1897 / 12 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 15 Jan 1897 18:00:01 GMT) scan diff

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2 . 5 66 * 2.

appellieren also immer n

es im gegenwärtigen Moment besser ist, wenn wir das, was wir jum Hamburger Strike ju sagen haben, noch binautschieben, damit wir die Friedenspräliminarien, die ja im Anzuge zu sein scheinen, nicht stören. (Hört, hört! links.)

Ich würde von diesem Gesichtspunkte aus gar nicht Veranlassung gehabt baben, das Wort zu erbitten, wenn es mir nicht darauf ankäme, ein Urtheil des Hrn. Abg. Molkenbuhr zu berichtigen, das er, wenn ich ibm die Daten gebe, wohl schwerlich wird aufrecht erbalten können. Er hat sich dahin ausgesprochen, daß die Rheder durch eine Herabsetzung der Heuern einen unberechtigten Vortheil erzielt hätten. Mir liegen nun hier die Zahlen über die Erträge der Hamburger Rhederei aus den letzten 10 Jahren, vom Jahre 1836 bis zum Jahr 1895 vor, und wenn ich Ihnen diese Zahlen mittheile, so werden Sie erkennen, daß für die Rheder aller⸗ dings eine Veranlassung vorlag, die Ausgaben des Betriebes herab⸗ zusetzen, und daß sie in dieser Beziehung nicht ju weit gegangen sind. (Zuruf von den Sozialdemokraten.) Ja, das ist möglich, daß man bel der Nordenhamer Rhederei oder anderweitig bessere Geschäfte gemacht hat; ich kann mich nur an die Hamburger Zahlen halten. Aus den mir vorliegenden Nachweisen ergiebt sich, daß die Gesammt⸗ dividende, welche die Hamburger Rhederei in diesen 10 Jahren erzielt hat, 23 024 300 M beträgt, daß aber in den einzelnen Jahren ein

sehr erbeblicher Unterschied in Bezug auf den Ertrag der Rhederei sich

herausftellt. Insbesondere ist hervorzuheben, daß, während in den

Jahren 1889 und 90 die Rhederei einen recht guten Ertrag gegeben hat die Dividende ist für das Jahr 1889 auf 4700 000 4A und fär das Jahr 1890 auf 4075000 beziffert vom Jahre 1891 ab eine sehr erhebliche Abwärtsbewegung in den Erträgen der Rhederei n verzeichnen gewesen ist.

noch 2 665 000 M betragen, im Jahre 1892 ist sie sogar auf 615 000 460 zurückgegangen und hat im Jahre 1893 S823 00 0 und im Jahre

Die Dividende im Jahre 1891 hat nur

1894 855 000 46 betragen. Erst im Jahre 1895 hat sich ein Auf⸗ schwung gezeigt.

Wenn Sie, meine Herren, diesem Ertrage, der sich auf eine jehn⸗ jährige Betriebsperiode und auf die Gesammtrhederei Hamburgs er⸗

streckrt, die Kapitals. und Betriebsverluste gegenüberstellen, dann

bleiben von den 23 024 300 , welche die Gesammtdividende beträgt,

nur 14 250 407 4 übrig, und wenn Sie dies als den Ertraz des

investierten Aktienkapitals ansehen, welches 561 760 000 46 beträgt,

dann kommen Sie auf einen Ertrag von nur 2.53 9. Sie werden

also zugeben, einmal daß der Ertrag der Rhederei in den letzten 10 Jahren ein außerordentlich niedriger gewesen ist, und weiter, daß die Herabsetzung der Heuern durch den Niedergang der Rhederei seit

dem Jahre 1891 bedingt war.

Die Herren Sozialdemokraten, denen ich ja das Streben durchaus nicht verdenken kann, die Arbeitsverhältnisse des Arbeiters besser zu gestalten ich theile dieses Streben, und ich freue mich, wenn ich dazu beitragen kann, die Lebenshaltung des Arbeiters zu heben —, die Herren Sozialdemokcaten vergessen immer eins, das im Ver⸗ hältniß zwischen Arbeiter und Arbeitgeber von besonderer Bedeutung ist. Der Arbeitgeber kann nicht mehr geben, als er hat, sondern er muß es bemessen nach dem Ertrage seines Betriebs. Wollte man ihm ansinnen, mehr zu geben, als er hat, und über den Ertrag seines Betriebes bei der Zahlung der Löhne hinauszugehen, dann würde der Betrieb sehr bald aufhören, und dann würde der Ar— beiter erst recht in eine Lebenslage kommen, die für ihn durchaus un— erwünscht ist. (Sehr richtig! rechts und in der Mitte Ich bitte, sich das doch gegenwärtig zu halten und es den Hamburger Rhedern nicht zu verdenken, wenn sie in den Jahren, in denen sie schlechtere Betriebsresulrate erzielt haben, auch Bedacht darauf ge⸗ nommen hahen, die Arbeitslöhne einzuschränken. Mit besseren Zeiten

werden die Arbeitslöhne auch wieder steigen, und ich hoffe, daß,

wenn jetzt, wozu ich nach beiden Seiten den ernstlichen Rath ertheile, eine Verständigung zwischen Arbeitern und Arbeitgebern auf dem Boden der Hamburger Betriebe herbeigeführt sein wird, auch eine Periode der Blüthe für die Hamburger Rhederei eintreten wird, die es ihr ermöglicht, höhere Heuer zu bezahlen.

Schließlich, meine Herren, habe ich noch daran zu erinnern, daß die Sache bei den Seeleuten um deswillen nicht so bedenklich sein kann, weil gerade die Seeleute diejenigen gewesen sind, die sich zuerst von ihren Strikegenossen getrennt haben. (3urufe bei den Sozial- demokraten. Ich spreche bloß von der Thatsache; wie Sie sie erklären, ist eine andere Sache. Aber die Anmusterung der Seeleute hat zuerst begonnen, und die Seeleute sind die ersten gewesen, die sich von ihren Strikegenossen losgesagt haben. Es sind nach den mir vorliegenden Nachweisen allein am 12. Januar 154 Seeleute neu an⸗ gemustert worden, und ich hoffe, daß die übrigen Strikenden ihrem Beispiel folgen werden.

