von Stempeln zulässig. Die Herren werden mir aber zugestehen, daß es eine ganz andere Frage ist, zu entscheiden, ob eine bestimmte Waare unter eine bestimmte Position eines bestimmten Titels des Zoll. tarifs fällt, oder ob für ein bestimmtes Rechtsgeschäft ein Stempel zu entrichten ist. Die letztere Frage ist überwiegend juristischer Natur, die erstere Frage ist auch in sehr erheblichem Umfange Praltischer und technischer Natur. Würde man über die Frage, ob ein Zoll zu entrichten ist, den Rechtsweg zulassen, so würde bei den entscheidenden Gerichten die Schwerkraft der Entscheidung in das Gutachten der Sachverständigen fallen, da den richterlichen Beamten die praktischen Kenntnisse in diesen Fragen selbstverständlich abgehen. Der Richter müßte sich überwiegend auf das Gutachten der Sachverständigen verlassen. Dieser Weg scheint nicht ganz un— bedenklich; außerdem, glaube ich, ist die Hoffnung trügerisch, daß auf diesem Wege eine Entscheidung schneller herbeigeführt, oder auch die Entscheidung korrekter ausfallen würde, wie unter den jetzigen Ver— hältnissen, wo die Landesdirektivbehörden und schließlich endgültig der sachverständige Bundesrath entscheidet. Bedenken liegen in gleichem Maße vor gegen die Einrichtung eines Verwaltungsgerichtshofes. Ferner ist der Antrag eingebracht: zur Entscheidung von Zoll—« streitigkeiten ein Reichs-Tarifamt einzurichten, welches endgültig oder unter Vorbehalt der Revision im Bundesrath entscheiden soll. Meine Herren, ich kann mir persönlich und praktisch zwar die Einrichtung eines solchen Reichs -Tarifsamts wohl vorstellen. Ich kann mir denken, daß man ein solches Reichs, Tarifs amt aus berufsmäßigen Reichsbeamten bildet unter Theilnahme von Vertretern der Bundesregierungen, etwa wie im Reichs⸗-Versicherungsamt, und unter Zuziehung von Sachverständigen, etwa wie im Reichs⸗ Patentamt, und daß in diesem Reichs -Tarifsamt über Zollstreitig⸗ keiten zwar endgültig entschieden würde, daß man aber wielleicht eine Art Reichefiskal zur Wahrung der Reichsinteressen bestellte oder den Bundesregierungen das Recht einräumte, gegen derartige Ent— scheidungen, soweit sie prinzipieller Natur sind, die Entscheidung des Bundesraths anzurufen. Aber allen diesen Wünschen stebt eben die positive Bestimmung der Reichsverfassung gegenüber, daß den Einzelstaaten die Verwaltung und Erhebung der Zölle verfassungsrechtlich garantiert ist; wenn Sie aber über Zollstreitigkeiten im Rechtswege entscheiden lassen oder einen Veiwaltungsgerichtshof oder ein Reichs⸗ Tarifsamt errichten wollen, so tritt immer die eine Konsequenz ein, daß die obetsten Landes ⸗Finanzbehörden mit ihren Entscheidungen aus geschaltet werden und an ihre Stelle diese oberste Reichsbehörde tritt.
Der Herr Abg. Hammacher hat gleichzeitig zwei Forderungen erhoben: erstens die Einrichtung einer obersten Reichsbehörde, welche im Rechtsweg über streitige Zollsachen entscheiden soll, und zweitens die Einrichtung einer obersten Auskunftsbehörde, welche autoritativ, sozusagen prophylaktisch, erklären soll, unter welche Zollposition die einzelne Waare zu subsumieren wäre. Beides, meine Herren, nebeneinander ist unter keinen Umständen möglich; denn wenn die oberste Auskunftsbehörde autoritativ zu entscheiden hat, kann man nicht einer obersten Reichsbehörde noch einmal eine Rechts entscheidung übertragen, und wenn von Rechts wegen endgültig entschieden wird, kann man nicht noch um Entscheidung sich an eine oberste Anskunfts— behörde wenden.
Ob eine solche Auskunftsstelle praktisch wäre, erscheint doch auch sehr zweifelhaft. Eine identische Entscheidung kann nur da ergehen, wo der Gegenstand, der importiert werden soll, auch unzweifelhaft in seinen Eigenschaften identisch ist. Daraus entstehen aber die meisten Zollstreitigkeiten, daß derjenige, der die Auskunft ertheilt, eine andere Waare präsumiert, als sie thatsächlich eingeführt wird, ganz so wie hier bei den Iron Bricks. Da war die Sache so: es handelte sich bei der Anfrage, wie der Zollbeamte annahm, um gewöhnliche Klinker zum Straßenpflaster; thatsächlich wurden aber Fliesen, Trottoirplatten, die gefrittet waren und nicht zollfrei sind, eingeführt. Wenn also die oberste Zollbehörde, j. B. hier in Berlin, auf Anfrage eine Entscheidung ertheilt, ist es nicht ausgeschlossen, daß die lokale Behörde, welche den Zoll festsetzt, eine andere Entscheidung trifft, weil die Waare thatsächlich eine andere ist, als die hier in Berlin beschriebene oder vorgelegte.
Ich glaube aber auch, die Hoffnungen, die man an die Ein richtung einer solchen obersten Instanz knüpft, werden sich nicht alle erfüllen. Erstens bemüht sich der Bundesrath, seine Entscheidungen möglichst schnell zu treffen; wenn diese Entscheidung sich bisweilen längere Zeit hinzieht, liegt es in der Regel daran, daß, um den Wünschen der Petenten zu genügen, einzelne Regulative der Ab— änderung bedürfen. Ferner glaube ich auch, daß der Gesichtspunkt, der so häufig bei dieser Frage hervortritt, es würde bei dem jetzigen Verfahren zu fiskalisch entschieden, sich keineswegs durch eine oberste Reichsbehörde beseitigen läßt; im Gegentheil, eine richterliche Zentralbehörde darf nur nach dem Buchstaben des Gesetzes ent⸗ scheiden, während der Bundegrath — ich bin Vorsitzender des Zoll⸗ ausschusses und kann das aus eigener Erfahrung bekunden — ganz außerordentlich weit gehende Billigkeitsrücksichten in zahlreichen Fällen walten läßt.
