1896 / 281 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 26 Nov 1896 18:00:01 GMT) scan diff

Thbatfrage nicht mehr zurückgegriffen werden soll; nur auf Nova und auf Verletzung des Gesetzes soll er sich stüͤtzen dürfen. Damit

wird für ihn das Recht der Berufung werthlos. Ebenso bedenklich erscheint der Eventualantrag, der einen Unterschied zwischen mit Ein—⸗ stimmigkeit und nicht mit Ginstimmigkeit Verurtheilten hinsichtlich der Berufung statuiren will.

Beide Anträge werden abgelehnt, 8 364 aber in der von der Kommission vorgeschlagenen Fassung angenommen, desgleichen der vorher zurückgestellte, hiermit in Zusammenhang . 8 266 und ebenso die 5 bis 363 inklusive.

Darauf vertagt sich das Haus.

Schluß 5m Uhr. Nächsie Sitzung: Donnerstag 1 Uhr. Interpellation Auer, Justizgesetznovelle.)

Preusßischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

4. Sitzung vom 25. November 1896.

Auf der Tagesordnung steht die erste Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Tilgung von Staats⸗ schulden und die Bildung eines Ausgleichsfonds.

Finanz⸗Minister Dr. Miquel:

Meine Herren! Der Gesetzentwurf, der Ihrer heutigen Be— rathung unterliegt, ist in der Presse in seiner Bedeutung und in seinen Wirkungen vielfach vollkommen falsch und irrig dargestellt. Seine Bedeutung ist übertrieben, und auch seine Wirkungen über⸗ treibt man vielfach. Man hat den Gesetzentwurf charakterisiert als eine wesentliche Aenderung in unserem bisherigen Finanzsystem, als eine Schmälerung der konstitutionellen Rechte der Landesvertretung, als einen heimlichen Versuch, demnächst eine Steuererhöhung, einen Zu— schlag zu den direkten Steuern zu erzwingen. Die Diskussion wird zeigen, daß von alledem nichts wahr ist. Ich kann vielmehr richtiger den Gesetz⸗ entwurf als einen bescheidenen Versuch, aus der Erfahrung hervor getretene Mängel zu beseitigen, bezeichnen. Ich kann nicht einmal behaupten, meine Herren, das würde zu weit gehen —, daß dieser Gesetzentwurf eine absolute Nothwendigkeit sei, um einen guten Finanzzustand in Preußen zu erhalten. Es ist aber eine zweckmäßige und nützliche Maßregel für die Zukunft und für die Gegenwart, und man soll in finanziellen Dingen sich nicht bloß darauf beschränken, das absolut Nothwendige zu thun, sondern man soll auch zweckmäßige und nützliche Verbesserungen, wenn die Zeit dazu gekommen ist, nicht scheuen.

Meine Herren, der Gesetzentwurf hat zwei Theile, welche zwar in einer gewissen Verbindung mit einander stehen, aber doch wohl als einzelne, selbständige Theile gedacht werden sollen. Der erste Theil bezieht sich auf die Frage der Schuldentilgung. Der Gesetzentwurf schlägt Ihnen vor, statt der bisherigen Art der Schuldentilgung eine gesetzliche feste Grundlage für eine Minimalschuldentilgung herzu— stellen. Da stoßen wir nun von vornherein auf den Gegensatz der Meinungen, wovon die Einen eine Schuldentilgung verwerfen, wenn keine Ueberschüsse da sind, und die Anderen eine obligatorische gesetz- liche Schuldentilgung unter allen Umständen beanspruchen.

Meine Herren, hier in Preußen ist diese Theorie, daß man Schulden nur tilgen soll, wenn man gerade Ueberschüsse hat, und es bleiben lassen soll, wenn man keine hat, die Theorie, welche den Satz verwirft, daß ein Staat von der Bedeutung Preußens, mit diesen Veipflichtungen, einer organischen Institution der Schulden

tilgung bedarf, ich sage diese Theorie ist wesentlich entstanden aus

mißverstandenen Vorgängen bei der Konsolidation unseres Schuldenwesens im Jahre 1869. Man hat und das liest man jeden Tag in der Presse, hört es auch zuweilen von Abgeordneten, die sich nicht speziell mit dieser Frage beschäftigt haben immer angenommen, daß damals die Absicht be⸗ standen hätte, die obligatorische Schuldentilgung überhaupt aufzugeben, daß man damals das Prin ip proklamiert habe, es sei unverständig, unter allen Umständen unverständig, Schulden zu tilgen, wenn man genöthigt sei, wieder neue zu machen.

Meine Herren, das Konsolidationsgesetz hatte mehrere Zwecke, und unsere Akten im Finanz Ministerium geben darüber die klarste Auskunft. Man wollte einmal die große Ver⸗ schiedenartigkeit unserer verschiedenen Schuldtitel mehr und mehr unifizieren. Diese Verschiedenartigkeit war durch die Annexion der neuen Länder noch gewachsen, und es war erwünscht, zu einer einheitlichen Schuldentilgung zu kommen. Sodann hatten wir damals ein Defizit, und es standen unsere 4 prozentigen Konsols weit unter pari. Wenn Sie den Kurszettel vom Jahre 1868/69 durchlesen, so finden Sie, daß unsere 49 prozentigen Konsols etwa 92 bis 94 standen. Nun hatten wir damals eine Schuldentilgung von über 20/9. Man sieht, wie weit wir heute, wo wir Fo tilgen, davon uns entfernt haben. Der Minister Camphausen war genöthigt, die alte, bereits in starker Schuldentilgung begriffenen höher stehenden Schuldtitel anzukaufen bezw. wo das bedingungsmäßig war, zu pari zu amortisieren, während er bei dem Mangel an Ueberschüssen in der Staatskasse gezwungen war, dafür Anleihen zu machen, welche er zu 45 o nur mit 92 bis 94 begeben konnte.