Abg. Hüpeden (b. k. F.): Herr von Stumm hat meine gestrigen Ausführungen als unverständlich bezeichnet. Das maß wohl daran liegen, daß ich gestern genöthigt war, mich einer gewissen Kürze zu pefleißigen, weil mich der Präsident wiederholt ermahnt hatte, zur Sache zu kommen. Andererseits hatte var vier Jahren Herr von Boetticher erklärt, bei seinem Gehaltsposten im Etat dürfe man über alles reden. (Vize⸗Präsident Schmidt bemerkt dem Redner, daß es sich heute nicht, um das bandle, was vor vier Jahren gesagt sei, und bittet, dem Präsidium keinen Vorwurf zu machen) Das hat mir vollständig ferngelegen. Wenn Herr von Stumm mich nicht verstanden hat, so lag das auch wohl an seiner großen Erregung. bleibe dabei, daß ich ein durchaus freisinniger Mann bin, natürli nicht in dem einseitigen Sinne einer politischen Parteibezeichnung. Wenn ich sagte: ‚wir wollen alle Christen sein“, so ist das cum grano salis ju verstehen. Ich meine es in dem Sinne, wie. unser greßer Tanjler gesagt hat:. Wir Deutsche fürchten Gott! Derr Läütgenau hat uns gestern gesagt, daß die Sozialdemokraten nicht das Christenthum und die Religion be⸗ kämpfen. Ich erinnere ihn dagegen an dag, was hier mehrfach der Abg. Liebknecht ausgeführt hat. (Vize. Präsident Schmidt bittet, nicht weiter abzuschweifen. Die Sonialdemoktatie hat sich den Weg zum Verstaͤndniß der Religion verbaut durch ihre materialistischen Theorien. Ihre Praxis stebt allerdings dazu in starkem Gegensatz. Von keiner Partei wird das Christenthum so bei jeder Gelegenheit in die Debatte gezogen, wie von den Sozialdemokraten. Sie x och in ihrem Innern an die christlichen Grundsätze und fühlen sich an dieselben ebunden. Ich habe mir ferner keinerwegs die Rolle eines großen olksführers oder Volks⸗ erziehers anmaßen wollen; jede Bevormundung der Arbeiter liegt mir vollstandig fern. Aber ich gebe Herrn von Stumm zu he⸗ denken, daß der Gedanle der Volkserziehung doch werth ist, im Mittelpunkt unserer Gesetznebung zu stehen, alle öffentlichen Ein⸗ richtungen und Organisatiũnen müssen auf dieses Ziel hin angesehen werden. Das allgemeine Wahlrecht ist doch nicht bloß ein Recht, sondern legt auch Pflichten auf, zu deren Wahrnebmung das Volk erjogen werden muß. Von der Bedeutung von Korporationen und Genossenschaften far die Erziehnng des Einzelnen sind wir, denke

ich, doch volUl durchdrungen. Herr von Stumm erblickt in den evangelischen Arbeitervereinen etwag, was gar nicht darin stect. Es entspricht der Gerechtigkeit, daß man auseinander bält die unpolitichen evangelischen Arbeiterpereine, die vatriotisch und staatgerkaltend sind, und die christlich⸗sozialen und die national⸗ fozlalen Parteien. Ich gehöre keiner der beiden Parteien gegenwärtig an, ich wahre mir meine. Freibeit. Aber ich trete für sie ein, wenn man sich in einer superlatipischen Kritik gegen sie ergeht. Bezügli der Arbeiterorganisation liegen die Dinge ziemlich einfach. Die Arbeiter und die Arbeitgeber haben gewiffe gemeinsame Interessen, aber die Arbeiter baben auch Intere fen, welche denen der Arbeitgeber widersprechen, und da muß man sie unter sich lassen. Das aber will Herr von Stumm nicht, er verwünfcht sie zur Hölle, er will von ihnen nichts wissen. Wenn ein Kampf vorhanden ist und solche Organisationen nothwendig sind, dann kann man sie nicht ohne weiteres zurückweisen. Ich meine,

es nimmt kein Mensch mehr ernst, daß Professoren und Pastoren

einfach zu den Sozialdemokraten geworfen werden. Wer mit solchen Beschuldigungen zu freigebig ist, der entwerthet sie. Der Staatssekretãr von Boetticher hat meine Anftage wegen der Faiseriichen Erlasse von 1890 nicht beantwortet. Aber das war auch eine genügende Antwort. Von dem Zentrumsredner ist darauf hin⸗ gewiesen worden, daß die Rückkehr der Jesuiten und die Gewãhrun pon Daten verlangt werde. Dem zweiten Verlangen kann ich mi

unter m . auf die schwache Besetzung des Hausetz nur anschließen.

Abg. Freiherr von Stumm (Rp.) verwahrt sich dagegen, daß er etwag, was er nicht wünsche, sogleich verwünsche. Ueber die Arbeiter⸗ organifation habe er häufig genug feinen Standpunkt vertreten; die Abschaffung der Koalitionsfreiheit, das Verbot der Arbeiterorganisa—⸗ tion habe er gar nicht verlangt.

Abg. Brühne (Soz) fragt an, ob in Elsaß Lothringen das Unterstatzungswobnsitzgesetz bald eingeführt werde, und bringt einen n der Ausweisung aus Elsaß. Lothringen zur Sprache. Auch in

ayern wäre die reichsgesetzliche Einführung des Unterstützungswohn⸗ sitzgesetzes zweckmäßig.

Staatssekretär des Innern, Staats⸗Minister Dr. von Boetticher:

Die Verbandlungen, die mit der elsaß⸗lothringischen Regierung ingeleitet sind über die Frage, ob das deutsche Unterstũtzung⸗ wohnsitz Gesetz in das Gebiet der Reichslande einzuführen sein möchte, haben ein abschließendes Ergebniß bisher nicht geieitigt. Die elsaß⸗lothringische Regierung hat Bedenken, die aus gewissen organisatorischen Schwierigkeiten abgeleitet sind, auch einige andere Bedenken, die sie bisher abgehalten haben, sich zur Einführung des Unterstützungswohnsitz⸗Gesetzes bereit zu erklären. Inzwischen ift sie bemüht, die zweifellosen Mißstände, die aus dem bisherigen Rechtszustande erwachsen, abzustellen. Sie hat zu diesem Zwecke zunächst mit der Regierung des Großherzog⸗ thums Baden einen Vertrag abgeschlossen, welcher sich auf die Verpflichtung jur Uebernahme unterstützungs⸗ bedürftiger Personen bezieht, und sie kat die Absicht, auch mit anderen deutschen Staaten gleiche Verträge abzuschließen. Der Wortlaut des badischen Vertrages ist mir nicht bekannt, ich kann mich darüber also nicht äußern.

