1896 / 24 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 27 Jan 1896 18:00:01 GMT) scan diff

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der mannigfachen Beeinflussungen durch die lebende Natur. Ja der durch das eie erschlossenen Lebewelt der niederen ismen stellten uns nach und nach immer deutlicher und in immer größerer Anzahl Faktoren von ungeahnter Be- deutung dar. Dieser Forschungsrichtung hat sich mehr und mehr eine so 5 Arbeit, begleitet von so vielerlei Erfolgen, zugewendet, daß es fast scheinen könnte, als sei auf das . Zeitalter jetzt eine andere Gxoche eefe gt. die eine Zeit lang die Führung zu übernehmen bestimmt sein könnte. Stellen sich ja doch viele all⸗ emein in der Natur verbreitete Prozesse, welche früher für rein ischen Charakters gehalten wurden, jetzt als Wirkungen spezifischer Organismen dar, wie die Gährungen, die Fäulnißprozesse, ge⸗ wisse Orydations⸗ und Desorydationsvorgänge, wie die Nitri- fikation und. Denitrifikation im Erdboden. Und ganz besonders erscheint auch im Pflanzenreiche vieles in einer Verkettung mit Organismen oder als unmittelbare Wirkung solcher. In schon frühe eit zurück reicht die Entdeckung gewisser niederer Pflanzen, besonders ilze, und niederer Thiere, welche als Parasiten der Pflanzen deren Entwickelung hindern; nur brachte erst die neuere Zeit mit ihren gründlicheren biologischen Forschungen bessere Auf⸗ klärung über die Entwickelungsweise dieser Feinde und über deren Bedingungen und fügte noch zahlreiche Entdeckungen derartiger Pflanzen⸗ feinde hinzu. Aber nicht bloß solche Organismen wurden bekannt, welche die Pflanze direkt beschädigen, sondern wir kennen jetzt auch solche, welche unmittelbar fördernd in die Lebensprozesse derselben ein⸗ . Es ist dies die Symbiose gewisser Pflanzen mit niederen rganismen, wobei die letzteren bei der Nahrungserwerbung jener die wichtigsten Dienste leisten und zu Wohlthätern der Pflanze, ja unter Umständen zu unentbehrlichen Genossen derselben werden, ohne welche die Pflanze nicht gedeiht.

So ist bezüglich der Fragen nach den Bedingungen des Pflanzen gedeihens jetzt ein weites Gebiet der physiologischen Aera zugewiesen. Und heute kann noch niemand sagen, wohin diese Forschungen noch führen werden; denn noch befinden sie sich in aufsteigender Entwicke⸗ lung, überall finden sie neue Fragen und neue Arbeit vor, selbst⸗ verständlich auch störende Strömungen. Denn es ist wohl begreiflich, daß eine so verlocken e Idee wie die, daß mikroskopisch kleine Wesen die Ursache großartiger Erscheinungen in der Natur sind, manchen Enthusiasten verleitet, ohne zwingenden Beweis auch Dinge den kleinen Organismen zuzuschreiben, an denen dieselben thatsächlich keine Schuld tragen. So kommen einerseits Stimmen, die womöglich alle guten Naturprozesse, wie jegliches Ge⸗ deihen der Pflanzen und die Erzeugung werthvoller Stoffe in den selben, auf wohlthätige Bakterien zurückführen möchten, andererseits auch Stimmen, welche für jede Beschädigung der Pflanze womöglich gleich ein böses Bakterium bei der Hand haben. Und umgekehrt, be⸗ gegnen wir solchen, welche in altfränkischen Anschauungen befangen, sich mit der Organismentheorie überhaupt nicht befreunden und am liebsten überall wieder die anorganischen Ursachen einsetzen möchten.

Aber größer als diese seirlichen hemmenden Strömungen ist die Schwierigkeit, welche diese Forschung auf ihrem eigentlichen Gange direkt vor sich hat. Wie vieles birgt das Pflanzenleben noch Unerforschtes und wie viele Krankheiten giebt es bei den

flanzen, wo die Wissenschaft noch nicht im klaren ist! Was die andwirthe mit unbestimmten Ausdrücken, wie ‚Mißwachs“, „Befall“, bezeichnen, daß ist ja zum theil allerdings von der Wissenschaft auf ganz bestimmte Ursachen, auf jeweils verschiedene Arten von Parasiten zurückgeführt wordeu. Aber noch heutigen Tages bekommen wir es mit Pflanzenkrankheiten zu thun, wo uns die genauere Unter⸗ suchung bisher unbekannte und nicht unterschiedene Parasiten entdecken läßt. Es mag nur auf die neuen Getreidepilze des Jahres 1894 verwiesen werden, von denen ich in Deutschland elf Arten auffand, deren mehrere erst in den letzten Jahren als Getreide— parasiten erkannt worden waren, manche überhaupt erst in jenem Jahre entdeckt wurden. Und so betuht die Forschung auf diesem Gebiete manchmal nur darin, daß sie eine unbeantwortete Frage in eine ganze Reihe neuer Räthsel sich auflösen sieht Das mahnt uns recht eindringlich, wie bescheiden wir die Unvollständig⸗ keit unserer Kenntnisse einsehen sollen, wie wenig selbst uns noch die Worte des mittelalterlichen Scholaren anstehen würden: „Wie wir es nun so herrlich weit gebracht“. Es scheint unter den Land⸗ wirthen die Meinung in gar zu hohem Grade zu bestehen, als wären alle die verschiedenen Beschädigungen, der Kulturpflanzen draußen auf dem Felde in der Wissenschaft bereits so genau be⸗ kannt, daß man uns nur zu fragen brauchte, um Antwort zu erhalten. Denn die von dem Felde kommenden Meldungen und Einsendungen kranker Pflanzen sind, wie das ja auch ganz natürlich ist, fast stereotyy von dem Ersuchen begleitet, die Ursache des Schadens und die Mittel zur Abhilfe angeben zu wollen.

Die Mittel zur Abhisfe! Ja gewiß ist die Aufsuchung derselben das höchste Ziel des Pflanzenschutzes. Aber selbstverständlich kann davon erst bei denjenigen Krankheiten und Beschädigungen die Rede sein, deren Wesen und Ursachen genügend aufgeklärt sind. Und selbst unter den Pflanzenkrankheiten, wo das der Fall ist, giebt es manche, gegen die noch kein brauchbares Mittel gefunden ist. Es kann geschehen, daß die gründlichste und mühevollste Er forschung einer Pflanzenkrankheit endlich belobnt wird mit der Er— kenntniß, daß in der Natur selbst die Unmöglichkeit oder doch zu⸗ nächst eine unüberwindliche Schwierigkeit der Bekämpfung liegt: sei es, weil der Feind zu allgemein verbreitet ist, sei es, weil er allen bisher erprobten Gegenmitteln trotzt, sei es, weil wir zwar Gegen⸗ mittel kennen, die Anwendung derselben in der Praxis aber zu kostspielig oder zu schwierig oder geradezu mit den sonstigen An— forderungen des Pflanzenbaus in Widerspruch kommen würde. Solche Mittel, auch wenn sie sich als wirtsam erweisen, sind doch eben keine Mittel für die Praxis. In solchen Fällen hat eben der Pflanzenschutz auch noch nicht seine Aufgabe gelöst.

