1895 / 78 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 29 Mar 1895 18:00:01 GMT) scan diff

wünsche, welche Haltung sie der Frage gegenüber einnehmen. Die Sache ist also in Bearbeitung und wird hoffentlich und voraussicht⸗ lich im Laufe dieses Jahres so weit gefördert werden, daß der nächste Reichstag mit dem Gesetz wird befaßt werden können.

Abg. Roesicke (b. k. F.) empfiehlt die gesetzliche Anerkennung der gewerblichen Beruftzvereine, die keineswegs Strikevereine seien,

wie oftmals fälschlich behauptet werde. Abg. Mölker (nl) nimmt Veranlassung, einem Artikel des Professors Brentano aus der Zukunft entgegenzutreten, der eine

wegwerfende Kritik der im Reichstag gegenüber dem Antrage Hitze ge⸗ haltenen Reden enthält, und bestreitet, daß die trades unions sozial⸗ demokratisch geworden feien. Richtig sei, was die Frage anlange, nur, daß die trades unions die Sozialdemokratie der Richtung des Abg. von Vollmar vertreten und insofern noch nicht ganz da seien, wo sic die Mehrheit der deutschen Sozialdemokraten befindet.

Abg. Dr. Müller-Sagan (fr. Volksp.) befürwortet die Ein⸗ führung der obligatorischen Leichenschau.

Staatssekretär des Innern, Staats⸗Minister Dr. von Boetsticher:

Aufmerksamkeit will ich versprechen, ungetheilte kann ich nicht versprechen, denn meine Aufmerksamkeit wird leider noch auf eine Reihe anderer Gegenstände gelenkt, die ich ebenfalls nicht aus den Augen verlieren darf. (Heiterkeit)

Was übrigens den Wunsch des Herrn Vorredners anlangt auf Einführung der obligatorischen Leichenschau, so habe ich diese Frage vor kurzem von neuem wieder aufgenommen. Das Gesundheitsamt ist beauftragt, die einzelnen Fragen, die dabei auftauchen, seiner gut⸗ achtlichen Betrachtung zu unterziehen und demnächst den Entwurf eines Gesetzes über die Leichenschau vorzulegen. Also ich glaube, daß auch diese Sache, wenn auch vielleicht nicht so schnell, wie ich es mit dem Herrn Vorredner wünsche, in die Erscheinung treten wird.

Abg. Bebel (Sz) bestreitet dem Abg. Möller, daß in der deutschen Sozialdemokratie zwei verschiedene Richtungen existieren.

Auf eine Anfrage des Abg. Metzg er⸗Hamburg (Soz.) erklärt der

Staatssekretär des Innern, Staats⸗Minister Dr. von Boetticher:

Ich kann dem Herrn Vorredner auf seine Anfrage zu meiner Freude sagen, daß die Arbeiten zur Herstellung einer Novelle für die Seemannsordnung sich im besten Fortschreiten befinden. Augenblick lich ist die technische Kommission für das Seewesen mit der Sache befaßt; dieser Kommission ist auch der Entwurf einer Seemanns⸗ ordnung, welchen seiner Zeit der Herr Abg. Schwarz namens der soialdemokratischen Fraktion im Reichstag eingebracht hat, mitgetheilt worden, sodaß auch das Material der Beurtheilung der technischen Kommission unterliegt. (Zuruf links) Ja, meine Herren, wir be⸗ nutzen alles. (Heiterkeit.) ;

Abg. Ullrich (Soz) erhebt Beschwerden über zu langsame Er⸗ ledigung der Unfallentschädigungsansprüche.

Abg. Roeficke (b. k. F.) bemerkt darauf, die Organe der Be— rufsgenossenfchaften bedauerten selbst die in diesem Punkte wie bei jedem Menschenwerk hervortretenden Mängel. Eine gesetzliche Aen⸗ derung fei dahin wünschenswerth, daß, wo mehrere Berufsgenossen⸗ schaften in Bezug auf die Entschädigungspflicht konkurrieren, sie der— jenigen obliege, bei welcher der Anspruch zuerst angemeldet sei.

Zum Militär⸗Etat nimmt der

Abg. Haußmann (sudd. Volksp.) das Wort, um die Militär⸗ verwaltung um zahlreiche Beurlaubungen zu bitten, damit die Soldaten ihren Angehörigen bei den Erntearbeiten helfen könnten. Es sei in—⸗ folge des langen Winters in Württemberg und andern süddeutschen Staaten doppelte Arbeit zu verrichten, wozu einfach die Kräfte fehlen.

Bevollmächtigter zum Bundesrath, preußischer Kriegs⸗ Minister Bronsart von Schellendorff:

Meine Herren! Ich habe den Herrn Vorredner so verstanden, als wenn er im wesentlichen nur auf besondere Verhältnisse seines engeren Vaterlands Bezug genommen hat. Da würde ich, da ich dort nicht kompetent bin, ihm vorschlagen, seine Wünsche dem württem⸗ bergischen Kriegs⸗Minister gelegentlich zugehen zu lassen, der sich dann mit dem kommandierenden General ins Einvernehmen setzen wird.

Was die Verhältnisse in Preußen anlangt, so liegt augenblicklich, soweit meine Kenntniß reicht, dort kein gleicher Nothstand vor. Ein solcher tritt bei uns meist nur bei der Ernte ein. Sollten aber im Frühjahr oder zu einer anderen Jahreszeit in Preußen irgend welche Rothstände eintreten, so wird die Militärverwaltung, wie sie das stets thut, darauf Bedacht nehmen, auch in solchen Fällen möglichst zu helfen.

Abg. Preiß (b. k. F) tadelt, daß in Colmar Militärpferde gegen Entgelt verliehen würden.

Bevollmächtigter zum Bundesrath, preußischer Kriegs⸗ Minister Bronsart von Schellendorff:

Nach den zur Zeit in der Armee gültigen Bestimmungen dürfen Dienftpferde an Privatpersonen nicht vermiethet werden. Mir sind auch, um die Frage des Herrn Vorredners gleich zu be— antworten, die Fälle nicht bekannt, die er hier zur Sprache gebracht hat. Ich würde ihm sehr dankbar sein, wenn er seine allgemeinen Angaben etwas näher präzisieren, viel⸗ leicht mir persönlich gegenüber auch alle die Personen angeben wollte, die Königliche Dienstpferde oder Pferde von Offizieren, Wacht⸗ meistern geborgt und gegen Entgelt benutzt haben. Sollte es der Fall sein, daß jemand, entgegen den gegebenen Bestimmungen, König⸗ liche Dienstpferde an Privatpersonen vermiethet hat, so bin ich der Meinung, daß er eine ungesetzliche Handlung begangen hat und be⸗ straft werden muß.