Außerdem ersehe ich aus dem elsässischen Etat für das Jahr 1897/98, daß auch dort eine Summe eingestellt ist, die sich bisker nicht darin befand, und deren Titel lautet: ‚Zur Gewährung von Unterstätzungen auf Grund der Vereinbarungen mit anderen Staaten“.

Wie gesagt, die Verhandlungen über die Einführung des Unter⸗ stützungswohnsitz Gesetzes sind zur Zeit zu einem abschlteßenden Ergebniß nicht gediehen. Ich kann nicht sagen, wann der Reichẽtag mit dieser Frage beschästigt werden wird. .

Köaiglich bayerischer Ministerial⸗ Direktor von Herrmann: Obne Zustimmung Bayernz, durch einen bloßen Alt der Reichsgesetzgebung, kann das Unterstützungwohnsitzgesetz in Bayern nicht se,, . werden. Bei der Aenderung des Heimathgesetzes, welche kürzlich er⸗ folgt ist, wurde die Einführung des Unterstützungswohnsitzgesetzes in Bayern als unthunlich bezeichnet. .

Abg. Dr. S5ffel (Rr): In Elsaß⸗Lothringen bält man all— gemein die Einführung der staatlichen Armenpflege für unzweckmãßig und nicht gut für die Armen selbst Wenn der Kampf zwischen Heimath und Unterstützungswohnsitz in Deutschland selbst erst aus. gefochten sein wird, dann wird auch Elsaß -⸗Lothringen an die Rege⸗ lung dieser . gehen. . ö

Abg. Beck h (fr. Volkep.) tritt für die Aufrechterhaltung des bayerischen Heimatbsrechts ein.

Abg. Grillenberger (Soz): So lange das Reich nicht ein besseres Unterstũtzungswobnsitzgesetz bat, wollen wir uns in Bayern das Heimatbgesetz nicht nehmen lassen. In Bayern haben sich nur die Anhaͤnger des Bundes der Landwirthe für das Unterstützungswohnsitz⸗

gesetz interessiert. . Abg. von Kardorff (Rp.): Die Konservativer, die Reichs.

partei und der Bund der Landwirthe haben durchaus kein Interesse an dem ÜUnterstätzungswohnsitzgesetz. Im Gegentbeil, ich habe mit dem verstorbenen 7 errn von Varnbüler 3 oft darüber verhandelt, wie wir unser Unterstützungswobnsitzgesetz nach dem Muster des bayerischen Heimathrechts umgestalten könnten.

se . schließt die Debatte über das Gehalt des Staats⸗ ekretärs.

Bei der Ausgabe zur Unterstützung des Deutschen Fischereivereins (560 000 e) kommt

Aba. Freiherr Heyl zu Herrnsheim (ul.) auf seine vor⸗ jäbrige Anrẽgung wegen Aenderung des Vertrages mit Holland über die Lachsfischerei zurück. Eine Kommission des Fischereivereins unter dem Vorsitz des Prinzen Carolath habe seine im vorigen Jahre an⸗ ebrachten Beschwerden vollauf anerkannt und bestäͤtigt, daß in Hen , der Lachsfang ein Raubfang sei. Redner richtet an das Kaiferliche Gefundheitsamt die Frage, ob es im Interesse der Fil. zucht gestattet werden könne, daß die großen Städte Mann eim, Mainz, Wiesbaden ꝛc. ibre Fäkalien in den Rhein abführen.

Staatssekretär des Innern, Staats-Minister Dr. von Boetticher:

Was die sogenannten Wiesbadener Vorschläge anlangt, also die Vorschläge, welche bezüzlich der Hebung des Salmfanges im Rhein in einer Konferenz zu Wiesbaden beschlossen sind, so wird darüber augenblicklich noch verhandelt; wir sind zunächst mit der preußischen Regierung in Benehmen getreten, und wir werden voraus sichtlich binnen kurzem zu einem Entschluß darüber gelangen, ob der Vertrag mit Holland in seiner gegenwärtigen Gestalt aufrecht erhalten werden kann, und eventuell welche Aenderungsvorschläge wir Holland zu machen baben werden. Wie gesagt, die Sache ist in der Bewegung und noch nicht zum Abschluß gekommen.

Was die zweite Angelegenheit anlangt, die der Hert Vorredner zur Sprache gebracht bat, nämlich die Verunreinigung des Rheins, so ist ja schon jetzt keine Regierung gehindert, ein Gut achten des Gesundheiteamts in Antrag zu kringen; wir ertheilen namentlich in so bedeutsamen Fragen, wie es die Schädigung der Gesundheit durch die Verunreinigung eines großen Flusses ist, fehr gern die Erlaubniß, daß das Gesund⸗ heitsamt ein Gutachten abgiebt. Im übrigen ist aber hier die Initiative der einzelnen Landesregierungen abzuwarten. In dieser Instan müssen auch die Maßregeln beschlossen werden, die zur Hebung

der bestehenden Uebelstãnde gereichen können. Insoweit daza die Unterstũtzung der Reichsbehörden nothwendig sein sollte, bin ich sehr gern bereit, für mein Ressort diese Unterstũtzung zu leisten. Der Titel wird bewilligt. ö

fe 3 den Ausgaben für die Invaliditättwersicherung a

gubz von Staudy (d. kons.), ob und wann der Reichstag die Vorlage wegen Veränderung der Invaliditãtsversicherung erhalten werde

Staatssekretär des Innern, Staats⸗Minister Dr. von Boetticher:

Auf die Anfrage des Herrn Vorredners kann ich Folgendes er= widern: Die Ausschüsse des Bundegraths sind mit der Durcharbeitung des Entwurfs fertig. Dabei sind Aenderungen beschlossen, welche eine Umarbeitung der Begründung in einzelnen Theilen erforderlich machen. Mit dieser Umarbeitung ist man jetzt beschäftigt. Ich hoffe, daß in etwa 14 Tagen bis 3 Wochen die Plenarberathung wird anberaumt werden können, und nach Beendigung der Berathung wird der Ent— wurf unverzüglich dem Reichstage zugehen und der Herr Abgeordnete wird Gelegenheit haben, dann eine eingehende, hoffentlich wohlwollende und förderliche Kritik an dem Entwurf zu üben.

