1895 / 300 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 17 Dec 1895 18:00:01 GMT) scan diff

Organisation des Handwerks mitzuwirken und sich über den den Handwerkskammern zu gebenden Unterbau zu äußern.“

Dieser Gedanke, zunãchst autoritative Organe zu schaffen, die uns sagen können, was ihrer Meinung nach dem Handwerk frommt, und die mitwirken sollen, bei der demnächstigen Organisation, scheint biernach doch kein ganz unrichtiger zu sein. Wie die Berirke einer Zwangsorganisation festzustellen sein würden, wie die Gliederung und Organisation sich im einzelnen zu gestalten hätte, wie das Statut aufzustellen wäre: alle diese Fragen sollen von den Dandwerks⸗ kammern begutachtet werden; sie sollen auf diese Weise thãtig dabei mitwirken, die demnächstige Organisation zur Ausführung zu bringen. Haben wir diese Organe nicht, so können Sie uns nachher mit Recht den Vorwurf machen: Ihr macht Organisationsplãne vom grünen Tisch; dann wird man die Organisationen zerpflücken, dieses und jenes daran auszusetzen haben; und Sie berauben uns der Möglichkeit, uns darauf berufen ju können, daß das Handwerk selbst es gewesen ist, welches sein Geschick in dieser und jener Weise gestaltet zu sehen wünscht. (Sehr richtig) Man wird mir einwenden, daß man, um die Ansichten der Handwerker kennen zu lernen, derartiger Orga nisationen nicht bedürfe, daß man dasselbe Ziel im Wege freier Konferenzen erreichen könne und nur die Handwerker verschiedener Anschauungen zu einer Besprechung zusammenzurufen brauche, bei der man ihnen die Organisationsfragen vorlegen könne. Allein, meine Herren, allen solchen Konferenzen ist bisher noch immer von seiten derjenigen, denen die Ergebnisse der Besprechung nicht gepaßt haben, der Vorwurf gemacht worden, die Regierung habe sie nach ihrem Belieben zusammengesetzt. (Sehr richtig) Und wenn Sie mir etwa entgegenhalten wollten, daß es bereits gegenwärtig Korporationen gäbe, aus denen Vertreter für solche Besprechungen berufen werden könnten, so möchte ich darauf hinweisen, daß ich bereit bin, diesen aller⸗ dings schon bestehenden Korporationen das Mitwirkungsrecht zu geben, und ihnen Sie finden diesen Gedanken auch irn Gesetzentwurf aus⸗ gedrückt eine vorwiegende Beteiligung bei der Zusammensetzung der Handwerkskammern zu sichern. Aber darüber dürfen wir uns nicht täuschen, und auch der größte Innungsschwärmer kann das nicht in Abrede stellen, daß wenigstens zur Zeit die Zahl der inkorporierten Handwerksmeister gegenüber der Gesammtzahl der Dandwerker sehr gering ist. (Sehr wahr! links) Ich würde daher als ein verant· wortlicher Minister meines Erachtens gewissenlos handeln, wenn ich die Organisation machen wollte nur nach Anhörung der einen Partei, die im Handwerk vertreten ist, und alle übrigen einfach außer Acht ließe. .

Um alle diese Vorwürfe und Einwürfe abzuschneiden, können Sie nichts Besseres thun, als daß Sie Organe schaffen, welche nach Maßgabe der thatsächlichen Verhältnisse und nach Maßgabe der berechtigten Interessen zusammengesetzt sind, und auf deren Uttheil Sie dann aus dem Grunde auch wirklich etwas zu geben im stande sein würden, weil es eben ein autoritatives Urtheil ist. Daß aber Diejenigen, die außerhalb der Innungen stehen, doch auch das Recht haben, gehört zu werden, und daß sie mindestens den Wunsch darnach haben, kann nicht wohl bezweifelt werden. Es liegt mir hier eine Eingabe des Vorstandes des Verbandes deutscher Gewerbevereine vor, in der mitgetheilt wird,

daß auf der 6. ordentlichen Hauptversammlung des Verbandes deutscher Gewerbevereine beschlossen worden ist, zu erklären, daß der Verband es für ein unbedingtes Erforderniß hält, vor Schaf⸗ fung der geplanten Zwangsorganisationen das ganze deutsche Handwerk und Gewerbe und nicht nur einen in den Innungen zusammengefaßten kleinen Theil desselben in dieser Frage zu hören, da nur dieser Weg geeignet erscheint, zu einem Ergebniß zu gelangen, welches der Ausdruck der Meinung der Gesammtheit und nicht Einzelner ist.

Diese Leute sind doch auch, um mit Goethe zu sprechen, so zu sagen Menschen. Sie haben doch auch ihr Recht und ihre Wünsche,

sie dürfen doch auch auf Berücksichtigung Anspruch machen, zumal ez sich hier um einen so großen Verband handelt. Außerdem liegen mir zahlreiche Aeußerungen einzelner Gewerbetreibender vor. Noch heute Morgen habe ich eine solche von einem Maurermeister aus dem Trierer Bezirk erhalten, der ausdrücklich wünscht, daß nicht nur die Innungen, sondern auch die außerhalb der Innungen stehen⸗ den Meister gehört werden möchten.

Der Werth der Handwerkerkammern ist nun aber nicht bloß darin zu suchen, daß sie uns mit ihren Gutachten unterstützen sollen bei der Lösung der Organisationsfrage, sondern, wie ich schon vorhin andeutete, sollen sie ein wesentlicher Faktor sein zur Mithilfe bei der Durchführung der geplanten Organisation. Ich weise in dieser Be⸗ ziehung noch einmal auf Oesterreich hin. In Oesterreich hat die Durchführung der Organisation des Genossenschaftswesens auf gewerblichem Gebiete schon jetzt mehr als 10 Jahre erfordert, und sie ist auch heute noch nicht in allen Kronländern vollstãndig zur Durchführung gekommen. Aus dem Bericht unserer Kom missarien ergiebt sich, daß das Organisationswerk auch gegen wärtig noch fortgesetzt wird, daß auch gegenwärtig noch ganze Land—⸗ striche der Genossenschaftsbildung entbehren. In Oesterreich hat man die Gewerbekammern bei der Ausführung des Gesetzes zur Hilfe ge⸗ nommen. Man erkannte dort den Werth, den es hat, wenn man aus dem Handwerkerstand selbst Organe zur Mithilfe bei der Durch⸗ führung der geplanten Einrichtung zur Hilfe nimmt. Weshalb sollen wir in Deutschland auf diesen Weg verzichten?

