1896 / 98 p. 7 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 24 Apr 1896 18:00:01 GMT) scan diff

Deutscher Neichstag. . 75. Sitzung vom 23. April 1896, 1 Uhr.

Die gestern abgebrochene Bespre , n n des Abgeordneten Freiherrn von . el (d. kons.), be⸗ treffend den Betrleb der Bäckereien, wird fortgesetzt.

Abg. Dr. Vielhaben (Rep.): Das Deutsche Reich kann

nur dann erhalten, wenn es einen breiten, wohlhabenden Mittel.

and als Grundlage hat. habe mir aus dem Leben heraus selbst ein Bild von den Interessen des Mittelstandes . In der Volkswirthschaft kommt die Arbeit nur als Produktionsmittel in Betracht, aber nicht die geistige und sittliche Arbeit. Die Arbeit im ndwerk ist eine vielseitige, in der Fabrik nur eine einseitige, rein körperliche, deshalb beeinträchtigt diese die Gesundheit. Auf der Fabrfk= arbeit beruht die Berechtigung der Sozialdemokratie. Die körperlich angestrengten Arbeiter suchen geistige Erholung in den Versamm⸗ lungen, welche die Sozialdemokratie ihnen mit politischen und wissen⸗ . Dor e n; bietet. Die Regierung hat mit ihren Be⸗

ebungen am falschen Ende waer n denn die Beschäftigungen

m Handwerk sind die gesundesten, viellei ebenso gesund, wie die in der Landwirthschaft. Die Beschwerden der Fabrikarbeiter richten sich gegen die Art ihrer Arbeit; sie verlangen geistige Thätigkeit. Die Sozialdemo⸗ kratie hat ihre Anfangsperiode hinter sich; sie hat eine gewisse Aner⸗ kennung errungen, und nun verlangen die Arbeiter auch etwas raktisches, während die Führer noch immer in der Kampfperiode stecken. . reiherr von Buol bemerkt dem Redner, daß sich die Be pre ung nicht auf die Sozialdemokratie, sondern auf den Bäckerei eziehe Wenn der Bundesrath arbeiterfreundlich sein will, dann hätte er an die Eisenbahn⸗ und Postbeamten denken können; die Bäcker eignen sich am wenigsten als ersuchgobsekt. Durch das Vergehen der Regierung ist das, Einvernehmen der Bäckermeister und Bäckergesellen gestört worden. Die Hälfte der Bäckergesellen ist gegen die Neuregelung. Wenn Mißstände im Bäcker ewerbe vorhanden sind, so hätte man den Bäckern ö. eine , geben müssen; denn die Beamten können die Verhältnisse des Gewerbes nicht übersehen. In der Begründung der Kommission fur Arbeiterstatistik ist auch auf das Ausland verwiesen, während Deutschland nur einen Vergleich mit sich selbst verträgt. Ich bestreite, daß die Arbeit der Bäcker so schwer sei, daß sie trotz der langen Arbeitszeit gesundheitsgefährlich wirken kann. Die hier vorgebrachten haarsträubenden Dinge haben sich bei näherer Erkundigung zum theil als unrichtig herausgestellt. Die vernommenen Bäckergesellen sind von den Gefellen selbst gewählt worden; es sind bekannte Agitatoren darunter, und sogar unter den Bäckermeistern, die vernommen sind, befindet sich auch einer, der für einen s ö Konsumwverein arbeitet. Die Sozialdemokratie bekämpft die Bäcker deshalb, weil bei den Bäckerinnungen allein die Gesellen einen Gesellen⸗ ausschuß gewählt haben, während an die Sozialdemokraten eine solche Wahl zu verhindern gewußt haben. Die Bäckergesellen haben arnicht gewußt, wie schlecht ihre Lage ist; jetzt wo der Bundesrath fr sie eintritt, müssen sie es beinahe glauben. Redner bleibt dabei, daß man am falschen Ende angefangen habe; man hätte bei der Post und Eisenbahnverwaltung anfangen müssen, wo die Zustände viel schlimmer seien. Der nd n, sollte diese Verordnung sobald als möglich wieder aufheben. ; . Abg. Richter (fr. Volksp): Wir haben diese weitschichtigen Debatten vorausgesehen, als 8 1026 gemacht wurde, und haben dem⸗ selben nicht zugestimmt, obwohl wir der Meinung waren, daß für manche Gewerbe ein Maximalarbeitstag nothwendig sei. Wir hielten aber solche allgemeine Vollmachten für nicht vereinhar mit dem konstitutionellen System. Unser Vertreter, Herr Gutfleisch, hat verlangt, daß solche Verordnungen wenigstens dem Reichstag zur nachträglichen Genehmigung vorgelegt werden müßten, damit diefer sie außer Kraft setzen konne; denn wirthschaftliche und gefundheitliche Verhättnisfe spiclen vielfach in einander ber, daß mnign fie nicht auseinanderhalten kann. Die Kommission für AÄrbeiterstatistik hat sich jedes Urtheils darüber enthalten, ob 51206 Anwendung finden könne Auch mir scheint es nicht ganz sicher zu sein, ob 5 1036 anwendbar ist. Der Handels,. Minister meinte, daß der Bundesrath zu einer foschen Verordnung verpflichtet sei, wenn die Voraussetzungen vorliegen. Das ist nicht richtig. Es heißt nur: der Bundesrath kann eine solche Verordnung erlassen, und es bleibt ihm vorbehalten, ob er dazu die . eines Gesetzes oder einer Verordnung wählt. Eine Verordnung st allerdings zweckmäßiger, weil sie leichter geändert werden kann. Aber einem soweit verbreiteten Gewerbe gegenüber ist die Sache doch bedenklich. Die Kritik des Reichstags hat ergeben, daß die Ver— ordnung als Gesetz hier keine Zustimmung finden würde. Unter diesen Umständen wird die Ausführung der Verordnung fehr schwierig sein, da auch die Interessenten fich vielfach dagegen erklärt haben' Da wäre eine parlamentarische Verhandlung angebracht ge⸗ wesen. Allerdings haben mehrjährige Verhandlungen“ von der Kommission für Arbeiterstatistik stattgefunden; aber diese Ver⸗ handlungen kommen nur einem kleinen Kreise von Personen zur Kennt⸗ niß. Bas Verordnungsrecht darf niemals soweit gehen, daß das Gesetz 3 wird; das geschieht aber durch die Verordnung in