Bei den Ausgaben für die Untersuchung von See⸗ unfällen erklärt auf eine Anregung des Abg. Metzger (Soz ) der

Staatssekretär des Innern, Staats⸗-Minister Dr. von Boetticher:

Wünsche auf gesetzgeberische Vorlagen sind häufig leichter aus. gesprochen als erfüllt. Wenn man dahin strebt, nur Vorlagen ju bringen, die gründlich durchgearbeitet und nach allen Seiten hin er. wogen sind und die Revision der betheiligten Instanzen passiert haben, so geht die Entwickelung nicht immer so schnell, wie man wüascht. So liegt die Sache auch mit der Seemannsordnung. Die Seemanns. ordnung ist jetzt von der technischen Deputation für die Seeschiffahrt fertig gestellt. Sie befindet sich auf dem Wege an die Regierungen der Bundetseestaaten, und wenn sie dort Revue passiert hat und wir sie mit den Bemerkungen, die die Regierungen dazu zu machen haben, zurückbekommen, dann wird sie an den Bundesrath gehen, und es wird der Bundesrath die Vorlage für die Berathung des Reichstages feststellen. Wann der Zeitpunkt eintreten wird, an welchem der Reichstag die Vorlage erhält, kann ich selbstverständlich nicht mit Sicherheit angeben. Aber den Wünschen des Herrn Vor⸗ redners wird dahin entsprochen werden, daß soviel Dampf aufgemacht werden wird, wie irgend möglich.

Abg. Jeb sen (nl) wünscht eine Aenderung der gesetzlichen Be⸗ stimmungen dahin, daß die Entziehung des Patents der offiziere, die in Deutschland nur unbedingt erfolge, wie in England, bei leichteren Versehen für eine kärzere oder 2 Zeit erfolgen könne.

. 26 den Ausgaben für das Statistische Bureau be— mänge

11 Lenzmann (fr. Vollsp.), daß man den Sekretariats-Assi stenten die diätarische Dienftzeit nicht angerechnet habe, wie eg in der Denkschrift in Aussicht gestellt sei. Man rechne nur die Dienstzeit an von dem Zeitpunkt der Vereidigung oder von dem Tage an, wo das Gehalt fixiert, d. h. von der täglichen Zahlung der Diäten abge⸗

. werde. Redner empfiehlt ein schnelleres Aufrücken zum höchften ehalt.

Staatssekretär des Reichs⸗Schatzamts Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner:

Meine Herren! Der Herr Staatssekretär des Reichsamts des Innern kann natürlich diese Frage nur behandeln nach den Grund sätzen, die für die gesammte Reichs verwaltung maßgebend sind. Es ist aber Grundsatz der Reichs verwaltung, daß solche Hilfskräfte, die nur gegen tägliche Diäten angenommen werden, nicht beanspruchen könren, daß ihnen diese Zeit, die nur den Charakter der Probezeit trägt, auf ihr Dienstalter angerechnet werde. Der Herr Vorredner hat selbst den 5 43 des Reichsbeamtengesetzes zitiert. welcher besazt, daß das Reichsbeamtenverhältniß erst beginnt mit der etatsmäßigen Anstellung oder mit der kundgegebenen Absicht, den Beamten definitio im Dienst zu bebalten. Erst wenn die Tagesdiäten verwandelt werden in fixierte Diäten, giebt aber der Refsortchef zu erkennen, daß die betreffende Hilfskraft geeignet ist, voraussichtlich dauernd im Reicht; dienst behalten zu werden. Dann tritt erft der Zeitpunkt ein, wo nach den Grundsätzen innerhalb des Reichs die Anrechnung der in diesem Diätariat verbrachten Zeit erfolgen kann, insoweit sie 5 Jahre üũbersteigt.

Der Herr Vorredner hat zweitens noch angeregt, für diese Hilfe arbeiter im Statistischen Amt die Aufrückungszeit von 18 auf 12 Jahre herabzusetzen, weil ein Theil der Beamten, die dort beschäftigt sind, erst in einem späteren Lebensalter in jene Beschäftigung eingetreten wären. Ich glaube nicht, daß es angängig sein wird, aus dem Um. stande, daß diese Personen erst in einem späteren Lebensalter eingetreten sind in die Beschäftigung des Neichs, eine schnellere Aufrũckungẽzeit für sie herbeizuführen. Es würde das von anderen Beamtenkategorien als eine Differenzierung empfunden werden und unzweifelbaft gleich artige Ansprüche an anderer Stelle hervorrufen. Das System der Dienstaltersstufen ist ein sehr kompliziertes. Wir haben uns in der Kommission und hier vielfach darüber unterhalten, und es ist dringend wünschenswerth, daß nunmehr endlich über diese Frage der Zustand der Beruhigung eintritt. Jede Aenderung auf diesem Gebiete zieht zabllose Ansprüche nach sich und es wird gerade dann dasjenige nicht erreicht, was mit dem Dienstaltefssöystem erreicht werden sollte, daỹ jede Beamtenkategorie bestimmt weiß, in welcher Zeit sie ein be⸗ stimmtes Gehalt erreicht.

Ich möchte schließlich vielleicht empfehlen, diese Frage, wenn sie weiter bebandelt werden soll, weiter zu vertiefen bei Gelegenheit der Vorlage des Beamtenbesoldungs ⸗Gesetzes; wir können dann eingehendere Auskunft in der Kommission ertheilen, und dann vielleicht sachgemãßer im Vergleich mit anderen Anträgen diese Frage im Plenum des Saule? weiter erörtern, wozu ich natürlich gern bereit bin. (Bravo!)

Abg. Werner (Reform-⸗P.) tritt ebenfalls für die Sekretariat? Assistenten ein, die ja auch von dem Staatssekretãr ven Boetticher die Zusicherung erhalten hätten, daß er ihre Wünsche berücksichtigen werde.

