1895 / 38 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 12 Feb 1895 18:00:01 GMT) scan diff

auf den einen Punkt an, den der Herr Vorredner auch berührt hat, daß das türkische Recht, abgesehen von dem Maschaeigenthum, dem Lakuff, zwei Arten von Ländereien anerkennt, nämlich das Staatsland Mirie und das reine Privatland Mülk, und es ist eine Eigen⸗ thümlichkeit des türkischen Rechts, daß auch das Staatsland in der Form des Privatlandes besessen, vererbt und andern übertragen werden kann. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden Arten des Besitzes besteht darin, daß der Besitzer von Staatsland den Zehnten bezahlen muß und gewissen Dispositionsbeschränkungen unterworfen ist, während der Besitzer von einem Privatland lediglich die Grundsteuer zu bezahlen hat. Wenn also von einer Verwandelung von Privatland in Staatsland gesprochen ist, so hat man darin nicht eine Expropriation in unserem Sinne ju verstehen, sondern eine höhere Belastung des Grundbesitzes, die natürlich auf den Kaufwerth Einfluß hat. Nun ist in der Türkei eine reale Scheidung zwischen dem, was Privatland und Staatsland, nie vorgenommen worden. Es ist für Palästina ein Versuch gemacht worden, im Jahre 1861, indem da ein Großherrlicher Erlaß bestimmte, daß alle Ländereien als Staatsland angesehen werden sollen, die zur Zeit der Eroberung Palästinas sich in den Händen von Nicht⸗ muhamedanern befanden. Da die Eroberung Palästinas meines Wissens im Jahre 1517 stattgefunden hat, war dieser Großherrliche Erlaß aller⸗ dings einigermaßen schwierig durchzuführen. Er ist auch damals nicht durchgeführt worden; es hat niemals eine reale Theilung des Grund— besitzes stattgefunden. Aber es blieb dieser Großherrliche Erlaß über den ganzen Grundbesitz von Palästina gleichsam wie ein Schwert des Damokles schweben. Gerade diese Unsicherheit der Verhältnisse hat schon das Auswärtige Amt des Norddeutschen Bundes im Jahre 1869 veranlaßt, an die Konsuln in Palästina eine gedruckte Bekanntmachung zur Vertheilung an alle Deutschen zu geben, in der dieses Verhältniß auseinandergesetzt und die dringende Mahnung ausgesprochen wird, daß die Deutschen bei Anschaffung von Grund⸗ eigenthum sich der äußersten Vorsicht befleißigen möchten. Diese Unsicherheit in den Grundeigenthumsverhältnissen war noch dadurch erhöht, daß bis zum Jahre 1874 die türkische Grundbuchsordnung überhaupt nur für das Staatsland galt. Nur für dieses wurden Besitztitel von staatlichen Grundbuchs-Beamten ertheilt, während die Titel des Privatlandes von dem geistlichen Gericht des Kadi ertheilt wurden. Das wurde 1874 durch ein Gesetz geändert. Es sollten nun für die Ländereien beider Arten staatliche Titel gewährt werden. Die erste Beschwerde der deutschen Kolonisten in Jaffa finden wir bereits im Jahre 1875. Damals schon hatten die Kolonisten die Besorgniß, es möge hinter diesem Gesetz die Absicht der türkischen Regierung stehen, Privatland in Staatsland zu ver— wandeln. Damals gab aber die türkische Regierung beruhigende Versicherungen, und die deutsche Botschaft in Konstantinopel forderte die Kolonisten auf, sie möchten sich diesem Gesetz unter⸗ werfen und die Einwilligung geben, daß die Titel umgetauscht würden. So lag die Sache bis zum Jahre 1891. Aus Anlaß eines Spezialfalles, wo die Ober -Grundhuchdirektion fand, daß Privatland fälschlich als Staatsland behandelt wurde, kam die türkische Re— gierung auf den alten Erlaß von 1861 zurück und verfügte, daß bei jedem Uebergang von Privatland in andere Hände nunmehr der Erlaß anzuwenden und dieses Privatland nach Maßgabe desselben in Staatsland umzuwandeln sei. Das war eine ganz allgemeine Verfügung, die nicht nur die deutschen Kolonisten betraf, sondern die Türken ebenso wie die Oester⸗ reicher, die Franzosen, die Italiener, die dort Grundeigenthum besaßen. Es wandten sich nun alle Kolonisten, die einheimischen und fremden, die ersteren an die türkische Regierung, die letzteren an ihre Vertretungen in Konstantinopel. Die übrigen Vertretungen haben jede Intervention abgelehnt, weil sie mit Rücksicht auf die inter— nationalen Vereinbarungen eine Intervention für nicht zulässig hielten; die deutsche Botschaft allein hat die Sache in die Hand genommen, hat das Interesse der deutschen Kolonisten und damit zugleich das Interesse aller Grundeigenthümer in Syrien ver— folgt, und es ist ein eigenthümliches Schicksal, daß dann auch die deutsche Botschaft allein der Zielpunkt von Klagen und heftigen An— griffen geworden ist, als ob sie überhaupt nichts gethan habe. Und doch war die Sache rechtlich ziemlich zweifelhaft, und in der ganzen Polemik in der Presse ist der eine Punkt garnicht gewürdigt worden, daß in den internationalen Verabredungen, welche die Mächte mit der Türkei abgeschlossen haben, nach⸗ dem das türkische Gesetz den Ausländern das Erwerben bon Grund— eigenthum gestattete, die Mächte ausdrücklich auf Privilegien für ihre Angehörigen verzichten und erklären, daß jetzt weiter nichts verlangt werde, als Gleichstellung mit den Eingeborenen, daß die fremden Kolonisten sich bezüglich des Grundeigenthums der türkischen Ver⸗ waltung und Justiz unterwerfen sollten und auf jede diplomatische oder konsularische Intervention verzichtet werde. Die deutsche Bot⸗ schaft in Konstantinopel hat trotz der Schwierigkeiten, die sich aus diesen internationalen Verabredungen ergaben, mit allem Nachdruck die Sache verfolgt und bei der türkischen Regierung geltend ge⸗ macht, daß es wider alles Recht und Billigkeit verstoße, wenn die Rechtsgültigkeit einmal gegebener staatlicher Titel nachträglich in Frage gestellt werde. Es gelang auch den Bemühungen der deutschen Botschaft, die türkische Regierung, obgleich der Staats rath und die gesetzlichen Berather der Pforte anderer Ansicht waren, dazu zu bewegen, dem Begehren der deutschen Bot⸗ schaft stattzugeben und im Jahre 1893 den Beschluß zu erlassen, dahin gehend, daß als Privatland das Land anerkannt werde, wenn die Umschreibung auf Grund eines im guten Glauben erworbenen Privat— titels, eines Mülktitels, erfelgt sei. Dieser Beschluß der Pforte ist irgendwo bei den Provinzialbehörden in Syrien hängen geblieben, es hat sich eine ziemlich weitläufige Korresponden; zwischen Konstanti— nopel und Jerusalem daraus entwickelt. Wegen Nichtausführung dieses Beschlusses kamen im Sommer vorigen Jahres Beschwerden deutscher Kolonisten an die deutsche Botschaft. Wieder hatte der deutsche Botschafter die Sache nachdrücklich bei der Pforte verfolgt und endlich am Ende vorigen Jahres die Verfügung erlangt, deren wesent⸗ lichen Inhalt der Herr Vorredner angegeben hat. Es sollen danach alle die Privatlandtitel, die vor der Einführung des Grundbuchgesetzes von 1874 ertheilt worden sind, ohne weiteres als Privatlandtitel gelten, und es solle für diejenigen Titel, die später für Mülkland gegeben seien, während eigentlich das Land Mirie war, ein Verzeichniß aufgenommen werden, und auf Grund dieses Zeugnisses sollten dann in Konstanti⸗ nopel gesetzmãßige Privattitel dafür ertheilt werden. Diese Verord⸗ nung entspricht im wesentlichen den Beschwerden der deutschen Kolo= niften, und wenn der Herr Vorredner den Wunsch ausgesprochen hat,