Es mag ja sein, daß gegen die Art und die Zusammensetzung der Handwerkẽkammern, wie der Entwurf sie vorsieht, berechtigte Be⸗ denken bestehen. Diese Bedenken können zum Ausdruck gebracht, sie können erledigt werden. Jedes Bedenken aber, meine Herren, das etwa nach der Richtung hin gehen würde, daß der vorliegende Ent⸗ wurf der Organisation präjudiziere, erledigt sich meines Erachtens vollstãndig dadurch, daß dieser Entwurf nur einen völlig provisorischen Charakter hat; er soll nur einen solchen Charakter haben, und seine Bestimmungen sollen nur so lange in Wirksamkeit bleiben, bis es gelungen sein wird, mit den gesetzgebenden Faktoren ein definitives Drganisationsgesetz zu vereinbaren. Also auch nach dieser Richtung, meine Herren, birgt der Gesetzentwurf keinerlei Gefahr.

Wenn etwa ein weiterer Einwand oder eine weitere Besorgniß daraus hergeleitet werden sollte, daß das korporierte Handwerk in den Organen, die wir schaffen wollen, majorisiert werden könnte,

so weise ich in dieser Beziehung auf die Vorschrift des 8 11 hin, in der ausdrücklich vorgesehen ist, daß den Vertretern des korporierten Handwerks eine vorzugsweise Betheiligung in den Handwerkskammern gesichert bleibt. Also, meine Herren, auch dieser Einwand ist, glaube

ich, kein berechtigter und ausschlaggebender, und er wird nicht den

Entwurf zu Fall bringen dũrfen. ö

Auf Einzelheiten des Entwurfs will ich nicht weiter eingehen; es wird sich mir dazu voraussichtlich noch im Laufe der heutigen Besprechung Gelegenheit bieten. Im übrigen wird die Kommüission der geeignete Boden sein, auf dem man die Bedenken, die etwa im einzelnen erhoben werden, erledigen kann. Jedenfalls, meine Herren, möchte ich rathen, diesen Gesetzentwurf nicht a limine zurũck· zuweisen. Wie zeitig es möglich sein wird, Ihnen ein definitives Organisationsgesetz vorzulegen, kann in diesem Moment nicht mit absoluter Bestimmtheit gesagt werden. Der Königlich

preußische Herr Handels⸗Minister ist an der Arbeit, die Sache

wird so eifrig, wie irgend thunlich, gefördert. Man kann einen vorläufigen Plan dahin aufftellen, daß es etwa in der ersten Hälfte des Februar möglich sein wird, dem Bundesrath einen solchen Ent⸗ wurf vorzulegen. Wie lange er Zeit braucht, um im Bundesrath erledigt zu werden, läßt sich ebenfalls nicht mit Bestimmtheit sagen. Die Meinungen unter den verbündeten Regierungen über die Organi- sationsfrage werden voraussichtlich nicht von vorn herein überein- stimmen. Man wird, welchen Weg man auch in dem Entwurf vor⸗ schlagen möge, auf manche Bedenken und Einwände stoßen. Wie schnell es möglich sein wird, diese Bedenken und Einwände zu er⸗ ledigen, lãßt sich, wie gesagt, nicht mit Gewißheit vorhersehen. Aber selbst, wenn ich annehme, daß die Berathung im Bundesrath nicht länger als vier Wochen dauern würde, so würde doch erst die Mitte März als der Termin in Aussicht genommen werden können, wo etwa ein Organisationsentwurf in den Reichstag gelangen könnte. Und da, meine Herren, bitte ich Sie, doch zu über⸗ legen, ob nicht die Durchberathung eines solchen Entwurfs in der jetzt begonnenen Session zu den Unmöglichkeiten gehören würde. Sie werden also frühestens darauf rechnen können, im nächsten Reichstage mit einem solchen Entwurf begrüßt zu werden, und wenn Sie uns inzwischen Gelegenheit geben, durch die Errichtung von Handwerkskammern eine wirklich zweifelfreie und gründliche Begutachtung unserer Pläne durch die Vertreter des gesammten Handwerks zu erhalten, so können Sie mit größerer Sicherheit darauf rechnen, daß Sie einen weniger angefochtenen, zweifelsfreieren und besser vorbereiteten Entwurf im nächsten Jahre vorfinden, als jetzt. Wollen Sie aber den Schritt nicht machen nun gut, dann bleibt für uns weiter nichts übrig, als unsere Organisationsarbeiten fortzusetzen. Wir werden dann wahrscheinlich im Laufe dieser Arbeiten dazu übergehen müssen, uns selbst die begutachtende Hilfe zu suchen, auf deren Mitwirkung wir werden Werth zu legen haben, und wir werden Ihnen alsdann das Ergebniß unserer Vorberathungen im nächsten Jahre vorlegen.

Wie aber auch Ihr Votum ausfallen möge, ich weiß mich mit Ihnen und insbesondere mit den warmen Vertretern der Interessen des Handwerks, in einem Punkte sicherlich eins: in dem Wunsche, daß Ihr Votum zu Nutz und Frommen und zum Heile des deutschen Handwerks gereichen möge. (Bravol rechts.)