Staatssekretär des Innern, Staats⸗Minister Dr. von Boetticher:

Ja, es ist auch richtig, daß die Herren bei mir gewesen sind, und daß ich liebenswürdig‘, nennen sie es, pflichtgemäß' nenne ich es, ihre Klagen angehört babe. Die Frage, wie die Herren bezüglich ihres Gebalts behandelt werden sollen, hãngt aber nicht allein von meiner Entschließung ab, sondern ist eine Fragt. bei der wesentlich das Finanzressort betheiligt ist. Das weiß ja auch der Herr Abgeordnete ganz gut, und ich habe mich nur zum Wort gemeldet, um elne Aeußerung, die er berichtet hat, als eine solche, die

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von seiten der Beamten gefallen wäre, richtig zu stellen. Es soll naͤmlich die Meinung verbreitet sein, daß das Wohlwollen, was man dlesen Beamten verschiedentlich in Aussicht gestellt und zugesagt habe, doch sebr zu wünschen übrig lasse. Demgegenüber möchte ich doch darauf aufmerkfam machen, daß es kaum eine Beamtenkategorie giebt, die in den letzten Jahren so gefördert worden ist räcksichtlich ihrer Stellung, als wie die Hilfsarbeiter des Statistischen Amts. Es liegt mir bier eine Nachweisung vor, wonach im Jahre 1859/90 beim Statistischen Amt vorbanden waren zehn Assistenten, gegeniber einer Anzahl von 157 nicht ständigen Hilfsarbeitern, welche damals dotiert waren mit einem Diensteinkommen von 1700 bis 1900 0 Durch den Etat vom Jahre 1890,91 wurde dieses Dienst⸗ einkommen auch noch für nur zehn Assistenten aufgebessert auf 1800 bis X00 M und außerdem wurde ihnen der Wohnungègeldzuschuß bewilliat, und es standen diesen 10 Assistenten gegenüber 182 Hilfsarbeiter. Im Jahre 1891392 hat sich die Zahl der Assistenten von 10 auf 58 ver⸗ mehrt, im Jahre 18833 ist sie auf 75 gestiegen, im Jahre 1884 anf 238, im Jahre 1885 auf 113, im Jahre 1895 auf 114, im Jahre

1897 auf 116, und jwar sind für das Jahr 1896 die Gehaltssätze auf

einen Bejug von 1800 bis 2700 „6 aufgebessert. Meine Herren, darnach würde ein Vorwurf dahin, daß diese Assistenten von Wohl- wollen nichts gespürt haben, ein durchaus unberechtigter sein, und ich bin mir bewußt, daß die Verwaltung diesen Vorwurf nicht verdient. Ich gönne jedem Beamten eine bessere Stellung und Aufbess erung seiner Verhältnisse; aber ich kann nicht anerkennen, daß er berechtigt ist, über mangelndes Wohlwollen ju klagen, wenn eine verhältniß⸗ mäßig fo gute Aufbesserung stattgefunden hat, wie es hier bei der Klasse der Assistenten der Fall gewesen ist.

Abg. Lenzmann: Daß die Zahl der etatsmäßigen Stellen so vermehrt worden ist, dafür schuldet man keinen besonderen Dan; denn das ist nur die Folge der Erkenntniß, daß man die Statistik nicht mit diätarisch besoldeten Personen machen kann, sondern fest⸗· angestellte Beamte dazu braucht.

. . er bedauert, daß die Zeit des Aufrückens verlängert worden sei.

Staatssekretär des Reichs⸗Schatzamts Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner:

Ich kann dem Herrn Abg. Lenzmann nur antworten, daß es Grundsatz in der ganzen Reichsverwaltung ist, ebenso wie in Preußen, daß dem Diätar nur eine fünfsährige Diätarienzeit angerechnet wird. Voraussetzung hierbei ist allerdings, daß jemand sich in einer etats— mäßigen Stelle als Diätar befindet. Ist eine solche etatsmãßige Stelle für ihn nicht vorhanden, so kann ihm selbstverständlich auch ein Diätariat für eine solche Stelle nicht angerechnet werden.

Wenn der Herr Abg. Lenzmann gesagt hat, der Reichs -Schatz⸗ sckretär schiene im Reiche allein zu retzieren, so nehme ich an, daß das nur ein Scherz sein sollte; aber dafür, meine Herren, bat allerdings der Reichs-Schatzsekretär ju sorgen, daß alle die Hand⸗ lungen der einzelnen Ressorts, die mit finanziellen Wirkungen verbunden sind, auf etatsmäßigen Grundlagen vorgenommen werden und daß nach gleichmäßigen finanziellen Grundsätzen hierbei verfahren wird.

Wenn der Herr Abg. Werner gesagt hat, jetzt hätten die Assi⸗ stenten am Kaiserlichen Statistischen Amt nur eine Aufrũckungszeit von 18 Jahren, während sie früher eine solche von 9 Jabren gehabt haben, so verstehe ich das nicht ganz; denn früher waren diese Hilfs⸗ arbeiter überhaupt nicht etatsmäßig, und der Herr Staats sekcetär von Boetticher hat Ihnen vorgetragen, daß diese Beamten in neuerer Zeit erst etatsmäßig geworden sind. Daraus aber einen Grund herzuleiten, die Beamten schneller auf ihr Maximalgehalt auf⸗ rücken zu lassen als andere Kategorien, weil sie in späteren Lebensjahren eingetreten sind, das ist nicht möglich. Es kann doch für die Aufräckungsjeit nur die Natur des Dienstes an sich, die Art der Vorbildung, die Anzahl der Examina maßgebend sein: aber das Lebensalter, in welchem jemand in einen Beruf eingetreten, ist ein gam individuelles Moment; das kann für die Bestimmung der Dienstaltersstufen in keinem Falle einen maßgebenden Faktor bilden.

Die Ausgaben für das Statistische⸗Amt werden bewilligt, ebenso diejenigen für die Normal-⸗Aichungekommission.

Um 5i , Uhr wird die weitere Berathung bis Freitag 1 Uhr vertagt.

Prenszischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 18. Sitzung vom 14. Januar 1897.

Ueber den Beginn der Sitzung ist gestern berichtet worden.

Die zweite Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend Tilgung von Staatsschulden und Bildung eines Ausgleichs fonds, wird fortgesetzt.