Das Ordinarium wird ohne weitere Debatte genehmigt.

um Extraordinarium tritt der

bg. von Ploetz (dkons.) für einen von ihm und den Abgg. Stephann⸗Torgau (Rp.) und Dr. Lieber⸗Montabaur (Zentr.) gestellten Antrag, die in der zweiten Lesung abgelehnte , ,, einer ersten Rate von 150 9000 4 für den Neubau der Kavallerie⸗ Kaserne in Torgau, zu bewilligen, ein.

Abg. Günther (ul.) bekämpft diesen Antrag. Die Sachlage habe sich seit der zweiten Lesung nicht verändert.

Abg. Richter (kr. Volksp.) wendet sich ebenfalls gegen die Be⸗ willigung dieser Position, damit nicht die Spannung zwischen Matrikularbeiträgen und Ueberweisungen, deren gern egen auf 6 Millionen Mark in der zweiten Lesung gelungen sei, sich erhöhe.

Bevollmächtigter zum Bundesrath, preußischer Kriegs⸗ Minister . 66 , . ö.

Nachdem in der Budgetkommission und bei der zweiten Lesung die Gründe eingehend erörtert sind, die es der Militärverwaltung dringend wünschenswerth machen, daß die Position bewilligt werde, und nachdem sie in zweiter Berathung zu meinem Bedauern abgesetzt ift, kann ich dem Herrn Abg. von Ploetz nur außerordentlich dankbar sein, daß er die Verhältnisse ganz richtig und klar dargelegt hat, die es absolut nothwendig machen, daß diese Kaserne gebaut wird und zwar sobald wie möglich. Ich bitte also das hohe Haus, diesen Posten zu bewilligen.

Der Antrag Hog wird abgelehnt.

Die Abgg. von Podbielski und Genossen beantragen: die in zweiter Berathung bewilligte Rate von 400 009 M6 für eine neue Kaserne in Worms aͤuf 600 000 M zu erhöhen und für die Vergrößerung des Schießplatzes Lockstedt zu einem Truppenübungsplatz, entgegen dem in zweiter Lesung gefaßten Beschluß auf Streichung des Gesammtbedarfs von 1221 000 AM, als erste Rate „M6 zu bewilligen und die dazu erforderlichen Mittel durch Streichung von 100 060 bei der Forderung für eine Kavallerie⸗ Kaserne in St. Johann-Saarbrücken, von S800 900 ( bei der 5 zur Erwerbung eines Truppenübungs⸗ platzes fuͤr das fV. Armee-Korps und von 100 900 M6 für den Reubau einer evangelischen Garnison⸗-Kirche in Straß⸗ burg i. E. zu gewinnen. Die letzte Streichung wird zu Gunsten eines Antrags Gröber auf Streichung von 100 000 bei der Forderung kr eine neue Kaserne in Köln zurück⸗ gezogen. In dieser Form werden die gestellten Anträge an⸗ genommen.

Beim Etat der Marine nimmt der

Abg. Rickert (fr. Vg) das Wort, um eine Anregung im Interesse der Stellung der Werftsekretäre zu geben.

Staatssekretär des Reichs⸗Marine⸗Amts Hollmann:

Was der Herr Abg. Rickert vorgebracht hat, muß ich als that⸗ sächlich anerkennen; es ist die Bemerkung in dem Etat für 1892/93, glaube ich, gegeben (Zustimmung) und um so mehr vollkommen zu⸗ treffend, als sich damals das Bedürfniß geltend machte, den Werft⸗ schreibern den Rang von Subalternbeamten zuzuerkennen. Die Durch⸗ führung der von uns beabsichtigten Maßregel ist aber an der Absicht gescheitert, die Verhältnisse für das Reich und Preußen zugleich zu regeln, nach gleichen Gesetzen. Nunmehr hat, nachdem auch an mich diese Wünsche von seiten der Beamten heran ˖ getreten sind, der Herr Reichskanzler zugesagt, daß ihnen der Rang von Subalternbeamten zugelegt werden soll und daß die gesetzliche Regelung, die das festsetzt, nunmehr auch in Aussicht genommen ist und sich bis zum nächsten Ctatsjahr sicher arrangieren läßt.

Im Uebrigen wird dieser Etat ohne Debatte genehmigt.

Zum Etat der Reichs bank nimmt der

Äbg. Ahlwardt (b. k. F.) das Wort, um sein Verhalten gegen⸗ über dem Abg. von Kardorff zu rechtfertigen. Er habe in der Karls, ruher Versammlung nicht die Absicht gehabt, den Abg. von Kardorff zu beleidigen, sondern nur feststellen wollen, wie die e. auf die⸗ senigen, mit denen sie in Geschäftsverbindung stehen, einen Druck ausjuüben suchen, um die Germanen in Abhängigkeit vom Judenthum zu bringen. Er habe in diesem inne erwähnt, 3 ein Brief des bekannten Inhalts von dem Chef der Firma Mohr und Speyer an den Abg. von Kardorff diktiert worden sei. Daß der Brief geschrieben Een, werde der betreffende Angestellte der Firma bezeugen; ob er abgeschickt sei, wisse er nicht. Damit die Firma ihn, den Redner verklage, werde er seine Be⸗ schuldigung außerhalb des Hauses wiederholen.

Abg. von Kardorff Rp.) macht darauf aufmerksam, daß nach den Zeikungsberichten der Abg. Ahlwardt in Karlsruhe gesagt habe, er, der Abg. von Kardorff, habe den Brief von der Firma Mohr und Speyer mit der Redner überhaupt niemals in irgend einer ge⸗ schäftlichen Beziehung gestanden erhalten, und der Brief besse⸗ sich in seiner, des Abg. Ahlwardt, Hand. Heute klinge es schon anders, da berufe sich der Abg. Ahlwardt nur auf das Zeugniß des Angestellten, dem der Brief diktiert sein solle. Die Handlungsweise des Abg. Ahlwardt sei 4 kollegial.