Aber es giebt auch bereits eine große Anzahl von Pflanzen beschätigungen, wo es in menschlicher Macht liegt, den beneffenden Feinden wirkungsvoll entgegenzuarbeiten, manche geradezu auszurotten.

Lassen Sie mich hier ganz kurz die Gesichtspunkte andeuten, unter welche diese Maßregeln fallen:

I) Man soll jede Kulturpflanze möglichst nur in solchen Ländern und auf solchen Lagen und Böden anbauen, wo ihre klimatischen und sonstigen äußeren Bedingungen am vollständigsten er— füllt sind. Die Kulturpflanzen erliegen manchen Feinden leichter da, wo sie (ugleich tlimatijchen Schwierigkeiten begegnen. Ein sehr deutlich auscesprochener Fall dieser Art ist der, daß die Zuckerrübe, deren Stammform der beständigen Fuchtigkeit des Seestrandes, wo sie wild wächst, angepaßt ist, in Sommern mit langer Trocken⸗ heit und in Lagen, deren Untergrund bei langem Regenmangel aus⸗ trocknet, in ihrem Durstzustande empfänglich wird für den die Herz und Trockenfäule erzeugenden Pil; Ehoma Beta, während für die nicht dürstende Rübenpflanze dieser Pilz fast ganz unschädlich zu sein scheint. Unsere östlichen Provinzen, Schlesien und Polen, stehen unter der ,. des kontinentalen Klimas des Ostens; die häufige

iederkehr trockner Sommer hat in jenen Ländern diese Rübenkrankheit zu einem bedenklichen Uebel gemacht, während unsere mittleren und westlichen Rübengegenden mit ihien im Ganzen regenreicheren Sommern bei weitem nicht in disem Grade von der Krankheit zu leiden haben. Der Rückgang des Rüben⸗ baues, der sich jetzt in Schlesien vollzieht, ist zum theil mit auf diesen Umstand zurückzuführen.

2) Ein möglichster Fruchtwechsel ist ein allgemeines a Hilfs⸗ mittel gegen manche Krankheiten und Feinde der Kuliupflanzen. Denn ein verstärkter Anbau einer und derselben Fiucht verstärkt auch die Feinde derselben, weil diese dadurch mit gezüchtet werden. Im allgemeinen können die Keime der parasitären Organismen nicht sehr lange im Eidboden ruhen; bietet sich ihnen die geeignete Nährpflanze recht bald wieder, so wird ihr Aussterben verhindert, während das letztere um so sicherer erfolgt, je länger es dauert, bis die geeignete Nährpflanze wieder eischeint. Dies Nicht Aufkommen⸗ lassen eines Feindes nfolge fortwährender Wiederaushungerung kann freilich in derjenigen Fällen nicht gründlich erhofft werden, wo der betreffende Parasit auch noch auf andern Pflanzen

besonders auch auf Unkräutern ꝛc, sich einigermaßen erhalten kann. Der deutlichste Beweis, daß durch vermehrten Anbau einer Kultur⸗ pflanze ihre Feinde mit großgezogen werden, sind die Rüben⸗ nematoden in unseren eigentlichen . Auch die Feinde der Obstbäume, der Reben und der Waldbäume, bei welchen Pflanzen h eben von einem Fruchtwechsel im Sinne des Ackerbaues nicht die ede sein kann, machen aus diesem Grunde dem Pflanzenschutz Schwierigkeiten.

3) Die richtige Bestellzeit kann gegen gewisse Feinde ein vor⸗ zügliches Schutzmittel sein. Zwar sind im allgemeinen die Para—⸗ siten in ihren Entwickelungszeiten denjenigen ihrer Nährpflanzen angepaßt, aber in manchen Fällen können schon eine oder wenige Wochen en die man willkürlich für die Bestellung ein⸗ treten läßt, bezüglich des Befallenwerdens der Pflanzen ausschlag⸗ gebend sein. Es ist eine längst erprobte und gerade in den letzten Jahren wieder vielfach bestätigte Thatsache, daß man die Winter⸗ etreidesaaten vor den verderblichen Getreidefliegen, besonders der . und Hessenfliege, schützen kann durch möglichst späte, jedenfalls nicht vor Mitte September erfolgende Bestellung, weil dann die Zeit des Eierlegens dieser Insekten vorüber ist, die Saat also davon verschont bleibt. Umgekehrt liegt für das Sommergetreide ein Schutz vor dem Befall durch die Frühlingsgeneration dieser Fliegen in einer möglichst frühen Bestellung. weil diese Insekten verhältniß⸗ mäßig spät dem Winterlager entschlüpfen und die inzwischen schon er⸗ starkte Sommersaat weniger gern von den Fliegen zum neuen Brut⸗ platz gewählt oder dann doch wenigstens minder beschädigt wird als eine eben erst aufgekeimte Saat.

Auch die Herz. und Trockenfäule der Zuckerrüben steht, wie ich jüngst ermittelte, in einer Beziehung zu den Entwickelungs— perioden der Pflanze. Bei der üblichen frühzeitigen Bestellung rückt die Rübenpflanze mit der Periode ihres lebhaftesten Wachs⸗ thums und größten Wasserbedürfnisses gerade in die gewöhnliche Zeit der Sommerdürre hinein und ist dadurch der größten Gefahr der Erkrankung durch Phoma Betae ausgesetzt. Darum hat sich eine sehr späte Bestellung als Schutzmittel erwiesen; die Pflanzen sind dann bei Eintritt der Sommerdürre noch so in der Entwickelung zurück und im Wasserbedürfniß niedrig gestimmt, daß sie ohne Gefahr durch die Dürreperiode hindurchkommen. Und so glückte es auch, die früh bestellten Rüben durch künstliche Zurückhaltung ihrer Vegetationsthätigkeit bei Eintritt der sommerlichen Trockenheit, nämlich durch Abschneiden des Blätterkopfes, den sie später wieder ersetzten, durch die kritische Zeit gesund hindurchzubringen.

