1895 / 79 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 30 Mar 1895 18:00:01 GMT) scan diff

werden, da darauf beide Staaten den größten Werth legen, und da würden wir dann zu einer Einschränkung der veterinären Absperrungs⸗ maßregeln und zu einer Erleichterung der Vieh und Fleischeinfuhr kommen, welche in hohem Grade bedenklich wäre. Ich weiß zwar nicht, ob solche Gegenforderungen gestellt würden; sehr ist aber zu erwägen, ob es opportun wäre, auf diesem Gebiete Konzessionen irgend welcher Art zu machen. Ob auch auf industriellem Gebiete Gegenforderungen ge⸗ stellt werden würden, will ich ununtersucht lassen.

Dann, meine Herren, hat Herr Graf von Klinckowstroem eine Bemerkung gemacht, die ich jetzt hier gleich auf den richtigen Standpunkt zurückführen will. Ich habe allerdings bei der Etatsrede im Abgeordneten hause ausgesprochen, daß nach meiner Ueberzeugung jede wirthschaft⸗ liche Arbeit lohnend sein müsse, also beim Getreidebau der Getreide bauer mit Fug und Recht einen Anspruch darauf erheben könne, im wirthschaftlichen Leben so gestellt zu sein, daß er seine Produktions- kosten und einen geringen Gewinn bekommt. Ich habe aber nicht gesagt, daß der Staat in seinen jetzigen rechtlichen und öffentlich- rechtlichen Anschauungen anerkannt hat und anerkennen muß und darin liegt eine weitgehende, schwerwiegende Tragweite daß er seinerseits verpflichtet ist, irgend einem pro— duktixren Stande, sei es der Landwirthschaft oder einem anderen, den Arbeitern u. s. w. die Garantie zu geben, daß er das erreicht. (Sehr richtig) Nun hat Herr Graf Klinckowstroem sich ungefähr dahin wenn auch nicht so schroff wie gestern im Ab⸗ geordnetenhause ausgesprochen geäußert, der Minister oder vielmehr, wenn ich ihn richtig verstanden habe, die Staatsregierung sei ver⸗ pflichtet, Mittel zu finden, die Getreidepreise zu heben. Ja, meine Herren, wenn aber die Unmöglichkeit vorliegt, da können Sie ven einem Minister, von einer Staatsregierung nicht mehr verlangen, als was möglich ist. (Sehr richtig! Wenn wir nun ich komme auf diesen Punkt gleich noch zurück zu der Ansicht gelangen, daß die Ursachen unserer gegenwärtigen Krisis, unseres landwirthschaftlichen Niederganges außerhalb des Rahmens der Einwirkung eines einzelnen Staats liegen, daß sie internationaler Natur sind wie können Sie da mit Fug und Recht von der Staatsregierung oder gar dem Landwirthschafts⸗Minister verlangen, daß er etwas Unmögliches thun soll? (Zustimmung.) Das ist eine Forderung, die ich heute ebenso entschieden, wie ich es gestern gethan habe, zurückweisen muß. Was sind denn die Ursachen der gegenwärtigen Krifis? Die liegen nicht auf dem Gebiete der Handelsverträge. (Dhoh Die Mittel zur Abhilfe liegen vielleicht auf dem Gebiet der Handels verträge, aber die Ursachen unserer wirthschaftlichen Krisis sind anderer Natur. (Sehr richtig) Diese liegen in der Ueberproduktion, darin, daß die alten Kulturländer weit höhere Produktionskosten auf⸗ wenden müssen, wie andere Staaten mit jungfräulichem reichen Boden, wo man nur die Pflugfurche zu ziehen hat, um dem Boden eine reiche Ernte abzugewinnen. Die Pro⸗ duktionskosten sind gering, Lasten und Abgaben sind weniger da und die Verkehrsverhältnisse haben sich so entwickelt, daß mitten aus dem Herzen von Amerika, von Argentinien die landwirth⸗ schaftlichen Erzeugnisse billiger in das Herz von Deutschland verfrachtet werden, als es bei uns vom Osten nach dem Westen geschieht. Ja, meine Herren, dann liegen die Ursachen auf dem Gebiet der Ueberproduktion, und was kann der unglückliche Landwirthschafts⸗Minifter, auf den man gestern im anderen Hause losgeschlagen hat (Heiterkeit), an der Weltproduktion ändern! Das ist unmöglich. (Bravo! Sehr richtig) Derartige Forde—⸗ rungen sind unberechtigt. Glauben Sie, daß die Staats⸗ regierung zu unfähig ist, die richtigen Bahnen zu betreten, so stelle ich an Sie die Forderung: meine Herren, Sie sind mehr Personen als die paar Minister, die an der Spitze stehen; Sie sind nicht angekränkelt von dem vorhin betonten Bureaukratismus, Sie stehen mitten im praktischen Leben; dann schlagen Sie doch Mittel vor, die statt des ungangbaren Kanitz'schen Antrags, statt der Mono⸗ polisierung, die mit den Handelsverträgen nicht vereinbar, nach Ihrer Auffassung durchführbar sind. Ich werde eine Reihe von Vorschlägen das werde ich Ihnen gleich beweisen darlegen, die allerdings immer als kleine Mittel hezeichnet werden, die nach meinem Ermessen wohl geeignet sind, einen sehr weitgehenden Einfluß auf die Getreidepreise auszuüben.

Nun, meine Herren, nach diesen allgemeinen Darlegungen und ich meine, daß ich damit die großen Mittel, soweit sie den Antrag Kanitz betreffen, abgemacht habe will ich nur noch kurz die Währungsfrage berühren, die auch als großes Mittel geftreift ist, und will nur auf die Ihnen allen bekannte Erklärung hinweisen, die der Herr Reichskanzler im Reichstag abgegeben hat. Die Regierung will ehrlich Mittel und Wege suchen, um den Silber⸗ preis wieder zu heben.