Abg. Ahlwardt erklärt, der Zeitungsbericht, auf den der Abg. von Kardorff sich berufe, sei falsch und in einer zweiten Versammlung richtig gestellt worden.

Der Rest des Etats wird ohne Debatte erledigt.

Auf Antrag des Abg. Richter (fr. Volksp. wird der Antrag Kanitz auf die 6. e Tagesordnung gesetzt.

Schluß der Sitzung Hi .

Preusßischer Landtag. Herrenhaus.

7. Sitzung vom Donnerstag, 28. März.

Der Sitzung wohnen der Minister für Handel und Gewerbe Freiherr von Berkepsch, der Finanz-Minister Dr. Müiguel, der Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen, der i fer der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse und der Minister des Innern von Köller bei.

Auf der Tagesordnung steht der Bericht der Kommission ür den Staatshaushalts-Etat und für Finanz-Angelegenheiten über die Gesetzentwürfe, betreffend die 1 stellung des Staatshaushalts⸗Etats für das Jahr vom 1. April 1895/96, und betreffend die Ergänzung der Einnahmen in

diesem Etat.

Generalberichterstatter . von Pfuel weist darauf hin, . ein Ausgleich zwischen den innahmen und Ausgaben des Reichs no nicht erzielt sei, so daß der Etat des Staatshaushalts eine ih, Gestaltung zeige, wie im vorigen Jahre. Eine Aenderung sei in so fern eingetreten, als die Grund⸗ und Gebäude⸗ sowie die Gewerbe . steuer den Kommunen überwiesen worden sei.

Finanz⸗Minister Dr. Miquel:

Meine Herren! Ich glaube, ich werde zu dem sehr ausführlichen und klaren Bericht der Budgetkommission bezw. der mündlichen Dar⸗ stellung des Herrn Referenten nicht viel hinzuzufügen brauchen. Unsere Finanzverhältnisse liegen so klar, daß sie sehr leicht auch von einem nicht besonders Eingeweihten übersehen werden können. Der vor⸗ liegende Etat schließt wiederum ab mit einem veranschlagten Defizit von 34 Millionen. Wir sind nun schon im fünften Jahre, wenn ich dies Jahr 1895.96 mitrechne, in der Unterbilanz und haben bereits laufende Ausgaben des Staats in Höhe von gegen 120 Millionen durch Anleihen gedeckt. Wir haben bisher die Hoffnung festgehalten, daß, nachdem das Reich seit dem Jahre 1892, im großen und ganzen genommen, in runden Zahlen ausgedrückt, seine Finanzlage um etwa 100 Millionen verschlechtert hat, indem gegen 35 Millionen so wird man anschlagen können durch Herabsetzung der Zölle verloren gegangen sind, auf der anderen Seite aber die Militärreform eine Ausgabe von mindestens 60 Millionen verlangt, neue Steigerungen auf anderen Gebieten, meist auf Grund rechtlicher Verpflichtungen, hinzugetreten sind, nachdem, sage ich, das Reich eine solche Ver⸗ schlechterung seiner Finanzen erfahren hat, hat es doch bisher nicht gelingen können, zu einer dem einigermaßen entsprechenden Vermehrung der eigenen Einnahmen des Reichs zu gelangen. Das einzige, was bisher bewilligt ist, ist die Erhöhung der Börsensteuer, deren Ertrag man etwa auf 18 bis 20 Millionen wird veranschlagen können; der gesammte Rest ist zu Lasten der Einzelstaaten gekommen. Meine Herren, das hohe Haus sowohl wie das Abgeordnetenhaus hatte im vorigen Jahre die Staatsregierung aufgefordert: dahin zu wirken, daß mittels einer organischen Scheidung der Finanzen des Reichs und der

Einzelstaaten nicht bloß die Matrikularumlagen mit den Ueber, weisungen an die Einzelstaaten balanzieren sollten, sondern daß, ent. sprechend den Vorjahren von der Mitte der achtziger Jahre ab, auch Mehrüberweisungen über die Matrikularumlagen aus den dem Reich nun einmal definitiv überwiesenen, den Einzelstaaten entzogenen Ein. nahmequellen an die Einzelstaaten abgeführt werden sollen. Nach den üblen Erfahrungen, die wir mit diesen Versuchen im vorigen Jahre im Reichstag gemacht haben, haben wir uns entschließen zu sollen geglaubt, wenn auch mit Bedauern, auf Mehrüberweisungen überhaupt

zu verzichten und lediglich Garantien dafür zu verlangen, daß das

Reich im stande sei, durch die entsprechenden nothwendigen Ver⸗ mehrungen seiner eigenen Einnahmen und auf Grund organischer gesetzlicher Regelung die Einzelstaaten mit mehr Beiträgen an Matrikularumlagen, die über die Ueberweisungen hinausgehen, zu ver⸗ schonen, wenigstens vorläufig für eine bestimmte Zeitperiode. Nachdem die verbündeten Regierungen in diesem bedeutsamen Maße ihre Forderungen an das Reich reduziert hatten, so ist dennoch bisher nicht gelungen, zum Ziel zu kommen. Ob dies gelingen wird in der gegenwärtigen Session, ist wohl nach dem bisherigen Gang der Verhandlungen im Reichstag zweifelhaft. Daß die verbündeten Regierungen aber auf dies Ziel nicht verzichten können es sei denn, man liefe die größte Gefahr für den heutigen deutschen staatlichen Organismus, für die politischen Verhältnisse, für die nationale Entwickelung in Deutschland, für das harmonische Verhältniß zwischen Reich und Einzelstaaten und für die finanzielle Ordnung, namentlich innerhalb der Einzelstaaten —, darüber kann nicht der mindeste Zweifel sein. (Rufe: Sehr richtig) Wir müssen aber vorläufig mit der Thatsache rechnen, daß das Reich zu einer organischen Scheidung der Finanzen zwischen dem Reich und den Einzelstaaten zur Zeit vielleicht nicht gelangt, und wir sind daher um so mehr auf unsere eigenen Kräfte angewiesen. Allerdings ist es in den beiden letzten Jahren den Herren von der Budget— kommission gelungen, theils durch Streichung von Ausgaben, von denen der größte Theil nach meiner Ueberzeugung wiederkehren muß (sehr richtig) nur aufgeschoben ist, aber nicht definitiv