4) Die Beseitigung oder Zerstörung der Ernterückstände, sowie aller derjenigen Abfälle der Pflanzen, welche Träger der Parasiten sind, kann in vielen Fällen ein sicheres Schutzmittel für die nächst—⸗ folgende Pflanzenentwickelung werden. Vielfach hat nämlich die Natur die Erhaltung der Parasiten dadurch zu sichern gesucht, daß sie die für das nächste Jahr bestimmten Keime oder sonstigen über⸗ winternden Organe derselben an diejenigen Theile der Nährpflanze knüpfte, welche vor dem Winter von der Pflanze abgeworfen werden oder sonstwie von der Pflanze zurückbleiben und so in unmittelbarster Nähe sich erhalten, von wo aus sie im nächsten Frühling am leichtesten

den Weg nach dem Orte ihrer Bestimmung wiederfinden. Die Wurzel⸗ und Stoppelrückstände auf dem Acker sind für eine ganze Anzahl von Parasiten die Träger der für das nächste Jahr bestimmten und die Saaten von neuem bedrohenden Keime; es sei nur erinnert an die Wintersporen der Rostpilze, an die Peritheecien des Weizenmehlthaues, des Roggenhalmbrechers und des Weizenhalmtödters, an die Larve der Getreidehalmwespe, an die alten Blätter und Wurzeln der trockenfaulen Rüben mit den auf ihnen sitzenden Früchten von Phoma Betas. Die Unschädlich⸗ machung dieser Ueberbleibsel durch geeignete Beseitigung oder tiefes Unterpflügen kann als allgemeine Sanierungsmaßregel nicht genug empfohlen werden. Bei den Bäumen kommt hier das zurück— bleibende Herbstlaub in Betracht, da es bei zahlreichen Schmarotzer⸗ pilzen der Bäume der alleinige Träger des überwinternden Pilzes ist. Alle durch solche blattbewohnenden Pilze hervorgerufenen Baum⸗ krankheiten entstehen nur dadurch, daß das alte Herbstlaub ungestört erhalten bleibt; sie sind unfehlbar zu verhüten, sobald jenes in ge⸗ eigneter Weise zerstört, also einfach im Herbst oder Winter unter den Bäumen zusammengeharkt oder von den Bäumen abgestreift und dann verbrannt wird, wodurch z. B. im Altenlande in der Provinz Hannover sowie in der Provinz Schleswig⸗Holstein die durch den Gnomonia-Pilz verursachte Kirschblattseuche beseitigt worden ist. Das Analoge gilt von denjenigen Parasiten, welche in den von ihnen verdorbenen Obstfrüchten zurückbleiben oder mit denselben abfallen. Durch fleißiges Auflesen des Fallobstes kann die durch den Apfelwickler verursachte Wurmstichigkeit der Aepfel und Birnen verhütet, durch das Absammeln der madigen Kirschen die Kirschen— fliege vertilgt werden.

5) Durch direkte Desinfektions⸗ oder störungsmittel läßt sich in der Vertilgung der Pflanzenfeinde ebenfalls vieles ausrichten. Als wirklich erfolgreiche und praktisch ausführbare derartige Mittel würden folgende in Betracht kommen. Die Desinfektion der Samen, um diejenigen Parasiten zu zer⸗ stören, welche an den Samenkörnern haften und mit denselben verschleppt werden. Wir denken hier an die Beizung des Weizens mit Kupfermitteln, wodurch die Sporen der Brandpilze, aber auch andere am Getreidekorn haftende Pilzkeime getödtet werden. Der in den Erbsen sitzende Erbsenkäfer kann , eine kurz dauernde Behandlung der Erbsen mit Schwefelkohlenstoff oder mit Backofen⸗ wärme, wodurch die Keimfähigkeit der Samen ebenfalls nicht leidet, zerstört werden. An den vegetierenden Pflanzen selbst nehmen wir Bespritzungen mit pilz- oder insekten widrigen Mitteln vor, wie das Schwefeln der Weinstöcke gegen den Traubenpilz und die Bespritzung mit Kupferpräparaten gegen die Peronospora. Gegen thierische Feinde sind im Laufe der Zeit eine Menge Be⸗ spritzungsmittel empfohlen worden, bei denen es aber auch auf die Bedingung ankommt, daß sie einerseits die Insekten sicher tödten, andererseits der Pflanze nicht schaden. Darum sind die meisten dieser Mittel nicht von befriedigendem Erfolg. Doch scheinen jttzt geeignete Petroleum⸗Emulsionen größere Hoffnung zu erwecken. Weniger bedenklich für die Pflanze ist die Anwendung insektieider Mittel da, wo es sich nicht um die empfindlichen grünen Blätter, sondern um die Oberfläche der Baumstämme und Aeste handelt, welche das Abkraͤtzen der rauheren Borke und des Mooses, die mechanische Behandlung mit Bürste oder kräftigeren chemischen Mitteln ver— tragen, wie bei der Blutlaus und anderen an der Rinde der Obst⸗ bäume lebenden Insekten.

Wieder in anderen Fällen kommen wir zum Ziel durch direktes Abfangen der schädlichen Insekten an der Pflanze selbst oder in deren Umgebung. Je nach den Verhält⸗ nissen giebt es hier verschiedene vortreffliche Methoden. Die Kleb⸗ gürtel an den Obstbaumstämmen, vorschriftsmäßig und zur richtigen Zeit angelegt, sind ein sicheres Schutzmittel gegen den Forstspanner, die Röthung und Theerung der Kiefernstämme in Brusthöhe ein ebensolches Mittel gegen den Kiefernspinner. Handelt es sich um Insekten, welche fliegend zu den Pflanzen gelangen, besonders um solche, welche zur Dämmerungs⸗ oder Nachtzeit fliegen, so läßt sich durch Fanglaternen erfolgreich wirken. In den Weinbergen fängt man durch Abends anzuzündende Lämpchen zahlreich die in der zweiten Hälfte Mai fliegenden Traubenwickler. Mittels größerer, auf freiem Felde zur Abendzeit brennender geeigneter Laternen fangen sich in den Sommermonaten viele Hunderte von Saateulen, welche, nicht in dieser Weise unschädlich gemacht, ihre Eier in den Ackerboden absetzen und dadurch zur Entstehung der der Landwirth⸗ schaft jo sehr schädlichen Erdraupen Veranlassung geben würden.

