1896 / 57 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 05 Mar 1896 18:00:01 GMT) scan diff

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Abg. Zimmermann (Refp.): In nothwendiger Verfolgung des manchesterlichen Standpunktes muß Herr Barth zu seinen Schluß⸗ folgerungen kommen. Bei einer Vergleichung der englischen und der deutschen Minister verdienen die letzteren den Vorzug, wenn sie versprechen zu thun, was in ihren Kräften steht. Wir sind dazu da, die wirthschaftlichen Schwierigkeiten zu beseitigen und nicht, ihnen mit verschränkten Armen gegenüber zu stehen. Durch die Unter⸗ zeichnung des Antrages Paasche haben wir uns nicht gerade für diese Vorlage gebunden, denn sie enthält manche bedenklichen Punkte. Ich verkenne die Bedeutung der Ausfuhr und der Industrie überhaupt nicht, aber die Opposition aus landwirthschaftlichen Kreisen scheint mir doch einer Beachtung werth zu sein. Für unsere gesammte Landwirthschaft scheint mir nicht die Rübenzuckerindustrie, sondern der Körnerbau das Wichtigste zu sein. Es ist eigentlich wunderbar, daß diese Vorlage vom Regierungstische vertheidigt wird, während der Antrag Kanitz bekämpft wurde, trotzdem doch beide eine Einwirkung auf den Preis beabsichtigen. Wir wollen den Rübenbauern helfen, aber es wird sich fragen, ob wir diese Vorlage nicht begrenzen wollen, und jwar für die Zeit, während welcher die Handelsverträge gelten. Die Kontingentierung wird ja manche Härten mit sich bringen; aber es muß der Versuch ge— macht werden, den Rübenbau zu kontingentieren, nicht die uckerproduktion, damit die kleinen und mittleren Landwirthe ihren gie aufrecht erhalten können. Unsere gesammte Zuckerproduktion werden wir wohl niemals im Inlande verzehren können. Die Arbeiter der Zuckerfabriken haben unter manchen Uebelständen zu leiden; aber Herr Bock hat keinen Vorschlag gemacht, wie diesen Uebel⸗ ssänden entgegengearbeitet werden könne. Wir wollen den Arbeitern wenigstens ihr Brot erhalten. Wenn die Regierung jetzt die Prämie als Kampfmittel betrachtet, so frage ich, warum war man nicht bei den Handelsverträgen ebenso klug, dann hätten wir etwas besser gestanden. Mit Freuden begrüßen wir es, daß bei der Betriebs fteuer die Staffelsteuer gewählt ist; noch erfreulicher wäre es, wenn man dieses Prinzip bei der Besteuerung überall durch⸗ führen wollte, namentlich bezüglich der großen Bierbrauereien. Eine Strafe auf den technischen Fortschritt liegt in der Staffelsteuer nicht, denn wer mehr leistet, der wird dadurch auch leistungsfähiger für die Gefammtheit. Wenn aus der Vorlage etwas werden sell, dann müffen namentlich die Interessen der kleineren und mitt⸗ leren Landwirthe berücksichtigt werden. Wie die Vorlage jetzt be⸗ schaffen ist, würde sie ür mich und einen Theil, meiner Freunde unannehmbar sein. Wir hoffen aber auf eine brauchbare, durch allseitige Vereinbarung zu stande zu bringende Borlage. ; Abg. von Staudy Con): Herr von Puttkamer hat schon angedeutet, daß nicht alle Mitglieder meiner Partei mit ihm über⸗ einstimmen. Eine prinzipielle Meinungsverschiedenheit kann natür⸗ lich nicht vorliegen, denn wir alle stehen auf dem Standpunkt des Schutzes der nationalen. Arbeit, wir wünschen den Schutz der Zuckerindustrie und ihre Unterstützung durch. Prämien. Es ist keine angenehme Sache, gegenüber seinen bewährten Freunden einen Dissens auszusprechen. Herr Götz von Olenhusen hat sich gegen den Bund der Landwirthe gewendet. Im Namen aller meiner , kann ich bemerken, daß der Bund der Landwirthe zum Zucker⸗ teuergeset keine Stellung genommen hat, weil die Landwirthe ver⸗ schledener Meinung sind. Wir haben uns aber gewundert, daß Sie, Herr Götz von Olenhusen, sich für befugt gehalten haben, dem Bund der Landwirthe vorzuhalten, daß er seiner Devise nicht treu geblieben sei. Daß der Rübenbau das Rückgrat der Landwirthschaft sei, diese Ansicht des Ministers theilen wir nicht. Wir meinen, daß der Ge— treidebau die Hauptsache ist. Das Gesetz, wie es vorgelegt ist, wird unter den Konserpativen ja im ganzen Reichstag nicht eine einzige Stimme finden. Da ist die Verlage doch eine recht gewagte. Es bedarf jedenfalls einer Reihe von Abänderungen, wenn sie Gesetz werden soll. Unsere Bedenken konzentrieren sich haupt⸗ sächlich auf zwei Punkte: Wir mißbilligen unbedingt die Kontingen, tierung. Das Eintreten der Krisis habe ich vorausgesehen, deshalb bin ich gegen das Gesetz von 1891 aufgetreten, welches ja überhaupt nur mit drei Stimmen Mehrheit angenommen ist. Die Ausführungen des Grafen Bismarck, die vermöge ihrer staatsmännischen Diktion und ihrer fachlichen Auffassung einen Eindruck auf uns gemacht haben, ehen davon aus, daß wir dieses Experiment machen müssen. Wirth— henne, Experimente zu machen, sollte man sich unter allen Um⸗ ständen hüten. Wenn wir unsere Produktion einschränken und anderen Ländern die Möglichkeit geben, ihre Produktion zu erhöhen, wird dadurch nicht unsere Stellung gefährdet? Wir sind auch zu diesem Experiment gar nicht gezwungen. Die Preise waren erträglich mit Ausnahme eines Jahres, in welchem die Üeberproduktion eine zu große war, nicht bloß in Deutschland, sondern auf der ganzen Erde. Jetzt sind die Preise schon wieder solche, daß die Zuckerproduktion bestehen kann. Ueberall ist 1895 weniger geerntet worden als 1894, also haben wir ein Sinken der Zuckerpreise in nächster Zeit nicht zu be fürckten. Im vorigen Jahre wurde der Bestand erster Hand auf mebr als 8 Millionen Zentner geschätzt, in diesem Jahr nur auf 2 Millionen, wie in allen früheren Jahren. Der Konsum steigt jährlich um 25 bis 3 Millionen Zentner, die Produktion um 4 Millionen Zentner. Durch den Rückgang des Rübenbaues um I 65 Millionen Zentner ist die Gefahr der Ueherproduktion beseitigt, namentlich da der Ausfall der cubanischen Ernte noch hinzutritt. Den Prämienkampf mit den anderen Produktionsländern kann ich nicht auf mich nehmen um den Preis der Kontingentierung. Was bat es denn auch auf sich, wenn wir uns den Anbau von einigen Millionen Zentnern Rüben versagen; Rußland und Frankreich würden den Ausfall sofort wieder decken! Das Gesetz soll nur für kurze Zeit gemacht werden; wir müssen aber wünschen, daß die deutsche Zucker⸗ industrie endlich zur Ruhe kommt, nachdem sie Jahre lang hinter— einander gesetzgeberisch beunruhigt worden ist. Es handelt sich darum, die kleineren Fabriken zu erhalten und die größeren zurückzuschrauben. Das richtet sich hauptsächlich gegen, die Fabriken des Ostens zu Gunften der gut gestellten Fabriken von Mitteldeutschland. Der Kartoffelbau im Osten ist durch die Branntweinkontingentierung erheblich eingeschränkt worden. Kartoffel und Rüben sollen wir nicht bauen; der Rübenbau lohnt nicht. Will man Getreide bauen, so wird man beinahe ausgelacht. Was sollen also die Landwirthe machen? Wir wünschen, daß die Staatssekretäre energischer gegen Amerika auftreten, wo unser shuck?? chikaniert wird, während wir hier die vollste Rücksicht üben. Im Westen und in Mitteldeutschland be— finden sich Zuckerfabriken meist in den Händen von reichen Leuten. Wenn wir im Osten mit dem Westen kämpfen müßten, so würden wir unterliegen. Wir haben die großen Fabriken geschaffen aus unferer Armuth heraus, weil die Kraft des Einzelnen nicht ausreicht dazu; wir mußten zu großen Gruppen zusammentreten. Landwirthe aller Klassen sind zusammengetreten, wir haben nur Rübenaktien. Wir müssen bis auf 10 Meilen Entfernung die Rüben zur Fabrik fahren. Wie viel theurer die Fracht nach Hamburg von uns aus ist als von Sachsen aus, ist schon früher berührt worden. Die Kontingentierung hat den Nachtheil, daß sie eine große Beunruhigung in die Zucker⸗ industrie hinein bringt; in jedem Jahr soll neu kontingentiert werden. Die Beschränkung auf 14 Millionen Doppelzentner wäre nament sich für den Osten bedenklich; die Fabriken würden bis 25 90 weniger produzieren dürfen. Natürlich werden die Aktionäre möglichst viel für sich behalten und die Kaufrüben werden ausfallen. Das Rückgrat meiner Landwirthschaft ist der Rübenbau; ich könnte 30 9 mehr bauen, als ich baue; ich habe das nicht gethan, weil mir die Sache nicht sicher schien. Wenn die Fabrik, an der ich betheiligt bin mit 100 Aktionären und über 306 Rübenbauern, das will, dann würden nach Annahme des Gesetzes sicherlich 2009 Rübenbauern in Wegfall kämmen können weil die Aktionäre mehr übernehmen. Wenn das Kontingent auf 17 Millionen Doppelzentner erhöht würde, dann würde der gegen⸗ wärtige Räbenbau aufrecht erhalten bleiben, aber es würde niemand mehr zum Rübenbau übergehen können. Diesen Leuten, welche bloß guf den Anschluß an eine Gisenbahn u. s. w. warten, um zum Rübenbau überzugehen, das zu verschränken, das kann ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren. Unter diesem Gesetz könnte gar keine neue Zuckerfabrik mehr entstehen. Wir würden dann drei