beseitigt ist theils durch Erhöhung der Einnahmen zu einer an⸗

nähernden Balance zwischen den Ueberweisungen und den Matrikular. umlagen zu gelangen, wie schon der Herr Berichterstatter hervor⸗ gehoben hat. Nachdem der Reichstags⸗Etat ursprünglich für 1895 / 96 abschloß mit mehr Matrikularumlagen über Ueberweisungen von rund 33 Millionen, scheint derselbe er ist ja noch nicht definitiv ab⸗ geschlossen doch jetzt nur abzuschließen mit einem Mehrbetrag der Matrikularumlagen über die Ueberweisungen mit rund 6 bis? Millionen. Dadurch wird sich das Defizit Preußens, das mit 34 300 000 4 ver— anschlagt worden ist, allerdings um etwa 17 Millionen verringern. Es steht mir nicht an, diese Finanzgebahrung und Etats⸗AUufstellung des Reichs zu kritisteren. Ich will aber nur, um von vornherein Illusionen vorzubeugen, darauf hinweisen, daß diesmal dem Reichstag besonders günstige, nicht wiederkehrende Umstände zu gute gekommen sind. Es waren aus den Vorjahren 14 Millionen Ueberschüsse in den Reichshaushalts Etat als Einnahmen einzustellen, die aller Wahr⸗ scheinlichkeit nach, oder man kann fast sagen mit Sicherheit, nicht wiederkehren werden, und außerdem waren die Ausgaben für die Ver= pflegung der Armee infolge der billigen Getreide⸗ und Futterpreise um etwa 9 Millionen heruntergegangen. Und wir wollen wenigstens die Hoffnung aussprechen, daß dieser bedenkliche Einnahmegewinn in Zukunft nicht wiederkehrt. (Sehr wahr) Nun, meine Herren, unter diesen Um⸗ ständen kann man ja nicht wissen, wie sich in nächster Zukunft dat Verhältniß der Reichsfinanzen zu denen der Einzelstaaten gestalten wird, und ich habe schon angedeutet, daß wir uns in die Situation versetzen müssen, uns vorerst selbst zu helfen. Meine Herren, womit sollen wir uns helfen? Unsere Betriebsverwaltungen, namentlich die Eisenbahnverwaltung, sind die einzige, durch welche es möglich gewesen ist, das Defizit, welches im vorigen Jahre auf etwa 57 Millionen veranschlagt wurde und thatsächlich in der Rechnung etwa 22 Millionen betragen dürfte, ich werde darauf gleich noch zurückkommen für das laufende Jahr auf 34 Millionen herunterzubringen. Das haben wir nicht unserer Steuerleistung zu verdanken, sondern allein unseren Betrieb verwaltungen, und es beweist das allerdings, wenn Sie erwägen, wie sehr sich das Verhältniß Preußens in den letzten 10 Jahren dem Reiche gegenüber verschlechtert hat, die große Elastizität der preußischen Finanzverwal⸗ tung, ebenso auf Grund des großen Eisenbahnbesitzes. Aber ich theile doch nicht die Hoffnung, daß es gelingen wird, falls das Reich in keiner Weise seine eigenen Einnahmen vermehrt daß es gelingen wird, lediglich durch die Betriebsverwaltungen zu einer vollständigen Be⸗ seitigung unsers Defizits zu kommen, und so werden wir genöthigt sein, wenn wir nicht zu einer erheblichen Erhöhung der direkten Steuern in Preußen schreiten wollen, die karge und sparsame Finanz= politik fortzusetzen, die wir bisher geführt haben.

Meine Herren, als ich in das Amt trat, wurde es mir sehr bald klar, daß der damals allgemein herrschende Glaube, infolge der großen Ueberschüsse, die wir theils vom Reiche, theils aus der Eisenbahn—⸗ verwaltung bekommen hatten, daß wir sehr reichlich im Gelde schwimmen und wir uns keine Sorge zu machen brauchten um die Zukunft, daß wir uns eine erhebliche Steigerung der Ausgaben wohl erlauben könnten, vor der man in kargen Zeiten zurückschreckt, falsch sei, und die Herren werden sich erinnern, daß ich schon das erste Mal, als ich die Ehre hatte, den Etat vorzutragen, wo wir noch 100 Millionen Ueberschüsse hatten, daß ich schon damals gewarnt habe an die Dauer dieses Zustandes zu glauben und eine kommende Defizitperiode vorher⸗ gesagt habe. Demgemäß hat die Finanzverwaltung sich allerdings genöthigt gesehen, das reichliche Vermehren der Ausgaben, welches in den Vorjahren stattgefunden hat, wo wir auf schwankende und unsichere Einnahmen hin den Ausgabe⸗Etat um etwa 160 Millionen dauernd vermehrt hatten, zu sistieren und mit der größten Vorsicht zu wachen, daß nicht absolut entbehrliche Ausgaben bewilligt und die Gesammtausgaben des Etats des Staates wesentlich vermehrt würden. In einer Zeit, wo ich kann, glaube ich, aus Erfahrung sprechen— die allgemeine Neigung wächst, ohne Rücksicht auf das Gesammt⸗ interesse des Staates, ohne Rücksicht auf das Gemeinwesen An⸗ forderungen im Interesse von Bezirken, von Ständen und Klassen in steigendem Maße an den Staat zu stellen (sehr wahrh, ist eine solche Situation für den Finanz⸗Minister keineswegs eine beneidenswerthe. Aber ich glaube, wenigstens in diesem hohen Hause, wo man doch gewöhnt und zuerst berufen ist dazu, ohne Rücksicht auf Tagers⸗ strömungen in die Zukunft des Staates hineinzusehen (sehr richtigh, wird eine Politik gebilligt werden, die doch allen altpreußischen Traditionen entspricht eine Politik, die sich sagt: eine der wichtigsten Grundlagen der Bläthe Preußens sind

.

von jeher die soliden und guten Finanzen gewesen. (Sehr wahr)

Wie im elnzelnen, wie die Gemeinde, so muß auch der Staat sich nach der Decke strecken, und er kann keine dauernden Aufgaben in ungemessener Weise auf sich nehmen, wenn er dafür nicht vorhandene Ginnahmen hat oder die Sicherheit, sie in Zukunft zu bekommen, erwarten kann; besonders gegenüber einer Strömung, die nicht geneigt sst, für das Ganze Opfer zu bringen. Wenn dat hohe Haus mir einen anderen Weg zeigen kann, wie die Finanzen des Staates zu führen sind, würde ich gern Belehrung annehmen; ich weiß keinen anderen.