In manchen Fällen hat das Abfangen durch Menschen⸗ hand zu geschehen. So bleibt gegen den Maikäfer noch immer das beste Mittel der in der ganzen Gegend gemeinschaftlich organi⸗ sierte Vernichtungskrieg durch Aufgebot möglichst zahlreicher Leute, besonders auch der Schuljugend. Manchmal tönnen an Stelle der Menschenhand prompt arbeitende thierische Kräfte treten. Eintreiben von Hühnern oder Enten in Rübenfelder, welche vom Schildkäfer oder Aaskäfer befallen sind, ist neuerdings mit Erfolg angewendet

sonstige Zer⸗

worden. Man hat dazu eigene fahrbare Hühnerställe konftruiert,

um das Geflügel tagelang auf den fern vom Hof gelegenen Feldern zu halten, ö. auch in 6. Pflege der Thiere ausprobiert, wie sie am besten fängisch zu machen und zu erhalten sind. Unter diesen Gesichtspun keien auch die nützlichen wilden insektenfressenden Vögel, von denen Staar und Krähe dem Landwirth wohl manche Huh leisten; doch fehlt es hier noch an Feststellungen darüber, welche der insektenfressenden Vögel auch wirklich landwirthschaftlich schädliche Insekten vertilgen und in welchem Grade dies der Fall ist.

Endlich komme ich zu dem radikalsten Zerstörungsmittel der Pflanzenfeinde: die Bernichtung der befallenen Pfanzen selbst, womit eben die gleichzeltige Vernichtung der Parastten bezweckt wird. Es ist freilich kein Heilmittel, wenn wir den Patienten selbst tödten. Aber im Pflanzenbau kann es doch ein Mittel zur Einschränkung weiteren Umsichgreifens und ein Vorbeugungsmittel für die Zukunft ki Hier denken wir in erster Linie an die Zerstörung und Desinfektion der von der Reblaus befallenen Weinberge: ein Radikalmittel, welches in Frankreich und anderen südlichen Ländern, deren Klima die Reblaus besonders zu begünstigen scheint, ohne Frage angezeigt ist. Auch wir haben es zu unserer Beruhigung nachgeahmt. Ungewiß bleibt es freilich, ob dadurch nicht vielleicht dem Weinbau größere Wunden geschlagen werden, als es die Reblaus bei uns thun würde. In den Fällen freilich, wo der ere ft ohnedies die befallenen Pflanzen sicher in kurzer Zeit zer⸗ tört, da ist das rasche Vernichtungswerk durch Menschenhand bestimmt angezeigt. Dahin gehört die Zerstörung der Kleeseidestellen in den Kleeschlägen und besonders auch das Vorgehen gegen die Zwergeikade. In den zum Glück seltenen Jahren, wo dieses Insekt in verheerender Menge das Sommergetreide befällt, rücken die Thiere in den Schlägen von den Rändern her allmählich vor, und die Demarkationslinie des Aufmarsches ist genau zu erkennen, hinter sich Verwüstung zurück⸗ lassend, sodaß hier möglichst frühe Zerstörung der ersten Ausgangs⸗ punkte angezeigt ist,

Zuletzt wäre auf die Methode der Fangpflanzensaaten zu verweisen. Ihr liegt der Gedanke zu Grunde, den Parasiten ab⸗ sichtlich die geeignete Nährpflanze darzubieten, damit sie sich auf derselben versammeln und festsetzen, dann aber die letztere zu einem Zeitpunkt zu vernichten, wo der Parasit seine Entwickelung noch nicht abgeschlossen hat und mit der Nährpflanze zu Grunde gehen muß, wenn man die letztere durch Ausraufen oder Unterpflügen zerstört. Solche Fangpflanzensaaten können ihre Aufgabe auf zweierlei Wegen lösen. Entweder läßt man vor dem Anbau der gefährdeten Frucht auf dem betreffenden Acker eine oder mehrere Fangpflanzensaaten vorhergehen, wie es Kühn gegen die Rüben⸗ nematoden vorgeschlagen hat. Oder aber man könnte die Parasiten von der Hauptkultur ableiten, indem man neben dem zu bestellenden Schlage gerade zu der Zeit, wo die Thiere ihre Nährpflanzen auf— suchen müssen, Streifen oder Plätze mit den Fangvpflanzen besäet. welche nachher zu zerstören *. sodaß die später als die Fangpflanzen bestellte eigentliche Saat verschont bleibt, was gegen Frit⸗ und Hessenfliege, auch gegen die Lupinenfliege, zu empfehlen wäre.

Aus der Skizze, die ich soeben entworfen habe, werden Sie erkennen, wie Menschenwitz auch auf diesem Gebiet nach Mitteln gesucht hat, der Landwirthschaft zu helfen. Die Mittel, auf die ich hier hingewiesen, sind keine bloß theoretischen, sie sind praktisch ausführbar, und von vielen derselben ist bereits erprobt, daß sie die betreffenden Feinde wirklich vertilgen oder doch wesent⸗ lich vermindern. Es fehlt nur daran, daß die Landwirthe vielfach nicht darüber aufgetlärt und darauf hingewiesen werden, daß vielleicht hier und da auch das erforderliche Verständniß und die nöthige Energie fehlen; auch könnte in manchen Fällen durch eine zweckmäßige Initiative des Staats vielleicht noch mehr geleistet werden. Cs ist wahr, daß die Behörden in Bezug auf einzelne Pflanzenfeinde für die systematische Ausführung geeigneter Maßregeln Sorge ge⸗ tragen haben; es muß anerkannt werden, daß die verschiedenen Ver⸗ eine für Landwirthschaft und Gartenbau manches in dieser Richtung thun, und daß namentlich allen voran die Deutsche Landwirthschafts-⸗ gesellschaft auch darin segensreich zu wirken sucht, daß sie durch ihren Sonderausschuß für Pflanzenschutz und durch ihre über das ganze Deutsche Reich vertheilten Auskunftsstellen die Landwirthe auf die Pflanzenfeinde aufmerksam zu machen und sie zum Kampfe gegen dieselben anzuregen und zu unterstützen sucht. Aber noch fehlt es vielfach an einem gemeinsamen Vorgehen namentlich gegen die schlimmsten Feinde des Pflanzenbaues; denn ein solches gehört gerade auf diesem Gebiete mit zu den Bedingungen des Erfolgs. Würden wir nicht Bedeutendes leisten können, wenn anstatt, daß nur der eine oder andere Landwirth für sich allein Schutzmaßregeln ergriffe, überall systematisch in der gleichen Richtung vorgegangen würde? Nicht darauf kommt es an, sogleich für das ganze Heer der ver⸗ schiedenen Pflanzenfeinde eine praktische Organisierung der Gegen maßregeln zu gewinnen. Gegen viele Pflanzenfeinde giebt es ja noch keine praktisch anwendbaren Mittel; in solchen Fällen, wo es eben noch keinen Pflanzenschutz giebt, kann ein solcher auch nicht organisiert werden. Aber wie viel würde schon genützt werden können, wenn man vor der Hand nur einige der verderblichsten Feinde, einige der verhältnißmäßig wenigen, durch welche wirklich große Werthe im Pflanzenbau fast alljährlich vernichtet werden, herauswählen und auf Grund der bekannten und bewährten Bekämpfungsmaßregeln eine strengere allgemeine Organisation des Kampfes in die Wege leiten wollte, in derselben Art, wie ja gegen manche Pflanzenfeinde strengere Bestimmungen und Einrichtungen bereits bestehen! Der Reblaus ist ja schon die strengste Obhut und genau geregelte Be⸗ kämpfungsweise seitens des Staats gesichert. Auch gegen den Koloradokäfer wurde sogleich mit aller Energie vorgegangen. Be⸗ treffs der Zerstörung der Raupennester an den Obstbäumen bestehen polizeiliche Vorschriften. Der Gnomonia⸗Pilz der Kirschblattseuche kann dank des energischen Vorgehens der Regierung in den Provinzen Hannover und Schleswig⸗Holstein als ausgerottet betrachtet werden. Gegen die Kirschmadenplage ist durch die seitens der Be⸗ hörden empfohlenen zweckmäßigen Maßregeln erfolgreich eingeschritten worden. Es ist nur zu wünschen, daß derartige polizeiliche Ver⸗ fügungen und Ermahnungen nicht mit der Zeit in den Akten begraben werden, sondern daß sie jedes Jahr zur kritischen Zeit erneuert und in geeigneter Weise ihre Ausführungen überwacht werden. Und wäre nicht noch manches von dem, was ich vorhin erwähnt habe, dazu reif zum praktischen Pflanzenschutz ausgestaltet zu werden?

