1896 / 19 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 21 Jan 1896 18:00:01 GMT) scan diff

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Rleischer, der Wollschafrüchter, der Schneider, berechtigt, das selbe zu verlangen. Widerspruch darüber kann gar kein Zweifel

Meine Herren, Nun werden Sie mir vielleicht entgegnen: ja, das jetzige Gesetz der Preisbildung Angebot und Nachfrage, hat bedenkliche Folgen gezeitigt, sodaß es beseitigt werden muß. Meine Herren, das bestreite ich. An jede menschliche Ginrichtung, an jedes menschliche und wirthschaftliche Gesetz knüpfen sich hin und wieder Auswüchse, und die Auswüchse muß man beseitigen. Es be⸗ zweckt dies beispielsweise das Börsengesetz und eine Reihe anderer Maßnahmen. Man muß aber nicht das Kind mit dem Bade aus schütten und die ganze Privatwirthschaft beseitigen wollen. Man bereitet den sozialen Staat vor, wenn man von Staatswegen die Preisbildung für die wichtigsten menschlichen Nahrungsmittel einführt. Nun, meine Herren, lege ich mir folgende Frage vor: der Zweck des Antrags ist also: Hebung der Getreidepreise und dadurch Er= reichung der Beseitigung der landwirthschaftlichen Krisiz. Meine Herren, ist denn die Krisis in der Landwirthschaft Folge der gesunkenen Preise? Das bestreite ich ganz entschieden. (Hört! hört! links.) Die Krisis hat bereits zu einer Zeit begonnen, wo wir günstigere Preise für die Landwirthschaft hatten, günstiger, als sie der Antrag Kanitz schaffen will. Schon vor Jahren, meine Herren, hat sich der Deutsche Land⸗ wirthschafterath, als wir noch eine durchaus günstige Preisbildung hatten, damit beschäftigt, die Ursachen der landwirthschaftlichen Krisis zu finden. Ich bestreite die Einwirkung der sinkenden Preise auf die Landwirth⸗ schaft, auf die kritische Lage der Landwirthschaft, keineswegs; aber ich bestreite, daß Sie dadurch, daß Sie die Preise steigern, die Krisis eilen. Die Krisis ist dadurch, daß neben den latenten Ursachen nun auch das Sinken der Preise eintrat, zu einer akuten geworden; die Ursache der Krisis liegt aber nicht in der Preisbildung. ;

Und nun wende ich mich zu einer Aeußerung, die Herr Graf von Kanitz gestern gethan hat. Wenn ich recht gehört habe, hat der Herr Graf gesagt: ich glaube, daß wir die gegenwärtigen sinkenden Preise noch lange behalten werden. Aber den Beweis für diese Behauptung hat der Herr Graf nicht angetreten. Dem gegenüber sage ich: ich glaube nicht, daß der Niedergang der gegenwärtigen Preise ein dauernder ist, und ich will wenigftens versuchen, für diese meine An⸗ schauung Beweis zu erbringen.

Meine Herren, aus den vielen bei der landwirthschaftlichen Ver⸗ waltung einlaufenden Nachrichten über die Anbaustatistik im In. und Ausland geht hervor, daß, weil der Preisniedergang überall in der ganzen Welt sich geltend macht, der Anbau don Getreide in der ganzen Welt Rückschritte macht. Bestimmt behaupte ich das be⸗ züglich des Getreideanbaues in Amerlka. (Hört! hört! links) Auch in Argentinien soll ein Rückgang stattfinden. Daß in Deutsch⸗ land die Anbauflächen für Getreide wesentlich zurückgegangen sind, ist

mweifellos, weil die Landwirthschaft sich so viel wie möglich auf eine

andere Produktion als gerade die des Körnerbaues legt. Daraus, meine Herren, folgt, daß das Getreideangebot abnimmt.

Dann, meine Herren, kommt ein fernerer Umstand in Betracht. Es ift eine bekannte Thatsache, daß wir seit einer Reihe von Jahren in der bei weitem größeren Mehrzahl der Länder sehr günstige Ernten gehabt haben. Der Ueberschuß ist nach den mir vorliegenden Nach⸗ richten beseitigt; wir haben nicht mit großen Ueberschüssen an Ge⸗ treide mehr zu rechnen. Auch das bewirkt eine Verminderung des Angebots. Noch ein anderer Umstand kommt in Betracht. Es steht fest, daß jedes neue Jahr für hinzukommende 4 Millionen Menschen auf der ganzen Welt die erforderlichen Nahrungsmittel mehr schaffen muß und daß dies auf die Konsumtion einen erheblichen Einfluß äußert, und da ist Deutschland mit einer halben Million betheiligt; dies ist doch auch unbestreitbar. Dann kommen auch die Natur⸗ verhältnifsse in Betracht. Ich erinnere an das Jahr 1892, in welchem wir aus den niedrigsten Preisen mit einmal, allerdings nur auf kurze Zeit, auf abnorme Preise gekommen sind.

Meine Herren, ganz unwiderlegbar erscheint mir, daß, wenn die Ursache der landwirthschaftlichen Krisis nicht allein die niedrige Preis⸗ bildung ist, Sie die landwirthschaftliche Krisis auch nicht allein durch Hebung der Preise heilen können. (Zuruf bei den Antisemiten.) Meine Herren, ich bin der Ansicht, daß die niedrige Preisbildung nicht allein der Grund der landwirthschaftlichen Nothlage ist, daß daher durch Annahme des Antrags Kanitz allein die Nothlage also auch nicht gehoben wird.