es möge zu den Arbeiten der Kommission, die seit einigen Tagen in Jaffa tagt, auch ein deutscher Vertreter entsendet werden, so habe ich diesem Wunsch bereits stattgegeben. Es ist der Zweite Dragoman der Botschaft nach Jaffa entsendet, allerdings nicht, um die Arbeiten der Kom mission zu überwachen dazu haben wir kein Recht, wohl aber dazu, um das vermittelnde Organ zwischen den deutschen Kolo⸗ nisten und der Kommission zu bilden, etwaige Beschwerden der Kolo⸗ nisten zu erledigen, etwaige Einwände der Kommission zu beseitigen und alles das zu thun, was er zur Erledigung der berechtigten Be⸗ schwerden der Kolonisten thun kann. So, meine Herren, wird wohl der Herr Vorredner in seinem mir bekannten Gerechtigkeits⸗ sinn zugeben, daß alles zu Gunsten der deutschen Kolonisten ge⸗ schehen ist, was überhaupt geschehen konnte. Es ist wirklich ein eigen⸗ thümliches Ding, daß in der Presse die schärfsten Angriffe gegen das Auswärtige Amt und gegen die deutsche Botschaft in Kon stantinopel laut wurden, während es lediglich der deutschen Bot— schaft zu verdanken ist, daß ein Resultat erreicht wurde, welches nicht nur den Wünschen der deutschen Kolonisten gerecht wurde, sondern auch denen der französischen, englischen, österreichischen und zugleich der einheimischen Titelbesitzer.

Nun, meine Herren, hat der Herr Vorredner eine ziemlich scharfe Kritik an der türkischen Verwaltung und an der türkischen Justiz geübt. Ich bin nicht in der Lage, hier die türkischen Be⸗ hörden zu vertheidigen oder zu kritisieren. Das ist meine Aufgabe nicht. Ich komme nur auf den Satz zurück, den ich neulich hier einmal ausgesprochen habe, nämlich darauf, daß, wer sich im Ausland ansiedelt, eben in der Hauptsache die Institutionen nehmen muß, die er dort vorfindet. (Zustimmung.) Und wer sich in der Türkei an— siedelt, wird gewiß alle Hilfe für seine Beschwerden innerhalb der Grenze der Möglichkeit von seiten der deutschen Vertreter finden; aber ihm dort eine Verwaltung und eine Justiz zu garantieren, die unseren Anforderungen entspricht, das ist durchaus un⸗ möglich. (3ustimmung.) Nachdem der Herr Vorredner nun die Schattenseiten hervorgehoben, möchte ich auf der anderen Seite anerkennen, daß die Regierung Seiner Majestät des Sultans, obgleich die Rechtsfrage bezüglich der Zulässigkeit der diplomatischen Inter⸗ vention einigermaßen zweifelhaft war, trotzdem von Anfang an die Frage in dem Geiste des billigen Entgegenkommens gegen die deutschen Wünsche und im Geiste der freundschaftlichen Beziehungen behandelt hat, die zwischen der Türkei und Deutschland bestehen, und wenn Schwierigkeiten und Verzögerungen eingetreten sind, das eben in Um⸗ ständen liegt, die eben außerhalb des Willens der türkischen Regierung liegen. Die Kommission ist im Gange; ein deutscher Vertreter ist entsendet, und ich kann hier die Versicherung abgeben, daß nach wie vor das Auswärtige Amt und die ihm untergebenen Beamten den Kolonisten in Jaffa und Palästina mit Rath und That und auf das kräftigste zur Seite stehen werden. (Beifall.)

