1896 / 185 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 05 Aug 1896 18:00:01 GMT) scan diff

Angekommen:

Seine Excellenz der Staatssekretär des Reichs⸗Marine⸗ amts, Admiral Hollmann.

Aichtamtliches.

Deutsches Reich. Prenßen. Berlin, 5. August.

Von Seiner Kaiserlichen und Königlichen Hoheit dem Erzherzog Karl Stephan von Sesterreich, A la suits der Kaiserlichen Marine, ist, wie „W. T. B.“ meldet, dem kommandierenden Admiral folgendes Telegramm zugegangen:

Wollen Eure Excellenz für die ganze deutsche Marine den Ausdruck meines wärmsten Mitgefühls an dem Loose S. M. S. Iltis“ entgegennehmen.“

Darauf ist von dem kommandierenden Admiral folgender telegraphische Dank abgestattet worden:

Eurer Kaiserlichen und Königlichen Hoheit sage ich im Namen der Marine unterthänigsten Dank für den Ausdruck der Cheilnahme anläßlich des Verlustes S. M. S. „Iltis“.

Der Kaiserliche Minister⸗-Resident in Luxemburg, Legations⸗ Rath Prinz von Thurn und Taxis hat einen ihm Aller— höchst bewilligten Urlaub angetreten. Während der Abwesenheit desselben fungiert der nach Luxemburg entsandte Attaché Graf Brockdorff⸗Rantzau als Geschäftsträger.

Der Königliche Gesandte in Dresden, Wirkliche Geheime Rath Graf von Dön hoff hat einen ihm Allerhöchst bewilligten Urlaub angetreten. Während der Abwesenheit desselben fungiert der etatsmäßige Legations⸗Sekretär der Königlichen Gesandtschaft von Flotow als Geschäftsträger.

Der Präsident der Königlichen Eisenbahn-Direktion Berlin, Wirkliche Geheime Ober⸗Reglerungs⸗Rath Kranold hat Berlin mit vierwöchigem Urlaub verlassen.

Der Regierungs⸗Assessor Büchting zu Danzig ist mit der kommissarischen Verwaltung des Landrathsamts im Ober⸗ westerwaldkreise Marienberg beauftragt worden.

Der Regierungs⸗Assessor von Alvensleben in Hannover ist bis auf weiteres der Königlichen Regierung zu Schleswig zur dienstlichen Verwendung . und der Re—⸗ gierungs⸗Assessor von Blome dem Landrath des Kreises . im Regierungsbezirk Wiesbaden zur Hllfeleistung in den landräthlichen Geschäften zugetheilt worden.

Der mit der Verwaltung der Spezial⸗Kommission in Nieder⸗ Wildungen beauftragt gewesene Regierungs⸗-Assessor Römer ist gestorben. Mit der weiteren Verwallung der Spezial⸗ Kommission in Nieder-Wildungen ist der Gerichts⸗Assessor Reinhard beauftragt.

Bahern. Seine Königliche Hoheit der Fürst von Bulgarien ist gestern Abend von München nach Wien abgereist.

Oesterreich⸗Ungarn.

Der Kommandeur des XII. Armee⸗Korps (Siebenbürgen), FM. Galgoczy ist, dem „W. T. B.“ zufolge, gestern früh in Hermannstadt gestorben.

Großbritannien und Irland.

Das Oberhaus nahm gestern in allen Lesungen die Finanz⸗Bill an. Bei der Einzelberathung der Bill, betreffend die Arbeiter in Irland, beantragte Lord Arrau die Einfügung eines neuen Artikels, welcher bestimmt, daß eine lokale Untersuchung stattzufinden habe in den Fällen, in welchen gegen die Lokalbehörde Klage darüber geführt wird, daß sie Wohnungen an andere als an landwirthschaftliche Arbeiter vermiethe. Lord Ashbourne bekämpfte den Antrag und erklärte, die Annahme desselben wurde die ganze Vorlage zu Fall bringen. Der Artikel wurde gleichwohl mit 25 gegen 19 Stimmen angenommen.

Im Unterhause theilte der Parlaments⸗Untersekretär des Aeußern Curzon mit, die Regierung habe von der Niederbrennung der Franziskanerklöster zu Jenidje⸗-Kale, Deongee und Nujuk⸗Deresi und von der Ermordung des Paters Salvatore durch jürkische Truppen gehört; sie wisse aher nichts von einer Forderung, Mashau Bey, dessen Truppen Salvatore ermordeten, vor Gericht zu stellen; wahrscheinlich sei diese Forderung von dem Vextreter des Geburtslandes Salvatore's gestellt worden. Ferner erklärte Curzon, der britische Konsul in Trapezunt habe berichtet, daß die Türken von Niksar die Armenier am 20. Juni auf ein gegebenes Signal angegriffen, alle, denen sie begegneten, getödtet und ihre Häuser geplündert hätten. Der Vize⸗Konsul in Siwas habe am 22. Juli berichtet, daß keine Schritte erfolgt seien, um die Urheber der Unruhen zu be— langen. Der britische Geschäftsträger in Konstantinopel werde darüber bei dem Sulian und bei der Pforte vorstellig werden.

Der Vize⸗König Li⸗Hung⸗Chang besuchte gestern Nach⸗ mittag den Premier⸗Minister Lord Salisbury und wurde auf dem Wege von dem Volk lebhaft begrüßt. Die Unter⸗ redung dauerte, dem ‚W. T. B.“ zufolge, etwa eine Stunde; derselben wohnte nur der Dolmetscher bei. Der Vize⸗-König besuchte dann das Oberhaus und das Unterhaus, wo er sich mit dem Staatssekretär Chamberlain unterhielt.

Die „Daily Mail“ theilt mit, die Regierung habe auf Rhodes' Anerbieten, nach England zurückzukehren und sich der gerichtlichen Untersuchung zu unterziehen, noch keine definitive Antwort ertheilt; es sei jedoch kein Zweifel, daß die Regierung, nachdem juristische Autoritäten, welche sie konsultiert habe, den Gedanken eines gerichtlichen Verfahrens gegen Rhodes auf Grund der Foreign Enlistment Act für lächerlich erklärt hätten, jede Idee einer gerichtlichen Verfolgung Rhodes auf— gegeben habe. Die Regierung sei der Ansicht, daß Rhodes ohne das Verdikt einer englischen Jury in der Lage sei, e Zeugniß vor der parlamentarischen Untersuchungs-Kommission zu verweigern.

