1895 / 150 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 26 Jun 1895 18:00:01 GMT) scan diff

auch bei sebr gründlicher Revision ein sehr günstiges gewesen ist. (Zuruf) Die Anstalt ist bereits revidiert und der Bericht ist in meinen Händen.

Nun, meine Herren, ich beabsichtige, um auf die Fragen des Herrn Vorredners näher einzugehen, eine besondere und unmittelbare Kommission zu bilden, welche alle, nicht bloß von Alexianern, sondern

von Katholischen oder Evangelischen unterhaltenen oder mit Pflege⸗

personal versehenen Privat · Irrenanstalten außerordentlich und unver- muthet einer eingehenden außerordentlichen Revision zu unterziehen hat. Die Einleitung für die Bildung dieser Kommission ist bereits ge⸗ troffen.

Auch das genügt aber nicht! Es soll aus Anlaß dieses Falles und um dem öffentlichen Bewußtsein Genüge zu thun, sofort verfügt werden, daß sämmtliche Regierungs ·Medizinal⸗ Räthe unter Zuziehung eines höheren Verwaltungsbeamien alle Privat⸗ Irrenanstalten ihres Bezirks einer eingehenden Revisien unterwerfen müssen. Ich werde Vorsorge treffen, daß diese Dinge mit der nõthigen Vorsicht inscenirt werden; denn Sie können sich denken, daß, wenn diese Nachricht in die Hände der Kranken kommt, es auch eine Unruhe unter dem Krankenpersonal giebt, die die allergrößte Aufmerksamkeit erfordert es ist auch von psychiatrischer Seite darauf aufmerksam gemacht worden. Es wird aber nach dieser Richtung hin nichts ver⸗ säumt werden.

Nun, meine Herren, das ist das, was wir gethan haben und was wir thun wollen, zunächst aus Anlaß dieses Falles. Aber auch dies if! nicht ausreichend darin hat der Herr Vorredner ganz recht. Ich babe bereits im Jahre 1892 aus Anlaß einer gewissen Bewegung, die damals durch die Fachpresse und auch durch die politische Presse ging, Veranlassung genommen, eine gründliche Revifion der Vorschriften über die Aufnahme von Geisteskranken in Irren · anstalten und über die Beaufsichtigung der Privat ⸗Irrenanstalten anzuordnen. Sie werden sich wundern, daß seit dem Jahre 1892 es dreier Jahre bis 1895 bedurft hat, ehe die Sache fertig wurde. Das wird sich aber sehr einfach erklären. Es sind kommissarische Verhandlungen angeordnet und geführt worden von den verschiedenen betheiligten Ministerien: Finanz -Ministerium, Justiz⸗Ministerium, Ministerium des Innern und Kultus · Ministerium. Schon in den ersten Berathungen dieser Kommission stellte sich heraus, daß sie zu konkreten wirksamen Vorschlägen garnicht kommen konnte, wenn sie nicht genaue statistische Unterlagen hätte, die uns bis dahin ganz fehlten. Wir wußten nicht: wie viele vrivate Irrenanstalten haben wir in den einzelnen Bezirken, wie stark sind sie belegt, in wie weit sind sie aufnahmefähig, und von wem werden die Kosten für die Kranken getragen, und wir hatten namentlich nicht die erforderlichen Unterlagen für ein Institut, das wir neu geplant hatten, nãmlich: kollegialische Besuchskommissionen mit Revision aller privaten Irren⸗ anstalten zu beauftragen, zu denen unter anderen auch ein Psychiater gehören soll; wir mußten also ermitteln, wie viele solcher vorgebil⸗ deten, tüchtigen geprüften Pspychiater wir bei den verschiedenen pfychiatrischen Anstalten und Kliniken zur Disposition haben. Diese Aufnahmen sind dann sofort durch die Ober⸗Präsidenten und Regie⸗ rungs⸗Präsidenten gemacht und, sobald sie eingegangen sind, sind die neuen Vorschriften entworfen; sie liegen hier bereits mit den er⸗ lãuternden Begleitschreiben an die Ober⸗Präsidenten vor und sind bereits fertig gewesen, ehe der Prozeß Mellage überhaupt be⸗ gonnen hat.

Nun, meine Herren, das Wichtigste aus diesen neuen Bestimmungen ist das, daß die Aufnahme und die Entlassung Geisteskranker, daß ferner die Errichtung und Leitung der staatlichen Beauffichtigung der Privatanstalten eine erhebliche Verschärfung erfährt: Die Aufnahme in Privat⸗Irrenanstalten soll nicht, wie es jetzt unter Umständen, wenn die Polizei bei der Sache schon mitgewirkt hat, möglich ist, auf Grund eines einzigen privaten Arztes und dessen Attestes erfolgen dürfen, sondern es muß immer ein zweiter beamteter Arzt hinzugezogen werden; dieser muß den Kranken unter⸗ suchen, und der Kranke wird schon dadurch Gelegenheit haben, seine Beschwerde geltend zu machen.

Es ist dann selbstverständlich die Einrichtung in sanitätspolizei⸗ licher Beziehung etwas genauer geordnet und endlich vor allen Dingen die genügende Einwirkung des Arztes auf die Behandlung des Kranken und die Verwendung des Personals gesichert; das fehlte bisher. Der Fehler in Mariaberg lag darin, daß die Aerzte, deren Qualifikation ich ja hier nicht weiter in Betracht ziehen will (Zurufe) ich komme nachher auf diesen Punkt zurück aber nehmen wir an, es wären in Mariaberg ganz tadellos psychiatrisch ausgebildete Aerzte gewesen, daß die Aerzte garnicht den Einfluß auf die Direktion und Leitung der Anstalt hatten, die dem ärztlichen Urtheil ganz allein gebührt. Solches Urtheil kann das Pflegepersonal nicht haben. Ich gehe nicht

soweit, wie der Herr Vorredner gebt, daß er am liebsten aus allen

diesen Anstalten das religiöse Pflegepersonal, ich will sagen, die Leute, die in dem Drange, ihren elendesten Mitbrüdern zu belfen, sich dieser Thätigkeit widmen, ausschließen will. (Widerspruch links.)

