. 2) PVajtpflicht. Die in den besonderen er des Vertrags vorgesebene, in Ermangelung solcher noch den allgemeinen gefetzlichen Vorschriften sich bestimmende Frist für die dem Unternehmer obliegende Haft⸗ m. für die Güte der Leistung beginnt mit dem Jeitpunkt der nahme. Der Einwand nicht rechtzeitiger Anzeige von Mängeln gelieferter Waaren (Art. 347 des ö ist nicht statthaft. ü 21) Sicherheits stellung. Bürge. Bürgen haben na Selbstschuldner in den Vertrag mit einzutreten.
222) Sicherheits stel lung. (Kaution.)
Kautionen können in baarem Gelde, guten Wertbpapieren, Sparkassen büchern oder nach dem Ermessen der Aufsichtsbehörde auch in sicheren — gezogenen — Wechseln bestellt werden.
Geeignet anzusehende Werthpapiere:
I) Die Schuldverschreibungen, welche vom Deutschen Reiche oder von einem deutschen Bundesstaate mit gesetzlicher Ermächtigung ausgestellt sind.
Die Schuldverschreibungen, deren Verzinsung von dem Deutschen Reiche oder von einem deutschen Bundesftaate ge= setzlich gewährleistet ist.
Die Rentenbriefe der zur Vermittelung der Ablösung von Renten in Preußen bestehenden Rentenbanken.
Die , . welche von deutschen kommunalen Korporationen (Probinzen, Kreisen, Gemeinden ꝛc.) oder von deren Kredit⸗-Anstalten ausgestellt und entweder seitens der In= haber fündbar sind, oder einer regelmäßigen Amortisaflon unterliegen.
Die Sparkassenbücher von öffentlichen, obrigkeitlich bestätigten Sparkassen und . Sparkassenbücher von Privatsparkassen, Banken, Kreditgenossen⸗ schaften und sonstigen privaten Anstalten, sofern durch sorg⸗ fältige Prüfung festgestellt ist, daß im Hinblick auf die Höhe des Sicherheitsstellungsbetrages, die Dauer der zu gewähr—⸗ leistenden Verpflichtungen, fowie die finanziellen Grundlagen und organisatorischen Einrichtungen der bezeichneten privaten Anstalten Sparkassenbücher derselben als ausreichende Sicher⸗ heit angesehen werden können.
7) Sichere Hypotheken und Pfandbriefe.
Die Annahme von Wechseln erfolgt nur, wenn die Aufsichts— behörde solche für ganz zweifellos sicher erachtet.
Baar hinterlegte Kautionen werden nicht verzinst. Die Zins scheine von den Werthpapieren werden den Kautionsbestellern nur für die Zeiträume belassen, in welchen die Lieferungen oder Arbeiten muth⸗ maßlich ausgeführt werden, bezw. auch für eine etwaige Haftpflichtzeit. Dagegen sind mit der Kaution zusammen zu deponieren: die in dieser Zeit nicht fällig werdenden Zinsscheine, die zugehörigen Talons bezw. diejen gen Zinsscheine, an deren Inhaber die neue w ausgereicht wird. gin den Umtausch der Anweisungen (Talons), die Einlösung und den
irsatz ausgelooster Werthpapiere, sowie den Ersatz abgelaufener
Wechsel hat der Unternehmer zu sorgen.
Falls der Unternehmer in irgend einer Beziehung seinen Verbind— lichkeiten nicht nachkommt, kann die Behörde zu ihrer Schadloshaltung auf dem einfachsten, gesetzlich zulässigen Wege die hinterlegten Werth⸗ papiere und Wechsel veräußern bezw. einkassieren.
Die Rückgabe der Kaution, soweit dieselbe für Verbindlichkeiten des Unternehmers nicht in Anspruch zu nehmen ist, erfolgt, nachdem der Unternehmer die ihm obliegenden Verpflichtungen vollständig erfüllt hat, und insoweit die Kaution zur Sicherung der Haftverpflich= tung dient, nachdem die Haftzeit abgelaufen ist. In Ermangelung anderweiter Verabredung gilt als bedungen, daß die Kaution in ganzer Höhe zur Deckung der Haftverbindlichkelt einzubehalten ist.
23 Uebertragbarkeit des Vertrages.
Ohne Zustimmung der Aufsichtsbehörde darf der Unternehmer seine bertragsmäßigen Verpflichtungen nicht auf Andere übertragen.