Frankreich.

. Bei der Ankunft des Präfidenten Faure in St. Malo, 6 wie bereits gemeldet, gestern früh erfolgte, wurde, dem

W. T. B.“ zufolge, ein Individuum verhaftet, welches die Rufe „Nieder der Praͤsiden , „Hoch Orlsansi“, „Hoch das Königthum!“ ausstieß. Nachmittags begab sich der räsident nach St. Servan, Dinard und anderen Srten, wo er überall von der Bevölkerung lebhaft begrüßt wurde.

Ueber den Schauplatz und Plan für die großen Herb st⸗ übungen des XII. und XVII. Armee⸗-Korps, welche unter der Oberleitung des Generals Cailliot stattfinden werden, berichtet La Frange militaire“ Folgendes:

Das Mansvenrgelände ist in der Weise gewahlt worden, daß die Operationen von Magnae sur Touvre,. 6 Km östlich von Angoulsme, beginnen und sich nördlich bis nach St. Mary, 10 Km nördlich von Larochefoucauld, quer durch den Wald de la Braconne erstrecken. Die Grenzen bilden eine Linie, welche von St. Mary westlich über Aigre nach Neuvieg im Kanton Matha, in die füdöstliche Spitze des. Departements Charente Inférieure verläuft; eine Tinte, welche südlich bis nach St. Simon, 20 km wvestlich bon Angoulsme. hinabgeht; der Lauf der Charente von St. Simon bis Angoulsme und der der Touvre bon LHoumeau bit Magna. Die Uebungen werden am 9. September anfangen und am 16, beendet werden. Die Schlußparade findet am 17., Morgens 9 Uhr, auf dem rechten Ufer der Charente in der Nähe von in n L km westlich von Champmillon statt; sie wird durch den Präfi— denten der Republik abgenommen werden, welcher einem Theil der vorangehenden Uebungen zu Pferde beizuwohnen gedenkt.

Nach den Ergehnissen der letzten Volkszählung betrug die Bevölkerungszahl Frankreichs 38 228 969; sie Üüber⸗ steigt das Ergebniß der Volkszählung von 1891 nur um 133 819 Einwohner.

Nuszland.

Durch einen heute veröffentlichten Kaiserlichen Ukas wird die Umbildung der administrativen und gericht— lichen Organisation des Gebiets des Schwarzen Meeres verfügt. Das Gebiet wird in eine neue Provinz mit dem Namen „Provinz des Schwarzen Meeres“ ungebildet. Diese neue Provinz soll dem Ukas gemäß nicht mehr von der Verwaltung des kubanschen Territoriums abhängen, sondern wird einen Theil Transkaukasiens bilden und eine Verwal⸗ tung sowie einen Gouverneur wie die übrigen Provinzen Transkaukasiens erhalten.

Der frühere Präfekt von Moskau und von St. Petersburg, General-Lieutenant Koslow ist zum General der Kavallerie befördert worden.

In Tomsk Sibirien) ist gestern der erste Zug der Transsibirischen Eisenbahn eingetroffen und von dem Gouverneur sowie anderen hervorragenden Persönlichkeiten feierlich empfangen worden.

Belgien.

Auf Befehl des Königs begeben sich, dem „W. T. B.“ zufolge, der Gouverneur von Lüttich Pety de Thozse und der Kommandant des Divisionsbezirks Lüttich, General van Alderwardt nach Wesel, um den Deutschen Kaiser daselbst am 7. August im Auftrage des Königs zu begrüßen.

Gestern wurde die Verhandlung im Prozeß Lothaire fortgesetzt. Der Kommissar Wiener fuhr als Berichterstatter in der Verlesung einer großen Anzahl von Schrift— stücken fort, welche die Unterlage für das Gerichts⸗ verfahren in Boma gebildet haben. Im weiteren Verlaufe befragte der Vorsitzende den Angeklagten Lothaire über die Beweggründe der Verhaftung Stokes', über den Kriegsrath, die Verurtheilung und Hinrichtung desselben. Der Angeklagte gab in seinen Antworten die allgemein be— kannten Einzelheiten wieder. Heute werden die Verhandlungen fortgesetzt.

Türkei.

In Macedonien wurden am 3.8. M, dem „W. T. B.“ zufolge, 200 Aufständische von einer 300 Mann starken Ab⸗ theilung türkischer Truppen am Sarantaporos⸗Paß, zwei Stunden von Elasson, geschlagen. Die Aufständischen, welche 12 Mann verloren haben, wurden ins Innere ge⸗ trieben. Die aufständischen Abtheilungen unter Makris und Davelis wurden von 1200 Türken bei Katranitsa be⸗ lagert; gestern zogen sich vie Belagerten gegen Sorovitsovo zurück. Der Führer Brofas ist zwischen Verria und Florina vollständig eingeschlossen.

Nach einer Meldung der „Daily News“ aus Athen vom gestrigen Tage ist der frühere Gouverneur von Can ea, Hassan Pascha am 2. d. M. wieder in sein Amt eingesetzt worden. Am 3. d. M. verwehrten ihm auf einem Inspektionsritte mehrere Tausend Mohamedaner, welche sich um die Stadt herum zusammengezogen hatten, den Zugang; er wurde angegriffen, vom Pferde gerissen und schwer mißhandelt. Die christliche Bevölkerung wurde von einer Panik ergriffen. Von Canea entsandte Truppen stellten die Ruhe wieder her. Die christlichen Deputirten verlassen Canea; einige haben sich wieder mit den Ausständischen vereinigt.

Rumänien.

Der König und die Königin sind nach einer Meldung des „W. T. B.“ aus Bukarest gestern von Sinaja nach Ragatz abgereist.

Amerika.

Aus Montgomery Staat Alabama) berichtet, W. T. B.“ vom gestrigen Tage: Die Wahl für den Gouverneur—⸗ Po sten ergab eine vermehrte demokratische Majorität. Der demo⸗ kratische Kandidat Johnson siegte über den Kandidaten der vereinigten Populisten und Republikaner Goodwin. Die Republikaner fechten das Wahlresultat an mit der Behauptung, Stimmen von Negern seien unterdrückt worden.

Asien.