Nach dem Abg. Hitze (s. d. gestr. Nr.) nahm das Wort der Abg. Gamp (Rp.): Die Erwartung des Herrn von Boetticher, daß seine Vorlage bessere Aufnahme finden würde, kann ich nicht als berechtigt anerkennen. In der vorigen Session hätte der Gesetzentwurf, der ein Provisorium schaffen sollte, eine andere Aufnahme gefunden. Die Vorlage will kein Provisorium schaffen; denn die Wahlen sollen danach alle 5 Jahre stattfinden. Die Vorlage giebt als Provisorium zu viel, als Definitimvum zu wenig. Man hätte nur die einzelnen Fragen zur Diekussion stellen, die Statuten vorlegen sollen und dann auf die Entschliefhung der Handwerkskammern auch geeignetes Gewicht legen sollen. Aber das Statut wird von der Regierung nach Anhörung erlassen, es ist keine Selbständigkeit vorhanden. Wenn man jetzt kein klares Bild hat, dann wird es nicht möglich sein, ein solches Bild überhaupt zu gewinnen. In den allgemeinen Hand⸗ werkerkreisen ist die Entscheidung nicht zu treffen; dann könnte man die Sache auf sich beruhen lassen; denn es würde dann die Mehrheit der Nichtinkorporierten vielleicht nachher entscheiden, daß das Hand⸗ werk gar keine Organisation will. Man fragt und fragt immerfort Interessenten; aber bei der Organisation der Landwirthschafts kammern hat man keine allgemeine Umfrage gehalten, sonst wären die Landwirth- schaftskammern heute nicht vorhanden. Die Regierung sollte doch auf die Meinung der Mehrzahl dieses Hauses ein gewisses Gewicht legen; Dreiviertel des Reichztags haben sich für die . des Hand werks ausgesprochen; dadurch ist die Regierung schon wesentlich ihrer Verantwortung entlastet. Welche Stellung sollen denn die Handwerks⸗ kammern einnehmen? Die juristische Persönlichkeit haben sie nicht; sie würden ja nicht einmal ein Lokal miethen oder einen Sekretär an⸗ nehmen können. Im Gesetz wenigstens steht nichts davon. Die Kammern haben keine bestimmten Aufgaben; denn alle Organisationen, welche nur begutachten sollen, haben keine dauernde Thätigkeit; sie müssen beschließende Befugnisse haben, wie man den Landwirthschafts kammern positibe Aufgaben gestellt hat: die Beaufsichtigung der Börse, die Ordnung der Silofrage u. s. w. Hier aber soll schließlich doch alles durch die Behörde . die Begrenzung der Bezirke, die Abstufung des Wahlrechts alles liegt in den Händen der Re—⸗ gierung, die natürlich durch die Regelung dieser Dinge einen genũgenden J auf die Kammern sich sichern kann. Es sind einige Handwerkskammern in Deutschland vorhanden, auf die die Vorlage Rücksicht nimmt. Dadurch scheiden vielleicht Württemberg, Bayern und Sachsen aus dem Gesetz ganz aus; dann könnte man vielleicht die Sache für Preußen allein regeln; vielleicht würden wir beim preußischen Minister ˖ Präsidenten weniger Widerstand finden als beim Reichskanzler. Die Verweisung an eine Kommission bat eigentlich keinen Zweck; es würde sich nur darum handeln, eine Reso⸗ lution zu fassen, um für die Berathung der späteren Vorlage den Weg zu ebnen. Aber das könnte auch in der zweiten Lesung ge macht werden. Da eine große Partei die kommissarische Berathung angeregt hat, will ich nicht widersprechen, bitte aber, nur eine kleine Kommission zu bilden. Die Kommission müßte jedoch ien berathen, denn ich erinnere daran, daß der Minister von Berleps esagt hat: die Handwerkerorganisation ist mehr und mehr eine in, für den gewerblichen Mittelstand geworden.

Staatssekretär des Innern, Staats⸗Minister Dr. von Boetticher:

Meine Herren! Ich muß doch noch einige Worte meinem ersten Vortrage hinzufügen, da ich nicht die Ueberzeugung gewonnen habe, daß der Herr Vorredner alle Mißverständnisse abgeschüttelt hat, die etwa an den Entwurf geknüpft werden könnten.

Der Herr Vorredner hat zunächst gemeint, daß dem Gesetz kein provisorischer Charakter beiwohne; dies ergebe sich aus der Vor⸗ schrift, daß eine Wahlperiode von fünf Jahren festgesetzt sei. Ja, meine Herren, diese Festsetzung erklärt sich doch sehr natürlich: wenn man überhaupt ein Organ wählen läßt, so muß man nothwendiger⸗ weise auch dazu übergehen, eine Wahlperiode für die Gewählten fest⸗ zusetzen, ohne Rücksicht darauf, ob das Organ ein langlebiges oder ein kurzlebiges sein wird. Außerdem kommt dabei aber auch noch etwas Anderes in Betracht.

Ich kann mir sehr wohl denken, daß man bei weiteren Er⸗

. über die Frage der Organisation des Handwerk zu einem

Gesetz kommt, das sich lediglich auf den sogenannten Unterbau

bezieht, also die Zwanggorganisationen im einzelnen ausgestaltet. nebenher aber diese Handwerkerkammern als Oberbau in derselben Gliederung bestehen läßt. Das wäre immerhin möglich, wenn ich auch nicht glaube, daß diese Eventualität eintreten wird, aber wie gesagt: es ist möglich.

Ich bitte also, dem Gesetz keinen anderen Charakter beizulegen, als derjenige ist, den seine Autoren ihm beigelegt zu sehen wünschen.

Der Herr Vorredner hat dann gemeint, es würde ein falsches Bild geben, wenn man außer Vertretern des korporierten Handwerks auch noch dem nichtkorporierten Handwerk angehörige Meister ver= nehme. Ich glaube, darin geht er doch etwas zu weit. Ich bin der Meinung, daß, nachdem er selber zugegeben hat, daß ziffermäßig das korporierte Handwerk nur einen verhältnißmäßig geringen Theil des Handwerks ausmacht, er sich der Anhörung des nichtkorporierten Handwerks nicht wird entziehen können; und wenn er insbesondere gegen die Anhörung der Vertreter des Handwerks, die in Gewerbe⸗ vereinen vereinigt sind, sich ausgesprochen hat, so muß ich doch sagen, daß in diesen Gewerbevereinen nach ihrer mir bekannten Zu⸗ sammensetzung eine recht große Anzahl Handwerker sich befindet. (Sehr richtig) Namentlich in Süddeutschland spielen die Gewerbe⸗ vereine die Rolle wie bei uns die Innungen, und es würde ganz unbillig sein, wollte man diese Gewerbevereine nicht mit berücksich⸗ tigen, wenn man die Innungen berücksichtigt.

Nun hat mir der Herr Vorredner zum Vorwurf gemacht, daß ich auf die preußischen Landwirthschaftskammern exemplifiziert habe, und hat gemeint, diese Bezugnahme sei durchaus ungerechtfertigt. Er hat dieses sein Urtheil damit zu begründen versucht, daß für die Landwirthschaftskammern in Preußen ein Unterbau bereits vorhanden sei, und zwar in den landwirthschaftlichen Vereinen. Auch nach der Deduktion des Herrn Vorredners halte ich meine Behauptung, daß die Organisation der Landwirthschaftskammern in Preußen nicht anders beschaffen ist als die Organisation der Handwerkerkammern im Reich, aufrecht. Denn in Preußen ist die Landwirthschaftskammer nach dem dortigen Landwirthschaftskammergesetz keineswegs auf den landwirthschaftlichen Vereinen aufgebaut, sondern ihre Mitglieder werden gewählt durch die Kreisausschüsse. Es ist also auch für die Landwirthschaftskammern in Preußen noch kein Unterbau vorhanden. uruf.) Gewiß, confer §8 des Gesetzes vom 30. Juni 1893.