Nun, meine Herren, man beliebt und anscheinend will Herr Graf Mirbach etwas Aehnliches sagen mir, so oft ich genöthigt bin, über agrarische Fragen mich zu äußern, was in der Regel gerade nicht angenehm ist (Heiterkeit, man beliebt mir vorzuhalten: du weißt nur kleine Mittel zur Hilfe für die Landwirthschaft vorzuschlagen, und die helfen nicht. Meine Herren, mit den sogenannten kleinen Mitteln kann man sehr wohl auf die Preisbildung des Getreides einen erheblichen Einfluß üben. Ich erinnere an die Auf⸗ hebung des Identitãtsnachweises, durch welche eine wesentliche Ver⸗ schiebung der bisher ungünstigen Preisbildung im Osten zu Gunsten der östlichen Landwirthschaft eingetreten ist. (Sehr richtig! aus der Mitte.) Die Beseitigung der Transitläger wird voraussichtlich die Preisbildung ebenfalls günstig beeinflussen. Durch Eisenbahntarife, durch Verbesserung der Verkehrsmittel, durch den Bau der Kleinbahnen u. s. w. kann man die Preisbildung günstiger gestalten. Wenn man die Produktions⸗ kosten vermindert und man steigert die Produktion, so erwirkt auch das Erhöhung des landwirthschaftlichen Reinertrags. Denn nicht auf die Höhe des Preises kommt es an, sondern darauf, mit welchen Pro⸗ duktionskosten man bestimmte Quantitäten Getreide hervorbringt. Zweifellos ist es, daß Jahre mit schlechten Ernten die höchsten Preise bringen; dann pflegt es aber der Landwirthschaft am schlechtesten zu gehen. Das beweist auch, daß die Preisbildung nicht allein für die Lage der Landwirthschaft entscheidend ist. Nun, meine Herren, zu den von mir berührten Maßnahmen zur Beseitigung der landwirth⸗ schaftlichen Nothlage werden eine Reihe anderer Maßnahmen hinzu⸗ treten, welche theilweise berelts in der Diskussion gestreift sind, die aber vorzutragen Ihre Zeit zu sehr in Anspruch nehmen würde, und ihre Darlegung gehört auch kaum vor den Reichstag. Sie liegen zum theil auf dem Gebiete der Verwaltung, zum theil auf dem Gebiete der Reichsgesetzgebung, wie beispielzweise das Börsengesetz, das Zucker⸗ steuergesetz, das Branntweinsteuergesetz; zum theil gehören sie zum Gebiet der preußischen Gesetzgebung. Es erscheint mir nicht richtig, einem Minister, welcher den besten Willen hat, der Landwirthschaft zu helfen, der glaubt, redlich seine Pflicht gethan zu haben, der meint, daß er in kurzer Zeit schon manches Werthvolle für die Land wirthschaft mehr erreicht hat, seine Arbeit dadurch zu erschweren,

daß man seine Maßnahmen fortwährend als kleine, unwirksame Mittel darstellt und in weitesten Kreisen den Glauben verbreitet, nur durch den Antrag Kanitz und durch die Wãährungsfrage

begegnet man in den Organen des Bundes aber tãglich. Meine Herren, damit ist der Landwirthschaft wenigstens zur Zeit nicht zu helfen, da beide Mittel nicht durchzuführen sind, und wenn dies der Fall wäre, auch die schnelle Hilfe nicht gewähren könnten. Wenn die Währungsfrage im Sinne des Herrn Grafen Mirbach zur Zeit zu lösen wäre, so könnte das doch von heute zu morgen nicht geschehen. Wenn Sie den Antrag Kanitz heute annehmen, wird dann, wie es der Bund der Landwirthe darstellt, sofortige Hebung der Preise er⸗ folgen? Der Antrag muß doch erst Gesetz werden, das ergangene Gesetz muß ausgeführt werden.

Die Einrichtung einer großen Monoolverwaltung nach Maßgabe eines Ihrem Antrage entsprechenden Gesetzes, wenn auch der gegen wärtige Reichstag alle dafür erforderlichen Unterlagen feststellte, würde doch nicht von heute zu morgen ausgeführt werden. Mit der Währungsfrage liegt die Sache ähnlich. Schnelle Hilfe kann man mit beiden Mitteln nicht bringen.

Meine Herren, ich erkenne den unermüdlichen Fleiß, die stets objektive Behandlung, die Ueberzeugungstreue, den treuen Wunsch des Grafen Kanitz, der Landwirthschaft zu helfen, im vollsten Umfange an. Aber, meine Herren, einen Vorwurf kann ich dem Herrn Grafen Kanitz nicht ersparen: ich bin gestern wie stets seinen Darlegungen mit großer Aufmerksamkeit gefolgt, weil ich bei jeder neuen Darlegung mich der Hoffnung hingab, es sei der Herr Graf Kanitz endlich in der Lage, genau darzulegen, wie er sich die Ausführung seiner Pläne bis ins Detail hinein vorstellt, mit welchen Ein⸗ richtungen und welchen Mitteln er den Zweck und Erfolg seines Antrags erreichen und sichern zu können glaubt. Ich habe die Stenogramme über die Kom missionsverhandlungen mit Fleiß und Eifer studiert, ich habe alle früheren Reden im Reichstag studiert, die gestrige Rede habe ich sorgsam verfolgt, zur Klarheit über die Wege, welche Graf Kanitz selbst für die Durchführung seines Vorschlags betreten würde, bin ich nicht gelangt. Vielleicht liegt das am Mangel an Verständniß des gegenwärtigen Landwirthschafts⸗Ministers. (Heiterkeit Den redlichen Willen habe ich jedenfalls gehabt, mit den mir zu Gebote stehenden Verstandeskräften mir ein klares Bild darüber zu ver schaffen; aber das ist mir, offen gestanden, nicht gelungen. Ich bestreite auch, daß die gepflogenen Verhandlungen nach der Richtung hin erschöpfend sind. In den Kommissionsverhandlungen ist von einer Seite darzulegen versucht worden, die Kosten der Monopolverwaltung würden jährlich 30 Millionen und mehr betragen. Näher auf diesen Punkt ist man nicht eingegangen. .

