1895 / 29 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 01 Feb 1895 18:00:01 GMT) scan diff

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eine Rechnung anstellen so: 10 Abgeordnete sind bier, welche pro⸗ testlerischen Charakters sind, wie Herr Preiß sagte ich gebrauche den Ausdruck nicht, ich bin weit entfernt davon und b sind, die sich mit den Verhältnissen assimiliert haben. Das ist doch eine ganz falsche Anwendung der Statistik; dann müssen Sie doch die Ziffern der unterliegenden und der siegenden Parteien gegeneinander rechnen und sagen: so viel aus dem Kreise haben für den Gegenkandidaten gestimmt und so viel für den, der gesiegt hat. Nur daraus kann man sich ein annäherndes Bild der herrschenden Anschauungen machen. Der Herr Abg. Preiß sagte, er selber vertrete einen Wahlkreis von so und so viel Einwohnern. Ja, weiß denn Herr Preiß nicht, daß er überhaupt nur, wenn ich nicht irre, mit 42 Stimmen Majoritãt gewählt ist? (Große Heiterkeit.) Also er kann doch nicht von dem ganzen Wahlkreis sprechen, sondern nur von den Wählern abzüglich derer, die seinen Vorgänger, Herrn Ruhland, einen sehr würdigen Herrn des Reichslandeg, gewählt haben. (Lebhafte Zwischenrufe; Glocke des Präsidenten Ih meine nun, diese Statistiken aus dem Reichsland über die Wahlziffern führen zu unrichtigen

Schlüssen. Ebenso, wenn jemand darus, daß in Straßburg ein Sozialdemokrat gewählt ist, schließen wollte, daß Straßburg sozial⸗

demokratisch ist. Wenn man das einem Straßburger sagt, der lacht einem ins Gesicht. Jeder Straßburger weiß ganz genau, und ebenso jeder, der die Straßburger Verhältnisse kennt: es giebt da 10 000 Wähler, 5000 sind, die sich mit den deutschen Ver⸗ hältnissen vereinigt haben, die den deutschen Verhältnissen wohl⸗ gesinnt sind, die jedem Kandidaten, der national deutsch ist, ihre Stimme geben; den Unterschied zwischen konservativ, reichsparteilich, nationalliberal kennen wir in Elsaß ⸗Lothringen nicht also rund Sooo nationale Stimmen; 2000 etwa sind katholische Stimmen und nicht ganz 3000 sozialdemokratische. (Zuruf. Nicht 6000, Herr Bebel! (Große Heiterkeit) Bei der Wahl waren demgemäß 5000 Stimmen für den nationalen Kandidaten abgegeben, nicht ganz oder etwas über 3000 für den sozialdemokratischen (Zuruf); ich komme gleich auf die 6000 und die anderen 2000 warteten bis zur Stichwahl. Nun, meine Herren, in der Stichwahl wurde Herr Bebel gewählt. Nun kann der Herr Abg. Bebel, wenn er ehrlich ist (Heiterkeit links), doch wohl nicht be⸗ haupten, daß die 6000 Stimmen, die ihm gegeben worden sind, von lauter Sozialdemokraten herrühren; Sie können ganz Straßburg auf den Kopf stellen, Sie finden keine 6000 Sozialdemokraten. Aber da sind die Herren, die in Straßburg auch fortgesetzt die Un⸗ zufriedenheit schüren. Es giebt ja Leute, die nicht nur in ihrer eigenen Heimath, sondern auch außerhalb Unzufriedenheit schüren. Es giebt auch Leute, die sogar hier im Reichstag sich nicht scheuen, Unzufriedenheit in ihren eigenen Reihen zu erregen. (Heiterkeit und Zurufe links) Ja wohl, meine Herren, ich nenne keine Namen. Das interessiert ja auch nicht.

Meine Herren, diese Uebertreibungen, deren der Herr Abg. Preiß er wolle mir den Ausdruck nicht übel nehmen, ich weiß keinen andern zu finden sich schuldig gemacht hat, nützen in der That dem Lande, das er vertritt, nichts. Wenn Sie, meine Herren, vorhin gehört haben, daß der Herr Abg. Preiß erklärte, die Regierung sage: wählt doch einmal 6, oder 12, oder 15 Kreisdirektoren in den Reichstag, dann werden wir schon den Diktaturparagraphen aufheben, so kann ich Ihnen sagen, meine Herren, so liegt die Sache nicht, das ist niemals verlangt und niemals gewünscht worden und wird auch, glaube ich, in Zukunft nicht gewünscht werden. Aber, meine Herren, wenn Sie die Be⸗ seitigung des Diktaturparagraphen ernstlich wollen und wünschen, dann kommen Sie hier nicht in den Reichstag her und halten Sie solche Reden, die einmal die Verhältnisse falsch schildern, die in diesem Hause ein ganz falsches Bild von Elsaß⸗Lothringen geben und die, was das allerschlimmste ist, in Ihrer Heimath die Leidenschaften auf⸗ regen, während die Regierung mit Glück und Erfolg bis jetzt bemüht gewesen ist, auch gegen die Hetzereien der Agitatoren die Leidenschaften in Elsaß Lothringen zu beschwichtigen und ein glückliches und fried⸗ licheres Verhältniß im Laufe der Jahre zwischen Deutschland und Elsaß Lothringen anzubahnen. Eebhaftes Bravo rechts.)

Abg. Prinz zu Hohenlohe⸗Schillingsfürst (b. k. F.): Der Abg. Guerber hat erwähnt, ich hätte nach meiner Wahl mich dahin geäußert, ich hielte den Diktaturparagraphen für enthehrlich. Das 6 nicht richtig. Ich habe nur erklärt, daß ich die Rückkehr zu normalen Verhältntssen in Elsaß Lothringen für wünschenswerth er⸗ achte, namentlich hinsichtlich der Abschaffung der noch bestehenden . veralteten französischen . Ob das in abseh⸗ arer Zeit möglich sein werde, änge weniger von der Bevölkerung Elsaß⸗Lothringens als von den Verhältnissen in e rreff ab. Daß sich die Dinge in Elsaß ⸗Lothringen sehr gebessert aben, ist unbestreitbar. Der Reichskanzler und der Staatssekretär von Puttkamer haben der Bevölkerung das Zeugniß einer ruhigen und gesetzestreuen ausgestellt. Auch ich kann das nur bestätigen, aber es sst doch nicht zu bestreiten, daß in Frankreich vielfache Bestrebungen vorhanden find, die dahin zielen, die Gesundung der Verhältnisse in Elsaß Lothringen zu stören. Demgegenüber wird schwerlich in aller⸗ nächfler Zeit an die Aufhebung des Diktaturparagraphen zu denken sein, und zwar im Interesse der elsaß ⸗lothringischen Be—⸗ völkerung selbst. Die Mehrzahl dieser Bevölkerung regt sich wenig auf über die Frage des Diktaturparagraphen; die gan f , ist .