Sodann hat der Herr Vorredner gemeint, es sei eigenthümlich, daß man gegenüber den Wünschen einer so erheblichen Majorität des Reichstags nicht sofort mit einer definitiven Organisation vorgeht. Er selbst wird ja aus seiner bisberigen amtlichen Thätigkeit wissen, daß die Arbeiten, betreffend die Organisationsfrage, im preußischen Handels⸗Ministerium nicht geruht haben, daß sie beständig gefördert sind, und er selbst wird auch am besten beurtheilen können, welche Hindernisse der definitiven Erledigung dieser Organisationsfrage bisher entgegengestanden haben.

Nun aber möchte ich doch daran erinnern ich will auf die Frage der Zwangsinnungen nicht eingehen: Die Herren werden aus meinen Vorträgen entnommen haben, daß ich kein absoluter Gegner der Zwangsorganisation bin, und wenn ich in diesen Ruf gekommen bin, so bin ich unverdient dahin gekommen, aber darauf möchte ich doch den Herrn Vorredner verweisen, daß der Reichstag keineswegs immer so gedacht hat, wie die heutige Majorität in der Orga⸗ nisationsfrage denkt. (Sehr richtig! links.) Und es ist sehr lehrreich, wenn man über solche Fragen die älteren Verhandlungen nachliest

lsebr richtig! links), und wenn man sich erinnert, daß in den früheren

Reichstagen die Herren von Kleist⸗Retzow (hört! hört! links), Acker⸗ mann, Freiherr von Stumm, von Rheinbaben, von Hertling sich positiv gegen die Organisation von Zwangsinnungen ausgesprochen haben. Außerdem, wer giebt uns denn die Gewähr dafür, daß, wenn wir heute Zwangsinnungen machen, dies auf die Dauer den Bedürfnissen des Handwerks genügt? Ich erinnere an die Entwicklung unseres ganzen Handwerks seit zehn Jahren. Es ist gut und nützlich, auch hier die alten Erörterungen durch zugehen (sehr richtig), wie sie in den Staatsrathsverhandlungen, in den alten Verhandlungen des preußischen Staats. Ministeriums niedergelegt sind, wie sie sich schon aus der Gewerbeordnung von 1845, aus dem Gesetz von 1849 und der Gewerbeordnung von 1869 ergeben. Meine Herren, ich glaube und weiß, daß das Handwerk in seinen korporierten Vertretern augenblicklich die Zwangsinnungen für ein absolutes Erforderniß hält; aber die Gewähr haben Sie nicht, daß diese Auffassung alle Zeit mit gleicher Wärme vertreten werden wird, und die Regierungen, welche in erster Linie die Verantwortung für eine Organisation tragen, dürfen nicht ohne weiteres sich einem Votum anschließen, so lange sie dessen Berechtigung nicht selbst anerkennen. Also kann nicht allein das Votum der Majorität des Reichstags ent⸗ scheidend sein, sondern es muß hinzukommen die eigene Prüfung und Ueberlegung davon, daß das, was diese Majorität will, auch wirklich heilsam ist.

Nun hat der Herr Vorredner Einzelheiten der Vorlage berührt, auf die ja eigentlich besser bei der Kommissionsberathung einzugehen wäre. Ich will mich auch nicht dazu verleiten lassen, eingehend die Punkte zu besprechen, die er berührt hat; ich möchte nur ein paar

kurze Bedenken gegen die von ihm ausgesprochenen Auffassungen

mittheilen. Also der Herr Vorredner meint, man beschränke zu Un⸗ recht die Kammern auf eine begutachtende Thätigkeit; wenn die Kammern bereits einen Unterbau hätten, wenn sie die Organe hätten, um das Lehrlingswesen in ihre Obhut nehmen zu können, dann hätte man zweckmäßig in dem Gesetzentwurf zugleich auch eine verwaltende, auch eine beschlußfassende Thätigkeit nach der Richtung hin vorsehen können, daß sie für das Handwerk alle möglichen nützlichen Einrich⸗ tungen treffen könnte. So liegt aber die Sache nicht. Zunächst soll die Kammer ein berathendes Organ werden; haben wir die Organisa⸗ tion, dann soll sie mitwirken an der Ausführung, und dann wird die Aufgabe des Sprechens zu Ende sein, dann wird ihre Aufgabe sein, praktisch zu handeln.

Der Herr Vorredner hat sich sodann über den 5 2 geäußert und gemeint, es müsse durch Gesetz festgestellt werden, welche bereits vor⸗ handenen Organisationen als gleichwerthig anzusehen seien mit den Handwerkerkammern, die im § 1 Ihnen vorgeschlagen werden.

Ich glaube, meine Herren, das ist ja so ziemlich bekannt, welche Organisationen in den einzelnen Staaten bestehen, und es wird sich unschwer ein Urtheil darüber gewinnen lassen, ob diese gleichwerthig sind. Wenn eine ausdrückliche Bestimmung in §2 dahin nicht getroffen ist, wer darüber zu bestimmen hat, so ist das einfach aus dem Grunde

Der Herr Vorredner hat dann den Gedanken aufgestellt, es würde den Vorzug verdienen, wenn man diesen Plan weiter verfolgen wolle, ein preußisches Gesetz ju machen; er hat die Frage aufgeworfen: warum geht man nicht in Preußen vor und beläßt lediglich denjenigen deutschen Staaten, welche Organe für die Handwerkerangelegenheiten besitzen, diese Organe? Meine Herren, die Frage war auch im Kreise des preußischen Staats⸗Ministeriums erwogen worden; man hat aber davon abgesehen, ein preußisches Gesetz zu machen: einmal weil die Materie an sich nach der Verfassung der Reichs⸗Gesetzgebung anheim⸗ fällt, und zweitens, weil nicht bloß in Preußen ein Bedürfniß nach Schaffung solcher Organisationen vorliegt, sondern auch eine ganze Reihe anderer Staaten der geordneten Vertretung des kleinen Hand- werks entbehrt.