Ich verlasse damit die sogenannten großen Mittel. Nun, meine Herren, werden gewöhnlich alle übrigen Vorschläge als kleine Mittel bezeichnet, und das ift eine Bezeichnung, die, wenn ich es ehrlich sagen darf, mir einen gewissen Widerwillen erregt. Ich glaube, daß jeder, der erft an diese Fragen herantritt, sich sagen wird, daß die Mittel, die ich bei der ersten Etatsberathung im Abgeordnetenhause in dieser Richtung darlegte, außerordentlich tief in das wirthschaftliche Leben eingreifen. (Sehr richtig) Nun will ich zunächst diejenigen heraus—⸗ greifen, die auf dem Gebiet der Reichsgesetzgebung liegen, und ich will bei der Gelegenheit noch eine Bemerkung vorausschicken, die ich auch im Abgeordnetenhause darlegte. In Deutschland sind wir nicht in der Lage, eine zielbewußte Wirthschaftspolitik zu treiben, weil einmal un sere geographische Lage, zweitens unsere politischen Ver⸗ hältnisse es nicht gestatten, drittens weil die deutsche Reichsverfassung auf wirthschaftlichem Gebiet einen schwer⸗ wiegenden Dualismus geschaffen hat, infolgedessen eine große Zahl schwerwiegender Fragen der Zuständigkeit der Einzelftaaten entzogen und der Zuständigkeit des Reichs zugewiesen ist, während andere Fragen der Zuständigkeit der Einzelftaaten verblieben sind. Ich will ferner bier im Hause offen aussprechen, wie verschiedenartig im Reich und in Preußen sich die politischen Verhältnisse gestaltet haben. Preußen bat eine von der Reichsverfassung wesentlich abweichende Verfassung, hat ein anderes Wahlrecht, ein Herrenhaus, ein Abgeordneten⸗ haus, im wesentlichen doch auf einer konservativen Wahlbasis ent⸗ ftanden, ganz anders geschult und erzogen, steht deshalb anders zu den wirthschaftlichen Fragen wie das Reich, wenigftens wie der Reichstag,. der aus allgemeinen direkten Wahlen hewvor⸗ gegangen ist, und doch liegt der größere Theil der schwerwiegendsten wirthschaftlichen Fragen auf dem Gebiete der Reichsgesetzgebung. Gs kann allerdings jeder Einzelstaat im Bundesrath darauf hinwirken,

daß dieg und jenes im Reich geschieht, und ich kann nur beieugen, daß

in der kurzen Zeit, wo ich im preußischen. Dienst bin, jede Anregung der landwirthschaftlichen Verwaltung bei der Reichsregierung Zustimmung gefunden hat. Aber, meine Herren, die Reichsregierung kann auch nicht alles ausführen, denn sie ist vom Reichstag abhängig, und wie weit sie dort durchdringt, ist doch oft sehr zweifelhaft.

Ich will nur kurz vorausnehmen alle diejenigen Maßnahmen, die zur Zuständigkeit des Reichs gehören. Da kommt zunächst das Zuckersteuergesetz in Frage. Ich bin der Meinung, daß der- jenige, der dasselbe als ein kleines Mittel zur Hebung der Landwirthschaft bezeichnet, entschieden fehlgreift. Die Auf- rechterhaltung unseres Rübenbaus, unsere Zuckerindustrie, die Erhaltung der Konkurrenzfähigkeit dieser Industrie auf dem Welt⸗ markt ist eine Frage von der weittragendsten agrarischen, sozialen und sozialpolitischen Bedeutung. (Sehr richtig) Ungefähr eine Million Arbeiter wird in dieser Industrie beschäftigt. Eine große Industrie, die Kunstdüngerindustrie, die Maschinenindustrie und was alles damit in Verbindung steht, stehen und fallen mit der Zuckerindustrie. Ein großer Theil unseres Exports, also dasjenige wirth⸗ schaftliche Kapital, was wir als wirthschaftlichen Ueber⸗ schuß erhalten, resultiert aus der Zuckerindustrie. Zur Zeit stehen wir noch an der Spitze der Industrie und des Rübenbaus; in der Be⸗ ziehung überflügeln wir alle anderen Staaten, und wenn andere Staaten in der Exportprämie nicht weiter gehen wie wir, oder wenn alle Staaten die Exportprämie beseitigen, würde Deutschland den Konkurrenzkampf auf diesem Gebiet vollständig aufnehmen können. Aber was haben wir gethan? 1899 haben wir in der Hoffnung die uns allerdings gründlich getäuscht hat —, daß die anderen Staaten nachfolgen würden, unsererseits allmählich die Export- prämien ermäßigt; dagegen haben Frankreich und Oesterreich dieselben erhöht, und so liegt die Gefahr vor, daß wir auf dem Weltmarkt ver⸗ drängt werden, und daß die blühendste Industrie, welche Deutschland auf agrarischem Gebiet hat, zu Grunde geht. Seltsam wäre es, daß, während wir zur Zeit noch am besten gewaffnet sind, im Kon⸗