Meine Herren, wir haben dieselben Kranken und ein unzulängliches

Pflegepersonal auch bei den Leuten, und gerade bei denen, die lediglich aus Eigennutz und gegen Bezahlung dies thun (lebhafte Zustimmung im

Zentrum). Ich kann mich ja tãuschen; aber daß dies psychologisch wahr⸗ scheinlich ist, das werden Sie mir glauben, das liegt in der Natur der Sache. Es handelt sich also nicht, wie man bei ruhiger Ueberlegung der Sache zugeben wird, um Ausschließung dieser Leute, sondern um ihre Kontrole und darum, daß man dem Arzt die nöthige Macht giebt, um ungeeignete Leute beseitigen zu können, wenn sie nicht

sie tbun, was im Interesse und zum Wohle der Kranken nothwendig ist. (Sehr richtig! rechts) Dahin streben wir, das wird durch die neue Bestimmung eingerichtet.

Auch die Aufsicht durch den Kreisphysilus, die künftig fortbestehen soll neben dieser alljäbrlichen Revision durch die Besuchskommission, ist in den neuen Bestimmungen näher präzisiert und vervollkommnet. Diese Besuchskommission soll bestehen aus dem Regierungs- Medizinal⸗

Rath, aus einem anderen administrativen Mitgliede der Regierung und

aus dem erwähnten Psychiater. Die Kommission hat sich überzeugt,

daß wir 19 ausgebildete, tüchti e zweifelsfreie Pychiater haben, die

bereit sind, dieser Besuchskommission beizutreten, und nachdem wir diese Gewißheit hatten, baben wir 22 derartige Besuchskommissienen für die ganze Monarchie bilden können, und diese werden künftig all⸗ jährlich einmal auf das gründlichste die Revision der Anstalten vor⸗ nehmen. Das, glaube ich allerdings, ist eine Maßregel, die die jetzigen Gefahren, daß die ganzen Revisionen nur Scheinkontrolen sind, grũnd⸗

lich beseitigen wird, schon weil es ein Kollegium ist, weil der eine vor dem andern sich genieren mußte, selbst wenn er etwas durch die Finger sehen wollte. Die Kreisphysiker sollen übrigens diesen Revisionen bei⸗ wohnen, ohne zu der Kommission selbst zu gehören.

Bücher, der Krankengeschichten, die in Mariaberg und in einer anderen Alexianeranstalt recht mangelhaft gewesen sind, besser geordnet werden, und wir werden von dieser Maßregel in der That eine gründliche Besserung unseres ganzen Aufsichtswesens über die Privat⸗ Irrenanstalten erhoffen dürfen.

Meine Herren, natürlich können diese Besuchskommissionen die Sache nicht umsonst machen, und ich habe mir deshalb vom Herrn Finanz ⸗Minister nach einer überschlãglich angestellten Berechnung jäbrlich 8000 M zur Bezahlung der Diäten und Reisekosten für diese Pfychiater erbeten. (Lebhafte Bewegung. Zurufe links) Sie sind mir auch zugesagt, und die Forderung wird Ihnen demnächst zugehen. (Wiederholte Zurufe) Meine Herren, wir werden damit auskommen und Ihnen ja den Beweis erbringen. Sie sind mir zugesagt, und es wird Ihnen eine entsprechende Forderung beim nächsten Etat zugehen. Mit dem nächsten Etatsjahre können also die Besuchskommissionen erst in Wirksamkeit treten, ich hoffe aber, daß Sie dann auch keine Schwierigkeiten machen werden; wenn Sie mir mehr dafür geben wollen, um so besser. .

Endlich soll noch die Frage der Beaufsichtigung derjenigen Geistes⸗ kranken geordnet werden, die in fremden Familien gegen Entgelt Aufnahme finden. Auch da sind dunkle Punkte, die eine Aufsicht von Staatswegen rechtfertigen.

Endlich ist noch ein Punkt, der mir ganz besonders nahe geht, obwohl ich auf das eigentliche Irrenrecht, auf die Entmündigung nicht eingehen will, weil das nicht zu meinem Ressort gehört und auch in der Interpellation nicht eigentlich bebandelt worden ist. Aber dieser Punkt interessiert auch Sie. Es ist nämlich der, ob es nicht zu er⸗ reichen wäre, daß jeder, der einer Irrenanstalt angehört, auch wenn er nicht entmündigt ist, einen Vertreter hat, einen rechtlichen Vertreter, der sein Interesse bei den Behörden, in der Anstalt, kurz nach allen Richtungen hin wahrnehmen kann. Ich werde bei der letzten Be⸗ rathung dieser zu erlassenden Vorschriften diese Sache auch dem Justiz⸗ Ministerium gegenüber noch in die Hand nehmen. Die Voraussetzung der Wirksamkeit der ganzen Maßnahme ift allerdings die, daß unsere beamteten Aerzte mindestens psychiatrisch genauer, eingehender aus⸗ gebildet werden, als es bisher der Fall ist. Unsere Kreisphysiker sind sämmtlich psychiatrisch geprüft, die Pfychiatrie ist für das Kreis⸗ pbysikusexamen ein Prüfungsgegenstand. Leider haben wir es bis jetzt nicht erreicht, daß für die ärztliche Prüfung überhaupt die Psychiatrie ein obligatorischer Prüfungsgegenstand ist; ich will auch dahingestellt sein lassen, ob es uns gelingen wird, beim Reiche, dem ja diese Frage der ärztlichen Prüfung untersteht, mit einem derartigen Fingerzeige durchzudringen. Die Sache hat ihre Schwierigkeiten, weil dies un⸗ bedingt eine Verlängerung des medizinischen Studiums über die jetzige Dauer hinaus zur Folge haben würde.

Das, meine Herren, sind, glaube ich, im wesentlichen die Aus⸗ führungen, mit denen ich die Interpellation zu beantworten habe. Ich boffe, ich habe Ihnen durch diese Darlegungen die Ueberzeugung verschafft, daß die Staatsregierung die Vorgänge in Marinberg auf das tiefste beklagt, vom patriotischen Standpunkt aus gerade so wie vom technischen, und daß sie ernstlich am Werke ist, alles, was mög⸗ lich ist, zu thun, um die Wiederholung ähnlicher Vorkommnisse für immer auszuschließen. Meine Herren, wir werden zu einem sicheren Schutze der armen Kranken, der elendesten unter unseren Mitbürgern, uns der hilflosen, sowohl gegen die unberechtigte Internierung als gegen rohe Behandlung durch die Maßregeln, die wir vorgesehen haben, wie ich glaube, kommen. Es ist traurig, wenn solche Dinge, wie sie hier vorgekommen sind, vorkommen können, und wenn wir genöthigt sind, sie hier öffentlich zu verhandeln. Aber dennoch begrüße ich es dankbar, daß sie ans Licht gezogen sind, und daß dadurch die Nothwendigkeit einer thatkräftigen Abhilfe dargethan ist. Ich wiederhole, daß, wenn Regierungsorgane, die nach den statt⸗ gebabten und den jetzt noch schwebenden Untersuchungen ihre Schuldig keit nicht gethan haben, dann auch über die Maßregeln hinaus, die bereits getroffen sind ich sehe hier ab von den disciplinarischen Maßregeln gegen die einzelnen Persönlichkeiten, die bereits getroffen sind, hier einzelne vorzuführen; wir haben das nie gethan, und das hohe Haus hat es auch nicht verlangt, und ich glaube, das ist auch richtig, bei dieser Praxis zu bleiben ich wiederhole aber die Ver—⸗ sicherung: Ist eine Schuld zu konstatieren, so wird sie unnachsichtlich gerügt und gesũühnt werden. (Bravo! rechts.)