Abg. Frese (fr. Vgg.): Der Abg. Hasse hat bei der Be— gründung seiner Interpellation vom 14. Januar einen schweren Vor— wurf gegen den früheren Reichskanzler Grafen von Capripi gerichtet, als er ö daß bis 1890 der Deutsche im Auslande stolz sein Haupt habe erheben können, während er heute sagen müsse: Wir muͤssen uns von Ort zu Ort drücken, der alte Respekt ist eben fort“. Es ist welt⸗ bekannt, daß gerade die Regierung unter dem Grafen Caprivi sich großen Ansehens bei den auswärtigen Mächten erfreut habe wegen der eminent friedlichen Politik, die unter dem Grafen Capripi getrieben ist. Ich will zugeben, daß der Gesandte Payer manches, was er hätte thun sollen, nicht gethan hat, und manches gethan hat, was er nicht hätte thun sollen. Aber die von dem Abg— Hasse angeführten Herren scheinen mir nicht dazu angethan, das zi c, des deutschen Piwonierthums im Ausland wesentlich zu fördern. Wenn der Fürst Bismarck einmal ausgeführt hat, daß der Deutsche, wenn er ins Ausland gehe, allerdings die Sympathien der Regierung als eines

Pioniers verdiene, aber doch nicht davon abzuschen sei, daß er auch eines hohen Erwerbes wegen draußen gehe und Gefahr damit verknüpft sei, so muß die Auffassung jeder Kaufmann beipflichten. Wenn der Abg. asse behauptet, daß die Vertreter des Reichs im Ausland im Jahre 1890 schärfere Anwei— sungen hätten erhalten müssen, so meine ich, daß das ein Unglück ge⸗ wesen sein würde. Abenteurer fangen Streit an und geben zu bösen Sachen Veranlassung. Das Ansehen des Deutschen Reichs ist nicht gefallen, es ist eher gewachsen. Die Mitglieder der Bremer Handels kammer, der ich angehöre, sind der Meinung, daß das Ansehen der Deutschen in Nord Amerika nie so groß war, als nach der Aus— stellung in Chicago, die unter der Amtsführung des Grafen Caprivi so erfolgreich besucht wurde. Namens der Bremer Handelskammer habe ich zu erklären, daß mit Ausnahme des Falls Payer im vorigen Jahre ihr irgendwie erhebliche Klagen über die Lässigkeit der Vertreter der Regierung im Auslande nicht zu Ohren gekommen seien, wohl aber einzelne Fälle, wo Firmen oder Dampf⸗ schiffs⸗Rhedereien die bereitwilligste Hilfe der Regierung und ihrer Vertreter zugebilligt erhalten hätten. Wenn ich sagte, das Ansehen der Deutschen im Auslande sei gewachsen, so will ich andererseits agen; es ist Gefahr auf anderen Gebieten, daß dieses Ansehen wieder fällt. Einmal auf dem Gebiet, daß man mit der Absicht umgeht, Handels verträge, die bestehen, zu kündigen, da wird der Fleiß der Deutschen vergeblich gewesen sein, dann wird die Position, die sich die Deutschen' mit Mühe in einer langen Reihe von Jahren im Auslande geschaffen haben, ein willkommenes Beutestück für die Vertreter anderer Nationen werden. Dann liegt die Gefahr darin: wenn wir zu einer Börsen⸗ reform kommen sollten, welche kränkende Bestimmungen für den deutschen Kaufmann enthält., dann würde mit solcher Reform das Ausland aufmerksam gemacht werden: dieses ist der deutsche Kauf⸗ mann, dem habt ihr Treu und Glauben zugemuthet, er ist aber dessen nur in minderem Maße werth. Es würde alfo ausgesprochen werden, daß der deutsche Kaufmann sich doch nicht so treu und glaubwürdig ansehen ließe, wie die Kaufleute anderer Rationen. Wenn andererseits der Versuch gemacht werden wird, bei Handels⸗ verträgen zu erörtern, os man nicht um diese Handelsverträge in irgend einer Weise herumkommen könne, fo wird in diesem Fall das Deutsche Reich an Treue und Glauben bei den , Nationen verlieren. Wenn durch eine Börsenreform dem Kaufmann Treu und Glauben bis zu einem , . Grad ab⸗ geschnitten wird, dann wird bei den fremden Nationen das Ansehen des deutschen Kaufmanns sinken.

Abg. Mel kenbuhr (Soz.): Die Gewerbeordnung enthält die BVorschrift, daß für Gewerbe mit gesundheitsschädlichem Betrieb eine bestimmte Arbeitszeit festgesetzt werden muß. Daß eine kürzere Arbeits. zeit im Bäckereigewerbe durchführbar sei, wird übrigens auch von vielen Bäckermeistern selbst zugestanden. Ich bitte die Regierung, mit der Abstellung der Uebelstände nicht länger zu sãumen.

Staatssekretär des Innern, Staats⸗Minister Dr. von

Boetticher:

Die letzte Frage des Herrn Vorredners kann ich dahin be⸗ antworten, daß es nicht Absicht ist, die Arbeiten der Kom- mission für Arbeiterstatistik dem Papierkorb zu überliefern, daß die Absicht vielmehr dahin geht, diese werthvollen Arbeiten einer Würdigung zu unterziehen und auf Grund derselben diejenigen Maßregeln, sei es im Wege der Gesetzgebung, sei es im Wege des Bundesrathsbeschlusses, eintreten zu lassen, welche zur

Besserung der Zustãnde im gewerblichen Leben geeignet erscheinen. Ich habe mich gewundert, daß der Herr Vorredner, der doch Mitglied der Kommission ist, hier in so großer Breite die Frage der Bebandlung der Arbeitszeit in der Bäckerei vorgetragen hat. Er ist doch gan gewiß darüber unterrichtet, daß die Enquete über diese Arbeitszeit ab. geschlossen ist, daß die Kommission einen Bericht erstattet hat, und daß auf diesen Bericht demnächst auch eine Entscheidung getroffen werden wird. ;

Wenn der Herr Vorredner es am Eingange seiner Rede beklagt hat, daß von der Befugniß, die der 5 120 e der Gewerbeordnung dem Bundesrath ertheilt, bisher noch kein Gebrauch gemacht sei, so sollte ich meinen, daß auch er nicht im unklaren darüber sein könnte, daß der Bundesrath gerade zu dem Zweck, um in die Lage gesetzt zu werden, die Verhältnisse in den einzelnen Gewerben genau zu über, sehen und auf Grund der angestellten Prüfungen über die Noth. wendigkeit einer Verkürzung der Arbeitszeit ein Urtheil zu gewinnen. und die erforderlichen Abhilfemaßregeln zu treffen, die Kommission für Arbeiterstatistik ins Leben gerufen hat. Hätte der Herr Vorredner sich gegenwärtig gehalten, daß dies der erste Bericht ist, den die Kommission auf diesem Gebiet erstattet hat, und daß dieser Bericht erst im Juni vorigen Jahres erstattet worden ist, so wird er, glaube ich, kaum in der Lage sein, die Beschwerde darüber, daß die verbündeten Regierungen bisher unthätig gewesen, aufrecht zu erhalten.

