1896 / 280 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 25 Nov 1896 18:00:01 GMT) scan diff

sich schuldig bekenne, sondern auch, wenn er auf die Zuziehun . 8. verzichte. ö

Nach dem neu eingefügten 8 W442 kann auf Grund neu hervorgetretener Umstände die Staatsanwaltschaft die Auf⸗ ebung des Eröffnungsbeschlusses und eine anderweitige Be⸗ chlußfassung beantragen.

Abg. von Strom beck beantragt, die Worte ‚auf Grund neu , . Umstände“ zu streichen.

Abg. Beckh (fr. Volksp.) will auch dem Angeklagten das gleiche Recht zugestanden wissen.

Geheimer Ober ⸗Regierungs⸗Rath von Lenthe spricht sich gegen beide Anträge aus; die neue Vorschrift bezwecke, falls sich z. B. herausgestellt habe, daß der Angeklagte geistesgestört sei, oder daß ein Anderer der Thäter gewesen, daz Verfahren ohne weiteres aufzuheben. Dem Angeklagten dasselbe Recht zu geben, sei nicht angängig, denn wenn er für seinen Antrag nicht die Zustimmung der Staats. . finde, werde das Gericht auf diesen Antrag doch nicht eingehen.

Abg. Beckh hält seinen Antrag aufrecht im Interesse der An⸗ geklagten, für welche neue Umstände eingetreten seien, die der Staats anwalt nicht der Berücksichtigung werth halte, während das Gericht vielleicht darauf Werth lege.

§ 2242 wird nach dem Antrage des Abg. von Strombeck angenommen.

u § 239 beantragt Abg. von Strombeck, auch den Schöffen und Geschworenen das Recht zu geben, den An⸗

. direkt zu befragen. eheimer Ober⸗Regierungs-Rath von Lenthe erklärt sich gegen den Antrag.

Abg. Stadthagen befürwortet denselben.

Abg. Dr. von Buchka hält es für das einzige Mittel, die Leitung des Verfahrens in der Hand zu behalten, daß nur der Vor— sitzende den Angeklagten befrage. Redner spricht sich gegen den An⸗ trag aus.

Abg. Schmidt-Warburg will für den Antrag stimmen, obgleich er nicht ohne Gefahr für den Angeklagten sei.

Abg. Munckel (fr. Volkep.) erklärt sich gegen den Antrag, weil derselbe an der Stellung des Staatsanwalts und Vertheidigers nichts ändere, während er die Lage des Angeklagten dadurch verschlimmere, daß Schöffen und Geschworene in Zukunft Fragen an ihn richten dürften. Der Angeklagte könne zwar die Antwort verweigern, aber eine solche Verweigerung mache immer einen schlechten Eindruck.

Gegen die Stimmen der Sozialdemokraten und des Zentrums wird der Antrag abgelehnt.

Um Hi / Uhr wird die weitere Debatte auf Mittwoch 1 Uhr vertagt.

Preusßzischer Landtag.

Haus der Abgeordneten. 3. Sitzung vom 24. November 1896.

Auf der Tagesordnung steht zunächst die erste Berathung des n betreffend den Erwerb des Hessischen Ludwigseisenbahn-Unternehmens für den preußi⸗ schen und den hessischen Staat, sowie die Bildung einer Eisenbahn-Betriebs- und Finanzgemeinschaft zwischen Preußen und Hessen.

ur Begründung der Vorlage nimmt das Wort der Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:

Meine Herren! Ich freue mich, daß es mir vergönnt ist, bei der ersten Vorlage, die der Berathung des hohen Hauses in dieser Session unterzogen wird, im Namen der Staatsregierung als Vertreter des nächst betheiligten Ressorts das Wort zu ergreifen, und zwar in einer Angelegenheit, deren Bedeutung in dem hohen Hause allgemeines Interesse, wie wir annehmen, erwecken wird, und von der wir wünschen und hoffen, daß sie sich Ihrer einmüthigen Zustimmung erfreuen möge.

Meine Herren, die hohe politische und wirthschaftliche Bedeutung des Gesetzentwurfs, betreffend den Erwerb der Hessischen Ludwigsbahn und die Errichtung einer Eisenbahn⸗Finanz⸗ und SBetriebsgemeinschaft zwischen Preußen und Hessen, giebt mir Anlaß, Ihrer Berathung einige einleitende Worte vorauszuschicken. Es kann hierbei nicht meine Aufgabe sein, die einzelnen Bestimmungen der im Gesetzentwurf zu⸗ sammengebundenen Verträge zu erläutern. Die eingehenden Ausführungen der Denkschrift und das reichliche Material, welches der Vorlage bei⸗ gegeben worden ist, entheben mich an dieser Stelle der Pflicht; aber es dürfte vielleicht nicht unerwünscht sein, wenn ich kurz einen Rück— blick werfe auf die historische Entwickelung der Angelegenheit und dabei auf die eigenartigen Verhältnisse hinweise, welche auch schließlich zu einer eigenartigen, bisher noch nicht angewendeten Lösung der Frage geführt haben, einer Lösung, von der wir annehmen, daß sie das Richtige unter den obwaltenden Umständen getroffen hat, und daß sie in der Geschichte der deutschen Verkehrspolitik ein nicht unwichtiges Moment auch für die Zukunft bilden wird. (Sehr richtigh

Meine Herren, die Verstaatlichung der Hessischen Ludwigsbahn ist in ihren ersten Anfängen und Erwägungen zurückzuführen fast auf die Zeit des Beginns der Verstaatlichungöaktion in Preußen über haupt. Ja, die alte Rheinische Bahn, die Privatbahn, hatte ihrer⸗ seits bereits das Bedürfniß empfunden, in irgendeiner Form ihre Linien mit denen der Hessischen Ludwigsbahn zu vereinigen, um damit Anschluß rechts., und linksrheinisch an die großen Verkehrsstraßen des Südens und des Ostens zu gewinnen.

