen Regierung dahin zu kennzeichnen, daß er denjenigen viel näher steht, die eine Organisation des Handwerks wünschen, als dem des Herrn Abg. Richter. (Sehr gut! rechts und in der Mitte) Und was er ausgeführt hat, hat uns in keiner Weise überrascht, meine ich; seinen wirthschaft⸗ lichen Anschauungen entsprach es immer, daß der Mensch mit seinen eigenen Kräften im Leben sich durchzuringen hat, daß alle Mittel der Gesetzgebung nicht dazu helfen können, den wirthschaftlich. Schwachen zum wirthschaftlich Starken zu machen. Kurz, er hat heute wieder vertreten, was wir im allgemeinen die manchesterliche Anschauung nennen (sehr richtig!) so klar und deutlich, wie es bisher von ihm, wie ich gern zugebe, in konsequentester Weise bei allen Anlässen geschehen ist. (Sehr richtig!

Der Herr Abg. Richter hat seine Ausführungen damit begonnen, daß er gesagt hat, es handelt sich jetzt nicht darum, etwas Neues, für das Handweik Nützliches zu schaffen, sondern vielmehr darum, zu verbindern, daß etwas Falsches geschieht, und dieses Falsche hat er in den Vorschlägen einer Organisation des Handwerks gefunden.

Der Herr Abg. Richter ist dann weiter dazu übergegangen, es überhaupt als falsch zu erklären, daß gewerbliche und irgend welche sonstige Interessen amtlich oder vielmehr staatlich, gesetzlich organisiert werden. Er hat ausgeführt, es ist falsch, die Hand⸗ werker gesetzlich zu organisieren; es ist falsch, die Landwirth⸗ schaft in Kammern zu organisieren; es ist und war falsch, den Handel und das Gewerbe in Handelskammern zu organisieren. Er geht, wie gesagt, überall von der Anschauung aus: was gesund ist, bleibt gesund trotz aller Gesetze, und was schwach und kränklich ist im wirthschaftlichen Leben, bleibt schwach und kränklich trotz aller Gesetze. Auf diesem Standpunkt allerdings haben die verbündeten Regierungen und die preußische Regierung seit langen Jahren nicht mehr gestanden. Die ganze Richtung der deutschen und preußischen Wirthschaftspolitik geht dahin, daß es die Aufgabe der Staatsverwaltung ist, dem wirthschaftlich Schwächeren, soweit es möglich ist, auf dem Wege der Gesetzgebung zu Hilfe zu kommen.

Der Herr Abg. Richter ist der Meinung, daß man auch einen Fehler gemacht habe, als man das Handelt kammergesetz gemacht hat; er glaubt, daß die Absicht, die meinerseits vorläge, aus den Handels—⸗ kammern obligatorische Gebilde zu machen, etwas Neues sei. Ich halte das nicht für richtig. Die Handelskammer in Preußen ist ein obli—⸗ gatorisches Gebilde, zwar nicht in dem Sinne, daß das ganze Staats—⸗ gebiet in Handelskammern eingetheilt ist, aber wohl in dem Sinne, daß da, wo eine Handelskammer besteht, sie auch obli⸗ gatorisch für die Handel⸗ und Gewerbetreibenden ist, das heißt, sie müssen in diese Kammer eintreten und müssen mit ihren Mitteln zu deren Lasten beitragen. Das letztere Moment ist eines der schwerwiegendsten und bedeutendsten auch für die Hand— werkerfrage, und ich bin fest überzeugt, daß unsere Innungen ihr Ziel wesentlich deshalb nicht erreicht haben, weil sie nach ihrer Mitglieder⸗ zahl und nach ihren finanziellen Kräften nicht stark genug gewesen sind, um ihre an sich verständigen Ziele zu erreichen. (Sehr richtig) Das soll nach der Anschauung der Staatsregierung und nach der meinen anders werden, und es kann dann anders werden, wenn eine Organisation des Handwerks eingeführt wird, die innerhalb bestimmter räumlicher Be⸗ zirke die Genossen eines Handwerks zusammenführt und auch die widerstrebenden nöthigt, zu den Ausgaben und Kosten beizutragen, die eine verständige Handwerkervertretung im Interesse des Handwerks für nothwendig findet. Mich des häheren über die Frage der Handelskammern, welche der Herr Abg. Richter berührt hat, jetzt schon auszulassen, scheint mir nicht an der Zeit zu sein. Ich habe vor kurzem Fragen an die Handelskammern gerichtet, mir ihre Mitwirkung bei der Neuordnung der Gesetzgebung über die Handelskammern erbeten. Momentan sind die Dinge, meiner Auffassung nach, noch viel zu flüssig, als daß ich mich schon in eine Diskussion über diese Frage einlassen sollte. Das halte ich hier umsoweniger für angezeigt, als sie meinerseits auf den preußischen Staat beschränkt ist, nicht auf das Deutsche Reich auszu⸗ dehnen versucht wird.