Auf Antrag des Abg. von Eynern trat das Haus in die Besprech ung der Interpellation ein. .

Inzwischen war auch der Justiz-Minister Schönstedt erschienen.

Abg. Spabn (Zentr.):: Wir bedauern die Vorgänge in Maria⸗ berg, nicht allein aus humanitären Rücksichten, nein: wir glaubten mit berechtigtem Stolz, nicht aus Ueberhebung, auf die Klofter⸗ anstalten gegenüber anderen Privatanstalten blicken zu können, und dieser Stolz hat einen Schlag erlitten. Wir müssen zugestehen, daß die Vorkommnisse in Aachen auch unsere katholische Bevölkerung in hohem Grade erregt und Mißtrauen gegen diese klösterlichen

Anstalten hervorgerufen haben. Wir haben nie einer besseren Ausbil⸗ dung der Gesetzgebung, einer schärferen Beaufsichtigung der Privat⸗

Irrenanstalten seitens der Regierung entgegengewirkt. Den vom

Abg. Stöcker 1892 veranlaßten Aufruf zu Gunsten einer Aenderung der Jrrengesetzgebung haben Mitglieder meiner Fraktion unterschrieben, ein Mitglied sogar an erster Stelle. Aber wenn ich das zugebe, io

; . . . h e muß ich mich gegen die Art und Weise wenden, wie der Abg. Sattler parieren wollen, (sehr richtig! rechts) und sie zwingen zu können, daß

diese Vorfälle ausgebeutet hat. Zu einem Klostersturm bieten sie doch keinen Anlaß. Der Verlauf des Prozesses hat für mich zweierlei ergeben: Erstens, daß die Prozeßleitung aus den Händen des Gerichts. vorsitzenden in die Hände der Vertheidiger übergegangen ist, und zweitens,

daß bei dem Prozeß es sich um eine große Effekthascherei gehandelt

hat. Was soll man dazu sagen, daß in dem Urtheil Feststellungen gemacht werden, die notorisch nicht zutreffend sind? Schon die erste

Bebauptung, daß in der Anstalt Mariaberg sich 660 Kranke befunden hätten, ist unrichtig. In Aachen bestehen drei Anstalten, in welchen die Alexianerbrüder beschäftigt sind. In der Anstalt Mariaberg waren nur 300 Kranke untergebratkt. Ich stebe vollständig auf dem Boden des Herin Ministers, wenn ich die For⸗

derung unterstütze, daß alle Irrenanstalten unter ärztlicher Leitung stehen sellten, und ich bedauere, daß die Alexianer⸗ brüder sich geweigert haben, ihre Anstalt unter eine direkte ärztliche Leitung zu stellen. Gerade Dr. Capellmann ist es gewesen, welcher beständig die Forderung gestellt hat, daß er entweder eine Wohnung in der Anstalt erbalte, oder daß neben ihm ein Arzt an⸗ gestellt werde, welcher in der Anstalt wohne. Die Alexianerbrüder baben sich geweigert, diese Forderung zu erfüllen, weil sie darin eine Beeinträchtigung ihrer klösterlichen Vorschriften erblickten.

Selbstverständlich soll dann auch noch die Fübrung der Akten, der

Ich kann diese Gründe versteben, aber ich halte sie nicht für durch chlagend. Auf keinen Fall aber ist der Vorwurf die Anstaltgärzte die Hauptschuld an den V In dem Prozeß sind auf Grund von Zeuge 9 ar , worden, von welchen nachträg in Mariaberg, sondern in den anderen Anst . zur er nken kein ? e zu Angriffen berechtigte, wie sie ein Theil der Presse gegen das Kloster gerichtet hat. Auf keinen Fall kann von einem System in den Mißhandlungen gesprochen werden. In den Zeitungesberichten ist besonders der Fall verwerthet. wor den, wonach ein Geisteskranker angeblich in einen Raum wischen einem glühenden Ofen und einem eisernen Gitter gestellt wurde. Es ist festgestellt, daß es sich dabei um einen 5 bandelt, der 18 Jahre zurückliegt und daß der betreffende Geisteskranke aus eigener Neigung in den Raum zu springen pflegte. Ein Zeuge behauptete, er sei 13 Jahre in der Anstalt Mariaberg beschäftigt gewesen. Man be⸗ gnũgte sich mit dieser Aussage, obwohl es leicht war, ihre Unrichtig keit festzustellen, da die Anstalt Mariaberg erst seit 1385 bestebt. Man hat sich darauf beschränkt, die Aussagen von Kranken heranzuziehen, ohne die Angeschuldigten zu vernehmen. Wenn man diese Gesichtshunkte berücksichtigt, dann wird man auch die ee leicht beantworten, warum die Klage nicht gegen die Alexianerbrüder, sondern gegen Mellage gerichtet wurde. Die seitens des Staatsanwalts . Unter. suchung ergab aber, daß die Zeugenaussagen unzuverlässig waren und keine Grundlage zu einem Einschreiten gegen das Kloster Mariaberg boten. Es schweben gegen verschiedene Angehörige des Klosters An⸗ klagen. Warte man doch ruhig ab, welches Ergebniß dieselben haben werden. Mit dieser Feststellung fällt auch der gegen den Regierungs. Präsidenten in Aachen erhobene Vorwurf wegen. seines Nicht . einschreitens. Eine neue sorgfältigst angestellte Untersuchung beat ergeben, daß Mißhandlungen schwerer Natur, nicht vorge⸗ kommen sind. Warum bat man denn gar keine Spuren der be⸗ haupteten Mißhandlungen an den Kranken entdeckt? Nur drei Mißhandlungen wurden in dem Prozeß als in neuerer Zeit vorgekommen festgestellt. Ich glaube demnach berechtigt zu sein zu der Annahme, daß alle anderen Mißhandlungen vor dem Jahre 1890 liegen. Wenn das richtig ist, dann konstantiere ich Folgendes: die Revision des Alexianerklosters stand nur dem Erjbischok von Köln mit spezieller Erlaubniß des Päpstlichen Stuhles zu. Der Kultur⸗ kampf hatte den Eribischöflichen Stuhl von Köln verwaift gemacht. So lange diese Verwaisung dauerte, war es unmöglich, eine Repision der Anstait Mariaberg dDurchzuführen. Die Schuld an dem Unterbleiben dieser Reyision trifft also nicht die geistliche Behörde, sondern die Staatsgesetze. Der neue Gribischof hat die Befugniß zur Revision vom Papst erbeten und im Juli 1892 erhalten. Im November desselben Jahres ist sofort eine Revision vorgenommen worden. Dabei wurden verschiedene Miß⸗ stände festgestellt und Remedur getroffen, infolge deren verschiedene Wärter entlassen wurden. Wollen Sie nun sagen, daß derartige Dinge nicht auch in staatlichen Irrenanstalten vorkommen? Werden denn nicht auch in den staatlichen Anstalten häufig ungeeignete Wärter entlassen? Festgestellt ist, daß die Zwangsmittel in Mariaberg nicht als Strafmittel angewandt wurden, sondern nur als Mittel gegen die Ausschreitungen einzelner Irren. Die Anschauungen über die Anwen dung solcher Zwangsmittel gehen aber bei den Irrenärzten