Ich bin nicht autorisiert, irgend welche bindende Erklärungen zu den Wünschen, die hier laut geworden sind, für die verbündeten Regie⸗ rungen abzugeben. Ich kann nur sagen, daß bis jetzt keine Hoffnung vorliegt, daß die verbündeten Regierungen von ihrem verfassungs⸗ mäßigen Recht der Erhebung und Verwaltung der Zölle irgend etwas preiszugeben geneigt wären, und eine solche Einschränkung ihrer Rechte würde darin liegen, wenn die Entscheidungen der obersten Landes- Finanzbehörden durch die Entscheidung irgend einer Reichsbehörde ersetzt würden.
Abg. Dr. Bachem (Zentr.): Das Unerträgliche ist, daß die 3. behörde zunächst eine Auskunft giebt und nach längerer Zeit ihre Ent⸗— scheidung widerruft und Zollbeträge nachfordert, auf die der Importeur einer Waare garnicht mehr gerechnet hat. Es muß eine Auskunftstelle und eine entscheidende Behörde eingerichtet werden, — ob im Reiche oder in den Einzelstaaten, ist gleichgültig. Dem Kaufmann wird eg immer unbegreiflich sein, daß er den Schaden tragen soll, den die Zoll= behörde angerichtet hat.
Staatssekretär des Reichs⸗Schatzamts Dr. Graf von Posadow sky⸗Wehner:
Meine Herren! In der ganzen Welt gilt der Grundsatz: gnorantia juris nocet. Wer also auf Grund des Zolltarifs eine Waare einführt, hat sich zunächst den Zolltarif anzusehen, und sich selbst zu informieren. Es kommen indeß sehr viele Fälle vor, daß Kaufleute, statt selbst den Zolltarif sich anzusehen, statt sich durch das Studium des Zolltarifs eine selbständige Kenntniß der Sache zu verschaffen, sich an einen untergeordneten Zollbeamten wenden,
.
der eine falsche Auskunft giebt; wenn dann nachher im Wege des
Rechnunggwesens die Zollregister revidiert werden und festgestellt wird, daß ein zu niedriger Zoll erhoben ist, dann muß der Fehlbetrag nacherhoben werden. Darin kann ich dem Herrn Abg. Bachem voll⸗ ständig Recht geben, daß es für einen solchen Kaufmann, der, ohne den Zoll in dem Preis seiner Waare zu kalkulieren, dieselbe verkauft hat, einen nicht unerheblichen Schaden bedeuten kann, den zu wenig oder gar nicht erhobenen Zoll nachzuzahlen, und ich kann dem Herrn Abgeordneten ferner versichern, daß der Bundesrath in zahlreichen solchen Fällen, ich möchte sagen, in jeder Sitzung des Plenums — in denjenigen Fällen, wo er sich wirklich überzeugt, daß ein entschuldbarer Irrthum des Betheiligten vorliegt, Billigkeitzgründe walten läßt und den Zoll niederschlägt. Aber ich glaube auch — der Herr Abg. Hammacher hat das schon ganz zutreffend ausgeführt — auf den prinzipiellen Standpunkt können sich die verbündeten Regierungen nie stellen, daß deshalb, weil eine falsche Auskunft von einem falsch informierten untergeordneten Zoll— beamten gegeben worden ist, deshalb in jedem Fall das Reich den Schaden hiervon zu tragen hätte. Meine Herren, es wird noch auf den Uebelstand hingewiesen, daß die Entscheidungen der verschiedenen Instanzen variieren. Es kommt auch der Fall vor, daß die Zollbebörde im ganz legitimen Verfahren annimmt, eine Waare hat einen niedrigeren Zoll oder gar keinen Zoll zu entrichten, und daß dann in einer höheren Instanz bei der Registerreviston entschieden wird: es ist ein höherer Zoll oder überhaupt ein Zoll zu entrichten. Auch das hat für den ein— zelnen Kaufmann, der den Zoll auf die Waare nicht kalkuliert hat, ganz denselben Nachtheil, als wenn ein schlecht informierter Zoll— beamter persönlich eine falsche Auskunft ertheilt hat. Aber ich bitte doch gütigst zu denken an das Zivilprozeßverfahren. Kommt es nicht alle Tage vor, daß eine Instanz Entscheidungen trifft, die zweite ändert sie ab, und in der Revisionsinstanz wird die Sache wieder anders entschieden? Da haben die Parteien schließlich aus der Verschiedenheit der Entscheidungen denselben Nachtheil wie in der Zollverwaltung. Ich glaube, es ist einmal von einem preußischen Justiz⸗Minister der scherzhafte Ausspruch gethan: die Entscheidungen erster Instanz wären nur dazu da, um in den weiteren Instanzen abgeändert zu werden. Aehnlich liegen die Verhältnisse in manchen Fällen bei der Zollver⸗ waltung. So einfach, wie die Herren denken, liegen die Fragen nicht immer. Und wenn wir nicht ungeheuere Verluste unter Umständen er— leiden wollen, müssen wir da, wo irrthümlich ein Zoll gar nicht oder zu niedrig erhoben ist, nachträglich den Zoll einziehen.
Nun möchte ich dem Herrn Dr. Bachem noch eins erwidern. Er sagte, es ist ganz egal, ob im Reich eine solche Auskunftsstelle ist oder eine Auskunftsstelle in jedem Einzelstaate. Meine Herren, wenn es nur Auskunftsstellen in den Einzelstaaten wären, dann wäre die Forderung, die die Herren stellen, sachlich nicht berechtigt; denn da ist schließlich die oberste Aucskunftsstelle die Landes- direktivpehörde. Aber darin liegen vielfach die Beschwerden der kaufmännischen Kreise, und wie ich zugestehen muß, nicht immer ganz unberechtigt, daß z. B. in Hamburg die Waare so, in Preußen anders verzollt wird, daß in den verschiedenen Bundesstaaten darüber verschiedene Ansichten bestehen, ob dieselbe Waare überhaupt zu ver— zollen ist und wie hoch, und daß in der letzten Instanz der Bundeß⸗ rath nur dann entscheiden kann, wenn entweder die Interessenten sich bei dem Bundesrath beschweren, die sich geschädigt glauben, oder wenn der Reichsbevollmächtigte darauf hinweist, daß in einem Bundesstaat nicht entsprechend den Vorschriften verfahren wird, und beantragt, daß der Bundesrath eine Entscheidung trifft. Dann ist der Bundesrath zwar pro futuro in der Lage, zu entscheiden und eine Einheitlichkeit in der Behandlung der streitigen Frage herbeizuführen, er kann aber nicht bereits ergangene Entscheidungen aufheben. Aber, wie gesagt, selbst wenn man annehmen wollte, daß bis zu einem gewissen Grade aus dieser Vielgestaltigkeit der entscheidenden Zollbehörden Uebelstände hervorgehen, so bin ich doch nicht in der Lage, eine entgegenkommende Erklärung abzugeben, weil nach den Verhandlungen, die früher be— reits in dieser Frage geschwebt haben, ich mich nicht der Hoffnung hingeben kann, daß die Einzelstaaten geneigt wären, von ihren ver— fassungsmäßigen Rechten irgend etwas preiszugeben.