Damals drängte das Defizit und es ergab sich der Weg von selbst, auf diese Weise das Defizit zu beseitigen. Der Minister sagte sich: Es ist unverständig, in der gegenwärtigen Zeit zu pari zu tilgen und zu höheren Kursen stehende Effekten anzukaufen und dafür 41prozentige preußische Schuldtitel zu diesem niedrigen Kurse aus— zugeben. Das war die wesentliche Veranlassung zur Konsolidation.

Nun bezog sich aber die Konsolidation, d. h. die Beseitigung der gesetzlichen Schuldentilgung doch nur auf einen Theil der damaligen Staatsschulden. Ende 1869 betrug die gesammte Staatsschuld 1272501 000. Davon wurden der Konsolidation unterworfen 670 Millionen, blieben also der Konsolidation nicht unterworfen 602 Millionen. Also über 4 o/o wurden der Konsolidation überhaupt nicht unterworfen.

Meine Herren, das stimmt ganz mit den Auffassungen des da⸗ maligen Finanz Ministers, der diese Konsolidationsvorlage machte, überein. Er protestiert geradezu dagegen, daß man ihm unterstelle, er wolle in Zukunft nur aus Ueberschüssen tilgen und die gesetzliche Schuldentilgung überhaupt aufheben. Er sagt ausdrücklich in der Sitzung vom 4. November 1869:

Das Tilgungequantum, das für diese 223 436 000 Thlr. er- forderlich ist für das Jahr 1870, beläuft sich auf 3 422 855 Thlr. Sie sehen, meine Herren, daß ich mit meinem Vorschlage nicht so weit gehe, Ihnen zu empfeblen, die gesammte Zwangsverpflichtung in Beziehung auf die Staatsschulden aufzuheben, daß ich Ihnen

den theilweise

nicht etwa vorschlage, diese ganzen 8 666 000 Thlr., die pro 1870 dazu bestimmt werden müssen, disponibel zu machen. Ich würde, selbst wenn unüberwindliche Schwierigkeiten sich einem solchen Plan nicht entgegenstellen sollten, dennoch Bedenken tragen, einen solchen Plan zu befürworten, weil es mir als ein nicht un⸗ bedenklicher Schritt erscheinen würde, der weit verbreiteten Neigung, Anforderungen an die Staatskasse zu stellen, und der schwachver⸗ breiteten Neigung, diesen Anforderungen aus dem Stenersäckel Ab⸗ hilfe zu schaffen, einen zu weit gehenden Vorschub zu leisten.

Meine Herren, da haben Sie genau den Standpunkt, den ich meinerseits mir demnächst noch näher darzulegen gestatten werde. Es ist also eine Fabel zu behaupten, daß das Konsolidationsgesetz den Zweck gehabt hätte, überhaupt dauernd das Prinzip der Schulden⸗ tilgung nur aus Ueberschüssen zu proklamieren.

Meine Herren, einer der Vertreter der damaligen Mehrheitsparteien, unser alter Freund von Benda, gab denn auch dem entsprechend für einen großen Theil der nationalliberalen Partei folgende Erklärung ab:

Ich verwahre mich gegen die Auffassung und ich glaube, mich in dieser Beziehung in Uebereinstimmung mit vielen meiner Freunde zu befinden als ob wir durch dieses Gesetz einen Uebergang zur künftigen freien Tilgung sanktionieren wollten. Meine Herren, es ist eine meiner tiefsten Ueberzeugungen, daß Preußen das System der obligatorischen Tilgung gegenwärtig und voraussichtlich auf lauge Zeit nicht wird entbehren können, vermöge seiner Geschichte, vermöge der großen Dienste, die es uns geleistet hat, und vermöge der augen⸗ blicklichen Lage seiner wirthschaftlichen Verhältnisse. Ich behaupte das, trotz aller grauen oder grünen Theorien, wie man sie nennen mag, die man vom Standpunkte der Wissenschaft gegen die realen Fundamente in den Verhältnissen des preußischen Staats anführen mag, und nur weil durch dieses Gesetz der Freiheit der künftigen obligatorischen Tilgung unserer Schulden nicht präjudiziert wird, weil ich zu unseren Nachkommen die Hoffnung hege, daß, wenn einmal der Zustand eintritt, daß die Tilgung unter ein zulässiges Maß herunter geht, daß sie ernstlich dann mit der Ergründung eines neuen Tilgungsplanes sich beschäftigen werden.

Meine Herren, von anderer Seite waren die Bedenken noch viel stärker, und namentlich die damalige Fortschrittspartei stellte sich grundsätzlich dem Konsolidationsgesetz entgegen. Ich will in dieser Beziehung die Herren ersuchen, die damalige Rede des Abg. Virchow nachzulesen, welcher grundsätzlich sich auf den Standpunkt stellte: ein solider Verwalter, der Staat, muß bis auf eine gewisse Grenze eine gesetzlich gesicherte Schuldentilgung haben. Er sagte:

Meine Herren, ich stehe auf dem unglücklichen Standpunkt, daß ich etwas von den Anschauungen des Privatmanns in die Be— urtheilung der Staatsschulden mit herübernehme. Ich habe in der That die Vorstellung, auch der Staat könne nicht prosperieren, wenn er nicht eine erhebliche Tilgung seiner Staateschulden fest—⸗ hält. Die bloße eventuelle Tilgung

also die Tilgung aus Ueberschüssen,

welche Sie gegenwärtig in Aussicht nehmen und welche der Herr Finanz ⸗Minister als die Quintessenz der modernen Volkswirthschaft preist, ist, wie ich glaube, eine sehr gefährliche und verderbliche. Auch der Bericht spricht auf Seite 3 von der festen Absicht, daß die Tilgung immer vorhanden bleibe, daß man keineswegs daran denke, die Tilgung jemals ganz aufzugeben. Meine Herren, bei diesen vielen Versicherungen von der „festen Absicht' ist mir immer das alte Sprichwort in den Sinn gekommen, daß der Weg zur Hölle mit guten Vorsätzen gepflastert ist.