Ein sehr wesentlicher Punkt ist bisher noch garnicht berührt und das ist folgender. Glauben Sie, meine Herren, wenn Sie mit einem Schlage einem großen Theil unseres Handelsstandes den Erwerb nehmen oder schmälern, daß das ohne Entschädigung geschehen kann und darf? Ich erinnere daran, daß vielfach für das Gewerbe doch kostspielige An⸗ lagen, Speicher u. s. w. gemacht sind. Als man daran dachte, das Tabackmonopol einzuführen, ist doch zweifellos in der Monopolvorlage eine Entschädignng des Kaufmann und des Fabrikantenstandes in Autsicht genommen. Ich vermisse in den bisherigen Verhand⸗ lungen über den Antrag Kanitz auch nur Berührung der Frage. Der Graf von Kanitz meint, einen Theil der Getreidehändler bei der Monopolberwaltung wieder verwenden zu können, oder einen Theil zu Staatsbeamten machen zu können. Alle wird er doch nicht über- nehmen, allen doch nicht ihre Lagerräume abnehmen können! Aber damit ist doch die gestreifte Frage noch nicht gelöst. Ich will nicht unbedingt behaupten, daß der Handel einen Anspruch auf Entschädigung haben würde; aber es ist doch eine Lücke, daß diese Frage nicht einmal berührt ist.

Meine Herren, ich bin vielleicht schon viel zu weit in die Frage eingetreten, ich will noch auf einen Ausspruch des Herrn Bebel hinweisen, den er in der Kommission machte; er sagte: aus taktischen Gründen sind wir gegen den Antrag, aber daß der Antrag in den sozialistischen Staat hinüberführen wird, ist zweifellos. Ich möchte darauf hinweisen, daß in der Kreuz⸗gZeitung *, dem konservativsten Blatt in Preußen, vor kurzem ein Artlkel stand, der damit schließt, daß er ausführt: zum sozialistischen Staat gelangen wir doch, dann ist es um so besser, je rascher sich die Sache vollzieht. Es ist das etwa der Sinn des Schlußrefrains, mit welchem der von der Kreuz ⸗Zeitung laufgenom mene Artikel schließt. Auch in der gestrigen Debatte ist eine ähnliche Aeußerung auf der rechten Seite des Hauses gefallen, indem ausgeführt wurde, daß, wenn man das Ziel der Beseitigung der landwirthschaftlichen Nothlage erreiche, es doch nicht so gefährlich sei, wenn dann auch gegen den Beschluß sozialistische Bedenken erhoben werden können. Zu diesem Punkt gestatte ich mir noch eine kurze Bemerkung, die sich auf eine Aeußerung des Herrn Grafen Bismarck bezieht. Der Herr Graf hat ich glaube nicht zu irren den Antrag Kanitz als einen Nothbehelf be— zeichnet. Wenn ich darlegte, welche Schwierigkeiten der Antrag in der Ausführung hat, und welche prinzipiellen Bedenken dagegen vorliegen, mit welchen Schwierigkeiten, Kosten u. s. w. die Ausführung ver⸗ bunden sein würde, so halte ich es doch für bedenklich, einen Beschluß auszuführen, welchen man als Nothbehelf bezeichnet, der aber so ein⸗ schneidend wirken würde. (Sehr richtig! links.) = Nun, meine Herren, ich will damit schließen; aber ich halte mich doch verpflichtet, noch eine allgemeine Bemerkung hinzuzufügen. Meine Herren, die Frage, mit der wir uns hier beschaͤftigen, die Frage der Preisbildung, ist eine der schwierigsten volkswirthschaftlichen Fragen, die es giebt; ich glaube, mit Fug und Recht kann man sie als ein Problem bezeichnen. Dieses Problem, meine Herren, trägt man in die breiten unteren Schichten des Volks hinein, regt damit die weitesten Kreise der Bevölkerung auf. Und, meine Herren, das geschieht nicht in objektiver Weise, indem man auch die Schwierigkeiten der Lösung dieses Problems, dessen Konsequenzen darlegt; nein, meine Herren, der Bund der Landwirthe behandelt nicht so die Frage, er sagt vielmehr: wollt ihr höhere Preise haben, wir sind in der Lage sie euch zu verschaffen (hört! hört! links); wir werden schon die Regierung zwingen, euch die höheren Preise zu gewähren. Meine Herren, ich kenne auch Land und Leute in Preußen. Wenn Sie mit solch einem goldenen Regen in die Kreise der Landwirthschaft hineingehen, so sagt jeder: der Mann, der mir das gewähren kann, das ist mein Mann! (Sehr richtig! in der Mitte und links) Aber was denkt jeder im Stillen? Gott sei Lob und Dank,

haben wir doch in Preußen und in Deutschland noch verständige

Regie rungen, die prüfen, ob denn unser Wunsch auch ausführbar

sei der Landwirthschaft überall noch zu helfen. Solchen Darstellungen

ist, eb er uns nicht von Haus und Hof vertreibt, ob er

den sozialen Staat hineinführt; das zu verhüten, ist Aufgabe ö. Regierung, wir haben das Vertrauen: wenn wir auch beschließen, Derr von Ploetz voörschlägt, so wird die Regierung schon prüfen, wir damit etwas Thörichtes und uns selbst Schaden Zufgendeg be⸗ antragen. So liegt, meine Herren, die Sache einstweilen noch in weiten Kreisen der Bevölkerung. Aber, meine Herren, da der Glaube immer mehr um sich greift, die Regierung könne helfen, sie wo lle aber nicht helfen, woran die Agitation des Bundes die Schuld trägt, meine Herren, so liegt darin eine große Gefahr für unsere bestehende Wirthschafts⸗ und Gesellschaftsordnung. (Unruhe rechts. Sehr richtig links und in der Mitte)

Meine Herren, das Sprichwort sagt: wer Wind säet, der erntet

Sturm, und die Geister, die man ruft, die bannt man nicht so leicht wieder. Lernen Sie doch aus der Geschichte der Bauernkriege: die Bewegung nahm einen ähnlichen Anfang, man trug auch verkehrte Ideen ins Volk hinein, und es thut meinem preußischen und deutschen Herzen weh, daß so verfahren wird, und ich gebe mich der Hoffnung hin ähnlich hat sich hente auch Herr von Bennigsen ausgesprochen —, daß, wenn der Reichstag sich zu der großen That entschließt, nach zwei⸗ dreijährigen Berathungen den Antrag Kanitz mit großer Mehrheit abzulehnen, daß dann so viel Patriotismus besteht, daß die Agitation für Lösung dieses Problems, die geradezu gemeingefährlich ist (sehr wahr! links und in der Mitte, grohe Unruhe rechte), aufgegeben werde, daß wieder ruhiger und objektiver geprüft wird, wie der Nothlage der Landwirthschaft zu begegnen ist. Das ist die Pflicht jedes loyal denkenden Unterthanen und zwar be⸗ sonders in der jetzigen Zeit, wo wir wahrlich schon genug Zündstoff haben, der nicht noch von sogenannter konservativer Seite vermehrt werden sollte. (Sehr gut! links und in der Mitte. Lebhafter Wider. spruch rechts.)