kurrenzkampf wir unsere gute Flinte ins Korn werfen und uns von

anderen überflügeln lassen. Ich bin der Meinung, daß dies nicht ge⸗ schehen darf, und soweit meine geringen Kräfte reichen, werde ich dafür kämpfen, daß hoffentlich noch in diesem Jahr ein Gesetz erlassen wird, welches uns sichert, daß wir konkurrenzfähig auf dem Weltmarkt bleiben und unsere Zuckerindustrie konkurrenzfähig erhalten wird. Uebrigens haben Sie, meine Herren, auch aus den statistischen Zahlen ich will Sie heute nicht damit belästigen —, die ich im Abgeordnetenhause gegeben habe, ersehen, welche große finanzielle Bedeutung die Zucker⸗ industrie für den Domänen⸗Etat hat. Wenn die Domänen, die ledig⸗ lich auf Grund dieser Industrie verpachtet sind, nur auf die Hälfte des Pachtpreises zurückgehen wahrscheinlich werden sie noch niedriger sinken, wenn sie keinen Rübenbau mehr treiben können und die In⸗ dustrie gelähmt ist muß dies den Domänen⸗Etat um 39 bis 4Mil⸗ lionen schädigen. Meine Herren, ich räume ein, die Zuckerindustrie ist für die besseren Böden, sie dehnt sich aber immer weiter nach dem Osten aus; auch dort wird mit gutem Erfolge die Zuckerrübe gebaut, auch dort ist im wesentlichen die Industrie noch eine landwirthschaft⸗ liche; das Großkapital hat sich ihrer noch nicht bemächtigt, was ein großes Unglück wäre. Ich gebe mich der Hoffnung hin, daß es uns gelingen werde, diesen richtigen Entwickelungsgang aufrecht zu halten. Ich gebe mich ferner der Hoffnung hin, daß wir noch in diesem Jahre im Reichstag ein materielles Gesetz zu stande bringen. Sollte das nicht gelingen, so wird jedenfalls ein Nothstandsgesetz vor— gelegt, welches die Exportprämien, die bisher bestanden, in vollem Umfange über die nächsten Jahre hinaus aufrecht erhält. Nun, meine Herren, ein zweiter, sehr wichtiger Punkt ist die Brannt⸗ weinsteuergesetzgebung. Die Herren wissen, daß dem Reichstag schon ein entsprechender Gesetzentwurf vorliegt; es hat derselbe die Zu stimmung der Interessenten bereits in vollem Umfang ge—⸗ funden, und ich bin der Meinung, daß dies Gesetz für den ärmeren Boden, gerade für den Grundbesitz im Osten, von der weit⸗ tragendsten Bedeutung ist, indirekt auch für den kleinen Besitzer. Sie werden aus den Zahlen, die ich rücksichtlich der Zunahme der land wirthschaftlichen Kulturen gegeben habe, ersehen haben, daß gerade der Kartoffelbau im ganzen Deutschen Reich gegen alle übrigen Früchte einen großen Zuwachs erhalten hat, und die Kartoffelbauer werden, wenn sie ihre Kartoffeln nicht sonst absetzen können, dieselben an die Brennereien nutzbringend liefern, wenn die Spiritusindustrie gut geht. Also sie sind wohl bei dem Kartoffelbau Indessen räume ich ein, daß die Branntweingesetzgebung vorwiegend für den Großgrundbesitz von Bedeutung ist. Hierbei will ich eine Be⸗ merkung erläutern, die Herr Graf von Klinckowstroem gemacht hat. Er hat die Warnung ausgesprochen, daß die Königliche Staatsregierung doch durch die Rentenguts⸗Gesetzgebung nicht in die gesunde, naturgemäße Entwicklung der Agrarfrage im Osten ein⸗ greife. Ich stehe, meine Herren, auf dem Boden, daß für uns in der preußischen Monarchie der Großgrundbesitz absolut unentbehrlich ist (Bravo!), und bin der Meinung, daß die Bildung von Fideikommissen begünstigt werden müsse (Bravo!); ich habe diesen Standpunkt, wo ich konnte, vertreten und werde ihn auch weiter vertreten.

Andererseits bin ich aber der Meinung, daß eine zu ausgedehnte Latifundienbildung, besonders wenn das nothwendige wirthschaftliche Kapital nicht gleichzeitig vorhanden ist, sehr nachtheilig sein kann. Sie bewirkt, daß große Gebietstheile zu wenig bevölkert sind. Daß man versucht, darin Wandel zu schaffen, scheint mir berechtigt und noth⸗ wendig. Es ist zutreffend und unwiderleglich: daß der Osten, die östliche Landwirthschaft im wesentlichen sowohl in den Arbeiterverhältnissen, als auch in allen anderen Dingen an drei Mißständen krankt: 1) nicht ge⸗ nũgend ausgebildeten Verkehrsverhältnissen, ) einer zu wenig dichten Be⸗ völkerung, 3) Mangel der Industrie, auch der kleinen. Und jede Maßnahme, die dazu beitragen wird, in dieser Beziehung Besserung herbeizuführen, wird zweifellos segenbringend sein. Dazu gehören die Maßnahmen der Regierung in Bezug auf die innere Kolonisation, Rentengüterbildung u. s. w. Ich räume ein, daß dies eine schwierige Materie ist; namentlich in den ersten Jahren sind gewiß in der Rentengutsbildung allerlei Fehler begangen; aber mit der Zeit wird dieselbe sicher ihren Segen tragen und eine richtige agrare Vertheilung herbeiführen, wie wir sie im Westen haben in der großen Bauerngemeinde, wo leistungsfähige Vollhöfner, Halb⸗ höfner, Käthner und Arbeiter auf größeren Gütern zu einer Gemeinde vereint sind. Ich kann mir nicht helfen, das ist etwas ideal Gutes,

interessiert.

und wir im Westen beñnden uns jedenfalls bei dieser . ga,

theilung sehr gut, wir haben lange nicht so viele grundbesitzer wie im Osten; aber wir Großgrundbessh en sind sehr wohl befriedigt, sind infolge der agraren Vertheilun die bei uns herrscht, gut gestellt, und wenn ich Ihnen ein gun wünschen soll, dann würde ich wünschen, daß Sie zu ebensolchen Zuständen gelangen. (Zuruf: Nein!)