Verfällt der Unternehmer vor Erfüllung des Vertrages in Konkurs, so ist diese Behörde berechtigt, den Vertrag mit dem Tage der Konkurseröffnung aufzuheben. Auch kann die Verwaltung den Vertrag sofort auflösen, wenn das Guthaben des Unternehmers ganz oder theil— weise mit Arrest belegt oder gepfändet wird.
Bezüglich der in diesem Fall zu gewährenden Vergütung sowie der Gewährung von Abschlagszahlungen finden die Bestimmungen in 10 sinngemäße Anwendung.
Für den Fall, daß der Unternehmer mit Tode abgehen sollte, bevor der Vertrag vollständig erfüllt ist, hat die Behörde die Wahl, ob sie das Vertragsverhältniß mit den Erben desselben fortsetzen oder das— selbe als aufgelöst betrachten will.
24) Austrag von Streitigkeiten. Ueber die aus dem Vertrage entspringenden Streitigkeiten ent- scheidet zunächst die Aufsichtsbehörde.
Die Entscheidung dieser Behörde gilt als anerkannt, falls der Unternehmer, welcher bei derselben hierauf ausdrücklich hinzuweifen ist, nicht binnen 4 Wochen vom Tage ihrer Zustellung ab schriftlich Widerspruch erhebt.
Der Streit berechtigt den Unternehmer keinenfalls, die weitere rt seiner Vertragsverbindlichkeiten zu verweigern oder zu ver= zögern.
Wird Widerspruch erhoben, dann entscheiden über die technischen Fragen zwei Sachverständige, ven denen jeder Theil einen zu wählen hat, endgültig. Die Sachverftändigen dürfen weder zu der be— treffenden Behörde, welche den Vertrag abgeschlossen hat, noch zu dem Unternehmer in einem Dienst. bezw. zu letzterem in einem Ver— wandtschaftsverhältniß stehen und kein eigenes Interesse an der Sache haben. Kommt Unternehmer der Aufforderung zur R enennung eines Sachverftändigen nicht binnen einer Woche vom Behändigungstage ab nach, so entscheidet der von der Behörde gewählte Sachverständige allein. Insoweit die beiden Sachverständigen verschiedener Meinung sind, entscheidet das Obergutachten eincs dritten Sachverständigen, um dessen Benennung diejenige für den Sitz der betheiligten Auf⸗ sichtsbehörde zuständige Zivilbehörde ersucht wird, welche in Ausfüh— rung des 8 109 des Unfallversicherungegesetzes im allgemeinen als höhere Verwaltungsbehörde bestimmt ist.
Der Unternehmer hat sich den von den Sachverständigen behufs gehöriger Prüfung getroffenen Anordnungen zu fügen, widrigenfalls die Entscheidung der Aussichtsbehörde sestens des Unternehmers als anerkannt gilt. Der Ausspruch der Sachverständigen wird schriftlich der Behörde übergeben, welche dem Unternehrner eine beglaubigte Ab⸗ schrift zufertigt; er bleibt auch für ein Verfahren vor den Gerichten maßgebend. Die durch, das Sachverständigenverfahren entstehenden Kosten tragen die Parteien nach Verhältniß ihres Untexliegens.
Für alle Rechtsstreitigkeiten aus dem Vertrage sind die Gerichte ausschließlich zuständig, in deren Bezirk die Behörde ihren Sitz hat.
; 26) Kosten und Stempel.
Briefe und Depeschen, welche den Abschluß und die Ausführung des Vertrages betreffen, werden beiderseits frankiert.
Die Portokosten für solche Geld. und sonstige Sendungen, welche n , Interesse des Unternehmers erfolgen, trägt der
etztere.
Die Kosten des Vertragsstempels trägt der Unternehmer nach Maßgabe der gesetzlichen ,,, ö Die übrigen Kosten des Vertragsabschlusses, d. h. der baaren Auslagen, fallen jedem Theil zur Hälfte zur Last.
Best i mm ungen
für die Bewerbung um Leistungen — Arbeiten und Lieferungen — für Garnisonbauten.
I Persönliche Leistungsfähigkeit der Bewerber.
Bei der Vergebung von Leistungen für Garnisonbauten hat niemand Aussicht, als Unternehmer angenommen zu werden, der nicht für die tüchtige, pünktliche und vollständige Ausführung derselben — auch in technischer Hinsicht — die erforderliche Sicherheit bietet.
ch dem Ermessen der Aussichtsbehörde als
2 Gäinslicht und Bezug der Verdingungsanschläge.
Verdingungsanschlãge, Zeichnungen, Bedingungen find an den in der Ausschreibung bezeichneten Stellen einzusehen, Abschriften, Nach⸗ risse werden erforderlichen Falles auf Erfuchen gegen Erstattung der Selbftkosten verabfolgt.