Meine Herren, mit dieser Mahnung glaube ich meine Pflicht als guter Patriot erfüllt zu haben. Sollte ich durch dieses oder jenes Wort verletzend geworden sein (Guruf rechts), so lag dat nicht in meiner Absicht, aber es lag in der Sache, und als preußischer Minister habe ich mich für verpflichtet gehalten, unter den gegenwärtig bedenk, lichen Berhältnissen mich offen hier auszusprechen, wie die preußische

Regierung zu der Sache steht. (Lebhafter Beifall links und in der

Mitte. Zischen rechts.)

Auf die Rede des Abg. Herbert bemerkte der Staals⸗ Minister Freiherr von Hammerstein:

Meine Herren! Es ist mir von meinen Kollegen und ver— schiedenen anderen Herren gesagt, daß eine Aeußerung von mir so aufgefaßt worden sei, als habe ich der konservativen Partei alz solcher den Vorwurf gemacht, daß sie staatsgefährlich und ge⸗ meingefährlich in dieser Frage vorgegangen sei. Ich bin, weil mir das Stenogramm noch nicht vorliegt, noch nicht in der Lage, festzuftellenß, ob das. richtig, ob wirklich der ganze Zu⸗ sammenhang meiner Aeußerung diese Annahme rechtfertigt. Jedenfalls ist die Aeußerung so nicht gemeint gewesen. Ich habe sie nicht gegen die konservative Partei als solche gerichtet, sondern gegen die agitatorische Partei im Lande. (Sehr richtig! links. Widerspruch und Zuruf rechts.) Ich halte das nicht für zutreffend; ich habe im Gegentheil aus den Erklärungen des Bundes der Land— wirthe entnehmen müssen, daß er sich nicht mit der konservativen Partei deckt. Jedenfalls, meine Herren, stelle ich fest, daß ich die konservative Partei im preußischen Landtag und die konservative Partei im Deutschen Reichstag als solche mit meinen Aeußerungen nicht habe treffen wollen.

Dem Abg. Freiherrn von

A l Manteuffel entgegnete der Staats⸗Minister Freiherr von Hammerstein:

Meine Herren! Ich bestreite entschieden, daß ich gesagt habe, was Herr von Manteuffel eben behauptet; das Stenogramm weird das beweisen. Ich habe die Agitation mit dem Antrag Kanitz gemeint, und das wird das Stenogramm ausweisen. Jedenfalls ist das meine Absicht gewesen.

Nach Schluß der Debatte sagte der Staats⸗-Minister Frei⸗ herr von Hamm'erstein:

Ich bedaure, das Wort nehmen und die Diskussion noch einmal eröffnen zu müssen; aber ich bin dazu genöthigt, um eine Be— hauptung, die schon in der Deutschen Tageszeitung stand, und die beute hier unter Zeugniß des Herrn Abg. Hahn aufgestellt ist, als unwahr zu widerlegen. Ich habe allerdings an der konstituierenden Versammlung des Bundes der Landwirthe in Hannover theilgenommen, habe in der Versammlung aber ausdrücklich erklärt, daß ich es ab— lehnen müsse, dem Bund der Landwirthe beizutreten, weil weder meine Stellung als Landes-Direktor der Provinz Hannover noch als damaliger Vorsitzender des Landwirthschaftsraths mir erlaubte, in den Bund einzutreten. Ich will zugleich mittheilen, daß ich damals her— vorhob: den spontanen Zusammenschluß der Landwirthe zur Ver— tretung ihrer Interessen halte ich an sich und so lange für berechtigt, wie die Landwirthschaft eine loyale Vertretung nicht erlangt habe. Meine Herren, das ist auch heute noch meine Ansicht; gewarnt habe ich der Zeit schon davor, über das berechtigte Ziel hinauszugehen.

Deutscher Reichstag. 19. Sitzung vom 20. Januar, 1 Uhr.

Tagesordnung: Zweite ,, des Reichshaushalts⸗ Etats für 1896657, und zwar Etat' der Reichs⸗Post⸗ und Telegraphenverwaltung.

Die einleitende Rede des Staatssekretärs des Reichs⸗Postamts Dr. von Stephan hatte folgenden Wortlaut:

Geehrte Herren! Es ist ein harter Uebergang, nach den er⸗ hebenden Gedenktagen, die wir soeben in feierlicher Weise begangen haben, an die trockene Arbeit der Prüfung und Berathung des Haushaltsanschlags einer technischen Verwaltung zu gehen. Um diesen Uebergang in etwas zu glätten, möchte ich Sie um die Erlaubniß bitten, Ihnen in wenigen schmalen Umrissen ein Bild bon der Entwicklung zu geben, die seit der Entstehung des Reichs die größte Zivilverwaltung desselben und das ausgedehnteste nationale Verkehrs- und Kulturinstitut, welches ihr Objekt bildet, ge⸗ nommen hat.