Für den Finanz ⸗Minister ist es ja viel leichter, sich überall lieb Kind zu machen, alle Forderungen und Wünsche zu bewilligen. Das sist eine viel einfachere Sache. Aber ich behaupte, ein Finanz⸗Minister, der darauf sein Augenmerk richtet, in dieser Weise sich populär zu machen, thut überhaupt seine Schuldigkeit nicht. (Sehr wahrh Meine Herren, wir müssen uns sagen, daß auf vielen Gebieten eine Steigerung von staatlichen Aufgaben unvermeidlich ist, daß wir, um die Landeswohlfahrt richtig zu fördern, neue Aufgaben uns vielfach stellen müssen und daß diese neue Ausgaben unbedingt hervorrufen. Ich brauche das im einzelnen nicht auszuführen. Um so mehr muß das Be⸗ streben in allen Verwaltungen des Staats sein, Ersparungen, soweit irgend möglich, eintreten zu lassen, ohne die Erfüllung auch der älteren Auf⸗ gaben zu schädigen. Eins der besten Beispiele, daß die Staats regierung diesen Weg beschreitet, ist die Reform des Eisenbahnwesens, bei welcher nach meiner Ueberzeugung nicht allein keine Verschlechterung in der Erfüllung der Aufgaben der Staats. Eisenbahnverwaltung, sondern eine wesentliche Erleichterung und Verbesserung in der Erfüllung dieser Aufgaben konkurriert mit einer sehr erheblichen Ersparung dauernder Ausgaben. Auch in anderen Gebieten, beispielsweise in der Steuerverwaltung, finden Sie in diesem Etat sehr erhebliche Reduk⸗ tionen der Ausgaben.

Man klagt so viel über die wachsende Schreiberei, und mit Recht. Man kämpft, möchte ich sagen, tagtäglich den Kampf gegen die erhebliche Vermehrung von Arbeiten und Ausgaben für die laufende Staatsverwaltung; man wird aber die Erfahrung machen, daß man vergeblich dagegen von oben reagiert mit Dekreten und Vorschriften, sondern daß man nur zum Ziele kommt, wenn man die Arbeiten selbst vereinfacht, wenn man durch Organisationen dahin gelangt, von den Beamten weniger Aufgaben, weniger Arbeiten zu fordern; dann allein wird man wirklich Ersparungen erzielen. Damit kommt man in einer großen Staatsverwaltung nicht zu Ende, alle Reflorts müssen nach meiner Ueberzeugung ununterbrochen ihr Augen⸗ Rerk darauf richten: wie können die Dinge vereinfacht werden, welche Tröclen ünd Einrichtungen haben sich allmählich eingeschlichen, die man fallen lassen kann; wo sind Arbeitskräfte zu sparen, wo sind die Rösten zu verringern? Das wird noch längst nicht dahin führen, daß wir gegenüber den, wie gesagt, wachsenden Aufgaben des heutigen Staats eine volle Kompensation finden; im Gegentheil, die Ausgaben werden im Steigen bleiben trotz aller Sparsamkeit der Verwaltung. Das kann garnicht ausbleiben, die steigende Intensität der Verwal⸗ tung führt von selbst zu einer Steigerung der Ausgaben, ohne daß man es will, wie wir denn auch wissen, daß erfahrungsmäßig ohne be— sondere Neubewilligung die Ausgaben Preußens jährlich um mindestens 6 bis 8 Millionen steigen; darüber ist garnicht hinwegzukommen. Wir haben sogar Gebiete, wo diese Steigerung der Ausgaben, wie bei⸗ spielzweise bei den Schullasten, auf rechtlicher Verpflichtung be⸗ ruhen, die wir uns durch frühere Gesetze selbst auferlegt haben. Also das allgemeine Gesicht der Zukunft wird nach meiner Meinung sein: knappe Wirthschaft, vorsichtige Bemessung der Ausgaben, möglichste Ergiebigmachung der vorhandenen Einnahme— quellen, je schwerer es ist, neue zu finden. In manchen Beziehungen wird die Entwickelung stocken; in manchen Beziehungen werden Aus⸗ gaben, die dringend wünschenswerth, ja kaum entbehrlich sind, zurück= gestellt werden müssen. Wir können Versprechungen, die wir früher gegeben haben, nicht einlösen, beispielsweise in Bezug auf die Auf⸗ besserung unserer Gehälter. Aber das hilft alles nichts, wir werden uns nach der Decke strecken müssen. Denn das wird das hohe Haus ung doch nicht anrathen, daß wir, wie wir es leider zum theil schon genöthigt gewesen sind, zum theil ohne Noth! ge— than haben, laufende Ausgaben des Staats, sogar eine Steigerung der laufenden Ausgaben ganz leichten Herzens auf Anleihen werfen. Man kann das thun direkt und versteckt. Aber was ist das Ende vom Liede? Ich brauche das nicht auszumalen; und welche Schwächung ein Staatswesen namentlich in der heutigen Zeit erleidet, das mit Finanznoth in der Weise zu kämpfen hat, wie andere Staaten, die wir ja vor uns haben, das brauche ich nicht näher zu entwickeln. Ein kraftvoller Staat, eine energische Regierung thut uns mehr noth als je. Wollen wir den Staat in die schwersten Finanznöthe treiben, so heißt das: eine große Schwächung des ganzen Staatslebens und der Aktion des Staats. Dann ist es doch viel besser, wenn man sucht, die Ausgaben möglichst klein zu halten, die Einnahmen allmählich zu vermehren, bescheiden zu sein in seinen An⸗ sprüchen, aber dabei feste, solide Grundlagen der Finanzverwaltung zu konservieren. -