Nach einer Depesche der, Nowoje Wremja“ aus Wladiwo⸗ stok vom gesirigen Tage hätten Amerikaner die Konzession für eine Eisenbahnlinie Söul —Chemulpo und die Berechligung der Ausnutzung der Mineral⸗Reichthümer an dieser Linie, , die Konzession für eine Bahnlinie Ping⸗jang Söul und Rußland die Berechtigung zur Ausnutzung aller Goldgruben in der Provinz Chankion (2) von der koreanischen Regierung erhalten,. Dieselbe baue die mit der chinesisch⸗ russischen Telegraphenlinie zu verbindende Linie Söul— Ping⸗ jang, um sich von der japanischen Linie Söul— Futschou un⸗ ah sangiß zu machen. Die russisch⸗ chinesische Bank habe eine Filiale in Söul errichtet. In der Hauptstadt Söul herrsche

Ruhe. Das gelandete englische Marine⸗Detache ment sei bereits zuruͤckgezogen, das n e . werde in diesen Tagen zurück⸗ gezogen werden, das russische sei vermindert worden

Afrika.

Nach einer Meldung des „Reuter'schen Bureaus“ aus Prätoria vom gestrigen Tage hat der Volksraad ein Gesetz angenommen, welches den Kindern von Uitlandern auf allen Goldfeldern Schulunterricht zusichert. Das Gesetz tritt sofort in Kraft und bestimmt unter anderem, daß die Kinder in ihrer Muttersprache unterrichtet werden follen. Der Volksraad ge⸗ nehmigte ferner im Prinzip die Randmunizipien⸗Bill.

Entscheidungen des Reichsgerichts.

„Der Rentier Sch., in S. (Holstein) hatte auf die Ehefrau seines Schuldners, des Landwirths F., unzüchtige Angriffe ge⸗ macht, deren sie sich nur mit Mühe erwehren konnte. Auf ihre Vor= würfe bat Sch. um Verzeihung und bat ferner dringend, sie möchte ihn nicht anzeigen und weder ihrem Manne noch seiner Frau das Vorgefallene mittheilen. Als sie sich darauf nicht einlassen wollte, erklärte schließlich Sch, er wolle ihrem Manne alles erlassen, was er von diesem zu fordern habe, und ihnen auch sonst forthelfen. Gegen diese von ihr ange⸗ nommene Zusage versprach Frau F. Stillschweigen. Später klagte Sch. trotzdem eine Schuldforderung von 4006 60 gegen F. ein, welcher dagegen den erwähnten Erlaß des Klägers geltend machte. In beiden Instanzen wurde der Erlaßvertrag für wirksam erachtet und dem⸗ gemäß die Klage abgewiesen. Auf die Reviston des Klägers, welcher eltend machte, daß der Erlaßvertrag ein unsittlicher Vertrag fei, ob das Reichsgericht, III. Zivilsenat, durch Urtheil pom 17. April 1896 das Berufungsurtheil auf und verurtheilte den Beklagten zur Zahlung der eingeklagten Forderung, indem es begründend ausführte: „Daß unsittliche Verträge ungültig sind, ist unstreitig; ob aber ein Vertrag als ein unsittlicher anzusehen ist, läßt sich nicht stets nach festen Regeln entscheiden, sondern häufig nur nach der Lage des einzelnen Falles und den zur Zeit maßgebenden Sittengesetzen des be⸗ treffenden Volkes, sodaß auch die Einzelentscheidungen in den römischen Rechtsquellen für uns nicht unbedingt bindend sind. Der Richter muß die Ueberzeugung gewinnen, daß diese Sittengesetze, die herr= schenden sittlichen Anschauungen, den Vertrag in so hohem Grade mißbilligen, daß trotz der an sich bestehenden Verfrags— freiheit der Staat sich nicht dazu hergeben kann, durch seine Organe, die Gerichte, die getroffenen Vereinbarungen als verbindlich anzuZerkennen und zu schützen. Daß sich hierüber keine scharf begrenzten Regeln ausstellen lassen, liegt, wie in ähnlichen Fällen, in der Natur der Sache. Es steht nun fest, daß dem Beklagten ein Recht auf den Schulderlaß nicht zustand. Seine Ehefrau verwerthete die gegen sie gerichteten unsittlichen Angriffe, indem sie sich ihr Stillschweigen abkaufen ließ. Daß sie nicht direkt für sich, sondern für ihren Ehemann diese Vermögensvortheile ver— svrechen ließ, kann keinen Unterschied machen; infolge des ehel chen Verhältnisses kamen diese auch ihr zu gute, und ihr Ehemann handelte, indem er das Schweigegeld geltend machte, ebensowenig den guten Sitten entsprechend.“ (438 / 95.)

Wird ein Gemeindebeamter, welcher zu den nach 5 56 Nr. 6 der Städteordnung für die östlichen Provinzen der preußischen Monarchie vom 30. Mai 1853 auf Lebenszeit angestellten Gemeinde⸗ beamten gehört, trotzdem vom Magistrat widerrechtlich, mit oder ohne Kündigung, aus seinem Dienstverhältnisse entlasfen, so ist, nach einem Urtheil des Reichsgerichts, IV. Zivilsenats, vom 21. April 1896, diese Entlassung rechtlich wirkungslos, der Entlassene bleibt Gemeindebeamter und bezieht sein Gehalt weiter, bis er aufhört, Beamter zu sein, insbesondere wenn er in den Ruhestand versetzt wird oder im Wege des Disziplinarverfahrens des Dienstes entlassen werden sollte. ‚Die Reviston der beklagten Stadtgemeinde hat sich dagegen gerichtet, daß die Beklagte vom Berufungsgericht zur Zahlung des gegenwärtigen Diensteinkommens des Klägers uneingeschränkt und ohne Zeitbegrenzung verurtheilt worden ist, und diefer An—⸗ griff ist als begründet anzuerkennen. Der Berufungsrichter ist davon ausgegangen, daß das Rechtsverhältniß zwischen dem Kläger und der beklagten Stadtgemeinde infolge der Aufkündigung desselben von seiten der letzteren und der demhächst eingetretenen Entlassung des Klägers end⸗ gültig aufgehoben sei. Dieser Auffassung ist nicht beizutreten. Da der Kläger auf Lebenszeit angestellt und deshalb eine einseitige Auf— hebung des Dienstverhältnisses auf Grund einer Kündigung, wenn solche auch stipuliert sein sollte, ausgeschlossen ist, war die von der Beklagten vorgenommene Kündigung sowie die Entlassung des Klägers aus dem Dienste ohne rechtliche Wirkung. Das Dienstverhältniß ist trotz der Kündigung und Entlassung rechtlich bestehen geblieben, und nur thatsächlich ist insofern eine Aenderung eingetreten, als der Kläger von der Beklagten seit der Entlassung als Beamter nicht mehr beschäftigt wird. Der gegenwärtige Gehaltsanspruch von 865 „S monatlich steht dem Kläger nur so lange zu, als das Dienstverhältniß unabhängig von einer unberechtigten Aufkündigung desselben von seiten der Be— klogten noch weiteren Bestand hat, der Kläger also Beamter der beklagten Stadtgemeinde bleibt. Ner Anspruch fällt fort, wenn der Kläger aufhört, Beamter zu sein, insbefondere wenn er in den Ruhe stand rersetzt wird oder im Wege des Disziplinarverfahrens des Dienstes entlassen werden sollte. (375, 95.)