etrieb

Bezug auf die Sonntagsruhe. Die Gewerbeordnung spricht davon, daß der Bundesrath Anfang, Ende und Dauer der Arbeitszeit be⸗ n , könne. Es ist zweifelhaft, ob er Minimalrubezeit festsetzen ann. Jetzt treten die Agrarier für die Bäcker ein, obgleich sonst darüber geklagt wird, daß die bösen Bäcker die Verbi igung des Brots verhindern und immer reicher würden. Wenn wir uns in dieser Weise für ein Gewerbe einlegen würden, würde man uns manchesterliche Gesinnung vorwerfen; jetzt scheinen Sie srechts) selbst dem Bestreben, fortwährend in das Eiwerbsleben einzugreifen, eine Grenze setzen zu wollen. Wir sind nicht Gegner eines staatlichen Eingriffs, es soll uns nur immer der Nachwels der Nothwendigkeit dazu erbracht werden. Die Sozialdemokratie betrachtet freilich jeden solchen Eingriff als Uebergang zum sozialistischen Staat. Da wir in der Sache nichts zu sagen haben, so ist es bedenklich, darüber zu reden. Ich will mich und meine Parteigenossen keineswegs auf die Einzelheiten festlegen. Da für eine große Anzahl von Betrieben die Maximal⸗Arbeitszeit schon besteht, ist nicht entscheidend. Daß der Betrieb unter Kontrole gestellt wird und daß dadurch Streitig⸗ keiten entstehen, ist maßgebend. Durch folche Zwangsbestimmungen verhindert man, daß die Unternehmer freiwillig Verbesserungen in ihrem Betrieb vornehmen. Man hätte die Bäcker nicht ver⸗ leiten sollen, ihr Heil im Innungszwange und Befähigungsnachweis zu suchen, wodurch nur neue Erschwernisse geschaffen werden gegen ein richtiges Vorschreiten. Wenn eine 16 stündige Arbeitszeit 26 zulässig ist, dann hätte man sich doch darauf beschränken sollen, die achtstündige Ruhezeit festzulegen. Durch die Ausnahmebestimmungen ist die Ver. ordnung so kompliziert worden, daß die Betheiligten den Inhalt Der⸗ selben nicht behalten können. Schließlich wird jeder Bäckermeister sich einen besonderen Syndikus halten müssen, um nicht gegen die Ver⸗ ordnung zu verstoßen. Ein Experiment pflegt man gewöhnlich nicht am lebenden Körper zu machen, und wenn man un icher ist, sollte man sich wenigstens auf das Minimum beschränken. Durch Fest— legung der achtstündigen Ruhezeit hätte man wohl den Anstoß zur Veränderung schlechter Betriebsformen gegeben. Wenn die Regierung wieder einmal so eingreifende Maßnahmen in Aussicht nimmt, so sollte sie nach den heutigen Verhandlungen darauf edacht nehmen, den Weg der Gesetzgebung zu beschreiten.

Abg. Graf von Bismarck ⸗Schönhausen lb. k. F.): Die Inter⸗ pellation ist gestellt worden wegen der gesetzlichen und wirthschaftlichen Bedenken. Ich würde darüber nicht mehr fagen können als der Vor— redner, dessen von Ueberlegung und Sachkenntniß zeugende Ansichten ich vollständig theile. Der Maximalarbeitstag mu ö zu einem Normalarbeitstag führen. Mit gießen Recht bg. Merbach hervorgehoben, daß überhaupt zu biel reglementierf würde. Er hat auf den Ladenschluß und die Uebertreibung der Sonntagsruhe hinge⸗ wiesen. Auf dem Lande können Sie sehen, wie beunruhigend groß die Unzufriedenheit darüber ist. Auch die . hat sich dagegen in einem ziemlich energischen Artikel ausgesprochen. Mit Recht hat der Vorredner darauf aufmerksam gemacht, daß kein Gewerbe sich mehr sicher fühlt gegen staatliche Eingriffe. Deshalb sollte man in diesen

Dingen doch lieber den Reichstag befragen. Auch Mitglieder anderer * eien, die nicht gerade auf dem Standpunkt der Interpellanten tehen, wie Herr Siegle und Herr Pachnicke, haben sich gegen die Verordnung ausgesprochen. 24 diese im gesundheit⸗ lichen Interesse nothwendig sei, ist nicht stichhaltig, Auch daß die kleinen Betriebe nicht betroffen würden, kann ich nicht annehmen, denn sonst würden sie doch nicht so stark reklamieren, Ich habe aus meinem Wahlkreise ein Schreiben bekommen von einer Innung, in welchem ich gebeten werde, gegen die Verordnung einzutreten. (Redner verliest die Zuschrift gegen die ö die auf die Sozial⸗ demokratie zurückgeführt wird.) Nicht nur Meister, sondern auch Ge⸗ sellen sprechen sich gegen die Verordnung aus. Bas ist auch lescht zu verstehen; denn die Gesellen wollen Meister werden. In nuce enthält die Gingabe der Bäckerinnung „Germania“ alles, was Echt werden kann. Die Bäcker haben gethan, was sie konnten, indem fle ch an den Bundesrath gewendet haben. Ob sie eine Antwort er⸗ alten werden, weiß ich nicht. Die Petition führt überrgschend ünstige Zahlen in Bezug auf die gesundheitlichen Verhältnisse an. Len gen der Kommisston für Arbeiterstatistik ist durchaus nicht genügend; es sind nur verhältnißmäßig wenige Sachverständige ver⸗ nommen worden. Vom Bundegrathstische ist gesagt worden: Man ewöhne sich an alles. Der Einäugige und der Cinarmige gewöhnt ch schließlich auch an sein eines Auge und, seinen einen Arm, aber niemand wird sich deshalb freiwillig der Verkrüppe⸗ lung aussetzen. Es liegt keine Befürchtung bezüglich der Gesundheit vor, und das wäre der einzige Anlaß zur Einführung eines Maximal- arbeitstages. Man hätte i; lieber warten sollen. Die beste Rege⸗ lung wäre die freiwillige seitens der Interessenten selbst. Ich schließe mich dem Bedauern an, daß die Vorlage über die Handwerker⸗ organisation immer noch nicht eingebracht ist. Wenn gesagt würde, daß eine Verordnung leichter geändert werden könne, so möchte ich im Interesse der Bäckermeister wünschen, 8 der Tag der Aenderung recht bald anbrechen möchte. Der laute Beifall der Sozialdemokraten beweist, daß diese Verordnung ihnen nützt. Bisher ist die Bäckerei ein im Ganzen antisozialistisches Gewerbe gewesen. Vie Bäcker werden aber der Sozialdemokratie zugetrieben, wenn man sie unzufrieden macht. Der gestrige sozialdemokratische Redner meinte, unsere Arbeiterfreundlichkeit fei nur platonisch. Pie Arbeiterfreundlichkeit der großen Mehrzahl des ganzen Hauses steht auf dem Boden der Kaiserlichen Botschaft, und feit dieser Botschaft ist bei uns mehr geschehen als in allen anderen Ländern. Die Herren sind freilich nur zufrieden, wenn wir den Zukunftsstaat einführen. Herr Bebel tt neulich; Wir leben nur von Ihren Fehlern. Ich kann die Meinung nicht unterdrücken, daß es sich hier um einen solchen Fehler handelt, und deshalb kann ich nur meine Stimme mahnend erheben und die Regierung bitten, auf diesem Wege nicht weiter vorzugehen.