Verschiedene Wege waren hierzu denkbar. Polizeiliche Vor⸗ schriften würden sich in solchen Fällen empfehlen, wo eine Kontrole leichter möglich ist.

Oder die Gemeinden könnten sich zu einem solchen, mit ver⸗ einten Kräften zu führenden systematischen Kampfe verbinden. In manchen deutschen Gegenden giebt es bereits Flurgenossenschaften behufs Ausrottung der Unkräuter; die betreffenden Gemeinde vorstände haben die Pflicht, alljährlich zu gewisser Zeit alle Grund⸗ stücke auf daz Vorhandensein von Unkraut zu besichtigen und die nachlässigen Besitzer oder Nutznießer zur schleunigen Vertilgung des Unkrauts aufzufordern, im Unterlassunge falle es durch die Gemeinde auf Kosten der Säumigen vornehmen zu lassen. Es ist klar, daß durch solche Genossenschaften dem Pflanzenschutze in noch viel weiterem Umfange gedient werden könnte.

ü (Schluß in der Zweiten Beilage. )]

zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Käniglich Preußischen Staats⸗Anzeiger.

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(Schluß aus der Ersten Beilage.)

Ein anderer Weg wäre der, geeignete Personen hierfür in , zu stellen, eine Art Pflanzenschutzmänner. Auch hier ließe sich Vorhandenes benutzen oder welter ausgestalten. Es könnte daran gedacht werden, die landwirthschaftlichen Wanderlehrer noch mehr zur Wirksamkeit in dieser Richtung heranzuziehen. In manchen Gegenden hat man Baumwärter, die von der Provinz oder vom Kreise unterhalten werden und den Qbstbauern die nöthigen An⸗ weisungen im Obstbau zu ertheilen haben. Bielfach giebt es Feld⸗ hüter, denen die Obhut über die Fluren anvertraut ist. Solche Leute ließen sich vielleicht auch für gewisse Dienste im Pflanzen— schutz ausbilden. Denn dazu würden keineswegs Gelehrte noth—⸗ wendig sein; man brauchte solchen Leuten nur bestim mte, auf den

flanzenschutz bezügliche Regeln zu überweisen, über deren Anwendung

e Anleitung zu ertheilen und deren Ausführung sie vielleicht auch zu kontrolieren hätten. Eine ganze Reihe der Bekämpfungsmaßregeln, von denen vorhin die Rede war, ließe sich durch solche Beamte systematisch in die Praxis hineinpflanzen.

Auch noch ein Weg zur Organisation des Pflanzenschutzes würde sich bieten: das Mittel des gedruckten Worts, über welches die Behörden, die großen Gesellschaften und Vereine, aber auch die kleineren lokalen Vereine, sowie die einschlägige Presse verfügen. Damit wäre eine nicht zu unterschätzende Beeinflussung der Land wirthe zu erzielen durch eindringliche Ermahnungen, die zur kritischen * regelmäßig die allgemeine Aufmerksamkeit auf die nothwendigen

aßregeln zu lenken hätten. In den Blättern mancher land— wirthschaftlichen Vereine der Rheinländer steht zur kritischen Zeit in jeder Nummer des Blattes am Kopfe desselben mit großen fetten Lettern: Spritzt die Weinberge!“ Oder ein anderes Mal: Legt Klebgürtel an die Obstbaumstämme!“ Dasselbe Mittel würde sich noch gegen manchen anderen gemeingefährlichen Pflanzenfeind empfehlen, wenigstens da, wo man es mit einer intelligenten Bevölkerung zu thun hat; allerdings laut und deutlich und immer wiederholt und rechtzeitig müssen solche Mahnungen erschallen.

So brauchte vielfach nur an Vorhandenes angeknüpft oder Vor- handenes weiter ausgestaltet zu werden, um Millionen von Werthen dem Pflanzenbau zu erhalten.

Aber ich komme mit diesen Betrachtungen wohl schon von dem dem Forscher zugewiesenen Gebiet ab auf ein anderes, wo die Staats⸗ verwaltung den rechten Weg besser finden wird. Des Naturforschers Aufgabe ist vor allem, dem Wesen der Dinge auf die Spur zu kommen; damit schafft er die Grundlage, welche die Praxis für ihre Methoden und der Staat für die Organisation der geeigneten Maß— regeln für das allgemeine Wohl braucht.