Entscheidungen des Ober⸗Werwaltungsgerichts.

Oeffentliche Flüsse im Sinne des Preußischen Allgemeinen Landrechts sind, nach einem Urtheil des Ober⸗Verwaltungsgerichts, IV. Senats, vom 4. März 1896 diejenigen Flüsse, welche von Natur schiffbar sind, soweit die Schiffbarkeit reicht, gleichviel ob thatsächlich ein Schiffahrtsverkehr stattfindet oder nicht; natürliche Hindernisse, wie Felsen oder Stromschnellen, schließen die Schiff⸗ barkeit aus, nicht aber künstliche, nie Stauanlagen oder Brücken; endlich muß die Wassermenge zum Befahren nicht nur mit kleinen Kähnen und Nachen, sondern mit zum Transporte von Sachen oder Personen bestimmten Fahrzeugen aus— reichen, der Fluß muß als Wasserstraße benutzt werden köngen. Dagegen genügt nicht die katastralische Bezeichnung eines nicht ˖ schiffbaren Flusses als öffentliches Gewäsfer. zur rechtlichen Annahme der Oeffentlichkeit des Flusses. Ferner ist ein nichtschiff— barer Fluß deshalb noch nicht als ein öffentlicher zu erachten, weil er mit großen verbundenen Holzflößen befahren wird; die Flößbarkeit steht gesetzlich der, Schiffbar⸗ keit nicht gleich. Auf die vom Kläger in den Vorinstanzen vertretene, jetzt allgemein als rechtsirrthümlich anerkannte Ansicht, daß, wenn ein Fluß in seinem unteren Lauf schiffhkar ist, dies auch von seinem ganzen Oberlauf ge ten müsse, ist Kläger in der Reyisionsinstanz nicht mehr zurückgekommen, Aber auch die Ansicht, daß für die Frage der Schiffbarkeit und damit der Eigen schaft eines Gewässers als öffentlicher Fluß das Flößen mit ver— bundenem Holz dem Schiffsverkehr gleichstehe, muß in Ueber- einstimmung mit dem Vorderrichter als unrichtig bezeichnet werden. Wenn §z 38 Tit. 15 Th. 11 des Allgemeinen Landrechts unter dem Marginale „Begriff solche Ströme, die von Natur schiffbar sind, den im S 39 a. a. O. genannten Privatflüssen als Gegensatz gegenüber⸗ stellt, so bietet dieser an sich 26 klare Wortlaut keinen Raum dafür, unter Schiffbarkeit irgend eine Art von Flößerei miteinzube reifen. Allerdings steht nach gemeinem Recht die Flößbarkeit der Schiffbar⸗ keit i g. und dieser Grundsatz hat auch in dem Code civil Art. 538 sowie in verschiedenen deutschen Partikulgrrechten Ausdruck gefunden. Daraus folgt aber nichts für das, Preußische Landrecht... (iV 412.)

Statistik und Volkswirthschaft. ie Ergebnisse der Berufs- und Gewerbezähl ĩ w Mecklenburg Schwerin. J

Von der großen Berufszählung des Jahres 1895 liegen nun auch die ersten Theilstücke für das , Mecklenburg · Schwerin

vor. Die Bevölkerung Mecklenburgs hat sich in den letzten Jahr—

zehnten weniger stark vermehrt als diejenige der übrigen Bundeg. staaten; am J. Dezember 1871 zählte Mecklenburg ⸗Schwerin 557 897,

am 5. Juni 1882 574 993 und am 14. Juni 1895 606459 Ein

wohner. Im Gegensatz zu anderen deutschen Staaten weist Mecklen⸗ burg⸗Schwerin auch eine Abnahme in dem Ueberwiegen des weiblichen Geschlechts auf. Während 1871 noch 13 829 weibliche Personen mehr als männliche gezählt wurden, ergab die Berufe zählung von 1882 trotz wachsender Bevölkerung nur noch einen Ueberschuß von 7809 und die von 1895 sogar nur einen solchen von 5541 weiblichen Personen. Von Interesse ist nun der Antheil jedes der beiden Ge— chlechter bei den Erwerbsthätigen und bei den Angehörigen. Die Statistik giebt darüber folgende bedeutungsvollen Aufschlüsse: Es

wurden gezählt . 6. männliche weibliche Verhältniß Erwerbsthätige, einschließlich 1 186 048 70 366 100: 38

der Dienenden für häus⸗ 1895 207 374 33 z30 100: 40

liche Dienste .... Angẽhht ge . 7544 221 035 41: 100 Angeh drige 11895 S3 0385 222 6570 42: 160 Auch in Mecklenburg ist also das weibliche Geschlecht an der berufs— mäßigen Erwerbethätigkeit in erheblichem Maße betheiligt, wenn auch nicht in so hohem Grade wie in Preußen, Sachsen und Württemberg. Aus der Nebeneinanderstellung der Zäͤhlungtsergebnisse von 1882 und 1895 ersieht man ferner, daß das weibliche Element in den letzten 13 Jahren im Erwerbsleben immer weiter vorgedrungen ist. Führt man die im Haushalt der Herrschaft lebenden Dienstboten (1882: 3383 männliche und 22 187 weibliche, 1395: 672 männliche und 22036 weibliche) gesondert auf, so gliedert sich die Bevölkerung des Groß⸗ herzogthums Mecklenburg. Schwerin in Prozenten, wie folgt: 1871 1882 1395

Erwerbsthätige . 30,39 40,58 44,19

w 6 4, 01 3,74

Angehbr ige 54.35 56, 41 52 07

Es fällt sofort in die Augen, daß die Zahl der Erwerbsthätigen in den letzten Jahrzehnten bedeutend angewachsen ist, dagegen aber die Zahl der Dienenden für häusliche Dienste beträchtlich abgenommen hat. Die 1871 gewonnene sehr große Zahl für häusliche Dienstboten ist aber zu einem guten Theil in dem Verfahren beim Klassifizieren, das von den späteren Bestimmungen abweicht, begründet. Damals zählte man auch andere Personen als häusliche Bienstboten, z. B. „Dienende aller Art‘, zu dieser Berufsstellung. Die Zahl der An— gehörigen ist seit 1882 kleiner geworden, es sind also die Familien mitglieder mehr zur Erwerbsthätigkeit übergegangen.