n von Landwirthen haben; die in Mittel. und Westdeutschland, wie Rübenbauer im Osten und diejenigen, welche keine Rüben bauen dürfen. Jeder Direktor einer Zuckerfabrik ist natürlich für die Kon⸗ tingentierung, denn er wird dadurch zum mächtigen Mann; er kann die Rübenlieferung für die Fabrik vertheilen, des⸗ halb sind die Rübenbauer vielfach durch, die Direktoren beeinflußt. Der Gesetzentwurf ist doch recht sehr fiskalisch. Graf Posadowsky berechnet als Einnahme des Reichs von der Zuckersteuer das, was 1897 eingehen würde nach . der Prämien. Aber das Gefetz ist doch als ein erbärmliches bezeichnet worden von allen Seiten, und nun soll es bestehen bleiben in Bezug auf die Prämien, deren Betrag soll zukünftig ohne weiteres in die Reichskasse fließen und die Einnahmen des Reichs vermehren. Die landwirthschaftliche Opposition ist doch keine so kleine, wie Graf Posadowsky gemeint hat; zahlreiche Landwirthe haben sich der Opposition angeschlossen, welche von einem bekannten Grundbesitzer ausgegangen ist, dem Herrn von Tiedemann Seeheim. Redner tritt ferner für die Material⸗ steuer ein und vertheidigt dieselbe im Gegensatz zum Staatssekretär Grafen Posadowsky. Wenn man die Materialsteuer nicht wieder ein- führen wolle, dann sollte man die jetzt bestehende Prämie gesetzlich auf die Dauer festlegen. Bei seiner agrarischen Anschauung, zu der er sich offen bekenne, werde er Alles thun, um der Zuckerindustrie zu helfen, aber er verlange Gerechtigkeit. Für die Kommissionsberathung trete er auch ein.

Um 5 Uhr 7 Minuten wird die vom Abg. Richter be⸗ antragte Vertagung gegen die Stimmen der Sozialdemokraten und Freisinnigen abgelehnt. fte Minister für Landwirthschaft ꝛc. Freiherr von Hammer—⸗

ein:

Ich gebe Herrn von Staudy zu, daß der Körnerbau für die land— wirthschaftliche Gesammtproduktion eine weit größere Bedeutung hat als der Rübenbau. Wenn ich sagte, der Rübenbau und die Rüben⸗ industrie sei das Rückgrat der Landwirthschaft, so wollte ich nicht das Gegentheil des eben Dargelegten sagen. Ich begründete meinen Aus— spruch damit: der Rübenbau, bezw. die Rübenindustrie war bahnbrechend für den Fortschritt auf allen landwirthschaft⸗ lichen Gebieten und auf, allen Bodenarten. So verstand ich den Ausdruck ‚landwirthschaftliches Rückgrat“. Ich glaube, hätte Herr von Staudy die Begründung des Ausspruchs beachtet, so hätte er diese Auslegung völlig verstehen müssen.