Der Herr Abg. Richter hat das als Fehler bezeichnet, wenigstens dann als Fehler, wenn man mit dem Gedanken umgeht, für das Hand werk Organisationen für das ganze Reich zu errichten. Das habe keinen Sinn. Der Grund, aus dem ich mich auf Preußen zu beschränken beabsichtige, ist kein prinzipieller. Ich bin durchaus kein Gegner des Gedankens, daß Handel und Gewerbe eine ähnliche Organisation durchweg durch ganz Deutschland finden, im Gegentheil, halte ich das für durchaus richtig, weil, wenn in irgend welchem Berufsstand die Landesgrenzen die Vertretung gemeinsamer Interessen nicht aufhalten, das im Handel und Gewerbe der Fall ist. Daß ich die Organisation der Handels⸗ kammern auf Preußen beschränken will, das liegt wesentlich daran, daß nur in Preußen die Organisation eine derartig lücken⸗ in weiten Gebieten des Landes Handelskammern überhaupt nicht bestehen, während im ganzen übrigen Deutschen Reich, ich glaube, mit Ausnahme einiger weniger kleinerer Staaten, eine vollständig und fertig ausgebildete Handelskammer Organisation vorhanden ist. Indessen, wie gesagt, es sind Dinge, über die man später noch oftmals Gelegenheit haben wird, sich zu unterhalten. Aber gegen eines muß ich mich doch verwahren, dagegen nämlich, daß der Herr Abg. Richter die bestehenden Handelskammern als vollständig bedeutungslose Organe bezeichnet. Dagegen muß ich mich und die Handelskammern aufs allerentschiedenste verwahren. (Sehr richtig!? Sie sind durchaus sachverständige, der Regierung im böchsten Grade nützliche Organe. Wenn der Herr Abgeordnete den Dandelskammern einen Vorwurf daraus macht, daß nicht sie es waren, die die großen wirthschaftlichen Bewegungen ins Leben gerufen haben, weder zu der Zeit, als die Schutzzollpolitik von 1879 eingeleitet wurde, noch zu der Zeit, als die Handelsverträge im Gange waren so ist meines Erachtens dieser Vorwurf ungerechtfertigt.

. Die Initiative zu solchen großen Bewegungen ist in die Hände derjenigen zu legen, die die Verantwortung der Regierung tragen. Ader ohne die sachverständigen Gutachten der Handelskammern, die oft genug Veranlassung zur Einleitung bedeutender wirthschaftlicher

Maßregeln gegeben haben, war diese Initiative nicht möglich. Wir haben immer nur Veranlassung gehabt, ihnen dankbar zu sein für die außerordentlich fleißige, hingebende Thätigkeit, die namentlich die größeren Handelskammern entfaltet haben.