auch heute noch fehr auseinander. Alle Irrenärzte, welche so alt sind

wie Dr. Capellmann, haben ihre psychlatrische Ausbildung nicht auf der Universitãt erhalten. Diese Ausbildung gab es damals auf den Universitãten noch nicht. Herr Dr. Capellmann hat sich wie viele andere Irrenärzte nach dieser Richtung hin durch eigenes Studium ausgebildet. Was die Einrichtung der Honorierung der Anstaltsärzte in Mariaberg betrifft, so erlaube ich mir die Frage, ob die Einrichtung der Besoldung der Aerzte bei den Krankenkassen, die nach dem Korf der behandelnden Kranken erfolgt, nicht auf ähnlicher Grundlage beruht. Es ist bebauptet worden, daß weder die Anstaltsärzte noch die geist⸗ liche Behörde Kenntniß von den gesetzlichen Vorschriften gehabt hätten Die Behauptung stätzt sich speziell auf die Behandlung des Geistlichen Forbes. Aber gerade bei Forbes lag das erforderliche Attest des zuständigen Arztes vor. Ich stimme dem Herrn Minister darin zu, daß eine ftrengere Untersuchung der Irrenanstalten nothwendig ist. Diese Revision darf sich aber nicht auf die Privat⸗Irrenanstalten beschränken, sondern muß sich auch auf die öffentlichen Anstalten er⸗ strecken. Der Abg. Sattler bat behauptet, daß Forbes gegen seinen Willen in der Anstalt festgehalten worden sei. Die Prozeßverhand⸗ lung hat das nicht ergeben; es ist nur festgestellt worden, daß die bezuügliche Behauptung in der Mellage'schen Broschüre nicht wider besseres Wissen aufgestellt worden ist. Forbes ist nicht gegen seinen Willen in der Anstalt Mariaberg festgehalten worden. Es ist ihm von seiten seines Bischofs nur erklärt worden: Du kannst nicht die Messe lesen, da Du ein Trunksũchtiger bist. Aber Du kannst die Erlaubniß haben, wenn Du Dich in Verhältnisse begiebst, welche die Ent⸗ stehung eines Skandals ausschliehen. Ein Zwang für Forbes zum Verbleiben in der Anftalt bestand nur in der Androhung, daß ihm die Erlaubniß zum Messelesen entzogen werden würde, wenn er die Anstalt verlasse. Eine Freiheitsberaubung liegt darin gewiß nicht, und ein Vorwurf gegen die geistliche Behörde läßt sich daraus nicht herleiten. Die von dem Abg. Sattler erhobene Forderung, die Privat Irrenanstalten zu beseitigen, geht entschieden zu weit. Der Prozeß Mellage bietet zu einer solchen Forderung keinen Anlaß. Dagegen stimme ich allen Maßnahmen zu, welche dazu beitragen können, unsere Irrengesetzgebung auf einen besseren Stand zu heben.

Abg. Graf Lim burg⸗Stirum (kons.): Herr Spahn hat ge⸗ meint, die Fübrung des Prozesses gegen Mellage habe mehr in den Händen des Staatsanwalts und der rn e, gelegen, als in denen des Präsidenten. Das ist aber der Fall bei allen Prozessen, die die große Oeffentlichkeit interessieten, und fommt daher, daß bei diesen Prozessen die Presse in ungerechtfertigter Weise eingreift. Gegen katholische Beamte pflegt von dieser Presse stets vorgegangen zu werden. Ich gebe zu, daß man hinsichtlich der Zeugenabgaben vor⸗ maliger Irren sehr vorsichtig sein muß; ich wil auf diese Zeugenabgaben nicht eingeben, da zu einer Beurtheilung dieser eine genaue personliche Bekanntschaft mit den Zeugen gehört. Die Irrenanftalten sind zu theilen in öffentliche und private; diese in solche, die unter Leitung von Korporationen stehen, und solche, die nur des Gelderwerbs wegen eingerichtet sind. Die Beurtheilung dieser Anstalten ist eine sehr komplizierte, die Irren selbst erkennen gewöhnlich nicht an, daß sie krank sind. Ich nehme als Laie Anstand, über diese Frage eingehend zu reden. Zu unterscheiden ist zwischen der Aufnahme und dem Verbleib in einer Irrenanstalt. Die Aufnahme in eine Irrenanstalt darf nicht zu sehr erschwert werden; im wesentlichen ist darauf zu achten, daß kein Kranker widerrechtlich in einer Irrenanstalt festgehalten wird. Ich glaube, man muß die Privatanstalten schärfer beaufsichtigen; ich stebe auch auf dem Standpunkt, daß Zwangsmaßregeln, wie sie in der Irten⸗ pflege vor 100 Jahren angewandt wurden, nicht zulässig sind, foweit nicht die Kranken verhindert werden müssen, sich selbst oder andere zu schädigen. Darüber wird man nicht hinwegkommen, daß von seiten der Jentralbebörde nicht alles geschehen ist, was härte gescheben müssen. Den Umstand, daß Kranke und Pensionäre in die⸗ selbe Anstalt aufgenommen werden, halte ich für sehr bedenk⸗ lich. Wenn jemand, wie dies in den Fällen Forbes und Reindorff gescheben, freiwillig in eine Anftalt sich begiebt, so darf er darin nicht gegen seinen Willen festgehalten werden. Andere Gemein⸗ schaften der tatholischen Kirche, wie die barmherzigen Brüder und die grauen Schwestern, haben so segensreich gewirkt und sind so populär, daß man nicht wünschen kann, diese Institutionen einzuschränken. Ic resümiere mich dahin: die Aufnahme in Irrenanstalten muß mit Kautelen umgeben werden, die Aufsicht des Staats muß eine sehr scharfe sein, ein gemeinschaftliches Beisammensein von Irren und frei⸗ 3 Pensionären in derselben Anstalt ist auf keinen Fall an⸗ gebracht.

