1895 / 155 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 02 Jul 1895 18:00:01 GMT) scan diff

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J eigener Wahl. Als letztere waren gewählt und gelangten zum Vor . Les Prei iel ,, Dichtung von Liszt (Regiment Nr. 6), Wotan 's Abschied und Feuerzauber von Wagner (Regiment Nr. 34), Phantasie aus Figaro 's Hochzeit von Mozart. (Regiment Nr. 37, Vorspiel zur Oper König Manfred. von Reinecke (Regi⸗ ment Nr. 46), Ouvertüre zu „Athalia“ von Mendelssohn Regiment Rr. 477, Andante aus der Hmoll- Symphonie von Schubert (Regi⸗ ment Nr. 49), „Intermezzo im Biwak“ von Wieprecht (Regiment Rr. 50), „Historisches Potpourri von Kaiser (Regiment Nr. 58) und Andante aus der Symphonie Nr. 5 (C-moll) von Beethoven Regiment Nr. 140). Um 8 Uhr zogen sich die Preisrichter

zur Berathung zurück, während sämmtliche neun Kapellen (über 400 Mann) gemeinschaftlich auf dem großen Voplatz zwischen Industrie,. und Maschinenhalle eine Aufführung

veranstalteten, welche mit Zapfenstreich und Abendgebet schloß. Die Wirkung des Massenklangs war eine mächtige. Die Berathungen des Preisgerichts führten zu dem Ergebhniß, daß dasselbe einstimmig er⸗ klärte, zwei erste Preise vertheilen zu müssen, da zwei Kapellen vollkommen gleichwerthig die besten Leistungen aufzuweisen hãtten. Infolge dessen wurde seitens des Ausstellungscomités der erste Preis noch einma. zur. Verfügung gestellt. Nachdem sich die Preisrichter und Kapellmeister auf. dem Orchester versammelt hatten, verkündete Professor Joachim den Spruch des Preis gerichts. Danach sind die ersten Preise ertheilt worden den Kapellen des Grenadier-Regiments Graf Kleist von Nollendeorf (1. Westpr) Nr. 6 und des zweiten Niederschlesischen Infanterie⸗ Regiments Nr. 47, beide in Posen in Garnison. Der zweite Preis wurde der Kapelle des 3. Posenschen Infanterie Regiments Nr. 58 in Glogau und der dritte der Kapelle des Pommerschen Füsilier⸗ Regiments Nr. 34 in Bromberg zugesprochen. Die Sieger erhielten ferner ein künstlerisch ausgestattetes, von den Preisrichtern und dem Ausstellungs comité unterzeichnetes Diplom, jeder der neun Kapell⸗ meister aber als Erinnerung einen Takistock von Ebenholz mit Silber⸗ beschlag, die Stiftung eines kunstsinnigen Posener Bürgers.

Aus London erhalten wir die Mittheilung, daß am vorigen Mittwoch die junge Violinvirtuosin Fräulein Rosa Schindler aus Berlin, Schülerin des Herrn Professors Joachim, im Krystall⸗ Palast daselbst sich unter großem Beifall hören ließ. Sie spielte Spohr's beliebte „‚Gesangsseene“ und einige neuere Stücke, in denen sie die schon früher gerühmten Vorzüge: tadellose Technik und schwung⸗ voll belebte Ausdrucksweise, glänzend zur Geltung brachte.

Mannigfaltiges.

Ein Verbrechen gegen das Leben des Polizei-Obersten Kraufe ist durch die Aufmerksamkeit der Postbehörde glücklich ver— eitelt worden. Aus Fürstenwal de ging, wie hiesige Blätter berichten, auf dem Packet Postamt in der Oranienburgerstraße am Sonnabend spät Abends eine Kiste ein, die in der Nacht zum Sonntag um 2 Uhr zur Bestellung zurechtgelegt wurde, Als Absender war der Name C. Becker, als Adressat der Polizei⸗Oberst Krause auf Packet und Begleit ⸗˖Adresse 3, Die Siegel, mit denen die verschnürte Holzkiste versehen war, wiesen die Buchstaben . C. B.“ auf. Der diensthabende Postbeamte bemerkte bald, daß aus der Kiste, die 25 Pfund schwer, war, eine Flüssigkeit heraussickerte, die alsbald als Benzin erkannt wurde. Dies fiel um so mehr auf, als die Kiste den Vermerk trug: „Nahrungsmittel, leicht dem Verderben ausgesetzt! Als man die verdächtige Kiste aufhob, wurde aus dem Innern heraus das Ticken eines Uhrwerks hörbar. Jetzt wurde das zuständige Polizeirevier benachrichtigt, dessen Vor- stand gegen Morgen mit mehreren Beamten eintraf. Auf dem Hofe des Packet⸗Postamts ging man unter Beobachtung aller Vorsicht an die vollständige Oeffnung der Kiste. Die keineswegs gefahrlose Oeffnung erfolgte auf, dem Hof des Packet. Postamts durch die Polizei⸗Lieutenants Hetschko und von Moify. In der richtigen Voraussetzung, daß falls die Kiste Explosions⸗ stoffe enthalte, es gefährlich sein würde, den Deckel der Kiste zu öffnen, wählten sie den Boden der Kiste zum Ausgangspunkt ihrer Unter suchungen. Durch eine kleine Spalte, die sie in dem Boden der Kiste ge⸗ macht hatten, erblickten sie eine Weckeruhr in einem Gewirr von Zündfäden. Diefe Fäden wurden mit großer Vorsicht durchschnitten, und darauf fand man, daß die Weckeruhr mit einem kleinen Lefaucheur⸗Revolver in Ver⸗ bindung stand. Der Abzug des Revolvers war durch ein angebundenes gegipstes Stück Holz verlängert. Die Uhr und der Revolper waren an einem Brett festgemacht, das an dem Boden der Kiste befestigt war. An dem Aufzugsapparat des Weckers, der auf 19 Uhr 30 Minuten ge⸗ stellt war, war eine Welle befestigt, die durch eine Schnur mit dem an dem Abzug des Revolvers angebrachten Holzstück in der Art verbunden war, daß, sobald der Weckapparat in Thätigkeit trat, die Entladung des Revolvers erfolgen mußte. Vor die Mündung des Revolvers war eine Menge Mehlpulver gestreut. Dieser ganze Apparat war in einem auf ihn gestülpten Kasten versteckt. Außerhalb dieses Kastens befand sich eine große Anzahl mit Mehlpulver gefüllter, durch Zündschnüre mit einander verbundener Papp-⸗Patronen, die auch e mn durch Zündschnüre mit dem Pulvervorrath in dem um⸗ estülpten Kasten verbunden waren, der die Weckeruhr und den Revolver bedeckte. Außerhalb dieses Kastens, inmitten der mit