Abg. Freiherr von Stumm (Rp.): Ich glaube nicht, daß durch die Einrichtung, die verlangt wird, eine erhebliche Schädigung des Reichs herbeigeführt werden würde. Eine Zentralinstanz kann aber nicht gut geschaffen werden. Zu den Finanz ⸗Ministerien der Einzelstaaten habe ich das Vertrauen, daß sie ,. Entscheidungen treffen. Handel und Gewerbe verlangen nur eine Sicherung dagegen, daß nicht nach— träglich ein Zoll erhoben wird.
Abg. Dr. Bachem; Ueber die Verschiedenartigkeit der Ent— scheidungen in den Einzelstaaten ist niemals Beschwerde erhoben worden, sondern nur über die nachträglichen Forderungen eines Zolls; wenn die Entscheidung in Preußen dem DberVerwaltungsgericht über⸗ wiesen würde, brauchte man doch nur einige Beamte der Zoll⸗ verwaltung in dasselbe zu übernehmen. Jedenfalls muß auch für die Zollverwaltung der ela Platz greifen, daß sie nicht selbst in eigener Sache entscheidet, sondern einem höheren Urtheil unter—
stellt wird.
Abg. Dr. Ham macher: Wir wollen nur an die Stelle des Bundestaths eine andere Zentralinstanz setzen, die unabhängig ist und mehr Vertrauen genießt, als der Bundesrath, der zugleich der Ver— treter der Reichs- Finanzverwaltung ist.
Staatssekretär des Reichs-Schatzamts Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner:
Ich möchte zunächst dem Herrn Abg. Bachem bemerken, daß gerade die Fälle recht zahlreich sind, daß in einzelnen Bundesstaaten dieselben Tarifvorschriften und Zollpositionen verschieden gehandhabt werden; ja wir haben festgestellt, daß eine Zeit lang Waaren vor zjugsweise an der Zollstelle eines bestimmten Bundesstaats eingegangen sind, weil man sie dort niedriger tarifierte und glaubte gesetzlich tarifieren zu müssen, wie dies in anderen Bundeg staaten der Fall war. Würde man den Ausführungen des Herrn Abg. Bachem folgen, daß die Auskunft eines einzelnen Zollbeamten zunächst maßgebend seln soll, dann dürfte in keinem Fall eine Rückforderung von Zöllen auf Grund von Register— revisionen stattfinden. Ich bitte aber, sich einmal zu vergegenwärtigen, wohin das führen würde. Ich bitte, vergessen Sie nicht, daß bei den Zollerhebungen es manchmal sich um sehr bedeutende Summen handelt und daß unmöglich die Einzelstaaten und das Reich deshalb solche Vermögensforderungen preisgeben können, weil ein einzelner Zollbeamter eine falsche, irrthümliche, auf mangelhafter Information beruhende Auskunft ertheilt hat.
Herr Dr. Hammacher ist zurückgekommen auf die staatsrechtliche Frage. Herr Abg. Dr. Hammacher, wenn die staatsrechtliche Frage so einfach läge, so, glaube ich, wäre nach der Auffassung des Reichs⸗
anderen,
Schatzamts vielleicht bereits eine einheitliche Behörde da, die mit
gewisser Autorität endgültig Zollentscheidungen träfe. Aber darũber kann kein Zweifel sein, daß der Wortlaut der Verfassung dem ent; schieden widerspricht; denn die Verwaltung und Erhebung der Zölle steht unzweifelhaft nach der Reichs verfassung den einzelnen Bun desstaaten zu. (Sehr richtig h Remedur kann nur getroffen werden gegen falsche Anwendung der Zollgesetze auf Grund des Art. der Reichsverfassung, welcher heißt:
Der Bundesrath beschließt über Mängel, welche bei der Aus— führung der Reichsgesetze oder der vorstehend erwähnten Vorschriften oder Einrichtungen hervortreten.
Der Bundeßrath kommt mithin in die Lage, über die Entscheidung
der einzelnen oberen Landes -Finanzbehörden zu beschließen entweder,
wenn der Reicht bevollmächtigte Entscheidungen der obersten Reicht⸗
Finanzbehörden beanstandet und auf eine Entscheidung des Bundes—
raths provoziert, oder, wenn seitens der Interessenten gegen die
Entscheidung der obersten Finanzbehörden Beschwerde erhoben
wird. Es kann aber der Bundesrath nicht pro pracetèerito
eine bereits seitens einer obersten Landes Finanzbehörde ergangene
Entscheidung aufheben, sondern nur Grundsätze feststellen, nach denen
in Zukunft der Zolltarif zu handhaben ist. Würde aber, wie der
Herr Abg. Dr. Hammacher wünscht, eine oberste Reichsbehörde —
über die Organisation dieser Behörde will ich im einzelnen nicht
sprechen — thatsächlich errichtet, die endgültig, sei es im Rechtswege, sei es im Verwaltungsrechtswege über Zollstreitigkeiten entscheidet, dann würde also an Stelle des Bundesraths, der über Mängel in der Ausführung der Zollgesetze in der Gesammtbeit sämmt⸗ licher im Bundesrath vertretenen Regierungen zu ent— scheiden hat, eine bureaukratisch zusam mengesetzte oberste Reichsbehörde entscheiden, die die bisherigen Funktionen des Bundesraths in diesen Fragen ausschließt, wenn auch vielleicht einzelne Bundesstaaten, ähnlich wie beim Reichs ˖ Versiche⸗ rungsamt, bei gewissen Entscheidungen dieser obersten Spruchbehörde durch ihre Bevollmächtigten mit vertreten wären. Das wäre ganz unzweifelhaft eine Abänderung der Bestimmungen der Reichs verfassung, und die Bundes staaten haben sich bisher nicht bereit finden lassen, einem solchen Wunsche des hohen Hauses Rechnung zu tragen, weil sie nicht geneigt sind, etwas von den Rechten, die ihnen die
Reichsverfassung verliehen hat, aufzugeben.