Ich gehe auf die Einzelheiten des Vortrags des Herrn Vorrednerg nicht ein. Die Sache ist im Fluß. Die Königlich preußische Regierung, die Gelegenheit gefunden hat, sich mit der Frage zu beschäftigen, ob auf dem Wege der Gesetzgebung oder auf dem Wege des Bundesrathsbeschlusses den Uebelständen, die im Bäckergewerbe rücksichtlich der Arbeitszeit wahrgenommen worden sind, Abhilfe geschaffen werden könne, hat sich, wie ich mittheilen kann, dafür entschieden, daß der Weg der Gesetzgebung beschritten werden soll, und ich glaube, es wird auch im Sinne des Herrn Vorredner liegen. Auch er wird diesen Weg als den zutreffenden ansehen. Bei der Aufhebung des Gesetzentwurfes bisher liegt nur ein Gut— achten der Kommission vor wird es sich darum handeln, zu prüfen, wie den Uebelständen, die bei der sehr gründlichen Enquste über das Bäckergewerbe wahrgenommen sind, zu begegnen sein möchte. Demnächst werden wir auf diesem Gebiete auch rücksichtlich anderer Gewerbe fortfahren. Den Herren ist bekannt, daß Untersuchungen über die Dauer der Beschäftigung der Kellner, der Arbeiter in der Mühlenindustrie und der Geschäftsstunden im Handelsgewerbe bereitz im Gange sind. Also der 5 1206 ist nicht begraben, und was auf Grund dieses Paragraphen geschehen ist, wandert nicht in den Papier⸗ korb, und damit, glaube ich, wird der Herr Vorredner sich beruhigen können.

Abg. Dr. Hitze (Zentr.): Ich glaube, daß man dem Bundesrath keinen Vorwurf daraus machen kann, daß die Aussührungsbestimmungen zur Gewerbeordnung noch nicht vorliegen; eine Absicht der Verzõge⸗ rung, wie sie der Abg. Molkenbuhr anzunehmen fchien, ist jedenfalls nicht anzunehmen.

Abg. Richter (fr. Volksp.): Der Art. 17 der Reichs verfassung besagt, daß Verordnungen und Verfügungen des Kaisers zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung des Reichskanzlers bedürfen, der damit die Verantwortlichkeit übernehme. Diese Bestimmung ist in den letzten Jahren nicht mehr so beobachtet worden, wie es hätte ge⸗ schehen müssen. Der Reichskanzler hat sich noch vor einigen Tagen bei den Verhandlungen über die Interpellation des Abg. Hitze auf zwei Erlasse des Monarchen vom Februar 1890 bezogen, von denen der eine an den Reichskanzler, der andere an“ den preußischen Handels⸗Minister adressiert ist, und hat bemerkt, daß diese Erlasse für das preußische Ministertum, also auch für ihn selbst maßgebend seien. Nun entbehren diese beiden Erlasse aber der Gegen⸗ zeichnung des Reichskanzlers resp. des verantwortlichen Ministers. Es ist allgemein bekannt und nachweisbar, daß der damalige Reichskanzler Fürst Bismarck es abgelehnt hat, diese Gegenzeichnung vorzunehmen, weil er mit dem Inhalt der Erlasse nicht einverstanden war— Diese Erlasse haben also nach dem Wortlaut der Verfassung keine Gültigkeit. Es fragt sich nun, ob der Reichskanzler Graf Caprivi oder der Reicht kanzler Fürst Hohenlohe diese Gegenzeichnung vorgenommen hat. Ist dem nicht so, so haben diese Erlasse keine Gültigkeit nach dem Wortlaut der Reichsverfassung und auch der preußischen, sie sind lediglich Privatäußerungen des Monarchen und können hier zur Diskussion höchstens in der Bedeutung gestellt werden wie etwa priwate Aeußerungen des Monarchen beim Empfange des Reichstagé⸗Präsidiums. Nun sind allerdings diese Erlasse seiner Zeir im „Reichs -Anzeiger amtlich publiziert worden. Wie war es aber möglich, diese ungültigen Erlasse ohne Gegenzeichnung als amtliche Erlasse im amtlichen Organ zu publizieren? Ein sehr eigenartiges Ereigniß hat sich fernerhin abgespielt im Laufe dieses Etatsjahres. Eines schönen Tages hat sich beim Reichskanzler Grafen Caprivi der Hauptmann von Natzmer ge⸗ meldet und gesagt, er sei zum Gouverneur von Kamerun ernannt. Graf von Caprivi hat dies zuerst bezweifelt, weil der betreffende Posten zur Zeit besetzt war und die Ernennung des Hauptmanns von Natzmer weder beim Auswärtigen Amt, noch beim Reichskanzler, noch bei der Kolonialverwaltung irgend wie in Frage gekommen war. Aber es hatte seine Richtigkeit, der Hauptmann von Natzmer berief sich auf die Ernennung des Monarchen. Es ist aber dem Reschs— kanzler und dem Chef des Auswärtigen Amts gelungen, diese Er⸗ nennung, die an sich noch keine Gültigkeit erlangt hatte, rückgängig zu machen. Ein solches Vorkommniß hat nach jeder Seite hin ö zur Folge. Entweder wird durch die Rückgängigmachung einer solchen Ernennung der Monarch selbst bloßgestellt, oder es wird, wenn fich die verantwortlichen Minister nachträglich fügen, ihre Autorität nach außen bloßgestellt. Nun kann doch eine solche Ernennung einer dritten Person nur bekannt werden durch eine Mittheilung, welche aus dem. Militär- oder dem Zivilkabinet an sie gelangt. Diese beiden Kabinette sind dem verantwortlichen Minister untergeordnet. Wie kann nun ein solches Kabinet eine Ernennung expedieren, die der Unter⸗ zeichnung des verantwortlichen Ministers entbehrt, alfo an fich ein noch ungültiger Akt ist? Ich möchte den Reichskanzler ersuchen, diefe beiden Kabinette anzuweisen, keiner dritten Person eine Ernennung mitzutheilen, die noch nicht vom verantwortlichen Minister gegen⸗ gezeichnet ist.

Reichskanzler Fürst zu Hohenlohe:

Auf die Bemerkungen des Herrn Abg. Richter bezüglich der Erlasse vom 4. Februar 1890 habe ich zu bemerken, daß diese Erlasse zu einer Zeit ergangen sind, wo ich nicht im Amt war. Die Verantwortung für die Publikation hat damals der Fürst Bismarck getragen.