Nun führt er weiter aus, daß ein Antrag, den der Abg. von Bennigsen gestellt hatte, die etatsmäßigen Ueberschüsse zur Schulden tilgung zu verwenden, keine praktische Bedeutung hat, und daß solche etatsmäßigen Ueberschüsse, wie sich in Wahrheit gezeigt hat, niemals vorhanden sein würden. Er schließt damit, daß er sagt:

Meine Herren, in der Beziehung berufe ich mich darauf, daß die Geschichte der streng konstitutionellen Länder überall gezeigt hat, daß die besten Finanzvorsätze immer wieder scheitern an der Ungunst der momentanen Verhältnisse, und daß man sich daher immer wieder genöthigt gesehen hat nach bitteren Erfahrungen dahin zurück— zukehren, nicht die eventuelle Tilgung, sondern die bestimmte Ver— pflichtung, die gesetzliche Verpflichtung der Tilgung wieder aufzu— nehmen.

Der Herr Abg. Richter hat sich zwar nicht so bestimmt aus— gedrückt, aber doch nach der Richtung hin sich deutlich genug aus⸗ gesprochen. Allerdings bekämpfte der Abg. Richter das Gesetz damals wohl hauptsächlich aus einem anderen Gesichtspunkte alz der Abg. Virchow und seine Freunde. Er wollte verhindern, daß die nun durch Schuldentilgung ersparten Beträge für die Landesvertheidigung verwendet würden, wie das ja von jeher seine Anschauung gewesen ist, dem Staate möglichst wenig Mittel zu geben, um der Landesverthei⸗ digung entsprechend aufzuhelfen. (Heiterkeit rechts.)

Er warnte davor, diese Ersparnisse zu machen, well die doch in den großen Topf der Militärverwaltung fließen würden; aber in seiner Motivierung sagt doch auch Herr Abg. Richter, man solle sich doch nicht einbilden, wenn man nun anfinge, zum theil die obli⸗ gatorlsche Schuldentilgung aufzugeben, daß man dabei stehen bleiben könne; wenn man A gesagt habe, werde man noch weiter buchstabieren müssen, und man werde schließlich überhaupt dahin kommen, keine Schulden ju tilgen. ‚Das würde doch heißen“, so sagt er, die Zukunft preisgeben zu Gunsten der Gegenwart.“ Er sagt hier: Der Fürst Bismarck habe gedroht damit, daß man die nützliche Verwendung vor der Hand aufgeben müsse, wenn man damit sie nicht beseitigte. Er sagt nun weiter: „er hat dies nicht gewagt, weil er die Interessenten nicht gegen sich aufbringen wollte, aber er führt diese Drohung jetzt aus, weil er durch Suspendierung der Schuldentilgung die nützlichen Ausgaben beschränkte, welche in unserem Etat ausgeworfen sind im Interesse der künftigen Generation.“

Meine Herren, die ganze Deduktion des Abg. Richter stimmt mit der Auffassung überein, daß, wer keine Schulden tilgt, die Zukunft preisgiebt zu Gunsten der Gegenwart.

Nun ist aus diesen Vorgängen der Satz entstanden, an den heute so viele Menschen als Axiom glauben, der Satz, daß es unter allen Umständen verkehrt sei, Schulden ju tilgen, wenn man in der Lage sei, neue zu machen.

Meine Herren, wenn man hochverzinsliche Schulden tilgen kann mit minder verzinslichen, so ist das keine Unvernunft, sondern sehr vernünftig. Nach dieser Richtung also ist der Satz völlig falsch; es kommt auf die Umstande an; bei uns hat der Satz aber gar keine Bedeutung, weil wir in der Lage sind, und in übersehbarer

Zeit in der Lage bleiben werden, überhaupt die zur Schulden tilgung ausgeworfenen Beträge ju diesem Zweck nicht direkt zu verwenden, sondern einfach auf gewährte laufende Kredite abzuschreiben. Das haben wir ja in der ganzen Zeit gethan. Wir waren ja gerade in der Situation, die die Herien sich vor— stellten. Wir waren vier Jahre im Defizit und haben jedes Jahr unseren Etat durch Anleihen ergänzen müssen. Trotzdem haben wir keine neuen Anleihen aufgenommen, sondern haben die Beträge zur Schuldentilgung einfach auf diese laufenden Kredite abgeschrieben. Wie kann man also unter solchen Umständen einen überall und generell als absolut wahr bezeichneten Satz ausstellen, daß man niemals Schulden tilgen soll, wenn man gezwungen ist, neue zu machen? Es zeigt sich da eben, was ein Schlagwort in der Politik bedeutet. Der alte Minister Palmerston sagte einmal: die größte Kunst eines Staatsmannes ist, gute Schlag worte zu erfinden. Ich will nicht sagen, daß das Schlagwort Automat“ eine gute Erfindung sei und lange vorhalten kann. Aber dies vorbezeichnete Schlagwort hat wirklich lange vorgehalten, weil die meisten Menschen über die Bedeutung eines solchen Schlagwortes und über die letzte Quelle seines Entstehens nicht nachdenken.

Meine Herren, der Herr Abg. Virchow sagte damals: Ich sehe voraus er konnte damals die Folgen einer großartigen Verstaat⸗ lichung der Eisenbahnen nicht übersehen er sagte: eine Schulden tilgung aus Ueberschüssen wird nicht viel bedeuten. Diese Prophe— zeiung wurde sofort wahr; denn im Jahre 1870 und im Jahre 1871 wurden überhaupt nur Schulden getilgt für die bedingungsmäßig zu tilgenden, noch laufenden Anleihen; von Ueberschüssen war nicht die Rede. In den Jahren 1872, 73, 74 hatten wir aller⸗ dings Ueberschüsse, aber nur aus extraordinären Zuwendungen der französischen Kriegskosten, und in den folgenden acht Jahren waren überhaupt keine Ueberschüsse vorhanden, wurden überhaupt keine Schulden aus Ueberschüssen getilgt. Das ging so fort biä 1881. Dann gelangen in der Eisenbahnverwaltung eine Reihe zwangsweise zu tilgender Prioritäts - Obligationen infolge der Verstaatlichung. Daraus entwickelte sich dann wieder eine mäßige Vermehrung der Schuldentilgung. Vie eigent— liche Vermehrung der Schuldentilgung hat schließlich in Preußen, an= knüpfend an die noch vorhandenen, bedingungsmäßig zu tilgenden Staattanleihen angeknüpft an den hier im Hause angenommenen Antrag ich glaube des Herrn Dr. Hammacher —, daß die Ersparnisse, die aus der Konsolidation der mit Amortisations⸗ pflicht versehenen Eisenbahn-Prioritäten der verstaatlichten Eisenbahnen erzielt würden, zur Schuldentilgung in den Etat eingestellt werden sollten, und dann kamen allerdings auch zeitweilig sehr bedeutende Ueberschüsse der Eisenbahnverwaltung, welche zur Schuldentilgung zur Verwendung gelangt sind.