ulver gefüllten Papphülsen lagen sieben mit Benzin gefüllte laschen. Ihre Köpfe waren vergipst und durch Zündschnüre mit dem Hauptexplosionsherd verbunden. Für den Fall, daß der Deckel der Kiste vor dem Augenblick gehoben werden sollte, in dem sich der Wecker in Bewegung setzen werde, war das an dem Abzug des Revolvers angebrachte Holzstück mit dem Deckel auch noch durch zwei Schnüre verbunden, sodaß das Abheben des Deckels jedenfalls die Ent ladung der Maschine zur Folge haben mußte. Der Revolver war offenbar nur in der Absicht angebracht worden, durch seine Ent—⸗ ladung eine Explosion des . und des in den Flaschen befindlichen Benzins herbeizuführen. Der ganze Apparat ist mit außerordentlichem Geschick von einem Mann hergestellt, der mit der Einrichtung von Sprenganlagen ꝛc. vertraut ist. Versuche, die mit dem Apparat angestellt worden sind, haben bewiesen, daß er vorzüglich funktioniert und zweifellos großes Unheil angerichtet haben würde, wenn man nicht rechtzeitig den Charakter der Sendung entdeckt hätte. Die Nachforschungen nach dem Urheber der Maschine haben ergeben, daß der Weck— apparat, der Sonntag Vormittag um 105 Uhr in Thätigkeit treten und die Entladung herbeiführen sollte, erst unmittelbar vor der Ver⸗ packung der Uhr gestellt worden ist und außerdem allem Anschein nach auf künstlichem Wege in seinen Funktionen gehemmt sein muß. Der Weckapparat hat eine auf zwölf Stunden berechnete Ablaufszeit, und nur durch künstliche Mittel kann der Gang des Werks so verlangsamt worden sein, daß, nachdem er Sonnabend Abend zwischen 7 und 8 Uhr gestellt worden, er erst um 103 Uhr Morgens in Thätigkeit getreten wäre. Es hat den Anschein, als habe sich der Urheber des Anschlags zur Aufgabe der Kiste auf dem Postamt in Fürstenwalde einer anderen Person bedient. Diese wird von dem Beamten, der sie am Sonnabend kurz vor 8 Uhr Abends in Empfang genommen hat, als ein junger Mann im Alter von 19 bis 20 Jahren beschrieben. Er war klein von Wuchs, schlank gebaut, hatte blondes Haar und eine frische rothe Gesichtsfarbe. Der Postbeamte glaubt, daß der Mann in Fürstenwalde fremd war. Er schließt darauf aus dem Um⸗ stande, daß der Betreffende nicht mit dem i tenwalder Postamt ver⸗ traut war; er wußte nicht, an wen er sich zu wenden und wem er seine Kiste zur Aufgabe zu übergeben hatte. Ursprünglich neigte man zu der Annahme, daß die Kiste aus Berlin nach Fürstenwalde gebracht worden sei; doch sprechen verschiedene Gründe dafür, daß die KHiste in

ürstenwalde mit ihrem Inhalt . worden ist. Das Polizei⸗

räsidium hat durch Säulenanschlag für die Entdeckung des Ab⸗ enders eine Belohnung von 1000 M ausgesetzt.

Der ehemalige Hofprediger, Konsistorial⸗Rath Richard Schrader,

Pfarrer in Deut sch⸗Wilmersdorf bei Berlin, ist gestern Morgen infolge eines Schlaganfalls gestorben.

Die Direltion der Uranig theilt mit, daß, nachdem am 6. d. M. die polizeiliche Genehmigung der Baupläne eingegangen, der Bau der Urania⸗Filiall in der Taubenstraße nunmehr in Angriff ge—⸗ nommen worden ist. Bis Ende dieses Jahres soll derselbe soweit ge⸗ fördert sein, daß man mit der Ausführung der eigenartigen Bühnen⸗ konstruktion des wissenschaftlichen Theaters, sowie mit der Aufstellung der Instrumente ꝛc. wird beginnen können. Die Eröffnung der Urania⸗ Filiale ist fär die Mitte des ersten Quartals 1896 in Aussicht ge—⸗ nommen.

Kiel, 1. Juli. Heute Nachmittag 4 Uhr fand unter großer Feierlichkeit die Beerdigung der drei Opfer der am Freitag er⸗ folgten Explosion statt: des Seekadetten Vahlen und der Torpedomatrosen Buhmann und Elster. Die Leiche des letzteren war erst gestern bei Friedrichsort aufgefunden worden.

Frankfurt a. M., 1. Juli. In dem Eifeldorfe Ober⸗Kail wüthet, wie der Frankfurter Zeitung“ aus Trier gemeldet wird, seit Sonnabend Nacht eine Feu ers brunst, welche bereits 31 Wohn⸗ häuser und 47 Wirtoschaftsgebäude in Asche gelegt hat. Zwei Per— sonen sind verletzt, auch ist viel Vieh in den Flammen umgekommen.

München, 1. Juli. Dem heutigen Delegirtentage des bayerischen Kriegerbundes wohnten Seine Königliche Hoheit der Prinz Leopold und der Minister des Innern Freiherr von Feilitzsch bei. Die Versammlung, welche sich aus 296 Delegirten zusammen setzte, wurde mit einem Hoch auf Seine Königliche Hoheit den Prinz Regenten Luitpold eröffnet und mit einem Hoch auf Seine Majestät den Kaiser geschlossen. Oberst Heinrich überbrachte die Grüße des Präsidenten des württembergischen Kriegerbundes, Prinzen . mann von Sachsen⸗Weimar. Dem Geschäftsbericht wurde Decharge ertheilt; derselbe weist 146 700 Mitglieder mit einem Bundeskapital von 497 215 M auf. Die Ausgaben des abgeschlossenen Rechnungs⸗ jahres betrugen 49 465 6 Für das Denkmal auf dem Kyffhäuser wurden 14 670 bewilligt; desgleichen wurde eine weitere Berück⸗ sichtigung der gesetzlich nicht unterstützten Invaliden resp. ihrer Hinterbliebenen genehmigt.