Was die Frage des Hauptmanns von Natzmer anbetrifft, so möchte ich bemerken, daß eine Anstellung des Hauptmanns von Natz mer nicht stattgefunden hat, daß also auch von einer Gegenzeichnung nicht die Rede sein kann, und daß der Gegenstand auch zur Zeit in die Diskussion des Reichstags nicht gehört.

Abg; Richter (fr. Volksv)): Ich will zur weiteren Begründung meiner Ansicht bemerken, daß damals die „Nöational-Jeitung? schrieb, es sei eigenthümlich, daß der Fürst Bismarck und die Minister Frei⸗ herr von Berleysch und von Maybach diese beiden Ordreg nicht gegengezeichnet hätten; es wäre erwünscht, daß dieses Versãumniß nachgeholt würde, denn abgesehen von staatsrechtlichen Bedenken,

habe auch nichts dagegen,

he die Unterlassung dieser Gegenzeichnung seitens d ũ 5 und der Min ten . 8 3 . . .

erufen hahe, könne eg nicht ausgeschlossen bleiben, daß man nach lichen Gründen dafür suche. Also es ist eine Gegenzeichnung der Grlasse nicht erfolgt, und es ist doch doppelt Unrecht, wenn der Fürst Hohenlohe sich vor uns auf einen solchen Erlaß beruft. r

Staatssekretär des Innern, Staats-Minister Dr. von Boetticher:

Da ich im März 1890 im Amt gewesen bin und mich der Vor⸗ ginge vor und nach den Erlassen vom 4. Februar sehr genau erinnere, so bat mir der Herr Reichskanzler gestattet, daß ich den Herrn Abg. Richter über einige thatsächliche Irrthümer aufkläre.

Es ist mir nichts davon bekannt geworden, daß der Fürst Bismarck es ausdrücklich abgelehnt habe, die Erlasse vom 4. Fe⸗ bruar gegenzuzeichnen, ich glaube mich sogar nicht zu irren, daß es der Fürst Bismarck gewesen ist, welcher die Erlasse redigiert hat, und wenn er sie nicht gegengezeichnet hat, so wird dies Ver— fabren der Erwägung zuzuschreiben sein, daß die beiden Erlasse gewisser⸗ maßen programmatische Erklärungen waren, die ein Ziel bezeichneten, welches Seine Majestät der Kaiser für erstrebenswerth hielt, und daß diese Erlasse nicht den Charakter solcher Regierungshandlungen an sich trugen, welche der Gegenzeichnung bedürfen. Seine Majestät der Kaiser sprach in den Erlassen lediglich aus, was Seiner Meinung nach auf dem Gebiet der Arbeiter— fragen von seiten der Regierung angestrebt werden müsse, und es scheint mir staatsrechtlich außer Zweifel zu sein, daß solche Erlasse keiner Kontrasignatur bedürfen. Erst dann bedarf es einer solchen, wenn nach irgend einer Richtung eine politisch oder rechtlich zu ver⸗ tretende Folge eintritt, und die trat zunächst hier nicht ein.

Weiterhin habe ich zu bemerken, daß, was den Hauptmann von Natzmer betrifft, derselbe niemals in rechts verbindlicher Form eine Ernennung im Kolonialdienst erhalten hat. Es kann also von einer Kontrasignatur dieser Ernennung keine Rede sein, und ebenso wenig ist von einer Zurücknahme derselben die Rede gewesen. Also, der Herr Abg. Richter ist in seinen Bemerkungen von Voraussetzungen ausgegangen, die thatsächlich nicht zutreffen.

Abg. Richter (fr. Volksp.): Ich habe durchaus nicht gesagt, daß die Ernennung des Hauptmanns von Natzmer gegengezeichnet worden sei, sondern im Gegentheil nur behauptet, daß derselbe sich dienstlich beim Reichskanzler, als vom Monarchen ernannt, gemeldet habe.

Staatssekretär des Innern, Staats-Minister Dr. von Boetticher:

Ich habe vorhin unterlassen, auf die Bemerkung des Herrn Abg. Richter, die er jetzt wiederholt hat, zurückzukommen, daß der gegen⸗ wärtige Herr Reichskanzler die Erlasse vom 4. Februar 1890 als für das preußische Staats. Ministerium resp. für die Reichs verwaltung ver⸗ bindlich bezeichnet hätte. Das ist auch ein thatsächlicher Irrthum.

Die Erklärung des Herrn Reichskanzlers ging ausdrücklich dahin, daß das Königlich preußische Staats⸗Ministerium nach wie vor der Ueber— zeugung sei, daß das Programm, welches in den Erlassen vom 4 Fe⸗ bruar 189 sich niedergelegt findet, zur Durchführung kommen müsse, oder vielmehr wörtlich, daß es die Aufgabe der Regierung sei, das Programm, das in diesen Erlassen sich vorfindet, durchzuführen. Was heißt das? Das heißt: das gegenwärtige preußische Staats-Ministerium ist und zwar unter seiner Verantwortung der Meinung, daß das Ziel, welches in den Erlassen als erstrebenswerth bezeichnet wird, nun auch wirklich angestrebt wird. Und wenn der Herr Vorredner meint, daß im amtlichen Theil des ‚Reichs⸗-Anzeigers“ Kaiserliche und Königliche Erlasse nur dann zu publizieren wären, wenn sie eine Kontrasignatur tragen, so kann er sich leicht davon überzeugen, daß vielfach solche Erlasse dort publiziert werden, die nicht kontrasigniert sind. Es kommt eben auf die Natur der Erlasse an. Wenn der Monarch in Ausübung seiner verfassungsmäßigen Pflichten und Rechte Anordnungen trifft, so bedarf er der Kontrasignatur des Reichskanzlers resp. eines Ministers; daneben aber ist es dem Monarchen durchaus nicht ver⸗ wehrt, die Meinung, die er über die Erledigung gewisser Fragen des öffentlichen Interesses hegt, auch öffentlich kundzugeben, und die Stelle für diese öffentlichen Kundgebungen ist der amtliche Theil des Reichs ⸗Anzeigers “.