e das materielle Wohlergehen. Die Frage, ob der Wein gerathen ist oder der Taback, ist für sie viel wichtiger als die Frage nach dem Diktaturparagrayhen. Mit Recht! denn von diesem Para⸗ graphen verspärt die Bevölkerung sehr wenig, er i nur vielleicht für einige Leute unangenehm. Der Abg. Bueb hat zum Schluß seiner Rede gesagt, nach der nächsten Wahl, werde der Abgeordnete für egen sich mit dem Legationsrathstitel begnügen müssen. Vielleicht bin ich über die Zu⸗ kunft nicht so genau unterrichtet, wie der Herr Abgeordnete Bueb; ö. weiß nicht, ob meine Wähler mich wieder mit dem Mandate be⸗ ehren werden; aber wenn sie einen anderen Vertreter wählen, so bin 4 ganz sicher, daß es kein Sozialdemokrat sein wird. Dafür kenne ich die Bewohner dieses schönen Landes viel zu gut.

Abg. Lenzmann (fr,. Volktsp: Schon im Jahre 1885 bin ich

r die Aufhebung der Diktatur, Paragraphen eingetreten. Es läßt ich nicht leugnen, daß die Elsaß Lothringer anders behandelt werden als die 63 Deutschen. ir verlangen, daß sie die durch den Frankfurter Frieden , . Verhältnisse anerkennen; aber gerade, um dies zu erreichen, bekämpfen wir die Ausnahmestellun Effe Lothringens, welche die Fruchtbarmachung der . von 1870/71 hindert. Abg. Poe hlmann (Hosp. d. Rp.); Ich stehe auf dem Stand⸗ punkt des Abg. Höffel und halte es wie dieser im Interesse des engeren Anschlusses von Elsaß Lothringen an . land für wuͤnschenswerth, daß der Ausnahme- Zustand in Elsaß⸗Lothringen a.

öre. Gestehen will ich, daß das Auftreten des Abg. Preiß mir diese

tellungnahme wesentlich erschwert hat. Wenn man die Beibehaltung des Dlktatur ⸗Paragraphen wünscht, dann muß man so reden, wie es dieser Abgeordnete, gethan hat. Ich halte es für meine Pflicht, dem falschen Bilde, das dadurch hervor

erufen wird, ent , und protestiere im Namen der * rzahl der elfas-⸗kothringischen Bevölkerung gegen die Auslassungen des Abg. Preiß. Abg. Guerber hat erklärf, er und seine Freunde ständend an em Boden, des Frankfurter Frieden. Die Aut. führungen des Abg. Preiß widerskrechen dieser Erklärung dia⸗ metral' Die elfaß ⸗lothringische Bevölkerung nimmt ihr Inter. effe mehr und mehr Hand in Hand mit der Regierung wahr und es läßt sich nicht bestreiten, daß die . ung des Vertrauens zwischen Regierung und Bevölkerung eine Besserung der Verhãltnisse

bekundet. enn eine Abstimmung in Elsaß Lothringen über die Ausführungen des Abg. Pöffel und die des Abg. Preiß stattfnde, ich bin sicher, daß die Mehrheit auf Seite der ruhigen Aus führungen des

Abg. Höffel treten würde. Es ist ja richtig, daß in einzelnen Schichten der Bepslkerung die Aufhebung des Diktatur · Paragraphen gewünscht wird; die große Mehrzahl der Bevölkerung aber läßt sich dur das Bestehen dieses Paragraphen, von dem sie nichts merkt, die Lebens⸗ freude nicht verbittern. Richtig ist, daß viele aus Elia Loth⸗ ringen auswandern, aber daran sind meist die e fc; lichen Verhältniffe schuld. Die gegenwärtige Debatte hat nach der einen Richtung Aufklärung 3 daß der Fortbestand des Diktatur paragraphen nur wegen der äußeren Agitationen nothwendig ist. Ich hoffe, daß wir dem Ziele näher kommen werden. Wenn die Regie rung die Ansicht gewinnt, daß die äußeren Verhaͤltnisse es gestatten, den Diktaturparagraphen aufzuheben, so wird die Aufhebung sichet aus ihrer freien Willensentschließzung geschehen. Bis dahin ist es gut, sich vom Optimismus wie vom Pessimis mus gleich fern zu halten.

Abg. von Kardorff (Rp.): Der Logik der Antragsteller können wir nicht folgen. Für uns ist maßgebend, daß die Regierung erklärt. sie könne nicht die Verantwortung übernehmen, jetzt schon auf den Diktaturparagraphen zu verzichten. Deshalb müssen wir heute gegen den Antrag slimmen, obwohl auch wir den Wunsch haben, daß die Zeit nicht fern fein möge, wo, schon aus Rücksicht auf die auswärtigen Verhältnisse, die ja so offen hier nicht dargelegt werden können, der Diktaturparagraph aufgegeben werden könne.

Abg. Dr. Barth 3. Vg.): Der Reichskanzler hat der elsaß⸗ lothringischen Bevölkerung ein vorzügliches politisches Leumundszeugniß ausgestellt. Er hat erklart, daß der Diktaturparagraph nur eine theoretische Bedeutung, den Charakter einer Vogelscheuche habe. Aber man thut Herrn Döroul'de und Genossen zu viel Ehre an, wenn man ihretwegen dieses , , . aufrecht erhält. .

Abg. Dr. von Marguard fen (nl): Auch jetzt stehen wir noch auf dem Standpunkt, daß die Aufhebung des iktaturparagraphen wünschenswerth sein würde. Wir sind 6 über den wesentlichen Fortschritt in der Gesinnung der Clsaß⸗Lothringer, das jetzt alle Redner auf dem Boden des Frankfurter Friedens zu stehen erkläͤren. Die Re⸗ gierung erklärt indessen, daß sie die Verantwortung dem Ausland gegen⸗ über nicht tragen könne, wenn ihr die Vollmacht, die in dem Diktatur⸗ paragraphen liegt, genommen werde. Bei den wechselvollen politischen Verhältniffen Frankreichs ist es nicht unmöglich, daß dort Elemente Sberwasser bekommen, auf deren Programm die Wiedergewinnung Flfaß⸗Lothringens steht. Wenn die Regierung das erklärt, muß das für uns maßgebend sein, so sehr wir auch wünschen, daß der Zeitpunkt der Aufhebung des Diktaturvaragraphen bald kommen möge.