Nach einem amtlichen Telegramm aus lecken Eslarn olkszeitung“' zu⸗

München, 2. Juli. Vohenstrauß (Ober ⸗Pfalz) steht der benachbarte fast vollständig in Flammen. Der „Amberger folge wurden 37 Anwesen und die Kirche vernichtet.

Chemniß, 1. Juli. Für das XV. Mitteldeutsche Bundesschießen in Chemnitz 1895 ist nunmehr folgende Fest⸗ ordnung aufgestellt worden: Sonnabend, den s. Juli: Von Nachmittags 3 Uhr an Empfang der eintreffenden Schützen im Gasthaus zur Linde. Abends 7 Uhr: Schützenkommers und Konzert in der Linde. Sonntag, den 7. Juli: Früh 55 Ubr. Reveille von vier Musik— abtheilungen. Bis Vormittags 199 Uhr: Empfang der eintreffenden Schützen auf dem De , hr, und im Gasthaus „zur Linde“. Vormittags 105 Uhr: Aufstellung des Festzuges auf dem Neustädter⸗ markt und in den angrenzenden Straßen. (Die Festzugs⸗ Ordnung wird besonders bekannt gegeben, Vormittags 115 Uhr: Abmarsch des Festzuges durch verschiedene Straßen der Stadt nach dem laß in Altendorf. Nachmittags 2 Uhr: Festmahl in der Fest—⸗ alle. Nachmittags 4 Uhr: Konzert auf dem Festplatze. Von Nach⸗ mittags 5 Uhr bis 8 Uhr: Schießen auf alle 38 Scheiben ssiehe Schießordnung). Abends 7 Uhr: Konzert in der Festhalle. (Militär- kapelle) Montag, den 8. Juli: Von Vormittags 75 Uhr bis Mittags 12 Uhr: Schießen nach 38 Scheiben. Mittags 125 Uhr: Tafel in der Festhalle. Nachmittags 23 Uhr: Beginn des Konkurrenz schießens. Eine halbe Stunde nach Beendigung desselben: Fortsetzung des Schießens nach 38 Scheiben bis 8 Uhr Abends. Nachmittags 3. bis 6 Uhr: Unterhaltungsmusik in der Festhalle. Abends 7 Uhr; Konzert in der Festhalle. Abends 8 Uhr:; Haupt versammlung des Mitteldeutschen Schützenbundes im Schützen hause. Dienstag, den 9. Juli: Von Vormittags 78 Uhr bis 8 Uhr Abends:; Schießen nach 38 Scheiben. Mittags 125 Uhr; Tafel in der filz Nachmittags 3 bis 6 Uhr: Unterhaltungsmusik in der Fest⸗ alle. Abends 7E Uhr; Konzert und große Gesangs⸗Aufführung in der Festhalle. (Städtische Kapelle und Chemnitzer Sängerbund) Mittwoch, den 106 Juli: Von Vormittags 73 Uhr bis 8 Uhr Abends: Schießen nach 38 Scheiben. Mittags 124 Ühr: Tafel in der Fest⸗ halle. Nachmittags 3 bis 6 Uhr: Unterhaltungsmusik in der Festhalle. Nachmittags; Besuch der Thalsperre in Einsiedel. Abends 74 Uhr: Konzert und große Aufführung vom Athleten⸗Klub „Saxonia-‘. (Marmorgruppen, Gruppenbilder c.) Donnerstag, den 11. Juli: Von Vormittags 74 Uhr bis 8 Uhr Abends:; Schießen nach 38 Scheiben. Mittags 125 Uhr: Tafel in der Festhalle. Nachmittags 3 bis 6 Uhr: Unterhaltungsmusik in der Festhalle. Abends 77 Uhr: Monstrekonzert der städtischen und der Militärkapelle in der Festhalle. Abends 9 Uhr: Illumingtion des Festplatzes und des Schuͤtzenhauses. Freitag, den 12. Juli: Von Vormittags 7 Uhr bis 8 Uhr Abends: Schießen nach 33 Scheiben. Mittags 123 Uhr: Tafel in der Festhalle. Nachmittags 3 bis 6 Uhr: Unterhaltungsmusik in der Festhalle. Abends 77 Uhr:; Konzert und turnerische Aufführungen (Turnverein) in der Festhalle. Abends 93 Uhr: Großes Feuerwerk auf dem Festplatz Sonnabend, den 15. Juli: Von Vormittags 78 Uhr bis 6 Uhr Abends: Schießen nach 38 Scheiben. Mittags 12 Uhr: Tafel in der Festhalle. Abends 7 Uhr: Großer Kommers in der Festhalle. Sonntag, den 14. Juli: Mittags 1. Uhr: Festtafel für die Mitglieder aller fur das Fest gebildeten Ausschüsse, für die hiesigen und auswärtigen Festgäste ünd die Mitglieder der Privat-Schützengesellschaft mit Frauen in der Festhalle. Nachmittags 4 Uhr: Preisbertheilung. Abends 6 Uhr: Konzert in der Festhalle. Dem Polizeiamt Chemnitz wurde von der Königlichen Kreis- Hauptmannschaft zu Zwickau eröffnet, daß die⸗ selbe das Gesuch des Zentralausschusses für das Bundesschießen, den Schützengesellschaften aus der Umgebung von Chemnitz den Zuzug zu dem in Chemnitz ⸗Altendorf geplanten ge! mit den Waffen zu ge— statten, unter der Voraussetzung zu genehmigen beschlossen hat, daß bewaffnete Auf und Durchzuͤge durch andere als auf dem direkten Zuzuge zu berührende Ortschaften unterbleiben. Unter der gleichen Voraussetzung hat das Königlich sächsische Ministerium des Innern außersächsischen Schützengesellschaften, die an dem Bundesschießen theilnehmen wollen, die Mitführung von Waffen nach und von Chemnitz gestattet.