Abg. von Evnern (nl): Herr Spahn hat gegen eine Inter- pellation gesprochen, nicht wie sie gestellt war, sondern wie er sie ge⸗

wäünscht bätte. Ich babe es aber nicht mit Herrn Spahn und der ktion zu thun, es handelt sich vielmehr darum, wie weit i der Sache die bestehenden Gesetzegvorschriften innegehalten worden sind. Ich halte die Erklärung des Kultus. Ministers nicht für ausreichend, glaube vielmehr, daß die Medizinal⸗Abtbeilung auf jeden Fall bätte eingreifen müßen. Der Fehler liegt aber in der Organisation; cẽ ist unmõglich, daß ein Minister zugleich Kultus. Schul · und Medizinal⸗ wesen beaufsichtigen kann. Ein Medizinal Minister muß ernannt werden. Nach der Richtung des Medizinalwesens bin ift der Herr Kultus. Minifter doch ein Laie; ich hoffe, die gerügten Vorgänge werden Anlaß dazu geben, den auf eine Aenderung des gegenwärtigen Zustandes bin⸗ fielenden Wünschen gerecht zu werden und den Herrn Kultus. Minister zu entlasten. . Finkelnburg hat erklärt, er suche vergeblich nach Worten. die Zustände in Mariaberg zu schildern. Leider sei der⸗ artiges in Deutschland noch möglich. Wer trägt nun aber die Schuld an diesen Vorgängen? Man sagt: in erster Reibe die geistliche Be⸗ börde. Ich bin weit entfernt davon, einen Klosterfturm zu entfesseln. Ich erkenne gern an, daß von katholischer Seite Großes geleistet worden ist, daß ein Jesuit Graf Spee der erste war, der das Hexenunwesen bekãmpfte. Ich bin überzeugt, daß auch die katholischen Kreise mit Grauen und Entsetzen von den Vorgängen Kenntniß genommen haben, aber es kann nicht geleugnet werden, daß unter den Einrichtungen der katholischen Kirche auch einmal ein räudiges Schaf ist. Gegen die ultramontanen Strömungen muß schärfer vorgegangen werden. Ganz freizusprechen sind auch die geistlichen Behörden nicht. Wenn gesagt wird, sie hätten keinen Anlaß zum Eingreifen gehabt, so trägt einen großen Theil der Schuld die Desorganisation und Wildheit der ultramontanen Presse am Rhein. Die Provinzialverwaltung ist ja zunächst gedeckt durch den Provinzial⸗Landtag, der die Unterbringung von Geisteskranken in derartigen Anstalten genehmigte. Der Pro⸗ vin ial⸗Landtag batte aber keine Ahnung davon, wie die Kranken in diesen Anstalten untergebracht waren. erkwürdig ist eine Mittbei lung, nach der die Alexianerbrüder erklärt haben, 2 ließen sich be⸗ treffs Entlassung von Kranken keine Vorschriften machen. Dazu hat man noch in den Zeitungen gelesen, der Staatsanwalt habe gegen die Entscheidung in dem Projeß Revision erhoben und diese später nur auf höhere Anordnung zurückgezogen. In den Zei⸗ tungen ist auch erklärt worden, der Regierungs⸗-Präsident von Aachen sei in Berlin gewesen, um beim Herrn Minister des Innern wegen der Alexianer Angelegenbeit Vortrag zu halten, sei aber zurück gewiesen worden. Meines Erachtens ist das nichts als eine Folge der schwächlichen preußischen Kirchenpolitik, die vor den Anmaßungen der Kirche fortgesetzt zurückweicht. Ich hätte wohl gewünscht, daß der Minister ein Wort der Anerkennung für den Mann gehabt ätte, der die Dinge, die sich da hinter Klostermauern ereigneten, auf. gedeckt hat. Auiuf Mellage möchte ich die Verse des Liedes vom braven Mann anwenden. Wir dürfen uns nicht verhehlen, daß unser Irrenwesen gegenüber demjenigen Hollands. Frankreichs, Englands zurüdgeblieben ist. Um eine Besserung herbeizuführen, müßte zunächst fär gründliche Revi sionen Sorge getragen werden durch Einrichtung von wohlbesoldeten Kommissionen für alle Provinzen und bessere Besoldung der Kreis- physiker. Anschauungen, wie sie auch bei evangelischen Geistlichen zu Tage getreten sind, müssen zu Zuständen von der Art der Maria—⸗ berger fübren, wenn nicht eine strenge ärztliche Aufsicht stattfindet. Das Abgeordnetenhaus wird gewiß alle finanziellen Mittel, die dazu nöthig sind, bewilligen. Vor allem aber bedarf es einer Reorgani⸗ sation des Medizinalwesens an Haupt und Gliedern. Wenn diese nicht erfolgt, wird es mit unserm Irrenwefen trotz vorübergehender Besserungen nicht anders werden.

Minister der geistlichen, Unterrichts⸗ und Medizinal⸗ Angelegenheiten Dr. Bosse:

Meine Herren! Herr Abg. von Eynern hat sich mir gegenüber persönlich in äußerst freundlicher Weise ausgesprochen, und ich accep⸗ tiere das dankbar. Aber das überhebt mich doch nicht der Pflicht, gegen einzelne seiner Ausführungen hier die allerentschiedenste Verwah⸗ rung einzulegen.