Meine Herren, daß nicht jede kleinere Handelskammer für die preußische Regierung dasselbe leisten kann wie eine größere, liegt ein⸗ fach an den Verhältnissen eines kleinen Bezirks, in dem die Ver— schiedenartigkeit der Interessen nicht sehr bedeutend ist, in dem be—⸗ deutend weniger gewerbliche Unternehmungen existieren, die vor allen Dingen nicht in der Lage sind, die hohe Besoldung eines tüchtigen Handelskammer. Sekretärs zu bezahlen, der, wie es in der Natur der Dinge liegt, unerläßlich ist, wenn es sich um eine verständige, tiefere Behandlung großer wirthschaftlicher Fragen und den Ausdruck der Wünsche und Meinungen der der Handelskammer zugehörigen Mitglieder handelt. ;

Nun, meine Herren, ist hier so vielfach von den Vorschlägen die Rede gewesen, die ich mir gestattet habe im Laufe des vorigen Som⸗ mers der Oeffentlichkeit vorzulegen, daß ich doch genöthigt bin, mit einigen Worten darauf einzugehen.

Dem Herrn Abg. Richter muß ich zu meinem Bedauern zunächst eine Enttäuschung bereiten. Er ist nämlich der Ansicht, daß der Herr Staats⸗-Minister von Boetticher diese Vorschläge, zum großen Theile wenigstens, zurückweise, sie sich jedenfalls nicht zu eigen mache. Meine Herren, diese Vorschläge sind aber vom Herrn Staatssekretär von Boetticher und von mir gemeinsam ausgearbeitet und allerdings nur von mir den preußischen Handelskammern der Oeffentlichkeit unterbreitet. Er hat dieselben mitbearbeitet und wir sind beide von der Voraussetzung dabei ausgegangen, daß es sich nicht um definitive Vorschläge handle, sondern im wesentlichen nur um eine Grundlage für die Besprechung der wichtigen Fragen, die zunächst in Angriff genom— men werden müssen, wenn man überhaupt an eine Aenderung der Ge⸗ setzgebung für das Handwerk herangehen will, also vor allem der Frage der Organisation und der Regelung des Lehrlingswesens. Sie hatten nicht den Zweck, definitive gesetzgeberische Arbeit zu liefern, sondern den Zweck, als Grundlage für die öffentliche Diskussion zu dienen, als Grundlage zu dienen für die Berichte der Behörden, die unsererseits eingefordert wurden. Auch für mich waren sie nicht solche, an denen ich unter allen Umständen festzuhalten gewillt war. Aber eines ging unzweifelhaft daraus, daß ich sie unter meinem Namen veröffentlichte, hervor: daß meiner Auffassung nach ohne eine Organisation des Handwerks, und zwar ohne eine Organi—⸗ sation des Handwerks, die alle Handwerker, auch diejenigen, die widerstreben, umfaßt, an eine Gesundung der Verhältnisse nicht gedacht werden kann. (Sehr richtig! rechts.)

Ich ging weiter von der Auffassung aus, daß nur organisierte Handwerkervertretungen in der Lage sind, das zweite wichtige Moment in die Hand zu nehmen, nämlich die Abänderung der Lehrlingsbildung, der besseren Erziehung und Ausbildung der Lehrlinge, die nach meiner Auffassung und, wie ich sehr wohl weiß, in sämmtlichen Kreisen des organisierten Handwerks nicht als genügend anzusehen ist.