Calw (Württemberg), 2. Juli. Gestern Abend tobte hier ein etwa 5 Minuten anhaltender Wirbelsturm, der von stärkstem Hagelschlag mit hühnereigroßen Schlossen begleitet war. Der Sturm richtete außerordentlich großen Schaden an; er deckte Dächer ab, drückte Giebelwände von Gebäuden ein und zerschlug zahlreiche Scheiben. Die Bäume wurden entwurzelt oder abgeknickt und dadurch ganze Wald- strecken zerstört. Auch der entstandene Feldschaden ist sebr beträchtlich. Verluste an Menschenleben sind nicht zu beklagen.

Paris, 2. Juli. In den ersten Nachmittagsstunden des gestrigen Tages brach in den großen Werkstätten der Godillot“s 36 rn. für Heeresausrüstungsgegenstände eine furchtbare

euer sbru nst aus, die in kürzester Zeit den ganzen Häuserblock zwischen den vier Straßen Petrelle, Rochechouart, Condorcet und Trudaine er⸗ riff. Die rasche Verbreitung des Feuers erklärt sich, der Voss. Ztg. zu⸗ . daraus, daß die Fabrik aus einem einstweiligen leichten Holjbau an Stelle des Backsteingebäudes bestand, das vor einem Jahre von einer Feuersbrunst zerstört wurde. Um 2 Uhr standen außer der Fabrik noch zwölf Nachbarhäuser in Flammen. Alle verfügbaren Dampf⸗

spritzen und das ganze Feuerwehr ⸗Regiment waren um 23 Uhr zur

Stelle. Bei den Löschversuchen wurden einige Feuerwehrleute theil⸗ weise erheblich verletzt. Erst um Mitternacht gelang es, des Feuers Herr zu werden. . .

Rost ow a. Don, 2. Juli. Der Luftschiffer , Krassinski ist, wie W. T. B. meldet, hier beim Herablaffen mit dem Fallschirm verunglückt. Derselbe stieg in seinem Ballon un⸗ gewöhnlich hoch und wurde beim Herabsinken vom Winde dem Don⸗ fluß zugetrieben, in welchem der Luftschiffer ertrank.

Madrid, 2. Juli. Eine Depesche aus Portorico meldet, daß in Barranqguitas eine Feuersbrunst 31 Häuser zerstörte; Opfer an Menschenleben sind nicht zu beklagen.

Antwerpen, 1. Juli. W. T. B.“ meldet: Heute Nachmittag ist ein Sonderzug, welcher eine große Zahl holländischer Pilger nach Montaigu bringen sollte, in der Nähe des Bahnhofs Antwerpen ent gleist. Ein Waggon wurde umgestürzt und eine Dame getödtet. Mehrere Reisende erlitten erhebliche Kontusionen.

Nach Schluß der Redaktion eingegangene Depeschen.

. 2. Juli. (W. T. B.) Aus Friedrichs⸗ ruh wird em Hamburgischen Korrespondenten“ ge⸗ meldet: Das Befinden des Fürsten Bismarck

läßt seit etwa einer Woche viel zu wünschen übrig. In psychischer Beziehung macht sich bei dem Fürsten eine große Niedergeschlagenheit bemerkbar. Diese und die wieder heftiger auftretenden Gesichtsschmerzen haben den Appetit bedeutend herabgemindert, sodaß der Fürst seit einigen Tagen nur flüssige Nahrung zu sich nimmt. Graf Herbert Bismarck ist in Friedrichsruh eingetroffen.

Konstantinopel, 2. Juli. (W. T. B.) Freiherr von der Goltz-Pascha ist schwer an Lungenentzündung erkrankt. Heute ist der Zustand etwas besser.

(Fortsetzung des Nichtamtlichen in der Ersten Beilage.) 1 Ä

Wetterbericht vom 2. Juli, 8 Uhr Morgens.

333 38 4 3.5

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Stationen. S8 Wind. Wetter. T3

583 S8 5

—53* 322 Belmullet dd 19 mer deeen bedeckt 13 Christiansund . c , 14 nie 2bedeckt 16 4 Regen 14 gha nde , .. t. Petersburg.. . 761 SSW 1 wolkenlos 19 K I bedeckt 14 Cort, Queenstown. 754 NRW 5 Regen 14 I 6 wolkig 16 U. J b bedeckt 16 lil 17 d 4 halb bed.) 18 winemünde . . 758 SSO 2 halb bed. 20 w , 1Ibedeckt 11 d 3 wolkig 20 . d 17 nsttre , 77579 w 4 Regen 20 Wiesbaden... 761 SSW 2 heiter 20 R 3 halb bed. 20 Genn, 7269 . 22 J—— . 22 d wolkenlos 22 J 22 ü 6 woltig 18 . still wolkenlos 23 .. 763 still wolkenlos 28

) Nachts starkes Gewitter. Uebersicht der Witterung.

Die barometrische Depression, welche gestern vorm Kanal f. ist ostwärts nach England fortgeschritten und verursacht in Wechsel⸗ wirkung mit dem über der Alpengegend befindlichen hohen Luftdruck frische südliche bis westliche Winde in Nordfrankreich und im süd⸗ lichen Nordseegebiet. Bei im Osten leichten, im Westen frischen, meist südlichen und südwestlichen Winden ist das Wetter in Deutschland warm und vorwiegend heiter. In Deutschland und Westösterreich fanden zahlreiche Gewitter meist mit reichlichen Regenfällen statt. Keitum meldet 29. Karlsruhe 24, Mülhausen 26 mm Regen. Trübes, windiges Wetter mit Regenfällen insbesondere für das nordwestliche Deutschland demnächst wahrscheinlich. Dentsche Seewarte.

*

Familien⸗Nachrichten. Verlobt: Frl. Helene Grüttner mit Hrn. Lieutenant Hugo Kiesel (Heinrichau = Glatz). Verehelicht: . Hans von Burgsdorff ⸗Markendorff mit Emmy Gräfin von Hahn (Schloß Kuchelmiß)]). 5 Prem. Lieutenant Ernst von Wedel mit Frl. Margarethe von Raezeck (Breslau). Hr. Regierungs⸗Assessor Frank mit Frl. Paula Heckmann (Wies baden = Osterode, Harz). . ö Geboren: Ein Sohn; Hrn. Lieutenant Sigismund von Schlich ting (Berlin). Hrn. Pastor Herschenz (Hohen-Carzig) Hrn. Hauptmann d. L. Edwin von Lieres und Wilkau (Wilkau). Eine Tochter: Hrn. Major von Goßler (Rastatt). Hrn. Prem. Lieutenant von Oppel Yschaß) Gestorben: Verw. Fr. Pastor Augufte Braun, geb. Krause (Wulferstedt). Hr. Oberst 4. D. Jacob Nebelthau (Ularburg). Fr. Johanna von Helldorff Söhnchen Hans Heinrich (Naum⸗ burg a. S.). Verw. Fr. Schulrath Bertha h geb.