Nun, meine Herren, wir haben infolge dessen getilgt seit dem Jahre 1870, d. h. seit der Konsolidation, also theils aus dem Etat der Staatsschulden⸗Verwaltung die obligatorischen Tilgungen, theils aus dem Etat der Eisenbahnverwaltung, so lange noch diese Prioritäts Obligationen vorwalten, theils aus dem Etat extraordinär auf Grund des oben bezeichneten Antrages, theils durch Ueberschüsse insgesammt 1 286 000000 M Das will ungefähr bedeuten eine Tilgung von O, 75 ohne zu— wachsende Zinsen. Meine Herren, die Motive sagen daher, daß man nach den bisherigen Erfahrungen nicht behaupten könne, daß bis jetzt aus der Thatsache, daß eine solche gesetzliche Minimaltilgung nicht vorhanden war, sehr bedenkliche Folgerungen entstehen würden, und ich kann das hier nur wiederholen. Zu unserer großen Befriedi⸗ gung können wir sagen, daß diese geschichtliche Entwickelung, wie ich sie Ihnen hier in großen Zügen gegeben habe, bisher nicht dazu ge— führt hat, eine übermäßig geringe Schuldentilgung, wie das in anderen Ländern der Fall gewesen ist, herbeizuführen, daß wir bis jetzt in dieser Beziehung im großen Ganzen eine angemessene Schuldentilgung gehabt haben.

Man wird nun einwenden: Wenn dies der Fall ist, warum sollen wir nun verpflichtet werden, eine Minimaltilgung auf Grund Gesetzes einzuführen? Wir haben ja bisher das Nöthige gethan, und dabei kann man sich beruhigen.

Ja, meine Herren, es sind aber doch Umstände, welche rathsam machen, in dieser Beziehung bis auf eine gewisse Grenze zu einem anderen System überzugehen. Diejenige Schuldentilgung, welche noch auf Grund der Anleihebedingungen stattfindet, hat sich bereits sehr erheblich vermindert, in den beiden letzten Etats etwa um den Be⸗ trag von 6 Millionen, namentlich durch den Wegfall der preußischen und hessischen Prämien⸗Anleihen, und wird sich im Jahre 1900 noch weiter sehr erheblich vermindern durch den Wegfall der Tilgung der preußischen Staatsschuldscheine, welche im Jahre 1900 getilgt sein werden. Dann kommen noch eine Reihe von früheren Prioritäts⸗ Anleihen, die zum theil sehr rasch, zum theil allerdings in geringeren Beträgen noch zu tilgen sind, bis in die Mitte des nächsten Jahrhunderts. Aber soviel steht fest, daß diese planmäßige Tilgung in vollem Räckgange sich befindet. Der andere Theil unserer Schulden⸗ tilgung, die sog. extraordinäre etatsmäßige Schuldentilgung, wird an sich in den nächsten Jahren noch wachsen. Sind aber die Prioritäts—⸗ Obligationen einmal ganz getilgt, so kann plötzlich eine sehr bedeutende Verminderung eintreten. Außerdem beruht diese Tilgung lediglich auf dem Etat, der Landtag und der Finanz. Minister oder die Staats- regierung können sie ohne Bedenken jederzeit fallen lassen. Da liegt es doch, meine Herren, glaube ich, nahe, daß es vorsichtig ist, als eine zweckmäßige Vorbauung für alle Eventualitäten, diese unsichere Art der Schuldentilgung, die theilweise ohnehin in Wegfall begriffen ist, theilweise lediglich auf dem Etat beruht, nunmehr durch eine gesetz⸗ liche Grundlage bis auf einen mäßigen Theil zu sichern und das ist der Vorschlag, meine Herren, der Ihnen hier gemacht wird.

Sollten Sie den Vorschlag ablehnen, so hat für die Sicherung der Staatsfinanzen in der Zukunft die Staatsregierung das Ihrige gethan. Ich kann nicht sagen, daß da aagenblicklich ein großes Uebel dadurch entstände, denn ich habe, namentlich was diesen Landtag be— trifft die feste Ueberzeugung, man wird diese extraordinäre Schulden⸗ tilgung nicht fallen lassen, ebensowenig die Schuldentilgung aus Ueber⸗ schüssen; denn was ich hier vorschlage, ist nichts weiter als die Konsequenj aus der bisherigen Haltung des Landtages. Ich stehe eben auf dem Boden dieses Landtages. Wir haben vier Defizitjahre hinter uns. Wir haben unsere laufenden Ausgaben in diesen vier Deftzitjahren decken müssen durch Anleihen, und zwar im Betrage von rund 108 Millionen. Von Steuererhöhung war nicht die Rede. Ich habe dies auch gar nicht versucht; jedenfalls wäre sie abgelehnt worden. Trotzdem also hier das

Vefistt herrschte, wir also keine Ueberschüsse hatten, hat det Landtag diese extraordinären Schuldentilgungen, die er jedes Jahr streichen konnte, ruhig stehen lassen; er hat damit das Prinzip der regel. mäßigen, auch in Fehljahren durchzuführenden Schuldentilgung aus— drücklich anerkannt.