Nun, meine Herren, ist vielfach behauptet worden, diese Vor— schläge seien überwiegend auf Widerspruch und Abneigung ge— stoßen. Ich kann das nicht ganz zugeben. Ich habe selbstverständlich jede Kritik sorgfältig verfolgt, ich habe alles das sorgfältig verfolgt, was in Handwerkerkreisen und andern gewerblichen Kreisen über die Vorschläge gebracht worden ist, und muß doch daraus konstatieren, daß zunächst die Frage der besseren Gestaltung der Lehrlings— erziehung nicht auf Widerspruch, sondern auf Zustimmung ge— stoßen ist. Zweitens, meine Herren, in Betreff der Frage der Organisation ist es mir nicht zweifelhaft, daß die Kritik, mit Ausnahme selbstverständlich derjenigen Richtung, die der Herr Abg. Richter vertritt, vorwiegend dahin sich ausgesprochen hat, daß, wenn sie auch mit der Art der Vorschläge, mit der Art und Weise der Durchführung nicht ganz einverstanden war, sie doch mit dem Prinzip der Zwangsorganisation im wesentlichen einverstanden war. (Sehr wahr! rechts.) Diese Zustimmung hat sich in den politischen Parteien, die schon früher der Handwerkerfrage näher getreten sind, unzweifelhaft ergeben; sie hat sich ergeben aus den Kreisen des organisierten Handwerks und sie hat sich endlich ergeben auch aus gewerblichen Kreisen, die nicht so wie die Innungen auf der Frage der Handwerkerorganisation von je her bestanden haben. Ich erinnere an den Tag der gewerblichen Vereini⸗ gungen in Eisenach, die zwar keine definitive Stellung zu dieser Frage genommen, sich aber jedenfalls nicht ablehnend gegenüber der Zwangs⸗ organisation der Handwerker ausgesprochen haben. Nun, meine Herren, hat der Herr Abg. Richter bemerkt, daß die Regierung von diesen früheren Vorschlägen gänzlich zurückgewichen sei, und sie nur die Frage der Handwerkerkammern aus den verschiedenen Vorschlägen herausgerissen habe man schweige sich über die Fachgenossenschaften, die damals vorgeschlagen seien, aus, und man sei aus Verlegenheit, um doch irgend etwas zu thun, dazu übergegangen, die Handwerkerkammern vorzuschlagen. Die Sache liegt doch etwas anders. Es kann kein Zweifel sein, daß den Bedürfnissen des Handwerks durch die Errichtung von Handwerker kammern allein nicht genügt werden kann (sehr wahr! rechts), und dem liegt meines Erachtens eine sehr einfache Erwägung zu Grunde. Zunächst ist eine solide, festliegende Basis für die Hand⸗ werkerkammern schon deshalb nothwendig, weil sonst die Wahl der⸗ selben und ihre Zusammensetzung schwerlich in einer geeigneten Weise sich würde verwirklichen lassen, und zweitens ist diese Basis in einer anderen Richtung noch viel nothwendiger. Es ist ganz un— möglich, daß, da die Handwerkerkammern nicht in jedem kleinen Ort errichtet werden können, wenn sie eine gewisse Bedeutung haben sollen, sie einen Einfluß auf das Lehrlingswesen ausüben, wenn sie nicht als Grundlage eine Organisation haben, deren sie sich bedienen können, um das Lehrlingswesen zu regeln und zu überwachen. (Sehr wahr! rechts.) Das ergiebt sich meines Erachtens ganz von selbst, und wenn jetzt die Regierung Ihnen zunächst nur vorschlägt, Handwerkerkammern zu er⸗ richten, so will sie durchaus nicht die Richtigkeit des Satzes be⸗ streiten, daß ohne die Unterlage einer ordentlichen Organisation, ohne eine Organisation, die die Handwerksbetriebe in engeren Bezirken nach ihren einzelnen Arten zusammenfaßt, eine Handwerkerkammer keine Bedeutung hat. Aber für die Frage der Errichtung von Hand— werkerkammern ist das Feld sehr viel freier; für die Frage der ört⸗ lichen Organisation ist das Feld noch nicht sofort frei. Man ist nach meiner Ueberzeugung in der Lage, dem Reichstag noch in dieser Session einen Gesetzesvorschlag über die Handwerkerkammern vorzulegen, der ihn befriedigen wird, wenn auch deren Bildung nach

mancher Richtung nur eine provisorische ist, während die Frage des Unterbaus für diese Handwerkerkammern noch eine Reihe von Er⸗ hebungen erfordert.