Lange (Halle a. Saale) Fr. Geheime Justiz⸗ Rath Elisabeth von Wedderkop, geb. von Post (Eutin). Hr. General ˖ Sekretär Dr. Heinrich Bockemeyer ( I,, Hr. Prem. Lieutenant Hugo Georg Alfred von Carlshausen. Hr.

Kammerherr Friedrich Freiherr von Vincke auf Zeesen (Wiesbaden). Verw. Fr. General Lieutengnt Eugenie von Dedenroth, geb. von Pirch , Hrn. Bergrath Sanner Söhnchen Kurt Kattowitz, Oberschl.).

Verantwortlicher Redakteur: Siemenroth in Berlin. Verlag der Expedition (Scholz) in Berlin.

Druck der Norddeutschen Buchdruckerei und Verlags⸗Anstalt. Berlin 8sW., Wilhelmstraße 32.

Sechs Beilagen (einschließlich Bör sen⸗ Beilage),

sowie die Inhaltsangabe zu Nr. 6 des öffentlichen Anzeigers Cᷣommanditgesellschaften auf Aktien und Aktiengesellschaften) für die Woche vom 24. bis 29. Juni 1895.

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Erste Beilage

zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗Anzeiger.

AM 155.

Preußzischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 83. Sitzung vom Montag, 1. Juli.

Ueber worden.

Auf der Tagesordnung stand zunächst die dritte Berathung des Gesetzentwurfs wegen Errichtung von Verpfl egungs⸗ er die bereits mitgetheilten Kompromißantrůͤge

stationen, zu eingebracht worden waren.

Geheimer Regierungs-Rath von Trott zu Solz: Der Gesetz— entwurf hat durch die Beschlüsse der zweiten Lesung eine gr ir ö. halten, die ihn für die Staatsregierung unannehmbar macht. Tro der bestimmt ablehnenden Erklärung des Herrn Finanz-Ministers 1 der Auch im übrigen können die Aenderungen der zweiten Lesung nicht durchweg finden. Die Provinz,

der Staatsbeitrag in den Entwurf anfgenommen worden.

die Zustimmung der Staatsregierung

die nur ein Drittel der Kosten tragen soll, soll die entscheidende Stimme haben, soll. bestimmen, an welchen Orten Verpflegungsstationen einzurichten sind, soll selbst⸗ ständig die erforderlichen Reglements erlassen, während die

Kreise, die in ie bes . zu den Kosten herangezogen werden,

en. Das ist eine unmögliche Konstruktion. oe rauche darauf nicht näher einzugehen, da der von Ihnen beschlossene Staatszuschuß allein genügt, die Vorlage für uns Unan— Wenn das nicht die Absi . hohen Hauses enderung, wenigstens nach Maßgabe der Anträge der Herren Freiherr von 8. . treten zu lassen. Der Antrag der Herren von Brockhausen und Winckler macht den Eindruck, als ob die Antragsteller sich doch gescheut hätten, die Vor⸗ lage in ihrer humanitären und sozialpolitischen Bedeutung rundweg Sie soll den Provinzigl⸗Landtagen zur Begutachtung vorgelegt werden. Das ist nur ein Mäntelchen, ein dekorakivez Bei? werk. Was soll diese Begutachtung nützen, nachdem Sie den Entwurf Dem Einwand, daß die Sache noch nicht spruch⸗ aben nach einer

nichts zu . aben so

Doch ich

nehmbar zu machen. gewesen ist, so kann ich nur dringend bitten, eine

abzulehnen.

abgelehnt haben? reif sei, muß ich entschieden widersprechen. Wir h mehr als zwölfjährigen Erfahrung die Wirksamkeit der Verpflegungs— stationen beobachtet. Wir müssen zugeben, daß unfere Erfahrungen theils gute, theils schlechte sind; aber die Gründe für diese Verschie⸗

denheit liegen nicht an Mängeln des Systems, sondern an dessen Durchführung. Die Venpflegungsstationen müssen eine gesetzliche Stütze erhalten, die ihnen durch diesen

Entwurf werden soll. Er will keineswegs starr an den bisherigen Einrichtungen festhalten. Er trägt mannigfachen k 9 diesem Gebiete Rechnung, vor allen Dingen gestattet er möglichste Anpassung an die örtlichen Verhältnisse. Wo es sich empfiehlt, den Charakter als Arbeitsstäͤtte mehr in den Vrdergrund zu ftellen, kann es geschehen. Gutachten haben wir von allen Seiten eingefordert, nicht bloß aus Preußen, sondern auch aus Oesterresch und der Schweiz. Zu dem Ziele, der Wanderbettelei und der Vagabondage zu steuern, muß der erste Schritt eine Scheidung zwischen Rrbeitsscheuen und Arbeitswilligen sein. Das ist der Hauptzweck der Vorlage. Lehnen Sie sie ab oder . sie in einer für die Regierung unannehm— baren Form zur Annahme, so trifft nicht die Staatsregierung die Verantwortung, die Ihnen fo weit wie möglich entgegenkommen will. Scheitert das Gesetz, so ist der Zusammensturz der auf diesem Gebiet schon bestehenden segensreichen Einrichtungen sicher. Keine Einrichtung wird von der Sozialdemokratie heftiger mit Spott und Haß verfolgt als die Verpflegungsstationen, die aus christlichem Geist zum Wohl armer Wanderer und Arbeits loser hervorgegangen sind. Im Inter- . Sache selbst bitte ich Sie, dieses Gesetz nicht zum Scheitern ringen.