Nun, meine Herren, wünsche ich von Ihnen weiter nichts, als daß diese Auffassung, daß man eine feste, ununterbrochene, nicht von zufälligen Ueberschüsseẽn abhängige Schuldentilgung wenigstens bis zu einer Minimalgrenze haben müsse, von Ihnen in Ferm eines Gesetzes niedergelegt und anerkannt wird.

Meine Herren, das nennt man in der freisinnigen Presse einen Auto⸗ maten (Heiterkeit rechts5 ein Wort, welches die freisinnige Presse übrigens nicht einmal selbst erfunden hat (Heiterkeit), und welches hierauf anzuwenden selbst die ursprüngliche Erfinderin ablehnt. Wenn Sie eine gesetzliche Regelung der Schuldentilgung einen Automaten nennen, so können Sie jede gesetzliche Regelung des Finanzwesens einen Automaten nennen. (Sehr richtig! bei den Nationalliberalen) Dann giebt es überhaupt nichts Festes und Geregeltes, was man nicht einen Automaten nennen könnte, wenn es unabhängig gemacht wird von Zufällen, Stimmungen, Strömungen, vorübergehenden Bedürfnissen der einzelnen Menschen. Dazu macht man eben Gesetze, um feste Regelzustände herzustellen.

Meine Herren, es wird die nicht gesetzliche Schuldentilgung dar— gestellt als das Produkt der modernen aufgeklärten Finanzwissenschaft, und ich selbst werde als ein ganz veralteter Finanzmann, wenn man mir überhaupt diesen Namen zugestehen will, bejeichnet, der noch an alten Traditionen hinge. Alle Kulturstaaten in Guropa, welche überhaupt Schulden tilgen und dazu in der Lager sind, haben die obligatorische Schuldentilgung: England, Frankreich, Holland, Belgien, die skandinavischen Staaten, Rußland. Es giebt auch Staaten, die keine obligatorische Schulden tilgung haben, welche überhaupt keine Schuldentilgung haben (Heiter— keit); aber ich glaube doch, daß wir in Preußen uns die letzteren nicht zum Muster nehmen werden. Man hat in anderen Ländern auch die Erfahrung gemacht, daß es mit der Schuldentilgung aus Ueberschüssen doch ein bedenkliches Ding ist. In England, wo man sich in schwierigen Zeiten von der obligatorischen Schuldentilgung ab— gewendet hatte, rutschte man allmählich auf den Abweg, daß man überhaupt kaum noch Schulden tilgte, und der englische Minister Northeote führte infolgedessen wieder einen gesetzlichen Finanzfonds ein, der beruht auf einer Bill des Parlaments, der nicht etats— mäßig jeden Tag wieder gestrichen werden kann. Gladstone ging später noch weiter und führte Annuitäten ein, die ja auch nichts weiter sind als eine Form der obligatorischen Til— gung der Staatsschuld. Ganz ähnlich liegt die Sache in Frankreich. Heute kann man kaum ein französisches Finanzblatt ohne eine Ver— handlung des französischen Parlaments lesen oder des Senats, wo nicht die Finanzmänner sagen: unsere obligatorische Schuldentilgung ist zu gering; wit tilgen zwar 63 Millionen Franes jährlich, wir haben auch eine Tilgung in den Vorschüssen, die wir an die Eisen— bahnverwaltung jährlich über 100 Millionen leisten; das genügt aber nicht, wir müssen in der obligatorischen Schuldentilgung weiter gehen, die Bedürfnisse wachsen, die Ausgaben auf die Staatskasse werden so groß, die Schulden wachsen fortwährend, da können wir unt nicht anders wehren als dutch eine verstärkte gesetzliche Schuldentilgung.

Meine Herren, was also einige Theoretiker vielleicht als eine veraltete Theorie bezeichnen, das ist in der Praxis der solide ver— walteten Staaten unzweifelhaft vorhanden; wo es mal durch be⸗ sondere Umstände, wie bei uns im Jahre 1869, durch das vorhandene Defizit verloren gegangen ist, kommt man allmählich durch die Er⸗ fahrung wieder darauf zurück.

Meine Herren, in Deutschland ist es ebenso: unsere deutschen Staaten tilgen durchschnittlich überall auf Grund bestehender gesetz licher Verpflichtung oder auf Grund von Verträgen mit den Staatsgläubigern. Also dieses Prinzip, als Prinzip betrachtet, glaube ich, können Sie nicht acceptieren, haben Sie bereits auch duich Ihren bisherigen Beschluß zum Etat fallen lassen, und ich fordere daher nichts Entsetzliches, wenn ich Sie bitte, als Minimum der Schuldentilgung ein halbes Prozent auf gese zlicher Grundlage zu stellen. Meine Herren, ich hoffe, Sie alle haben genügende Erfahrung gemacht in den 80er Jahren, wo wir wie heute auf Grund schwankender Ergebnisse der Betriebsverwaltungen außerordentliche Mittel in die Hände bekamen. Damals wurden die Anforderungen an die Staats— kasse aas allen Kreisen und Klassen so groß, daß man schließlich dahin gelangte, in einem kurzen Zeitraum von etwa 6 Jahren die dauernden Ausgaben des Staats um 150 Millionen zu erhöhen. Auf schwankende, unsichere Einnahmen basierte man dauernde gewaltige Ausgaben. Das Ergebniß war das, daß, als die Einnahmen im Anfange dieses Jahrzehntes zurückgingen, die Ausgaben aber nicht mehr zurückgeschoben werden konnten, wir in das Defizit und die peinlichste Finanzlage gerielhen. In solchen Zeiten wird das wahr, was der Herr Abg. Virchow sagte: der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert. An die Zukunft denkt man zu wenig: die Eindrücke, die die momentane Gegenwart macht, verallgemeinert man und perpetuiert sie. Man glaubt, so wird es nun ewig bleiben, wir können uns das erlauben. Hat man keine gesetzliche Schuldentilgung, so wird man in solchen Jahren die gesetzliche Schuldentilgung hintenanstellen, weil die anderen Bedürfnisse und Wünsche zu stark sind, die befriedigt werden sollen; in schlechten Jahren aber, wenn man keine gesetzliche Schulden⸗ tilgung hat, wird selbstredend überhaupt nicht getilgt; aber daß man trotz Defizits weiter tilgt, ist von großer Bedeutung, weil damit die Bedeutung des Fehlbetrags durch finanzielle Mittel ganz klar vor jedermanns Auge tritt. Es gehört zu den regel mäßigen Staatsausgaben nach meiner Ueberzeugung, daß man in guten und schlechten Jahren eine mäßige Verminderung seiner Schulden eintreten läßt. Die Bedürfnisse wachsen; wenn die Zinsenverpflichtung des Staats dieselbe bleibt, werden die Mittel, die neuen wachsenden Bedürfnisse zu befriedigen, geringer werden. Daß der Staat nach allen Richtungen hin sich erweitert, neue Bedürfnisse befriedigen muß, liegt gan; klar auf der Hand.