Meine Herren, der Lösung dieser Frage stellten sich indessen nach manchen Richtungen ganz besondere Schwierigkeiten politischer, recht- licher und wirthschaftlicher Natur entgegen. Es war durch die Ver, staatlichung der Köln-Mindener, der Bergisch⸗Märkischen und ins⸗ besondere der Rheinischen Bahnen die selbständige Fortexistenz der Hessischen Ludwigsbahn allerdings zu einem Anachronismus geworden, zu einem Anachronismus, dessen baldige Beseitigung im allseitigen Interesse und nicht ain wenigsten auch im Interesse der Hessischen Ludwigsbahn nothwendig war. Immer wieder ist es aus— gesprochen und durch die Thatsachen begründet worden, daß die Linien der Hessischen Ludwigebahn zu den Ver— kehrsbeziehungen zwischen dem Nordwesten Deutschlandsds und dem Süden gewißermaßen den Schlüssel bilden, daß die großen Verkehrtz⸗ ströme zwischen Ost und West und zwischen Nord und Süd sich auf den Linien der Ludwigsbahn kreuzen. Meine Herren, die Hessische Ludwigs⸗ bahn war fast von allen deutschen Bahnen am meisten begũnstigt durch ihre Verkehrslage: rechts und links des Rheins hatte sie An⸗ schluß an die großen Linien; sie hatte Anschluß an die großen Um⸗ schlagsplätze des Rheins und des Mains; sie berührte in ihren Linien einige der größeren westlichen Handelsplätze.

Die Verhältnisse für eine sachgemäße Lösung der Ludwigsbahn frage lagen aber derzeit zu schwierig. Die Lage innerhalb des Ge— bietes zweier Staaten, zum größeren Theile in Hessen, zum kleineren Theile in Preußen, die Unterordnung der einzelnen Strecken unter

ganz verschiedenen Konzessionsbedingungen die insbesondere dem hessischen Staate größere Vorrechte einrãumten in Bezug auf den demnächstigen Erwerb der Bahn als Preußen = die Ausstattung der Bahn mit werthwvollen Garantien seitens der hessischen Regierung, das große Maß von Aktionsfreiheit, dessen sich die Hessische Ludwigsbahn erfreute, machten die Hessische Ludwigsbahn Jahrzehnte lang zu spröde für eine Verstaatlichung.

Der nächstliegende Weg, die Frage zu lösen, wäre anscheinend der gewesen, daß der Staat die Strecke innerhalb seines Gebiets erworben und dann diese Strecke, so gut es ging, so gut er es ver—⸗ stand, betrieben hätte. Meine Herren, darüber waren aber beide be—⸗ theiligten Staaten auch selbst bei der oberflaͤchlichsten Betrachtung vollständig einverstanden, daß dieser Weg ungangbar, daß dieser Weg durchaus unvereinbar gewesen wäre mit den Interessen des Ver⸗ kehrs, den Interessen von Handel und Wandel. Da aber wie gesagt, die Verhältnisse noch nicht genügend ausgereift waren zu einer Verstaatlichung, so behalf man sich einstweilen damit, daß man im Jahre 1885 einen Theil der dringendsten Uebelstände dadurch be⸗ seitigte, daß man preußischerseits mit der Hessischen Ludwigsbahn ge— wissermaßen einen Rezeß schloß über die Leitung der kon kurrenzierten Verkehre. Es war das etwas; aber befriedigen konnte dieser Nothbehelf keinen der Betheiligten. Es gab dem einen, Preußen, zu wenig und nahm dem anderen, der Hessischen Ludwigsbahn, zu viel und hemmte, was das Schlimmste war, die freie Entwickelung des Verkehrs und die wirthschaftliche Ausnntzung der Linien. Wollte man dem gerecht werden, so konnte das nur geschehen durch einen gemeinschaftlichen Erwerb des Ludwigẽ⸗ bahnnetzes durch beide Staaten und durch Vereinigung des Betriebes und der Veiwaltung des gesammten Netzes in einer Hand, und zwar in der Hand Preußens. Darüber war wohl bei keinem der Be— theiligten, auch nicht bei der hessischen Regierung, irgend ein Zweifel; dafür sprachen die gewichtigsten Gründe. Betrieb und Verwaltung selbst zu übernehmen, mußte die hessische Regierung mit Recht Bedenken tragen, selbst wenn Preußen dem zugestimmt hätte was ja immer⸗ hin zweifelhaft gewesen wäre man hätte dem Lande Hessen ein finanzielles Risiko und eine Verwaltungslast aufgebürdet, die zu über⸗ nehmen nur eine unabweisliche Zwangslage gerechtfertigt haben würde. Abgesehen davon, meine Herren, würde man doch auch nur wieder das erreicht haben, was man eben vermeiden wollte: Man hätte wieder ein konkurrenziertes Netz geschaffen, das sich mit seinem preußischen Nachbar, welcher dieses Netz rechts und links flankierte, im Wege eines kündbaren Verkehrübereinkommens auseinandersetzen mußte, und die⸗ selben Uebelstände die man eben noch beklagt hätte, hätte man unter anderem Namen wieder eingeführt.

Auch andere Vorschläge, z. B. daß das gemeinschaftliche Er worbene gemeinschastlich als Sonderunternehmen durch Preußen auf gemeinschaftliche Rechnung betrieben und verwaltet wurde, oder daß Preußen Betrieb und Verwaltung des gesammten Netzes gegen eine feste oder variable Rente an Hessen übernehme, erwies sich bei näherem Zusehen für beide Theile als unzuträglich.

Injwischen drängten die Verhältnisse immer mehr zu einer Lösung. Die Ungewißheit, was mit der Hessischen Ludwigsbahn nun werden würde, hemmte und lähmte nicht bloß die Verwaltung der Ludwigebahn selbst, sondern auch die Entwickelung des Verkehrs in den betreffenden Landestheilen und schließlich auch auf das Un⸗ angenehmste die Verwaltung, den Veikehr und den Betrieb auf den benachbarten preußischen Bahnen. Meine Herren, da wurde aus der preußischen Eisenbahnverwaltung heraus im Jahre 1893 der Vorschlag gemacht, der in dem heut vorliegenden Gesetzentwurf ver—⸗ wirklicht worden ist.

Der Gedanke, daß jeder der beiden Staaten in gemeinsamer Aktion, und zwar durch freiwilligen Ankauf, nicht auf Grund etwaiger Kon⸗ zessionsrechte die Hessische Ludwigsbahn innerhalb seines Gebietes erworben, daß dann dieses so gemeinsame Erwerben mit dem gesammten übrigen beiderseitigen Besitz von Eisenbahnen auch inklusive des Mitbesitzes der Main ⸗Neckarbahn zusammengeworfen und diese Betriebs. und Finanzgemeinschaft der preußi⸗ schen Verwaltung unterstellt werden solle, war ein glũcklicher. Beiderseits war man sofort einig, daß dieser Weg zum Ziele führen, daß dieser Weg alle die Schwierigkeiten vermeiden werde, welche die bisherigen Vorschläge mehr oder minder mit sich gebracht haben würden.