Meine Herren, dann darf ich hier mit ganz kurzen Worten die Börsensteuergesetzgebung erwähnen. Es liegt ein fertiger Gesetzentwurf

in dieser Beziehung vor, der namentlich beabsichtigt, gegen die Auswlchse

des Terminhandels u. s. w., gegen die Betheiligung der kleinen Land. wirthe u. s. w. bei den Börsengeschäften, gegen die Auswüchse, die die Produktenbörse mit sich gebracht hat u. s. w., einzuschreiten, und ich gebe mich der Hoffnung hin, daß diese Sache noch in diesem Jahre im Reichstage abgemacht werden wird.

Dann ist von dem Herrn Vorredner die Margarine und die Gesetzgebung gegen die Verfälschung der Futter. und Dünge— mittel und Sämereien erwähnt. Meine Herren, die Frage der Mar⸗ garine befindet sich in Arbeit, ich muß aber zu meinem Bedauern aussprechen, daß sie nicht so weit gehen wird, wie Herr Graf von Klinckowstroem das wünscht, weil man glaubt, daß es unmöglich und undurchführbar ist, daß in jeder Wirthschaft, in jeder Zuckerbäckerei in jedem Geschäftsladen, wo Zwiebacke u. s. w. gebacken und verkauft werden, bekannt zu geben ist, ob und welcher Gegenstand mit Margarine be- reitet ist. Ez würde das eine lex imperfecta werden, weil die Kontrole unausführbar ist. An einem kleinen Orte kommt vielleicht jemand und verlangt ein Beefsteak mit Butter zubereitet, und er wird es bekommen; während ein Anderer, wenn es billiger ist, eins mit Margarine verlangt. Beide bekommen es. Soll nun der Wirth jedem Beefsteak einen Zettel beilegen: diese Portion ist mit Butter, diese mit Margarine gekocht? Heiterkeit.) Kurz, die Reichsregierung und die preußische Regierung glauben, daß eine so weitgehende Bestimmung nicht durchfübrbar sei. Abgeschlossen ist die Sache nicht; es werden eingehende Verhandlungen geführt, um in dieser Beziehung zu helfen. Ebenso ist es mit der Frage der Düngemittel und Sämereien u. s. w. Auch sie ist angeschnitten, und man wird hoffentlich bald zum Beschluß gelangen.

Dann, meine Herren das liegt auch auf dem Gebiet der Reichsgesetzgebung ist die Verschuldungsfrage und die Erbschafts— frage gestreift. Es sind das Mittel, meine Herren, die langsam wirken werden. In Rücksicht auf die Verschuldungsfrage, die Fest= stellung einer Verschuldungsgrenze muß ich annehmen, daß in der Zeit der gegenwärtigen Krisis die Festsetzung einer Verschuldungsgrenze eine Operation sein würde, die den Kranken sterben macht. Die Operation würde zwar gelingen, der Kranke aber sterben.

Uebrigens soll der Versuch der Feststellung einer Verschuldung⸗ grenzbestimmung und einer Erbrechtsfeststellung bei Renten, und Ansiedelungsgütern gemacht werden. Sie werden sich mit einem ent— sprechenden Gesetzentwurf noch zu beschäftigen haben.

Ich berühre dann die Frage der Transitläger. Es ist in Aucssicht ge— nommen, die gemischten Trasitläger, wenn sie ihre Einfuhr meistenz nach dem Inlande absetzen, zu beseitigen, weil sie der inländischen Produktion großen Schaden zufügen. (Sehr richtig) Es besteht darüber Einverständniß bei den maßgebenden Faktoren.

Dann, meine Herren, gehört noch zur Reichsgesetzgebung die Veterinärfrage. Sie ist hier schon eingehend behandelt. Ich glaube, daß das eine der allerwichtigstn Fragen ist, die wir in gegenwärtiger Zeit verhandeln können. (Seht richtig) Ich kann nur sagen, daß ich bei der Reichs, regierung, solange ich im Landwirthschafts Ministerium bin, das vollste Entgegenkommen gefunden habe, sowohl in Erweiterung der geseßz lichen Bestimmungen zum Schutze der Einschleppung von Viehkrank⸗ heiten von außen wie zur Bekämpfung der Verseuchung im Innern. Es ist in Aussicht genommen, eine Untersuchung an der Grenze eintreten zu lassen gegen Gebühren, ferner sogenannte Quarantäne⸗ anstalten zu errichten, in denen auf Kosten der Einführenden das Bieh so lange untergebracht wird, bis die Frist, innerhalb derer die Immunität feststeht, abgelaufen ist. Wir versprechen uns davon großen Erfolg auch für die Entwicklung unserer Fleischpreise, Zucht viehpreise u. s. w. Ja, meine Herren, im Innern geschieht alles, was möglich ist; aber Sie haben wohl die vorgestrigen Verhandlungen im Abgeordnetenhause verfolgt. Die Sachen liegen außerordentlich schwierig, und von den großen Städten, wie namentlich Berlin, ist nach dem gegenwärtigen Stand der Gesetzgebung schwer das Er⸗ forderliche zu erreichen, was man vom veterinären Standpunkt aus erreichen muß. Wir haben durch Sperrmaßregeln einzugreifen

versucht; gegen diese erhebt nun die Landwirthschaft Widerspruch.

Aus allen Ecken kommen aus dem Westen eine Menge Land wirthe und bitten, man möge die Sperre gegen Holland auf— heben; jetzt sei es gerade Frühjahr, sie bezögen das Vieh vom Auslande fuͤr ihre Fettweiden. Ob sie damit Krankheit hereinschleppen, ist ihnen gleichgültig. Dann kommen wieder andere Landwirthe und bitten um Verschärfung der Sperre. Kurz und gut, eine klare Einsicht in diese Verhältnisse findet sich bei unseren Landwirthen in dieser Frage nicht; dies beweist, daß sie über ihre eigenen Vortheile noch nicht genügend aufgeklärt sind.