Herr von Staudy nannte die gegenwärtige Vorlage ein Experi⸗ ment. Ich halte eine solche Bezeichnung für eine Vorlage der Staats— regierung an sich für eine gerade nicht glücklich gewählte. (Zuruf.) Sie haben den Ausdruck sich jedenfalls angeeignet. Richtiger würde man den Ausdruck auf den Antrag Kanitz anwenden. Meine Herren, dann hat Herr von Staudy dargelegt, ich habe das Gesetz von 1891 abfällig beurtheilt. Das ist richtig, und zwar, meine Herren, deshalb, weil das Gesetz die Beseitigung jeder Export prämie in Aussicht nahm, ohne daß feststand, daß andere Staaten dem Beispiele nachfolgen würden. In dieser Beziehung halte ich diese Kritik auch gegenwärtig noch aufrecht.

Dann hat Herr von Staudy auf eine Aeußerung von mir im vorigen Jahre zurückgegriffen. Ich führte aus, die Materialsteuer habe unseren Rübenbau groß gezogen, sie sei für die westlichen und mitteldeutschen Landestheile nach meiner Auffassung auch jetzt noch das Beste; aber für den ärmeren Boden, habe ich hinzugefügt, nament lich für den Sandboden, für den Osten, sei die Fabrikatsteuer das Wichtigere. Herr von Staudy hat daher meine Aeußerungen nicht vollständig wiedergegeben.

Um 5 Uhr 10 Minuten wird der Antrag des Abg. Richter auf Vertagung wiederholt und zugleich die Beschluß—⸗ fähigkeit bezweifelt. Es wird zum Namensaufruf geschritten, welcher die Anwesenheit von 165 Mitgliedern ergiebt, während 199 zur Beschlußfähigkeit erforderlich sind.

Die Verhandlung muß deshalb abgebrochen werden.

Schluß nach 5is/ Uhr. Nächste Sitzung Donnerstag 1 Uhr. (Fortsetzung der ersten Berathung des Zuckersteuer⸗ gesetzes und zweite Berathung der Novelle zur Gewerbe⸗ ordnung.)

PreusBischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 34. Sitzung vom 4. März 1896.

Ueber den ersten Theil der Sitzung ist gestern berichtet worden.

Die zweite Berathung des Etats des Ministeriums der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal— Angelegenheiten nimmt ihren Fortgang.

Auf die Erklärungen des Abg. von Jazdzewski (Pole) erwidert der

Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Meine Herren! Ich bedaure, daß Herr Abg. Dr. von Jazdzewski mich nöthigt, ihm nochmals zu erwidern.

Wenn er gefragt hat, was denn für deutsche Kinder geschehen solle, so erwidere ich darauf, daß es gewiß kein unbilliges Verlangen ist, wenn wir für 11 deutsche Kinder fordern, daß ihnen eine Stunde wöchentlich deutscher Religionsunterricht ertheilt wird. (Zuruf des Abg. Dr. von Jazdzewski: Geschieht ja Ich habe es ist ein merkwürdiges Zusammentreffen in diesem Moment, während der Herr Dr. von Jazdzewski gesprochen hat, einen neuen Bericht bekommen von gestern von demselben Mann, dessen Brief ich Ihnen neulich vorgelesen habe. Der Mann schreibt ich bitte den Herrn Präsidenten, es verlesen zu dürfen —:

Aus den Zeitungen ersehe ich, daß der genannte Herr mich einer unzutreffenden Berichterstattung beschuldigt hat. Ich werde dazu Stellung nehmen, sobald ich den Wortlaut seiner Erklärung er— halte. Schon jetzt aber bitte ich zu erwägen, ob es nicht zweck—⸗ dienlich ist, meinen Brief einfach vorzulesen

er hatte wahrscheinlich noch nicht gelesen, das das geschehen ist und hinzuzufügen, daß ich ihn buchstäblich aufrechterhalte und zu be— weisen bereit bin. Auch dürften die Herren Abgeordneten erfahren, daß ich bezüglich des Beichtunterrichts ganz auf dem Standpunkt der katholischen Katecheten und Pädagogen stehe. Ich habe den Satz gleichsam unterschrieben: ‚Es ist für das ganze Leben von Bedeutung, daß der Empfang der Sakramente nicht eine mechanische Uebung, sondern Herzenssache wird.“

(Zustimmung bei den Polen.)

Als Vater (die Amtsstellung kommt nicht in Betracht), wünsche ich einen Beichtunterricht für meine Kinder, wie ihn die von der katho—⸗ lischen Kirche anerkannten Katecheten und Pädagogen lich verweise auf den großen Gerson, auf Hirscher's Katechetik und auf das Lehrbuch der Erziehung und des Unterrichts von dem Mainzer Domherrn Dr. Ohlau)

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fordern. Dieser Unterricht wird in Schroda den Kindern deutscher

Nationalität nicht geboten. Ich erkenne gerne an, daß es seit der

Beschwerde deutscher Eltern (zu dieser dürfte man aber den Eltern eigentlich doch nicht Anlaß geben) etwas besser geworden ist. Ich nehme auch an, daß man meine Töchter nicht mit den zwei Mädchen, die vom November bis zum 1. Februar überhaupt noch nicht ge⸗ fragt waren, sondern mit den drei Mädchen, die den Unterricht während der einviertelstündigen Pause erhalten, zusammen in eine Abtheilung bringen würde. Sie würden also bei 1i1stündiger Un⸗ thätigkeit einige Fragen zu beantworten haben, während die polnischen Mitschülerinnen im Freien sich erholen. Wenn der Herr Prälat Dr. von Jazdzewski mich u. a. überzeugen kann, daß durch einen solchen Unterricht

1) die Religionswahrheiten den Kindern als Sache des Herzens beigebracht werden können,

2) der geistliche Religionslehrer in diesem Beichtunterricht seine ganze, um das Seelenheil der Kinder besorgte Liebe entfalten kann, um lich fahre mit den Worten des Bischofs Sailer fort) „das Vertrauen der Kinder zu gewinnen und zur Veredelung und Heiligung der Herzen beizutragen“,

dann haben wir Deutschkatholiken Schrodas keinen Grund, eine Aenderung der Dinge herbeizuwünschen. Andernfalls aber mag der Prälat Herr Dr. von Jazdzewski nur anordnen, daß einer der Herren Vikare den deutschen Kindern wöchentlich eine Stunde besonderen Beicht⸗ unterricht ertheile, und ich zweifle nicht, daß sich der betreffende Herr mit Pflichtbewußtsein der Aufgabe unterziehen und unsern Dank verdienen wird.