Auf dieser Grundlage, meine Herren, ist in langer, mühevoller Arbeit unter Beiseitelassung aller kleinlichen Sonderrüũcksichten vom höheren nationalen Gesichtspunkte aus der Vertrag aufgebaut worden, der Ihrer Genehmigung heute unterliegt. Meine Herren, ich glaube in voller Uebereinstimmung mit dem Herrn Finanz ⸗Minister zu handeln, wenn ich denjenigen Männern, welche mit der größten Gewissenhaftigkeit und Mühewaltung in genialer Weise diese Aufgabe gelöst haben, hier vor der Landesvertretung unseren Dank ausspreche.

Meine Herren, auf die einzelnen Bestimmungen des Vertrages einzugehen, halte ich, wie gesagt, in diesem Moment nicht für zweck⸗ mäßig. Es wird sich dazu im Lauf der Diekussion entweder hier im hohen Hause oder in der Kommission, an welche die Vorlage über⸗ wiesen werden wird, hinreichend Gelegenheit finden.

Mit dem Staatsvertrag unlösbar verbunden ist das Abkommen, betreffend den Erwerb der Hessischen Ludwigsbahn. Im allgemeinen schließt sich dieses Abkommen den früheren Vorgängen an, abgesehen von denjenigen Aenderungen, die die ganz eigenthümlichen Verhältnisse der vorliegenden Verstaatlichung mit sich bringen. Meine Herren, wer von den Betheiligten das beste Geschäft bei diesen Abmachungen machen wird, ob Preußen, ob Hessen, ob der Aktienär der Hessischen Ludwigsbahn, das kann zweifelhaft erscheinen je nach dem Standpunkt, den der einzelne in dieser Frage einnimmt. Thatsächlich sind ja denn auch diese Abmachungen sehr verschieden be⸗ urtheilt worden. Ein drastisches unb plastisches Bild dieser Ver⸗ schiedenartigkeit der Beurtheilung bieten die Verhandlungen der hessischen Ständekammer und die Verhandlungen der Generalver— sammlung der Hessischen Ludwigsbahn. Wenn man einen Theil der Redner in beiden Versammlungen horte, sollte man glauben, Preußen habe mit der Ludwigsbahn das goldene Vließ aus Kolchis geholt; dem ist nicht so. Wir sind der Ansicht, daß jeder zu seinem Recht und jeder auch zu seinem geschäft⸗ lichen Vortheil kemmen wird, daß dieser geschäftliche Vortheil klarer und unmittelbarer vielleicht bei Hessen und den hessischen Ludwigs⸗ bahn ⸗Aktionären in die Erscheinung tritt, als bei Preußen, daß aber auch bei Preußen der finanzielle Gewinn unzweifelhaft vorhanden ist.

Meine Herren, aber Eins ist ganz außer allem Zweifel: der

nationale Gedanke, der Gedanke der Zusammengehßrigkelt und dez gegenseitigen Vertrauens im Deutschen Reich, die Förderung und Pflege unserer Beziehungen zu Süddeutschland können nur bei diesem Vertrage gewinnen. (Sehr richtig Wie gegenseitiges Vertrauen die Grundlage dieses Vertrags von Anbeginn der Verhandlungen an gewesen ist, die in lovalster und freund⸗ nachbarlichster Gesinnung von beiden Theilen geführt worden sind, so hege ich auch die feste Heberzeugung, daß dieses gegenseitige Vertrauen sich im Laufe der Zeit immer mehr befestigen und auch über den in den Verträgen ursprünglich gezogenen Rahmen hinaus segensreich erweisen wird.

Meine Herren, die preußische Staats, Eisenbahn verwaltung er⸗ kennt es als ihre Pflicht an und wird allezeit ihre Ehre darein setzen, hierzu nach Kräften beizutragen.

Meine Herren, ich empfehle Ihnen den Gesetzentwurf zur wohl⸗ wollenden Prüfung und einstimmizen Zustimmung. (Bravo h

Abg. von Pappenheim (kons): Ich erkenne mit dem Minister die große politische Bedeutung der Vorlage an; es bestand ein Wider- streit partikularistischer Interessen, und es wird jetzt ein Friedensschluß errreicht, der nur segengreich wirken kann. Bei dieser wichtigen Streitfrage konnte eine Einigung nur erreicht werden durch ein Ent— gegenkommen von allen Seiten. Die Interessenten mögen ja früher etwas mehr erwartet haben, aber shre Hoffnungen waren wohl allmählich etwas herabgestimmt. Ueber die Einzelheiten kann sich das Publikum kaum unterhalten; es wird wohl allseitig Einver⸗ ständniß darüber herrschen, daß die Budgetkommisston diese Frage prüfen muß. Wir stehen der Vorlage durchaus ympathisch gegenüber.