Das Schlußwort erhält zunächst

Abg. Bebel (Soz.): Unter sämmtlichen unabhängigen, Ein⸗ wohnern Elsaß⸗Lothringens befindet sich niemand, der nicht für eine Aufhebung des Diktaturparagraphen sein würde, wenn man ihn fragte. Auch die größte Partei hier im Haufe, das Zentrum, ist, wie aus der Debatte hervorging, kein Freund des Diktaturparagraphen. Ebenfo die Linke des Hauses, wie denn überhaupt keine Partei hier diesen ,, . durchaus billigt. So hat denn die Debatte eine erwünschte Klarheit gebracht. Und dennoch hält man die Diktatur aufrecht, während doch unser Strafgesetzbuch genug Bestimmungen enthält, um auch im Reichsland die Ordnung auffecht zu erhalten. Ich denke da hauptsächlich an den Hochverrathsparagraphen. Der Diktaturparagraph ist also nicht nothwendig. Der Reichskanzler hat gefagt, etwas Peinliches liege in der Diktatur; so denkt er in seines Herzens Schrein. Gewiß, kein anständiger Mann kann sich in der Verantwortlichkeit der Diktatur wohl. fühlen. Jetzt ist der Fürst Hohenlohe in einer entscheidenderen Stellung; da möge er den Dlktaturparagraphen abschaffen. Der Beamte, der in diesen Verhältnissen lebt, z. B. ein Kreisdirektor, wie . Pöhlmann, wird leicht abgestumpft; er hat kein Gefühl für die pollzei= lichen Scherereien, denen wir auf Grund des Diktaturparagraphen außgesetzt find. Einen Mißbrauch der Diktatur giebt es freilich nicht, das ist eine gontradigtio in adiocto; Diktatur ist an sich schon absolute Willkür. Ein Krimskrams ist das doch wahrlich nicht, was ich gestern nachgewiesen habe! Das beweist eben, wie der Zustand, in dem der Staatssekretär lebt, ohne daß es ihm bewußt geworden wäre, auf sein ganzes Denken und Fühlen eingewirkt hat. enn der Staatssekretär mit einer Volksvertretung umzugehen wüßte, hätte er diesen Ton des Schullehrers gegen seine Schulknaben sich nicht herausgenommen. Sie weisen eu Württemberg und Frankreich hin. Wenn sich die Regierung, wenigstens in Frankreich, so zu regieren herausnähme, nicht 24 Stunden würde diese Regierung erleben. Es ist thatsächlich und objektiv eine Tyrannenherrschaft, wenn man sich auch den Fürsten ee er. sehr schwer in der Rolle eines Tyrannen vor, ellen kann. Der Minister sagt, ich verdanke meine Wahl den Protestlern. Ich kann mir das denken; sie haben eben dann das kleinere Uebel gewählt. Jetzt sagen Sie, nicht 6000 Sozialdemokraten sind in Straßburg. Sonst rechnen Sie uns den letzten Mann vor und begründen mit dem Wachsthum der Sozialdemokratie die Umsturz⸗ vorlage. Das nächste Mal werde ich aber auch ohne Hilfe der 6 gewählt werden. Der Prinz Hohenlohe meint, daß

aback. und Hopfenpreis die Elsaß Lothringer weit mehr bekümmere als der Diktaturparagraph. Wir sind die letzten, die bestreiten, daß es vor allem auf die materiellen Inter⸗ essen ankomme. ber der Minister von Köller hätte dagegen protestieren müssen, daß die Elsaß Lothringer als reine Materialisten gezeichnet werden. Der Prinz Hohenlohe meint, es sei unpatriotisch, wenn der Abg. Bueb deutsch, und sozialdemokratisch gegenüberstelle. Ein Mitglied einer Familie, die wie keine andere einen inter- nationalen Charakter besitzt, die in Bapern, Württemberg, Sachsen⸗ Weimar, Preußen, Rußland begütert ist, von der ein Mitglied Kardinal in Rom ist, ein anderes einen der höchsten Beamtenposten in r hat, die also vielfach in die Lage kommt, dem preußischen Patriotismus einen anderen entgegenzustellen, sollte doch weniger engherzig über den Patriotismus denken. Wenn der Wahlkreis des Prinzen ohenlohe das nächste Mal noch keinen Sozialdemokraten wählen sollte, so liegt das daran, daß es ein klein⸗ bürgerlicher und kleinbäuerlicher Wahlkreis ist. Sie wissen offenbar garnicht, obgleich Sie immer über die Sozialdemokratie reden, daß gewisse Konstruktionen unserer gesellschaftlichen Verhältnisse vorläufig der 5 der Sozialdemokratie noch einen Domm entgegen setzen. Jetzt sind Sie belehrt, beurtheilen Sie uns in gur ff ob⸗ jektiver. Nicht der Schatten eines Grundes liegt vor für die Auf⸗ rechterhaltung des Diktaturparagraphen, darum nieder mit ihm!

Das Schlußwort für den Antrag Colbus u. Gen, erhält

Abg. Simonis (b. . F.), der namentlich dem Zentrum dafür dankt, daß es immer für die Interessen Elsaß Lothringens eingetreten sei, und dann schildert, wie durch die Diktatur das Entstehen von Zeitungen von vornherein verhindert sei und wie erscheinende Zeitungen kurzer Hand unterdrückt würden. Man habe das Land belastet, um die AÄrmee zu vermehren. Wenn die Armee einen Werth habe, dann brauche man zum Schutze gegen das Ausland nicht solche Diktatur bestimmungen. ;

Damit schließt die erste Lesung; eine Kommissionsberathung ist nicht beantragt. Die zweite Lesung wird später im Plenum

lgen. . Ehluß 61 Uhr.

sittliche

Preuszischer Landtag. = Haus der Abgeordneten. 9. Sitzung vom Donnerstag, 31. Januar. Im weiteren Verlauf der e r zweiten Berathung

des Etats der landwirthschaftlichen Verwaltung

nimmt nach dem Abg. Dr. Arendt (fr. kons.) das Wort der Abg. Dr. von Hepßdebrand und der Lg a (tons):. Wenn der 93 Richter es für eine unbegründete Verdächtigung seiner Partei ärt hat, daß der Abg. von ö ihr vorwarf, . habe noch niemals etwas zum Wohle der Landwirthschaft gethan, so war seine Fri Rede der beste Beweis für diese Behauptung. Was oll es beißen, wenn er immer wieder von einem Gegen⸗

satz zwischen Klein⸗ und Großgrundbesitzern spricht und den armen Mann gegen den reichen Großgrundbesitzer aus- ie Interessen von