Und so zeigt sich gerade auf unserem Gebiete die erhebende Thatsache des Zusammenwirkens der verschiedenartigsten Kräfte, um für die Menschheit Segen zu stiften. Wenn die Wisfenschaft ihre Waffen schärft, wenn der Praktiker seine Wachsamkeit erhöht und seine Kräfte anstrengt, und wenn die Staatsleitung ihre sorgende und schützende Hand walten läßt alle zu dem einen Zweck, der Landwirthschaft Gedeihen zu fördern so ist das ein herrliches Bild friedlicher Entwickelung eines Volks. Die Erinnerungstage an unsere roßen nationalen Ereignisse, welche kürzlich an uns vorübergegangen . mahnen uns, daß 25 Jahre in dieser friedlichen Arbeit ver⸗ flofsen sind. Wir, denen der Schutz der heimischen Scholle vor jeder Zerstörung, nicht bloß vor derjenigen durch die kleinen Feinde der Natur, von denen ich vorhin gesprochen, sondern auch vor der, welche der Krieg durch Feindeshand bereitet, ganz besonders am Herzen liegt, wir haben auch ganz besonders der göttlichen Fügung zu danken, die vor 25 Jahren unser theures Vaterland vor den Be— schädigungen des Krieges bewahrt und ihm eine Machtstellung in Europa angewiesen hat, die ihm die Segnungen des Friedens auf lange Zeit sichert.

Ein großer preußischer König und sein berühmter Rathgeber waren vor einem Vierteljahrhundert an dieser Schöpfung des Deutschen Reichs wesentlich mitbetheiligt. Sind auch die alten Helden abge⸗ treten das Vaterland ist nicht arm an neuen Kräften, auf die wir mit Vertrauen emporblicken, unter denen allen voran unser edler Kaiser und König steht. Hochangesehen bei allen Völkern der Erde, ist er seinem eigenen Volke das glänzendste Vorbild beständiger treuer Pflichterfüllung. Wie er auf seiner hohen Stelle mit weit- ausschauendem Blick über alles wacht, was sein Reich und sein Volk angeht, gleichsam eine Schildwach auf immerwährendem Posten, um jeden Augenblick, wo es noth thut, mit dem rechten Wort und der rechten That einzugreifen: so mahnt er auch jeden einzelnen von uns, an der Stelle, die ihm im Staat angewiesen ist, mit Ein⸗ nr. aller seiner Kräfte zu wirken. Durch Arbeit und Pflicht⸗ erfüllung ist der preußische Staat groß geworden, durch Arbeit und

flichterfüllung nur kann jegliches menschliche Unternehmen gedeihen. Wünschen wir unserem erhabenen König segensreiches Gelingen seiner aus bestem Wollen entspringenden schweren Arbeit! Bitten wir Gott, daß er ihn dazu mit körperlicher und geistiger Frische stärken und . über seinem ganzen Hohen Hause beglückend walten möge. Versprechen wir aber auch unserem König, ihm treue Ge— fährten, jeder an seiner Stelle, sein und bleiben zu wollen!

Alle diese Wünsche und Gelübde fassen wir zusammen in den Ruf: Seine Majestät der Kaiser, unser Allergnädigster König und Herr, lebe hoch, hoch, hoch!

Die Geschichte der Veterinärpolizei.“

Festrede, gehalten am 27. Januar 1896 zur Feier des Aller«

höchften Geburtstags Seiner Majestät des Kaisers von

Professor Eggeling in der Aula der Thierärztlichen Hochschule zu Berlin.

Hochverehrte Versammlung!

Ein Festtag, dessen Feier dem Staatsoberhaupt gilt, lenkt unsere Gedanken naturgemäß auf den Theil des von uns vertretenen Faches, welcher das öffentliche Interesse am meisten erregt: auf, die Stgats. Thierheilkunde, deren Zweck es ist, die durch wissenschaftliche Forschung und Beobachtung gewonnenen Lehrsätze der hohen Aufgabe des Staats zur Verfügung zu stellen, den wichtigen Theil des Nationalvermögens und der Bürger, welchen die landwirthschaftlichen Hausthiere bilden, zu schützen zu erhalten und zu verbessern. In keinem Lande der Erde sind die Be—⸗ strebungen der. Regierung zur Förderung und Ausbildung dieses Zwel es der thierärztlichen Wissenschaft mehr hervorgetreten wie in Deutschland und . in Preußen.

Diese Fürsorge hat als schöne Frucht die Einrichtung einer Veterinärpollzei gejeitigt, die dem Lande zum größten Segen geworden ist und um welche andere Staaten uns mit Recht beneiden.

Um die Fortschritte auf diesem Gebiet recht zu würdigen und das verdienstvolle Streben der Staatsregierung richtig zu erkennen, muß man auf die Zustände e, an. früher bestanden haben.

Schon im Alterthum haben die Seuchen der Thiere die Auf⸗ merksamkeit der Aerzte, der Naturforscher, der Landwirthe und auch der Dichter fu gezogen. Aus den Schilderungen von Aristoteles, .

e E inderpest den Herden der Ochsen verderblich wurde, daß der Milzbrand die Rinder tödtete, die Klauenfeuche fie lahm machte, daß die Pferde an Rotz, die Schafe an den Pocken und an der Räude er

egetius erkennen wir, daß schon in der vorchristlichen!

Zweite Beilage

Berlin, Montag, den 27. Januar

1896.

krankten. Columella und Vegetius empfahlen schon, die kranken Thiere abzusondern, die Weide zu wechseln, die verendeten Schafe mit der Haut zu vergraben und jede Verbindung zwischen den gesunden und kranken Thieren aufzuheben. Mit dem Untergang. des west⸗ römischen Reichs und dem Einbrechen der wilden asiatischen Völker in Europa verschwand jede Spur einer wissenschaftlichen Thierheil⸗ kunde und wurden die erwähnten Maßregeln der Römer vergessen. Während eines Zeitraums von circa 10605 Jahren war keine Rede mehr von Mitteln zur Verwahrung der Thiere vor ansteckenden Krankheiten. In Unkenntniß und Aberglauben befangen, nahm man zu Gebeten und Zaubereien seine Zuflucht, um die Thiere vor den oft wiederkehrenden verheerenden Thierseuchen zu schützen. Es war besonders die Rinderpest, welche zu jener Zeit als Begleiterin der häufigen Kriegszüge von Osten her bis in die westlichen Staaten ein⸗ drang. Den ersten sachgemäßen Anordnungen begegnen wir im Anfang des 18. Jahrhunderts. Ein österreichischer Erlaß und ein preußisches Edikt vom Jahre 1711 ordneten Sperrmaßregeln für das aus dem Osten kommende Vieh an und verfügten ein tiefes Verscharren der Kadaver. Die ersten wissenschaftlichen Untersuchungen über die Rinderpest wurden von einem Mediziner Ramazini in Italien ausgeführt, und die zweckmäßigste Maßregel zur Tilgung der Rinderpest, deren wir uns noch heute bedienen, nämlich die . Tödtung der erkrankten und der ansteckungsverdächtigen Thiere, wurde von dem Leibarzt des Papstes Clemens XI. Lancisi im Jahre 1712 in Vorschlag gebracht.