Meine Herren, das sind die Thatsachen, die ich mitgetheilt habe; darüber bin ich überhaupt nicht hinausgegangen, und ich glaube, mich in meiner Antwort darauf beschränken zu können. (Bravo! bei den Nationalliberalen und rechts.)

Beim Kapitel „Evangelischer Ober-Kirchenrath“ bringt

Abg. Rickert (fr. Ygg) wie gleichfalls schon mitgetheilt worden ist, die Erlasse des Ober⸗Kirchenraths an die Geistlichen über deren außeramtliches Verhalten zur Sprache.

Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Meine Herren! Ich bitte um die Erlaubniß, infolge der Rede des Herrn Abg. Rickert eine ganz kurze Erklärung abgeben zu dürfen.

Mit den sozialpolitischen Erlassen des Evangelischen Ober⸗ Kirchenraths habe ich absolut nichts zu thun, aus dem einfachen Grunde, den Herr Rickert bereits angedeutet hat, weil ich nicht zu⸗ ständig bin, mich mit rein innerkirchlichen Fragen zu befaffen. Die Angelegenheit wird demnächst wohl, wie ich vermuthe, in der General- Synode zur Sprache kommen.

Ganz ähnlich steht es mit dem Fall Witte. In dem Fall Witte handelt es sich um ein von den kirchlichen Instanzen auf Grund von Kirchen⸗ und Staatsgesetzen eröffnetes, schwebendes Disziplinarperfahren wegen amtlicher Verfehlungen. In dieses Verfahren einzugreifen, bin ich nicht zuständig, auch nicht als Chef der Medizinalverwal- tung. In der ersten Instanz, hat der Herr Abg. Rickert gemeint, wäre erkannt worden, ohne daß ein genügender Sachverständiger über den Geisteszustand des Angeschuldigten gehört sei. Das ist nicht ganz richtig. Es ist ein Sachverständiger gehört, der Kreisphysikus Dr. Mittenzweig. (Zuruf links.) Nein, ich glaube, er ist auch in der ersten Instanz gehört worden. Allein, wenn ich über das ärztliche Gutachten keine Beschwerde bekomme, so bin ich vollkommen außer stand, in das Verfahren und in das Urtheil der kirchlichen Disziplinarbehörden darüber einzugreifen, welche Beweis⸗ mittel sie heranziehen, welche Beweise sie erheben. Das kann ich nicht, das darf ich nicht, und deshalb muß ich es durchaus ablehnen, in eine fremde Zuständigkeit einzugreifen und mich mit dieser Sach e irgendwie materiell zu befassen.

Abg. Rudolphi (Zentr.) will auf die Paritätsdebatte der letzten Tage zurückkommten, wird aber vom Vize Präͤsidenten Freiherrn von Heereman daran verhindert.

Abg. Stöcker: Ich widerstehe der Versuchung, die kirchlichen Erlasse zu kritisieren. Herr Rickert will die möglichste Freiheit, ich gebe ihm recht, aber in gewissen Fällen muß die Kirchenhehörde sprechen, und das war hier der Fall. Es waren irrige Meinungen über die Aufgaben der Geistlichen gegenüber den Forderungen des pierten Standes vorhanden. Vom Antisemitismus hat die Kirchen. behörde in keinem Erlaß gesprochen, und mit Recht. Herr Rickert spricht immer von einer antisemitischen Hetze, warum sprechen Sie nicht von einer semitischen Hetze gegen die Kirche? Wer hat je so etwas erlebt wie die Hetze mit den niedrigsten Gemeinheiten vor einigen Monaten gegen mich und jenen unglücklichen Mann, mit dem mein Name jusammen genannt wurde? Seitens der Geistlichen ist manchmal zu weit gegangen, aber die Sympathie für den kleinen bedrückten Mann ist anerkennenswerth. Man mußte sich fragen; wie gewinnen wir die Sozialdemokraten der Kirche zurück? Das ist die wichtigste Frage, die allein durch Ausübung der Seelsorge nicht gelöst werden kann. In den großen Städten ist in der Familie für Seelsorge wenig Raum. Wir mußten uns fragen, wie sind die Leute der Kirche verloren gegangen? Politische und kirchliche Ansichten decken sich fast immer. Ja, der Fortschritt ist auch kirchlichliberal. Die Geistlichen mußten sich deshalb mit den sozialpolitischen Problemen beschäftigen, um den Umsturz bekämpfen zu können. Ihnen das zu verbieten, hieße ihnen ihre von Gott geordnete Thätigkeit be⸗ schränken. Die soziale Welt bedarf zur Gesundung der Mitwirkung der christlichen Kirche. Es handelt sich nicht um Demagogie, nicht um das Bedürfniß, eine politische Rolle zu spielen, welche meine Amtebrüder dazu treibt, es handelt sich um eine Seelsorge im Großen. Die den Leuten durch eine frivole Presse verleidete Kirche muß ihnen wieder freundlich erscheinen, dann wird eine Versöhnung möglich fein. Ueber den Fall Witte bin ich zu einer persönlichen Aussprache gern bereit, die eine andere Meinung über ihn herbei führen wird. Ich habe mit dem Fall Witte nichts zu thun, meine Auseinandersetzungen mit ihm liegen weit zurück.

Abg. von Heydebrand und der Lasa (konß) ist damit durch⸗ aus einverstanden, daß sich die Geistlichkeit mit den sozialen Problemen und den Bedärfnissen des kleinen Mannes vertraut macht, aber es dürfe nicht in der Weise geschehen, wie es vorgekommen sei. Wir stehen, führt der Redner aus, vor einer . Gefahr infolge des Kampfs zwischen Kapital und Arbeit. Reich und arm ist aber lein Unterschied des Christenthums, auch nicht der Moral. Der Staat muß den Schwachen schützen. Deshalb müssen Vereinigungen gebildet werden, welche die Interessen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichmäßig vertreten, einseitige Organisatignen schaffen nur Kampf. Wir sind bereit, jeden gangbaren sozialen Weg in der Fürsorge für die Arbeiter weiter zu gehen, aber eine Aufregung des Volks liegt uns fern; doch wenn es sein muß, können wir auch fest sein nach unten.

Abg. Lückboff (kons.) bespricht den Fall Witte als Freund des . Witte und Mitunterzeichner des Aufrufs für denselben. Er

abe von Herrn Stöcker freundliche Worte über diesen Mann ver- mißt. Das letzte Wort in dieser Sache werde hoffentlich nicht nur von den Gebolen des Rechts, sondern im Sinne christlicher Liebe ge

sprochen.