. Ich wiederhole es heute nochmals: Die . roß und Kleingrundbesitz sind identisch, daz wird die Landwirth-= schaft sich niemals nehmen lassen. Was heißt es ferner, wenn der Abg. Richter auch gestern wieder von dem 40⸗Millionen. Geschen sprach ?. Berade durch die Kontingenkerung der Spixitussteuer ist ber kleine und mittlere Brennereibekrieb über Wasser gehalten worden. Die Schutz zölle bedeuten keine Bereicherung für die Landwirthe, fondern⸗ ind geschaffen, um ihre Existenz zu ermöglichen; das ist ihre Bedeutung. Was die Hilfsmittel im heren, . ugenblick anlangk, so glauben wir, daß, soll der and wirthschaft wirklich geholfen werden, man um eine Fixierung der Getrfjdepreise nicht herumkommen wird. Der GSetreidebau kann der TLandwirthschaft durch keinen anderen Wirthschaftszweig ersetzt werden. Kleine Mittel haben für ung nur den Werth eines Stroh⸗ halmes, nach dem der Ertrinkende greift. Wohl wissen wir, welchen schwierigen Faktoren der Minister gegenübersteht, aber wir haben das Vertrauen zu ihm, daß er nicht nur Wohlwollen und Verständniß, sondern auch die Thatkraft haben wird, sich auf die Höhe der schwierigen Aufgaben zu ö Nur wenn diese Eigenschaften zu⸗ sammenwirken, wird es ihm gelingen, das Ziel zu erreichen.

Abg. Klofe (Zentr.) : Die Landwirthschaft meiner Heimath Schlefien hat unter der gegenwärtigen Wirthschaftspolitik doppelt zu leiden, nämlich durch den russischen Handelsbertrag und Tie Auf⸗ hebung der Staffeltarife. Durch den Handelsvertrag ist Schlesien mit russischem Getreide überschwemmt worden, und Lurch die zweite Maßregel ist den dortigen Landwirthen der Absatz fast unmöglich ge⸗ macht worden. Zu diesen schädlichen Maßregeln kommt noch der Rachtheil durch den russischen Rubelkurs, der auf unsere heimischen Getreidepreife drückt. Der Herr Minister für Landwirthschaft hat es so dargestellt, als eb den Landwirthen durch die Ueberweisung der Grund. und Gebäudesteuer gleichsam ein Geschenk gemacht worden sei. Aber durch die Vermögenssteuer und durch den Fortfall der 30 bis 40 Milllonen aus der lex Huene wird doch reichlich aufge⸗ wogen, was ihnen an Grund. und Gebäudesteuer zugewendet sst. Dabei hatte man es früher mit einer feststehenden, jetzt mit einer schwankenden Steuer zu thun, und nun kommt noch die schwere Be⸗ lastung der Landwirthschaft durch die Arbeiterversicherungen hinzu. Wenn auch die Krisis eine allgemeine ist, so möge der Herr Minister doch alles thun, um der Landwirthschaft zu helfen.

Abg. Schröder (Pole)h: Der Herr Minister hat die Nothlage der Landwirthschaft anerkannt. Daß dieser Nothlage bisher nicht erfolgreich entgegengetreten wurde, liegt weniger an dem fehlenden Entgegenkommen der Regierung, als an der Auffassung der Lage seitens der Regierung. Die Landwirthschaft ist das wichtigste Gewerbe, und die landwirthschaftliche Bevölkerung bildet den Kern einer Nation. Die Mittel, welche der Minister zur Hebung der Landwirthschaft empfohlen hat, werden der Mehrzahl derdandwirthe gewiß willkommen sein, namentlich soweit sie auf dem Gebiete des Tarifwesens, der Klein⸗ Bahnen, des Kanalbaues liegen. Die Aufhebung der Staffeltarife ist fehr zu bedauern; die Aufhebung des Identitätsnachweises bietet keineswegs eine ausreichende Entschädigung. Den Vorschlag der Errichtung von Getreide⸗Silos halte ich für zweischneidig; die Aus⸗ führung würde meiner Ansicht nach mehr Schaden als Nutzen bringen. Dagegen würde die Landwirthschaft die Einführung der Deklaration. pflicht beim Verkauf von Futter⸗ und Düngemitteln mit Freuden begrüßen. Die Kreditanstalten für die Land⸗ wirthschaft mehr nutzbar zu machen, wäre eine schöne Aufgabe für die Regierung. Daß die Militärperwaltung jetzt ihre Einkäufe direkt von den 1 machen will, begrüßen wir mit Freuden. Durch die Begünstigung der kleinen landwirthschaft⸗ lichen Brennereien gegenüber den 6 kapitalistischen Unternehmungen wird der Kartoffelbau gehoben werden: ein bei den niedrigen Getreide⸗ preisen wünschenswerthes Resultat.

Minister für Landwirthschaft, Domänen und Forsten Freiherr von Hammerstein:

Meine Herren! Zwei Gründe sind es gewesen, die mich bewogen haben, vorgestern eine vielleicht nach Ansicht vieler Herren zu weit⸗ schweifige Etatsrede zu halten. Der eine Grund war eine Ehren⸗ pflicht. Meine Herren, ich war schuldig, durch eingehende Dar⸗ legungen hier kund zu geben, daß schon vor mir ich bin ja erst seit 1 Monaten in die Verwaltung eingetreten ein durchaus reger pflichtgetreuer Fleiß und Eifer in der landwirthschaftlichen Verwal⸗ tung im Interesse der Landwirthschaft bestanden hat, und, meine Herren, fast das ganze Budget habe ich fertig vorgefunden, und fast alle die Dinge, deren Inangriffnahme ich mitgetheilt habe, hat mein Herr Dienstvorgänger vorbereitet, und ich habe sie mehr oder weniger fertig vorgefunden.

Aber auch ein zweiter Grund hat mich veranlaßt, sehr eingehend bei meiner ersten Rede hier im Hause zu den landwirthschaftlichen Fragen mich zu äußern. Ich will es ganz offen einräumen: das, was ich hier gesagt habe, war nicht allein für das Haus, sondern es war für weitere Kreise im Lande mit bestimmt. Denn mir war, ehe ich Minister wurde, sehr häufig die Meinung aus der Bevölkerung ent gegengetreten, daß die landwirthschaftliche Verwaltung dat, was sie zu thun verpflichtet sei, und was sie thun könne, nicht thue, und da habe ich geglaubt, einmal eingehend auch dem Lande gegenüber ein klares Bild über dasjenige geben zu sollen, was bereits geschehen ist, und was in Zukunft geschehen soll. Wenn ich vielleicht zu weit ge⸗ gangen bin, meine Herren (O nein! rechts), zu weitschweifig gewsrden bin, dann müssen Sie das entschuldigen: ich bin im parla⸗ mentarischen Leben vollständig unbewandert, ich habe dem politischen Treiben bisher vollständig fern gestanden; ich habe es aber für eine Pflicht gehalten, so zu handeln, wie ich gethan habe. (Bravo! rechts.