Abg. Lr. Hamm ach er (ul.): Da der Vorredner fich als Redner gegen die Vorlage in die Rednerliste hatte einschreiben lassen, so be⸗ sorgte ich eine Gegnerschaft der Konservativen. Die Rede hat mich aber beruhigt, und ich hoffe, daß der Wunsch des Ministers erfüllt werden wird, daß die Vorlage einmüthig angenommen werden möge. Ich bin überzeugt, daß die Arbeit, deren Ergebniß uns vorliegt, nicht allein für Preußen, sondern auch für Hessen und ganz Deutsch⸗ land sehr segensreich sein wird. Meine volitischen Freunde erkennen darin das Kriterium einer planvollen preußischen und deutschen Eisen⸗ bahnpolitik. Namens meiner politischen Freunde spreche ich der Re⸗ gierung den, Dank für diesen Vertragsabschluß aus. Der Abschluß ist ein finanziell vortheilhafter. Die Hefsischs Ludwigsbahn ergab 1894 5 0G, 1895 5,40 υ–. Der Ueberschuß wird sich erheblich steigern. Die Abfindung der Aktionäre mit 700 ½ Konsols für jede Aktie von seg ergiebt also trotz der einmaligen Zuzahlung ein gutes Ge⸗ schäft; denn statt jetzt 30 M erhalfen die Aktionäre nur 21 40 Zinsen für jede Aktie. Die wirthsckaftlichen Verhältnisse des andes ergeben aber für die Hessische Ludwigsbahn einen gesicherten und steigenden Personen⸗ und Güterverkehr. Ein so sicher vortheil⸗ haftes Geschäft haben wir noch niemals abgeschlossen. Allerdings wird eine Erhöhung der Beamtengehälter die Folge der Verstaatlichung sein, aber diese Mehrausgaben werden das finanzielle Ergebniß nicht er⸗ heblich ungünstiger gestalten. Ob die Abfindung der Aktionäre eine entsprechende war, ist nicht unsere Sache; sie sollen aber jedenfalls mehr erhalten, als sie erhalten haben würden, wenn sie beim Ankauf der Linien seitens der beiden Staaten Preußen und Hessen eine Ab findung in Höhe des 20 fachen Betrages des Durchschnittsertrages erhalten hätten. Der hessischen Regierung hat man den Uun—à gerechten Vorwurf gemacht, daß sie Preußen gegenüber der schwãächere Theil gewesen sei. Allerdings ist in die Hände der preußischen Staats⸗ Cisenbahnverwaltung eine große Macht gelegt. Aber die preußische Staatsbahnverwaltung hat keinerlei Interesse daran, zu ihrem eigenen Schaden die Verkehrtentwickelung auf der Hessischen Ludwigsbahn irgendwie zu stören oder zu schädigen. Das preußische Staatstzeisenbahn⸗ wesen hat Ueberschüsse wie kein anderes der Welt, und der Vertrag ergiebt für Hessen eine Besserung seiner Finanzen um J Million Mark. Wir hoffen, daß der gegenwärtige Schritt der preußischen Regierung bezüglich der Gemeinsamkeit des Eisenbahnbetriebes und der Finanzgemeinschaft zu demselben Ziele führen wird, wie seinerzeit Preußens Vorgehen auf dem Gebiete des Zollvereins.

Abg. von Tiedem ann⸗Bomst (fr. kons ): Meine Freunde sind ebenfalls mit der Vorlage einverstanden, und ich empfehle die Ueber— weisung derselben an die Budgetkommission. Wer das bessere Geschäft macht, läßt sich heute noch nicht beurtheilen. Der Vorredner hat aber seine Rechnung etwas zu optimistisch aufgemacht; er hat nicht beachtet, daß die Hessische Ludwigsbahn schon auf den Verkauf hin gewirthschaftet hat und datz manche Ausgaben nöthig fein werden, um wieder alles in den ordnungss mäßigen Zustand zu versetzen. Die Aktignäre machen ein gutes Geschäft. Das gute Geschäst, welches die Staatsverwaltung später machen wird auf Grund der geänderten und gebesserten Verhältnisse, hätten die Aktionäre aber nicht machen können. Den größten Werth legen wir auf die Bestimmung des Vertrages, welche allen anderen deutschen Staaten den Beitritt ge⸗ stattet. Wenn kein Zwang ausgeübt wird, fo ift das ein weiterer friedlicher Schritt auf dem Wege, den Fürst Bismarck eingeschlagen hat zur Herbeiführung des Systems der Reichs⸗-Eifenbahnen.

Abg. Kircher (Zentr. ):: Obgleich das Jentrum ursprünglich Gegner der Verstaatlichung gewesen ist, hat es sich doch den That⸗ sachen fügen müssen und kann einen grundsätzlichen Widerspruch nicht mehr erheben, zumal die betheillgten Landestheile vielfach über die Verhältnisse auf der Hessischen Ludwigsbahn geklagt haben. Allerdings hat auch die preußische Eisenbahnverwaltung der Hessischen Ludwigs⸗ bahn außerordentlich starke Konkurrenz gemacht; ob das nobel war, lasse ich dahingestellt. Ich beantrage ebenfalls Verweisung der Vor⸗ lage an die Budgetkommission.

Abg. Graf zu Limburg⸗Stirum (kons): Wir wissen alle, mit welchen Schwierigkeiten die Eisenbahnpolitik nur durchgefübrt werden konnte, welche Fürst Bismarck inauguriert hat. Es setzten sich nicht nur wirthschaftliche, sondern auch polltische und partikularistische Bedenken der Durchführung entgegen. Wat damals nicht möglich

ewesen wäre, daß ein Mittelstaat mit Preußen in eine Betriebs- und . sich eingelassen hätte, ist jetzt verwirklicht worden.

as ist ein großes Resultat und ein großer politischer Erfolg der Eisenbahnpolitik des Fürsten Bismarck. Ich nenne gern den Namen dieses Mannes, der durch seine große Energle und Genialität die Sache durchgeführt hat. Ich freue mich darüber. Es zeigt, wie fehlerhaft es war, daß man 1890 von seiner Politik sich abwandte; ich hoffe, daß man bald wieder einlenken wird in die alten Bahnen, auch in Bezug auf die Agrarpolitik. Ich wollte dies autssprechen, damit das Volk sieht, was es dem Fürsten Bismarck zu verdanken hat.

Abg. vom Rath (nl.) empfiehlt als Vertreter des von der Hessischen Ludwigsbahn berührten Landestheiles die einmüthige Annahme der Vorlage. Durch die Verzögerung der Verhandlungen ist ein Still⸗ stand in der Entwickelung der hessischen EFisenbahn eingetreten; denn die Ludwigsbahn war nicht in der Lage, erhebliche neue Aufwendungen zu machen, wo ihr die Verstaatlichung jeden Tag bevorstand. Es sind allerdings in der Bevölkerung Bedenken darüber aufgetaucht, ob beim Wegfall jeder Konkurrenz die Verwaltung den Wünschen des Publikums ebenso entgegenkommen wird, wie früher. Redner erklärt, daß er Vertrauen zur Staatsbahnverwaltung habe und das Beste für die Zukunft erhoffe.

Abg. Cahengly Gentr.) spricht sich in demselben Sinne wie sein Fraktionsgenosse aus.

Die Vorlage und der dazu gehörige Entwurf des Nach⸗ trags Etats werden der Budgetkommission über wiesen.

Es folgt die erste Berathung des Gesetzentwurfs, be⸗ treffend die Kündigung und Umwandlung der vier— prozentigen konsolidierten Staats⸗-Anleihe.