Abg. Rickert: Kapital und Arbeit sind eigentlich keine Gegen—⸗ sätze denn das Kapital schafft die Arbeit. Seit dem Tivoliprogramm eifen die Konservativen aber nur das semitische Kapital an. söhnen Sie Kapital und Arbeit mit einander! Das hessische Dber⸗Konsistorium hat den Antisemitismus für unvereinbar mit chrift⸗ sichen Grundsätzen erklärt. Politische und, kirchliche Ansichten decken sich nicht. Waldeck war orthodorkatholisch, und ich könnte noch mehrere Namen von Orthodoxen unter uns nennen. Der Fall Witte ist kein Glanzpunkt im Leben des Herrn Stöcker, und kein Wort christlicher Liebe hat Herr Stöcker für diesen Mann! Das Gut— achten des Kreisphysikus Mittenzweig ist erst nach der ersten Er— klaͤrung der Krankheit eingeholt worden. Der Kultus-Minister war kompetent, in dieser Sache einzugreifen.

Abg. Stöcker: Ich bedauere, daß man sich hier als begutachtende Instanz hinstellt in einer Disziplinarsache, die man nicht genau kennt. Ich weiß mehr davon und will den Herren privatim Auskunft geben, dann werden sie sehen, daß die Schuld wo anders liegt, als Herr Rickert annimmt. Es ist recht rickertsch, diese Disziplinarsache mit meinem Streit mit dem Pastor Witte zu vermischen. Das soziale Gebiet bedarf jetzt der meisten Bearbeitung; Kapital und Arbeit ist nur ein relativer Gegensatz. Die abhängigen Lohnarbeiter sind eine politische Macht geworden, diese auf den richtigen Weg zu bringen, sst für mich die größte politische Aufgabe. genf müssen Arbeit⸗ eber und Arbeitnehmer zusammengehen, aber sie bedürfen ihrer ö Organisation. Wenn wir auf die berufsgenossenschaftlichen Organisationen das Wahlrecht übertragen, werden wir Ruhe und Frieden bekommen.

Abg. Dr. Sattler (ul.: Daß jemand zwei Jahre lang für eisteskrank gilt und seine Stellung verliert, ist ein schreiender Uebel⸗ n dem wir vorbeugen müssen. Es ist allerdings wunderbar, daß Herr Stöcker kein freundliches Wort für den Mann hat, der das einfache menschliche Mitgefühl verdient. Der Ober-⸗Kirchenrath ist zweifellos zu seinen Erlassen an die Geistlichen berechtigt ge⸗ wesen, es bedarf aber auch der Mitwirkung der Geistlichen bei den sozialpolitischen Fragen. Allerdings sind die Geistlichen mit den wirthschaftlichen Ursachen nicht genügend vertraut, sie gehen nur mit christlicher Begeisterung an die Sache heran. Sie sollten erst nationalökonomische Studien machen, dann würden sie den Kapitalismus nicht mehr als den Feind der Menschheit ansehen, der die Besitzlosen ausbeutet. Ich stimme Herrn von Heydehrand darin zu, daß Arm und Reich zusammen die Fragen der Zeit lösen müssen. Wir wären sozialpolitisch schon weiter, wenn die Besitzenden mehr von der Ueberzeugung durchdrungen wären, daß der Besitz ein Amt ist, das seine Aufgaben hat. Von den Geistlichen ist in letzter Zeit aber oft gesündigt worden. Mit dem Antisemitismus will Herr Stöcker jetzt auch nichts mehr zu thun haben. Der Geistliche braucht aber nicht auf den Markt des Lebens zu treten, er kann sozialpolitisch auch in seiner Gemeinde segensreich wirken. Die Aufhetzung verschiedener Bevölkerungsklassen gegen einander kann diese nicht. sittlicher machen.

Abg. Irmer (kons ): Die Anschauungen des Herrn Stöcker decken sich mit den unsrigen nicht. Herr Stöcker will den vierten Stand besonders organisieren, wir wollen dessen Thätigkeit harmonisch in die der anderen Stände eingliedern. Wir haben Mitleid mit dem un glücklichen Pastor Witte, aber ein Urtheil über die Disziplinarsache geben wir damit nicht ab. Die Judenhetze verabscheuen wir Alle und verwahren uns gegen die Verbindung unseres Tivoliprogramms mit einer Judenhetze. Wir haben in unserem Programm nur dem Gefühl der Volksseele gegenüber der jüdischen Eigenart Ausdruck ge— geben, und dessen schämen wir uns nicht.

Abg. Stöcker führt aus, daß der überwältigende Einfluß des r auf materiellem und geistigem Gebiete bekämpft werden müsst

Abg. von Eynern (nl.) meint, daß Herr Stöcker einen wesent⸗ lichen Einfluß auf die Verurtheilung des Pastors Witte habe.

Abg. Stöcker hebt nochmals hervor, daß man zu einem anderen . kommen würde, wenn er den Fall privatim dargestellt haben werde.

Abg. Dr. Sattler bemerkt, daß er sich selbst über die Angriffe der jüdischen Blätter auf die evangelische Kirche geärgert habe, dagegen müsse man den § 166 anrufen. Die Stellung des Herrn Stöcker zur Sozialpolitik sei nicht klar, er mache große Worte ohne Inhalt. Gegen das Judenthum habe er allerlei dunkle Andeutungen gemacht, und feine Anhänger gingen dann darin weiter mit positiven Angriffen, bis sie dazu gelangten, sich gegen alles Kapital und schließlich auch gegen den Grundbesitz wenden zu müssen. .

Abg. Stöcker meint, daß seine Bekämpfung des Judenthums Erfolge gehabt habe, in diesem Hause sei jetzt kein Jude mehr. Er sei gern bereit, sich ausführlich mit Herrn Br. Sattler zu unter— halten, damit ihm sein politischer Standpunkt klar werde.

Abg. von Eynern verwahrt sich gegen eine angebliche Bemerkung des Abg. Stöcker, daß er Dinge vorgebracht habe, ohne sich zu vergewissern, daß sie wahr seien. Was fuͤr Herrn Stöcker wahr oder nicht wahr sei, wisse niemand in der Welt; er suche sich immer nur weiß zu waschen. Nach seiner Weißwascherei bezüglich des Scheiterhaufenbriefs wisse man wirklich nicht, ob Herr Stöcker noch objektiv Wahrheit und Unwahrheit unterscheiden könne.

Vize Präsident Krause bemerkt, daß Herr Stöcker einen solchen Vorwurf dem Abg. von Eynern nicht gemacht habe. .