Abg. Sieg (nl): Durch die Vorlage wird nur bezweckt, ver— krachte Institutlonen, die sich nicht als lebensfähig erwiesen haben, mit anderem Gelde auf anderer Grundlage neu aufzubauen. Wie un⸗ reif diese Vorlage ist, haben Sie aus dem ersehen, was aus ihr durch die Kommissionsberathungen entstanden ist. Ich habe mich gewundert, daß der Herr Minister des Innern diefe Vorlage Überhaupt eingebracht hat. Es wäre viel einfacher, die Vagabunden nach Afrika zu verschiffen; wir im Osten brauchen diese Leute nicht. Der Herr Finanz Minister hat die nöthigen Ausgaben auf 09 000 0 geschãtzt. Diese Summe ist viel zu klein, sie wird sich bald verdreifachen. Ferner wird dieses Gesetz naturgemäß eine Maffe von Kontraktbrüchen seitens der Arbeiter zur Folge haben. Denn wenn für die Vagabunden so gut gesorgt wird, werden viele Arbeiter einfach weglaufen. Was bisher nur als Wohlthat galt, soll jetzt & setzlich geregelt, also zu einem Recht der Vagabunden werden. In der zweiten Lesung hat es sich bereits herausgestellt, daß die Vorlage, wie sie eingebracht war, nichts taugt. Jetzt soll wieder Alles umgeworfen werden, was in der zweiten Lesung verbessert wurde, weil die Staats regierung es für unvereinbar hält. Nun, für uns ist die Vor— lage unannehmbar. Die Sorge, daß ohne das Gesetz die Zustände schlimmer würden, kann ich nicht theilen. Ich kann Sie nur dringend bitten, die Vorlage einfach abzulehnen oder aber, wenn Sie das nicht wollen, zu beschließen, daß die Regierung durch Zuschuß eines Drittels der Ausgaben die Verantwortung mit tragen soll.

Abg. Greiß (Zentr.) vertrat diesen Ausführungen gegenüber die von ihm mitunterzeichneten Kompromißvorschläge, war aber im einzelnen unverständlich.

Abg. von Brockhausen (kons): Die Bedenken, die schon in den Kommissione verhandlungen aufgeworfen worden sind, sind meines Erachtens entscheidend. Ich erkenne an, daß in den bestehenden Ver pflegungsstationen etwas Großartiges geleistet worden; ob aber gesetz⸗ geberisch vorgegangen werden sol, ff mir doch zweifelhaft. Der Kommissionsantrag will die provinzielle Regelung der Angelegenheit und will zwei Drittel der den Kreisen erwachsenden Kosten durch die Provinzialverwaltung decken lassen. Es scheint mir aber sehr fraglich, ob den Provinzen noch weitere Lasten zu— gemuthet werden können. Ich glaube, es müßten zunächst genaue Erhebungen darüber angestellt werden, in wie weit in den einzelnen Provinzen Verpflegungsstationen nothwendig erscheinen. Ich möchte wünschen, daß nach Anhörung der Provinzialverwaltungen eine neue Vorlage gemacht würde.

Finanz⸗Minister Dr. Miquel:

Die Herren Vorredner haben die beste Rechtfertigung der Haltung der Staatsregierung in Bezug auf die Gewährung eines Staats— zuschusses gegeben, und ich könnte mich im Ganzen darauf beziehen. Wer konsequent denkt, der wird aus den Ausführungen der Herren Vorredner den richtigen Schluß ziehen: es würde eine verkehrte Lastenvertheilung eintreten, wenn der Staat zu Lasten aller Steuer⸗ pflichtigen ein Drittel der Kosten übernähme und die Sache nicht mehr einen rein provinziellen Charakter hätte. Herr Sieg hat uns ausführlich dargelegt, daß für den Osten kein Bedürfniß vorhanden ist. Im Gegentheil sagte er, es ist die größte Gefahr für den Osten vorhanden; Kontraktbruch wird ent— stehen; die Wanderei nach Westen wird noch viel größer werden; wir

den Beginn der Sitzung ist gestern berichtet

Berlin, Dienstag, den 2. Juli

Herrn von Brockhausen.

schon von diesem Gesichtspunkt aus lediglich als provinzielle An⸗ gelegenheit auch behandelt werden müssen.

Aber, meine Herren, auch andere Gründe die Behauptung rechtfertigen, daß hier die Weigerung des Staats, seinerseits Mittel für diesen Zweck herzugeben, nothwendig das Gesetz zu Falle bringen müßte. Denn es ist, glaube ich, schon mit Recht gesagt, und namentlich Herr von Brockhausen hat das anerkannt, daß, wenn der Staat Bedürfniß⸗ zuschüsse giebt, er doch unmöglich über die Höhe der Bedürfnisse und die Art der Befriedigung und die Einrichtungen der Stationen Andere entscheiden lassen kann und er soll ja bezahlen, was von ihm von Anderen gefordert wird. Meine Herren, das Beispiel der Matrikularumlagen im Reiche sollte uns in dieser Be⸗ ziehung doch etwas vorsichtig machen. (Sehr richtig! rechts.) Wir sind darüber einig, daß das auf die Dauer ein unerträglicher Zustand ist, daß der Eine die Ausgaben verursacht und bewilligt und der Andere sie zu bejahlen hat. Genau ein ähnliches Verhãltniß würde hier eintreten. Meine Herren, warum haben wir denn bei dem Dotationsgesetz das System der Bedürfnißʒzuschũsse vollständig verlassen und feste Dotationen gegeben für bestimmte Zwecke? einfach weil dies die einzige Grundlage einer wirklichen Selbstverwaltung ist. (Sehr richtig! rechts.) Sowie Sie hier auf diesem Gebiet Bedürfnißzuschüsse vom Staat bekämen, würde die Selbstverwaltung auf diesem Gebiet todt sein, das sage ich Ihnen im voraus! Es handelt sich hier also garnicht um eine bloße Finanzfrage, sondern es handelt sich hier um eine Frage der richtigen Organisation, der Verwaltung und der zweckmäßigen Vertheilung der Lasten. Nun stehe ich aber nicht auf dem Standpunkt persönlich, daß für den Osten die Sache gar kein Interesse hat. Es ist ja ganz richtig, daß, wie die Verhältnisse sich heute gestaltet haben, wirklich arbeits⸗ kräftige und arbeitswillige Personen im großen Ganzen im Osten eher in ider Lage sein werden, zu jeder Zeit Arbeit zu finden, als das in den schwankenden Industrieverhältnissen im Westen vielfach der Fall ist und auch in den Städten das will ich durchaus zugeben. Aber daraus folgt noch keines- wegs, daß für den Osten überhaupt kein Bedürfniß ist. Wir haben auch ganze Bezirke im Osten, wo die Sache anders liegt. Denken Sie nur an Schlesien, wo ganz ähnliche Verhältnisse in dieser Be— ziehung in industrieller wie sozialer Natur wie im Westen vorliegen! Aber auch der zeitweilige Ueberschuß an Arbeitskräften in den Städten ist im Osten nicht vorhanden, und es kann ein großes Interesse für den Osten sein, durch zweckmäßige Einrichtungen auch die Rückwanderung nach dein Osten der in die Städte oder nach dem Westen gewanderten Arbeiter auch seinerseits zu unterstũtzen.