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts veranlaßte das gefahrdrohende Auftreten der Tollwuth bei Hunden ein ausführliches Edikt der preußischen Regierung, dessen sachgemäße Bestimmungen die Aus breitung der Wuth wirksam verhindert haben.

Um dieselbe Zeit wurde auch die Lungenseuche, welche schon seit der Mitte des 18. Jahrhunderts in Frankreich herrschte, durch die französischen Kriege nach Deutschland verschleppt.

Diese Verhältnisse veranlaßten den Erlaß des ersten größeren Seuchengesetzes, nämlich des Patents wegen Abwendung der Vlehseuche und anderer ansteckender Krankheiten, vom 2. April 1802. Seine zum größten Theil unzweckmäßigen Bestimmungen wenden sich vor— zugsweise gegen die Rinderpest, weniger gegen die Lungenseuche, den Milzbrand und die Tollkrankheit. Die Mängel des Cdikts machten bald den Erlaß neuer Bestimmungen nöthig, welche besonders gegen die Lungenseuche der Rinder und die Pockensfeuche der Schafe gerichtet waren.

Die Veterinärpolizei war damals ein Nebenzweig des Medizinal⸗ wesens. Dieser Stellung entsprach auch das nächste preußische . nämlich das Regulativ vom 8. August 1835 betreffend die Maß⸗ regeln gegen die Verhreitung ansteckender Krankheiten. Das Gesetz handelt in seinem ersten größten Theil von den Seuchen der Menschen, und in dem zweiten Abschnitt von den Krankheiten der Thiere, welche auf den Menschen übertragbar sind. Auch dieses Gesetz mußte später durch viele Verfügungen verändert und veryllstãndigt werden. Mehrere sehr wichtige Seuchenkrankheiten, z. B. die Maul- und Klauenseuche, die Räude und die ansteckenden Geschlechtskrankheiten, haben in beiden Gesetzen keine Berücksichtigung gefunden.

Eine so mangelhafte . in der Veterinärpolizei konnte die Ausbreitung der Seuchen nicht verhindern, als durch den Bau der Eisenbahnen eine vollständiger Umschwung in den Handels und Ver— kehrsverhältnissen eintrat. Den ersten Impuls zur Regelung dieser Gesetzgebung gaben die Invasionen der Rinderpest in den sechziger Jahren und die schweren Verluste, welche Holland und England durch diese Krankheit zu erleiden hatten.

Am 7. April 1869 wurde das Gesetz betreffend die Maß⸗ regeln gegen die Rinderpest für den Norddeutschen Bund erlassen. Datselbe bewährte sich im nächsten Jahre beim Herrschen dieser Seuche während des ö Krieges so gut, daß man es im Jahre 1872 zum Reichsgesetz machte und 1873 mit einer ausführ—⸗ lichen Instruktion versah.

In Preußen ist das Jahr der Wiedergeburt des Deutschen Reichs 1870s71 auch zum Reformationsjahr für das Veterinärwesen geworden. Mit der Unterstellung desselben unter das Ministerium für die Land⸗ wirthschaft begann fan die Veterinärpolizei in Preußen eine neue Zeit. Die lauten Klagen der Landwirthe über die schweren Verluste durch Viehseuchen und die . der Thierärzte, die wissen⸗ schaftlichen Erfahrungen bei der Bekämpfung dieser Krankheiten zu verwerthen, fanden an dieser Stelle ein offenes Ohr. Unter dem sachderständigen Beirath der hervorragendsten Veterinäre, Mediziner und Landwirthe bearbeitete der Unter-⸗Staatssekretär von Marcard die Vorlage zu dem preußischen Seuchengesetz vom 25. Juni 1875. Dasselbe, gleichsam zur Probe für Preußen erlassen, bewährte sich bei seiner Anwendung so vorzüglich, daß es mit geringen Ab⸗ änderungen am 23. Juni 1880 zum Reichsgesetz erhoben wurde. Eine Instruktion des Bundesraths vom 24. Februar 1881, ein preußisches Ausführungsgesetz vom 12. März 1881 und die Einrichtung einer Reichs ⸗Viehseuchenstatistik vervollständigten diese schwierige Arbeit. Die Eifolge derselben waren bei mehreren Thierseuchen vorzügliche. Die Pockenseuche der Schafe verschwand infolge des Verbots der Schutz impfung nach einigen Jahren ganz aus Deutschland. Die Tollwuth wurde im Innern des Landes getilgt und vorzugsweise gegen die östliche Grenze zurückgedrängt, die Lungenseuche und Roßkrankheit haben sehr erheblich an Häufigkeit verloren. Auch die Schafräude ist seltener geworden, und die Rinderpest ist seit vierzehn Jahren in Deutschland nicht mehr aufgetreten.

Den Bitten der Landwirthe um einen Erlaß, welcher die Ent⸗ schädigungen bei Verlusten durch Milzbrand regeln sollte, wurde durch ein Gesez im Jahre 1892 entsprochen.

Das Viehseuchenübereinkommen mit Oesterreich vom 6. Dezember 1891 regelte den Handelsverkehr mit landwirthschaftlichen Hausthieren zwischen Deutschland und Oesterreich Ungarn, und das bötzartige Auf treten der Schweineseuchen, welche bis dahin nicht mit gesetzlichen Mitteln bekämpft wurde, machte die 1 des Rothlaufes, der Schweineseuche und Schweinepest unter das Reichs ⸗Viehseuchen⸗ geset im Jahre 1894 nothwendig.

Endlich forderte die außerordentliche Verbreitung der Maul- und Klauenseuche in den Jahren 1888 bis 1893 eine Revision des Seuchen

esetzes, welche in der Novelle vom 1. Mai 1894 Ausdruck gefunden ke Hierbei ist auch die Frage der Lungenseuche⸗ Impfung geregelt worden.

In der gegenwärtigen Fassunz genügt das Reichs Viehseuchen⸗

gesetz den weltgehendsten Forderungen der Veterinärpolizei. Seine allgemeinen Bestimmungen bieten den Behörden die Grundlage zur Anordnung der erforderlichen Maßregeln, um die Viehseuchen von den , . Grenzen fernzuhalten und im Inlaad wirksam zu unter drücken. . Die Wissenschaft ist ungusgesetzt bemüht, Mittel zur Vorbeugung und Verminderung der Seuchen zu finden. Große Hoffnungen knüpfen sich an die Entdeckung gewisser Inpfmethoden zur Immunisierung der Thiere gegen die wichtigsten Infeltionskrankheiten. w

Die bisherigen Erfolge der Seuchentilgung verpflichten die Thier. besitzer zum Dank gegen die . für den steten Eifer, mit welchem dieselbe bestrebt ist, die Seuchengesetzgebung zu fördern, Zu großem Vank sind der Staatsregierung auch die Thierärzte verpflichtet, 5 , eine angemessene Stellung in der Veterinärpolizei zugewiesen hat. .