Abg. Stöcker: Damit ist amtlich nachgewiesen, daß Herr von Eynern nicht versteht, was man sagt. Bezüglich des Scheiterhaufen briefs habe ich erst vor wenigen Tagen eine Broschüre des Herrn von Tiedemann gelesen, der die Auffassung hat, daß ich in meinem Brief vor Intriguen gewarnt habe.

Das Kapitel wird bewilligt.

Beim Kapitel „Evangelische Konsistorien“ wünscht Abg. von Eynern, daß der Charfreitag überall, auch in katho⸗ lischen Gegenden, zu einem öffentlichen Feiertag erklärt werde.

Ministerial. Direktor Dr. von Bartsch theilt mit, daß die Ver⸗ handlungen darüber so weit gediehen seien, daß noch in dieser Session eine Vorlage darüber gemacht werden könne.

Abg. Seer (nl) wünscht, daß auch für die Provinz Posen der Charfreitag zum Feiertag gemacht werde. ö Abg. Dau zen berg (Zentr.) beansprucht dieselbe Rücksichtnahme für katholische Feiertage. .

Bei den Rug gaben für die Bisthümer kommt

Abg. von Eynern auf die Klage des Abg. Dasbach über die mangelhafte Ausführung der Bulle „De salut animarum“ und besonders über die ungenügende Dotierung des Bisthums Ermland zurück und meint, daß man untersuchen müsse, ob die katholische Kirche nicht zuviel aus den Fonds bekomme.

Die Abgg. Dittrich und Dasbach treten dieser Ausführung entgegen. .

6 von Jazdzewski führt aus, daß der Begriff ‚Kongre⸗ gation im Sinne des Gesetzes vom 31. Mat 1875 über die Orden und ordenähnlichen Kongregationen nicht feststehe, und beklagt, daß . e 6 die Kongregation der Philippiner aus Gostyn nicht zu— gelassen sei.

Ministerial⸗Direktor Dr. von Bartsch setzt die Gründe auseinander, weshalb gegen die Philippiner nicht anders berfahren werden könne; es lägen außerordentlich schwierige Rechtsfragen vor, derentwegen auch den n, un, das vom Staate verwaltete Vermögen nicht herausgegeben werden könne.

Abg. von Jazdzewski empfiehlt, ein Gutachten von Kano⸗ nisten darüber erstatten zu lassen. Die Frage der Vermögens verwaltung werde durch Rückberufung der Philippiner leicht gelöst.

Ministerial⸗Direktor Dr. von Bartsch erklärt dies für unmöglich.

Abg. Brandenburg (Sentr.) dantt dem Minister für die Regelung der Angelegenheit des Waisenhauses in Osnabrück und be klagt die Nichtzulassung der Franziskaner in Osnabrück.

Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Ganz allein liegt die Entscheidung der Sache doch nicht in meiner Hand, sondern in der Hand des Herrn Ministers des Innern unter meiner Betheiligung. Nun habe ich mir die Sache in der That

sehr angelegen sein lassen. Ich will im voraus bemerken, es handelt sich hier keineswegs um einen Anspruch der katholischen Minorität in der Stadt Osnabrück, sondern es handelt sich um den Wunsch des Herrn Bischofs von Osnabrück, in der Stadt Osnabrück eine Niederlassung von Franziskanern zu haben, die ihm in der Seelsorge helfen möchten. Ich würde diesem Wunsch meinerseits gern entgegengekommen sein, schon um dem Herrn Bischof von Osnabrück gefällig zu sein, der sich durch staatliche Loyalität stets ausgezeichnet hat. Aber, meine Herren, bei der Beurtheilung solcher Ordensangelegenheiten ist sowohl mein Herr Kollege des Innern als auch ich verpflichtet nach dem Gesetz, zu prüfen, ob nach den Verhältnissen des Ortes, um den es sich handelt, die Gestattung einer Niederlassung unbedenklich ist. Es hat sich nun ergeben, daß sowohl der Magistrat als der Landrath, der Regierungs⸗Präsident und der Ober Präsident übereinstimmend versicherten: mit dem Momente, wo Ordens leute nach Osnabrück kommen, ist in Osnabrück der konfessionelle Friede gestört. In Osnabrück ist von Alters her eine außerordentlich empfindliche konfessionelle Bevölkerung. Ja, meine Herren, wenn der Herr Abg. Brandenburg anführt, daß in der Bürger⸗ Vorsteher⸗Versammlung kein eigentlicher konfessioneller Streit gewesen sei, so besagt das darüber, ob die Bevölkerung dort in konfessioneller Beziehung empfindlich ist oder nicht, gar nichts; denn dazu, daß die Herren in der Bürger ⸗Vorsteher⸗Versammlung sich um konfessionelle Dinge streiten sollten, liegt gar kein Anlaß vor, dort haben sie kom⸗ munale Angelegenheiten zu vertreten.

Nach Eingang der Berichte habe ich nochmals einen Versuch zum Ausgleich gemacht. Ich bin selbst in Osnabrück gewesen und habe mit den betheiligten Beamten und angesehenen Personen, denen ich Vertrauen schenken kann, über die Sache gesprochen. Auch da ist mir auf das allerbestimmteste versichert worden: es kann unmöglich dafür eingestanden werden, daß der konfessionelle Streit und Zwist nicht auf das allerheftigste entbrennt, sobald die Ordensleute zugelassen werden. Darauf habe ich dem Herrn Bischof von Osnabrück gesagt: Ich bin sehr gern bereit, zu helfen, aber schicken Sie Ihre Niederlassung in irgend einen benachbarten katholischen Ort, da wird gar keine Schwierigkeit entstehen. Aber in der Stadt Osnabrück unter diesen Umständen gegen den aus— drücklichen Rath aller Behörden ohne Ausnahme die Ordens leute zuzulassen, dafür kann ich in der That die Verantwortung nicht übernehmen. Dazu kommt noch, daß neuerdings, wie mir berichtet wird, der Seelsorgermangel in Osnabrück im Abnehmen begriffen ist, nachdem durch das Priesterseminar wieder eine größere Zahl Geist— licher zur Verfügung gestellt ist.

Unter diesen Umständen kann ich zu meinem Bedauern dem Abg. Brandenburg die Genehmigung des Antrags nicht in Aussicht stellen.

Abg. Dr. Sattler verwahrt den Magistrat von Osnabrück

gegen den vom Abg. Brandenburg erhobenen Vorwurf einer schroffen Haltung in dieser Angelegenheit.

Abg. Dauzenberg bestreitet, daß einige Ordensbrüder den konfessionellen Frieden eines Ortes stören könnten.

Abg. Brandenburg hält die Berichte des Osnabrücker Magistrats nicht für maßgebend, weil der durchweg altkatholische Magistrat sich jedes katholische Element fernhalte. Im ganzen Jahrhundert seien nur zwei Magistratsmitglieder katholisch gewesen.