Meine Herren, Herr Abg. von Eynern hat gemeint, das deutsche Irrenwesen sei unter aller Kritik, schlechter, wie in allen anderen Ländern. Meine Herren, ob Herr Abg. von Eynern ein so abfälliges Urtheil über unser Irrenwesen verantworten kann, das will ich Ihrer Beurtheilung getrost überlassen. (Bravo! im Zentrum.) (Abg. von Eynern: Habe ich garnicht gesagt) Ich habe es mir so notiert. Wenn es nicht gesagt ist, so nehme ich auch meine Worte zurück. Sie haben aber jedenfalls sehr abfällig über unsere Organisation des Irrenwesens sich geäußert. Meine Herren, ich verweise Sie auf das, was unsere Provinzen für das Irrenwesen gethan haben. Ich glaube, daß das mit den Einrichtungen anderer Länder vollständig den Ver- gleich auszuhalten im stande ist. (Bravo! im Zentrum ) Das anzuerkennen, sind wir doch den Opfern, die die Provinzen gebracht haben, schuldig. Ich erkläre hiermit ausdrücklich, daß ich für den Staat auch das Recht der Aufsicht über die Pro-⸗ vinzialanstalten in Anspruch nehme. Auch sie bedürfen der Revision, und der Staat hat die Verpflichtung, sie vorzunebmen, und die Ver⸗ antwortung dafür, daß dort alles ordentlich und ehrlich zugeht. Aber, meine Herren, schlecht ist unser Irrenwesen nicht, und auch bei der besten Organisation, und wenn Herr von Eynern selbst Medizinal⸗ Minister wird (Heiterkeit), ist nicht ausgeschlossen, daß einmal Irr⸗ thümer und Febler vorkommen und Mängel in der Aufsicht sich herausstellen. Das sind Dinge, die in menschlichen Verhältnissen überall zu Tage treten können.

Nun, meine Herren, ich glaube, daß dieser Anlaß nicht geeignet ift, die Frage nach einer anderweitigen Organisation der Medizinal⸗ Abtheilung des Minifteriums hier mit Erfolg zum Austrag zu bringen. (Sehr richtig) Die Forderung, daß die Medizinal⸗Abtheilung des Kultus Ministeriums als ein selbständiges Medizinal⸗Ministerium unter einem Arjte oder einem Nichtlaien, wie Herr von Eynern sagte, konstituiert werden müßte, ist meines Wissens heute hier zum ersten Male erhoben. Erörtert ist sie jeden⸗ falls noch nicht in der Oeffentlichkeit. Es hat sich nur darum gehandelt, ob man etwa die Medizinal⸗Abtheilung vom Kultus⸗Ministerium abtrennen und einem anderen Ministerium anschließen solle. Nun sind es aber gerade die Fachleute, gerade die Mediziner, die mit Händen und Füßen sich gegen diese Loslösung sträuben und die auf das dringendste bitten, die Medizinal ⸗Abthei⸗ lung und das Medizinalwesen mit dem Unterrichtswesen, mit den Universitãten in derselben Hand zu lassen. (Sehr richtig! rechts.) Daß darin tiefe Beziehungen liegen, die ihren guten Grund haben und ihren segensreichen Einfluß nach beiden Seiten hin äußern müssen, wird niemand bestreiten können. Ich gebe zu, daß das Ressort des Kultus-Minifteriums sehr belastet ist, vielleicht äber⸗ lastet ist. (Sehr richtig) Aber, meine Herren, die Verantwortung habe ich übernommen, und ich trage sie, und ich werde, soweit es in Menschenkrãften steht, dieser Verantwortung gerecht zu werden sucken, auch auf dem Gebiete des Medizinalwesens, so lange es nicht gelungen ist, das Medizinalwesen anders zu organisieren. Ich möchte nur darauf aufmerksam machen: wenn nach der Meinung des Derrn von Eynern man auch ein selbständiges Medizinal. Ministerium mit Aufwendung viel größerer Kosten machen

würde, so würde man doch nicht dahin kommen, daß der Medizinal Minister in jede Anstalt hineingehen oder seine Referenten hineinschicken könnte und daß er jede Anstalt im Staate selbstãndig revidieren könute, um die Verantwortung von sich abzulehnen, daß dort noch unerkannte Mißstände verbleiben. Nein, meine Herren, das ist unmõglich. Aber besucht und revidiert werden die Anstalten auch jetzt. und keine Anstalt ist vor einer solchen Revision sicher. Der Direktor der Medizinal Abtheilung ist im Verein mit dem psychiatrischen Referenten jetzt in der Rheinprovinz gewesen und hat dort drei private und drei öffentliche Anstalten besucht und revidiert. Meine Herren, das ist das, was wir zu thun baben, und schon das Bewußtsein der Anstalt, daß diese Rexision sie jeden Augenblick treffen kann, wirkt reichlich eben so viel, als wenn jede Anstalt durch Beamte des Ministeriums revidiert würde. Und soll denn nun das Ministerium die ganze Verantwerfung für die Inspektion und für die Aufsicht über diese Anftalten auf sich nehmen und sie den Provinzial⸗ behörden abnehmen? Ja, meine Herren, das wäre ein Eingriff in unsere ganze Verwaltungsorganisation, der meines Erachtens zu be⸗ klagen wäre und dem mindestens sehr große Bedenken entgegenstehen. Ich gebe vollständig zu, daß die Sache ernstlicher Erwägung werth ist und daß eine anderweite Organisation in der Medizinalverwaltung, namentlich auch im Verein mit der Medizinalreform, die übrigens im vollen Gang ist und von der die Aenderung auf dem Gebiet des Irrrenaufsichtswesens auch ein Theil ist daß das Dinge sind, über die sich reden läßt und die eingehend berathen werden müssen. Diese Fragen verdienen bei dem Wachsen der hygienischen Anforde⸗ tungen in unserer Zeit durchaus, daß man ihnen alle Aufmerksamkeit schenkt. Aber so leicht, daß man die Sache hier mit ein paar Worten als ein für alle Mal abgethan hinstellen könnte, so liegt die Sache nicht. Es liegen da sehr große und ernstliche Interessen im Hinter⸗ grunde, die wohl erwogen werden müssen.

Justiz-Minister Schönstedt:

Meine Herren! Der Wortlaut der gestellten Interpellation berührt nicht das Justizressort, und ich kann mich deshalb an der Sache als nicht betheiligt betrachten. In der heutigen Verhandlung ist jedoch von verschiedenen Seiten auf die Thätigkeit der mit der Untersuchung gegen Mellage betraut gewesenen Justizbehörden hinge⸗ wiesen worden, und das veranlaßt mich, einige thatsächliche Bemer⸗ kungen zu machen, bei denen ich mich möglichst kurz fassen werde, weil sie nicht in unmittelbarem Zusammenhange mit dem Gegenstande der heutigen Verhandlungen stehen.