Ich habe schon gesagt, wahrscheinlich werde der laufende Etat nicht mit dem veranschlagten Defizit abschließen, sondern mit einem wesentlich geringeren. Im Abgeordnetenhause hatte ich damals das rechnungsmäßige Defizit auf etwa 18 bis 20 Millionen veranschlagt. Einigermaßen muß ich das nach den ungünstigen Ergebnissen der Gisenbahnverwaltung in den letzten beiden Monaten etwas modifizieren. Ich glaube, daß das Defizit wohl im ganzen etwas über 20 Millionen, bis 22 Millionen betragen wird. Diese wesentliche Verminderung gegen den Ctat ist hervorgegangen wesentlich aus zwei Gründen; ein⸗ mal aus der bedeutenden Steigerung der Ueberschüsse der Eisenbahn⸗ verwaltung über die veranschlagten Betrãge; zweitens durch die sehr erheb⸗ lichen Mehreinnahmen aus Zöllen, namentlich aus den Getreidezöllen, welche bekanntlich den Einzelstaaten überwiesen werden. Nicht bloß die Getreidezölle sind aber gestiegen, sondern auch die sonstigen Zollerträge sind über die Anschläge in dem Reichs-Etat für 1894/95 hinaus- gegangen; und daneben sind auch eine Reihe ganz extraordinärer und nicht wiederkehrender Mehreinnahmen der Rechnung zugeflossen. Dazu gehören namentlich 10 Millionen Mehreinnahmen aus den Forsten infolge der großen Stürme anfangs des vorigen Jahrs, der gewaltigen Brüche; das ist eine Einnahme, die nicht allein im nächsten Jahre nicht wiederkehren wird, die wenigstens hoffentlich nicht wiederkehren wird, sondern im Gegentheil zu einer Verminderung der laufenden Einnahmen der Forsiverwaltung für das nächst kommende Jahr führen muß. Diese Verbesserung der Lage der Rechnung gegenüber dem

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Etat in dem laufenden Jahre darf uns also keineswegs verführen, zu glauben, daß das so weitergehen müsse. Wesentliche Momente sind unzweifelhaft rein vorübergehender Natur und kommen nicht wieder. Ob anders Momente uns zu Hilfe kommen, ob nochmals wieder eine Erhöhung der Zolleinnahmen beispielsweise eintreten wird, ist gegen⸗ über den jetzigen hohen Veranschlagungen im Reichs⸗Etat außerordent⸗ lich zweifelhaft. Darauf werden wir meiner Meinung nach mit aller Wahrscheinlichkeit nicht wieder rechnen können.

Meine Herren, ich behalte mir vor, bei den einzelnen Etats noch, soweit es nöthig ist, weitere Erläuterungen zu geben. Ich empfehle Ihnen, den Etat, wie er hier vorliegt und ganz unverändert im Ab⸗ geordnetenhause zur Annahme gelangt ist, auch hier unbeanstandet zu lassen, und bitte auch weiter das hohe Haus um Unterstützung der Finanzverwaltung in der von mir entwickelten Richtung. (Bravo!)

Graf von Mirbach. Im Interesse einer Hebung der Noth⸗ lage der Landwirthschaft ist vor allem ein Eingehen nicht nur auf die Währungsfrage nothwendig, sondern es wäre auch nöthig gewesen, den Antrag Kanitz in anderer Weise zu behandeln, als geschehen. Die Gesammtlage im Reich wie in Preußen ist trübe und gefahrdrohend, die Nothlage der Landwirthschaft ist auch von den Gegnern nicht mehr zu leugnen. Erreicht ist, um der Nothlage zu steuern, noch nichts. Durch die Initiative einzelner Reichstagsabgeordneten ist allerdings in der Währungsfrage ein Schritt vorwärts gethan, auch ein Branntweinsteuergesetz ist, allerdings sehr spät, vorgelegt worden. Zur Zeit aber kehren wir mit leeren Händen zu unseren Wählern heim, und müssen stets betonen, sie sollten das Vertrauen nicht verlieren, um sie nicht völlig muthlos zu machen. Der Haltung des Reichstags gegenüber ist um so erfreu⸗ licher die Haltung, die die nationalen Elemente dem Mitbegründer des Deutschen Reichs gegenüber einnehmen. Wer das Glück hatte, am 25. in Friedrichsruh zu sein. weiß, daß der springende Punkt in der Rede des Fürsten der war: die Parla⸗ mente in den Einzelstaaten dürften die Fühlung mit der Reichspolitik nicht verlieren. Die Begeisterung des deutschen Volks für den Vorkämpfer für Cinbeit, Ruhm. und Ehre des 3. ist der richtige Gegensatz zum Beschluß des Reichstags, der den r n und Spott des Auslands hervorgerufen hat. Ueber die Stellun derer um Richter wundere ich mich nicht, sie ist konsequent. 21 bedaure aber, daß die nicht demokratischen Mitglieder des Zentrums in dieser . Hand in Hand mit denen um Richter gingen. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß die gläubigen Katholiken Hand in Hand mit uns berufen sind, nationale Politik zu treiben. Unser Ver⸗ hältniß hat zu meinem Bedauern einen scharfen Riß erhalten. In allen ländlichen Kreisen würde man es mit Jubel begrüßen, wenn die verbündeten Fürsten einen neuen Reichstag auf der Basis eines neuen Wahlrechts ins Leben treten lassen wollten. Die Frage ist schwer zu lösen, Alexander der Große löste ja aber auch schwierige Fragen auf einfache Weise. Die Zeit ist sehr ernst; viel bedenklicher noch als die politische ist die wirthschaftliche Perspektive; ich richte die Bitte an das hohe Staats⸗Ministerium, nichts zu unterschätzen, sondern unsere wirthschaftlichen Wirren einer glücklichen Lösung entgegen zu führen.

Ober⸗Bürgermeister Bräsicke: Ich glaube, aus meinem Herrn Vorredner hat doch der Parteimann gesprochen. Gerade die Land wirthschaft ist ein konservatives Gewerbe. Alles Plötzliche ist nach der Natur der Landwirthschaft ausgeschlossen, ihr kann nur durch lang⸗ sames Arbeiten geholfen werden.