Ich nehme dabei zum Ausgangepunkt selbstverständlich das Jahr 1870 im allgemeinen also 1870, mitunter jedoch ein etwas späteres Jahr, weil die Zahlen nicht von früherer Zeit vorliegen und als Endpunkt das Jahr 1835 und wende mich zunächst dem Gebiet der Ausbreitung der Verkehrsanlagen zu. Da ergiebt die

uhu

gnatistik Folgendes: Im Jahre J. der Begründung des Deutschen

also 1870, hatten wir 4520 Postanstalten, gegenwãrtig sich die Anzahl derselben auf 28 2563; es hat also ihre Zahl mehr als versechsfacht. Noch grõßer sst die Vermehrung gewesen bei den Telegraphenanstalten. Wir hesaßen im Jahre 1870 1078 Telegraphenanstalten und gegen⸗ wärtig 17 800. (Bravo! Es sind also die Telegraphenanstalten um das Siebenzehnfache vermehrt worden. Die Unfall— meldestellen, welche dem platten Lande bei Feuersbrünsten, unge⸗ wohnlichen Krankheiten u. s. w. große Dienste leisten, existiecten damals noch gar nicht; wir haben anfangs 1880 angefangen und ihre Anzahl beläuft sich gegenwärtig auf 8441, welche täglich fünfzigmal benutzt werden. Die Ausdehnung der Telegraphenleitungen, welche im Jahre 1870 81 800 km betrug, beläuft sich gegenwärtig auf 600 0090 Km, und die Anzahl der Telegraphenapparate, welche damals 2630 war, sst gegenwärtig 138 000, wobei allerdings die vielen Fernsprech⸗ wvarate des inzwischen eingeführten Telephonwesens in Betracht lommen.

Meine Herren, in keinem Lande Europas ist die Ausbreitung der Postanstalten und Telegraphenanstalten in demselben Maße vorge⸗ schritten, wie in Deutschland; auch in England nicht, was weit hinter uns zurücksteht. Nur in der Anzahl der Postanstalten über— tefft das Gebiet der Vereinigten Staaten von Amerika die deutsche postverwaltung, was selbstverständlich ist durch die um so viel sößere Ausdehnung des Gebietes der Vereinigten Staaten und durch en Umstand, daß man die Postanstalten in sehr viel einfacherer Form lält; man hat keine Packetbeförderung, keine Geldbeförderung; es verden überhaupt keine Briefsachen bestellt, jeder muß sie sch auf dem nächsten Postamt abholen und es folgt daraus, daß auf jeder einzelnen kleinen Station, in den einzelnen Wirthshäusern der Prairie bis Alaska und Oregon, Post⸗ stelen errichtet werden, welche wir eigentlich nicht zu den Postämtern zählen würden. Dieses Netz von Postanstalten breitet sich, wie Sie wissen, über das ganze Reich aus: von der Königsaue bis nach Hohenzollern, von den Schluchten der Vogesen bis hinauf in die Sümpfe der Masuren; ja, Sie finden noch auf den höchsten Bergspitzen Post⸗ und Telegraphenanstalten vertreten: von der Schnee⸗ koppe bis zum Feldberg im Schwarzwald und vom Belchen im Elsaß bis zum Brocken im Harz. Die Verbindungen reichen von der russischen Grenze bis unmittelbar vor die Thore von Basel, sowohl die poftalischen als die telegraphischen. Sie finden Postanstalten im Auslande, in Konstantinopel, in Shanghah und selbstverständlich in unseren sämmtlichen Kolonien, wo bereits eine große Anzahl von Postanstalten, und ein großer Theil davon mit Telegraphen versehen, eingerichtet worden ist. Die Leitungen, welche diese Anstalten derbinden, gehen durch die Luft, liegen unter der Erde, gehen durch das Wasser, durch Flüsse, Landseen, Sümpfe, durch die Ostsee und die Nordsee; sie gehen bis zu unsern einzelnen Inseln. Ja, als in diesem Jahre die feierliche Einweihung des Nordostsee⸗Kanals statt⸗ fand, von der ja die Mehrzahl der Herren Zeuge gewesen ist, da hoben ch in dem Augenblick, wo die fremden Flotten in die Kieler Bucht einfuhren und die Anker in die Tiefe sanken, die schlanken Leiber der Telegraphenkabel wie Najaden und Nereiden aus den Fluthen empor, und im nächften Augenblick konnten schon die Admirale der Flotten mit ihren Souveränen und Staatsoberhäuptern in Petersburg. London, Paris, Rom u. s. w. sprechen. Die damals gemachten Erfahrungen werden hoffentlich noch zu weiteren Ausgestaltungen führen im Ver⸗ kehr der Schiffe mit dem Festlande; es schweben darüber schon Grwägungen jwischen der Kaiserlichen Marineverwaltung und der Faiserlichen Postverwaltung.

Nun war uns aber vor allen Dingen um Folgendes zu thun. Wie ich die Ehre hatte, Ihnen zu sagen, besaßen wir im Jahre 870 etwa 4000 Postanstalten. Damit war für alle Städte, selbst für die allerkleinsten, dorfartigen, deren es in Polen z. B. mit 7. bis 80 Einwohnern giebt, gesorgt, auch für die großen Dörfer. Aber das flache Land ließ doch sehr viele Verkehrsanstalten vermissen, und es sind die 25 000 Postämter, die seit der Zeit eingerichtet worden sind, vorzugsweise vorgeschoben worden in das platte Land, um dessen Bedürfnisse zu befriedigen. Wir sind damit jetzt soweit gediehen, daß auf je sieben Dörfer im ganzen Gebiete der Reichspost eine Post⸗ anstalt bereits entfällt, und wenn wir mit der Zustimmung des Reichstags unter Bewilligung der etatsmäßigen Mittel in derselben Weise fortfahren können im jetzigen Etat geschieht es ja, wie Sie sehen: es sind hier einige hundert neue Postanstalten ausgebracht so denke ich, es wird mit der Zeit dahin kommen, daß jedes Dorf im Deutschen Reich seine eigene Post. und womöglich auch seine eigene Telegraphenanstalt hat, und damit wãre, man kann wirklich sagen, der ideale Zustand herbeigeführt.