Minister für Handel Berlepsch:

Meine Herren! Der Unterschied in der Auffassung der ver— bündeten Regierungen und des Herrn Vorredners, sowie derer, die seiner Meinung waren, ist der, daß die Herren resp. ihre Parteien gegenüber der Stellungnahme, die sie eingenommen haben, als die Gewerbeordnungsnovelle von 1891 berathen wurde, einen Rückzug antreten (sehr richtig! links und aus der Mitte), während die ver— bündeten Regierungen auf dem Standpunkt stehen bleiben, den sie damals eingenommen haben. Heute und das hat der Herr Abg. Graf von Bismarck eben auch gethan (Zuruf rechts davon habe ich auch nicht gesprochen; ich habe nur gesagt, Ihre Partei hat es damals gethan; der stenographische Bericht wird das ja ergeben. Heute hat der Herr Abg. Graf von Bismarck ausgeführt, daß der Maximalarbeitstag, der in der Bäckerverordnung vorgeschlagen worden sei, grundsätzlich zu verurtheilen sei, er bedeute einen Schritt auf einer abschüssigen Bahn, er müsse seine warnende Stimme dagegen erheben. (Sehr richtig! rechts) Ja wohl, meiné Herren, jetzt sagen Sie: ehr richtig!“, und dieselben Parteien würden im Jahre 1891 „sehr unrichtig“ gesagt haben. (Sehr richtig! links und aus der Mitte.) Ausnahmslos haben Sie sich damals auf den Standpunkt gestellt, daß der sanitäre Maximalarbeitstag eine unentbehrliche Sache sei. Wünschen die Herren, daß ich Ihnen aus den stenographischen Berichten die Worte der konservativen Redner von damals vorlese? Meine Herren, der eine dieser Herren hat sich dahin erklärt, daß dieser sanitäre Maximalarbeitstag überhaupt zu wenig sei. (Hört, hört! links) Er verlangte wie die konservative Partei das bisher gethan hat den 12stündigen allgemeinen Maximalarbeitstag, und der andere konser⸗ vative Redner, der heute nicht mehr in diesem Hause sitzt, sprach sich dahin aus, man brauche den allgemeinen Maxjimalarbeitstag nicht mehr; nachdem die Regierung selber dieses Hilfsmittel des sanitären Arbeitstages auf Grund des § 1206 vorgeschlagen habe, dürfe man wohl hoffen, daß sie nun auch einen entschiedenen Gebrauch von dieser Bestimmung mache. (Hört, hört! links Wundern Sie sich denn, meine Herren, wenn die Regierung auf dem Standpunkt bleibt, den alle Parteien und sie selbst damals eingenommen haben? Das Gegentheil würde eine ganz unverzeihliche Inkonsequenz sein. Wenn die Herren Abgeordneten ihre Meinung wechseln, so kann das für die Regierung absolut kein Anlaß sein, ihrerseits das auch zu thun. Meiner Meinung nach könnte das nur zu einer Schwächung der Regierung und nicht zu ihrer Stärkung beitragen.

Der Herr Abg. Graf von Bismarck sagt und das haben auch andere Redner vor ihm gesagt es ist kein Stand mehr sicher vor irgend welcher Maßregelung auf Grund dieses § 1206! Man hat auf die Verhandlungen hingewiesen, die in der reichsstatistischen Kom⸗ mission über die Verhältnisse im Handelsgewerbe gepflogen worden sind, man hat gestern sogar ich weiß mich augenblicklich nicht mehr zu erinnern, welcher von den Herren das war der arbeiter⸗ statistischen Kommission gegenüber im Ton des Vorwurfs geltend gemacht, daß sie sich mit den Verhältnissen der Konfektionsbranche beschäftige. Meine Herren, haben Sie denn ganz vergessen, daß vor ganz kurzer Zeit der Reichstag unisono danach gerufen hat, hier muß etwas geschehen: Bundesrath thue Deine Schuldigkeit, greife ein! (Sehr richtig! link) Nun wird die arbeiterstatistische Kommission damit beauftragt, diese Verhältnisse zu untersuchen, gründlich zu unter⸗ suchen, und nach 3— 4 Wochen kommt einer der Herren aus dem Reichstag und macht ihr einen Vorwurf daraus, daß sie das thut? Ja, meine Herren, das ist ein so beschleunigter Rückzug, wie er mir sonst überhaupt noch nicht vorgekommen ist (Heiterkeit) in Fragen, die meiner Ansicht nach doch eine prinzipielle Bedeutung haben. Auch diesen Schritt könnten die verbündeten Regierungen unmöglich mit- machen.

Wenn man davon spricht, heute sei kein Stand mehr sicher vor einer solchen Maßregelung, ja, meine Herren, es handelt sich darum, die Bestimmungen der Gewerbeordnung auszuführen. Das ist sehr einfach ich habe das gestern schon ausgesprochen —, schöne Paragraphen machen, schöne Reden halten, und nachher im Wege der Ausführung Stück für Stück wieder wegnehmen, wagt zugesagt ist! Dieses Prinzip können die verbündeten Regierungen nicht annehmen. (Sehr gut! links und aus der Mitte.)

und Gewerbe Freiherr von

Es wird das ganz gewiß seitens der verbündeten Regierungen nicht geschehen, und Sie können sich darauf verlassen, so lange ich einen Finger rühren kann, wird dieser Weg nicht beschritten. (Bravo! linkz und in der Mitte.) Es ist auch vollständig richtig und in Ordnung, wenn die Verhältnisse in den Handelsgeschäften einer Regelung unter⸗ zogen werden, und es hat sich bisher meines Wissens in der Presse noch keine Stimme dagegen erhoben, daß auch dort so unerhrte Mißbräuche vorliegen, eine solche Ausnützung der weiblichen und der jugendlichen Arbeitskraft, daß die Remedur unbedingt nothwendig ist. (Sehr wahr! links und in der Mitte.) Ueber die Mittel, wie daz am besten zu geschehen hat, kann man ja verschiedener Meinung sein.