Finanz⸗Minister Dr. Miquel:

Meine Herren! Ich möchte doch eine Bemerkung des Herrn Grafen von Mirbach nicht unwidersprochen lassen. Er meinte, es geschehe nichts Rechtes für die Landwirthschaft; man habe nur gute Worte, und man müsse sich fragen, was daraus werden solle, wenn man mit leeren Händen zurückkehre. So ist das doch nicht ganz zutreffend. Was den vorliegenden Etat betrifft, so ist eigentlich der landwirth⸗ schaftliche Etat der einzige, der eine erhebliche Steigerung von etwa 600 000 M erhalten hat. Ich verkenne gar nicht, daß wir damit noch längst nicht am Ende sind, und wenn ich damit vergleiche, was in anderen deutschen Staaten für die Landwirthschaft an Meliorationen, Ausbildung der Land wirthe u. s. w. u. s. w. geschieht, so bin ich allerdings der Meinung, daß wir in Preußen in dieser Beziehung noch weiter vor— gehen müssen. Aber ich wollte nur hervorheben, daß man trotz der schwierigen Finanzlage sich nicht gescheut hat, gerade den landwirth⸗ schaftlichen Etat besonders aufzubessern. Aher auch im Reich! Ich glaube, das Branntweinsteuergesetz, welches jetzt vorlieg t= und da es sich lediglich um eine Novelle handelt, da die Grundsätze des ganzen Gesetzes von 1887 feststehen und hoffentlich auch von der Reichstags mehrheit nicht mehr angegriffen werden, so zweifle ich gar nicht, daß es gelingen wird, dies nach meiner Meinung für den Osten der Monarchie höchst nützliche Gesetz noch durchzubringen, und daß damit auch eine Steigerung der Preise des Branntweins verbunden sind.

Was die Zuckerfrage betrifft, so ist in dieser Beziehung weder die Reichsregierung noch die preußische Regierung müßig. Die Frage, ob noch in dieser Session ein definitives neues Zuckersteuergesetz ein gebracht werden wird, ist allerdings noch nicht entschieden. Sollte man aber in dieser Beziehung es für richtiger halten und im Inter⸗ esse der Sache, erst in der nächsten Session des Reichstags damit vor— zugehen, so wird jedenfalls Vorsorge getroffen werden durch ein be⸗ sonderes Gesetz, daß die Lage der Zuckerindustrie in der Zwischenzeit sich nicht verschlechtert; und der ernste Wille der Reichsregierung, namentlich aber der preußischen Regierung, dieser Frage der Zuckerproduktion näher zu treten, wird sich ganz deutlich bei dieser Gelegenheit herausstellen. Meine Herren, aber auch in anderer Richtung! Allerdings giebt es sehr viele Fragen auch nach meiner Meinung in der Landwirthschaft, die ohne feste Organisation des landwirthschaftlichen Berufs nicht zu lösen sind. Wir haben daher zuerst damit angefangen, indem wir uns mehr diesen wichtigen Fragen der Landwirthschaft und der agra⸗ rischen Verhältnisse zugewandt haben, ein Gesetz vorzulegen, welches jetzt in der Ausführung begriffen ist, und das den Zweck hat, eine öffentlich⸗rechtliche Organisation des gesammten, bisher völlig un⸗ organisterten Berufs der Landwirthe herbeizuführen. Ich hoffe aller⸗ dings für die Zukunft augenblickliche Wirkungen wird man ja nicht erwarten dürfen von einer solchen Organisation der Land⸗ wirthschaft sehr viel Gutes.

Ebenso sind von der Staatsregierung die Fragen einer besseren Organisation des Personal⸗ und Realkredits in Angriff genommen. Der Staatsrath hat diese Frage ja auch schon berathen, und man wird gewiß der Frage bald näher treten.

Ich könnte noch eine ganze Reihe derartiger Maßnahmen an— führen, ich will aber darauf nicht weiter eingehen. Ich wollte nur den Beweis führen, daß die preußische Staatsregierung vollkommen durchdrungen ist von den gegenwärtigen äußerst schwierigen Verhältnissen der Landwirthschaft und von der Nothwendigkeit, soweit es überhaupt in der Macht des Staats liegt, diesen gegenwärtigen Nothstand der Landwirthschaft zu bekämpfen.

Freiherr von Duürant: Schon früher habe er Nothwendigkeit einer Hebung des Mittelstandes hingewiesen.

auf die Lene

n er geworden. Bei nd⸗ 9 2. * t 9 den ; letzten beiden 3. ein weiterer rapider Niedergang zu verzeichnen. Die Zensiten mit einem Einkommen von mehr als 3006 ½½ seien bedeutend zurückgegangen, im ganzen seien die veranlagten Einkommen auf dem platten Lande um 16 Millionen Mark zurückgegangen. Die Stãdte hätten nur in sechs Bezirken eine Verminderung, in 27 eine Ver—⸗ Vermehrung der Einkommen aufjuweisen. Im allgemeinen habe der Mittelftand unter der Ungunst der Verhältnisse zu leiden. Davon ziehe nur die Sozialdemokratie Nutzen. Demge enüber verdiene der christliche Sozialismus Unterstützung, der den christlichen Staat stütze. Die Gelder der Seehandlung und Reichsbank, die jetzt lediglich bem Großkapital zu gute kämen, müßten dem Mittelstande mehr zur Verfügung stehen. or allem sei eine gründliche Neuorganisation des ländlichen Kreditwesens erforderlich.

Graf von Mirbach: Ich hatte nicht die Absicht, dem Staats— Ministerium oder einem einzelnen Minister einen Vorwurf zu machen. Ich hatte nur registrieren wollen, daß wir nach endlosen Debatten mit leeren Händen nach Hause kommen und der um ihre Existenz kämpfenden landwirthschaftlichen Bevölkerung nichts Praktisches und Grelfbares bringen können. Das muß zu einer gewissen Verzweiflung und Erbitterung führen.