Wir fanden damals auf dem platten Lande 8300 Landbrieftrãger dor; heutzutage beträgt die Zahl der Landbriefträger im Deutschen Reich über 28 000. (Hört! hört! Es sind, wie Sie alle wissen, sehr erhebliche Mittel darauf verwendet worden, gerade die Verkehrsbedürfnisse des platten Landes zu befriedigen. Es ist die zweimal tägliche Landbriefbestellung, auch die drei⸗ bis viermalige schon eingerichtet, ebenso haben wir fahrende Landbriefträger. Es sind eine Menge Posthilfsstellen auf dem platten Lande hergestellt worden, und ich kann mich dem anschließen ich habe hier eine der angesehensten Provinzialzeitungen, die Magdeburger Zeitung! was die darüber sagt:

Enorme Anstrengungen und Geldopfer werden von der Post⸗ verwaltung nicht gescheut, im Interesse der Landbeförderung Ver⸗ besserungen an dem im einzelnen so unscheinbaren, in der Ge⸗ sammtheit aber so riesigen Betriebs apparate: „der Landbriefträger⸗ tasche', vorzunehmen. Die vor mehreren Jahren begonnene Re—⸗ formation des Landpostdienstes schlägt mehr und mehr feste Wurzeln in dem Boden des praktischen Lebens. Bedeutendes ist schon geleistet worden noch einige Jahre, und das in der Geschichte der Post einzig dastehende große Werk ist vollendet.

Meine Herren, diese 28 000 Landbriefträger machen täglich einen Kreislauf von 60 obo km, das ist 14 mal der Umfang der Erde. Hot; Hört) Es ist in der That schade, daß man mit dem physi⸗·

n Auge nicht von einem einzelnen Punkte aus die ungeheure Kreit—

ewegung, die diese Leute machen, übersehen kann, wie sie gewisser⸗ maßen wie die Bienen oder Myrmidonen' des Postverkehrs durch die luchten der Vogesen, über die beschneiten Gipfel der Eifel, durch die Moore Ostfrieslands unermüdet gehen; das muß einen mit hoher

wesens, soweit in ihren Kräften stand, möglicht Vorschub geleistet

Frende erflllen, und man wird stol darauf sein, solcheg Jnftitut zu leiten.

Nun ist auf der anderen Seite aber auch das Land uns sehr entgegengekommen. Namentlich den Besitzern der Güter muß ich nachrühmen, daß ste den Einrichtungen des Post⸗ und Telegraphen⸗

haben. Allerdings kann ich auch manche Fälle vom Gegentheil mit⸗ theilen. Ich möchte da auf einen Unterschied zwischen Frankreich und Deutschland hinweisen. In Frankreich hat die Postverwaltung allgemein die Praxis, daß die Gemeinden zu den Kosten der Post⸗ anstalten herangejogen werden. Sie müssen die Lokale unentgeltlich hergeben und sogar einen Theil des Holzes für die Telegraphen⸗ stangen, außerdem noch einen Zuschuß jur Besoldung der Beamten. Das ist bei uns nicht der Fall, die Kosten werden lediglich aus den Einnahmen der Postverwaltung bestritten. Nichts destoweniger sind wir auf manche Schwierigkeiten gestohen. Ich habe hier den Bericht der Ober⸗-Postdirektion Minden, wonach vor einigen Jahren gelegentlich der Herstellung einer Post, und Tele— graphenanstalt in einem Dorf der Gemeinderath und Gemeindeausschuß die Genehmigung, die Telegraphenlinie durch das Dorf zu ziehen, einfach versagt hatte, und zwar mit der Begründung, daß das Zug⸗ vieh vor den aufgestellten Stangen scheuen werde, was leicht sehr üble Folgen nach sich ziehen konne. Nun ersuchten wir den Landrath, hier die Vermittlung zu übernehmen. Es gelang ihm aber nicht, und es mußte sogar die Vermittelung des Ober⸗Präsidenten ein⸗ treten, der endlich das Hinderniß aus dem Wege räumte. Seitdem besteht die Postanstalt dort, und der Telegraph geht durch das Dorf, ohne daß sich die Pferde und Ochsen irgendwie darum kümmern.

Einen anderen Protest hatten wir aus Ladenberg; nicht Laden⸗ berg am Odenwald, sondern ein anderes. Der Protest lautet:

Wir protestierten früher gegen Durchführung elektrischer Drähte durch unser Gebiet, weil dieselben für unser Leben und Eigenthum gefährlich und für unsere Felder schädlich sind. Jetzt aber, wo überall gedruckte Blätter herumgeschickt sind, in welchen jene Sache auf eine falsche entstellende Art beleuchtet wird, in welchen der Skribent die Flachheit seines Verstandes zur Schau stellt und sich dann erdreistet, uns Landleute, die wir von den Gesetzen der Natur durch tägliche Anschauung einen klaren gesunden Begriff haben, dumm und abergläubisch zu nennen, und eine Lebensfrage des Landmanns verspottet und bewitzelt, jetzt ist selbst der ruhigste aufs empörendste gereizt. Deshalb werden wir unsere Rechte aufs äußerste wahrnehmen, und nimmer zugeben, daß man elektrische Drähte durch unsere Felder zieht.“

Ja, meine Herren, es nöthigt uns das heute ein gewisses Lächeln ab; aber was werden Sie sagen, wenn ich Ihnen mittheile, daß ich ganz ähnliches erst vor 15 Jahren in unserer aufgeklärten Zeit erlebt habe, nämlich bei der Einrichtung der Fernsprechlinien in unseren großen Städten? Das stieß von vornherein auf großes Mißtrauen. Es hieß, es sei amerikanischer Humbug, ein neuer Schwindel und der⸗ gleichen. Dann kam der Einwand, damit wäre eine äußerst große Blitzgefahr verbunden für die Häuser, und wir haben große Schwierig keiten gehabt, der Ueberzeugung Eingang zu! verschaffen, daß im Gegentheil die Telephonnetze und Telephongestänge den Blitz ableiten und eine bessere Isolation als der Blitzableiter bieten. Damals war aber jene Ansicht ganz allgemein verbreitet. Natürlich die Zeitungen, die man in die Hand nahm, protestierten gegen die Anlegung von Telephonleitungen; es standen vielfach auch die Herren Blitzableiter⸗ fabrikanten im Hintergrunde, und es fand auch hier das bekannte Wort aus Molisre Platz: vous Stes orfevre, monsieur.