Der Herr Vorredner hat sich dann schließlich noch gewendet gegen

den Paragraphen, in welchem von der Aufbringung der Kosten die

Rede ist, und hat es als ganz ungeheuerlich bezeichnet, daß man hier⸗ nach durch einen Beschluß des preußischen Staats⸗Ministeriums die Kommunalverbände mit 2, 3, 4, 5 Millionen Mark belasten könne. So schlimm kann die Sache doch nicht werden. Wenn wir überhaupt eine Vorschrift dahin vorgesehen haben, daß Kommunalverbände diese Kosten tragen sollen, so ist das, wie in den Motiven erörtert, lediglich aus der Betrachtung erfolgt, daß, wenn wir die Kosten auf die Inter⸗ essenten vertheilen wollten, ganz minimale, um wenige Pfennig sich drehende Beträge von den einzelnen Betheiligten einzuziehen sein würden. Wegen dieser ihrer Geringfügigkeit hat man die Kosten den Gemeinden zur Last gelegt und hat es ihnen gleichzeitig überlassen, die Kosten auf die einzelnen Handwerksbetriebe zu vertheilen, wenn sie dies in ihrem Interesse finden. Und wenn schließlich die weiteren Kommunalverbände hineingezogen worden sind, so ist auch dies lediglich aus der Betrachtung gescheben, daß es sich als nützlich erweisen kann, so kleine Beträge einheitlich von größeren Verbänden zahlen zu lassen.

Dem Herrn Abg. Hitze bin ich sehr dankbar dafür, daß er dem Gesetzentwurf doch wenigstens die Folge geben will, ihn in eine Kommission zu verweisen. Ich unterlasse es jetzt, auf seine Einzelbemerkungen einzugehen, namentlich bezüglich der Gestaltung des Lehrlingswesens, und will in dieser Beziehung nur bemerken, daß von dem Lehrlingswesen in dem Gesetzentwurf aus dem einfachen Grunde nicht die Rede ist, weil, wie ich schon hervorgehoben habe, die Handwerkerkammern noch keine Organe haben, um wirksam das Lehrlingswesen besorgen zu können. .

Abg. Freiherr Heyl zu Herrn sheim (nl. ): Ich verweise auf die Verhandlungen aus Anlaß der von mir im Januar eingebrachten Interpellation über die Handwerkerorganisation; schon damals war es klar, daß des Redeng auf diesem Gebiet jetzt genug ist, daß ge⸗ handelt werden muß. Mit einer begutachtenden Thätigkeit der Kam⸗ mern ist es nicht abgethan, sie muß auch eine verwaltende Thätigkeit werden. Die Organisation muß die Möglichkeit haben, finanzielle Mittel zu beschaffen and alle möglichen Einrichtungen zu treffen im Interesse des Handwerks. Eine abwehrende Stellung gegenüber dem vorzulegenden Entwurf hat man allerdings im Reichstag im Januar noch eingenommen; aber der Handwerkertag in Halle hat dagegen entschieden Stellung genommen. Es waren da durch die Delegirten E690 O99 korporierte Handwerker vertreten. Einstimmig hat man die Boetticher'schen Vorschläge abgelehnt, und die Berlepsch'schen Vor⸗ schläge fanden ziemlich , . Billigung. Die freien Gewerbe⸗ vereine, die in Süddeutschland bestehen, werden von Handwerker freunden dirigiert, sie können durchaus nicht als eine Ver- tretung des Handwerks gelten. Zwischen den freien Gewerbe⸗ vereinen und den Innungen bestehen eigentlich keine Mei⸗ nungsverschiedenheiten bezüglich der Berlepsch'schen Entwürfe, mit Ausnahme des einen Punktes, ob freie Innungen oder Zwangs⸗ innungen geschaffen werden sollen. Meine . sind der Meinung, daß der Befähigungs nachweis, welcher die Gewerbefreiheit einschränkt, für Deutschland unmöglich ist; aber ich glaube, dah die Organisation ohne Befähigungs nachweis auch durchführbar ist. Wenn wir so nahe einer Verständigung sind, ist es schwer, über eine Vorlage, wie sie hier eingebracht ö zu verhandeln, welche eine Musterkarte ver⸗ schiedenartiger Handwerkskammern und eine Musterkarte bezüglich der Unterscheidung zwischen Handwerk und Fabrikbetrieb schaffen wurde. Die , , ., werden vielleicht noch gar nicht bestehen, wenn die Berlepsch'sche Vorlage eingebracht sein wird. Deshalb ist meine Fraktion nicht in der Lage, für die Vorlage zu stimmen, sie müßte denn so umgearbeitet werden, daß die Kammern in der dauernden Organisatign des Handwerks eine Stelle finden, wenn ihnen eine dr, Thätigkeit bezüglich des Lehrlingswesens u. s. w. gegeben würde.

Abg. Reißhaus (Soz): Die Regierung und alle Parteien wollen dem Handwerk helfen; aber keiner weiß, wie. Die Borlage ist auch wohl nur eine Beruhigung für diejenigen , wel ebenso gut schreien können, wie die Agrarier. Ein Schauspiel für Götter ist es, wenn man sieht, wie die , , . welche das Dandwerk vernichten, sich hier erwärmen fur die Organifation des Dandwerks. Wer ist denn Handwerker? Der Hausindustrielle? Der Tischler, der für das Magazin arbeitet? Darüber schweigt sich die Vorlage aus. Die Handwerkskammern werden die Aufsaugung des Dandwerks durch die Großindustrie auch nicht aufhalten können. Die , leben ja meistens überhaupt nur noch von der Aus⸗ Eutung der Lehrlinge; es giebt z. B. bei den Barbieren und n,. fast halb jo viel Lehrlinge als selbständige Meister und

ehilfen, und ähnlich liegt es bei anderen zünftigen Handwerkern. In DOesterreich hat man die Handwerkerorganisation durchgeführt, aber die Wünsche der Handwerker find nicht in Erfüllung gegangen. Wenn die Handwerkskammern geeignet wären, das Handwerk vom Untergang zu retten, so wären wir die letzten, die dagegen stimmen würden. Wir haben kein Interesse daran, den Handwerkern die Hilfe ju versagen. Wir sind aber der Ueberzeugung, daß alle Mittel nichts helfen, deshalb versprechen wir den Dandwerkern auch nichts. Wenn die Regierung Auskunft haben will durch die Handwerkskammern, dann soll sie nicht bloß die Meister, sondern auch die Gesellen fragen. Man sollte den Arbeitern nur das . freie Koalitionsrecht gewähren: ein solches ist jetzt nicht . , Alle Arbeiterorganisationen werden verfolgt, aufgelsst und

aniert.