Finanz Minister Dr. Miquel:

Ich bin erfreut, daß ich den Herrn Grafen von Mirbach insofern mißverstanden habe. Die preußische Staatsregierung ich habe die einzelnen Fragen mitgetheilt hat bereits bisher doch Erhebliches für die Landwirthschaft gethan; ich darf doch in dieser Beziehung auch auf die Steuerreformen hinweisen, auf die Aufhebung der Grund⸗ und Gebäudesteuer; auf die Ergänzungssteuer. Diese beträgt etwa z der Grundsteuer, das ist eine Maßnahme, die noch kein anderer Staat der ganzen Welt durchgeführt hat. Ich will die Gelegenheit benutzen mit Rücksicht auf die Ausführungen des Herrn Vorredners, die Stellung der Staatsregierung zu den Kreditfragen, die derselbe hauptsächlich hervorgehoben hat, noch etwas näher zu bezeichnen, ob wohl ich auf Details nicht eingehen kann.

Ich theile ganz die Ansicht des Herrn Vorredners, daß die Organisation des Personalkredits in vieler Beziehung wichtiger ist wie die Erleichterung des Realkredits; man kann geradezu sagen, ein verständig organisierter Personalkredit ist der Kredit der ordentlichen Leute, und es ist unzweifelhaft, daß der Mangel an ge⸗ nügendem Betriebskapital bei vielen Landwirthen einer Ergänzung durch eine zweckmäßige Personalkreditsorganisation dringend bedarf. Es ist auch weiter richtig, daß dieser Kredit von anderer Beschaffenheit sein muß als der Kredit bei gewerblichen Kreisen, Kaufleuten und Gewerbetreibenden, daß er namentlich längere Fristen geben muß, als es üblich ist im gewöhnlichen kaufmännischen Geschäftsverkehr. Schon hieraus wird sich nach meiner Meinung ergeben, daß die Reichsbank, wenn die Sache staatlicherseits überhaupt gefördert werden soll, dabei nur in beschränktem Maße mitwirken kann ihrer ganzen Organisation nach. Ich glaube, es wird ernstlich die Frage erwogen werden müssen, eine Sammel- und Ausgleichsstelle der im Lande vorhandenen Verbände der ländlichen Kreditkussen hier in Berlin zu errichten, welche die überschüssigen Gelder in den Zeiten, wo solche ja regelmäßig in den Darlehnskassen vorhanden sind, empfängt, ver— zinst, und umgekehrt in Zeiten des Bedürfnisses in ausgleichender Weise die erforderlichen Betriebsmittel wieder an die einzelnen Ver⸗ bände zurückfließen läßt.

Ein solches Institut wird aber nach meiner Meinung mit einer rein kaufmännisch verwalteten Anstalt, wie der Seehandlung, kaum direkt verbunden werden können, es muß wohl ein selbständiges Institut sein. Dieses Institut wird sich nach meiner Meinung nicht in Verbindung setzen können mit den einzelnen Darlehnskassen, sondern nur mit Ver⸗ bänden. Es wird natürlich den Handwerkerstand nicht ausschließzen können, aber auch die Handwerker⸗Darlehnskassen und Genossenschaften müssen sich zu Verbänden zusammenschließen, weil es unmöglich ist, hier in der Zentral⸗Instanz mit den einzelnen Kassen in Verbindung zu treten. Wir haben ja eine Reihe von Anfängen dazu. Meistens allerdings haben diese Verbände sich mit Banquiers, soliden Bankhäusern in Verbindung setzen müssen oder aber zum theil auch haben sie die Mittel aus ihren allmählich angesammelten eigenen Reserve⸗Fonds entnommen. Neuerdings scheint mir die Entwicklung des landwirth⸗ schaftlichen Darlehnskassenwesens mehr einen provinziellen Charakter anzunehmen; die Neigung ist überall vorhanden, provinzielle Institute zu gründen, und insofern ist das auch ganz erklärlich, weil ja die Pro⸗ vinzialverwaltungen hier und da angefangen haben, einen Kredit für diese ländlichen Genossenschafts verbände einzurichten durch Gewährung von Bürgschaften.

Es ist aber garnicht erforderlich, soll dieses Zentral⸗Institut begründet werden, daß man sich bloß beschränkt auf die Unterstützung provinzieller Organisationen; beispielsweise würde ich bedauern, wenn die Raiffeisen'schen Darlehnskassen, die nicht pro⸗ vinziell sind, sondern die ganze Monarchie umfassen, in irgend welcher Weise dabei zu Schaden kämen. Beide können vollständig neben ein—⸗ ander herlaufen.

Mit der Frage dieser Organisation ist die Staatsregierung eben beschäftigt, und ich hoffe allerdings, daß eine Verbesserung dieses Per⸗ sonalkredits für die Landwirthe eine Abminderung der Tendenz der Verschuldung des Grund und Bodens selbst herbeiführen kann. Was die letztere Frage betrifft, so bin ich der Meinung, daß in den östlichen Provinzen für den bäuerlichen Grundbesitz auch in dieser Beziehung noch längst nicht genug geschehen ist. Als Friedrich der Große den gewaltigen Schritt gethan hatte, die landtags⸗ fähigen Güter in eine Solidarhaft zu zwingen ich möchte sagen, eine Gewaltsmaßregel, die sich als eine höchst heilsame für den großen Grundbesitz entwickelt hat konnte er natürlich um die Bauerngüter sich noch nicht bekümmern, weil sie noch Theile der Güter, als Sassiten mit den Gütern noch verbunden waren und noch gar keine Kreditfähigkeit und Verschuldungsfähigkeit hatten. Später wurden nun die Bauern von den Gütern getrennt, sie wurden frei gemacht, und damit begnügte man sich in der damaligen Ueber⸗ zeugung, daß die Freiheit alles kuriere; um den Realkredit hat sich die Staatsregierung und haben sich die Provinzen so gut wie nicht gekümmert. Nur die Landschaften haben allerdings ganz freiwillig zum theil in ausgiebiger Weise, zum theil in einer noch mäßigen Weise sich des eigentlichen Rustikalbesitzes angenommen. Ich glaube aber, daß diese Kreditorganisation noch viel mehr ausgebaut werden muß; namentlich nach den Erfahrungen, die in den westlichen Pro⸗ vinzen Hannover, Hessen und Nassau gemacht sind, wird man nach meiner Ueberzeugung dem bäuerlichen Besitzer den Kredit viel näher bringen müssen: nicht damit er leichter Kredit nimmt, sondern damit er derjenigen verkehrten Kreditoperationen, die er gemacht bat, sich entledigt. In Baden geht man so weit, daß man, möchte ich sagen,