In einzelnen Fällen erkenne ich ganz offen an, daß Uebelstände vorliegen; — es ist z. B. ein Uebelstand, wenn zeitweise in einem Bundesstaate Waaren anders verzollt werden wie in einem obgleich das auch bei verschiedenen Zollstellen des« selben Landes vorkommt; es ist ein Uebelstand, wenn die Zoll⸗ entscheidungen variieren und infolge dessen einzelne Per⸗ sonen verpflichtet sind, nachträglich erhebliche Nachzahlungen zu leisten. Wenn solche Uebelstände sich beseitigen lassen, kann ich den Herren versichern, daß seitens der Reichs · Finanzverwaltung, soweit sie überhaupt Einfluß auf die Zollgebahrung der Einzelstaaten hat, alles Mögliche bereits geschehen ist. Ich bitte aber die Herren, doch eins nicht zu vergessen: unsere Zolleinnahmen betragen 400 Millionen; bei dieser ungeheuren Masse der Verzollung ist diese klein« Anzahl von Zollbeschwerden hier zur Kenntniß des Reichstages gekommen, und diese kleine Anzahl stammt doch nicht aus diesem Jahre, sondern es sind Sachen, die Jahre alt sind. Wenn Sie dem gegenüber vergleichen, welche Nachtheile in der Rechtspflege durch verschiedene Erkenntnisse der Instanzen auf dem Gebiete des Kriminal-, des Zivilrechts entstehen, so muß ich sagen, daß diese paar Zollbeschwerden gegenüber der ungeheuren Masse von Zollfällen und Zolleinnahmen, überhaupt doch federleicht wiegen.
Abg. Dr. von Cuny (nl. hält es für nothwendig, eine Art Ver⸗ waltungsgerichtshof für diese Frage zu schaffen, und widerspricht der Meinung, als ob es sich hierbei nicht um einen Rechts-, sondern um einen Billigkeitsanspruch handele. Verschiedenartige Entscheidungen der Behörden desselben Bunderstaats und der Bebörden verschiedener Bundesstaaten hätten mehrfach zu Beschwerden geführt, und wenn eg nicht anders gehe, müsse schließlich die Verfassung geändert werden.
Abg. Freihert von Stumm hält es für bedenklich, bei dieser praktischen Frage sich auf staatsrechtliche Spitz findigkeiten einzulassen. Der Bundesrath habe das Recht, das Zolltarifgesetz aus⸗ zulegen. Die Einsetzung einer obersten Verwaltung sei das Gegen—⸗ theil von dem, was Handel und Gewerbe verlangten. Die Zoll— behörden müßten so instruiert werden, daß sie den richtigen Zoll er— höben; aber wenn das geschehen sei, sollte keine Nachforderung von Zoll stattfinden.
Damit schließt die Diskussion. mission wird einstimmig angenommen.
Im Anschluß hieran werden noch einige andere Peti⸗ tionen, welche die Rückerstattung von Zollbeträgen betreffen, erledigt, und zwar die Petitionen der Gebrüder Uhde in Harburg wegen Rückerstattung von Zoll auf Seesalz, des Holzhändlers Fischer zu Posen wegen Rückerstattung von . für eingeführtes Holz, des Kaufmanns Bischof zu Husum wegen Nachzahlung von Zoll für Wandbekleidungsplatten, durch Uebergang zur Tagesordnung; die Petitionen von Kauf⸗ leuten in Papenburg wegen Rückerstattung von Zoll auf Pökelfleisch, der Firma Oppenheimer u. Co. in Hamburg wegen Rückerstattung von Getreidezoll, und des Essigfabrikanten Cohn in Berent um Rückerstattung der Verbrauchsabgabe für Branntwein werden dem Reichskanzler zur Berücksichtigung überwiesen.
Die Petition des Vereins der Freundinnen junger Mädchen in Heidelberg, wegen Regelung des Kellnerinnen— — 3 wird dem Reichskanzler zur Berücksichtigung über—⸗ wiesen.
Die Petition des Verbandes der Thierschutzvereine wegen Revision des Vogelschutzgesetzes wird dem Reichskanzler als Material überwiesen; dasselbe geschieht mit den Petitionen des Rheinischen Bauernvereins wegen Einführung eines Zolls auf Milch und auf Torfstreu.
Bezüglich der Petitionen verschiedener Vereine 1) wegen Unterdrückung der unsittlichen Inserate, 2) wegen Unterdrückung des Zuhälterwesens und der öffent⸗ lichen Häuser, 3) wegen Beseitigung der gewerbs— mäßigen Prostitütion, beantragt die Kommission zu 1 die Ueberweisung an den Reichskazler zur Berücksichtigung, im übrigen die Ueberweisung als Material.
Abg. Dr. Höffel (Rp) wendet sich gegen das Bestehen öffentlicher Häuser in einzelnen Bundesstaaten. In der Kommission sei erklärt worden, daß noch kein Beschluß darüber gefaßt worden sei, ob die vom Reichstage seiner Zeit unerledigt gelassene lex Heinze wieder einzu⸗ bringen oder fallen zu lassen 1
Abg. Spahn (Zentr.) spricht sein Bedauern darüber aus, daß bei dieser überaus wichtigen Petition die Regierung nicht vertreten
sei, um die in der Kommission nicht mitgethellte Auskunft zu geben. Abg. Schall (d. kons wünscht ebenfalls dringend die Wieder⸗
Der Antrag der Kom⸗
orlegung, der lex Heinze, wonach die Vereine jur Hebung der 2h chkeit ebenfalls dringend verlangten. .
Abg. Dr. Bachem bittet, die Petition von der Tagesordnung ab— zusetzen und für die demnächst vorzunehmende Verhandkung augdrück. lich einen Vertreter des Reichs. Justizamts einzuladen.
. (nl) bedauert, daß die so oft vertagten Petitionen noch wleder zurückgestellt werden sollten; mindestens follte man die erste Petition wegen der unzüchtigen Inserate und Schriften er— ledigen. Denn es werde auf diesem Gebiet mit einer großen Schamlosigkeit borgegangen, so daß sich zu der Heidelberger Petitlon Maͤnner aller Parteien zusammengefunden hätten.
Die Berathung wird hier abgebrochen, um später fort⸗ gesetzt zu werden.
Die Petition des Deutschen Vereins für inter— nationale Friedenspropagandag wird dem Reichskanzler zur Kenntnißnahme, die des bayerischen Brauerbundes, be⸗ treffend die Uebergangsabgabe für Bier nach Elsaß⸗ Lothringen, zur Berücksich tigung überwiesen.
Die Petitionen verschiedener landwirthschaftlichen Genossen⸗ schaften und des Geschäftsausschusses des Berliner Aerztever— bandes, betreffend den Erlaß eines Gesetzes über die Be—⸗ kämpfung gemeingefährlicher Krankheiten, sollen dem Reichskanzler als Material überwiesen werden.
Der Antrag wird angenommen.
Das Haus kehrt darauf zu der Berathung der Petitionen zur Bekämpfung der Unsittlichkeit zurück.