Abg. Jakobskötter (d. kons.): Ich babe niemals irgend einem dandwerker versprochen, daß nur durch Zwangsorganisation, Befãbigungs- nachweis ꝛc. seine Lage verbessert werden könne. Wir stellen unsere orderungen im Interesse der Ordnung, ohne davon das Glück der nr e e güne, zu machen. Gegen die Großindustrie wird das

dwerk nichts ausrichten können. Von einer Ausbeutung der Lehr⸗ 26 ann durchaus nicht gesprochen werden. Allerdings sind bei den

lossern die Lehrlinge zablreicher als die Meister; aber das liegt Aran, daß die 5 32 als Gehilfen in die Fabriken gehen. Solche Zuftände wie in Se erreich wollen wir 2 1afen . ebrigens sollen zuch einzelne Druckereien in fozlaldemoßratischen Händen feln, und da ol es mit den Lehrlingen auch nicht immmer zum besten stehen. Die größten Feinde des Handwerkz sind die großen Magazine, welche im Vorwärts‘ annoncieren, und die Fachvereine, welche den Hand= werkern das Leben schwer machen. Bensglich der Vorlage befinde ich mich in vollster Uebereinstimmung mit den anderen Vor⸗

alten wir unsere Regierung . viel zu vernünftig.

rednern: mit . von Heyl. Der dwerkertag in Halle hat sich even o wie der Handwerkertag in 3 auf denselben Standpunkt gestellt; niemand wollte von dieser Vorlage etwag wissen; nach den vorjährigen Versprechungen hatte man von der Regierung etwas Anderes erwartet. Warum will man Et erst alle Interefsenten hören? Wo bat sich denn ein iderspruch erhoben gegen die Forderungen des Handwerks? In der Provinz Brandenburg besteht ja noch eine Hand werkerkammer; warum hat man diese nicht um ihr Gutachten befragt? Wie noth—= wendig ist die Ordnung des Lehrlingswesens, auf welchem Gebiete die größte Anarchie herrscht. Die Fortbildungsschulen sind allerdings den Meistern nicht angenehm, weil diese nicht nur die Lehrlinge aus der Arbeit fortlaffen, sendern auch das Schulgeld bezahlen müässen. Anderersejts haben die Innungen oft genug große Fachschulen ein- gerichtet; ich verweise auf die Tischler Fachschule in Magdeburg, welche * auch von der Gemeinde unterstützt wird. Ich würde es lieber sehen, wenn die anderweitigen Vorschläge, welche im Juli bereits einer Konferenz vorgelegt sind, zur Berathung gestellt wären. Diese Vorlage in einer Kommission zu berathen, dafür sehe ich keinen Grund ein; denn ich weiß nicht, wie wir sie verbessern sollen. Höchstens würde eine Kommission dann am Platze sein, wenn uns die in Aus—= sicht gestellte Vorlage noch in dieser Session vorgelegt würde. Diese Vorlage verwirft der gesammte Handwerkerstand, deshalb müffen wir sie ablehnen.

Staatssekretär des Innern, Staats-Minister Dr. von Boetticher:

Der Herr Vorredner hat von mir ausdrücklich eine Erklärung in Bezug auf die definitive Vorlage provoziert, die in Aussicht steht, weshalb ich mich für verpflichtet halten muß, auf diese Provokation zu antworten. Mir scheint, daß das Votum, das der Herr Vor⸗ redner bezüglich der igeschäftlichen Behandlung abgeben will, doch nicht recht schlüssig ist. Nach der ursprünglichen Stellung, die er dieser Vorlage gegenüber eingenommen und die er dahin präzisiert hat, daß er ihr nicht feindlich gegenübergestanden habe, daß er sogar dazu übergegangen sei, sie in Handwerkerkreisen zu vertreten ich sage, nach dieser Haltung scheint es mir doch nicht so recht schlüssig zu sein, jetzt die Vorlage einfach in den Brunnen zu werfen. Meine Herren, daß die Handwerkerkreise von dieser Vorlage nicht allgemein befriedigt sein würden, haben wir uns vorher gesagt, weil eben die Wünsche der Handwerker sehr viel weiter gehen. Deshalb aber glaubten wir doch nicht, diese Vorlage unterlassen zu sollen, weil wir gerade im Gegensatz zu der Anschauung, die dem Herrn Vorredner aus Handwerkerkreisen zugänglich ist, diese Vorlage als ein ex pediens, das heißt als ein Förderungsmittel, für die Lösung der Organisations⸗ frage ansehen zu sollen glaubten. Dieser Standpunkt, das betone ich, ist noch von keiner Seite widerlegt.

Der Herr Vorredner ist darauf zurückgekommen, die Befürchtung auszusprechen, daß durch diese Vorlage eine Verschleppung eintreten würde. Nun, ich habe Ihnen bereits gesagt, daß die Arbeiten auf Her⸗ stellung des definitiven Organisationsgesetzes gefördert werden, ernst⸗ lich und kräftig gefördert werden; ich habe Ihnen weiter gesagt, daß ein bestimmter Zeitpunkt, wann sie zum Abschluß kommen, sich nicht angeben läßt, und daß die günstigste Rechnung, die man in dieser Beziehung aufstellen kann, etwa auf die erste Hälfte oder die Mitte des Monats März hinweist, zu welcher Zeit eventuell die Vorlage an den Reichstag kommen könnte.

Meine Herren, wenn der Herr Vorredner die Frage aufgeworfen hat: Weshalb hat man die Vorschläge des Herrn Ministers von Berlepsch, die der Handwerkerversammlung im Juni d. J. vorgelegen haben, uns nicht vorgelegt, so habe ich darauf ganz einfach zu erwidern: Diese Vorschläge waren erst ein vorläufiger Entwurf, der dazu bestimmt war, nach Maßgabe des Ausfalls der Beurthei⸗ lung, der Revision unterzogen zu werden. Weshalb diese Revision nicht vor Zusammentritt des Reichstags hat beendet werden können, habe ich bei meinem ersten Vortrag heute auszusprechen mir erlaubt. Ich habe den Herren gesagt, daß die Stichproben. Enquste erst vor wenigen Tagen zum Abschluß gekommen ist.