. 3) Form und Inbalt der Angebote.
Die Angebote sind unter Benutzung der etwa vorgeschriebenen Formulare, don den Bewerbern unterschrieben, mit der in der Aug. schreibung geforderten Neberschrift versehen, versiegelt und frankiert bis zu dem angegebenen Termin einzureichen.
Die Angebote müssen enthalten:
a. die ausdrückliche Erklärung, daß der Bewerber sich den Be⸗ dingungen, welche der Ausschreibung zu Grunde gelegt sind, unterwirft;
b. die Angabe der geforderten Preise nach , und zwar sowohl die Angabe der Hreise 9. die Einheiten, als auch der Gesammtforderung; stimmt die Gesammfforderung mit den Einheitspreisen nicht überein, so sollen die letzteren maßgebend sein, wenn Angebote nach Prozenten der Anschlagssumme ver⸗ langt sind, diese Angebote;
die genaue Bezeichnung und Adresse des Bewerbers;
seitens gemeinschaftlich bietender Personen die Erklärung, daß sie sich für das Angebot solidarisch verbindlich machen, und die Bezeichnung eines zur Geschäftsführung und zur Empfang nahme der Zablungen Bevollmächtigten; letzteres Erforderniß gilt auch für die Gebote von Gefelischaften;
nähere Angaben über die Bezeichnung der etwa mit eingereichten Proben. Die Proben selbst müssen ebenfalls vor dem Bie⸗ tungstermin eingesandt und derartig bezeichnet sein, daß sich ohne weiteres erkennen läßt, zu welchem Angebot sie gehören;
. die etwa vorgeschriebenen Angaben über die Bezugsquellen.
Angebote, welche diesen Voꝛschriften nicht entsprechen, insbefondere solche, welche bis zu der festgesetzten Terminsstunde bei der Behörde nicht eingegangen sind, ner bezüglich des Gegenstandes von der Ausschreibung selbst abweichen oder das Gebot an Sonderbedingungen knüpfen, hahen keine Aussicht auf Berücksichtigung.
Es sollen indessen solche Angebote nicht grundsätzlich aus⸗ geschlossen fein, in welchen der Bewerber erklärt, sich nur während einer kürzeren als der in der Ausschreibung angegebenen Zuschlags« frist an sein Angebot gebunden halten zu wollen.
c Wirkung des Angebots.
Die Bewerber bleiben von dem Eintreffen des Angebots bei der ausschreibenden Behörde bis zum Ablauf der festgesetzten Zuschlags⸗ frist bezw. der von ihnen bezeichneten kürzeren Frist (Giffer 3 letzter Absatz) an ihre Angebote gebunden.
ie Bewerber unterwerfen sich mit Abgabe des Angebots in Bezug auf alle für sie daraus entstehenden Verbindlichkeiten der Gerichtsbarkeit des Ortes, an welchem die ausschreibende Behörde ihren Sitz hat. 5) Zulassung zum Eröffnungstermin.
Den Bewerbern und deren Bevollmächtigten fteht der Zutritt zu dem Eröffnungstermin frei. Eine Veröffentlichung der abgegebenen Gebote ist nicht gestattet.
6) Ertheilung des Zuschlags.
Der Zuschlag wird von dem ausschreibenden Beamten oder von der ausschreibenden Behörde oder von einer dieser übergeordneten Behörde entweder im Fröffnungstermin durch von dem gewählten Unternehmer mit zu vollziehende Verhandlung, oder durch besondere schriftliche Benachrichtigung ertheilt.
Letzteren Falls ist derselbe mit bindender Kraft erfolgt, wenn die Benachrichtigung innerhalb der Zuschlagsfrist als Depesche oder Brief dem Telegraphen« oder Postamt zur Beförderung an die in dem Angebot bezeichnete Adresse übergeben worden ist.
Trifft die Benachrichtigung trotz rechtzeitiger Absendung erst nach demjenigen Zeitpunkt bei dem Empfänger ein, für welchen dieser bei ordnungsmäßiger Beförderung den Eingang eines rechtzeitig ab— gesandten Briefes erwarten darf, so ist der Empfänger an sein An- gebot nicht mehr gebunden, falls er ohne Verzug nach dem verspäteten . der Zuschlagserklärung von seinem Rücktritt Nachricht ge⸗ geben hat.