Meine Herren, nun will ich mir gestatten, auf eine Reihe von

Bemerkungen der einzelnen Redner überzugehen. Ich will voraus schicken und darf das, glaube ich, wohl fagen, daß ich persönlich über den Empfang, den ich hier im Hause gefunden habe, in hohem Grade befriedigt bin. Es ist mir sogar gelungen, rücksichtlich einzelner Dar⸗ legungen die Zustimmung des Herrn Abg. Richter zu erlangen (Heiterkeit), mit dem ich zweifellos auf absolut diametralem Boden stehe (Bravo! rechte), wie ich das nachher in der Entgegnung auf einzelne Punkte noch darlegen werde. Mit den Aeußerungen der Rechten kann ich fast in allen Punkten mich einverstanden erklären, nur will ich den Unterschled noch einmal genau präzisteren, der sich zwischen der dortigen Auffassung zu der Monopolisterungs frage und der meinigen herausgestellt hat.

Ich habe namens der Staatsregierung zu der formellen Lage der

Monopolisierungsfrage nur Stellung genommen und nur Stellung nehmen können, also zu der Frage, wie weit diese Gedanken mit den Handelsvertrãgen vereinbar sind; zu der Frage, wie formell die Sachen liegen, ob sie und wie weit sie hier in das Haus hineingehören, und ich nehme gar keinen Anstand, ausdrücklich für das Haus das Recht in Anspruch zu nehmen, so wichtige Fragen, wie die vorliegende, wenn sie auch zur Zuständigkeit des Reichs gehören, den preußischen Staat aber so tief berühren, hier in eine eingehende Verhandlung einzutreten. (Bravo! und: Sehr gut! rechts) Auch aus einem anderen Gesichtspunkt halte ich das hohe Haus für berechtigt, in eine eingehende Diskussion solcher Fragen einzutreten: weil es nothwendig ist, daß die preußische Staatsregierung darüber instruiert wird, wie sie ihre Abstimmung im Bundesrath abgeben soll. (Sehr gut! rechts.) Die Staatsregierung bat daneben noch die Erklärung abgegeben: über die materielle Frage könne sie sich noch nicht äußern; sie sei aber gewillt, ehrlich in eine materielle Prüfung einzutreten; sie sei gewillt, festzustellen, ob der Antrag ausführbar sei, welche sozialen und politischen Bedenken dem Antrag entgegenstehen, und ob auch das Ziel, welches die Herren mit dem Antrag verfolgen, erreicht werden könne. Es sind das schwerwiegende Fragen, wenigstens für die Staatsregierung, die, wenn sie für die Monopolisierung sich entscheiden würde, doch eine weit größere Verantwortung für die Ausführung und für die Folgen übernimmt wie Sie, meine Herren, die Sie hier im Parlament sitzen. (Sehr wahr! rechts.) Also werden Sie es der Staatsregierung doch nicht verdenken können, wenn sie Anstand nimmt, im gegenwärtigen Stadium schon zu materiellen Fragen irgend welche entscheidende Stellung einzunehmen, und sich auf den Standpunkt stellt, sie will ehrlich prüfen, ob die Sache geht, oder ob wenigstens ein Theil der Ideen, die darin begraben sind, vielleicht durchführbar ist, und sich nicht voreilig binden und erklären: sie könne und wolle sich für die Sache erklären.

Nun haben die Herren von der Rechten durch den Mund des Herrn Grafen Limburg⸗Stirum schon ganz bestimmt erklärt, daß sie für den Antrag Kanitz seien. Darin liegt der wesentliche Unterschied. Wenn, daran anknüpfend, der Herr von Puttkamer gesagt hat, meine Ausführungen bedeuten ein anständiges Begräbniß für den Antrag Kanitz oder für den Monopolisierungsgedanken, so ist diese Aeußerung doch nicht zutreffend. Ich habe die Sache dilatorisch behandelt und habe die Gesichtspunkte dargelegt, nach denen die Staatsregierung diese Fragen weiter behandeln und prüfen will. Sollte wirklich ein Begräbniß daraus hervorgehen, so wird jedenfalls dann die Staats regierung in der Lage sein, sei es nach Anhörung des Staatsraths, sei es nach ihrer eigenen Kognition der Sache, auch die Gründe in die weitesten Kreise hineinzutragen und ihr Votum näher zu be⸗ gründen, weshalb sie zu den Anträgen eine ablehnende Stellung einnehme.

Dann hat Herr von Puttkamer gesagt, es sei zu bedauern, daß ich nicht in vollem Umfang meinen Einfluß im Staats⸗Ministerium dahin geltend mache, daß die Zuckersteuernovelle noch dem jetzigen Reichstag vorgelegt werde. Meine Herren, ich kann darauf nur er⸗ widern: Soweit ich bei der Sache betheiligt bin, und soweit mein Einfluß reicht, werde ich, weil ich anerkenne, daß schnelle Hilfe doppelt hilft, und weil ich der Meinung bin, daß schnelle Hilfe noth thut, meinen Einfluß dahin geltend zu machen suchen, daß womöglich noch in diesem Reichstag ein den Bedürfnissen genügendes Zuckersteuergesetz zur Vorlage gelangt. (Bravo! rechts) Die Gründe, welche mög⸗ licherweise vorhanden sind, daß das nicht geschieht, bin ich darzulegen nicht in der Lage; das sind Erwägungen, die aus anderen Gesichts⸗ punkten bei der Staatsregierung geführt werden.

Dann hat Herr von Puttkamer gesagt: Warum ergreift die Reichs⸗ regierung in der Silberfrage nicht die Initiative zu weiteren Ver⸗ handlungen? Meine Herren, auch darüber kann ich keine bindende Erklärung abgeben. Einmal liegt die Entscheidung der Frage bei der Reichsregierung. Alsdann dürfte auch für die Reichsregierung die Entschließung nicht so einfach liegen, weil sie sich vollkommen darüber aufklären muß, ob sie sich nicht einem 6chec aussetzt, wenn sie ohne Garantie irgend welchen Erfolgs in eine solche Verhandlung eintritt.