Nun liegt die Sache ganz einfach so, und ich möchte die Herren wirklich bitten, das festzuhalten: wir sehen nach wie vor die gegenwärtige Vorlage als einen ersten Schritt, wie es die Thronrede bejeichnet hat, zur Eröffnung der Organisation an. Wir sind weit entfernt davon, verschleppen zu wollen; wir wissen nicht mit Be⸗ stimmtheit, wann wir dem Reichstag wegen der definitiven Organi⸗ sation Vorschläge machen können, und deshalb ist es unsere Absicht, obne Aufschub der Arbeiten für die definitive Organisation die gegen⸗ wärtige Vorlage zu bringen, welche uns gleichzeitig und das ist der zweite Schwerpunkt ein Organ schafft das wir demnächst bei der Durchführung der Organisation zweckmäßig verwenden können. Also, meine Herren, wenn Sie die Vorlage jetzt ablehnen, so wird in Bejzug auf den Fortgang der Arbeiten für das definitive Gesetz zwar nichts geändert (Heiterkeit rechts), das ist richtig, der Fortgang dieser Arbeiten wird jedenfalls nicht beeinträchtigt. Allein, wenn sich im Laufe dieser Arbeiten die Nothwendigkeit oder Nützlich keit herausstellen sollte, den Handwerkerstand durch autoritative Organe zu hören, so werden wir, wenn Sie die Vorlage annehmen, solche Organe haben; wir werden sie aber nicht haben, wenn Sie die Vorlage ablehnen.

Sie haben nun kein Vertrauen zu dieser Organisation; weshalb haben Sie es nicht? Weshalb soll es nicht möglich sein, daß den Anschauungen, die Sie als ein Angehöriger des korporierten Handwerks vertreten, auch in diesen Organen Geltung verschafft wird? Auf der anderen Seite werden Sie als billig denkende Herren doch auch zugeben, daß diejenigen, die anderer Meinung sind, zum Worte kommen müssen. Also die Sache liegt ganz einfach so: Sie leisten durch Annahme der Vorlage meiner Meinung nach unseren Arbeiten eine Förderung und thun etwas, was zur Klärung der ganzen Sache nützlich ist. Wenn mir entgegengehalten wird: die Sache ist ja geklärt, wir sind ganz einig darüber, wir wollen die Berlepsch'schen Vorschläge haben so erwidere ich, daß diese Vorschläge heute noch keineswegs feststehen, sondern daß dies vorläufig Vorschläge sind, die noch der weiteren Klärung an der Hand des Materials, das wir besitzen, bedürfen.

Abg. Fischbeck (irs. Vp: Ich erlläre namens meiner Freunde,

daß sie auch nicht für die Vorlage stimmen können. Die Regie rung hat erklärt, 6. sie sich auf die

große Zahl der Handwerker stützen wolle, nicht auf die Mehrheitsparteien diefes Hauses, nicht auf die Schreier, welche immer wieder in den Innungeversammlungen für die Zwangsorganisation eintreten. Die Vorlage hat keinen provisorischen Charakter, es sind den Kammern auch dauernde Aufgaben übertragen. Wenn die Handwerkskammern allgemein gültige Vorschriften über Lehrlingswesen u. s. w. erlassen sollen, dann müssen auch die Gesellen darin vertreten sein. Wie soll denn eine Scheidegrenze gezogen werden zwischen Handwerk und Groß⸗ betrieb? Warum sollen den Innungen in den Handwerkerkammern besondere Vorrechte eingeräumt werden? Warum sollen die Staats.

behörden so eingehende Auffichtsbefugnisse ausüben? Wir glauben, „wenn wir auf dem von uns betretenen e weitergehen, wir dennoch die vernunftigen Handwerker auf unserer Seite werden.

Abg. Marbe (Zentr.) empfieblt die Verweisung der Vorlage an eine Kommission, nicht um * bloß abzulehnen, sondern um die Grundlage für eine bessere Vorlage zu schaffen. Von einer solchen auch nur vorläufigen Organisation wollten die Handwerker in Süddeutschland nichts wissen. Erst vor wenigen Jahren habe die Regierung anerkannt, daß eine Organisation des Handwerks noth⸗ wendig sei. Wäre das ndwerk in den letzten dreißig Jahren vernünftig organisiert gew len, so hätte die falsche Organisation der Soʒialdemokratie nicht aufkommen können. Redner stellt ferner für die Kommissionsperhandlungen eine Resolution in Aussicht, die unter Ablehnung des Gesetzentwurfs eine örtliche Organisation des Hand⸗ werks als Unterbau einer weiteren Handwerkervertretung fordert. Wenn, so schloß seine Rede, das Handwerk gefördert werden soll, warum will man nicht für das Handwerk ebenso gut wie für die höheren Berufsstände den Befãhigungsnachweis einfũhren?