Im übrigen mache ich darauf aufmerksam, daß es scheint, alt hätten die Herren nicht alle sich die Gesetzesbestimmung genau be— trachtet. Ich mache darauf aufmerksam, daß dem Bundesrath nicht die Befugniß zusteht, im Wege der Verordnung die Arbeitsdauer im Handelsgewerbe zu ordnen. In der Beziehung können Sie ganz be— ruhigt sein, da kommen Sie dran, da können Sie selber Ihre Mei nung kundgeben, denn eine solche Bestimmung würde nur im Wege des Gesetzes gemacht werden können. So liegt es auch mit dem Ver— kehrsgewerbe, dem Kellnergewerbe. Auch diese Fragen liegen der Kom— mission für Arbeiterstatistik vor. Auch diese Fragen können nicht im Wege der Verordnung des Bundesraths, sondern nur im Wege des Gesetzes geregelt werden. Aber, meine Herren, alles das, was in der Kommisston in dieser Beziehung angefaßt wird, sind doch keine Ueber raschungen! Haben Sie denn ganz vergessen, was damals verhandelt worden ist, als die Novelle der Gewerbeordnung hier behandelt wurde? In der Kommission und im Plenum des Reichstags sind die genannten Gewerbe ausdrücklich bezeichnet worden als solche, in denen Mißbräuche vorliegen, gegenüber denen die Gesetzgebung einschreiten müßte. Die Regierung und die Mehrheit des Reichstags haben damals erklärt: wir erkennen an, daß hier Mißbräuche vorliegen, wir können uns aber darauf nicht einlassen, schon jetzt gesetzlich vor— zugehen, sondern wir müssen uns erst eine Klarstellung der Verhält— nisse vorbehalten. Je nachdem nun die Klarstellung der Verhãltnisse vor sich geht, je nachdkem man zur Beurtheilung der Frnge die Unter— lagen bekommen hat, je nachdem muß man, nachdem man einmal die Arbeiterschutznovelle angenommen hat, mit der Regelung der Verhält⸗ nisse vorgehen. Das ist, wie gesagt, nach meiner Meinung der einzige Standpunkt, den die Regierung bei dieser einen Frage einnehmen soll.

Nun sagt man und das ist ja ein sehr beliebter Einwand —: es ist wieder einmal vom grünen Tisch gearbeitet. Ja, meine Herren, was heißt das, vom grünen Tisch gearbeitet? Wenn man, ohne sich um die lebendigen Verhältnisse draußen im Lande zu bekümmern, Verordnungen und Gesetze erläßt, gewiß, dann erhebt man diesen Vorwurf mit Recht; wenn man aber durch eine über zweijährige gründliche Arbeit, die durch Vernehmungen nicht etwa bloß seitens der Mitglieder der Kommission, sondern auch seitens der Be— hörden durch Mitarbeit des Statistischen Amts, durch die per⸗ sönliche Vorladung von Auskunftspersonen begründet ist, sich bemüht, der Sache auf den Grund zu kommen, dann kann man doch billiger Weise nicht mehr vom grünen Tisch sprechen. (Sehr richtig! links und in der Mitte) Dann müssen Sie eben verlangen, daß die Regierung aus Bäckern bestände (große Heiterkeit, um dem Vorwurf zu entgehen, daß der Bundesrath vom grünen Tisch“ arbeite, und wenn die Handlungsgehilfen dran kommen, treten die Bäcker ab (Heiterkeit), und es wird das Ministerium aus Handelsangestellten gebildet u. s. f. Ja, meine Herren, diese Be⸗ merkung vom grünen Tisch kommt immer, sobald ein Gesetz vorliegt, das einem nicht paßt; dann heißt es, Ihr versteht nichts davon, und diesen Ton hat ja auch der Herr Vertreter der antisemitischen Partei angeschlagen: die Regierung versteht von diesen Dingen nichts, die Re— gierung hat das am falschen Ende angefangen, er will zugeben, der Bundesrath ist mit gutem Willen bei der Sache gewesen, aber der arme Bundesrath versteht von den Sachen nichts. Aber, meine Herren, selbst Bäcker sind wir ja nicht, aber wenn man eine solche grundlegende sorgfältige Arbeit vor sich hat und die Gründlichkeit dieser Arbeiten ist von allen Seiten anerkannt worden dann kann man doch wohl behaupten: man arbeitet nicht vom grünen Tische. Auch von den Bäckermeistern ist das durchaus zugegeben worden ich wäre in der Lage, den Herren Beweise dafür anzuführen —: es haben mehrere Bäckermeister nachträglich in ausführlicher Weise in Versammlungen und in ihrer Presse über die Arbeiterkommission sich ausgesprochen. Einer von den Herren hat dem Vorsitzenden der Kommission ausdrücklich seinen Dank für die außerordentlich gründliche, alle einzelnen Verhältnisse des Bãäckereigewerbes erschöpfende Art der Untersuchung ausgesprochen, und solche Aeußerungen finden sich mehr. Einer von den vernommenen Bäckermeistern hat gesagt: Ich habe den Eindruck gewonnen, daß die Herren selbst backen lernen wollen (Heiterkeit), so gründlich waren sie in den Fragen, die sie an die einzelnen Auskunftspersonen gerichtet haben.

Also, meine Herren, von einer Arbeit vom grünen Tisch kann man, wie gesagt, nach meiner Meinung nicht wohl im vorliegenden Falle sprechen.

Meine Herren, ich wiederhole: um eine grundsätzliche Frage handelt es sich bei dieser Verordnung des Bundesraths überhaupt nicht; diese grundsätzliche Frage ist abgemacht worden, als über den Maximalarbeitstag und über den § 1206 Absatz 3 des Gesetzes vom Jahre 1891 im Reichstag verhandelt wurde, und als der Reichstag einstimmig den § 1206 annahm; damals ist die grundsätzliche Frage abgemacht worden. Auf diesem Standpunkt steht die Regierung heute noch. Sie stand damals nicht auf dem Standpunkt des Redners der konservativen Partei, der für den allgemeinen Maximalarbeitstag war, sondern sie war gegen den allgemeinen Maximalarbeitstag und ent schied sich für die Regelung, wie sie jetzt eingetreten ist.