Der Staat muß daher mit dem Fortschreiten der Ausgaben auch eine möglichste Verminderung der Ausgaben in solchen Zeiten eintreten lassen, wo dies nur möglich ist, und das nenne ich Schuldentilgung.

Meine Herren, ein hiesiges Blatt sagt: was kümmert sich der Finanz Minister um die Zukunft! damit hat er garnichts in schaffen! Die zukünftige Gestaltung des Finanzwesens muß ihm ganz gleichgültig bleiben, das muß er seinen Nachfolgern überlassen; der Finanz ⸗Minister muß nur dafür sorgen,

daß dag Etatsjahr, mit welchem er zu thun hat, gut abschließt, und damit ist die Sache zu Ende. Nein, meine Herren, die Aufgabe der Finanzverwaltung und auch des Abgeordnetenhauses denn ich kann das nicht von der Finanzverwaltung trennen ist allerdings, auch in die Zukunft zu sehen, die Wechselfälle der Zukunft sich klar zu machen und sich zu fragen: wie wird sich wahrscheinlich die Lage unserer Nachkommen stellen? Sollen wir bloß genießen, uns die Vortheile zuwenden von den Verwendungen, die wir machen, und gleichgültig sein gegen die Lage unserer Nachkommen? Das wäre eine ganz kläg—⸗ liche Finanzpolitik!

Meine Herren, unseren Schulden steht allerdings ein volles Aktionm gegenüber; dieses Aktivum besteht im wesentlichen in unserem gewaltigen Eisenbahnnetz, und dieses Eisenbahnnetz giebt Rente, giebt mehr Rente, als zur Verzinsung und angemessenen Tilgung der Schulden erforderlich wäre. Ja, daraus leite ich gerade erst recht die Verpflichtung der Schuldentilgung ab. Wenn wir es absolut nicht könnten, wenn wir die Mittel gebrauchten, wenn das Geld, welches wir in den Gisenbahnen stecken haben, nicht rentierte, dann wäre die Frage ja eine viel schwierigere. Hört denn derjenige Industrielle, der gute Jahre hat, in diesen Jahren auf, seine Schulden zu tilgen? Nein, er benutzt gerade diese Jahre zur Schulden tilgung; er weiß ganz genau, daß, wer seine Schulden bezahlt, sein Vermögen verbessert.

In diesen Bahnen steckt doch aber auch ein erhebliches Risiko das können Sie nicht bestreiten. Keiner von Ihnen kann vorhersehen, welche Verhältnisse in Zukunft auf den Werth und auf die Rente unserer Eisenbahnen einwirken werden. Gerade diejenigen aber, die wünschen, daß durchgreifende Tarifreformen für die Zukunft möglich sein sollen, müssen doch mit mir wünschen, daß eine allmähliche Ver—⸗ minderung der Schulden, die auf diesem Unternehmen haften, eintrete, damit wir in dieser Beziehung den Anforderungen der Zukunft ge— wachsen sind. Man hat in dieser Beziehung auf Frankreich hin—⸗ gewiesen; neuerdings ist in den Blättern viel von dem Werk des Herrn von Kaufmann die Rede gewesen. Wenn es richtig ist, daß Frankreich in etwa 50 Jahren ein Eisenbahnkapital von etwa 15 bis 20 Milliarden unentgeltlich bekommt, so ist das allerdings eine Frage, die auch wir erwägen müssen, daß wir bis dahin wenigstens einen erheblichen Theil unserer Schulden abzutragen haben, denn sonst würden wir die Konkurrenz mit einem solch hohen Kulturlande in Handel, Industrie und Landwirthschaft nicht aushalten können.

Meine Herren, auf die Weise komme ich dahin, daß es ge— rathen, wünschenswerth und nützlich ist, bei Zeiten Vorsorge zu treffen. Gerade in der Finanzpolitik gilt das Wort von Shakespeare: Baue vor! Vielleicht gerade deswegen, weil augenblicklich die Lage noch nicht so dringlich ist, gerade deswegen halte ich den Zeitpunkt für den allergeeignetsten. Kommen wir einmal wieder in finanzielle Schwierigkeiten, was nach den Erfahrungen, die wir schon hinter uns haben, doch nicht ausgeschlossen ist, dann wird man ein solches Gesetz noch viel schwerer empfinden, dann wird man sagen: dazu ist jetzt keine Zeit!

Ich werde mich hierauf bezüglich dieser Frage beschränken und die Aufmerksamkeit des hohen Hauses nicht zu lange in Anspruch nehmen. Sie sehen, das, worum ich im Namen der Staatsregierung bitte, ist eigentlich sehr bescheiden, wie denn auch von vielen Seiten mir eine zu große Bescheidenheit vorgeworfen wird (Heiterkeit) nach mehreren Seiten. Viele sagen: 0! ist zu wenig, wir müssen * 0o mindestens tilgen, und Andere wieder sagen: das, was Du hier willst in Beziehung auf die allmähliche Verminderung der Eisenbahn— schuld, genügt garnicht; wir müssen die allgemeinen Staats— finanzen von der Eisenbahnverwaltung völlig trennen und lediglich die Eisenbahnverwaltung verpflichten, eine bestimmte Rente an die allgemeine Staatskasse zu zahlen. Es war also gerade nicht zum Lachen, Herr Richter, wenn ich sagte, daß von manchen Seiten mir eine zu große Bescheidenheit vorgeworfen wird; wenn ich sagte, von manchen Seiten, habe ich gewiß die Seite des Herrn Abg. Richter nicht gemeint. Heiterkeit.)