Also man kann nicht behaupten, daß gar kein Interesse vorhanden ist. Es wird auch vielfach im Interesse der Humanität liegen, auch im Osten für die Befriedigung derartiger Bedürfnisse zu sorgen. Leugnen aber will ich allerdings nicht, daß auch ich glaube, daß das Bedürfniß im Osten nicht so umfangreich, nicht so dringend sein mag, wie in anderen Provinzen; das will ich garnicht bestreiten. Und daraus konkludiere ich eben, daß man den Provinzen in Beziehung auf die Abmessung des Umfangs des Bedürfnisses und der Art seiner Befriedigung mehr Befugnisse einräumen kann, und daß man sie ihnen nicht einräumen könnte, wenn der Staat ein Drittel der Kosten zu übernehmen hätte.

Wenn ich mir nun hier den Antrag, den Herr von Erffa, Greiß u. s. w. gestellt haben, ansehe, so fallen doch die Bedenken des Herrn Sieg in Beziehung auf die besonderen Verhältnisse im Osten eigent lich weg. Denn hier ist ja ausdrücklich gesagt, daß darüber, an welchem Ort der Provinzen Verpflegungsstationen einzurichten und beizubehalten sind, wie über den Erlaß der Vorschriften bezüglich der Ver⸗ waltung der Stationen der Provinzialausschuß entscheidet. Würde der Provinzialausschuß nicht finden, daß ein großes Bedürfniß vor⸗ handen sei, so hätte es der Provinzialausschuß ja vollständig in der Hand, in dieser Beziehung Entscheidung zu treffen. Ist das Bedürf⸗ niß im Osten geringer, bedarf es dort einer geringeren Zahl von Stationen, dann hat der Provinzialausschuß die Befugniß, demgemäß zu verfahren. Ich kann nicht einsehen, daß namentlich diesem Vor⸗ schlage gegenüber die Bemerkungen des Herrn Vorredners zutreffend sind. Ein Bedürfniß für diese Stationen das kann ich aus meinen eigenen früheren Erfahrungen bezeugen ist min desten in einem großen Theile des Landes vorhanden; darüber kann gar kein Zweifel sein, und ich muß auch durchaus bestreiten nach meiner Erfahrung kann ich in dieser Beziehung das Zeugniß eines anderen Herrn nur unterschreiben daß unter diesen Wanderern nur solche sind, die nicht arbeiten wollen, liederliches Gesindel. Man trifft sehr häufig ganz ohne alles Verschulden in Arbeitslosigkeit gerathene Personen (sehr richtig h, und wenn namentlich worauf ich auch großes Gewicht lege der Anfang der Ent—⸗ wicklung der gewesen ist, ein größerer Theil durch Herstellung von Arbeiterkolonien, zweckmäßige Arbeitsgelegenheit auch für die Stationen herzustellen ist, die das nicht lokal besitzen, dann wird man damit großen Segen erreichen, und man wird Per— sonen, die durch die Arbeitslosigkeit aufs Wandern gerathen sind, allmählich möchte ich sagen dadurch korrumpiert wurden, auf der Grenze stehen, ob sie ordentliche Arbeiter bleiben wollen, oder Vagabunden werden, sehr häufig durch diese Einrichtungen erhalten. Ich behaupte auch, daß die Sache garnicht so theuer ist, wenn sie nur richtig verwaltet wird. Man kann die Stationen sehr wohl

wollen überhaupt nichts von der Sache wissen, und wenn in einzelnen

Provinzen ein besonderes Bedürfniß besteht nun, dann mag die Provin⸗ dafür sorgen, aber wir wollen von Staatswegen nichts damit zu thun haben. Aehnlich waren auch die Ausführungen des

Wäre das richtig, dann würde es ja ganz unbillig sein, wenn der

Osten in Form des Staatszuschusses bezahlen sollte für den Westen, wo allein ein Bedürfniß vorhanden wäre; dann würde die Sache

können nicht

1895.

in allen so einrichten, daß sie fast garnichts kosten, ja, wenn man wollte, noch Ueberschüsse hätten. (Heiterkeit)

Erfahrungen liegen in dieser Beziehung schon vor, beispielsweise in Düsseldorf sind sogar Ueberschüsse erzielt worden (Heiterkeit), ich will durchaus nicht behaupten das habe ich auch nicht so gesagt, daß es überall der Fall ist; aber eine zweckmäßige Verwaltung kann außerordentlich auf Herabdrückung der Kosten einwirken, und nach der Richtung ist es ganz zutreffend, daß der nächstbetheiligte Verband, der Kreis im wesentlichen die Verwaltung übt.

Nun sagen die Herren: die Sache ist noch nicht reif, wir müssen die Provinzial ⸗Landtage hören. Ich weiß eigentlich nicht, worüber sie gehört werden sollen. Ueber das Prinzip, ob man sich überhaupt um die Wanderer bekümmern soll, in welcher Weise man die Verminderung der Vagabondage und Bettelei bewirkt, wie man das große Problem, welches der Herr Vertreter des Ministers des Innern ganz richtig be⸗ zeichnet hat: die ordentlichen und gutwilligen, ohne Schuld auf die Wanderung Gerathenen von den eigentlichen Vagabonden zu trennen, lösen soll, darüber werden die Provinzen auch nicht mehr wissen, als was diese erleuchtete Versammlung, die aus allen Landestheilen hier zu sammenkommt und ihre Erfahrungen hier gegenseitig austauscht, wissen kann. Ich glaube daher nicht, daß es von großer Bedeutung ist, die Propinzen zu hören; wir würden im nächsten Jahre vor derselben Frage stehen.