Da ich beim Fernsprechbetrieb bin, möchte ich diesen hier auch gleich einschalten. Er hat einen allgemeinen Aufschwung vor allen Dingen in Deutschland genommen. Kein Land der Erde ist so weit wie wir. Wir haben bereits Fernsprechanstalten an 434 Orten; Sie können denken, daß da schon ganz kleine Städte mit einbegriffen sind. Wir haben an interurbanen Verbindungen, also zwischen den einzelnen Städten, schon 50. Berlin allein bat 25 430 Fernsprech⸗ abonnenten; im ganzen Reich beläuft sich die Anzahl auf 110 000. Gegenwärtig kann von Berlin mit 250 Orten direkt gesprochen werden, von Memel bis nach Mülhausen im Elsaß. Es finden in Berlin täglich fast eine halbe Million Gespräche statt.

Nun denken Sie, meine Herren, zurück auf 20, 15 Jahre, wo das alles durch Boten oder Stadtbriefe besorgt wurde, wobei es im günstigsten Falle immer 2 Stunden dauerte, ehe man Antwort erhielt, unter ungünstigen Umständen 6 biz 8 Stunden. Welche kolossale Vermehrung in der Bewegung des großen Schwungrades des Verkehrs und der wirthschaftlichen Kräfte und Mächte zeigt sich allein in dieser Thatsache! Aehnlich ist es an anderen Orten. Hamburg hat bereits 10780 Fernsprechstellen, Dresden 4300, Breslau, Magde⸗ burg, Frankfurt a. M., Köln zwischen 1000 und 4000. Es werden tagtäglich eine sehr große Masse von Gesprächen im Deutschen Reich geführt; ich glaube, es sind 17 Millionen.

Außerdem sind Linien zum Gespräch auf lange Entfernungen eingerichtet worden. Wir haben Berlin und Wien in Verbindung gesetzt. Bekanntlich wird die österreichische Verwaltung mit gewohntem Entgegenkommen eine zweite Leitung bis an die Grenze bauen. Wir haben die entsprechende Leitung auf unserem Gebiete bereits fertig, so daß auch die Zwischenstationen Dresden, Prag und die rückliegenden Stationen Hamburg und Triest ebenso Pest in die Linie werden eingeschaltet werden, und man wird im nächsten Sommer von der Nordsee bis zum Adriatischen Meer, von Hamburg bis Triest sprechen können. Ebenso ist bereits fertig und seit Oktober im Betriebe die Linie mit Kopenhagen; es sprechen Hamburg und Berlin mit Kopenhagen durch die beiden Belte hindurch, und der Dienst geht durchaus pünktlich und zuverlässig. Ferner haben wir die Linie von Köln und Aachen nach Brüssel hergestellt, die weiter nach Berlin ausgedehnt werden kann. Das ist Sache der Beobachtung, wie der Verkehr sich entwickeln wird; die Drähte haben wir bereits angelegt. Endlich schwebt das interessante Projekt, die Verbindung mit Amsterdam; diese soll von Berlin, Hamburg und Bremen zunächst hergestellt werden. Wir haben uns mit der niederlãndischen Regierung in Verbindung gesetzt, und es ist auch der niederländischen Postverwaltung gelungen, von der Volksvertretung dort die Mittel bewilligt zu bekommen. Gleichzeitig hat die niederlãndische Verwaltung den guten Gedanken gehabt, ein Kabel direkt durch das Meer zu legen nach England, nach Dover, sodaß also die Möglichkeit in Aus- sicht steht, bereits im nächsten Herbst eine direkte Sprechverbindung

zwischen London und Berlin zu haben. (Bravo!) Die Niederlande

haben wir bereits uns gesichert, und die diesberiglichen Abkommen find alle getroffen. .

Nun möchte ich am Schluß dieses Kapitels von den Telephon

einrichtungen Ihre gütige Aufmerksamkeit noch darauf lenken, wie die

anderen Staaten sich im Licht gestanden haben, daß sie diesen ungeheuer

wichtigen Faktor des Verkehrswesens, das Fernsprechwesen, anfangs . den Privatgesellschaften überließen, während wir in Deutschland die

schärfste Front dagegen machten und sofort die Hand darauf legten. das als Monopol zu behandeln, obwohl uns damals das Gesetz nicht

zur Seite stand; aber wir erlangten das faktische Monopol, und den Gesellschaften wurde keine Konzesston ertheilt. Nun haben diese Lãnder: Frankreich, Oesterreich, Italien, mit den allerschwersten Opfern, mit

Millionen, die Privatgesellschaften, welche Jahre lang bestanden

hatten, verstaatlichen müssen. Das haben wir in Deutschland gespart,

dank unserem energischen Vorgehen und der festen Haltung gegenüber

sehr vielen Einflüssen, welche sich auf unsere Verwaltung geltend machten. Ich fühle mich gerade hier verpflichtet, meinen warmen

Dank der hohen Vertretung des deutschen Volks auszusprechen, welche uns das Telegraphengesetz bewilligte, für alle Zeiten die feste Schanze gegen alle Angriffe von jener Seite. durch diese bedeutende Ausdehnung des Fernsprechwesens im Volke entstanden.

Es ist ein größerer Wohlstand

Endlich haben wir in der neueren Technik die Rohrpost, ein-

gerichtet seit 1377 in Berlin, zum theil in Frankfurt a. M. und in Hamburg. Im ersten Jahre wurden in Berlin 1 324 000 Stück durch Rohrpost, also unter den Straßen, befördert, jetzt 5 335 123, also eine sehr erfreuliche Entwicklung trotz Telephon und Ermäßigung der Stadttelegraphengebühr.