Das Kapitel wird bewilligt.

Gegen 4 Uhr wird die weitere Berathung des Kultus⸗ Etats auf Donnerstag 11 Uhr vertagt.

Statistik und Volkswirthschaft.

Ueber den Taback im deutschen Zollgebiet

(d. h. die Erzeugung und Besteuerung des Tabacks, Ein und Ausfuhr von Taback und Tabackfabrikaten sowie Ertrag der Tabackabgaben) veröffentlicht das soeben erschienene 1. Heft des Jahrgangs 1896 der Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs die Nachweisungen für das Erntejahr 1894,95, denen sich 10jährige Uebersichten anreihen. Daraus geht hervor, daß der Tabackbau im Zollgebiet, der im Jahre 1887 noch 21 466 ha umfaßt hatte, im Jahre 1892 auf einen Umfang von nur 14730 ha zurückgegangen war, 1893 aber wieder auf einen Flächen⸗ raum von 15193 ha und 1894 von 17575 ha sich erstreckt hat. Die Zunahme in dem letztgenannten Jabre erklärt sich im wesentlichen durch die guten Tabackernten der Jahre 1892 und 1893, den befriedigenden Absatz, den die in diesen Jahren geernteten Tabacke in der Regel ge—⸗ funden haben, und die von den Pflanzern dafür gelösten höheren Preise, während die Preise der übrigen Feldfrüchte verhältnißmäßig niedrig standen.

Auf die Hauptgebiete des deutschen Tabackbaues vertheilt sich die im Jahre 13894 mit Taback bepflanzte Fläche derart, daß auf die Pfalz 5428 ha, Elsaß ⸗Lothringen 1297 ha, das badische Oberland 1333 ha, die Gegend von Nürnberg und Fürth 533 ha, die Uckermark h. Odermündung 3374 ha und die übrigen Tabackgegenden 2610 ha amen.

An trockenen (dachreifen) Tabackblättern sind 1894 im Ganzen 38 3176 geerntet worden, auf 1 ha durchschnittlich 2 186o Von den 9 Vorjahren weist nur das Jahr 1889 eine verhältnißmäßig größere Ernte auf, indem der Durchschnittsertrag auf 1 ha in diesem Jahre 224 t betragen hatte, während die übrigen 8 Jahre gegen 1894 zum theil erheblich zurückstehen, am meisten das Jahr 1888 mit einer Durchschnittsernke von nur 1,46 t auf 1öha. Für 1894 hätte sich das Ergebniß noch besser gestellt, wenn nicht zur Zeit der Ernte meist übermäßige Nässe und vorwiegend kühle Witterung geberrscht hätte, und auch während der Trockenzelt die Witterung fast überall ungünstig gewesen wäre, so daß durch Dachfäule vielfach große Verluste entstanden sind. Die Beschaffenheit des 1894er Tabacks war in der Regel recht gut, vielfach sogar vorzüglich, weshalb er sehr begebrt war und von den Pflanzern rasch und zu verhältnißmäßig guten Preisen abgesetzt worden ist. Für das ganze Zollgebiet ist für 100 kg dachreifer Blätter einschließlich der Steuer ein mittlerer Preis von S423 S ermittelt gegen 78,1! Æ im Durchschnitt der 10 Jahre 1885/94. 36.

Eingeführt in das deutsche Zollgebiet wurden 1894583 49293 unbearbestete Tabackblätter gegen 47 668 4 im Jahre 18953.ñ294; der Werth der Einfuhr an Taback und Tabackfabrikaten ist für 1894 / 95 im Ganzen zu ö, s Millionen Mark berechnet, der Werth der Ausfuhr von rohem und frabriziertem Taback zu 55 Millionen Mark. Der Grtrag der Tabackabgaben (Steuer und Zoll) betrug in diesem Jahre abzüglich der Ausfuhrvergütungen 57,5 Millionen Mark oder 1,11 6 auf den Kopf der Bevölkerung.

Nach den in demselben Heft veröffentlichten amtlichen Zusammen · stellungen über die überseeische Auswanderung im Jahre 1595 betrug die Gesammtzahl der über Bremen, Hamhurg, Stettin, Antwerpen, Rotterdam, Amsterdam und Bordeaux beförderten deut. schen Auswanderer 35 629. avon waren 18 955 männliche, 16298 weibliche Personen; für 375 Auswanderer ist das Geschlecht nicht an⸗ gegeben worden. Den Einschiffungshäfen nach vertheilen sich die deutschen Auswanderer, wie folgt: Es ginßen über Bremen 7749 männ⸗ liche Und 7411 weibliche Perfonen, Hamburg 7790 und 6207, Stettin IJ und 36, Antwerpen 7732 und 2192, Rotterdam 597 und 4532

außerdem 285 ohne Geschlechts angabe), Amfterdam 54 und 20 außerdem 18 ohne Geschlechtsangabe, Bordeaux (Männer und Frauen zufammen) 72. Von den Auswanderern (mit Ausschluß der üher Bordeaux beförderten) reisten 14171 darunter 5977 männliche, 7590 weibliche und 304 ohne Geschlechtsangabe in Familien, 21 386 darunter 12973 männliche und S408 weibliche als Einzelpersonen. .

Als Reiseziel wählten 30 693 die Vereinigten Staaten von Amerika, 1100 Britisch⸗Nord⸗ Amerika, 1396 Brasilien, 748 Argen⸗ tinien und Uruguay; 461 Deutsche gingen nach anderen Theilen von Amerika, 886 nach Afrita, 134 nach Asien, 211 nach Australien.

Ein Vergleich der 1895 er Zahlen mit denen der Vorjahre er⸗ iebt folgendes Resultat. Es wurden über die vorgenannten Häfen '. über Havre (für welchen ahn die Angaben für 1895 noch fehlen) deutsche Auswanderer besördert im Jahre 1899: N 103, 1891: 120 089, 1892: 116 339, 1893: 87 677, 1894: 40 964, 1895 (ohne Havre) 35 629. .

Von den deutschen Auswanderungshäfen Bremen, Hamburg und Stettin wurden im verflossenen Jahre noch 95 074 Angehörige fremder Staaten befördert. Davon entfallen auf Bremen 53 832, Hamburg 1 150, Stettin 142. Der überwiegenden Mehrzahl nach sind diese Personen aus Desterreich⸗Ungarn und Rußland (zusammen 36 785 und 36 725) gekommen.