Wie mir mitgetheilt ist, hat zunächst der Abg. Dr. Sattler bei der Begründung der Interpellation die Frage aufgeworfen, wie es denn möglich gewesen sei, daß die Staatsanwaltschaft nicht auf Grund der durch Mellage gemachten Mittheilungen Anklage gegen die Alexianerbrüder erhoben habe, wie es vielmehr habe geschehen können, daß die Anklage statt dessen gegen Mellage und die bei seinen Ver⸗ öffentlichungen betheiligten Personen gerichtet worden sei. Nun, meine Herren, wenn damit angedeutet werden sollte, daß die Staatsanwaltschaft im Vorverfahren nicht ihre volle Pflicht gethan habe, so will ich bemerken thatsächlich, daß auf sämmt⸗ liche Anzeigen, die Mellage der Staatsanwaltschaft in dieser Ange⸗ legenheit gemacht bat, mit großer Sachlichkeit und mit großem Eifer sehr eingehend eingegangen worden ist. Es sind fünf verschiedene Vorverfahren eingeleitet worden; es sind die sämmtlichen Zeugen, die Mellage namhaft gemacht hat, vernommen worden, ebenso diejenigen Zeugen, die von den Vernommenen als noch zur Auskunftertheilung geeignet bezeichnet worden waren. Die Vernehmungen sind zum theil eidlich erfolgt gegen den Grundsatz, der für das Vorverfahren gilt, daß die Zeugen uneidlich zu vernehmen sind, und zwar deshalb, um möglichst wahrheitsgemäße Aussagen von den vernommenen Personen zu erlangen. Die Untersuchung hat auch nicht vor den Klostermauern, wie der Herr Abg. von Eynern meint, Halt gemacht; es haben Vernehmungen im Kloster stattgefunden (hört, hört! im Zentrum), verschiedene, von Kranken, die nicht mehr transportfähig waren oder nicht an der Gerichtsstelle selbst erscheinen konnten.

Das Ergebniß dieser Ermittelungen, die, wie ich auf Grund der Einsicht der Akten bestätigen kann, in der That durchaus eingehend gewesen sind, hat der Staat? anwaltschaft nicht die nöthigen Grundlagen zur Erhebung der Anklage gegen die Alexianerbrüder gewährt. (Hört, hört! im Zentrum) Es ist richtig, daß Mißhandlungen schon in diesem Vorverfahren festgestellt worden sind. (Hört, hört! bei den Nationalliberalen.) Aber diese Mißhandlungen waren nur sogenannte einfache Mißhandlungen, deren Verfolgung seitens der Staats- anwaltschaft nur auf Grund eines Strafantrags nach den gesetzlichen Bestimmungen möglich gewesen wäre. Ein solcher Strafantrag war von niemandem gestellt worden (Zuruf des Abg. von Eynern: Irre“), er konnte auch nicht mehr gestellt werden, weil bezüglich ich glaube es sagen zu können der sämmtlichen Fälle, die im Vorverfahren zur Sprache gebracht sind, die Antragsfrist bereits verlaufen war. Irre, soweit sie Gegenstand von Mißhandlungen geworden sind, waren zur Zeit in der Anstalt überhaupt kaum noch vorhanden. Ich habe aber selbstverstãndlich den Inhalt der Akten, die mir erst in letzter Stunde zugegangen sind, mir nicht so vollständig aneignen können, um darüber in Einzelheiten eine Auskunft geben zu können.

Also, meine Herren, in jeder Richtung haben eingehende Ermitte⸗ lungen stattgefunden, und auf Grund derselben ist an Mellage die Verfügung ergangen, daß die Staatsanwaltschaft sich nicht in der Lage sehe, Anklage zu erheben, weil ein hin⸗ reichender Beweis der behaupteten Mißhandlungen, soweit die selben von Amtswegen verfolgbar seien, nicht erbracht sei. Solche Mißhandlungen waren zwar von einzelnen Zeugen bekundet, doch gegen die Zuverlässigkeit dieser Zeugen lagen erhebliche Bedenken vor theils wegen ihres Geisteszustandes, theils wegen ihrer Vergangen⸗ heit; ein Theil der Zeugen war aus dem Dienst der Anstalt ent⸗ lassen; und deshalb wäre es bedenklich gewesen, anf ihre Aussage allein eine Anklage zu stützen. Einige dieser Zeugen setzten sich in Widerspruch mit anderen Zeugen, kurz, die Staats⸗ anwaltschaft ist nach gewissenbafter Erwägung zu dem Ergebniß ge⸗ kommen, daß eine Anklage nicht erhoben werden könne. Vielleicht, meine Herren, ist dieler Umstand auch darauf mit zurückzuführen, daß Herr Mellage in diesem Vorverfahren mit manchem, was er wußte, zurückgehalten hat. Ich bin einer Aeußerung seinerseits begegnet, die etwa dahin ging, daß er das schwerste Geschütz für die öffentliche Verhandlung sich vorbehalten habe. Wo die Aeußerung steht, ist mir augenblicklich nicht erinnerlich. Ich will aber weiter bemerken, daß

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erbeblicher Thatsachen auch dem Herrn Mellage zur Zeit, als er die Broschũre schrieb, garnicht bekannt waren, sondern erst in der Haupt- verhandlung zur Sprache kamen. In dieser Beziehung berufe ich mich auf die Vertheidigungsrede des Rechtsanwalts Dr. Niemeyer, und ich will mit Erlaubniß des Herrn Präsidenten daraus einen kurzen Satz verlesen, der dahin geht: Hätte Mellage gewußt, was in dieser Verhandlung zu Tage gLetreten, dann wäre der Inhalt der Broschüre noch bedeutend reich⸗ haltiger gewesen. Mellage wußte noch nicht, als er die Broschüre schrieb, daß Kranke zwischen ein eisernes Gitter und einen brennenden eisernen Ofen gestellt wurden und in dieser Stellung, unaufhörlich schreiend, um den Ofen berumgelaufen sind. Mellage wußte noch nicht, als er die Broschuüre schrieb, daß Kranke einen vollen Tag an einen Baum festgebunden und den ganzen Tag in dieser Stellung belassen wurden. Mellage wußte noch nicht, daß Epileptikern die Schlinge um den Hals ge⸗ worfen wird und diese dem Ersticken nahe gebracht werden; er wußte noch nicht, daß es verschiedene Douchen in Mariaberg giebt, mit denen hilflose Kranke gezůchtigt werden. Mella ge wußte nicht, daß die Brüder sich nicht scheuten, selbst den Kaplan Medebach in die Douche zu bringen. Mellage wußte auch nicht, daß man einem Franken eine eiserne Stange jzwischen die Beine gekettet hatte.