Abg. Freiberr von Gültlingen (Rp) weist darauf hin, daß die Prostitution von Polizeiwegen gewissermaßen erlaubt sei, daß es trotzdem aber strafbar sei, an Prostituierte Wohnungen zu vermiethen. Diesem Zwiespalt müsse durch die Gesetzgebung entgegengetreten werden.
Staatssekretär des Reichs-Justizamts Dr. Nieberding:
Meine Herren! Ich bedaure sehr, durch andere dringende Ge— schäfte vorhin verhindert gewesen zu sein, zu der Zeit, als diese Petitionen zur Berathung standen, alsbald dem Hause die gewünschte Auskunft über die Lage der Sache geben zu können; ich bin aber jetzt gerne bereit, dasjenige, was ich aus dem Bereiche der Verwaltung des Reichs- Justizwesens zur Aufklärung sagen kann, Ihnen mitzutheilen.
Meine Herren, Sie erinnern sich wohl alle, daß der bekannte Gesetzentwurf hervorgegangen ist aus Erwägungen und Erfahrungen, die die preußische Regierung hier in Berlin gesammelt hatte aus Anlaß eines schweren Mordprozesses, der tiefe und erschreckende Ein— blicke eröffnete in die Verwilderung, die durch das sogenannte Zu— bälterthum in weiten Kreisen Platz gegriffen hatte. Der Gesetzentwurf ist somit hervorgegangen aus praktischen Erfahrungen und Beobachtungen, welche der Reichs-Justizverwaltung an und für sich fern liegen, welche wesentlich dem Gebiete der inneren Verwaltung angehören. Die weitere Verfolgung der Sache hier in den Reichsinstanjen vor Bundes⸗ rath und Reichstag fiel dem Reichs-Justizamt deshalb anheim, weil es sich großentheils handelte um Abänderung und Ergänzung der ein— schlagenden Strafgesetzbestimmungen. Nun hat der dem Reichstage seiner Zeit vorgelegte Entwurf in der von diesem zur Vorberathung bestimmten Kommission manche Beanstandung und Abänderung er— fahren, ist auch im Reichstage zur definitiven Erledigung nicht gelangt. Denn bevor der Bericht Ihrer Kommission zur Be— räthung im Hause gelangen konnte, endete die Legislaturperiode. Die Reichsverwaltung hat sich alebald, nock dem die Sache diesen Ausgang genommen hatte, in Verbindung gesetzt mit der preußischen Regierung, deren Initiative der Gesetzentwurf seinen Ursprung ver— dankte. Sie wurde von der preußischen Regierung dahin verständigt, daß auf seiten Preußens nicht die Absicht bestehe, die gesetzgeberische Verfolgung der Materie aufzugeben, daß man sich im Gegentheil vor⸗ behalte, auf die Sache zurückzukommen; aber einmal erst dann, wenn die ganze Lage der Geschäfte im Bundesrath und Reichstag eine aber⸗ malige Ditkussion thunlich erscheinen lassen werde, zweitens auch erst dann, nachdem die preußische Regierung die anderweiten Vorschläge, die in der Kommission des Reichstages eine Mehrheit gefunden hatten, auf ihre praktische Brauchbarkeit geprüft haben werde.
Die letzten Sessionen, die jetzt hinter uns liegen, sind, das werden Sie alle zugeben, so mit an deren großen, dringenden Geschäften be— lastet gewesen, daß es wohl nicht angezeigt erscheinen konnte, diese Sessionen noch mit neuen schwierigen Aufgaben zu bepacken. Ich nehme an, daß, wenn die preußische Regierung bis jetzt mit neuen Vorschlägen gezögert hat, ein Theil ihrer Erwägungen darauf zurückzuführen ist, wie die Geschäftslage hier im Hause bisher ge— legen hat und zur Zeit noch liegt. Ich glaube aber auch annehmen zu dürfen, daß die Erörterungen im Schoße der preußischen Ver— walteng darüber, was man aus den damaligen Kommissionsbeschlüssen aeceptieren wolle und wie weit man etwa auf die früheren Vorschläge der verbündeten Regierung en zurückkommen wolle, noch nicht abge— schlossen sind.
Einen erweiterten Rahmen haben diese Erörterungen dadurch gewonnen, daß inzwischen aus weiteren Kreisen Petitionen an den Reicht⸗ tag sowohl wie namentlich an den Bundesrath und an die preußische Regierung gelangt sind, deren Darlegungen nicht außer Betracht ge— lassen werden konnten.
Ich bin unter diesen Umständen nicht in der Lage, Ihnen etwas Anderes mitzutheilen, als daß die Sache im Schoße der preußischen Regierung noch der Prüfung unterliegt. Wie bald auf Grund eines neuen Initiativantrages Preußens der Bundesrath abermals in der Lage sein wird, sich mit der Sache zu befassen, darüber vermag ich mich noch nicht auszusprechen. Darüber kann ich Sie aber durchaus beruhigen, daß es nicht in der Absicht liegt, die Sache sich todt liegen zu lassen, daß vielmehr der ernstliche Wille besteht, zu gelegener Zeit die Materie, die nach unveränderter Ansicht der hohen Regierungen der gesetzlichen Regelung bedarf, wieder hier zur Berathung zu bringen.
Abg., Spahn kündigt an, daß seine Partei in den nächsten Tagen einen selbständigen Antrag auf Grund der seinerzeit in der Kommission angenommenen Beschlüsse über das Umsturzgesetz ein⸗ beih men (gentr) spricht sich gleichfalls für die dringende
Dr. Lingen entr.) spr Not hae di ten 1. auf n m r lil Wir er zu schaffen. .
Abg. Schall 0kon .) erklärt dies gleichfalls für eine der aller
dringendsten Aufgaben, namentlich angesichts der sittlichen Zustände in
den großen Städten; man dürfe damit nicht so lange warten, bis wieder ein so empörender Fall vorkäme, wie der Fall Heinze. Abg. Bebel (Soz.): Dem Antrage der Kommission werden wir zustimmen; auf den ng , i , Antrag des Zentrums einzu⸗ eben, habe ich jetzt keine Veranlassung. ntrag in der Umsturzkommission nicht zustimmen können. Wir werden bei der späteren Berathung nicht bloß die Unsittlichkeit der Städte, sondern auch die auf dem platten Lande beleuchten, wofür uns die Kollegen des Herrn Schall reiches Material gellefert haben.
Wir haben dem damaligen
Der Antra Schluß na Petitionen.)
der Kommission wird angenommen. 5 Uhr. Nächste Sitzung Sonnabend 1 Uhr.