Eine bestimmte Erklärung kann ich nicht abgeben. Es ist ja immerhin denkbar, daß man zu der Ansicht gelangt der Herr Reichskanzler Graf von Caprivi hat ja auch eine ähnliche Erklärung abgegeben daß man möglicherweise in der Lage sei, deutscher⸗ seits die Initiative zu Maßnahmen zur Hebung des Silberpreises zu ergreifen. (Hört! hört) Ich muß aber betonen, daß diese Er⸗ klaͤrungen nicht namens der Staatsregierung abgegeben sind.

Dann hat Herr von Puttkamer hervorgehoben, daß ich den Ausbau von Kanälen, namentlich im Interesse des Ostens, empfohlen habe. Er meint, das habe wohl darin seinen Grund, daß ich über die östlichen Verhältnisse nicht unterrichtet sei. Meine Herren, ich habe bereits zugegeben, daß mir die Verhältnisse im Osten nicht ge⸗ nügend bekannt sind; aber ich habe doch gewisse authentische Nach⸗ richten meinen Darlegungen zu Grunde gelegt. Ich habe für den Westen verglichen, in welchem Verhältniß die Kilometerzahl der Wege zu dem Umfange des Gebiets und zu der Seelenzahl steht. Eine gleiche Betrachtung habe ich über den Osten angestellt und dabei ge⸗ funden, daß jedenfalls im Osten das Wegenetz außerordentlich viel weitmaschiger ist als im Westen. Daraus ergiebt sich die Erwägung seines weiteren Ausbaus durch Wasserstraßen. Ich glaube aber nicht, daß es zweckmäßig ist, jetzt über diese Frage eine eingehendere Diskussion meinerseits einzuleiten. Aber einen von Herrn von Puttkamer gemachten Vorwurf muß ich berühren. Er hat gesagt, ich hätte für den Osten nur von dem ma— surischen Kanal gesprochen, weitere Wasserstraßen für diesen Landes theil aber nicht erwähnt. Meine Herren, rücksichtlich meiner Aeußerung über den masurischen Kanal muß ich zuvörderst eine Bemerkung, die mißverstanden ist, richtig stellen. Indem ich den Nutzen, den die Forstverwaltung aus dem masurischen Kanal für den Absatz der staatlichen Forstprodukte erwartet, auf 44 bis 5 Millionen angegeben habe, so ist darunter nicht ein jährlicher, sondern ein kapitalisierter Nutzen zum Werthe von dieser Höhe zu verstehen.

Dann habe ich außer dem masurischen Kanal noch das Projekt eines Schiffahrtskanals von Tschicherzig an der Oder im Kreise Züllichau nach der Kreisstadt Meseritz erwähnt, das im Falle seiner Ausführung zu einer Wasserverbindung zwischen Oder und Warthe und damit eines erheblich kürzeren Verkehrsweges, wie bisher zwischen den Provinzen Schlesien und Posen Veranlassung geben kann.

Ferner darf ich an die Regulierung der Weichselmündung erinnern, die in diesem Jahre vollendet werden wird. Anschließend an diese dem Osten zum Vortheil gereichende Bauausführung, steht

in Aussicht, daß nach auswärts der weitere Lauf der Weichsel bis dahin, wo die Nogat abzweigt, planmäßig reguliert wird. Ferner befindet sich eine Verkehrsstraße in voller Arbeit, um eine für größere Seeschiffe benutzbare Waserverbindung im Frischen Haff von Pillau bis Königsberg herzustellen; sodann wird die Regulierung der Netze zur Zeit ausgeführt. Kurz, auch im Osten der Monarchie sind bedeutende Wasserstraßen projektiert oder in der Ausführung oder in der Verbesserung begriffen.

Als wesentliches Moment möchte ich noch hervorheben, daß zweifellos der Osten des preußischen Staats, dank der weisen Politik der früheren Könige, ein weit günstigeres und dichteres Netz namentlich von künstlichen Wasserstraßen besitzt, als es sich in Mitteldeutschland oder in dem Westen vorfindet. Nunmehr ist in Aussicht genommen das östliche Kanalnetz dessen Verbindung nach Berlin, nach der See und der Elbe bereits erreicht ist in Verbindung zu bringen mit einem Kanalnetz, das im Westen, und zwar bis nach Elsaß— Lothringen theils in natürlichen, theils in künstlichen Wasserstraßen vorhanden ist. Meine Herren, ich bin auch jetzt noch trotz der Be— denken, die Herr von Puttkamer dagegen ausgeführt hat, der Meinung, daß es von hohem Werthe sein wird, ein inneres einheitliches Wirth⸗ schaftsgebiet auch in der Richtung herzustellen, daß seine Bewohner durch ein Netz von Eisenbahnen und Wasserstraßen in der Lage sind, alle inner halb dieses Gebiets erreichbaren Vortheile möglichst in gleichem Maße sich nutzbar zu machen. Dies kann nur geschehen, wenn zu⸗ nächst die bestehenden Wasserstraßen unter einander verbunden werden. (Sehr richtig) Hierfür spricht auch, daß es im Osten eine große Menge von Massenprodukten giebt, bei denen, wie z. B. beim Holz, die. Staatsforstverwaltung und die Privatforstbesitzer ein großes Interesse haben, einen besseren Absatz wie bisher nach dem Westen zu bekommen. Jetzt vermögen aus dem Osten Forstprodukte, soweit sie nicht zur See nach dem Westen gebracht werden, dorthin nur bis auf den Berliner Markt zu gelangen, der durch die Konkurrenz aus den mittleren Provinzen häufig überfüllt ist. Es würde für die östlichen Theile von Bedeutung sein, wenn durch weitere Wasserstraßen es ge⸗ lingt, dem, was westlich von Berlin Absatz finden kann, dorthin auch einen Absatz bis in das westfälische Gebiet zu schaffen, sodaß der Berliner Markt dadurch entlastet und der Preis für Forstprodukte aus dem Osten gesteigert wird.