Meine Herren, das wären diejenigen Fragen, die auf dem Gebiet der Reichsgesetzgebung liegen. Nun will ich kurz im allgemeinen noch erwähnen, daß im Landwirthschafts / Etat, im DOrdi⸗ narium etwa 4 Millionen mehr eingestellt sind, wie in anderen Jahren trotz der nicht geradezu günstigen Finanzlage. Das ist doch schon etwas Großes; man wird damit auf vielen Ge⸗ bieten helfen können. Dabei sind außerordentliche Mittel eingestellt für Meliorationen. Bei der Gelegenheit will ich eine Bemerkung erledigen, die vorhin rücksichtlich der Meliorationen gemacht wurde.

(Schluß in der Zweiten Beilage.)

zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preußischen Stants⸗/Anzeiger.

(Schluß aus der Ersten Beilage.)

Es wurde gesagt wenigstens habe ich den Herrn Grafen so ver⸗ standen die Meliorationszuschüsse kämen im wesentlichen nur dem kleinen Grundbesitz zu gute. Ja, meine Herren, das ist doch nicht immer der Fall. Wenn der Großgrund⸗ besitz in den Meliorationsverband mit eintritt, so ist er Angehöriger des Verbands, und es ist die Regel ich berufe mich dabei auf Herrn Geheim⸗Rath Stolle daß die Staatszuschüsse in der Regel dem Verbande gewährt werden; es partizipiert also auch der Groß—⸗ grundbesitzer an dieser Staatshilfe wie alle anderen Grundbesitzer, wenn beide dem Verband angehören. Dagegen sind auch Fälle vor⸗ gekommen, wo man glaubte, daß ein großer Majoratsherr von der Bewilligung besonderer Mittel bei Meliorationen, Ein⸗ deichungen u. s. w. auszuschließen sei, weil, er nicht bedürftig sei, während den übrigen bedürftigen Betheiligten Staatszuschüsse gewährt werden. Meine Herren, die Steuererlässe will ich hier nicht weiter berühren, sie sind in der Kommission kurz gestreift.

Die Verbesserung der Verkehrsverhältnisse will ich nur kurz er—⸗ wähnen. Ich bin abweichend, von dem Herrn Grafen Klinckowstroem, der Meinung, daß der Osten noch mehr als der Westen mit allen Kräften dahin zu arbeiten hat, daß er neben Staats⸗ bahnen, Vollbahnen und Sekundärbahnen ein ordnungs⸗ mäßiges Netz von Kleinbahnen bekommt, und ich habe es mit Freuden begrüßt, daß jetzt für ärmere Distrikte des Ostens für diese Zwecke Staatsunterstützungen gewährt werden sollen. Auf die Kanal⸗ frage will ich nicht eingehen; sie hat ja im Abgeordnetenhause Wider⸗ spruch gefunden. Ich persönlich stehe auf dem Standpunkt, daß, wenn wir gesunde Verkehrsverhältnisse haben wollen, wir auch Wasser⸗ straßen ausbauen müssen, sowohl die natürlichen wie die künstlichen. Ich glaube, daß gerade für den Osten die Herstellung einer Verbin⸗ bindung mit dem Westen durch Wasserstraßen zweifellos von großem Segen ist. Indessen das ist eine persönliche Ansicht; der Herr Eisen⸗ bahn⸗Minister theilt diese Ansicht mit mir.

Nun, meine Herren, die Eisenbahntariffrage, will ich nur ganz kurz streifen. Es ist ich darf es hier wohl aussprechen in Aus⸗ sicht genommen, durch Verhandlungen mit dem Landes⸗Eisenbahnrath zu erwägen, nach welcher Richtung im Interesse der Landwirthschaft eine nicht grundlegende Aenderung der Eisenbahntarife, aber doch eine Verbesserung der Tarifsätze im Interesse der Land⸗ wirthschaft sich als ausführbar erweist, und es ist ja auch schon von dem Herrn Berichterstatter hervorgehoben, es sei anzuerkennen, daß eine Ermäßigung für Futter⸗ und Kunstdüngemittel im allgemeinen schon erfolgt sei und neuerdings wieder für ein paar