Abg. von Wolszlegier⸗-Gilgenburg bezeichnet die Vorlage

namens der Polen ebenfalls als unannehmbar, weil sie zu wen biete. Gesprochen und geschrieben sei genug. es müͤsse jetzt wil etwas für das Handwerk gethan werden. Die Handwerkskammern würden schließlich nur neue Schreiberei mit sich bringen; sie feien überflüssig, weil sie nur provisorisch sein sollen. Die polnischen Handwerker würden niemals in die Lage kommen, ihre Wünsche aus. zusprechen, es müßte denn die Bestimmung getroffen werden, daß in Gegenden mit gemischter Sprache unbedingt Vertreter beider Sprachen dorhanden sein müßten. Er sei nicht der Meinung der Sozialdemokraten, daß dem Mittelstande nicht mehr zu heffen fei, er halte das für möglich und deshalb wolle er für die Kommiffions⸗ , , stimmen und sich noch nicht gegen den Gesetzentwurf aus= prechen. Abg. Iskraut (Deutsch soz Ref-P.): Bis jetzt hat keine einzelne Partei sich günstig zu der Vorlage gestellt; nur von der frei⸗ sinnigen Volkepartei, welche die energische Gegnerin der Bestrebungen der dwerker ist, ist Herr von Boetticher gelobt worden. Nicht wegen der Krisen, die darüber entstanden sein 5 ist die Vorlage merkwürdig, sondern weil die Vorlage die Unmöglichkeit ausdrückt, die Schäden, welche beseitigt werden follen, zu heben. Die Vorlage begegnet ebensowenig Sympathien wie die Umsturzvorlage. Für mich befindet sich die Regierung in einer tragischen Lage, weil sie, auf dem Boden der liberalen manchesterlichen Theorien flehend, dennoch nicht der Landwirthschaft und dem Handwerk helfen kann gegenüber den kommunistischen Bestrebungen. Nicht einmal die nationalliberale Partei will die Vorlage unterstützen. Wenn die Regierung der Land- wirthschaft hilflos gegenübersteht, so verstehe ich diese Hilflosigteit nicht gegenüber dem Handwerk, dessen Geschichte den Weg zur Hilfe zeigt. Das Handwerk muß zur Verwaltung kommen, das heißt zur obligatorischen Innung mit dem Befähigungsnachweis. Wir haben überall di Zwangsselbstverwaltung in Kirche und Gemeinde; warum nicht für das Handwerk? Was soll der staatliche TLommissar? Da, wo die Beamten die Verwaltung geführt haben, ist mehr zerwastet als verwaltet worden. Die Erziehung des Handwerks kann nur durch das Handwerk selbst erfolgen, durch die Zwangsinnungen. Wozu sollen erst die Kammern gebildet werden? Um rie Wünsche der Handwerker kund zu geben! Das ist eine merkwürdige Bescheidenheit der Regierung, die doch sehr wohl weiß, was die Handwerker wsllen. Die Handwerker sind und zwar nicht bloß die eigentlichen Zunftler alle der Meinung, daß der jüdische Einfluß auf das wirihschaftliche Leben zurückgedrängt werden müsse. Wenn die Regierung nichts machen kann, dann kommt sie mit einer Kammer: der Landwirth⸗ schaftẽkammer, Handelskammer, Handwerkskammer. Die Männer, welche an der Arbeit stehen, verlangen nicht in eine Kammer einge⸗ sperrt zu werden. Für die Arbeiten innerhalb des Handwerks würde der Entwurf keinen Erfolg haben; er würde nur einen größeren Ver⸗ brauch von Papier zur Folge haben. Einen solchen Entwurf sollte man dem Handwerk nicht aufzwingen. Der ganze Entwurf kommt mir so minderwerthig vor, daß ich es nicht für nöthig halte, über die einzelnen Bestimmungen zu sprechen. Der Herr Staatssekretär wird jetzt wohl selbst die Empfindung haben, daß er damit den einstimmigen Widerspruch der mit dem Handwerk in Verbin⸗ dung Stehenden gefunden hat. Seit 15 Jahren sind von der Regierung die bündigsten Versprechungen gegeben, und das ganze Ergebniß war bisher nur diese Vorlage. Daß die Heimarbeiter, so⸗ weit sie Handwerker sind, in die Organssation hineingenommen werden müssen, ist selbstoerständlich. Aber ich verstebe nicht, wie man Leute, die von der Organisation des Handwerks nichts wissen wollen, fragen will über die Art dieser Organisation. Wenn Herrn von Boetticher Zustimmungen zugegangen sind von Gewerbekammern, so wird mir mitgetheilt, daß diese Kammern zam größten Theil aus Kauf- leuten, Fabrikanten und nur zum geringsten Theil aus wirklichen Hand= werkern bestehen. Den Handwerke kammern sollen auch Sachverstaͤndige zugeordnet werden. Sollen das die jüdischen Inhaber der Kleider⸗ und Schuhwaarenbazare sein, die Leute, welche ihre Geschäfte rein kauf⸗ männisch betreiben? Ich glaube nicht, daß diese Vorlage die Wiege ist, in welcher das Glück des Handwerks sich befindet, und fordere daher die einstimmige Ablehnung im Plenum.

Schluß 4 / Uhr. Nächste Sitzung Dienstag 1 Uhr.

Stati stik und Volkswirthschaft.

Ueber die Ergebnisse der Rekruten⸗Prüfungen im Deutschen Reich enthält das Ende November d. J. ausgegebene vierte Viertel- jahrsheft zur Statistik des Deutschen Reichs Nachweise für das . jahr 1894 95. Danach hatten von den 266 142 Rekruten, welche in die Armee und Marine eingestellt wurden, 254 301 Schulbildung in deutscher Sprache, 1279 Schulbildung nur in fremder Sprache und o62? waren ohne Schulbidung, d. b. konnten in feiner Sprache ge⸗ nügend lesen oder ihren Vor und Familiennamen leserlich schreiben.

In Prozenten der Gesammtzahl aller Eingestellten betrug die Zahl derjenigen, welche weder lesen noch ihren Namen schreiben konnten,

im Ersatzjahre 1884/85 1,B,21 1888/89 960 1892/93 0, 38 1885/86 198 1889/90 951 1893394 024 1886/87 072 189091 054 1894,95 022 s ö 188788 071 1891392 0,45

Stellt man für die Bezirke, von welchen die meisten Mann⸗ schaften ohne Schulbildung gestellt wurden, das erste und daß letzte der vorstehend genannten Jahre gegenüber, so kamen Analphabeien auf je 100 eingestellte Rekruten in den Regierungsbezirken:

1884/85 1894/95 Marienwerder. osen

Danzig Cönigsberg .. Bromberg

Ueberall ist also eine sehr bedeutende Besserung zu bemerken; am stärksten ist die Verminderung der Eingestellten ohne Schulbildung in Bromberg. Marienwerder, Posen und Gumbinnen.

Im Königreich Preußen waren von dem im Ersatzjahre 1894335 in das Landheer eingestellten 149 330 Rekruten, nach einer im Nopemberheft des Zentralblatts für die gesammte Unterrichts Verwaltung gegebenen Uebersicht, ohne Schulbildung 490 oder O 33 ,, von den in der Kaiserlichen Marine eingestellten 5408 Mann 2l oder O39 0, im Ganzen von 1655 358 Mann 511 oder O. 33 o, wäh⸗ rend die Zahl im Jahre 1876s77 noch 2960/9 betrug. Für die einzelnen Provinzen ergeben sich folgende Verhältnißzablen von Analphabeten unter den bei dem Landheere und der Marine eingestellten Rekruten: Ostpreußen O9 oM (im Jahre 1376/77 noch 745 06, Westpreußen 123 (1046), Brandenburg OO (067), Pommern O12 8h Posen 6 5s (13 oo). Schlesien a3 (z5I), Sachfen Goh ( 6