Alle Erfindungen werden bei uns ganz genau geprüft auf

jeglichem Gebiet des Transports, dem postalischen, telegraphischen der Gedankeneisenbahn, wie ich die Telegraphen nennen möchte. Fast jede

betreffs der apparate, Fernsprechapparate, Batterien, ob sie in dynamischer oder chemischer Weise gespeist werden, ob Sammlerbafterien u. s. w. Das sind große Projekte. Die neuen Erfindungen sind eine ungeheure Laft für die Verwaltung; ich glaube, es ist eine etwas übertriebene Span⸗ nung in den Köpfen, die sich mit Telegraphie und Elektrizitãt be⸗ schäftigen: die sogenannten Erfindungen reißen nicht ab. Mit der größten Naivetät wird gesagt, das sei etwas ganz Originelles auch wenn es eine ganz alte, kann da wirklich mit einem bekannten Wort aus Faust sagen:

heran Schreib⸗

Erfindungen an uns Apparate:

Woche treten neue Leitungen und auch der

abgedroschene Idee ist. Man

Fahr hin, du Original, in deiner Pracht, Wie würde dich die Einsicht kränken, Wer kann was Kluges, wer was Dummes denken, Was vor ihm nicht ein Andrer schon gedacht! Ich will Ihnen nur ein Beispiel anführen. Vor kurzem fiel es

einem müßigen Kopf ein, in die Zeitungen zu setzen, die Post be⸗ schäftige sich mit dem Problem, wie sie im Jahre 1900 die Marken stempeln werde. (Heiterkeit) Sie werden es gelesen haben; es stand in allen Zeitungen, eine schreibt es von der anderen ab. Be— kanntlich stempeln wir bloß mit den Zehnern und Einern, also jetzt mit 96, was wird die Post

um Raum zu sparen. Man grämt sich nun: 1900 machen, die beiden Nullen zum Stempeln verwenden? Das ist eine furchtbar einfache Sache; aber es vergeht kein Tag, wo wir nicht mit Briefen förmlich über⸗ schüttet werden; es liegen Hunderte und aber Hunderte vor. Die meisten Erfinder schicken ihre Vorschläge eingeschrieben; das freut mich, denn das bringt mehr ein; ich wünschte nur, das ginge so weiter. Die Kostenforderungen für die Erfindung schwanken zwischen 10 000 und 20 M (Hört, hört!! Das ist ein Uebereifer, dem ich nicht zu nahe treten will, aber es ist doch eine reine Bagatelle, welche uns eine Unmasse Korrespondenzen verursacht. Wir haben wahrlich schon genug zu thun, jeder Tag hat seine eigene Sorge, wir brauchen noch nicht an das Jahr 1900 zu denken.

Nun das Personal! Dasselbe hat natürlich entsprechend dieser ungeheuren Ausdehnung, von der ich vorhin sprach, verstärkt werden müssen. Wir haben im Jahre 1870 42 000 Post. und Telegraphen⸗ beamte gehabt, gegenwärtig beträgt ihre Anzahl 155 000 Köpse. Wir hatten damals 26 Ober⸗Postverwaltungsbehörden, Ober Postdirek⸗ tionen, jetzt deren 40, und ich werde möglicherweise in diesem Jahre nach Verständigung mit dem Kaiserlichen Reichs⸗Schatzamt noch mit einem Nachtrags⸗Etat an das hohe Haus herantreten müssen wegen einer Nachforderung von zwei Ober- Postdirektionen einn Bezirk der Ober Postdirektion Leipzig diese Gegend, das Vogtland, Chemnitz, Glauchau, Zwickau mit einer so groß⸗ artigen Verkehrsentwicklung, ist von Leipzig aus nicht mehr zu übersehen und eine zweite in Afrika. Wir werden da vielleicht nicht eine Ober⸗Postdirektion einrichten, aber doch ein Post⸗ inspektorat; jedenfalls müssen wir eine Verwaltungsbehörde in Dar⸗ es⸗Salam haben. Dort besteht ein so großer Verkehr mit einer An⸗ zahl Postanftalten und es giebt soviel Telegraphenlinien, daß alles dieses von Berlin aus nicht mehr zu übersehen ist. Bisher bin ich selbst Ober- Postdirektor von Ost⸗Afrika gewesen, aber das geht nicht mehr so weiter. Also vielleicht werden wir noch mit einem Nachtrags⸗Etat von zwei Ober -Postdirektionen kommen müssen; ich weiß zwar nicht, wie mein Herr Kollege, der ja sehr aufmerksam zuhört, darüber denkt. (Heiterkeit.)

Nun wollte ich noch mit einigen Worten erwähnen, was inzwischen für das Personal geschehen ist. Ich werde nur die Hauptsachen anführen: also einmal sind wiederhalt mit Be= willigung des hohen Hauses erhebliche Besoldungserhõhungen für alle Klassen durchgeführt worden. Die letzte, die allerdings nicht auf alle Klassen sich erstreckte, sondern bei den Ober⸗Sekretaren Halt machte, betrug allein bei dem Etat der Postverwaltung 115 Millionen. Das ist eine bedeutende Summe, um die die Ueber⸗ schüsse verringert worden sind, die ich aber den Beamten von Herzen gönne, wie ich mir in dieser Beziehung jede Verringerung der Ueber⸗ schüsse gern gefallen lasse. Es sind dann seit 1871 die Wohnungsgeldzuschũsse eingeführt worden, deren Summe beim Post⸗Ctat 114 Millionen beträgt. Das ist auch eine Besoldungszulage, an die früher kein Mensch ge⸗ dacht hat. Sodann haben wir, wa vielleicht noch ausschlaggebender wirkt zum theil auf Drängen des hohen Hauses eine sehr er⸗ hebliche Vermehrung der etatsmäßigen Stellen vorgenommen, ferner eine ausgiebige Abkürzung der diäͤtarischen Verhältnisse. Namentlich die Etats der letzten Jahre werden Ihnen das beweisen; auch der vorliegende, über den der Herr Referent ja nachher berichten wird, zeigt, daß eine erhebliche Vermehrung der