Der Herr Abgeordnete Hitze hat bemerkt, er könne nicht erkennen, was Handwerkerkammern und statistische Erhebungen hier für eine nothwendige Berührung haben. Ich will mir ge⸗ gestatten, ihm in dieser Beziehung eine Aufklärung zu geben, die, wie ich hoffe, ihn befriedigen wird. Meine Herren, für die Handwerkerkammern halten wir statistische Erhebungen nicht für noth⸗ wendig. Das ersehen Sie daraus, daß, wie ich hoffe, der Gesetzent⸗ wurf Ihnen noch in dieser Session vorgelegt wird; dagegen sind eine Reihe von statistischen Erhebungen nothwendig, wenn man an die Frage herantritt: wie soll der Unterbau für diese Handwerkerkammern beschaffen sein? Es liegt in meiner Absicht nicht, eine statistische Erhebung so zu veranstalten, daß sie in jahrelangem Hingehen ver—⸗ zögert wird und erst nach langer Zeit ein Bild geben wird über diejenigen Verhältnisse des Handwerks, die hier für uns zur Frage, zur Beurtheilung stehen. Man könnte ja eine solche Erhebung mit der bevorstehenden gewerbestatistischen Erhebung verbinden. Meine Herren, ich bin nicht der Meinung, daß das richtig wäre; denn die Folge davon würde die sein, daß wir das Resultat vor drei bis vier Jahren nicht vor uns haben. Die Er⸗ hebungen, die nothwendig sind, um sich über die Frage klar zu werden, wie die Unterlagen der Handwerkerkammern zu gestalten seien, lassen sich in erheblich kürzerer Zeit beschaffen.

Ich will mir gestatten, kurz zu sagen, welche Fragen in dieser Beziehung zu stellen sind. Ich habe meine Wünsche im preußischen Staats⸗Ministerium bereits zur Geltung gebracht, und dort Zu⸗ stimmung gefunden. Ich bin der Ansicht, daß Erhebungen über fol⸗ gende Punkte in örtlich begrenzten Bezirken nothwendig sind:

I) Gesammtzahl der selbständigen Handwerker, eingetheilt nach den verschiedenen, von ihnen betriebenen Handwerken;

2 Zahl der selbständigen Handwerker, die der Regel nach mit Hilfspersonen arbeiten, unter Angabe ihrer Vertheilung auf die einzelnen Handwerke;

3) Zahl der Gesellen und

) der Lehrlinge, die von den zu 2 ermittelten Handwerkern der Regel nach beschäftigt werden;

5) Welche Handwerke werden

a. gewöhnlich gleichzeitig betrieben? oder b. sind nach örtlichem Brauch als verwandte zu betrachten?

6) Zahl der Fälle, in denen es nach Lage der Dinge im ein zelnen zweifelhaft gewesen ist, ob ein handwerksmäßiger oder ein Fabrikbetrieb in Frage steht.

Die letztere Frage halte ich deswegen für wünschenswerth, um festzustellen, ob wirklich die Abgrenzung des Handwerksbetriebs gegen⸗ über dem Fabrikbetrieb so schwierig ist, daß sie nicht gelöst werden kann. Daß sie schwierig ist, erkenne ich an, sie ist sogar sehr schwierig; aber für so schwierig, daß sie nicht gelöst werden kann, halte ich sie nicht. Der Herr Abg. Hitze hat, meiner Erinnerung nach, einmal ausgesprochen: vielleicht ist in 95 Fällen von 100 die Frage ganz klar, wer Handwerker ist, in fünf Fällen ist sie vielleicht zweifelhaft; soll man, hat der Herr Abgeordnete damals gesagt, wegen dieser fünf Fälle die anderen 95 von der Organisation ausschließen? (Sehr richtig! rechts.)