Statistik und Volkswirthschaft.
Die endgültigen Ergebnisse der letzten Volkszählung -. in Bayern.
Nach der Volkszählung vom 2. Dezember 1896, deren Ergebnisse nunmehr endgültig festgestellt sind, hatte das Königreich Bayern an dem genannten Tage 5 818 544 Einwohner, wovon“ 2 Saß 687 dem männlichen, 2 971 5h7 dem weiblichen Geschlecht angehören. Gegen— über der Zühlung vom 1. Dezember 1850, bei der 5594 9g87 Ein— wohner ermistelt wurden, bedeutet die neue Gesammtzahl eine Zu⸗ nahme um 223 562 Seelen oder rund 40½ (genau 3, 5G). Die Berufszählung vom 14. Juni 1895 hatte 5779 176 Einwohner ergeben, um 39 368 weniger als die Dezember— zählung. Auf die einzelnen Regierungsbezirke vertheilt sich die ortsanwesende Bevölkerung mit folgenden Zahlen (die in Klammern beigesetzten Ziffern bezeichnen die Einwohnerzahl vom Jahre 1890): 1) Oberbayern 1 186 950 (1 1053 160). ) Niederbayern 673 523 (664 798), 3) Pfalz 765 991 (728 339), 4) Oberpfalz h46 834 (37 954), 6) Oberfranken 586 O61 (673 320), 6) Mittelfranken 737 151 (00 606), 7 Unterfranken 632 588 (618 489), 8) Schwaben 689 416 (668 316). Weitaus am bedeutendsten ist die Zunahme in Oberbayern und nächstdem in Mittelfranken und der Pfalz, erheblich kleiner in den übrigen Regierungsbezirken und am geringften (1,3 9) in Rieder— bayern. Immerhin weist dieser Kreis (entgegen der Annahme eines Rückgangs nach den summarischen Ergebnissen der vorläufigen Zählung) eine Mehrung der Bevölkerung auf, die fogar etwas stärker sst, als der von 1885 bis 1890 beobachtete, auf 9,5 vom Hundert berechnete Zuwachs Niederbayerng. Auf die größeren Städte entfallen für 1895 (1890) folgende Einwohnerzahlen: München 407 307 (359 594), Nürnberg 162 386 (142 590), Augsburg 81 896 (I5 629), Würzburg 68 747 (61 039), Fürth 467265 9 206), Regensburg 41 471 (37 934), Kaiserslautern 40 828 (637 047), Ludwigshafen a. Rh. 39799 (33 216), Bamberg 38 g40 (36 815), Bayreuth 27 693 (24556), Hof 27 5656 (244565), Pirmasens 24 648 (21 041), Erlangen 20 392 (17559), Ingol⸗ stadt 20 6566 (7 646), Landshut 20 553 (18 869, Amberg 20 200 (19126), Speyer 19044 (17 587), Passau 17516 (16633), Kempten 17 353 (15 760), Neustadt a. H. 15 994 (15 ol6), Ansbach 15 883 (14 2658), Aschaffenburg 18 831 (13 630), Straubing 15 595 (13 8656), Frankenthal 14 445 (13 008), Landau i. Pf. 13 617 (11136), Schweinfurt 13 514 (12472), St. Ingbert 12 278 (10 847), Rofen⸗ heim 12196 (10090. Ihnen reiht sich mit zufällig genau 12000 (11 204) Seelen als 30. Stadt dieser Reihenfolge Zweibrücken und sodann als nächstgrößte Gemeinde Lechhausen mit 11 093 (10365 Einwohnern an. Dann folgen 25 Gemeinden mit 5. bis 10000 Seelen und 18 Gemeinden mit 4. bis 5000 Seelen.
Literatur.
tf. Von einem deutschen Fürstenhofe. Geschichtliche Erinnerungen aus Alt⸗Möecklenburg von L. von Hirfchfeld. Perausgegeben von seiner Wittwe. Wismar, Hinstorff, 1896. Zwei Bände. — In diesen beiden Bänden sind fünf gediegene, lehrreiche Studien zur Geschichte Mecklenburgs vereinigt. Sie betreffen fämmt⸗ lich die Regierungszeit des Herzogs Friedrich Franz' J. (1785 bis 1836) und behandeln mehrere Episoden aus den Beziehungen Mecklenburg Schwerins zu Schweden, Rußland, Frankreich und den deutschen Großstaaten. Die erste schildert die Verlobung der mecklen⸗ burgischen Prinzessin Luise Charlotte mit dem jugendlichen König Gustav IV. von Schweden. Die Verlobung währte nur kurze Zeit; auf Betreiben der Zarin Katharina hob sie der unruhige, excentrische König wieder auf, um sich um eine russische Prinzessin zu bewerben: ein Projekt, das ebenfalls nicht zum Ziele führte. Der Verfasser legt nun dar, welche Aufregung der Bruch des Eheversprechens an beiden Höfen verursachte und wie der Herzog Genugthuung für die Beleidigung seiner Tochter zu erlangen suchte. Der zweite Aufsatz schildert die Brautwerbung des Erbprinzen Friedrich Ludwig am Hofe des Kaisers Paul von Rußland, die mit der Verlobung und Vermählung mit der zweiten Tochter des Zaren, Helene, endigte. Die Erzählung ist sehr detailliert und bringt wie der dritte Aufsatz, Auszüge aus dem Tage buche einer Hofdame der Erbgroßherzogin, mancherlei kulturhistorisch wichtige Mittheilungen und werthvolle Beiträge zur Charakteristik der handelnden Personen, namentlich des Zarenpaars und des Erbprinzen. — Wenn diese Arbeiten vorwiegend Interna der mecklenburgischen amiliengeschichte enthielten, so führt uns die folgende, betitelt „Ein taatsmann aus der alten Schule“ mitten in die diplomatischen Ver⸗ wicklungen der Napoleynnischen Zeit. Wir erhalten hier eine Biographie des Freiherrn von Plessen, der vor 1806 als Gesandter Mecklenburgs am Regensburger Reichstage weilte, dort den Todeskampf des alten Reiches miterlebte und dann nach Schwerin in das Ministerium berufen wurde. In dieser Stellung blieb er bis zum Ende der Napoleonischen Herrschaft; mit dem Anbruch der Befreiungskriege ging er in den diplomatischen Dienst zurück und vertrat n gr seine Heimath im Hauptguartiere der Verbündeten, wo er die kriege⸗ rischen Leistungen Mecklenburgs im Verein mit dem Freihermin vom Stein festzustellen hatte. An dem Wiener Kongresse, der Mecklen— burg zum Großherzogthum erhob, nahm Plessen ebenfalls theil, insbesondere an den Berathungen über die deutsche Bunde verfassung, und zwar unterstützte er da die unitarischen Be⸗ er Preußens, freilich häufig ohne Erfolg. Charakteristisch für eine Thätigteit ist der Umstand, daß Heinrich von Treitschke, der die kleinstaatlichen Diplomaten im allgemeinen recht bart beurtheilt, für Plessen Worte der Anerkennung hat. Dieselben Gesinnungen bethä⸗ tigte er auch später als Gesandter am Bundestage in Frankfurt und bemühte sich hier wieder im Verein mit Preußen um die