Nun komme ich zum Ausgleichsfonds. Das ist eine ähnliche Frage, und ich motiviere ihn hauptsächlich, indem ich einen Appell mache an die eigenen Erfahrungen dieses hohen Hauses. Wir steckten im Ueberfluß bis Ende der achtziger Jahre; dann geriethen wir plötzlich ins Defizit, und weder Sie noch ich wußten, wie lange das

Defizit dauern würde, noch weniger, wie hoch es sein würde. Infolge⸗

dessen allgemeine Sorge und Aengstlichkeit in Beziehung auf die Finanzverwaltung und auf die Verwendung von Mitteln. Man suchte zu beschränken, was möglich war, um das Defizit nicht allzu stark anwachsen zu lassen. Man scheute sich, neue Unternehmungen, erste Raten einzustellen, man wagte nicht, durchgreifende Tarifreformen durchzuführen, weil man sich sagen mußte, diese würden für die ersten Jahre mindestens Einnahmeverluste herbeiführen. Die Staats— maschine gerieth bis zu einem gewissen Grade ins Stocken, die Bestellungen an die Industrie verminderten sich, es trat dadurch eine üble Wirkung ein auf die Entwickelung des gewerblichen Lebens. Meine Herren, wenn Sie den Ausgleichsfonds nicht bewilligen, so wird das meinem Nachfolger, wenn wieder ein Defizit kommt, genau so gehen müssen, er wird auch genau so handeln müssen; das hängt garnicht von der größeren oder geringeren Leichtigkeit, Ausgaben zu gewähren seitens des Finanz⸗Ministers, ab, das liegt in der Natur der Sache. Der Landtag hat ja übrigens meine ganze Finanzpolitik stets gebilligt, mich darin lebendig unterstützt, die Preßblasen, die vorher auftauchen, verschwinden immer in der sachlichen Diskussion von sachperständigen Leuten hier im Landtage. Das wird immer so sein, das kann nicht ausbleiben, und es ist nach den Erfahrungen an— zunehmen, daß diese Perioden der Reichlichkeit und des Mangels, der Ueberschüsse und des Defizits sich mehr oder minder wiederholen werden. Wir wissen, daß unsere Staatsfinanzen ganz abhängig sind von dem Gange des allgemeinen gewerblichen Lebens; wir wissen zweitens, daß sich das gewerbliche Leben in Perioden bewegt von oben nach unten, daß plötzlich gewaltige Rückschlage ein ganz anderes Bild in der Industrie, in den Gewerben, in der Landwirthschaft, in der Staatsfinanz⸗Verwaltung hervorrufen. Wir müssen uns also darauf ge⸗ faßt machen, daß dieser Zustand mehr oder weniger von Dauer sein wird. Wenn wir auch suchen müssen durch eine Reihe sozialer, staatlicher und gewerblicher Einrichtungen und Maßregeln dieses Auf. und Ab— schwingen wenigstens zu maͤßigen und Durchschnittsverhältnisse zu schaffen: Eines der Hauptübel, meine Herren, unserer heutigen gesell. schaftlichen Ordnung das läßt sich nicht bestreiten ift dies un⸗ geheure Schwanken von Arbeit, guten Preisen, gutem Verdienst und den Rückschlägen mit der daraus erfolgenden Arbeitslosigkeit, Ver=

minderung der Löhne, schweren Schädigung gerade der unteren Volks⸗ klassen. Was man thun kann, um diesen Zustand wenigstens zu mildern, Durchschnittsvvmrhältnisse herbeizuführen, das soll auch der Staat thun. Ich habe mit meinem verehrten Kollegen Thielen von vornherein mich bestrebt, dasjenige zu thun, was seitens der Staats« verwaltung unzweifelhaft geschehen konnte, namentlich die großen Bestellungen an die Industrie möglichst auf längere Jahre zu ver⸗ theilen, dadurch zu verhüten, daß nicht in kurzen Fristen große Liefe⸗ tungen gemacht werden müssen, die Arbeit auf das äußerste angestrengt wird und anwächst, und dann hinterher Arbeitslosigkelt eintritt. Diese Maßnahmen, die der Minister Thielen bei der ihm ja so sehr eigenen Sachkenntniß in diesen Verhältnissen durchgeführt hat, sind nach meiner Ueberzeugung das wird auch von jenen gewerb— lichen Kreisen durchaus anerkannt von großem Nutzen gewesen, auch für den Staat, weil, wer auf längere Termine bestellt, natürlich billiger ankommen kann, als wer auf kurze Termine große Anforderungen von dem Gewerbe verlangt. Meine Herren, dieser Ausgleichsfonds ist einer dieser integrierenden Maßnahmen, die hierauf lossteuern. Wenn der Minister einen solchen Ausgleichs fonds, erspart aus den Ueberschüssen der Vergangenheit, besitzt, wird er sich viel freier in knappen Zeiten bewegen. Er wird nicht so ängstlich zu sein brauchen, er wird die Unternehmungen weiter gehen lassen; er wird neue Unternehmungen wagen können, weil er im äußersten Fall doch noch nicht in das Defizit fällt, indem er eine Ergänzung findet in dem Ausgleichsfonds.