Das sind alles neue Thatsachen, die in der Verhandlung zur Sprache gekommen und zum theil bewiesen worden sind. Daß die Staatsanwaltschaft sie nicht ermittelt hat daraus ihr einen Vorwurf zu machen, dafür feblt doch die thatsächliche Unterlage, und ich möchte glauben, wenn die Hauptverhandlung Dinge ergeben hat, von denen man vorher nichts geahnt hat, daß das eben ein Triumph der mündlichen Verhandlung ist und daß das den Beweis fübrt, daß nur ein mündliches, öffentliches Verfahren geeignet ist, in derartigen Dingen die volle Wahrheit zur Feststellung zu bringen.

Meine Herren, es beantwortet sich damit indirekt auch die Frage, weshalb denn die Staatsanwaltschaft, obgleich Mißhandlungen in der Anstalt vorgekommen und vorher im Vorverfahren festgestellt waren, nicht darauf verzichtet habe, die Anklage gegen Mellage zu erheben. Ja, da muß man genau prüfen, worauf sich denn die Anklage ge⸗ richtet hat. Die Anklage richtete sich keineswegs gegen die sãmmt⸗ lichen Behauptungen der Mellage'schen Broschüre; sie ist veranlaßt worden durch den Strafantrag der Anstaltsvorstãnde, des Dr. Capell. mann und des Paters Overbeck und noch eines anderen Paters, also von Per- sönlichkeiten, die sich durch das beleidigt gefüblt hatten, was in der Broschüre und in anderen Artikeln behauptet war, daß auf ihre Anordnung, mit ihrem Wissen in der Anstalt solche Mißhand⸗ lungen vorgekommen seien. Die Thatsache, daß sie von derartigen Dingen etwas gewußt hätten, war bisber vollkommen unerwiesen, sie wurde mit großer Bestimmtheit von diesen Personen bestritten, es war absolut nichts davon zur Sprache gekommen.

Die Anklage war ferner erhoben wegen Beleidigung eines Polizei- Kommissars auf Antrag des Regierungs⸗Präsidenten, dem in der Bro—⸗ schüre der Vorwurf gemacht war, daß er Mittheilungen über bevor⸗ stehende Revisionen gemacht und dadurch den Zweck dieser Revisionen vereitelt habe, und daß er in näheren Beziehungen zu den Anstalts— brüdern gestanden hätte, die ihn eingeladen hätten zur Theilnahme an ihren Wurstfesten und ihn durch freundliche Gaben für sich gewonnen hãtten.

Meine Herren, auch in dieser Beziehung stand absolut nichts fest, und die Behauptung mußte deshalb der Staatsanwaltschaft zunãchst als eine thatsächlich nicht begründete erscheinen. Es ist ja auch in der Hauptverhandlung selbst keineswegs festgestellt worden seitens des Gerichts, daß irgendwie in dieser Beziehung etwas vor⸗ gekommen sei, was sich als eine passive Bestechung auf seiten des Polizei ⸗Kommissars darstelle. Es ist ja auch nur deshalb in dieser Beziehung Freisprechung erfolgt, weil das Gericht angenommen hat, es habe in der Broschüre nicht direkt die Thatsache der Bestechung bebauptet werden sollen, sondern es sei nur auf die Annahme von Geschenken als eine auffällige Thatsache hingewiesen, und diese That⸗ sache sei später erwiesen worden

Nun, es hat sich ja in der mündlichen Verhandlung, wie wir alle wissen, die Sache ganz wesentlich anders gestellt. Es wird nun die Frage aufgeworfen, weshalb der Staatsanwalt nicht die Anklage zurückgezogen hat. Meine Herren, ein Zurückziehen der Anklage giebt es überhaupt nicht. Es wäre denkbar gewesen, daß der Staatsanwalt die Freisprechung in vollem Umfange beantragt hãtte; aber, meine Herren, der Staatsanwalt ist nun einmal nicht überzeugt gewesen, daß in allen Dingen die Behauptungen der Ange⸗ klagten erwiesen seien, deren Erweisung die Voraussetzung zur Frei⸗ sprechung war; er ist nicht überzeugt gewesen, daß der 5 193, auf den die Angeklagten sich eventuell beriefen, ihnen überall zur Seite stãände. Man kann darüber verschiedener Meinung sein. Ich will nicht sagen, wie ich selbst verfahren sein würde; aber ibm daraus einen Vorwurf der Pflichta idrigkeit u machen, das ist doch aus⸗ geschlossen. Wenn der Staatsanwalt die Ueberzeugung hatte, daß strasbare Handlungen dem Angeklagten zur Last fielen, so würde er sich nach den Bestimmungen des Strafgesetzbuchs der Zuchthausstrafe ausgesetzt haben, wenn er trotzdem die Anklage in diesen Punkten fallen ließ, die, wenn sie auch an und für sich geringfũgig waren, doch nach seiner Ueberzeugung sich als erwiesen und als strafbar dar⸗ stelltn. Also auch das giebt keinen Anlaß dazu, das Ver- fahren der Staatsanwaltschaft in so scharfer Weise zu kriti⸗ sieren. Der Ober⸗Staatsanwalt bat nach Schluß der Unter⸗ suchung in Aachen selbst eine ganz genaue Nachprũfung aller dieser Dinge vorgenommen, des Verhaltens der Beamten der Staatsanwalt⸗ schaft, des Ersten Staatsanwalts sowobl als auch des Staatsanwalts, der die besondere Bearbeitung und Vertretung der Sache gefũhrt hatte. Er ist zu dem Resultat gekommen, daß aus dem Nicht einschreiten ihrerseits und aus der Aufrechterbaltung der Anklage in der Beschränkung, wie es geschehen ist, den Beamten der Staats- anwaltschaft ein Vorwurf nicht gemacht werden könne.

Dann will ich dem Herrn Abg. von Eynern noch die Tbatsache bestätigen, daß die von der Staatsanwaltschaft an⸗ gemeldete Revision zurückgezogen ist. Sie war angemeldet unter dem Eindruck wohl, daß zunächst gegen den Antrag der Staattanwaltschaft erkannt sei; jweitens, daß die Begrũn⸗ dung des Urtheils nicht sofort in einigermaßen erschöpfender Weise gegeben worden wäre, sodaß also die Staats anwaltschaft sich immerhin in der Lage sah, sich das Urtheil vorzubebalten, ob weiter vorgegangen werden soll. Nach meiner Meinung lag ein öffentliches Interesse

in der Haupwerhandlung selbst festgestellt ist, daß eine ganze Reihe

dafür nach dem Gesammtergebniß der Verhandlung nicht vor, und ich

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