Wie weit die Summe der Bevölkerung aus den einzelnen Berufs abtheilungen hauptsächlich ernährt wird, ergiebt sich in Prozentsätzen unmittelbar aus der nachstehenden Tabelle. Von je 100 Einwohnern Mecklenburg ⸗Schwerins gehörten an

18395 mehr

der Beruft / Abtheilung isz1 1882 i866 Cheer,

als 1882

A. Landwirthschaft, Forstwirth⸗

schaft, Gärtnerei, Thierzucht, Fischerei

Bergbau und Hüttenwesen, Industrie und Bauwesen ..

C. Handel und Verkehr... D. Lohnarbeit wechselnder Art,

häusliche Dienste, nicht bei der Herrschaft wohnend. ..

2. Militär-, Hof⸗, Staats⸗ und

Gemeindedienst, Gesundheits pflege und sog. freie Berufs⸗ arten il 9 60 90

F. Berufslose, Pensionäre ꝛc. 483 5,74 7,59 4 1,85

Demnach umfaßt in Mecklenburg⸗Schwerin keine andere der großen Berufsabtheilungen, selbst zwei oder drei zusammengenommen, so viele Personen, wie die Abtheilung A: Land⸗ und Forstwirth⸗ schaft ꝛc. Dem landwirthschaftlichen u. s. w. Beruf gehören, ein—⸗ schließlich der Dienenden und Angehörigen, im Hauptberuf

48,74 9,½ der Gesammtbevölkerung an, während die nächst große Abtheilung B: Industrie ꝛc. nur 26,74 0 ernährt. Aber auch in Mecklenburg sind, wie aus der vorstehenden Uebersicht ferner hervorgeht, die Zeiten vorüber, in denen mehr als die Halfte der Bevölkerung dem landwirthschaftlichen Berufe angehörte. Im Jahre 18382 war dies noch der Fall; damals umfaßte die Abtheilung A noch 52.88 0/9 der Gesammtbevölkerung. Seitdem geht der Antheil des im Landbau beschäftigten Bevölkerungstheils zurück, vielfach sinkt sogar dessen absolute Zahl, und der Antheil der übrigen Berufs grurpen oder Abtheilungen mit Ausnahme von D: wechselnde Lohnarbeit und häusliche Dienste wächst. Ein Bergleich der Antheile der Beruftabtheilung D an der Gesammtbeyölke—⸗ rung in den Jahren 1871, 1882 und 1895 ist allerdings unsicher, weil die Grundsätze bei der Bearbeitung des statistischen Urmaterials seit 1871 nicht dieselben geblieben find. Ebenso erklärt sich auch die große Zahl der Personen der Berufsabtheilung P Militär-, Hof⸗, Staats-, Gemeindedienst und sog. freie Berufsarten) im Jahre 1871. Die Vermehrung der von der Berufsabtheilung P (Berufslose, Pensionäre u. s. w.) umfaßten Personen in neuerer Zeit muß dagegen auch dann noch eine bedeutende genannt werden, wenn man die weitere Ausdehnung des Begriffs dieser Berufsabtheilung im Jahre 1895 berücksichtigt. Genauer ermittelt sind nämlich 1895 die ländlichen Altentheiler, hinzugekommen sind Empfänger von Alters⸗ und Invaliditätsrenten, nicht bei den Eltern wohnende Schüler unter 14 Jahren, Pflegekinder u. s. w.

Die hier sich effenbarende Entwickelung der wirthschaftlichen Be⸗ völkerungsverhältnisse ist dieselbe, die wir in ähnlichen Proportionen bereits in Preußen, Sachsen und Württemberg beobachtet haben. Sie bedeutet für keinen Volkswirth eine Ueberraschung; und schon auf Grund der bis jetzt vorliegenden Bruchstücke der letzten deutschen Berufs. und Gewerbezählung darf behauptet werden, daß diese Ent⸗— wickelung im ganzen Reich vor sich geht.

4,14

1,88 1,34

0,94

Invaliditäts- und Altersversicherung.

Bei der Hanseatischen Versicherungsanstalt sind J. an Anträgen auf Gewährung von Renten eingegangen: a. an Altersrent en: im Laufe des Jahres 1891 1105, 1853 404, 1893 351, 1894 353, 1895 354 und in der Zeit vom 1. Januar bis Ende Juli 1896 204, zusammen 28301; b. an Invaliden“ renten: im Laufe des Jahres 1892 181, 1893 301, 1894 550, 1895 895 und in der Zeit vom 1. Januar bis Ende Juli 1896 566, zusammen 2433; mithin sind seit Beginn des Jahres 1891 an Renten⸗ anträgen eingegangen im Ganzen 5234. Von den Anträgen auf Alters- rente entfallen auf das Gebiet der freien und Hansestadt Lübeck 464, Bremen 603, Hamburg 1734 und von denen auf Invalidenrente auf das Gebiet von Luͤbeck 255, Bremen 770, Hamburg 14064. Von den AÄn— trägen auf Altergrente sind bis Ende Jult S656 erledigt 2775, und zwar 2419 durch Rentengewährung, 329 durch Ablehnung und 46 auf sonstige Weise. Von den lltersrenten⸗ Empfängern find inzwischen aus. C ie hen 536, von diesen sind verstorben hob. Von den Anträgen auf Fnpalidenrente sind bis Ende Juli 1896 erledigt 2364, und zwar 1717. durch, Rentengewährung, 565 durch Ablehnung und 84 auf ,, Weise, Von den Invalidenrenten, Empfängern sind inzwischen Ausgeschieden 46, von diesen sind verstorben 452. Auf die Gebiete der die Hansestädte vertheilen fich die noch im Bezug der Rente be⸗ findlichen Perfonen folgendermaßen: Lübeck 314 Altersrenten,