Herstellung einer brauchbaren , ,, Im Jahre 1832 als Minister an den Hof nach Schwerin berufen, trat er noch einmal diplomatisch hervor, als sich König Ludwig Philipp von Frankreich unter preußischer Vermittelung um die San einer mecklenburgischen Prinzessin für seinen Sohn bewarb. er Großherzog und Plessen waren ursprünglich einer Verbindung mit dem durch die Revolution emporgekommenen „Bürgerkönig“ abhold, — mußten sie jedoch dem Wunsche des Königs von Preußen, Schwieger—⸗ vaters des damaligen Großherzogs, nachgeben, und Plessen, seit langen Jahren der Vertraute der großherzoglichen Familie, hatte den Ehevertrag zu entwerfen. Er starb indessen, bevor diese Angelegenheit abgeschlossen war (1838). — Die letzte Studie berichtet über eine Reise des Erbgroßherzogs Friedrich Ludwig nach Paris im Jahre 1807, um von Napoleon verschiedene Erleichterungen 3 Mecklenburg in Bezug auf Lieferungen und Unterhalt der dort tehenden franzoͤsischen Truppen zu erhalten. Die Briefe des Erb- Prinzen aus Paris enthalten einige lesenswerthe Unterhaltungen mit Napoleon, bringen aber für die allgemeine Geschichte jener Tage nichts Neues von Belang. ⸗ ff. Aus Deutschlands großen Tagen. Erlebnisse eines 24 ers im deutsch-französischen Kriege. ine Jubelgabe von Dr. Hermann Jahn. 2. Band. Braunschweig, Limbach, 1896. — In diesen Blättern erzählt ein Vize⸗Feldwebel der Hteserve und späterer Second⸗Lieutenant seine Erlebnisse während der zweiten Hälfte des Krieges. Nachrichten und Urtheile über die großen Operattonen darf man bei ihm natürlich nicht suchen; er schildert aber anschaulich seine eigene Betheiligung an mehreren Gefechten, die Leiden und Freuden des Subaltern Offiziers und der Mannschaften, die Härten des Winter feldzugs, die Aufnahme in den Quartieren, die je nach Vermögen und Gesi nung der Einwohner recht verschieden ausfiel. Von den Schlachten, an denen er theilnahm, sind besonders Beaune la Rolande, sowie die Kämpfe um Orléans und Le Mans zu nennen. Der Verfasser hat ein offenes Auge für seine ae, n und theilt manche interessante Beobachtung über Land und Leute mit.
—BarbgraBlom berg. Historischer Roman von Georg Eber e. Zwei Bände. Stuttgart, , Verlagg. Anstalt. Pr. geh. 10 M6 — Ein interessantes Stück deutscher Vergangenheit führt Georg Eberg mit diesem seinem neuen Roman herauf. In einer Wesse, welche die geschichtlichen Persönlichkeiten und die Historisch verbürgten Gresgniffe mit den Gestalten einer frei schaffenden Phantaste ungemein wirkungg= voll vereinigt, behandelt der Dichter jene Wirren und Kämpfe, die bald, nach dem Tode Martin Lather's die deutschen Lande in zwei Parteien spalteten. Die Handlung entwickelt sich zunächst in der frelen Reichsstadt Regentburg, die Kaiser Karl V. zu seiner Restben auserfehen hatte, als er in schweren Sorgen erwog, wie der Zwiespalt zu schlichten sei. Sein Geist ist umdüstert, auch wird der mächtlge Herischer, der sich rühmen konnte, daß in seinem Reiche die Sonne nicht untergehe, ar von der Gicht . Indessen erblüht dem Vielgeplagten no ein sonniges Glück in der Liebe eines jungen, schönen und rei begabten Mädcheng, der Tochter eines verarmten, doch ritterbürtigen Hauseg. Nur zu kurze Zeit währt das Idyll, denn der e, , Herrscher beginnt an der Aufrichtigkeit des Mädchens zu zweifeln, und, von Ehrgeiz und Eifersucht getrieben, giebt Barbara selbst ihm Grund zum gerechten Zürnen. Wohl erkennt der Kaiser den Knaben, dem sie daz Leben schenkt, als seinen Sohn an, aber unter der Bedingung, daß die Mutter sich von dem Kinde trennt und . Existen; vor der Welt vorläufig geheim gehalten wird. Damit ist das Lebensglück Barbara's zerstört. Wohl reicht sie später, gerührt durch das treue Werben und dem Wunsche des alten Vaters entsprechend, einem anderen Manne die Hand und schenkt ihm Kinder, aber ihr Herz weilt bei dem ersten, ihr so grausam entrissenen Sohne. Dieser reift inzwischen zu hohen Dingen heran. In seinem Testament hat Kasser Karl V., der, ein müder, gebrochener Mann, im Kloster San Juste gestorben sst, den, kleinen Johannes als seinen Sohn anerkannt, und König Philipp II. von Spanien erweist sich zunächst dem Halbbruder, der nun Don Juan d'Austrig genannt wird, gnädig. Juan steigt zu hohen Ehren und wird schon in jungen Jahren ein ruhmgekrönter Feldherr; aber in Philipp erwacht die EGifersucht wider den tüch—= igeren Bruder, dessen Ehrgeiz er verwundet, und den er namentlich dadurch kränkt, daß er ihn nicht als Mitglied der Königsfamilie gelten läßt. So findet Barhara, als sie endlich nach vielen Jahren den Sohn wiedersehen darf, nicht einen Glücklichen, der sich heiter im Glanze des Ruhms sonnt, sondern einen verbitterten Mann, und sie erkennt, daß das Opfer vergebens war, das sie brachte, indem sie um eines glänzenden Looses fur den Sohn willen auf das Mutterglück verzichtete. So klingt der handlungsreiche Roman in der Lehre aus: Nicht in Ruhm und Ehre, in äußerer Pracht, sondern im Besitz innerer Güter ruht das wahre Glück. Wie der Dichter das Liebesidyll des Kaisers und der schönen Regensburgerin mit großer Zartheit behandelt, so sucht er auch gegenüber dem politischen und religiösen Zwiespalt der geschilderten Epochen beiden Parteien gerecht zu werden, indem er die Handelnden in ihrem Streben und Irren als Kinder ihrer Zeit darstellt, die aus deren Anschauung heraus beurtheilt werden wollen. Einen besonderen Reiz erhält der Roman durch die große Reihe historischer Persönlichkeiten, die mit sicheren Strichen lebenswahr gezeichnet sind, und ein hoher Vorjug ist ferner die fesselnde Darstellung des höfischen und bürgerlichen Lebens. Rach alledem stellt sich das Werk den früheren Kultur⸗ gemälden des Dichters ebenbürtig an die Seite.