Nun hat man gesagt: Das ist ja alles nicht nöthig, in guten Jahren tilgt man Schulden, und in schlechten Jahren macht man Schulden, wozu braucht man da den Ausgleichsfonds? Da möchte ich ein Wort sagen, das Sie vielleicht sonderbar finden, das aber doch nicht minder wahr ist. Die Finanzwissenschaft ist zwar eine sehr trockene, aber doch spielt die Psychologie in der Praxis der Finanz⸗ wissenschaft eine große Rolle. Ich bewege mich ganz anders, wenn ich einen Fonds hinter mir habe, von dem ich mir sage: du hast ihn erspart in der Vergangenheit und kannst ihn nun wieder ver— wenden, als wenn ich gezwungen bin, Anleihen zu machen, wenn der Staat ins Defizit fällt. Ich bin fest davon überzeugt, daß dieser Ausgleichsfonds nicht allein für die Staatsverwaltung in dem engeren Begriff der Finanzverwaltung von Bedeutung ist, sondern namentlich auch von hoher Bedeutung ist für das gewerbliche und soziale Leben. Der Staat hat nun einmal diese großen Betriebs verwaltungen an sich genommen; er kann sie nicht führen, ohne auch die Wirkung zu berücksichtigen, die seine Verwaltung auf das gewerbliche Leben übt.

Meine Herren, man hat nun eingewandt diese Einwendungen kommen ja immer und werden sofort geglaubt von der Menge der Leute, die vom Etatsrecht und Etatswesen nichts verstehen —, durch diesen Ausgleichsfonds wolle ich das Etatsrecht des Landtages ver⸗ mindern. Nein, meine Herren, solcher Gedanke würde mir überhaupt nicht kommen (Heiterkeit), denn ich finde in dem Gtatsrecht des Land⸗ tages die beste Hilfe für die Finanz⸗Verwaltung; aber wo liegt denn hier eine Verminderung des Etatsrechts? Es handelt sich jn garnicht um einen Fonds, der in den Etat eingestellt wird, es handelt sich um einen Fonds, aus dem man ein vorhandenes Defizit in der Rech⸗ nung deckt; der Etat wird ebenso aufgestellt, wie sonst, jede Position wird ebenso kritisiert, genehmigt oder abgelehnt werden können, wie sonst; da kann von einer Verminderung des Etatsrechts offenbar nicht die Rede sein.

Der Unterschied gegen das Bisherige wird, wenn wir einen solchen Ausgleichsfonds haben, finanzrechtlich nur der sein, daß wir sonst diese Beträge ohne weiteres zur Schuldentilgung verwenden würden und in Zukunft einen Theil davon reserbieren für schlechte Jahre, zur Ver⸗ wendung in ungünstigen Jahren. Im übrigen bleibt alles unverän— dert, das Etatsrecht des Landtages bleibt vollständig unberührt.

Sie können ja sagen: bis dahin ist es doch auch gegangen, so schlimm ist die Sache nicht geworden, wir können daher ruhig bei dem Bisherigen bleiben; das ist wohl erfunden, damit der Finanz⸗ Minister möglichst viel Geld unter sich habe! Meine Herren, ich will das Geld ja garnicht haben. Ich bin ja mit verpflichtet, gesetzlich, es nur zu verwenden zur Deckung eines Defizits in der der Rechnung. Der Finanz. Minister kann an das Geld sonst nicht herankommen, wenn nicht zu diesem Zweck, während er sonst das Geld verwandt haben würde zur Schuldentilgung und dadurch allerdings in die Lage gekommen wäre, demnächst neue Anleihen zu machen, die er heute bei vorhandenem Defizit aus dem Fonds entnähme. Es handelt sich nicht um die Bildung eines Dispositionfonds für den Finanz⸗Minister, auch nicht um die Möglichkeit eines willkürlichen Ein⸗ griffs zu anderen Zwecken, das ist gesetzlich ausgeschlossen. Der Gesetz⸗ entwurf giebt in dieser Beziehung alle Garantien. Wenn der Land tag noch mehr Garantien finden kann nach dieser Richtung, so werde ich sie acceptieren. Denn ich will nichts weiter, als was der Zweck erheischt, irgendwelche Nebenabsichten liegen bei der ganzen Sache überhaupt in keiner Weise vor.

Meine Herren, nun wird man vielleicht von anderer Seite sagen: das sind doch nur Palliativmittel; das eigentliche Uebel steckt darin, daß in Zeiten von momentan großen Ueberschässen aus der Eisenbahn⸗ verwaltung die Staatsfinanzen Gefahr laufen, zu einer ungemessenen Steigerung der Ausgaben auf der Basis unsicherer Einnahmen ge⸗ drängt zu werden, man muß daher eine Scheidung, eine organische Trennung zwischen Eisenbahnverwaltung und allgemeiner Finanz verwaltung einführen. Ich könnte mich in dieser Beziehung auf die vortrefflichen Ausführungen des Herrn Abg. Richter bei Gelegenheit der Berathung des Gesetzes von 1882 beziehen; aber sie werden den Herren nicht in Erinnerung sein. Deswegen möchte ich nur soviel sagen: ich erkenne vollkommen an, daß hier in dem bezeichneten Um—⸗ stande eine schwere Gefahr für die dauernde Blüthe unserer preußi⸗ schen Finanzen liegt, eine Gefahr, die kulminiert wird durch den Umstand, daß in den Zeiten, wo die Eisen⸗ bahnverwaltung viele Ueberschüsse bringt, auch gleichzeitig die Bergwerksverwaltung, die Forstverwaltung, alle Betriebe des Staates starke Ueberschüsse ergeben, und gleichzeitig in der Regel auch im Reiche infolge der starken Entwickelung der Industrie, die ja alles bedingt, die Zolleinnahmen sehr stark wachsen und damit die Ueber⸗ weisungen an die Einzelstaaten. Daraus releviert pon selbst, daß die Ueberschüsse zwar kurz, aber in ungemessener Höhe eintreten können und eingetreten sind, und daß diese hoben Ueberschüsse die Köpfe ver⸗ blenden, der Druck auf die Finanzverwaltung zu einer ungemessenen Steigerung der Ausgaben fast unwiderstehlich wird, und der Finanz · Minister, der nicht alle Bedürfnisse befriedigt, fast als ein Verbrecher bezeichnet wird, ohne den nöͤthigen Stützpunkt in