Meine Herren, die rechtlichen Bedenken gegen die Art des Vor— gehens können die verbündeten Regierungen nicht als berechtigt an— sehen. Es ist bereits gestern ausführlich dargestellt worden, daß nach der Auffassung der verbündeten Regierungen die Vorausetzungen des § 120 gegeben sind, und der Bundegrath hat sich deshalb und nach meiner Auffassung mit Recht für legitimiert erachtet, auf Grund des §5 1206 vorzugehen.

Und endlich, meine Herren, bestrelte ich auf das allerentschiedenste, daß das Schicksal der kleinen Bäckerelen durch diese Verordnung ge⸗ fährdet wird. Ich habe mir gestattet, geftern bereits ausführlich auf

diese Frage einzugehen. Ich will heute das nicht wiederholen. Ich

komme zu dem Schluß, daß weder aus rechtlichen Bedenken noch aus

den Bedenken, die gegen den Maximalarbeltstag geäußert worden find,

noch aus den Bedenken, die gegen das Schicksal der kleinen Bäcker geäußert worden sind, die Vorschrift der verbündeten Regierungen zur Regelung der Verhältnisse im Bäckereigewerbe mit Recht angefochten werden kann. (Lebhafter Beifall links und in der Mitte)

Abg. Rösicke Cb. k. F); Wunderbar ist es, daß die konservative Partei für die Häcker eintritt und dem Vorgehen des Bundegraths widerspricht, obgleich sie sonst die die Gewerbeordnung rückwärts revidierenden . der Rerum noch verschürft. Wunderbar ist es auch, daß Graf Bismarck sich mit . Richter in Ueberein⸗ simmung befindet. Graf Bismarck folgt nur dem Beispiel feines Vaters, der auch gegen, jede Beschränkung der Arbeitszeit ausgesprochen hat. Grundsätzlich haben sich die reisinnigen nicht gegen §z 1200 autgesprochen; sie wollten nur, daß die Verordnung dem Reichstag zur nachträglichen Genehmigung vorgelegt werden solle Damals wurden auch als diejenigen Betriebe, welche in erster Linie betroffen werden sollen, gerade die Bäckerei und die Müllerei genannt. Redner hält die Verordnung, gegen welche rechtliche Bedenken nicht vorlägen, für nothwendig, weil, die Arbeitsjeit im Bãäckereigewerbe sehr lange sei, weil die Arbeit in die Nacht falle, und weil an ihr zahlreiche jugendliche Arbeiter betheiligt seien. Shne Schädigung einzelner Interessen sei eine Sozialpolitik unmöglich. Die per⸗ bündeten Regierungen hätten nur ihre Pflicht gethan, indem sie mit dieser Vergrdnung die hestebenden Vorschriften ausgeführt hätten.

Damit schließt die Debatte.

Abg. Hüpeden. (d. kons.) bedauert, 33 ihm zum dritten Male in einer sozialpolitischen Debatte das Wort abgeschnitten sei; er wolle nur koönstatieren, daß er die Schwenkung der konservatiben Partei nicht mitgemacht habe.

Darauf erledigt das Haus eine Reihe von Wahl⸗ prüfungen,

Bezüglich der Wahl des Abg. Wamhoff nl.), der sein Mandat en , hat, beantragt die Kommission, daß amt⸗ liche Wahlbeeinflussungen dem gebracht werden sollen.

Abg, Liebermann von Sonnenberg (Reform⸗P.) weist auf die Wahl Dissen hin und behauptet, der muthmaßliche Fälscher des Wahlprotokolls sei diesmal zum Wahlvorsteher ernannt worden. Redner tadelt ferner das Verhalten des Gerichts gegenüber einem Zeugen und sordert den Justiz. Minister auf, davon Kenntniß zu nehmen; endlich macht er den Kultus ⸗Minister aufmerksam auf das Verhalten des Herrn Westendarp gegenüber dem Rektor Freie.

Abg. von Holleufer (d. kons.) meint, daß die Mittheilungen des Vorredners das Haus nicht interessierten, und stellt fest, daß der Vorsteher Westendarp von der Anklage der Wahlfälschung freige⸗ sprochen sei. Redner erklärt, daß die Konservativen gegen die Resolution stimmen würden, weil sie in der Zurückweisung des fezsaldemokratischen Wahlaufrufs seitens des Kreisblattes keine Wahlbeeinflussung er⸗

blickten.

Abg. Freiherr von Hod enberg (b. k. F.): Daß der preußische Verwaltungsbeamte von Holleufer eine Wahlbeeinflussung nicht' für vorliegend halte, sei nicht verwunderlich; aber es habe große Ver⸗ wirrung der Rechtsbegriffe hervorgerufen, daß der damalige Protokoll, führer Hampe als Ortsvorsteher bestätigt und sogar zum Wahl⸗ vorsteher ernannt worden sei.

Abg. Dr. Lvon Marquard sen (J, schließt sich den Ausführungen des Abg. von Holleufer an. Die Ausführungen des Vorredners wären wohl dem Hause erspart geblieben, wenn die Wahl jetzt anders austz= gefallen wäre, .

Abg. Singer (Soz): Der Landrath hat das Kreisblatt, welches eine sozialdemokratische Anzeige aufgenommen hatte, verwarnt, wobei er die sozialdemokratische Partei als staatsgefährlich bezeichnet hat. Davon wird die Sozialdemokratie keinen Schaden leiden. Die Kreis⸗ blätter sind nicht bloß für die Konservativen da. Ein Blatt, welches ein Privatunternehmen ist, muß Anzeigen aller Parteien aufnehmen; jedenfalls ist es nicht Sache des Landraths, daruber ein Urtheil zu fällen. Das ist eine unberechtigte Wahlbeeinfluffung.

Abg. Gamp (Rp.) protestiert dagegen, daß einem preußischen Beamten so schwere Vorwürfe wie Wahlfälschung u. f. w. gemacht würden, ohne daß dafür ein Beweis erbracht werde.

Die Abgg. Spahn (Zentr. und von Strom beck (Zentr.) halten es für bedauerlich, daß die Konservativen die Vorgänge nicht zur Kenntniß des Reichskanzlers gebracht wissen wollten, obgleich direkte Wahlfälschungen gerichtlich festgestellt seien.

Der Antrag der Kommission auf Ueberweisung der Akten an die preußische Regierung wird unverändert genehmigt.