He l. . vieler Jahre ist erforderlich gewesen, um die Veterinärpolizei so zu gestalten, wie sie heute ist. Nur in Jahren des Friedeng und unter dem Schutze unseres erhabenen Königs und

Kaisers konnte ein solches Werk gedeihen. In Dankbarkeit blicken wir heute zu unserem erhabenen Herrscher empor, der in steter Für⸗ sorge um das Staatswohl jeder Wissenschaft und jedem Stande seinen Schutz und seine yer, zuwendet. Das hehre Beispiel, welches er in der Erfüllung der Pflicht seinen Unterthanen giebt, soll uns mahnen, alle Zeit treu dem Berufe in reger Arbeit dem Staate und dem Gemeinwohl zu dienen! . Gott schütze und segne Kaiser Wilhelm II.!

Aichtamtliches.

Grosbbritannien und Irland.

Der Kreuzer „Blenheim“, der schnellste Kreuzer der englischen Flotte, ist vorgestern von Portland nach Madeira abgegangen, um dort die Leiche des Prinzen von Batten⸗ berg von dem Kreuzer „Blonde“ zu übernehmen und sie nach England zu bringen. Nach seinem letztwillig ausgesprochenen Wunsche wird der Prinz von Battenberg in der Kirche zu Wippingham auf der Insel Wight beigesetzt werden.

Frankreich.

Der Ministerrath hat sich neuerdings damit beschäftigt, die Form festzustellen, in der die Mächte von dem Inhalt des Vertrags, betreffend Madagaskar, in Kenntniß gesetzt werden sollen. Dem „W. T. B.“ zufolge wird diese Noti⸗ fizierung wahrscheinlich vermittels eines Rundschreibens l, in welchem der Inhalt der Hauptartikel des Vertrags kurz zusammengefaßt ist. Die Urkunde, welche die . der Königin von Madagaskar trägt, wird nicht vor Ablauf von sechs Wochen erwartet.

Die Deputirtenkammer ft. vorgestern die Berathung über die Anleihe für Tongking fort. Der General⸗ Gouverneur für Indochina Rousseau trat für die Anleihe ein und wies die Nothwendigkeit nach, die Ausrüstun Tongkings u vollenden. Tongking und Annam würden si , schnell entwickeln, wie Cochinchina, welches nichts 43 koste. Ein Mittelpunkt der Piraterie existiere, aber es wür bald Ordnung geschaffen werden. Die ganze Anleihe in Höhe von 80 Millionen Franes wurde schließlich bewilligt.

Italien.

Der König hat, dem W. T. B.“ zufolge, ein Dekret unterzeichnet, welches für Erythräa und das dazu gehörige Territorium den Kriegs zustand proklamiert und den Truppen entsprechende Indemnität und Vollmachten ertheilt.

Die Befreiung der Garnison von Makalle hat in ganz Italien lebhafte Befriedigung hervorgerufen. . Städte hatten vorgestern Flaggenschmuck angelegt, in einzelnen wurden Illuminationen veranstaltet. Auch gestern dauerten die Kundgebungen unter Huldigungen für den König und die Armee fort. In Rom fand gestern, als am Jahrestage der Schlacht bei Dogali, vor dem zur Erinnerung an die Schlacht errichteten Denkmal eine Gedenkfeier statt, an der die Gemeindevertretung, ver⸗ schiedene Vereinigungen und eine große Menschenmenge theilnahmen. Es wurden patriotische Reden gehalten und enthusiastische Kundgebungen für die in Afrika besindlichen Truppen veranstaltet. .

Die deutsche Kolonie feierte vorgestern Abend durch ein Festmahl das Jubiläum der Wiedererrichtung des Deutschen Reichs zugleich mit dem Geburtstage Seiner Majestät des Deutschen 896 Der . Botschafter von Bülow mit dem Botschaftspersonal, der bayerische Gesandte . von Tucher und der deutsche Konsul mit seinem Personal nahmen an dem Festmahl theil. An 3. Majestät den Kaiser wurde folgendes Telegramm

esandt:

8 „Die im Deutschen Künstlerverein zur Feier des silbernen Jubi⸗ läums des Reichs und des Geburtstags Eurer Majestät versammelten Deutschen Roms legen mit den heißesten Segenswünschen für des Kaisers Wohl zugleich das feierliche Gelöbniß am Throne nieder, allezeit treu einzustehen für Kaiser und Reich.“

Spanien.

Der Ministerrath wird sich, wie „W. T. B.“ aus Madrid erfährt, heute mit der Schaffung eines Einfuhr⸗ zolles für Cuba beschäftigen. Mehrere Minister verlangen, . sowohl auswärtige wie einheimische Produkte treffen solle.

Der General Weyler hat sich am Sonnabend nach Cuba eingeschifft.

Türkei.

Die Ernennung des bisherigen türkischen Botschafters am Wiener Hofe Ghalib Bei zum Botschafter in Berlin ist, wie „W. T. B.“ aus Konstantinopel berichtet, gestern amtlich bekannt gemacht worden.

Aus amtlicher türkischer Quelle verlautet, daß nach den eingegangenen Berichten die Zahl der zur Zeit der Einnahme der Kaserne von Zeitun durch die Insurgenten in der⸗ selben befindlichen türkischen Soldaten 56 tragen habe, wobei die Zahl der achmannschaften von Eridjek und Ghenksun nicht mitgerechnet sei. Von diesen Soldaten hätten sich zu verschiedenen Zeiten nur N in Sicherheit bringen können. In dem Bett des Zeitun durchfließenden Wassers 1 an 60 Leichen von Mohamedanern gefunden worden. In allen übrigen Theilen des Reichs herrsche vollständige Ruhe und Ordnung. ̃ .

Die mit der Vermittelung in 2 beauftragten gin n,, der Großmächte sind am Sonnabend in Marasch eingetroffen.

Rumänien.

In der vorgestrigen Sitzung der Deputirtenkammer erklärte der Minister Fleva, daß er mit Rücksicht auf die an ihn gestellte, aber zurückgezogene Interpellation des Abgeord⸗ neten Czuresko sowie infolge des Kammervotums vom 24 d. M., welches einen indirekten Tadel gegen ihn enthalte, seine Ent= lassung gegeben habe. Fleva verließ alsdann die Ministerbank und nahm unter den Abgeordneten Platz. J