Finanz⸗Minister Dr. Miquel:

Das hohe Haus wolle mir gestatten, diesen Gesetzentwurf mit einigen Worten einzuleiten. Denjenigen Herren, die damals schon an den Berathungen dieses hohen Hauses theilgenommen haben, werden

die verschledenen Anregungen in Bezug auf die Frage der Kon⸗ vertierung, die wir in den letzten beiden Jahren hier gehört haben, noch in frischer Erinnerung sein. Damals trug die Staatsregierung Bedenken, den Wünschen, die vielfach geäußert wurden, man möge unmittelbar zur Konversion mindestens der 4prozentigen Konsols übergehen zu folgen. Wir, meine Herren, in der Staatsregierung, wünschten, daß nicht bloß in That und Wahrheit festgestellt werde, daß das Sinken des Zinsfußes kein vorübergehendes, durch besondere ausnahmsweise wirthschaftliche und gewerbliche Verhältnisse hervorgerufen sei, sondern einen dauernden Charakter angenommen habe, sondern daß auch die öffentliche Meinung sich von dieser Thatsache überzeuge und dadurch die Hoffnung begründet werde, daß die Staatsgläubiger auch ihrerseits eine mäßige Zinsherabsetzung nicht als einen willkürlichen Akt der Fiskalität, sondern als eine nothwendige Folge der allgemeinen wirth⸗ schaftlichen Entwickelung in der Welt, kann ich sagen, ansehen würden. Meine Herren, ich habe bei verschiedenen Gelegenheiten aus⸗ gesprochen, daß zu frühzeitige Konvertierungen sehr schwere Uebelstände nicht bloß für den Staatskredit, sondern auch für die ganzen wirth⸗ schaftlichen Verhältnisse herbeiführen. Man muß deshalb für eine solche Maßregel den richtigen Zeitpunkt wählen, um zu verhüten, daß die Staatsgläubiger darin einen Akt der Vergewaltigung erblicken, und andererseits Kapitalverschiebungen bedenklicher Art mit schweren Verlusten für die besitzenden Klassen vermieden werden. Der Staat darf da nicht vorangehen, nur folgen; er maß die Konse⸗ quenz aus einer bereits wirthschaftlich vollendeten Thatsache ziehen; er darf nicht eher zu einer Konvertierung übergehen, als bis eine solche Entwicklung vollendet ist. Nun aber glauben wir gegenwärtig, daß diese Vorautsetzungen im vollen Maße vorliegen. Wir sehen ja in der That aus dem Kursstand unserer Staatspapiere, daß man in den Kreisen des wirthschaftlichen Lebens die Konvertierung schon, möchte ich sagen, thatsächlich vollzogen hat, und wir glauben heute, daß die Konvertierung auf 34 (e unserer vierprozentigen Konsols nicht bloß den Staatsgläubigern gegenüber berechtigt, sondern gegenüber den allgemeinen Staatsinteressen, gegenüber den Steuerzahlern, gegenüber den erwerbenden und wirthschaftlich arbeitenden Klassen geradezu ge⸗ boten ist.

Meine Herren, wir sehen vor uns, daß fast alle großen Staaten Europas, jedenfalls die Kulturstaaten, derartige Konvertierungen längst vollzogen haben; ich brauche sie nicht aufzuzählen, sie sind bekannt; es giebt kaum eine Ausnahme. Zum theil sind diese Konvertierungen vorgenommen bis auf 3 herunter, zum theil hat man sich, wie namentlich auch in Frankreich, mit einer Konvertierung auf 395 C begnügt. Wir sehen weiter, daß in Deutschland selbst, namentlich in Preußen, und zwar mit Genehmigung der Staatz regierung, mit Allerhöchster Genehmigung, fast alle großen Kommunen, namentlich die großen Städte, ihre vierprozentigen und viereinhalb— prozentigen Obligationen in dreieinhalbprozentige bereits verwandelt haben, oder im Begriff sind, sogar noch weiter zu gehen, und die Frage erwägen, ob sie auch die dreieinhalbprozentige auf 30; konver⸗ tieren sollen. Wir sehen, daß eine Reihe von Landschaften, und zwar zum theil mit Erfolg, ihre Pfandbriefe auf 30 konvertiert haben; wir sehen, daß selbst der Hypothekenzinsfuß im Weichen begriffen ist und daß man erstklassige Hypotheken kaum noch zu 40 unterbringen kann, daß der Hwpothekenzinsfuß auch in den Städten sehr vielfach auf 35 und 3 oo sich gestellt hat, während doch nicht geleugnet werden kann, daß die großen Vorzüge eines preußischen Konsols⸗ gegenüber dem Hypothekenbesitz jedenfalls mindestens eine Gleichstellung des Zinsfußes beider rechtfertigen.

Meine Herren, aus allen diesen Bewegungen, die nicht von heute auf morgen datieren, die seit Jahren fortdauern in England und Frankreich allerdings früher schon in einer durchgreifenderen Weise sich gezeigt haben, als in Deutschland die allmählich sich auf den ganzen Weltmarkt ausgedehnt haben —, muß man herleiten, daß wir es hier mit einer Entwickelung zu thun haben, die zwar mal wieder unterbrochen werden kann durch besondere Umstände, die aber im Großen und Ganzen doch einen dauernden Charakter hat.

Ist dies aber richtig, so werden Sie mir zugeben, daß es unzu⸗ lässig geradezu sein würde, auf die Dauer den Staatsgläubigern über den landesüblichen Zinsfuß hinaus 400 zu zahlen, während der Staat in der Lage ist, mit nahezu 3 9 seine Bedürfnisse zu befriedigen. Ein solcher Zustand geht nicht lange, da wird die Aufrecht⸗ erhaltung eines solchen Zustandes geradezu zu einer Ungerechtig⸗ keit; er bekommt den Charakter der Begünstigung einzelner bestimmter Klassen im Gegensatz zu anderen Klassen, und es ist ein Akt gewissermaßen ausglelchender Gerechtigkeit, wenn man aus der allgemeinen Entwickelung auch für den Staat, der sich dieser Ent⸗ wickelung nicht entziehen kann, die Konsequenzen zieht.