Abg. Richter Fr. Volksp.): Ich weiß sehr wohl, daß im amt⸗ lichen Theil des „Reicht Anzeigers! Erlasse ohne Gegenzeichnung publiziert werden, wie die Danksagungen für Glückwünsche zum Geburts⸗ tag des Kaisers; das sind Privataͤußerungen, die niemand in eine Reihe stellen wird mit denjenigen, um die es fich bei der Verfassung han⸗ delt. Aber wenn an amtlicher Stelle Meinungßäußerungen in politischer Beziehung von Amtswegen kundgegeben werden, so wird dadurch von . in unkonstitutioneller Weise die öffent— liche Kritik in politischen Fragen eingeschränkt. Im gegen. wärtigen Fall handelt es si nicht um Meinungoäuße⸗ rungen, sondern um eine direkte Anweisung. In dem Fall 1850 war der Reichskanzler nicht einverstanden mit den ESrlassen, trotzdem sind sie publiziert worden; und das war ein Bruch der Verfassung, der bis heute noch nicht gesühnt ist. Mit der Verantwortlichkeit unserer Minister in der Verfaffung ist es fo schwach bestellt, daß wir wahr⸗ lich alle Veranlaffung haben, auf die Erfüllung der Bestimmungen Snau zu achten, die in Bezug auf die Verantwortlichkeit in der Verfassung gelten.

Staatssekretär des Innern, Staats⸗Minister Dr. von Boetticher:

Ich bedauere, daß der Herr Vorredner wiederum an seinem Standpunkt festgehalten hat, der, wie mir scheint, nicht haltbar ist; wenn er nun absolut darauf Werth legt, einen Minister zu haben, den er verantwortlich machen kann für die Erlasse vom 4. Februar 1890, dann mag er sich doch an diejenigen Minister halten, die nun auf Grund dieser Erlasse Gesetzesvorschläge aufgestellt bezw. Anord⸗ nungen getroffen haben. Diese Gesetzesvorschläge sind kontrasigniert; also ist jemand vorhanden, den er verantwortlich machen kann. Ich wenn er eine Interpellation an den damaligen Herrn Reichskanzler richten will mit der Anfrage (Heiterkeit, warum er nicht die Erlasse kontrasigniert hat. Vielleicht bekommt er eine Antwort. (Göeiterkeit Ich bin in dieser Beziehung auch nur auf das Feld der Vermuthungen ange⸗ wiesen, und das scheint mir nach wie vor erschöpft zu sein auf beiden Seiten. (Sehr gut! rechts.)

Abg. Richter (fr. Volksp.): Es ist das eine der wichtigsten Fragen, die es überhaupt im Verfassungsleben giebt; die Sache hat ine so eminent praktische Bedeutung, wie viele andere Fragen zu⸗ sammengenommen nicht. Der heiche lan ler hat , auf die Erlasse 8 z . muß man doch fragen, sind die Erlasse rechte gültig

Abg. Freiherr von Stumm-Halberg (Rp.): Wenn der Ver—

Fiflungsbruch wirklich ein so schauerkicher ist, wi ihn der Abg? ih :

ler ausmalt, so frage ich ihn, warum er fünf Jahre damit gewartet hat, ehe er ihn zur Ey nch brachte, und jetzt zu dieser späten Stunde

eine so kolosfale Frage, von der das Schicksal des ganzen Deut

Reichs abhangt, . vorbringt. 46 ö Abg. Richter (fr. Vol lep): Ich könnte noch einen anderen Fall hinzufügen, über den mir sicher eine bessere Auskunft gegeben werden kann. Es wird nämlich gesagt, daß Graf Botho zu Eulenburg un⸗ mittelbar, nachdem er als preußischer Minister · Präsident enflassen worden ist, ohne Zuziehung des verantwortlichen Ministers zum

Statthalter von Elsaß⸗Lothringen ernannt worden sei, und daß erst durch das Hinzutreten) des Fürsten Hohenlohe diese Ernennung rück gang gemcht worden sei.

; 9 reiherr van Manteuffel (kons): Der Abg. Richter scheint ier mit Vorliebe Märchen vorbringen zu wollen“ Er hat auch nicht auf die Frage geantwortet, warum er diefe Angelegenheit nicht schon vor fünf Jahren hier , hat. Ich mache aber darauf aufmerksam, daß Art. 7 der eichsverfassung ausdrücklich von Anordnungen und Verfügungen“ des Kaisers spricht, und hier handelt es sich nicht um eine Anordnung oder um eine Verfügung, sondern um . Hasfe ;

g. Pr. Hasse (nl): Es liegt doch nicht so, daß ich neulich vom Staatssekretär Freiherrn von Marschall abgefertigt worden bin, wie der Abg. Frese meinte. Der größte Theil der Ausführungen des Staats sekretkãrs bestand in Konzessionen zu dem, was ich vorgebracht hatte; ich konnte damit zufrieden sein.

Präsident von Levetzow bittet den Redner, nicht über Sachen zu sprechen, die nur beim Etat des Auswärtigen Amts zur Sprache gebracht werden könnten.

Abg. Dr, Hasse (nl): Ich will jetzt die Sache nicht wieder besprechen, aber ich will beim Etat des Auswärtigen Amts dem Staatssekretãr von Marschall Material vom Allgemeinen deutschen Verband beibringen, das meine Behauptungen beweist.

Staatssekretär des Auswärtigen, Staats⸗Minister Frei⸗ herr von Marschall:

Meine Herren! Nachdem der geehrte Herr Vorredner weiteres Material in Aussicht gestellt hat für die Berathung meines Etats, so darf ich wohl, ohne mir etwas zu vergeben, die weiteren Ent⸗ hüllungen des Herrn Vorredners abwarten, bevor ich auf die heute wiederholten Klagen eingehe. Aus den letzten Mitthei⸗ lungen über einen Ortsverein des Alldeutschen Verbandes in Bogotèé habe ich entnommen, daß meine jüngste Behauptung, es seien gewisse Sammelstellen eingerichtet worden, um Klagen gegen das Auswärtige Amt in Empfang zu nehmen, in der That zutrifft nur mit der Ausdehnung, daß nicht nur, wie ich damals glaubte, im Inland, sondern auch im Ausland derartige Sammelstellen eingerichtet worden sind. (Hört, hört h

Ich kann dem Herrn Vorredner allerdings in Aussicht stellen, daß er auf diese Weise in den Besitz eines sehr reichhaltigen Materials gelangen wird. (Sehr gut Nur erwidere ich ihm in aller Bescheidenheit: meines Erachtens kommt es doch nicht auf die Quantität, sondern die Qualität der Beschwerden an lsehr guth, und in der Beziehung, glaube ich, lassen die bisherigen Leistungen des Alldeutschen Verbandes einiges zu wünschen übrig. (Heiterkeit und sehr richtig!)