Finanz⸗Minister Dr. Miquel:

Meine Herren! Ich habe gestern die Rede des Herrn Abg. Broemel nicht ganz hören können; ich möchte daher, da ich jest erfahren habe, welche Vorwürfe er erhoben hat, die von ibm aufgestellten Behaup⸗ tangen berichtigen. Der Herr Abg. Broemel bat angegeben, gerade während meiner Amtsdauer hätten sich die Verwendungen aus den Ueberschüssen der Eisenbahnen für allgemeine Staatszwecke sehr bedeutend erhöht, und er hat hierfür eine Steigerung genannt: von 75 Millionen auf 172 Millionen. Der Herr Abg. Broemel bat dabei aber nicht berüclsichtigt, daß in dieser von ibm angegebenen Aufstellung das ganze Extraordinarium der Eisenbahnen nicht enthalten ist, ferner nicht der der Gisenbahn zur Last fallende Theil der gesammten Pensionen mit 14 Millionen, endlich, daß in dieser Aufstellung die Zinsen der von der allgemeinen Eisenbahnverwaltung an die allgemeine Staate verwaltung abgeführten Beträge stecken, welche aber noch weiter zu zahlen sind, weil eine wirkliche Tilgung ja natürlich in der buchmäßigen Ab⸗ schreibung nicht liegt. Stellt sich die Sache so, so ändern sich die Zahlen von 64 Millionen auf 131 Millionen. Es ergiebt sich hieraus also, daß die ganze Rechnung, die der Herr Abg. Broemel aufgestellt hat, unvollftändig und infolge dessen irrig ist. Aber es ist auch das erste Mal, daß mir vorgeworfen wird, während meiner Amtedauer seien die allgemeinen Staate ausgaben zu stark gestiegen; bis jetzt habe ich immer nur den entgegengesetzten Vorwurf gehört, daß ich zu fislalisch gewesen sei und die Steigerung der Ausgaben wesentlich hintan gehalten hätte. Aber wenn das Reich in dieser Periode durch die Herabsetzung der Zölle auf Getreide seine Einnahmen bedeutend verminderte, seine Ausgaben aber steigerte durch die Militärorganisation und aus anderen Gründen um mehr als 60 Millionen; wenn dagegen vom Reich nur bewilligt wurde die Börsenstener, die nur einen

geringen Thell dieser Verluste deckte, in Preußen aber die Steuer⸗ reform keinerlei Mehrbelastungen des Volkes herbeiführte, die direkten Steuern in Preußen auch sonst nicht erhöbt sind; die Ausgaben in Preußen naturgemäß aber steigen müssen, zum tbeil sogar aus rechtlicher Veipflichtung: so konnte hier bei der größten Sparsamkeit gar nicht verbindert werden, daß die Mebhr⸗ überschüsse der Eisenbahnen zu diesen gestiegenen Staatsausgaben ver⸗ wendet wurden, und ich möchte wissen, wie Herr Abg. Broemel das Räthsel lösen wollte, aus anderen Quellen diejenigen Mittel zu be—⸗ kommen, welche nothwendig waren, um die gestiegenen Staatsausgaben zu decken. Diese ganze Einwendung ist also nicht zutreffend, sie ist nur insoweit beweiskräftig, als sich hier zeigt, daß allerdings durch die Weigerung des Reichstages, die eigenen Einnahmen des Reichs angemessen den gestiegenen Ausgaben des Reichs zu erhöben, wir ge—⸗ nöthigt worden sind, die Eisenbahnüberschüsse in viel stärkerem Maße, als das sonst der Fall gewesen sein würde, zu vreußischen speziellen Zwecken zu verwenden und nicht wieder der Eisenbahn selbst zu gute kommen zu lassen.

Meine Herren, dann habe ich noch eine Bemerkung des Herrn Abg. Schmieding zu berichtigen. Er sagt, es wäre ja ganz schön, daß der Betriebekoeffizient der Eisenbahnen von 63 auf 53 herunter gegangen sei, das sei aber dadurch erkauft worden, daß man nicht rechtzeitig die Eisenbahnhöfe umgebaut, für größere Bahnböfe gesorgt, die Rangierbahnhöfe erweitert bätte u. s. w. Er vergißt aber dabei, daß alle diese Ausgaben, welche er unter dem nun schon klassisch gewordenen Ausdruck ‚verstecktes Defizit! oder latentes Defizit“! zusammengefaßt bat, hier garnicht in Betracht kommen. Dieser Koeffizient, das Verhältniß von Einnahme und Ausgabe, bezieht sich nur auf das Ordinarium, und alle diese besonderen Verwendungen, die der Herr Abg. Schmieding in Aussicht hat, stehen eben im Egxtraordinarium, also kommt diese Frage hier garnicht in Betracht. Meine Herren, was das Extraordinarium betrifft, so wird mir der Herr Abg. Schmieding doch aber zugeben, daß es in den letzten Jahren so gestiegen ist, daß, wenn wir noch einige Jahre so fortfahren, wir auch ohne Anleihen dieses sogenannte latente Defizit“ werden beseitigen können, und ich hoffe, daß die Finanzlage es gestatten wird, das Extraordinariunm mindestens in der Höhe zu halten, in der es sich gegenwärtig befindet.

Abg. Broemel (fr. Vgg.) hält seine Behauptungen aufrecht; selbst bei einer anderen Berechnung komme man zu einer Steigerung der Verwendung der Eisenbahnüberschüsse für allgemeine Staate⸗ zwecke von 64 auf 132 Millionen Mark. Der Eisenbabn ⸗Etat giebt ein falsches Bild, bei einer richtigen Aufstellung der Bilanz der Eisen— bahnverwaltung sind die Ueberschüsse nicht so hoch.

Finanz⸗Minister Dr. Miquel:

Meine Herren! Was die letzten Ausführungen des Herrn Abg. Broemel betrifft, so kann man das allerdings in Erwägung nehmen. Ich bedaure auch, daß übrigens nach Maßgabe des Gesetzes von 1882, welches die betreffenden Bestimmungen enthält diese Be⸗ rechnungen, wie sie dem Hause jedes Jahr vorgelegt werden, und auch die Verrechnung der Ueberschüsse der Eisenbahnen zu den allgemeinen Staatsausgaben Lücken haben, und ich habe eben deswegen die Lücke, die der Herr Abg. Broemel in seiner Rede gelassen hatte, ausgefüllt, indem ich auf die Nothwendigkeit hingewiesen habe, von den dort bejeichneten Beträgen das gesammte Extraordinarium, die Ausgaben für Wittwen. und Waisenpensionen und die Zinsen der nicht in Wahr⸗ heit getilgten, sondern nur abgeschriebenen Beträge abzuziehen.