Meine Herren, diese Erwägungen haben also die Staatsregierung dahin geführt, gegenwärtig Ihnen diese Vorlage zu unterbreiten. Ich glaube, aus dem bisherigen Verhalten der Staattzregierung, aus dem vorsichtigen Zögern, aus der wohlbedachten Wahl des günstigsten Zeitpunktes können Sie ersehen, daß die Staatsregierung gewiß die erheblichen Bedenken, welche einer solchen Konvertierung gegenüber⸗ stehen, in keiner Weise verkennt; daß eine solche Konvertierung kleine Rentner und kleine Rentnerinnen, Stiftungen, gemeinnützige An⸗ stalten vielfach schädigt und in Verlegenheit bringt, peinliche Folgen hervorruft, darüber kann ja gar kein Zweifel sein. Aber die großen Gesichtspunkte, die ich Ihnen vorhin vorzutragen mir erlaubte, zwingen ung geradezu, hierüber wegzugehen. Man muß doch auch sagen, daß bei verständiger Betrachtung diese Inhaber 40iger Konsols sich sagen werden: wir können wirklich nicht beanspruchen, auf die Dauer in unserer Eigenschast als Inhaber solcher Konsols einen höheren Zinssatz zu beziehen, als wir ihn sonst überall bei Belegungen be⸗ kommen könnten. Stellen Sie sich eine Wittwe vor, oder Waisen⸗ kinder, oder kleine Rentner, oder Stiftungen, welche nicht in preußi⸗ schen Konsols ihr Geld angelegt haben, sondern etwa in Hypotheken, ihnen werden die Hypotheken konvertiert, der Zinsfuß wird herab gesetzt, sie können sich nicht beklagen, daß sie der allgemeinen Ent— wickelung sich unterwerfen müssen. Warum und woraus sollten die⸗ jenigen, welche nun gerade ihr Geld in preußischen Konsols angelegt haben, eine andere Behandlung zu beanspruchen berechtigt sein?

Man kann derartige Dinge beklagen, man kann den einzelnen be— dauern, aber der unaufhaltsame Gang der Dinge ist stärker. Meine Herren, wer heute die Konvertierung ablehnt, und wer heute es durchsetzt, daß die beiden Häuser des Landtages einer solchen Ab— lehnung folgen, würde nach meiner Meinung erst recht die größten Uebelstände hervorrufen. Wir würden nur den Kurs der 4prozentigen Konsols in die Höhe schnellen; wenn dle Ueberzeugung allgemein

würde, man wolle grundsätzlich überhaupt nicht konvertieren, so würden die preußischen A4prozentigen Konsols 125 stehen, und wenn nachher sich zeigte, daß ein solcher Zustand doch nicht zu halten sei, daß man doch konvertieren müßte, so würden wir die größte Schädigung gerade denjenigen Staatsgläubigern zufügen, für welche wir das größte Interesse haben. Nichtsdestoweniger aber, oder vielmehr besser gesagt, gerade deswegen, weil wir diese Nachtheile und Schäden, die viele brave und solide von ihren Renten lebende oder durch den Bezug der Rente unterstützte Personen erleiden, vermindern möchten, glaube ich auf die Zustimmung dieses hohen Hauses rechnen zu können, wenn ich Ihnen die Annahme der Milderungen, die in diesem Gesetz namentlich für den Uebergang enthalten sind, empfehle. Wir gehen in dieser Beziehung weiter wie andere Staaten, selbst auch weiter, wie die bisher in Deutschland konvertierenden Staaten, namentlich Bayern gegangen sind. Wird sichern den Inhabern der 4 prozentigen nunmehr zu konvertierenden Konsols eine Schonzeit von 8 Jahren, sodaß sie sicher sind, innerhalb 8 Jahren diese ihnen jetzt zufallenden Zinsen von 35 0ͤö unbedingt unter allen Umständen zu behalten. Meine Herren, ich per sönlich allerdings glaube nicht, daß die Verhältnisse lo liegen, daß ohne eine solche Zusicherung innerhalb der nächsten 8 Jahre es wahrscheinlich wäre, daß der preu⸗ ßische Staat sobald zu einer weiteren Konvertierung übergeht. Ich persönlich ich habe ausdrücklich den Ausdruck gebraucht, Herr Dr. Sattler glaube das nicht; wissen thue ich es natürlich nicht, wer kann die Entwickelung in dieser Beziehung voraus— sehen aber glauben thue ich es nicht. Im Gegentheil, das rapide Sinken des Zinsfußes in ganz Europa wird nach den bisherigen Erfahrungen wahrscheinlich eher in der nächsten Zeit eine kleine Rück— wärtsbewegung erleiden. Und selbst stellen Sie sich vor, wir könnten nach 5, 6 Jahren, wenn wir wollten, auf 3 0so konvertieren, was schadet es denn, wenn wir noch etwas länger warten, um zu demselben Resultat, zu dem wir so hier gekommen sind, zu gelangen: zu dem Resultat, daß alle Welt die Konvertierung für eine unbedingt gebotene Maßregel erachtet, daß wir die gesammte öffentliche Meinung in dieser Beziehung auf unserer Seite haben?

Ich glaube also, dem Staatsinteresse widerspricht eine solche Zusicherung nicht, wohl aber dient sie für ängstliche Gemüther in hohem Grade zur Beruhigung, und wir werden hoffentlich dadurch auch noch ein anderes erreichen. Ich habe schon vorher gesprochen von der Gefahr der Kapitalverschiebung und der Kapitalauswanderung, welche mehr oder weniger mit jeder Konvertierung verbunden ist. Meine Herren, hier haben wir jedenfalls ein Mittel, um vor leicht⸗ fertigen und leichtsinnigen Beschlußfassungen in dieser Beziehung die Gläubiger zu behüten. In Verbindung hiermit steht die andere Zusicherung, daß wir den vierprojentigen Kupon nachzahlen wollen zwei Quartale bis zum Oktober nächsten Jahres. Dadurch kommen die Gläubiger des Staates in die Lage, mit Ruhe erwägen zu können, was sie thun. Sie brauchen nicht in überstürzter Weise Kapitalverschiebungen vorzu⸗ zunehmen. Sie können verständige Berather heranziehen und in voller Kenntniß der gesammten Sachlage handeln.

Derselbe Gesichtspunkt hat uns auch hauptsächlich bewogen, Ihnen eine Konvertierung auf 3ho / q vorzuschlagen, nicht auf 30/09. Ich habe die Ueberzeugung, daß gegenwärtig in Deutschland der dreiprozentige Zinsfuß noch nicht der landesübliche ist. Es würde eine Konvertierung auf 3 0so fiskalisch ja höchst vortheilhaft, auch finanziell wohl möglich sein unter den nöthigen Voraussetzungen. Das würde aber nach meiner Meinung ein viel zu starker Sprung sein und eine starke U‚wälzung auf dem ganzen Kapitalmarkt hervorrufen; es würde die Gefahr der Kapitalverschiebung, der Kapitalauswande⸗ rung in allerhöchstem Grade eminent sein, während wir glauben, bei einer so vorsichtigen Konvertierung auf 33 0 diese Gefahr nicht, wenigstens nicht in irgend einem erheblichen Grade, befürchten zu müssen.