Die Wahlprüfungskommission beantragt die Gültigkeit der Wahl des Abg. Colbus (b. k. F.), während von den Sozial⸗ demokraten die Ungültigkeit beantragt wird.

Die Abgg. Fischer (Soz), Bafsermann (ul.) und Bebel Soz ) sprechen sich für die Ungültigkeit der Wahl aus, well den Sozialdemokraten durch Konfiscierung ihrer Wahlaufrufe und Stimm zettel und durch Einsperrung ihrer Drucksachenvertheiler jede Agitation unmöglich gemacht worden sei.

Die Abgg. Winter er (b.. F.) und von Holleuffer (d. kons) erklären sich für die Gültigkeit der Wahl; letzterer, weil diese Maß⸗ nahmen keinen Einfluß auf das Wahlergebniß gehabt hätten.

Nachdem an der weiteren Debatte sich noch die Abgg. Gamp, Spahn und Dr. Friedberg (ul betheiligt haben, wird auf Antrag des Abg. Dr. von Hennigsen (nl,) diese Wahlsache an die Wahlprüfungskommission zurückverwiesen.

Auf Antrag des Abg. Gamp stimmt das Haus dem Vorschlage des Präsidenten, auch das Börsengesetz auf die nächste Tagesordnung zu setzen, nicht zu. .

6 55 / Uhr. Nächste Sitzung Freitag 1 Uhr. (Wahlprüfungen).

Preusischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 58. Sitzung vom 23. April 1896.

ö den ersten Theil der Sitzung ist gestern berichtet worden.

Das Haus setzt die erste Berathung der Kreditvorlage und . die Debatte über die Forderung von 3 Millionen Mark zur Errichtung von landwirthschaftlichen Getreide⸗Lagerhäufern fort.

Abg. Freiherr von Erffa (kons.): Ich halte es für einen Vor⸗ theil, daß die Kornhäuser bie Verräthe eine D Zeit nach der Ernte zurückhalten können, während sie jetzt verschleudert werden.

ber was nützt das alleg. wenn die Börfe den Bedarf doch aus dem Ausland decken kann ? Ich stimme der Vorlage zu, schon damit nicht der Handel uns zuvorkommt und das Land in seinen Interessen mit einem Netz von Silos überzieht und unser Landwirth die Nachtheile der Silgs ebenso Tennen lernt wie der amerlfanische Farmer. Redner stellt ziffermäßig den Einfluß des Zwischenhandels bei den etreide · lieferungen an die Armee dar.) Ich bedauere, daß gerade in meiner

eimathyrovinz Sachfen die Prodiantämter am wenigsten direkt vom rodujenten kaufen. Die „Berliner Morgenzeitung? hat die Vor⸗ age eine große Liebesgabe für die Landwirthschaft genannt: ich glaubte erst, das sei die Meinung des Schutzverbandes ßen agrarische

Fbergriffe, der Präsident des Verbandes, der Abg. Rickert Zwischenrufe links: Ist er garnicht! Abg. Rickert: Ich bin nicht einmal Mitglied, berehrter Herr Diesmal baben Sie fich aber ehr art) nun, nach Ihrem sonstigen wirthschaftlichen Ver⸗ kaändniß konnte niemand? Dermuthen, daß Sie nicht dazu ge— ören. Man befürchtet, der Inlandprels könnte den Weltmarktpreis drůcken. Dag wäre doch nur möglich, wenn die Grenzen gesperrt nd wir nicht mit guzländischem Getreide überschwemmt würden. Ich fürchte, daß die Lagerhäuser durch den Handel gezwungen werden

eichskanzler zur Kenntniß

so zu verkaufen, wie er es wünscht.

dem Verkauf ing um so fir ct . 4 3 wit Lücken ausfüllen. F hätte gewünscht, die Regierung hätte mit der Vorlage noch ein Jahr gewartet, bis das Schicksal der Börsenreform und der gemischten Transitlager entschleden ware. Erst wenn das Getreidetermingeschäft ganz beseitigt ist, können die Kornhäuser richtig wirken. Auch hätte ich lieber erst eine Erklärung der Regle⸗ rung über die Warrantgesetzgebung gehört. Nicht die Landwirthschafts⸗ kammern, sondern ad hoc gegründete Verkaufsgenossenschaften müffen die Kornhaͤuser übernehmen; Fer Schwerpunkt wird in der richtigen Abfassung der Genoffenschaftastatulen liegen. Die Verwaltung muß nicht einer Person, sondern einem Kollegium von Personen übertragen werden. Die Vortheile der Vorlage sind mäßig, das Risiko ist groß, aber bei richtiger Durchführung kann immerhin ein gutes Resultat herauskommen. Ich bin für die Ueberweisung der Vorlage an die Budgetkommission, denn hier handelt es sich nur um die Geldbewilli⸗ gung, alles andere wird Sache der Genossenschaften sein.

fie ANinister für Landwirthschaft 2c. Freiherr von Hammer⸗

ein:

Meine Herren! Im wesentlichen haben ja bis jetzt nur Redner für die Vorlage gesprochen, und es wäre vielleicht richtiger gewesen für mich, erst einmal abzuwarten, welche wesentlichen Bedenken gegen die Vorlage vorgebracht würden. Aber nichts destoweniger halte ich es doch für zweckmäßig, schon jetzt das Wort zu ergreifen, um verschiedene Mißverständnisse, die bei den Darlegungen bisher schon hervorgetreten sind, zu widerlegen, bezw. klarzustellen. Ich will zuerst einen kurzen Rückblick auf die historische Entwickelung der Sache werfen.

Schon seit einer Reihe von Jahren ist der Gedanke der Er⸗ richtung von Kornhäusern in der Presse und in agrarischen Kreisen nach verschiedenen Richtungen hin erörtert worden. Die Staatßregierung hat naturgemäß dieser Bewegung voll⸗ ständige Aufmerksamkeit zu theil werden lassen, hat die verschiedenen Richtungen, in denen sich die Vorschläge bewegten, geprüft, ist aber schließlich trotz eingehender Prüfung ich werde auf die verschiedenen Richtungen, die hier hervorgetreten sind, gleich eingehen zu der Ansicht gelangt, daß ein abschließendes Urtheil über diese Frage nur auf Grund praktischen Vorgehens zu erlangen sein wird, und damit widerlege ich gleich die Bedenken und die Beschwerden, die gegen die Vorlage der Staatsregierung in der Presse, namentlich von der linken Seite des Hauses inspirierten, hervorgetreten sind, worin gesagt wird: die Staatsregierung erkennt in der Begründung dieser Vorlage selbst an, daß es sich um einen Versuch handele, und einen solchen Versuch macht man erst, wenn man volle Klarheit über die Sache hat. Meine Herren, das ist eine ganz neue Einrichtung, die hier getroffen werden soll, darüber können Sie theoretisch so viel hin und herreden, wie Sie wollen wenn man nicht an einen praktischen Versuch herantritt und sieht, wie sich die Sache gestaltet, dann werden Sie, nach meiner Ueberzeugung, so wenig wie die Staats- regierung volle Klarheit über die Wirkung, die Bedeutung, den Ein— fluß einer solchen Einrichtung erlangen.