Ich halte diesen Satz nicht für unrichtig und ich bin der Ueber— zeugung, daß, wenn man an Ort und Stelle an die Frage geht, ob ein Handwerker als Fabrikant oder als Handwerker anzusehen ist, die Praxis in der Regel eine genügende Antwort an die Hand giebt. Ich will nicht bestreiten, daß auch da noch eine Reihe von Schwierigkeiten vorliegen werden, aber, wie gesagt, für so schwierig, daß sie sich in der Praxis nicht entscheiden ließe, halte ich die Frage nicht.

Meine Herren, aus der Gestaltung dieser Fragen mögen Sie entnehmen, daß sie wesentlich darauf gerichtet sind, wie die Unter⸗ lagen der Handwerkerkammern beschaffen sein sollen, wie die örtliche Organisation des Handwerks sich gestalten muß, ob für sie, und wo für sie das genügende Material vorhanden ist, um ihr eine Reihe von Aufgaben zuzuweisen, besonders im Gebiete des Lehrlingswesens, die nach meiner und nach der Meinung des preußischen Staats—⸗ Ministeriums ihr zuzuweisen sind.

Nun, meine Herren, was die Dauer einer solchen Erhebung an—⸗ langt, so bin ich der Meinung, daß wir vielleicht im Laufe von sechs, sieben Monaten sie abgemacht haben können. Wir haben einen Vor⸗ gang in dieser Beziehung. Ich erinnere an die vortrefflich eingeleitete und ausgeführte badische Enquéte, die 1885 stattgefunden hat und die auch von Herrn Freiherrn von Heyl in seinem Vortrage von gestern erwähnt ist.

Meine Herren, die badische Enquste erstreckte sich über erheblich viel mehr, sie beschäftigte sich mit der Lage des Handwerkerstandes nach allen Richtungen hin: ob der Handwerker noch eine befriedigende Existenz habe, wie sein Kundenkreis beschaffen sei, ob Baarzahlung oder nicht Baarzahlung Gewohnheit sei u. s. w. Es waren 16, 17, 18 oder noch mehr Fragen, die in dieser badischen Enguste erörtert worden sind. Sie fand in zwei Bezirken, einem städtischen, Mannheim, und einem ländlichen, Asheim, statt. Die Enquéte ist in beiden Fällen in etwa sechs Monaten beendigt worden. Ich darf daraus mit Recht den Schluß ziehen, daß, wenn wir auch ein größeres Gebiet vor uns haben und eine größere Zahl von Personen, die in jedem Bezirk mit der Erhebung betraut werden, doch diese wenigen Fragen, die hier auf⸗ geworfen worden sind, in einem nicht viel längeren Zeitraum beantwortet sein können, sodaß ich die Hoffnung durchaus nicht aufgebe, daß, wenn Ihnen in diesem Jahre ein Gesetzentwurf über die Hand⸗ werkerkammern vorgelegt wird, Ihnen im nächsten Jahre ein Gesetz⸗ entwurf über die Frage der weiteren Organisation des Handwerks vorgelegt werden kann. Es wird dann allerdings in hohem Grade wünschenswerth sein, die Handwerkerkammern in Funktion zu haben, damit diese Organe der Regierung in der Begutachtung der weiteren Pläne zur Seite stehen.

Meine Herren, die zunächst in Aussicht genommene Errichtung der Handwerkerkammern ist hiernach kein Akt der Verlegen⸗ heit; meines Erachtens ist sie ein ganz überlegter Akt. Sie kann augenblicklich und sofort erfolgen und das soll geschehen. Die Frage der Gestaltung der Unterlage der Handwerker⸗ kammern steht noch nicht so klar, für diese müssen noch erst einige Erhebungen angestellt werden. Wie gesagt, meine Hoffnung geht dahin, daß in Jahresfrist diese Erhebungen beendigt sein werden, sodaß man mit weiteren gesetzgeberischen Vorschlägen kommen kann. Meine Herren, ich hoffe, auch Sie werden aus meinen Worten

ersehen haben, daß die Regierung sich nicht mit vlatonischen Wohl⸗