Dann hat Herr von Puttkamer noch die Rentengüter gestreift und ausgeführt, daß durch die bisherige Art der Ausführung sich ein ländliches Proletariat bilde. Wir werden wahrscheinlich eingehender auf die Rentengüterfrage bei den betreffenden Etatstiteln zurückkommen. Ich will aber schon jetzt einräumen, daß das Rentengütergesetz, dessen Ausführung an sich sehr schwer ist, in vereinzelten Fällen zu Uebel—⸗ ständen geführt hat. Diese Uebelstände sind, soweit an ihrer Ent⸗ stehung die General⸗Kommissionen betheiligt sind, bei der Neuheit dieser Gesetzgebung jedenfalls entschuldbar. Bei der Ausgebung von Renten⸗ gütern bildet die Taxe derjenigen Grundstäcke, die in Rentengüter umgewandelt werden sollen, ein sehr wesentliches Moment. Wenn die Taxe zu hoch ist, so wird der Rentengutsnehmer, sofern er auf Grund derselben das Rentengut übernimmt, in seiner Existenzfähigkeit ge⸗ fährdet. Ich muß jedoch die General⸗Kommissionen, die ihre Taxen von Sachverständigen aufnehmen lassen, entschuldigen. Wenn die Preise im Niedergang sich befinden, ist die Möglichkeit vorhanden, daß eine zur Zeit der Aufnahme nach allen Richtungen un— antastbare Taxe zu dem Zeitpunkt, wo sie in die Praxis übergeführt wird, nicht mehr zutrifft. In einer solchen Lage befinden wir uns jetzt, und es ist deshalb Pflicht der land- wirthschaftlichen Verwaltung, dahin zu wirken, daß die Aufnahme der Taxe sehr vorsichtig erfolgt. Ferner wird zu prüfen sein, ob nicht auch bezüglich der Wahl der zu Taxen verwendeten Personen mit be⸗ sonderer Vorsicht vorzugehen sein wird, weil hin und wieder Taxatoren ich will ihnen keinen Vorwurf machen unter besonderer Be⸗ rücksichtigung des Interesses des einen oder anderen Betheiligten, also nicht objektiv, verfahren sind. Jedenfalls kann ich die Versicherung abgeben, daß ich es für meine ernste Pflicht halte, die General⸗ kommissionen nach allen Richtungen zu kontrolieren und sie auf Be⸗ denken aufmerksam zu machen. Denn es wäre in hohem Grade bedauerlich, wenn wir durch dieses Gesetz statt wirthschaftlich lebens⸗ fähiger Bauernnahrungen von vornherein verkrachte Existenzen, oder, wie Herr von Puttkamer sagt, ein ländliches Proletariat schaffen würden. Uebrigens geben die bisherigen Erfahrungen zu solchen Be—⸗ denken noch keinen Anlaß. Den Generalkommissionen ist das Ver—⸗ fahren neu; auch die Taxatoren haben nach neuen Gesichtspunkten zu schätzen. Die äußeren Verhältnisse sind ungünstig für die Ausführung des Gesetzes; besonders wegen des Rückgangs der Güterpreise dürfen wir aber erwarten, daß die Sache sich mit der Zeit günstiger ge⸗ stalten wird.

Nun, meine Herren, wende ich mich zu dem Herrn Abg. Richter, der, wie ich sehe, zu meinem Bedauern nicht da ist, der hoffentlich den stenographischen Bericht lesen wird.

Herr Richter hat zunächst gesagt, ich befinde mich im Widerspruch mit meinen Aeußerungen rücksichtlich der Kleinbahnen; während ich im Landes Oekonomie · Kollegium ausgesprochen habe, daß ich eine Staats- hilfe für Kleinbahnen nicht für nothwendig halte, habe ich in meinen letzten Ausführungen mich dahin geäußert, daß die Kleinbahnen unterstützt werden müßten. Der Herr Abg. Richter hat wohl meine Ausführungen im Landes ⸗Oekonomie⸗Kollegium nicht gründlich gelesen, sonst würde er gesehen haben, daß ich dort gesagt habe, für die Provinz Hannover halte ich eine Staats⸗ hilfe für den Bau von Kleinbahnen nicht für nothwendig, weil ich der Meinung sei, daß dort die landwirthschaftlichen Agrarverhãältnisse noch gesund seien, und daß deshalb Provinzialverband, Kreis und Kommune wohl in der Lage seien, auch ohne Staatsbeihilfe diesen Verkehrsmitteln die nöthige Fürsorge zu theil werden zu lassen.

Meine Herren, dann hat Herr Abg. Richter sich sebr eingehend über meine Anschauungen wegen der Zuckersteuergesetzgebung geäußert. Er hat natürlich, wie gewöhnlich, wenn es ihm paßt, darauf hin gewiesen, die Sache gehöre nicht hierher, sondern vor den Reichstag. Meine Herren, ich wiederhole in der Beziehung dasselbe, was ich vorhin schon gesagt habe: ich nehme für das hohe Haus das volle Recht in Anspruch, zu einer Frage, die in die wirthschaftlichen Ver- hältnisse des Staats so tief eingreift wie das Zuckersteuergesetz, auch materiell Stellung u nehmen. (Sehr richtig! rechts.)

Meine Herren, dann hat Herr Richter ausgeführt: wenn man ein neues Zuckergesetz nach den Grundzügen ausführe, die ich dargelegt habe, so würde daraus eine Vertheuerung eines Volks nahrungsmittels zu Gunsten einzelner hervorgehen. Ich habe schon bei der General

diskussion ausgeführt, daß ich keinem Konsumenten das Recht ein . räumen kann, zu verlangen, daß ein Volksnahrungsmittel sich unter dem Niveau derjenigen Preise befindet, welche erforderlich sind, um dem Produzenten einen Ersatz für die aufgewandte Arbeit und anderen theils auch den erforderlichen Nutzen zu gewähren. (Sehr richtig! rechts) Augenblicklich steht der Zucker auf einem Preise, der diesen beiden Anforderungen nicht entspricht.

Meine Herren, bei der Gelegenheit hat der Herr Abg. Richter auch gesagt, daß es sehr verkehrt sei, aus wirthschafts⸗ politischen Gründen in gegenwärtiger Zeit mit einer solchen Um- gestaltung vorzugehen. Er hat das Gesetz von 1891 sehr in Schutz genommen. Auf alle diese Dinge will ich näher nicht eingehen, weil der Herr Finanz⸗Minister darauf schon eingehend erwidert hat. Prinzipiell werde ich mich nie mit dem Herrn Abg. Richter über ge⸗ wisse Fragen und so auch über diese nicht einigen können. (Sehr richtig! rechts) Der Herr Abg. Richter will die Wirthschaftspolitik des Staats in theoretische Fesseln legen und zwar in die Fesseln solcher Thebrien, die, wie auf dieser Seite des Hauses schon ausge—⸗ führt ist, sich vollständig überlebt haben. (Sehr richtig) Ich meine

. dagegen, daß in einer so fluktuierenden Zeit wie der, worin wir uns

jetzt befinden, wo alles, was Produktion, was Konsumtion betrifft, mehr oder weniger von Tag zu Tag fast eine vollständige Umwälzung erleidet, es absolut unmöglich ist, sich an Thẽorien zu binden und nach Theorien zu handeln; da muß man die Politik der praktischen, der offenen Hand verfolgen und denjenigen Bedürfnissen Rechnung tragen, die sich momentan herausstellen, soweit man das kann, und soweit einem nicht aus staatsrechtlichen oder sonstigen Gründen Fesseln an⸗ gelegt sind. (Bravo! rechts Das ist der einzige Weg, wie man in einer Uebergangszeit und in der befinden wir uns auf wirthschaft⸗ lichem Gebiete sich schirmen und schützen kann gegen die Gefahren, die von Tag zu Tag wachsen. (Bravo! rechts.)