145 Invalidenrenten; Bremen 407 Altersrenten, 470 Invaliden⸗ renten; Hamburg. 1163. Altergrenten, 547 Invastdenrenten. Die Jahressumme der bis jetzt gewährten Renten macht insgesammt b0Mꝛ 466, 89 S0 aus, von welchem Betrage 139 472 S6 für die in— zwischen ausgeschiedenen Rentenempfänger abzusetzen sind. Nach den Berufs zweigen vertheilen sich diese 4136 Rentenempfänger auf folgende Gruppen: Landwirthschast und. Gärtnerei 255 Rentenemmhfaͤnger, Industrie und Bauwesen 1763, Handel und Verkehr 774, sonstige Berufarten 342, Dienstboten 2c. Sh) Rentenempfänger. II. Anträge auf Rückerstattung der Beiträge sind eingegangen: a4. Anträge gemäß 5 30 des Gesetzeß: im Laufe des Jahres 1895 125 und in der Zeit vom 1. Januar bis 31. Jult 1896 1206, zusammen 1631; ch. Anträge gemäß 8 31 des Sefetzez:; im Laufe des Jahres 1395 83 und in der Zeit vom 1. Januar bis 31. Juli 1895 202, zusammen 2853 also auf Grund beider Bestimmungen im Ganzen 1916. Von diesen 1916 Anträgen entfallen auf das Gebiet von Lübeck 156, Bremen 455, Hamburg 1305, zusammen 1915. Davon sind erledigt durch Rüchahlung 1505, durch Ablehnung 207, auf sonstige Weise 28, zusammen 1740, mithin unerledigt 176.

Zur Arbeiterbewegung.

Aus Aachen meldet. W. T. B.: Die Weber in der Tuch fabrik Aachen, In en , haben die Arbeit wieder anfgenommen, ohne daß ihre Forderungen bewilligt wurden. (Vgl. Nr. 182 8. Bl.)

In Wahren bei Leipzig ist der Lpz. Ztg.“ zufolge der Aus stand der Holzarbeiter in einer dortigen Fabrik, der nur einige Tage dauerte, aufgehoben worden. (Vgl. Nr. 182 d. Bl.)

Aus Berlin berichtet die Berliner Volks. Ztg.“ zum Aus⸗— stand der Lederarbeiter und Arbeiterin men, daß von 30 bis 35 in Betracht kommenden Fabriken bereits 18 die J. rungen der Gehilfen bewilligt haben sollen. Die Fabrikanten hätten es aber abgelehnt, mit der Ausstandskommission zu verhandeln. Die Arbeit niedergelegt haben die Anschläger der Bauschlofferei von Gebr. Teetz. In der Kisten fabrik von Robert Engel ist einer Mittheilung im, Vorwärts“ zufolge wegen Lohnstreits ein Aus—⸗ stand ausgebrochen.

Aus Wien berichtet die „Presse', daß am Montag sämmtliche Steinnußknopf⸗Arbeiter wegen Lohnstreits in den Aus tand getreten sind.

Aus Brüssel wird der Frkf. Ztg.“ berichtet, daß der an— gedrohte allgemeine Ausstand der Anstreicher, Tischler und sonstigen Holzarbeiter (vgl. Nr. 182 d. Bl.) am Montag thatsächlich ausgebrochen ist. Die Zahl der Ausständigen beläuft sich auf 16060.

Kunst und Wissenschaft.

Ueber die Sonder -Ausstellung von Berolinensien des Vexeins für die Geschichte Berlins“ in der Heiliggeist⸗ Kirche zu Alt-⸗Berlin berichtet Dr. Brendicke in den Mit⸗ theilungen' des Vereins, wie folgt: ;

Der „Verein für die Geschichte Berlins“, der seit dem Jahre 1865 eine segensreiche Thätigkeit für die Erforschung der geschichtlichen Denkmäler der Stadt Berlin entwickelt hat, wollte auf der Gewerbe—= Ausstellung nicht die Gelegenheit vorübergehen lassen, ohne den Be⸗ suchern der Ausstellung einen Begriff zu geben, wie reich an geschicht⸗ lichen Denkwürdigkeiten unsere Vaterstadt ist, und beschloß, in der ihm von den Unternehmern „‚Alt⸗Berlins⸗ zu diesem Zweck überlassenen „Heiliggeist⸗Kirche“ eine Sonder-Ausstellung von Berolinensien zu veranstalten. Schwierigkeiten aller Art stellten sich dem Unternehmen in den Weg. Der Mangel voller Gewähr⸗ leistung gegen Diebes⸗ und Feuersgefahr, pietätvolles Zurückhalten alten Familienbesitzes und ähnliche Bedenken verhinderten vielfach einen schnelleren Entschluß, und so kam es, daß dem Vereinsausschuß erst allmählich die Arbeit unter den Händen wuchs und das Vertrauen mit der Arbeitsfreudigkeit sich vergrößerte.) Es liegen in 212 Num⸗ mern der jweiten Auflage des von Dr. Brendicke verfaßten Katalogs über 600 Gegenstände von durchaus eigenartigem Interesse den Be— suchern und Freunden vaterländischer Geschichte vor. .

Die Büste des Protektors, Seiner Majestät des Deutschen Kaisers, in Bronze von Börmel, und die des früheren Protektors, Seiner Ma—⸗ jeftät des Kaisers Friedrich, in Bronze von R. Schweinitz aus der Gießerei von Gladenbeck u. Sohn sind neben den Bronzebüsten Kaiser Wilhelm's J. von C. Keil und König Friedrich's II. unter einem Thronhimmel an der langen Nordwand aufgestellt. Die Bronzegruppe, Der große Kurfürst' von Schlüter, auf kunstvollem Piedestal, grüßt den Ein— tretenden, und die 10 ersten Kurfürsten von Brandenburg sind längs der anderen Wände der Kirche in Bronzestandbildern zu finden. Das Königliche Institut für Glasmalerei (Direktor H. Bernhard) hat zunächst durch Einfügung von geeigneten Darstellungen den hohen Fenstern einen herrlichen Schmuck verliehen. Aus dem städtischen Archiv zu Berlin stammen acht Original⸗Urkunden als Beispiele zum Berliner Schrift, und Urkundenwesen (von 1338 bis 1410). Eine Reihe von Belegen für die Entwickelung und Neubelebung der Stecher⸗ und Holzschneidekunst in Berlin von Joh. Fr. Gottlieb Unger jun. und Joh. Georg Unger (1715 bis 1788), sowie von Friedrich Wilhelm Gubitz (1786 bis 1870) sind ausgestellt vom Hofantiquar Mai und Direktor R. Walden. Aus der Medaillen Sammlung des Vereins sind über 100 Glanzstücke, meist Porträt Medaillen der berühmten Münzschneider G. Loos, Brandt, C. Fischer, Jachtmann, gusgewählt. Medaillen auf Frei⸗ maurer, auf Ereignisse aus dem Leben der französischen Kolonie, aus der Cholerazeit in Berlin u. a. finden sich hier in großer Zahl bei⸗ sammen.