Alle diese Maßnahmen gehen also nach derselben Richtung. Freilich, meine Herren, durch die Zusicherung, die wir namentlich in Betreff der Zahlung der vierprozentigen Kupons bis zum Oktober nächsten Jahres gegeben haben, opfert der Staat noch 9 Millionen. Ich sage noch, weil, wenn er hätte rein nach fiskalischen Gesichts⸗ punkten verfahren wollen, wir eigentlich schon in der Lage gewesen wären, seit 3 bis 4 Jahren zu konvertieren, und also auch in dieser Beziehung zu Gunsten der Staatsgläubiger bereits erhebliche Opfer gebracht haben.

Meine Herren, man hat wohl die Opportunität der Maßregel bezweifelt. Namentlich in der Presse habe ich hier und da nach dieser Richtung Aeußerungen gefunden. Ich bin nun gerade der Meinung: in einer Zeit, wo wir daran sind, unsere Beamtengehalte zu erhöhen, wo wir Ihnen eine Vorlage machen können, welche auch die Bezüge der Wittwen und Waisen der Beamten besser regelt, ist jedenfalls für diese Klassen, die vielfach sich im Besitz bon kleineren oder größeren Beträgen vierprozentiger Konsols befinden / der Uebergang am allerleichtesten. Auch befinden wir uns ja heute, wenigstens was Industrie und Gewerbe betrifft, in einer augenblicklich glücklichen Lage. Der augenblicklich knappe Geldstand hat für die Frage der Konvertierung nach meiner Ueberzeugung keinerler Bedeutung. Wie oft wird bei der ja leider in Deutschland noch weit verbreiteten Unwissenheit in wirthschaftlichen und finanziellen Dingen die Frage, was die Zirkulationsmittel augenblicklich kosten, verwechselt mit dem, was man zu zahlen hat für die dauernde Empfangnahme eines dauernd zu gewährenden Kapitals. Kapital und Zirkulationsmittel haben nichts mit einander zu thun. Der landesübliche Zinsfuß wird zwar schließlich auch vorübergehend durch einen knappen Geldstand, durch einen hohen Diskont berührt werden können. Es sind das zwei Gebiete, die sich gegenseitig mehr oder weniger berühren; aber an und für sich sind sie vollkommen getrennt. Das können Sie am besten daraus ersehen, daß, während wir jetzt einen Bankdiskont von h o haben, unsere dreiprozentigen Konsols noch immer über 98 stehen. Wenn der landesübliche Zinsfuß abhinge von dem momentanen Geldstand, von der Miethe, die man für ein hergegebenes Quantum von Zirkulationsmitteln zahlen muß, so wäre das vollkommen unmöglich. Nun erfordert die Konvertierung aber wahrscheinlich keine Zirkulations⸗ mittel. Ich hoffe wenigstens, daß es gehen wird, wie im Jahre 1886, daß alle Welt so verständig sein wird, wenn man statt Hundert 103 und 104 bekommen kann, das letztere zu wählen, und dann wird sich die ganze Sache vollziehen ohne Inanspruchnahme von irgend welchen Zirkulations⸗ mitteln; es wird eine Abstempelungsfrage sein. Ich glaube so: dieser augenblickliche knappe Geldstand, der vielleicht ja auch schon bald wieder weichen wird er ist ja schon etwas im Weichen der um

diese Zeit fast immer vorhanden ist, der etwas verstärkt ist in diesem Augenblick durch den hohen Aufschwung der Industrie, der möglicher weise zum Januar schon wieder ganz verschwinden kann, kann uns nicht bewegen, das Gesetz selbst in diesem Augenblick für bedenklich zu erachten; wohl aber giebt es eine Begründung für den Vorschlag, daß Sie die Bestimmung des Zeitpunktes der Ausführung dem „Herrn Finanz⸗Minister' üÜberlassen. Man kann nicht wohl durch Gesetz vorher bestimmen, wann der ge⸗ eignete Zeitpunkt für die Durchführung der Konvertierung vorhanden sein wird. Das können weder Sie, noch kann es heute die Staats- regierung übersehen; das kann nur in dem Augenblick nach Lage des Geldmarktes beurtheilt werden, und ich glaube, Sie werden daher wohl kein Bedenken haben können, wie es im Jahre 1885 bei der damaligen Konvertierung der Fall war, dem Finanz⸗Minister die Wahl des Zeitpunktes zu überlassen.

Meine Herren, das Gesetz folgt im übrigen in den Einzelheiten wesentlich dem Konvertierungsgesetz vom Jahre 1885, welches sich ja durchaus bewährt hat, namentlich auch in Beziehung auf die Fiktion, die es aufstellt, daß diejenigen Staatsgläubiger, welche inner⸗ halb der gegebenen Frist hier sind drei Wochen vorgeschlagen, vielleicht wären 14 Tage auch genügend nicht ausdrücklich erklären, daß sie nicht konvertieren wollen, daß sie baares Geld mit 100 0 vorziehen preußischen Konsols im Werthe von 104 S, als der Konvertierung beitretend angenommen werden. So haben es auch alle übrigen Staaten gemacht, ich nenne Frankreich, Holland, Däne—⸗ mark u. s. w.; so hat es neuerdings auch Bayern gemacht; so haben wir es gemacht im Jahre 1842 bei der Konvertierung der preußischen Staats, Schuldscheine von 4 auf 390/90 und im Jahre 1885 bei der Konvertierung der 45 prozentigen Konsols auf 4prozentige. Beschwerden sind darüber nicht entstanden, ja, man kann sagen: es ist dies geradezu für die Betheiligten eine Wohlthat; denn sonst können leicht durch Irrthum, Versäumniß des Termins u. s. w., gerade Personen, die in wirthschaftlichen Dingen nicht so besonders bewandert sind, in Schaden gerathen, während sie hier nur, möchte ich sagen, zu ihrem Vortheil einem Präjudiz sich gegenübersehen.