Jahre eine Ermäßigung für schwere Kunstdüngemittel, für Kali—

u. s. w. eingetreten sei. Ich will auch diesen Punkt damit verlassen. Dann habe ich eine kurze Bemerkung, anknüpfend an das zu machen, was in Hinsicht auf die Kornsilos gesagt ist. Ja, die Staatsregierung ist allerdings der Meinung, daß, wenn die Sache richtig ausgeführt würde, zweierlei durch die Kornläger erreicht werden könnte: Einmal, daß, wenn sie in Verbindung mit Trocken⸗ häusern und Trockeneinrichtungen hergestellt würden, ein gleichmäßiges und trockenes Getreide in den Handel gebracht würde; daß zweitens dann richtig gemischt werden könnte. Aber das sind Fragen unter⸗ geordneter Bedeutung; viel größeren Werth lege ich darauf, daß dann eine Unterlage geschaffen wird für die Be⸗ leihung der in die Kornläger gebrachten Vorräthe, die dann ermöglicht, daß der Landwirth in die Lage gebracht wird, sein Getreide zu einer Zeit abzusetzen, wo er einen besseren Preis nach seiner Meinung bekommt. Denn, meine Herren, es ift nicht zweifelhaft: würde der Antrag Kanitz ausführbar und durchführbar sich erweisen, so wäre die Herstellung von Kornsilos absolut nothwendig lsehr richtigh, um den Ucbelstand zu beseitigen, der jetzt vorliegt. Es ist zweifellos, meine Herren: in der Zeit von Mitte August bis Ende Oktober gehen die ganjen Vorräthe aus den Händen der Produzenten in die Hände der Händler über, und die Wirkung der Kanitz'schen Anträge, wenn sie überall erreicht wird, weil dann erst die Einfuhr festgestellt werden kann. wenn man den inneren Bedarf wirklich übersieht, würde erst um die Periode etwa eintreten, wo das ganze Getreide nach unseren gegenwärtigen Verhältnissen sich nicht mehr in den Händen der Produzenten, sondern in den Händen der Händler befindet; und dann würde der Händler den Vortheil von der Getreidepreishebung einstreichen und der Landwirth würde ebenso benachtheiligt sein, wie bisher. Das ist meine person⸗ liche Ansicht. Ich bin aber auch der Meinung, daß die Sache im allgemeinen Interesse gemacht werden kann und gemacht werden muß, aber als Versuch, und die landwirthschaftliche Verwaltung in Uebereinstimmung mit dem Herrn Finanz Minister hat in Aussicht genommen: wenn eine oder mehrere dandwirth⸗ schaftskammern sich bereit finden lassen, einen Versuch zu machen, so will sie eine mehr oder weniger erhebliche Zubuße für die Einrichtung, vielleicht auch für ein paar Jahre für den Betrieb zugeben, um einen ernstlichen Versuch mit der Sache zu machen, und zwar würde der Versuch gemacht werden können an irgend einem größeren See⸗ platz, an einem Knotenpunkt von Eisenbahnen, vielleicht ein Versuch im Osten, vielleicht einer in Mitteldeutschland und einer im Westen.

Die Rentengüterfrage habe ich schon erwähnt. Ich möchte da nur auf einen Punkt zurückkommen, der im Eingang des Vortrags des Herrn Grafen von Klinckowstroem und von dem ersten Herrn Redner gestreift wurde. Ich bin damit einverstanden, daß in der gegenwärtigen Krisis es dringend erwünscht ist, Kirchen,, Schul. und Kommunal⸗ lasten möglichst einzuschränken, nicht unnöthige Schulbauten zu machen. Ich bin auch der Meinung, daß man in Erwägung nehmen kann, ob man die Amortisation vorübergehend da, wo es Bedürfniß ist, sistieren könnte. (Sehr richtig) Das ist eine Idee, die ein Freund von mir, Herr von Below, noch neuerdings in der pommerschen ökonomischen Gesellschaft erwähnt hat. Dann erinnere ich daran, daß die Königlich preußische Regierung im vorigen Jahre be kanntlich das Landwirthschaftskammergesetz erlassen hat mit

Zweite Beilage

Berlin, Sonnabend, den 30. März

Ausnahme von zwei Provinzen haben alle Provinzen es angenommen —, in der Hoffnung, daß die Landwirthschafts kammern zweckmäßige An— regungen für Maßnahmen der Staatsregierung zur Hebung des land- wirthschaftlichen Nothstandes geben werden. Dann will ich zum Schluß den Identitäts nachweis und die Aufhebung der Staffeltarife streifen. Meine Herren, mein Amtsvorgänger hat sofort, wie der Identitãts nachweis aufgehoben wurde, angeordnet, daß in Mitteldeutschland und im Osten am Schluß des Jahres Nachrichten über die Wirkung der Aufhebung gegeben werden, und da ist im Osten eine merkwürdige Erscheinung aufgetreten. Während früher ein erheblicher Preisunter⸗ schied zwischen Osten und Westen bestand, hat sich diese Verschieden⸗ heit infolge der Aufhebung des Identitätsnachweises, trotzdem die Staffeltarife aufgehoben sind, fast ausgeglichen, und was bei den hohen Kornzöllen niemals der Fall war daß der Umfang des Eingangszolls zum Ausdruck kam beim Preise, das ist jetzt in vollstem Maße eingetreten. Im Osten kostet das Getreide, was von außen importiert wird sei es durch Transport über See oder im inneren immer den Preis des Getreides plus der Transportkosten plus des Zolles, und das ist wie man in Ostpreußen annimmt, auch die Handelskammern nehmen das an Folge der Aufhebung des Identitätsnachweises. Meine Herren, wenn bei der Spezial debatte noch Dinge gesagt sind, die ich nicht berührt habe, so kann ich vielleicht ganz allgemein bemerken: die Verschuldung des Grund⸗ besitzes ist in Höhe von 93 000 Millionen Mark angegeben, das mag ungefähr richtig sein. Wahrscheinlich ist es auch richtig, daß die Verschuldung fortwährend zunimmt, aber ich möchte glauben, daß die Statistik doch anfechtbar ist. Ich kann z. B. aus meiner genauen Kenntniß der westlichen Ver⸗ hältnisse sagen, daß bei uns angenommen wird, der Grundbesitz sei in Hannover durchschnittlich zu 17 9 verschuldet, und doch ist mir aus meiner früheren Stellung als Landes⸗Direktor hekannt, daß in diesen Jahren etwa 90 bis 100 Millionen Schulden zur Tilgung gelangen werden, die jetzt noch in den Hypothekenbüchern zu Gunsten der Landes⸗ kreditanstalt stehen und nicht eher gelöscht werden können, bis die Schuld, für welche die Hypothek eingetragen ist, vollständig abgetragen ist. Nun ist unsere Landeskreditanstalt errichtet ursprünglich lediglich für die Ablösung der feudalen Lasten des mittleren Grundbesitzes. Die haben fast alle mit Yo u. s. w. die Tilgung der Schuld über— nommen, und jetzt erst bewegen wir uns in dem Zeitraum, wo nun die ganzen Schulden abgetragen sind, und doch bestehen noch die vollen Hypothekeintragungen.