Meine Herren, dann habe ich auch folgendem Ausspruche des Herrn Abg. Richter zu begegnen. Ich will mich vom Auslande unabhängig stellen und habe des weiteren ausgeführt, daß wir in der Beschaffung unserer Volksnahrungsmittel, sowohl was Fleisch, als was Körner betrifft, in der Lage sind, uns mehr oder weniger vom Auslande un— abhängig zu stellen. (Sehr richtig! rechts) Des Herrn Abg. Richter Deduktionen gehen von dem Standpunkt aus, daß das unausführbar sei; und darin liegt die gegensätzliche Auffassung bei uns: er giebt es zu für die Fleischproduktion und bestreitet, daß es möglich sei für die Getreideproduktion. Und nun knüpft er daran Folgerungen, die ich schon deshalb nicht als richtig anerkennen kann, weil ich die Prämissen, auf denen sie beruhen, nicht zugebe. Ich habe schon in der General⸗ diskussion darauf hingewiesen, daß, wenn der Getreidebau wieder lohnend werde, und zwar reichlich lohnend, es zweifellos uns gelingen würde, durch die Kultur unserer großen Moor und Haideflächen, durch intensivere Kultur in nicht allzu ferner Zeit zu erreichen, daß wir uns unabhängig von der ausländischen Produktion stellen können. (Sehr richtig! rechts.)

Dann hat sich der Herr Abg. Richter über die Krisis aus— gesprochen. Ja, meine Herren, im allgemeinen sind wir derselben Meinung. Aber doch ist, wenn man der Sache näher tritt, ein himmelweiter Unterschied zwischen meinen Anschauungen und denen des Herrn Abg. Richter. Ich habe in der Generaldiskussion anerkannt, daß auch Handel, Gewerbe und Industrie sich in einer kritischen Lage befinden, habe aber auch darauf hingewiesen, daß die kritische Lage der Landwirthschaft um deswillen jetzt der schleunigen Hilfe bedürfe, weil die Ursachen der Krisis auf agrarem Gebiete nach meiner Auf⸗ fassung nicht rasch vorübergehender Natur seien, während die Krisen auf industriellem Gebiet, auf den Gebieten des Handels und der Ge⸗ werbe im wesentlichen rasch aufträten, aber auch rasch vorübergingen; die Ursachen seien dort nicht so schwerwiegend, wie bei der agraren Krisis.

Ferner hat der Herr Abg. Richter eine ganze Reihe von Aus⸗ führungen über die Domanialverwaltung gemacht; wir werden ja den Domanial · Etat eingehend zu besprechen noh Gelegenheit haben, und ich bin in der Lage, Ihnen dort noch sehr wichtige und interessante Mittheilungen zu geben, mit denen ich einstweilen noch zurückhalten muß.

Der Herr Abg. Richter hat aus der Zunahme des Kartoffel⸗ baus, die ich bei Darlegung der Entwicklung unserer agraren Verhältnisse berührt habe, gefolgert, daß damit allen Bedürfnissen Rechnung getragen sei, und hat dann darauf hingewiesen, daß wir vor allen Dingen eines Spiritusgesetzes, weil dies die bekannte Liebesgabe enthalte, nicht bedürften. Ich bin umgekehrt der Meinung, meine Herren: gerade weil der Kartoffelbau in Preußen eine erhebliche Zu⸗ nahme gewonnen hat, müssen wir dafür sorgen, daß wir für die Ver⸗ werthung der Kartoffel gute Preise erzielen. (Sehr richtig! rechts.) Und das können wir nur dann, wenn wir die landwirthschaftliche Spritindustrie gesund und lebensfähig erhalten. (Bravo! rechts.) Dann werden wir neben den Bedürfnissen, die der tägliche Konsum an Kartoffeln erfordert, auch in der Lage sein, die vermehrte Produk⸗ tion im Kartoffelbau günstig zu verwerthen.

Meine Herren, ich muß noch auf zwei Punkte zurückkommen, die ich bei der Zuckersteuer zu erwähnen vergessen habe; ich hatte mir allerdings Notizen darüber gemacht. Bei den Darlegungen über die Zuckersteuer übersieht der Herr Abg. Richter nach meiner Auffassung zwei Punkte, die von der allergrößten Bedeutung sind. In der Zucker⸗ steuerfrage liegt eine große soziale Frage und auch in gewisser Be⸗ ziehung eine industrielle Frage. Die soziale Frage ist die, daß im Rübenbau und in der Zuckerindustrie ungefähr eine halbe Million Menschen ich habe die Ermittelungen genau anstellen lassen zum theil zu einer Zeit den Haupterwerb findet, wo die Arbeiten in den übrigen landwirthschaftlichen Betrieben nicht mehr so umfangreich und lohnend sind. (Sehr richtig! rechts) Bekanntlich arbeitet die Zuckerindustrie gerade in der Zeit von etwa Mitte Oktober bis Mitte Februar, und in dieser Industrie werden weibliche und männliche Arbeiter, und zwar zu bisher sebhr lohnenden Preisen und in gesunder Weise beschäftigt (sehr richtig! rechts, und im Sommer zwischen der Ernte und der Bestellzeit finden eine große Zahl, namentlich weiblicher Arbeiter, auch Kinder, Beschäftigung im Rübenbau, während vielleicht andere lohnende Arbeit nicht zu finden ist; gerade für diese beiden Kategorien von Arbeitern ist deshalb diese Arbeit von der allergrößten Bedeutung.

Zweitens, meine Herren, liegt eine ganz wesentliche industrielle und agrarische Frage in der Sache; die industrielle insofern, als ein großer Theil der Maschinenindustrie wie die ganze Kunstdünger⸗ industrie wesentlich von dem Fortgang, von dem Blühen des Rüben⸗ baus und der Zuckerindustrie abhängig ist. Wenn also die Zucker

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