Meine Herren, ich empfehle Ihnen nach all diesem die möglichst einmüthige Annahme der Gesetzesvorlage. Eine Maßorität genügt ja im allgemeinen einem Minister; er erreicht damit seinen Zweck —; im vorliegenden Falle liegt die Sache aber doch etwas anders. Wenn hier eine starke Opposition vorhanden wäre, wenn nur eine kleine Majorität sich fände, wenn es an irgend einer Einmüthigkeit der Landesvertretung mangelte, würde ich selbst Bedenken getragen haben, unter solchen Bedingungen eine Vorlage dieser Art ein zubringen. Je einmüthiger und einhelliger Sie Ihr Votum in dieser Frage abgeben, je mehr werden Sie auch die Staatsgläubiger überzeugen: die Sache ging nicht anders, die wirthschaftliche Entwickelung hat die Maßnahme erzwungen, es handelt sich hier nicht um einen willkürlichen fiskalischen Akt, sondern, wie ich schon sagte, um die Befolgung eines wirthschaftlichen Ge—⸗ setzes, welches sich vor jedermanns Auge wirksam erweist.

Ich empfehle Ihnen von diesem Standpunkt aus möglichst ein müthige Annahme der Vorlage. (Bravo

Abg. Ghlers (fr. Vgg): Der Vorwurf, daß diese Vorlage nicht reiflich genug bedacht sei, würde ein bitteres Unrecht gegenüber der Staatsregierung sein. Eher könnte man sagen, daß die Regie⸗ rung mit ihrer Nachsicht gegenüber den Staatsgläubigern viel zu weit geht, namentlich durch die Festlegung des Staatz auf acht Jahre. Von einer rücksichtslosen Konvertierung kann jeßt nicht mehr gesprochen werden, weil das Publikum die 4. und E prozentigen Konsols gleichmäßig würdigt. Daß Stiftungen und Institute ihre Gelder in 4prozentige Konsols vorzugsweife angelegt haben, glauhe ich nicht. Soweit sie anderweitige Papiere ö. oder Hypotheken erworben haben, hat nichts sie gegen eine Herab— setzung des Zinsfußes geschützt. Cine Unterlassung der Konvert erung würde die unberechtigte Unterlassung eines maßvollen, aber nothwen' digen Schrittes sein. Wenn man noch zwei Kupons mit 40jo zahlt und nur auf 36 herabgeht, weswegen will man denn den Staat auch noch auf acht Jahre binden? Diese Bestimmung wird eine herbe Kritik im Lande finden, namentlich bei denen, welche jetzt schon 3hyprgzentige Papiere besitzen, für welche der Zinsfuß nicht auf acht Jahre festgelegt ist. Bei allem Entgegenkommen gegen dle leid⸗ tragenden Staatsgläubiger sollte das Haus doch den Staat nicht bin. den, damit er weiter konvertieren kann, wenn die Verhältnisse es gestatten.

Abg. Freiherr von Erffa (kons.): Meine politischen Freunde sind bis auf wenige Ausnahmen mit der Vorlage einverstanden; die Konvertierung können sie allerdings nicht als eine Wohlthat für die Staatsgläubiger ansehen, aber sie halten sie für nothwendig und zweckmäßig, weil sie ein Sinken des Hypothekenzinsfußeg mit sich bringen wird. Denn auf dem Lande werden noch 4 6 Hypotheken- zinsen selbst an erster Stelle verlangt. Es wird eine Aufgabe der Landwirthschaftskammern sein, dahin zu wirken, daß die Zinfen der Grundbuchschulden, soweit sie 34 6/0 übersteigen, herabgeseßt werden. Wir sind einverstanden mit dem vorsichtigen Vorgehen, namentlich auch mit der Garantie, daß erst nach acht Chr eine weitere Kon⸗ vertierung möglich sein soll; man könnte den Zeitraum höchstenz auf fünf Jahre abkürzen. Die Konvertierung auf 3 do wird ja schließ⸗ lich doch das Ziel sein; die Maßregel erinnert etwas an das stück. weise Abschneiden des Schwanzes. Bei anderen Dingen ist man nicht so vorsichtig vorgegangen, z. B. durch die Handelsverträge ist die Grundrente erheblich er, . t worden, und den Landwirthen thut eine Kürzung der Rente ebenso wehe wie den Rentiers und den Stiftungen. Nur ausnahmsweise erreichen landwirthfchaftliche Be⸗ triebe noch eine Verzinsung von 30/0. Mit den Einzelheiten der Vorlage sind wir einverstanden.

Abg. Fritz en ⸗Borken (Zentr.): Daß die Handelsverträge den Grund und Boden entwerthet haben, ist mir nicht bewußt; im Gegentheil: die Gesetzgebung der letzten Jahre war bemüht, den Ertrag des Grund und Bodens zu 6 Allerdings schneidet die Konvertierung tief ein in die Ver ältnisse der Stiftungen, Krankenhäuser u. s. w. Aber diesen Uebelständen mässen wir muthig ins Gesicht sehen. Ob man den Staatsgläubigern dauernd einen höheren Sin nf als den landesüblichen garantieren soll, diese Frage aufwerfen, heißt schon sie verneinen. Benn die Konsols be= finden sich auch großentheils in den Händen von Kapitalisten und Aktiengesellschaften, welche darin ihre Reservefonds u. s. w. angelegt haben. Daß der Zinsfuß dauernd gesunken ist, . die Kurse der 3prozentigen Staatepapiere. Die Uebergangsmaßregel, welche der inanz⸗Minister beantragt, namentlich die achtsährige Frist, ist ür die Staatsgläubiger sehr werthvoll, während sie für den Staat ziemlich bedeutungslos ist. Die Konvertierung auf 39½0 würde heute noch nicht möglich sein. Das Sinken dez insfußes hat eine soziale Bedeutung; es schafft einen kleinen usgleich zwischen Arm und Reich. Eine Streitfrage ist aufgeworfen, ob die Aktionäre der Köln-Mindener Eisenbahn in dem Genuß ihrer vierprozentigen Rente geschützt werden müssen; ich finde in der Vor= lage darüber nichts. are ein rechtlicher oder moralischer Anspruch vorhanden, so müßte er anerkannt werden. Er scheint mir allerdings nicht begründet zu sein, die Kommission wird aber diese Frage untersuchen müssen. Wünschenswerth wäre es, wenn die Vorlage noch vor Weihnachten zum Gesetz erhoben werden könnte.

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