— Von Spa mer's Großem Band-⸗Atlas liegen nunmehr Lieferung 22 bis 32 und damit der Schluß des Werkes vor. Unter den in diesen Lieferungen enthaltenen vortrefflichen Karten fällt zumal die Karte der deutschen Kolonien auf, die auf Grund der neuesten amtlichen Quellen bearbeitet ist, sowie die in zwölf Farben aus⸗ geführte Darstellung der Pflanzendecke der Erde. Besondere Hervor⸗ hebung verdient wieder der von Professor Hettner in Leipzig verfaßte Text mit seinen zahlreichen Detailkarten (im Ganzen sind es über 600), der mit dieser Illustration ein ganz neuartiges und prak⸗ tisches Hilfsmittel geographischer Belehrung darbietet. Der Ver⸗ fasser versteht es, in wenigen Worten ein klares Bild von Land und Leuten zu entwerfen; anschaulicher als alle Beschreibungen aber sprechen zu dem Leser die kleinen Karten, die in den Text auf⸗
Enommen sind; Riesengebirge und Sudeten, Berner Oberland und , Gotthard und Simplonpaß, der Kilimandscharo, der Bosporus und die Dardanellen, die sächsischen und oberschlesischen Kohlenlager, die Pflanzendecke Nord⸗Ameritas, die Erzeugnisse Indiens, die deutschen Kolonien in Brasilien und Chile ꝛc. werden in aus⸗— gezeichneten klaren Stichen vor Augen geführt; dazu kommen dann noch zahlreiche Darstellungen der Religions- und Sprachgebiete, der Volksdichtigkeit, der Territorialentwickelung einzelner Staaten, sowie eine große Anzahl von Städteplänen: von Konstantinopel, Jerusalem Damaskus ebensowohl wie von Breslau und Danzig. Den Beschluß des Werkes bildet ein vollständiges Generalregister, das für den Ge⸗ brauch von ganz besonderem Nutzen sein wird. Außer den schon er⸗ wähnten ist als nicht minder anerkennenswerther Vorzug des Werkes der billige Preis (16 6) zu bezeichnen, der die Anschaffung auch dem minder Bemittelten ermöglicht.
— Goethe's Leben und Werke von G. H. Lewes. Auto⸗ risierte Uebersetzung von Dr. Julius Frese. 17. Auflage, e, von Ludwig Geiger. 80. 44 Bogen. Verlag von Carl Krabbe in Stuttgart. Pr. geh. 5 M, geb. 6 0 Diese altberühmte, aus englischer Feder hervorgegangene Goethe⸗Biographie wird auch jetzt noch, nachdem Manches darin durch neuere Forschungen Berichtigung erfahren mußte, als Beweis der liebevollen Bewunderung des Aus⸗ landes für unseren größten Dichter ihren Werth behalten und verdient in jeder deutschen Hausbibliothek einen Platz neben Goethe's Werken selbst zur Einführung in die Lektüre derselben. Abgesehen von dem inneren Gehalt, macht auch die 6 Ausstattung das Buch zu einem vortrefflichen Geschenkwerk für Jung und Alt.
— Dramaturgie des Schau spiels. J. Band: Lessing, Goethe, Schiller, Kleist. Sechste, durchgesehene und erweiterte Auflage. Von Heinrich Bulthaupt. Oldenburg, Schulze sche Hofbuchhandlung (A. Schwartz). Preis geh. 5 6 — Bags große, drei Bände umfassende dramaturgische Werk Bulthaupt's, dessen erster Theil nunmehr bereits in sechster Auflage vorliegt, hat sowohl in engeren Fachkreisen wie bei allen Theaterfreunden nicht ohne Grund eine so beifällige Aufnahme gefunden. Der Verfasser entwickelt im vorliegenden Bande an den Dramen Lessing', Goethe's, Schiller's und Kleist's in klarer, interessanter Darlegung, worin neben dem poetischen der dramatische Werth dieser ,. Dichtungen besteht, und regt den Leser zu verttestem Nachdenken über die oft e. und altvertrauten Meisterwerke unseres klassischen Theaters besonders dadurch an, daß er manche ver- alteten Theatertraditionen frisch aus dem 33 räumt und neue Gesichtspunkte angiebt. Er hat daher mit diesem Buche allen Freunden und Verehrern der Bühnenkunst unsere deutschen Klassiker zuerst in sorgfältiger Beleuchtung der rein dramatischen Eigenschaften ihrer Werke gezeigt, die sie bisher fast nur in Monographien und rasch vergessenen Journalartikeln gefunden hatten. — Der zweite Band des Werkes ist allein dem größten Dramatiker aller Völker und Zeiten, Shakespeare, , 3 3. 36 2 e. Grill⸗
arzer's, Hebbel's, Ludwig's, Gutzkow's und Laube's umfaßt.
. * Verlage der Schule schen Hof- Buchhandlung (. Schwartz
in Oldenburg erschien ein neues Buch des bekannten riftstellers pazier⸗
rarhistorikerß Ludwig Salomon, betitelt . ö i re ens Der Verfasser entrollt auf diesen Hin slern ein reizvolles, farbenprächtiges emãlde des südl Itastens unserer Zeit. Aus dem ewigen Rom“, welchem der erste Abschnitt des Buches gewidmet ist, führt er uns an die Gestade des herrlichen Golfs von 8er und weiter durch das blühende Land, über dem ein ewig blauer Himmel wölbt, nach Neapel. Wir erklimmen den Vesuv und steigen sodann hinab in die märchenhafte Todtenstadt Pompvesi, halten Rast auf dem meerumkränzten Felseneiland Capri und beschließen nachdem wir noch das liebliche Amalfi und Sorrent genossen, auf Sicilien, in dem alten Palermo unsere Wanderung. Die beredten, von warmer Begeisterung durchglühten Schilderungen der e . lichen Naturschönheiten Italiens gewinnen durch geistvolle geschichtliche