Meine Herren, wenn der Herr Abg. Broemel bei meinen Aeuße⸗ rungen hier gewesen wäre, so würde er vielleicht Gelegenheit genommen haben, auf meine an ihn gerichtete Frage ju antworten. Ich habe die Frage geftellt: wenn in der Zeit, um die es sich hier handelt, das Reich die Getreidezölle herabsetzt, wenn das Reich seinen Ausgabe ⸗Etat sehr bedeutend steigert, wenn infolge dessen das Ver⸗ hältniäßz der Ueberweisungen zu den Matrikularumlagen ungünstiger wurde, wenn es auch zum theil in günstiger Weise aufrechterhalten worden ist durch die später gestiegenen erheblichen Zolleinnahmen, wenn daneben in Preußen die Steuerreform keinerlei Mehreinnahmen gebracht hat, die direkten Steuern nicht erhöbt sind, aber naturgemäß ein Staat wie Preußen seinen Ausgabe ⸗Etat, ob er will oder nicht, ledes Jahr steigern muß wo— denn sonst ein Finanz · Minister die Mittel hernehmen konnte, als aus den Erträg⸗ nissen der Betriebs verwaltung! Ich bitte Herrn Abg. Broemel, der bier sich so tadelnd äußerte, in dieser Beziehung den gegenwärtigen Finanz⸗Minister zu belebren. Jedenfalls haben bei sämmtlichen Etats⸗ berathungen, die hier stattgefunden haben, solche Räthsellösungen nicht stattgefunden. Irgendwelche andere Maßregel, wie man dazu kommen sollte, die Eisenbahnüberschüsse nicht in diesem Betrage zu verwenden, ist niemals in Vorschlag gebracht worden. Das einzige Mittel, das man hätte vorschlagen können, wäre gewesen eine Steigerung der direkten Steuern. Es hat sich aber gezeigt, daß es sehr klug gewesen ist, daß wir dazu nicht übergingen bei dem späteren starken An— wachsen der Gisenbahnüberschüsse. In derselben Zeit und daneben aber fiel eine höchst ungünstige Situation der Eisenbahnverwalt ung selbst. Denn gerade in diesen ersten Jahren des Jahrzehnts stieg das Verhältniß der Betriebsausgaben zu den Betriebseinnahmen auf 63 oso. Die Einnahmen gingen herunter und die Ausgaben stiegen; ich habe nie recht klar sehen können, aus welchen Gründen.

Meine Herren, ich glaube, in dieser Periode ist ein Fehler doch mehr vermieden worden, als früher, nämlich, daß man nicht ohne Roth auf vorhandene Einnahmen verzichtete, jweitens, daß man nicht ohne Noth ohne die Grundlage dauernder Einnahmen den Ausgabe ˖ Etat so gewaltig steigerte, wie das im Jahrzehnt vorher stattgefunden hat. Wenn trotzzem aber wir gezwungen gewesen sind, in starker Weise auf die Ueberschüsse der Betriebsver⸗ waltung zu greifen, so liegt daz eben an dem Grunde, den ich vorher schon bezeichnet habe, weil das Reich nicht dafür sorgte, daß seine eigenen gestiegenen Ausgaben durch eigene Ginnahmen gedeckt wurden. Wäre das gescheben, so hätten wir nicht in dem Maße auf die Ueber⸗ schüsse der Eisenbabnen greifen müssen. Man kann sagen in diesem Sinne, daß die schwierige Situation, die durch diese Entwickelung in die preußischen Finanzverhbältnisse gekommen ist, allein durch die Eisen⸗ bahnverwaltung hat überwunden werden können.

Aber noch mehr. Ich bestreite mit der größten Entschiedenheit, daß dabei die Einrichtungen und die Verhältnisse unserer Eisenbahnen wesentlichen Schaden gelitten haben. (Na! na! links.) Unsere Eisen⸗ bahn Verwaltung kann sich vergleichen in vollem Maße mit den Gisenbabn⸗Verwaltungen und den Einrichtungen der Eisenbahnen in der ganzen Welt (Sehr richtig! rechts; Widerspruch links) in der ganzen Welt. (Zuruf links: Nicht die Tarife!) Ich glaube nicht,

daß die Tarife unserer Eisenbahn⸗ Verwaltung diesen Vergleich zu scheuen brauchen. Was die Tarife betrifft, so babe ich nicht einmal, sondern jehnmal hervorgeboben: die Tarif⸗ reformen, die vorgeschlagen und nicht durchgeführt sind, sind im wesentlichen gescheitert an wirthschaftlichen Gegen sätzen und nicht an der Finanzlaze. In dem Augenblick, wo die Finanzen sich einigermaßen gebessert haben, haben wir uns nicht ge⸗ scheut, die Kohlen Tarife berabzusetzen um den rechnungsmähßigen Be— trag von 17 Millionen. So wird es auch in Zukunft sein. Ich ver⸗ sichere Sie, selbst wenn wir in den reichlichsten Finanwerhältnissen leben, wenn wir bedeutende Tarifreformen durchführen könnten vom finanziellen Standpunkt aus, so werden die wirthschaftlichen Verhält- nisse auch in Zukunft den von der einen oder anderen Seite ge— wünschten Reformen große Hindernisse bereiten. Das liegt in der Natur der Sache. ö

Ich glaube, unsere Erfahrung hat in dieser Beziehung schon ge⸗ zeigt, daß man doch auch mit solchen sogenannten Tarifreformen auf vielen Gebieten sehr vorsichtig sein muß. Wir bringen sonst Um wälzungen in unsere ganzen industriellen und gewerblichen Verhältnisse, die ihrerseits große Gefahren in sich bergen. Wir begünstigen oft dann den einen und schädigen den andern. Es giebt ja gewisse Tarif⸗ änderungen für bestimmte Gegenstände, die man ohne solche Bedenken durchführen kann und die außerdem auf die Dauer keine Einnabme—⸗ verluste bringen, sondern sie wieder ersetzen. Da wird man in der Zukunft vielleicht auch bereit sein, sich leichter zu entschließen, je weniger man durch eine gedrückte finanzielle Lage in dieser Beziehung gehindert ist.

Meine Herren, das Steckenpferd der Tariftesormen des Perrn Abg. Broemel sind ja die Personaltarife und die Herabsetzung der⸗ selben. Ich habe schon darauf hingewiesen, daß es mir sehr zweifel haft ist, ob selbst in diesem Hause für einen Antrag auf eine wesent liche Herabsetzung der Personaltarife nur eine Mehrheit sich finden wird, und die Staatsregierung wird daher durchaus in der Lage sein, solange mit einer solchen Maßregel zu warten, solange sie nicht einmal weiß, ob sie in dieser Beziehung die Landesverttetung auf ihrer Seite hat. .