Dabei ersehe ich, daß ich die Kreditfrage, die ja eine der wich⸗ tigften ist, bisher vollkommen unberührt gelassen habe. Ich möchte glauben, daß der erste Hebel im Osten bei der Aenderung der dortigen Real⸗ und Personalkreditverhältnisse angesetzt werden muß. Während im Westen ganz allgemein besondere Kreditinstitute für den mittleren Grundbesitz bestehen, haben die Landschaften allerdings für die Kredit⸗ noth der größeren Grundbesitzer, soweit ich übersehe allerdings noch vielfach auf Grundlage merkwürdiger Taxbestimmungen Sorge ge— tragen. Die Landschaften haben dann sich zum theil auch auf den kleineren Besitz, aber anscheinend in nicht richtiger Weise, ausgedehnt, passen dafür durchaus nicht. Ich bin der Meinung, daß für den Realkredit des mittleren und kleinen Grundbesitzes durch die Sparkassen oder durch besondere Kreditinstitute, seien sie vom Staat oder von den Provinzen getragen, unbedingt rasch etwas geschehen muß. Ebenso ist es mit dem Personalkredit. Da werden diejenigen Verbände, die in der Richtung sich gründen oder zu gründen im Begriff sind in Raiffeisen'sche oder andere Darlehnskassenverbände, zu einem großen Kreditverband zusammen— zuschließen sein. Der Herr Finanz -Minister ist bereit, eine Zentral⸗ Kreditkasse für diese genossenschaftlichen Bildungen zu schaffen, entweder im Anschluß an die Seehandlung oder, da dies wahrscheinlich nicht möglich sein wird, in besonderer Form.

Meine Herren, ich schließe damit meinen Vortrag. Ich bedaure, daß ich jeden Augenblick erwarten muß, nach dem Reichstag berufen zu werden. Ich habe eben diese Nachricht bekommen, und ich würde

dann genöthigt sein, während die Debatte weiter fortschreitet, nicht

hier anwesend sein zu können. Ich weiß das nicht gewiß, bis jetzt habe ich eine telephonische Nachricht noch nicht bekommen; aber wenn sie kommt, würde ich mich entfernen müssen.

Ich danke Ihnen noch, meine Herren, daß Sie meinem vielleicht etwas langen Vortrag so aufmerksam gefolgt sind, hoffe, daß ich hier nicht denselben Fehler begangen habe, dessen ich mich angeblich im Abgeordnetenhause in meiner ersten Rede schuldig gemacht haben soll: zu weitschweifig geworden zu sein. Damit darf ich meinen Vortrag schließen. (Lebhafter Beifall.)

Auf Antrag des Grafen von Schlieben wird mit 41 gegen 37 Stimmen beschlossen, in Abwesenheit des Ministers u Landwirthschaft über den Etat der Domänen und Forst⸗ verwaltung nicht weiter zu verhandeln, diese Verhandlung vielmehr auf Sonnabend zu vertagen.

Das Haus tritt in die Berathung des Etats der Eisen⸗ bahnverwaltung.

Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:

Meine Herren! Ich erfülle zunächst eine Pflicht, wenn ich dem Herrn Vorredner für das günstige Urtheil, welches er über die Eisen⸗ bahnverwaltung und insbesondere auch über die Neuordnung der Staats⸗Eisenbahnverwaltung gefällt hat, meinen Dank abstatte.

Meine Herren, gestatten Sie mir dann ferner, daß ich über den voraussichtlichen Abschluß des diesjährigen laufenden Etats Ihnen einige Mittheilungen mache.

Die beiden letzten Monate Januar und Februar waren infolge der nachtheiligen Witterungseinflüsse verhältnißmäßig ungünstig. Der starke Frost und der reichliche Schneefall haben die Einnahmen vermindert und die Ausgaben vermehrt. Nichtsdestoweniger dürfen wir mit Sicherheit annehmen, daß die Einnahmen den Etatsanschlag um etwa 3 Millionen übersteigen werden. Dabei ist in Rücksicht zu ziehen, daß infolge der veränderten Buchung von den Einnahmen etwa 12 Millionen mit Rücksicht darauf werden abgesetzt werden, daß

1895.

in Zukunft die Dienstgutfrachten nicht mehr zur Anrechnung kommen, und jweitens das noch zur Verwendung gelangende Alt⸗ materil ohne Werth mit in die nächste Rechnung übernommen wird. Bezüglich der Ausgaben wird eine Minderausgabe gegen den Etat von etwa 9 Millionen Mark eintreten, sodaß im ganzen der Ueberschuß gegen den Voranschlag sich um 12 Millionen Mark günstiger stellen wird. Meine Herren, seit dem Jahre 1891 ist der sogenannte Betriebskoeffizient, also das Verhältniß der Ausgaben zu den Einnahmen günstiger geworden. Das Jahr 1891,92 hatte noch einen Betriebskoeffizienten von 65 0so, der Betriebs⸗ koeffizient des Jahres 1894jñ95 wird voraussichtlich 58 0/0 betragen. Dies Verhältniß ist in Wirklichkeit noch viel günstiger, als es nach diesen Ziffern erscheint, weil im Gegensatz zu der früheren Gepflogen⸗ heit in den Etat eine ganze Reihe von Ausgaben übernommen worden sind, welche früher zum großen Theil durch Anleihen gedeckt wurden. Es sind das insbesondere die Kosten für den Umbau der Bahnhöfe, die Legung zweiter Gleise und auch die Beschaffung von Betriebs— material. In dem Ihnen vorliegenden Etat für 1895/96 finden Sie ja ebenfalls eine Summe von neun Millionen Mark für Betriebs— mittel vorgesehen. Es darf also erwartet werden, daß der Abschluß des Etats des laufenden Jahres ein verhältnißmäßig günstiger sein wird. Ebenso ist mit großer Vorsicht der Etatsanschlag für das Jahr 1895/96 aufgestellt worden, sodaß wohl mit einiger Sicherheit, wenn nicht ganz besonders ungünstige Momente eintreten werden was Gott verhüten möge —, vorauszusehen ist, daß der Etat in dem nächsten Etatsjahre wohl durch die Wirklichkeit wird erreicht werden.