Ich habe mich lediglich zum Worte gemeldet, weil der geehrte Herr Vorredner die Behauptung aufgestellt hat, ich hätte dem Herrn Müller, auf Grund irriger Informationen, Unrecht gethan; es habe Herr Müller in Salvador nicht schon vor der Zerstörung des Eigen— thums und vor der Hissung der deutschen Flagge der Revolutionsarmee angehört, sondern sei erst nachher eingetreten. Mein Vorwurf, er habe mit der deutschen Flagge Mißbrauch getrieben, treffe nicht zu. Nun mag der Herr Vorredner versichert sein, daß ich jeden Augenblick bereit bin, wenn ich auf Grund irriger Informationen jemand Un⸗ recht gethan, meine Worte zu modifizieren oder zurückzunehmen. Ich habe, nachdem der Herr Vorredner mir einen Brief des Vaters dieses Herrn mitgetheilt hat, in dem er gegen den von mir gebrauchten Ausdruck protestierte, nochmals nach Salvador an unseren Konsul Augspurg telegraphiert und gebeten, darüber sorgfältige Er⸗ hebungen zu veranstalten, ob Herr Müller bereits vorher vor der Zerstörung seines Eigenthums und vor der Hissung seiner Flagge Mitglied der Revolutionsarmee gewesen' sei, oder, wie sein Vater behauptet, erst später in die Revolutionsarmee eingetreten sei. Herr Augspurg in Santa Anna hat mir darauf telegraphiert, daß Müller bereits im Jahre 1893 Geheimagent der Revolution gewesen sei (hört! hört), daß er sofort nach Ausbruch des Aufstandes eine Abtheilung befehligt habe, daß diese Abtheilung mit General Lopez vor Aquizapaga zusammengetroffen sei und er sich hierbei an der Vertheidigung der Stadt betheiligt habe, die am 3. Mai zugleich mit dem Hause Müller's geplündert wurde. Wenn ich es als Mißbrauch der deutschen Flagge bezeichnet habe, daß ein Deutscher, der sich an der Revolution betheiligt, die deutsche Flagge auf seinem Eigenthum hißt, um dieses zu schützen, so kann ich jenen Ausdruck nicht zurücknehmen. (Sehr guth

Abg., Graf von Arnim (Rp.) hält solche Sammelstellen für sehr nützlich und benutzt die Gelegenheit, den Alldeutschen Verband zu empfehlen. Allerdings dürfe man nur wirklich begründete Klagen vor— bringen. Eine Vermehrung der Flotte würde am n ., den Schutz der Deutschen im Auslande bewirken.

Staatssekretär des Auswärtigen, Staats⸗Minister Freiherr von Marschall:

Meine Herren! Ich bin weit entfernt, den Intentionen derjenigen zu nahe zu treten, die diesen Alldeutschin Verband gegründet haben; ich bin vollständig überzeugt, daß es ein rein patriotisches Gefühl war, das sie dabei leitete, aber ich warne dringend vor der Fort setzung der bisher eingehaltenen Methode.

Von jeher, auch zur Zeit des Fürsten Bismarck, sind unbegründete Reklamationen eingegangen und verworfen worden. Es liegt in der menschlichen Natur, daß derjenige, dessen Reklamation abgewiesen wird, unzufrieden ist, und ich bitte doch, diese Unzufrieden heit nicht mit nationalem Gefühl zu verwechseln. Es ist eine ganz interessante Erscheinung, daß die erschienenen Reklamanten, die jetzt der Deutsche Verband mobil gemacht hat, gar keine Grenze ziehen zwischen dem 1. April 1890 und der Zeit vorher. Der Herr Abg. Dr. Hasse hat selbst die Güte gehabt, mir einige Beschwerden ein— zuhändigen, die sich auf die Zeit vor 1890 beziehen (hört! hört links), darunter eine Beschwerde, die schon längst zurückgewiesen ist, und über die wir ganze Berge von Akten haben. Die Leute denken offenbar, daß, nachdem der Alldeutsche Verband gegründet worden, ihre Zeit gekommen sei und sie wiederum ihre Reklamationen anhängig machen können. Dadurch wird in der That die Arbeit unserer Vertreter im Ausland außerordentlich erschwert, und die Herren des Alldeutschen Verbandes sind garnicht in der Lage, wenn ihnen eine derartige Beschwerde zukommt, nun zu ermessen, ob sie begründet ist oder nicht. Das Autwärtige Amt muß dann telegraphieren, es dauert oft Wochen, bis die Beschwerde aufgeklärt wird, und während dessen wird in den Blättern des Alldeutschen Ver⸗

bandes ein heftiger Kampf gegen das Auswärtige Amt geführt. Nur ein Beispiel, zu welchem Resultat diese Methode führt. Der Herr Abg. Hasse hat in seiner Rede vom 14. Januar darauf hin⸗ gewiesen, daß der Herr Beigeordnete Volkening in Essen in den öffentlichen Blättern verkündet, sein Sohn, der seit sieben Jahren in New⸗Jork lebe, habe ihm mitgetheilt, er müsse nun das amerikanische Bürgerrecht annehmen, seine deutsche Nationalität aufgeben, weil er