Nun will ich aber zwei Richtungen hier hervorheben, die bei den Verhandlungen über diesen Gedanken in der Presse hervorgetreten sind. Gestreift hat die eine Richtung auch Herr von Erffa und die andere Richtung, die im wesentlichen als maßgebend angesehen ist, Herr von Mendel, ich will sie kurz einander gegenüberstellen. Zuerst taucht der Gedanke, den Zwischen⸗ handel in Getreide zu beseitigen, auf in den Schriften des Herrn von Gras⸗Klanin. Der sagte und darauf hat Herr von Erffa hier schon hingewiesen Der Gesammtbetrag Deutschlands an Getreide wird zu „io von inländischen Produzenten gedeckt und zu Mio vom Auslande. Trotzdem beherrscht die Preisbildung den aus ländischen Import. Herr von Gras⸗Klanin führt nun aus, es müßte doch Mittel und Wege geben, das zu erreichen, daß die 9sio des Konsums die preisbildende Wirkung wieder erlangen und die Wirkung des 160 ⸗Konsums, die vom Auslande kommt, paralysiert wird. Wie will Herr von Gras Klanin die Sache nun ausführen? Er will über ganz Deutschland womöglich an jedem Verkehrsmittelpunkt, sei es an solchem, der an Eisen— bahnen und Wasserstraßen, sei es an solchen, die nur an Eisenbahnen gelegen sind, sei es an größeren Verkehrs«, Kunststraßen u. s. w Sammelstätten für die Getreidelagerung errichten. Diesen Ausdruck gebrauche ich, weil es wohl der richtige ist. Dort will er das Ge— treide verkaufsfähig machen, trocknen, mischen, reinigen, und nun will er, weil er die 9/io aufgespeichert hat, in den Lagerhäusern über ganz Deutschland mit dieser marktfähigen, von ihm gesammelten Waare das Angebot so beherrschen, daß er glaubt, diese io Angebot würden eine absolute Wirkung auf die Preisbildung hervorrufen und eine sehr wesentliche Steigerung der Preise herbeiführen.

Herr von Gras ⸗Klanin geht sogar soweit diesem seinen gesunden Gedanken wird geschadet durch die Ausführung der Vorlage, wie die Regierung sie sich denkt; denn was die Regierung oder die Genossenschaften wahrscheinlich mit den 3 Millionen hier machen werden, ist etwas absolut Verkehrtes, und das kann der Durchführung seines Gedankens nur nachtheilig sein. Dem gegenüber steht eine Anschauung, die meint: im Angebot an die Konsumenten steht das deutsche Getreide immer in zweiter Linie; das ausländische Getreide ist durchaus trocken, es ist von einer gleichartigen typischen Beschaffenheit, es ist in ganz großen Massen vorhanden, meistens sogar besser und nicht von so verschiedener Qua—⸗ lität wie das deutsche Getreide. Das auswärtige Getreide ist also unter den gegenwärtigen Verhältnissen in der Konkurrenz immer dem inländischen Getreide überlegen.

Nun fragt man: kann man diesen Mißständen nicht durch Errichtung von Kornhäusern theilweise begegnen, kann man nicht die Waare gleichmäßig herstellen, gleichmäßig mischen, sodaß sie für den Kon⸗ sum gebrauchsfähig ist, kann man sie nicht auch in ebenso großen Quantitäten für den soliden Konsum anbieten, wie das mit dem aus⸗ wärtigen Getreide geschieht, indem man die hergestellten gleichmäßigen Qualitäten in den Kornhäusern zusammenbringt? Das ist also der Gedanke, der bei denjenigen Kornhäusern maßgebend ist, die das Gegentheil von dem sind, was Herr von Gras-Klanin will.

Meine Herren, was das Richtige von diesen beiden Dingen ist, darüber kann kein Zweifel sein. Das Richtige ist nach meiner Auf⸗ fassung das letztere, und zwar schon deshalb, weil das erstere, was Herr von Graz⸗Klanin will, absolut unausführbar ist, wenn man nicht zunächst Millionen über Millionen anwenden will. Jedenfalls ist es in hohem Grade schwierig, eine solche Masse von kleinen Sammelhaͤusern für Getreide unter eine so durch⸗ greifende, geschickte Verwaltung zu stellen und zu führen, daß sie aus⸗ schlaggebend auf dem auswärtigen Markte ist. Wie schwer es aber ist, ein abschließendes Urtheil über die zweite Kategorie von Getreide⸗

zu sagen:

häusern zu finden, das haben Sie schon aus den Reden derer ent⸗ nehmen müssen, die, obgleich sie Freunde der Vorlage sind, doch manche Bedenken gegen sie geäußert haben.

Nun will ich mir gestatten, auf eine Reihe von Bemerkungen, die heute hier gemacht sind, näher einzugeben. Unter den Bedenken des Herrn von Mendel ist zu allererst auf den Lombard⸗ verkehr und die Warrants hingewiesen. Darüber kann kein Zweifel sein mein Standpunkt ist es zweifellos, und der deckt sich absolut mit den Darlegungen des Deutschen Landwirth⸗ schaftsraths über die Warrants —: soweit ich in der Lage bin zu verhüten, daß wir das Warrantsystem für unseren Getreidehandel bekommen, werde ich das mit aller Energie zu verhüten suchen. Bravo! rechtè.)