Herr von Pfuel fragt an, wie es mit dem Bau der Eisenbahn Berlin Wriezen stehe. .

Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:

Die Verhandlungen haben sich bezüglich dieser Linie leider sehr in die Länge gezogen. Es waren sehr erhebliche Differenzen, namentlich mit der Stadt Berlin, zu ordnen, die vielfache Verhandlungen erforderten und die erst in der allerletzten Zeit zu einem Abschluß geführt haben. Wir hoffen nun bald mit dem Bau beginnen zu können. Ich bedauere es sehr, daß die Sache sich so lange hinausgeschoben hat im Interesse derjenigen, welche auf die Fertigstellung der Bahn mit Schmerzen seit langen Jahren gewartet haben, aber auch im Interesse der Ver— waltung selbst, der durch die lange Verzögerung des Ausbaues der Bahn sehr erhebliche Kosten entstanden sind.

Ich möchte daran die allgemeine Bemerkung knüpfen, daß die Staats⸗Eisenbahnverwaltung in ihrem eigenen Interesse thunlichst dafür sorgen muß, daß die genehmigten Bahnen baldigst zur Ausführung kommen; denn durch das Verzögern entstehen immer eine ganze Reihe unnützer Kosten, namentlich unnützer Kosten für die allgemeine Verwaltung, so daß sie ihrerseits alle Ursache hat, dafür zu sorgen, daß die Hindernisse baldigst aus dem Wege geräumt werden. Aber leider ist sie über eine ganze Reihe von Hindernissen ihrerseits nicht Herr, namentlich über alle diejenigen Hindernisse, die sich aus dem Grunderwerb herschreiben, und damit komme ich auf ein Kapitel, was voraussichtlich in diesem hohen Hause, entweder hier beim Etat oder vielleicht noch mehr entsprechend demnächst bei der Sekundärbahn⸗ vorlage, erörtert werden wird, nämlich das Kapitel, ob nicht das bis⸗ herige System der Heranziehung der Interessenten zu den Kosten der Nebenbahnen, welches darin besteht, daß die Interessenten den Grund und Boden entweder in natura oder die Kosten dazu herzugeben haben, im Interesse beider Theile verlassen werden kann. Die Staatsregierung hat sich bereits im vorigen Jahre bereit erklärt, in eine dementsprechende Erwägung einzutreten, hat aber die Ausführnng dieser Maßregel abhängig machen zu müssen geglaubt von der Voraussetzung, daß durch Aenderung der Expropriations⸗ gesetzgebung das Risiko, welches sie bezüglich des Grunderwerbs zu übernehmen haben würde, gegenüber dem bisherigen System ihr einiger⸗ maßen erleichtert würde. Denn das, meine Herren, ist gar keine Frage: auf das große Portemonnaie des Fiskus wird bei dem Grunderwerb von seiten der einzelnen Grundbesitzer in viel schärferem Maße ge⸗— rechnet werden, als das den Kreisen gegenüber der Fall gewesen ist.

Also irgend eine Ausgleichung dieses Risikos werden wir erstreben müssen. Ich gehe heute nicht näher auf diese Frage ein, sie wird ja jedenfalls nochmals bei der Sekundärbahnvorlage zur Erörterung ge⸗ langen.

Ober⸗Bürgermeister Struckm ann weist auf die Verzögerungen hin, die namentlich durch die Katasterämter entständen, wenn es sich um Umänderungen der Grundbücher handle. Die Katasterbeamten seien mit anderen Arbeiten zu sehr überhäuft; er hoffe, in dieser Beziehung werde Wandel geschaffen werden.

Graf von Waldersee fragt an, wie es mit dem Umbau der Hamburg⸗Altonager Bahnhofsanlagen stehe. Der Nothstand sei von

der Verwaltung anerkannt und Verhandlungen seien mit Hamburg gepflogen worden. Es müßten an Stelle der jetzigen Anlagen ein viergleisiger Bahnkörper theils mit Unter“, theils mit Ueberführungen, sowie neue Bahnhöfe angelegt werden. Auf preußischem Gebiete seien die Umbauarbeiten beinahe fertig, in Hamburg sei noch kein Spatenstich gethan. Die Unterhandlungen kämen nicht vorwärts; das sei zu beklagen, da häufige Verkehrsstörungen vorkämen, Unglücks⸗ fälle leicht möglich seien und das Publikum durch die unzureichenden Anlagen belästigt werde. ;

Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:

Ich beklage mit dem Herrn Grafen von Waldersee auf das leb⸗ hafteste, daß die Verhandlungen über den Umbau des Bahnhofs in Hamburg bis jetzt noch nicht zum Abschluß gekommen sind.

Herr Graf von Waldersee hat bereits hervorgehoben, daß der Umbau der Bahnhöfe und der sie verbindenden Strecken sich nicht nur auf Hamburg erstreckte, sondern daß zu gleicher Zeit auch die Bahnhofs⸗ verhältnisse in Altona zu regulieren waren. Das letztere ist nahezu geschehen; dagegen sind die Aussichten, daß baldigst die Verhandlungen bezüglich der Hamburger Anlage zum Abschluß kommen möchten, zur Zeit nicht gerade sehr erfreulich. Leider gehören zu diesem Abschluß zwei: der hamburgische und der preußische Staat, deren Interessen nicht überall zusammenfallen.

Die Anlage wird einen sehr erheblichen Kostenbetrag erfordern, nach dem ursprünglichen Anschlage für Preußen allein etwa 17 Millionen Mark.