Eine Fülle von Oelgemälden, ferner Möbeln, und Porzellanen, besonders Tassen mit Ansichten, aus älterem Berliner Familienbesitz zeigt, was der Berliner Bürger sich pietätvoll von Geschlecht Geschlecht aufbewahrt. Proben solcher Erbstücke legen besonders in reicher Auswahl die Mitglieder Herren Paul Kühne und Erich Marquardt vor. Ersterer hat außerdem eine Orgel aus Eichenholz ausgestellt, die Friedrich der Große 1757 der böhmischen Brüder⸗ gemeinde schenkte und die 1864 für 15 Thaler an den Gast— wirth Kühne verkauft wurde, jetzt aber infolge Gutachtens des bekannten Orgelbauers Dinse mit 10900 versichert worden ist. Die große Zeit des Befreiungskrieges ist durch schöne Zeugnisse ver treten, durch Eisenringe, Gestellungs⸗ und Requisitionsscheine, durch das Eiserne Kreuz von 1813 und Proklamationen. Aus seiner über 2000 Blatt umfassenden Sammlung von Darstellungen aus dem vor—⸗ märzlichen Berlin von Th. Hosemann hat der Besitzer, H. Schmaltz, nur einen Theil ausgestellt, ebenso Dr. Brendicke nur die interessantesten Aquarelle aus dem Nachlaß des verstorbenen Professors Robert Rabe. ö

Den weitaus größten Raum nehmen natürlich die im Besitz des Vereins befindlichen Prospekte und Pläne von Schmettau, J. D. Schleuen, G. E. Müller, die Stadtansichten von J. Rosenberg u. A. ein. Die farbigen Blätter, Uniformen der preußischen Armee, ent⸗ stammen meist den großartigen Sammlungen des Mitgliedes C. H. Goldschmidt, sowie die Proben zu „Berliner Witzen und Redens⸗ arten“, die sich über 20 Katalognummern erstrecken.

Aber auch Fachmänner finden hier des Anziehenden und In— teressanten genug. Peter Walls stellt eine Gruppe von Porträts älterer Berliner Baumeister aus (J. A. Nering, s 1695. G. W. von Knobelsdorf, F 1596, C. von Gontard, 1791). Von Berliner

) Zur Vorbereitung dieser Ausstellung war unter dem Vorsitz des Herrn Rechtsanwalts J. Holz ein besonderer Ausschuß eingesetzt. Derselbe besteht gus den Herren Dr. Bailleu, Dr. Brendicke, Hr. Clauswitz, Professor Ad. M. Hildebrandt, F. Lindenberg, Assessor Magnus, C. Marquardt, Hof Photograph F. Alb. Schwartz, Dr. G. Voß, 3 Walls, E. Winterfeld, Dr. Weinitz. Die Einordnung und Aufstellung der eingelieferten Gegenstände leiteten die, Herren F. Lindenberg, E. Marquardt und Dr. Franz Weinitz. Die Aus— arbeitung des Führers übernahm Dr. Brendicke.

Innungen haben Embleme, Fahnen, Laden ober Urkunden hierher geliehen die Schwertfeger, dle Buchbinder die Nadler⸗ und die Siebmacher⸗ Innung. An das Zeitalter Friedrich des Großen erinnern die vom Verlagsbuchhändler Karl Sigie mund aue gestellten messingenen Rauchtabacksdosen und die vom Re⸗ gierungs· AFessor G. G. Winkel geschmackvoll angeordneten seidenen wat⸗., Sieges. und Friedensbänder, betreffend die Schlachten bei Krefeld, Zorndorf und den Hubertusburger Frieden. Spinnrad, Garnhaspel, Kommoden und vor allem der große roth⸗ seidene Regenschirm, genannt Stralauer“, 45 m im Umfang, versetzen eden Besucher in die traulich stille Zeit vor 1840, und wer die Namen älterer Berliner Bürger aufsuchen will, findet dazu Gelegen⸗ heit in den beiden Adreßkalendern bon 1715 (i78 Seiten) und 1756 (276 Seiten).

Der „geborene Berliner‘ wird sich in dieser Sonder ⸗Ausstellung sicherlich wohl fühlen und sich gern früherer Zeiten erinnern oder bereit sein, die Erforschung derselben zu fördern und zu unterstũtzen.

Zu Ehren des in München versammelten 1IE. inter- natignglen Kongresses für Psychologie veranstaltete, wie W. T. B. meldet, die Stadtvertretung gestern einen glänzenden Empfang sabend im alten Rathhaussaale. Bürgermeister Brunner begrüßte die Gäste im Namen der Stadt und toastete auf die ausländischen Kongreßmitglieder; ,,,. Richet⸗Paris dankte im Namen der Gäste und feierte München als Stadt der Kunst und Wissenschaft, ihr glückliches Gedeihen wünschend. Sodann sprachen Vertreter aller Rationen, darunter Professor Baldwin aus Princeton (Amerika), welcher die Bedeutung der deutfchen Universitäten für die amerikanischen Studenten hervorhob, Pro⸗ fessor Sidgwick im Namen der Engländer, Dr. Tokarsky⸗Moskau im Namen der Rassen, Professor Flournoh Genf im Namen der Schweizer. Professor Heymang- Groningen feierte die Stammver⸗ wandtschaft der Holländer und Deutschen. Schließlich sprach Profefsor Saliger⸗Graz im Ramen der Oesterreicher und faßte den Dank aller Nationen zusammen. Die Reden wurden mit großem Beifall auf⸗ genommen. Das Fest verlief auf das angeregteste.