Die Eisenbahnen Deutschlands im Betriebsjahre 1894,95. 1

Von der im Reichs Eisenbahn-Amt bearbeiteten Statistik der im Betriebe befindlichen Eisenbahnen Deutschlands, soweit sie der Reichs⸗ aufsicht unterstehen, also abgesehen von den sogenannten Kleinbahnen, ist soeben der die Ergebnisse des Betriebsjahres 189495 umfassende Band XV im Verlage der Königlichen Hofbuchhandlung von E. S. Mittler C Sohn in Berlin erschienen.

Im Folgenden theilen wir einige dem Werke entnommene Ergebnißzahlen mit, verglichen mit den entsprechenden Angaben aus dem vor zehn Jahren erschienenen V. Bande (Betriebsjahr 1884/85).

Eigenthumslänge der Vollspurbabnen.

In dem zehnjährigen Zeitraum ist die Eigenthumslänge der deutschen Eisenbahnen von 36538 auf 44 167 km, d. i. um 7629 km 21 v. H. gewachsen; die Gesammtlänge hat jetzt eine Ausdehnung erreicht, die den Umfang des Erdäquators um 1097 km übersteigt. Von dieser Länge entfielen am Ende des Jahres 188485 auf Haupt- bahnen 30 440 Km oder 83 v. H.,, auf Nebenbahnen 6998 km oder 17 v. H., dagegen waren am Ende des letzten Betriebsjahres 31635 km oder 72 v. H. Hauptbahnen und 12532 km oder 28 v. H. Nebenbahnen vorhanden. Die Hauptbahnen haben somit nur um 3,9 v. H., die Nebenbahnen aber um 105,5 v. H., also um mehr als das Doppelte zugenommen. Uebrigens sind den Nebenbahnen nicht allein neugebaute Strecken, sondern auch frühere Hauptbahnen zugefallen, von denen rund 746 km in Nebenbahnen umgewandelt wurden.

Die gesammte Länge der vollspurigen Gleise (Haupt und Neben leise) betrug am Schlusse des Betriebsjahres 18945195 79 495 km. Sie hat sich seit 1884s85 um 17101 Km 27 v. H., seit dem Vor⸗ jahre um 1556 km 2 v. H. vermehrt.

Die Länge des zweiten durchlaufenden Gleises betrug im Jahre 189495 15219 km. Die einspurigen Bahnen (28 g48 km) stehen danach zu den zweispurigen im Verhältniß von 1,9: 1. Im Jahre 188485 war das Verhältniß 2,4. 1. Der Ausbau der zweiten Gleise machte also in den letzten zehn Jahren verhältnißmäßig raschere Fort⸗ schritte als der Neubau einspuriger Linien.

Dritte und vierte durchlaufende Gleise sind in Längen von 107 und 66 km vorhanden.

Das Verhältniß der Hauptgleise zu den Nebengleisen war im Jahre 188485 3, 2:1, im Jahre 1894795 3:1. Die allerdings ge⸗ ringe Verschiebung zu Gunsten der Nebengleise rührt von der * weiterung der bestehenden Bahnhöfe und der Anlage großer Rangier⸗ bahnhöfe her.

Ausstattung der einzelnen deutschen Bundes staaten mit EGisenbahnen.

Bei einen Flächeninhalt von rund 540 484 qkm, einer Ein wohnerzahl von 46,14 Millionen im Jahre 1884/85 und von 51,37 Millionen im Jahre 1894/95 entfielen im Gesammtdurchschnitt:

auf 100 qkm im Jahre 1884/85 6,74 km Eisenbahn ö , (, und auf 10 000 Einwohner im Jahre 1884/85 7,90 km Eisenbahn w ĩ

Die Ausftattung der einzelnen Bundesstaaten mit Eisenbahnen

ergiebt sich aus der folgenden Uebersicht:

Kilometer Eisenbahnen

auf je lo9 km] auf je 10 000 Grundfläche Einwohner 1884/85 1894/95 1884/85 189495

Staat

Laufende Nummer

Preußen 6, 24 z 7, s 8, 49 Bayern ö. 6, 62 8 9,28 10, 32 Sachsen .. 13,83 H, 667 6,14 Württemberg 7,39 ? 7,29 7,53 Baden 8, 8 ? 8,44 9,20 Hessen 10,90 1 8,1 905 Mecklenburg ⸗Schwerin .. 3,98 9, '365 17,32 Sachsen⸗Weimar . 8, 85 10,44 Mecklenburg⸗Strelitz ... 15, 84 24,06 Oldenburg ,, 9.58 12,07 Braunschweig 9,33 13 9.40 10,70 Sachsen⸗Meiningen ; 58 8 7, 652 9, 03 Sachsen⸗Altenburg ... 5 18.90 8,58 g9g,66 Sachsen⸗ Coburg ˖· Gotha .. 3,76 l 8,64 12,08 Anhalt 14 9,60 9, 94 n n n n susen , 74 11,91 Schwarzburg⸗Rudolstadt . 49 3, . Waldeck 3, 79 6,20 Reuß ältere Linie.... „56 5,22 Reuß jüngere Linie... 5, 8e 9.5 34 6,18 Schaumburg Lippe.... ; „709 . 5,71 Bremen ; 258 253 Hamburg l . ] 0, 50 Flfaß Lothringen .... 3,96 8,43 904 Anzahl der Stationen. .

Die Gesammtzahl der Stationen des deutschen Eisenbahnnetzes ist in dem zehnjährigen Zeitraum von 6925 auf 8235, d. i. um 37 v. H., somit staͤrker gestiegen, als die Gleislänge. Es entfallen heute 5,35 km Bahnlänge auf 1 Station, während vor 19 Jahren die durchschnittliche Entfernung der Stationen 6iOß km betrug. Hiese Verkürzung des durchschnittlichen Abstandes rührt von der Einschaltung neuer Stationen auf älteren Bahnen her. Die vorhandenen Sta— tionen zerfallen in 4059 Bahnhöfe, 2633 Haltestellen und 15943 Halte-

punkte. Betriebsmittel.

Zur Bewältigung des Verkehrs standen den vollspurigen deutschen Eisenbahnen im Betriebsjahre 1894/95 15 839 Lokomotiven, 30 zb Perfonenwagen mit 68 736 Achsen und 322219 Gepäck. und Güter wagen mit 555 974 Achsen zur Verfügung, während im Jahre 1884 / 12 598 Lokomotiven, 22 145 Personenwagen mit 49586 Achsen und 246 588 Gepäck und Güterwagen mit 503 223 Achsen vorhanden waren. In dem zehnjährigen Zeitraum hat somit eine erbebliche Zu⸗ nahme stattgefunden, bei den Lokomotiven um 3741 Stück oder um

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