Abg. Dr. Ham macher (n.): Nach den Motiven der Verstaat⸗ lichung der Gisenbahnen dachte damals der Staat nicht daran, mit den Cisenbabnen Ueberschüsse für die Staatskasse zu erzielen, aber die Nothwendigkeit zwang den Staat, mehr und mehr auf Ueberschüsse binzuarbeiten. Daß die Eisenbahnen darunter nicht gelitten haben, kann ich dem Minifter nicht zugeben; die Eisenbahnreformen sind durch diese Verquickung des Eisenbahn, Etats mit der allgemeinen Finanzlage zurückgedrängt worden. Die Anregung des Abg. Broemel war also nicht deplaciert. Das Eisenbabngarantiegesetz ist verfeblt, in sofern es materiell nicht nur seinen Zweck nicht erreicht, zur Tilgung der Eisenbahnkapitalschuld zu dienen, sondern auch ein falsches Bild der Bilanz der Eisenbahnverwaltung giebt. Herr von Strom beck will, um eine weitere Anschwellung unserer Schuld zu verhindern, den weiteren Bau von Eisenbahnen Privatgesellschaften unter der Zinsgarantie des Staats Üüberlassen. Dieser Vorschlag widerspricht der tbatfächlichen Entwicklung unseres Eisenbahnwesens und ist unan⸗ nehmbar. Nicht nur die Bahnbofsverhältnisse müssen verbessert werden, sondern' auch andere Eisenbahnanlagen. Aus Sparsamkeit hat man früher, anstatt Ueberbrückungen herzustellen, sich mit Niveau⸗ äübergängen begnügt; diese Sparsamkeit rächt sich jetzt, die Nivegn= übergänge müssen beseitigt werden. Bei eir em unglũcklichen Kriege würden wir uns allerdings in einer schwierigen Lage befinden, wenn der Feind unsere Eisenbahnen orccupiert und wir eine Kriegs. entschädigung zahlen müssen. ÜUnsere jetzige Schuldentilgung genügt nicht, wir haben in zehn Jahren für 120 Millionen Domänen und ferner Eisenbahngrundstücke verkauft, ohne den Erlös zur Schuldentilgung zu verwenden. Das ist eine Verminderung des Stäatsvermögent, die ein Privathaushalter sich nicht gesiatten würde. Wir müssen deshalb die, Schuldentilgung obligatorisch machen.

Darauf wird die Debatte geschlossen und 1 in der Kommissionsfafssung angenommen. .

sz 3 bestimmt, daß die erforderlichen Beträge durch den Etat bereit zu stellen sind unter Einrechnung der für eine planmäßige oder durch bestehende Gesetze anderweit vor⸗ geschriebene Schuldentilgung bestimmten Summen. . Abg. Kir sch (Zentr.) bemängelt, daß hier ein Unterschied zwischen einer planmäßigen und einer anderweltigen gesetzlichen Tilgung ge⸗ macht werde.

Finanz⸗Minister Dr. Miquel:

Ich bedaure, daß ich infolge der herrschenden Unruhe im Hause nicht im stande war, den Herrn Vorredner und seine Zweifel voll⸗ ständig zu verstehen. Wenn ich recht verftanden haben sollte, so findet der Herr Vorredner den Ausdruck planmäßig“ unklar. Wäre das richtig, so glaube ich, eine Unklarheit kann darin nicht liegen; es ist auch der gewöhnliche Ausdruck, der hier stet gebraucht wird. Plan⸗ mäßige Tilgung ist diejenige, wenn man es ins Praktische übersetzen will, welche stattfinden muß nach Maßgabe der Anleihen⸗Bedingungen, und das sind bei uns jetzt zur Zeit etwa noch 8 Millionen jährlich, welche sich aber infolge der schon stattgehabten Tilgung dieser Art von Schulden und der bevorstehenden vollen Tilgung der Staats⸗ schuldscheine im Jahre 1900 auf einen sehr kleinen Betrag reduzieren würden. Gerade hierin liegt auch ein weiteres Moment, eine gesetz · liche Schuldentilgung mit oo als Ersatz in Vorschlag zu bringen.

sz 2 wird angenommen. .

S3 lautete in der Regierungsvorlage— Ergiebt sich nach der Jahresrechnung ein Ueberschuß des Staatshaushalt so ist derselbe zunächst zur Bildung und Erhaltung eines Aut⸗ gleichsfonds in Höhe von 80 Millionen Mark zu verwenden. Der darüber hinausgehende Betrag des Ueberschusses wird zu einer weiteren Tilgung von Staatsschulden bezw. Verrechnung auf bewilligte Anleihen verwendet.

Die Kömmission hat dafür folgende Bestimmung geseßzt Ergiebt sich nach der Jahresrechnung ein Ueberschuß des Staatshaushalts, so ist derselbe im vollen Betrage zur wei⸗ teren Tilgung von Staatsschulden bezw. Verrechnung auf be⸗

willigte Anleihen zu verwenden.

Abg. Freiherr von Zedliß und Neukirch (fr. kons) beantragt, in letzterer Fassung hinter derselbe ! einzuschalten: soweit darüber nicht durch den Staatshaushalts. Etat zur Bildung oder Ergänzung eines Dispositionsfonds für unvorhergesehene Ausgaben der Eisen˖ bahnverwaltung bis zur Höhe von 20 Millionen Mark verfügt ist.

Finanz ⸗Minister Dr. Miquel:

Meine Herren! Ich möchte doch bitten, den Antrag nicht an⸗ zunehmen, wenn nicht vielleicht der Herr von Zedlitz geneigt sein sollte, nach den Erklärungen, die ich gegeben habe, den Antrag zurück zuziehen. Ich halte den Antrag nicht gerade für nachtheilig, wenigstens als er nicht nöthig ist, und infolgedessen vielleicht erst recht Unklarbeit schaffen wird, denn ich bin nie als Jurist der Melnung gewesen, daß der Satz „supertlua non nocent“ richtig wäre. Meine Herren, dieser Fonds von 20 Millionen ist ein etatsmäßiger, er wird nur nicht ausgefüllt, wenn die Mittel nicht da sind. Sind die Mittel