Der 27. deutsche Anthropologentag wurde am Montag, den 3. d. M., im festlich geschmückten Saale des Stadt— hauses zu Speyer eröffnet. Den Hauptvortrag hielt der Vorsitzende, Geheime Medizinal-Rath, Professor hr. Virchow aus Berlin über Reihengräber und über den Pithecanthropos, das missing link, bon dem der Holländer Dubois auf Java Spuren gefunden haben will. Nach der Meinung des Vortragenden gehören die Funde einer Affenart, dem Gibbon, an. Der bedeutfamen Rede folgten bewillkomm— nende Ansprachen. Der Regierungs. Praͤsident von Auer begrüßte die Anthropologen namens der staatlichen Behörden, Adjunkt Serr namens der Stadt Speyer, Professor Harster namens des „Historischen Vereins“, Medizingl-⸗Rath Karsch namens des „Aerztevereins'. So⸗ dann sprach der Geschäfteführer, Gymnasial-⸗Rektor Ohlenschlager, der die Rolle schilderte, welche die Pfalz von den ältesten Zeiten her als Völkerpforte bei den Verschiebungen der Bewohnerschaft zwischen West⸗ und Ost⸗Europa gespielt hat. Geheimer Rath, Professor Ranke⸗= München gab einen kurzen Ueberblick über die literarischen Erschei⸗ nungen des letzten Jahres auf dem Gebiet der Anthropologie, und Oberlehrer Weismann⸗München erstattete den Kassenbericht. Nach der Sitzung fand eine Besichtigung des Doms und des Judenbades statt.

Literatur.

aus den Königlich preußischen Staats Archiven. 64. Band: M. Bär, „Die Politik Pommerns während des Dreißigsährigen Krieges.“ Leipzig, S. Hirzel, 1896. Pr. 14 6 Die Geschichte Pommerns im dreißigjährigen Kriege bietet dasselbe Bild wie die der meisten anderen norddeutschen Territorien: nach außen Wehrlosigkeit, nach innen Zerrissenheit und Auflösung. Fast ein Jahrzent blieb Pimern von der Kriegsgefahr verschont; erst als der Bandenführer Mansfeld von Wallenstein geschlagen, durch Brandenburg und Swhylesien nach Siebenbürgen flüchtete, schien sich der Krieg den Grenzen Pommerns zu nähern. Um sich der Marodeure Mansfeld's zu erwehren, suchte Herzog Boleslaw sein Land in Kriegsbereitschaft zu setzen, aber seine Bemühungen blieben ohne Frucht und zeigten nur die große Schwäche der damaligen Stagtsverwaltung. Die Be⸗ rathungen über die aufzustellenden Mannschaften wurden endlos ver⸗ schleppf, die Stände waren jeder Ausgabe zu militärischen Zwecken abgeneigt und fürchteten, durch energische Vertheidigungsanstalten in den Krieg verwickelt zu werden; kurz, man kam zu keinem festen Ent- schluß, und das Land blieb wehrlos. Die Hoffnung der Stände, die Neutralität des Landes erhalten zu können, erwies sich bald als eitel. Pommern war mitten zwischen Großstaaten gelegen; von Süden her drängte die Habsburgische Macht zum Meere, von Osten suchte Polen Einfluß auf die Odermündungen zu gewinnen, und diesem wiederum trat Schweden entgegen. Schweden und Polen lagen bereits im Kriege, und da der Kaiser die Polen aus religiösen und politischen Motiven unterstützte so war auch ein Krieg zwischen diesem und den Schweden bevorstehend, an dem Pommern nothgedrungen theilnehmen mußte. Von beiden Seiten umworben, wünschte der Herzog dennoch neutral zu bleiben; nicht im stande, sich der Bewerber mit Gewalt zu erwehren, suchte er sich durch Geldzahlung von allen Kriegsleistungen loszukaufen; die Verhandlungen gingen hin und her, bis endlich die Landung Gustav Adolf's und seine Siege ,, für immer an die Seite Schwedens fesselten. Neue Verwickelungen entstanden, als Herzog Boleslaw ohne Nachkommen starb (1637 und nun der Kurfürst von Brandenburg, gestützt auf alte Erbverträge, Anspruch auf Pommern erhob, zunächst freilich vergeblich, da die Schweden Pommern faktisch besaßen und zu behalten gedachten. Die pommerschen Stände suchten zwischen den beiden Prätendenten zu vermitteln; sie schlugen vor, das Land emnst weilen unter eine ständische Regierung zu stellen, bis die streitenden in sich geeinigt hätten. Der Kurfürst von Brandenburg,

eorg Wilhelm, wies jedoch diesen durchaus loyal gemeinten Vorschlag als eine Verletzung seiner Rechte zurück, und nun setzten die Schweden, die dem Antrage der Stände geneigt gewesen waren, eine eigene Regierung ein, die bis zum westfaͤlischen Frieden bestehen blieb. Hier wurde Pommern bekanntlich getheilt; den größten Theil östlich der Oder erhielt Brandenburg, der Rest fiel an Schweden. Pommern selbst übte auf sein Geschick keinen Einfluß aus; dieser Be⸗ schluß, der seine Geschichte auf anderthalb Jahrhunderte hinaus be⸗ stimmte, ward gefaßt von den in Münster und Osnabrück verhandeln den Großmächten. Die vom Verfasser in großer Anzahl voll⸗ ständig oder im Auszug mitgetheilten Aktenstücke enthalten vor= nehmlich Briefe des Herzogs Boleslaw und der pommerschen Regierung an die Herrscher von Schweden und Brandenburg und die Verhand⸗ lungen auf den pommerschen Landtagen. :

ff. Publikationen

Land⸗ und Forstwirthschaft.

Ernteaussichten in Schweden. . Die Rozgenernte hat begonnen und ber ein gutes Resultat. Weizen steht vorzüglich. Gerste und Hafer haben durch lange Dürre etwas gelitten.

Gesundheitswesen, Thierkrankheiten und Absperrungs⸗ Maßregeln.

Der Gesundheitsstand in Berlin blieb während der Woche vom 19. big 25. Juli trotz der anhaltend heißen Witterung, die während des größten Theils der Woche herrschte (das Thermometer zeigte wiederholt 27,0 C. und darüber) ein relativ günstiger und die Sterblichkeit eine mäßig hohe, wenn man von dem bedeutend ver⸗ mehrten Vorkommen von akuten Darmkrankheiten, namentlich

Bre . absieht, die in erheblich gesteigerter Zahl (in 236 Fällen) zum Tode führten und die Sterblichkeltsziffer auf 23,1