Aber, meine Herren, wenn Sie von der Staatsregierung eine be⸗ stimmte Erklärung darüber verlangen, daß ein solches Gesetz über Warrants nie vorgelegt werden soll, so verlangen Sie etwas Unmög⸗ liches; denn wenn die heutige Staatsregierung abtritt und die neue anderer Ansicht ist über diese Frage, so ist die Zusicherung, die die gegenwärtige Staatsregierung gegeben hat, ein solches Warrant⸗ system nicht einzuführen, wohl absolut gegenstandslos. Aber die Garantie dafür, daß ein solches Warrantsystem nicht eingeführt wird, liegt nicht allein bei der Staatsregierung, sondern ebenso hier im Hause, im Landtage der Monarchie. Solange der Landtag so zu⸗ sammengesetzt ist wie jetzt, wird zweifellos ein solches Warrant⸗ system nicht zur Einführung gelangen. Uebrigens kann ich dem Herrn zur Beruhigung sagen, daß auch bei der Revision des Handelsgesetz⸗ buches wie ich annehme, in Uebereinstimmung mit der Gesammt⸗ Staatsregierung nicht in Aussicht genommen ist, Bestimmungen in dasselbe aufjunehmen, die sich mehr oder weniger mit dem Warrant⸗ system decken.

Meine Herren, sowohl von Herrn von Mendel wie auch von Herrn von Tiedemann und auch von Herrn von Erffa ist auf die Gefahr hingewiesen worden, die in der Spekulation mit Getreide in den Getreidehäusern zweiter Kategorie, wie ich sie bezeichnet habe, liegen könnten. Ich meine allerdings, daß eine gewisse Spekulation, eine Spekulation in gutem Sinne wohl angängig ist; in gewisser Weise spekuliert ja jeder Produzent mit seinem Getreide. Er wartet von heute auf morgen oder von heute auf heute über vierzehn Tage ab, ob sich die Getreidepreise günstiger oder ungünstiger gestalten werden. Eine solche unvermeidliche Spekulation wird auch voraus⸗ sichtlich von den Vorständen der Getreidehäuser gemacht werden. Aber eine wüste Spekulation, eine Spekulation, die möglicherweise beab⸗ sichtigt, den Weltmarkt oder den inländischen Markt zu beherrschen, ist absolut zu verurtheilen, und die wird wahrscheinlich die Folge haben, daß alle die Uebelstände eintreten werden, die von den Rednern hier schon hervorgehoben sind, daß die inländischen Vorräthe auf⸗ gespeichert werden, und daß inzwischen das auswärtige Getreide den Bedarf deckt und dann die Getreidehäuser mit ihren Vorräthen sitzen bleiben, mit ihrer Spekulation hineingefallen sind, und zwar grũnd⸗· lich. Aber, meine Herren, handelt es sich denn bei der gegen⸗ wärtigen Frage darum, eine solche Spekulation in die richtigen Grenzen einzuschränken? Das ist doch Sache der Ausführung. Und in wessen Hand liegt die Ausführung? Die liegt in der Hand der Vorstände. Und von wem sind die Vorstände ab— hängig? Von den gebildeten Rechtsträgern dieser Korngenossen⸗ schaften, seien es die Landwirthschaftskammern, seien es Genossen⸗ schaften; seien es Genossenschaften nach Raiffeisen'schem System oder Genossenschaften nach anderem System. Die haben es ja selbst in der Hand, ihren Vorstand anzuweisen, wie er verfahren soll, wie weit er spekulieren darf u. s. w. Das ist also nicht die Frage der Gesetz⸗ gebung oder der Ausführung in dem Stadium, in dem jetzt die Sache hier liegt, sondern es ist eine Sache der künftigen Verwaltung.

Dann, meine Herren, ist auch auf die Schwierigkeit der Ver= waltung, die Betriebskosten u. s. w. hingewiesen. Darüber kann gar kein Zweifel sein, daß die Sache eine außer⸗ ordentlich schwere ist, daß sehr viel Erfahrung noch gesammelt werden muß. Und gerade deswegen handelt es sich darum, in dieser Frage zunächst einen Versuch zu machen. Wäre die Sache ganz klar und übersichtlich, lägen keine Schwierigkeiten in der Sache vor, dann würde es eines Versuchs und in dieser Beziehung unterschreibe ich voll⸗ ständig, was Herr von Mendel gesagt hat nicht bedürfen, dann würde man mit voller Ueberjeugung und Klarheit in die Sache ein⸗ treten können. Ebenso ist es, meine Herren, mit den Betriebskosten. Die Betriebskosten hängen von der Verwaltungsorganisation ab, von der Sparsamkeit und dem Geschicke der Personen, die die Verwaltung zu führen haben; das sind Dinge, die gerade in der Hand der Ge— nossenschaft, die der Rechtsträger der Sache werden will, liegen; die soll ihrerseits dahin wirken, daß sparsam gewirthschaftet wird.

Meine Herren, dann hat Herr von Mendel die Frage gestellt: Wie soll vorgegangen werden? 1) Wer soll der Rechtsträger so will ich mich mal ausdrücken dieser Kornhäuser werden? Meine Herren, das ist eine Frage, die auch durch Versuch festgestellt werden soll. Es kann unter Umständen, wenn Sie es beschließen nicht weil die Staatsregierung es will; denn die will in dieser Beziehung garnichts, die will nicht Direktiven dafür geben, wer der Rechtstrãger werden soll es kann also unter Umständen die Landwirthschaftg⸗ kammer beschließen, für ihren Bezirk eine solche Einrichtung zu treffen. Ob das zweckmäßig ist, ob sie das thun will, das hängt von ihr ab. Jedenfalls hat die Königliche Staatsregierung absolut weder die Ab- sicht, noch die Möglichkeit, darauf einzuwirken, daß die Land- wirthschaftskammern etwas derartiges einrichten sollen oder einrichten werden. Ich bin mit dem Herrn von Mendel der Meinung, daß wvoraussichtlich die Genossenschaften sich am ersten dazu eignen, bin aber nicht der Meinung des Herrn von Tiedemann, daß ausschließlich die Raiffeisen'schen Organisatlonen dafür die allein geeigneten sind oder vor allen anderen Organisationen sich dafür eignen. Nach meiner Auffassung können ebensowohl die Organ i⸗ sationen nach hannoverschem oder nach westfälischem Muster Rechts. träger dieser Einrichtung sein wie die Raiffeisen'schen, denn auch diese wirken theils mit unbeschränkter, theils mit beschränkter Haftung.

Meine Herren, wie soll eingerichtet werden? Das ist allerdings eine schwere Frage. Da kommt wieder die Frage in Betracht: Soll das Silosystem oder soll das Speichersystem gewählt werden? Sie haben aus der Vorlage bereits ersehen, meine Herren, daß diese Frage außerordentlich schwer zu beantworten ist. Soll ein gemischtes System hergestellt werden? Sie haben von Herrn von Mendel heute gehort, daß er für ein gemischtes System von 4 Silo, 4 Speicher ursprũnglich gewesen ist und auch in dieser Beziehung er seine Ansicht ge⸗