. Das ist allerdings richtig: im äußersten Falle ist der Antrag, die Provinzen zu hören, mir noch lieber als die nackte Ablehnung dieses Gesetzes. Denn wir behalten den Faden doch in der Hand, wir entmuthigen nicht alle die aus den freiwilligen Beschlüssen der Gemeinden, der Kreise, bezw. aus der Privatwohlthätigkeit hervor⸗ gegangenen Einrichtungen, daß sie sagen: nun müssen wir uns auf⸗ lösen, so kann die Sache nicht bleiben; die Leistungen sind auf die einzelnen Kreise viel zu ungleich vertheilt, das können wir nicht mehr aushalten. Wir werden dann wenigstens das noch erreichen, daß sie sagen: dann wollen wir bis zum nächsten Jahre die Sache noch aufrecht erhalten in der Hoffnung, daß dann wenigstens noch etwas zustande kommt. Aber das wäre doch für mich nur das Aeußerste.

Meine Herren, ich glaube, die Staatsregierung wird, wie der Herr Vertreter des Herrn Ministers des Innern bereits gesagt hat, im wesentlichen das Gesetz für annehmbar erachten, wenn die grundsätzlichen Anträge des Herrn von Erffa und Genossen zur Annahme kommen.

Ich persönlich habe schließlich auch nichts dagegen, obwohl es sehr weit geht, wenn nach dem Antrage des Herrn von Zedlitz und Neukirch das Wort „ob“ noch eingeschoben wird. Dann ist aber jedenfalls gar kein Grund mehr, die rein zur provinziellen Beschluß⸗ fassung gestellte Angelegenheit hier gänzlich von der Tagesordnung zurückzuweisen. (Bravo!)

Abg. von Pappenheim (kons erklärte sich für das Kompromiß. Der Antrag Zedlitz würde den Freunden der Vorlage die n n derselben erschweren. Der Abg. Sieg habe sich . eine schöne Rede ausgearbeitet, aber nicht bedacht, daß die Anträge der rechten Seite kommen würden. Er habe also nur gegen Windmühlen ge⸗ kampft. Die Verpflegungsstationen seien nicht verkracht; sie hätten nur mit finanziellen ö zu kämpfen. Die Sache würde nun da⸗ durch erleichtert, daß die rovinzen zwei Drittel der Kosten aufzubringen hätten; außerdem liege es ja in der Hand des ,, Verpflegungsstationen nach Bedürfniß zu errichten. Vertage man heute die Frage ad Calendas Graecas, so würden die noch heute be— stehenden Organisationen geradezu in Frage gestellt. Der Finanz⸗ NMinister habe ganz recht: Die Art der Verwaltung sei die Haupt⸗ sache, die Verpflegungsstation in Düsseldorf habe sich nicht nur selbst erhalten, sondern sogar Ueberschüsse erzielt.

Abg. Freiherr von Zedlitz (fr. kons.) glaubte, daß die Frage zur Zeit zu einer befriedigenden gesetzlichen Regelung noch nicht reif sei; die ganze Angelegenheit dürfe nicht einseitig herausgegriffen werden, sondern müsse in organischem Zusammenhange mit einer zweckmäßigen Organisation des Arbeitsnachweifes und? der Arbeits kolenien behandelt werden, um die Wanderbettelei und Vagabondage wirksam zu bekämpfen. Da nun die Verhaäͤltnisse in den verschiedenen Provinzen verschiedenartig seien, so wäre es am besten, die Provinzial⸗ Landtage noch einmal zu hören. Er theile mit dem Finanz-Minister die Ansicht, daß die Form des Bedürfnißzuschusses mit dem Wesen der Selbstverwaltung nicht vereinbar sei. Viel richtiger sei es, den Provinzen für die wahrzunehmenden Pflichten die Pro⸗ vinzialdotation zu erhöhen. Der Reglerungskommissar habe ein ähn⸗ liches Argument wie der Abg, von Pappenheim angeführt, daß nämlich die bestehenden Verpflegungsstationen rettungslos untergehen würden, wenn nicht in dieser Session ein Gesetz zu stande käme. Ein größeres testimonium paupertatis hätte man den gegenwärtigen Einrichtungen nicht ausstellen können. Dieses Argument habe wohl auch nur den Zweck gehabt, die Herzen des Hauses weich zu machen. Wenn die Verpflegungsstationen auf so schwachen Füßen ständen, dann seien fie ö. werth unterzugehen. Die Verantwortung könne das Haus ruhig ragen.

Abg, von Berg (kons.) befürchtete, daß in absehbarer Zeit über- haupt kein derartiges Gesetz zu stande kommen werde, ö. heute nicht irgend etwas geschehe. Die Verpflegungsstationen hätten fich durchaus bewährt. Sein eigener Kreis habe 106 Gemeinden, und diese brächten für zwei Verpflegungsstationen 7000 6 pro Jahr, 20 M0 pro Tag und jede einzelne Gemeinde 20 3 pro Tag auf. Das wäre doch eine geringe Abgabe für einen sehr nützlichen Zweck. Man hielte sich damit die Strolche vom Halse, welche mit einem Almosen von 5 3 nicht einmal zufrieden seien und, wenn es darauf ankomme, den Leuten den rothen Hahn aufs Dach setzen. Das Gesetz sei schon des⸗ halb nöthig, um diejenigen Bezirke, welche Verpflegungsstationen be⸗ säßen, entsprechend zu entlasten. Er bitte um Annahme der Kom— n ,,.

Abg. von Tiedemann Labischin (fr. kons.) sprach über seine Erfahrungen über die Verpflegungsstationen in der Provinz Posen; diese hätten sich dort nicht cut bewährt, dagegen habe eine Arbeiter- kolonie in Posen segensreich gewirkt. Er ssimme mit dem Finanz Minister dahin überein, daß die Sache den Kreisen und rovinzen überlassen bleiben müsse. Er halte es auch . für 1h für diesen Zweck die Provinzialdotationen zu erhöhen. Gegen den Staats= zuschuß sei er auch deswegen, weil dann die Provinzen, welche weniger für die Verpflegungsstationen auszugeben haben, zu den Kosten in anderen Provinzen beitragen müßten. Er stimme für den Antrag

Zedlitz. gig. Schilling (kons. ): Die Gegner der Vorlage halten den

namentlich in vielen Lokalitäten, ich will durchaus nicht behaupten

Gegenstand noch nicht für spruchreif, die Vorlage ist jedoch in der Kommissien wie im Plenum eingehend berathen und e, . worden.