durch sein Geschäft gezwungen sei, öfter Reisen nach Zentral⸗ und

und dort für die Deutschen kein Schutz bestehe. Ich habe sofort den General⸗Konsul in New⸗Jork telegraphisch beauftragt, sich mit dem Sohne Volkening's in Verbindung zu setzen und ihn zu fragen, ob und welche traurigen Erfahrungen er bei seinen Reisen in Zentral und Süd-Amerika gemacht habe. Und darauf hat Herr Volkening offen erklärt, er sei noch niemals in Zentral⸗ und Süd⸗Amerika gewesen, er habe aber gelesen, daß da ein gewisser Herr Payer sei, und daß man in jenen Ländern überhaupt keinen Schutz habe, deshalb habe er sich ent⸗— schlossen, die deutsche Nationalität preiszugeben. Bei diesen . Erhebungen hat sich dann ergeben, daß für ihn auch andere gewichtigere Gründe vorlagen, die ihm die amerikanische Nationalität als wünschenswerther erscheinen lassen als die deutsche. Er treibt nämlich seit einigen Jahren ein kaufmännisches Geschäft, das darin besteht, daß er amerikanische Waaren nach Zentral- und Süd. Amerika exportiert und von jenen Ländern Waaren wieder nach Amerika importiert. Daß er für die Interessen, die aus diesem Geschäft erwachsen, bei den amerikanischen Konsuln größeren Beistand zu erwarten hat, als bei den deutschen, das liegt auf der Hand. Ich möchte den Herrn Abg. Dr. Hasse nur auf dieses Beispiel hinweisen, um zu zeigen, daß trotz alles Patriotismus, den ich bei den Gründern und Leitern des All⸗ deutschen Verbandes voraussetze, doch durch die Methode, die an⸗ gewandt wird, recht viel Verwirrung geschaffen werden kann.

Der Ftat des Reichskanzlers und der Reichskanzlei wird genehmigt.

Darauf vertagt sich das Haus.

Schluß 6 Uhr.

Süd Amerika zu machen

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

17. Sitzung vom Montag, 11. Februar.

Ueber den ersten Theil der Sitzung ist bereits in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.

In der fortgesetzten Berathung des Etats der Eisen⸗ bahn⸗Verwaltung (Beamtenbesoldungen) nimmt nach dem Abg. Dr. Schultz Bochum (nl.) das Wort der

Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:

Meine Herren! Es ist für einen Ressort⸗Chef immerhin eine mißliche und für die Disziplin innerhalb seiner Verwaltung nicht eben förderliche Sache, sich in Erörterungen hier einlassen zu müssen, die dahin gehen, das Verhältniß der verschiedenen Zweige der Ver⸗ waltung gegeneinander abzuwägen und Aenderungen herbeizuführen, die angeblich ein Unrecht, welches jetzt dem einen Zweig der Ver waltung zugefügt wird, zu Gunsten des anderen Zweiges ab⸗ ändern. Meine Herren, ich kann nach wie vor nicht an— erkennen, daß, wie der Herr Abg. Wallbrecht meint, die Techniker in der Eisenbahnverwaltung Beamte zweiter Klasse, Stief⸗ kinder seien. Es ist das durchaus nicht der Fall. Nach meinem gewissenhaften Ermessen, nach meinen Erfahrungen und nach meiner Absicht findet das innerhalb der Verwaltung nicht statt.

Meine Herren, bei allen Ausführungen, die hier seitens der drei Herren Vorredner gemacht worden sind, ist ein Umstand außer Acht geblieben, der meines Erachtens alle die gegebenen Zahlen über den Haufen wirft: der Umstand, daß nicht mehr etatsmäßige Stellen vorgesehen werden können, weder für die Juristen noch für die Techniker, als dauernd erforderlich sind. Nun trifft es sich allerdings ungünstig für die Techniker, daß ein großer Theil der— jenigen Beschäftigungen, für die die Techniker bestimmt sind, ein rein fluktuierender ist, dabon abhängt, ob die Bauthätigkeit innerhalb der Eisenbahnverwaltung große Dimensionen annimmt oder aus irgend welchen Gründen eingeschränkt wird. Meine Herren, wir können nur diejenigen Techniker dauernd etatsmäßig anstellen, für die wir im Durchschnitt der Jahre eine dauernde Beschäftigung haben. Es finden schon Erwägungen darüber statt zwischen dem Herrn Finanz ⸗Minister und mir, ob diese Zahl der dauernd zu beschäftigenden Techniker oder, mit anderen Worten, die Zahl der etatsmäßigen Stellen erhöht werden kann. Wenn dies der Fall sein sollte, so würde damit ja ein Theil der Wünsche erfüllt werden, die von dem Herrn Vorredner vorgebracht worden sind.

Meine Herren, der Herr Abg. Dr. Schultz, für dessen wohl⸗ wollende Beurtheilung meiner subjektiven Auffassung ich ihm sehr dankbar bin, hat darauf hingewiesen, daß die Beschwerden, die jetzt seitens der Techniker in der Eisenbahnverwaltung erhoben werden, zum großen Theil würden beseitigt werden, wenn eine eigene Vorbildung für die Eisenbahnverwaltung eingeführt werden würde. Den Herren wird erinnerlich sein aus früheren Mittheilungen, die ich in dieser Beziehung gemacht habe, daß eine derartige Umge⸗ staltung der Vorbildung unserer höheren Beamten der Eisenbahn— verwaltung bereits ins Auge gefaßt worden ist. Ich habe in der Budgetkommission bereits erklärt, daß bezüglich der Techniker in der Eisenbahnverwaltung die ersten Schritte in dieser Beziehung schon geschehen sind, daß aber ein weiteres Fertschreiten auf diesem Wege einstweilen hintenangehalten worden ist durch einen ich möchte sagen: mechanischen Umstand. Das Ministerium der öffentlichen Arbeiten, in specie die Eisenbahnabtheilungen des Ministeriums, sind im letzten Jahre, wie die Herren sich wohl denken können, so mit Arbeiten überlastet worden, daß es fast kaum möglich gewesen ist, überhaupt den Kopf oben zu behalten. (Sehr richtig) Die Sache ist durchaus nicht ad acta gelegt, sondern wird, wenn wir erst über die ersten Zeiten der neuen Organisation hinweg sind, wieder in die Hand genommen werden. (Bravo!) Aber, meine Herren, ich möchte diejenigen Herren, die sich für eine Besserung der Lage der akademisch gebildeten Techniker interessieren, doch darauf aufmerksam machen, daß der Vorschlag des Herrn Abg. Dr. Schulz für die Techniker Bedenken in sich trägt, und daß gerade diese Bedenken bei mir auch mit Ursache gewesen sind, die ganze Frage vor thatsächlichen Schritten uns gründlich zu überlegen. Wenn eine spezielle Vorbildung für die Eisenbahnverwaltung eingeführt wird, so heißt das mit anderen