Nachricht an diejenigen Bewerber, welche den Zuschlag nicht er⸗ halten, wird nur dann ertheilt, wenn dieselben bei Einreichung des Angebots unter Beifügung des erforderlichen Briefgeldbetrages einen desfallsigen Wunsch zu erkennen gegeben haben. Proben weiden nur dann zurückgegeben, wenn dies in dem Angebotsschreiben ausdrücklich verlangt wird, und erfolgt alsdann die Rücksendung auf Kosten des be— treffenden Bewerbers. Eine Rückgabe findet im Falle der Annahme des Angebots nicht statt; ebenso kann im Falle der Ablehnung des— selben die Rückgabe insoweit nicht verlangt werden, als die Proben bei den Prüfungen verbraucht sind.
Eingereichte Entwürfe werden auf Verlangen zurückgegeben.
Den Empfang des Zuschlagschreibens hat der Unternehmer um— gehend schriftlich zu bestätigen.
7) Vertragsabschluß.
Der Bewerber, welcher den Zuschlag erhält, ist verpflichtet, auf Erfordern über den durch die Ertheilung des Zuschlags zu ftande gekommenen Vertrag eine schriftliche Urkunde zu vollziehen, welche jedoch nur die Bedeutung eines Beweismittels hat, sodaß von ihrer Errichtung der Beginn der Rechte und Pflichten aus dem Vertrage nicht bedingt wird. . .
Sofern die Unterschrift des Bewerbers der Behörde nicht be⸗ , ist, bleibt vorbehalten, eine Beglaubigung derselben zu ver— angen.
Die der Ausschreibung zu Grunde liegenden Verdingungsanschläge und Zeichnungen, welche bereits durch das Angebot anerkannt sind, hat der Bewerber bei Abschluß des Vertrages mit zu unterzeichnen.
8) K (Kaution).
Wenn nichts Anderes durch die Ausschreibung bestimmt ist, bestellt der Unternehmer innerhalb 8 Tagen nach der Ertheilung des Zu— schlages die vorgeschriebene Kaution, widrigenfalls die Behörde be⸗ fugt ist, von dem Vertrage zurückzutreten und Schadenersatz zu
beanspruchen. ; 9) Kosten der Ausschreibung. ü Zu den durch die Ausschreibung selbst entstehenden Kosten trägt der Unternehmer nicht bei.
Berlin, den 8. Januar 1897. Intendantur des Garde-Korps. Ruser.
Deutscher Reichstag.
154. Sitzung vom 16. Januar 1897, 1 Uhr.
Zur Berathung steht zunächst der am 7. Dezember 1895 eingebrachte Antrag des Abg. Lenzmann (fr. Volksp.): „Die verbündeten Regierungen zu y baldigst einen Gesetzentwurf vorzulegen, wodurch die Aufnahme und Unterbringung von Patienten in Heilanstalten für Geifteskranke reichsgesetzlich geregelt wird.“ .
Abg. Lenzmann (fr. Volksp.): Der Antrag hatte seine unmittel- bare Veranlassung in dem Alexianer⸗ Prozeß, in welchem ich als Vertheidiger mitwirkte. Ich werde jedoch weder bei dieser Gelegen— heit den Prozeß breittreten, noch eine Kulturkampfrede halten, denn mein Antrag braucht sich auf Einzelfälle überhaupt nicht zu stützen; das Bedürfniß, an diesem wichtigen Punkte die Mer in nalreform endlich einmal anzugreifen, steht fest. Die Kompetenz des Reichs ist nach Art. 4 der Reichs verfassung ebenfalls zweifellos. In den Einzel- staaten ist die Materie nur in Sachsen⸗Weimar befriedigend ge⸗ ordnet; daneben ist eine gleichfalls vorzügliche Verordnung in Württemberg 1394 ergangen. Ueberall sonft im Deutschen Reiche hat man sich mit gelegentlichen Verwaltungsverordnungen begnügt.
Ein stabiler Zuftand kann, nur Lurch ein einheitliches Gef fe, ge,, d, ee, ,, e ne, , . 22 — laß des Alexianer⸗Prozesses erlastene ausführliche Verordnung bereitz wieder zu ändern sich veranlaßt 65 ehen: ein Beweis, wi mißlich es um solche Verordnungen ellt ist. Zur Zeit besieht die Möglichkeit, geistig völlig Gesunde . in Irren bãusern fei. zuhalten. Was in Rußland durch Verbannung nach Sibirien, in Frankreich früber durch die lettres de cachet erreicht wurde, dag kann man in Deutschland dadurch erreichen, daß man den unbequemen Personen die Pforten der Irrenhäuser öffnet, die sich viel schwerer öffnen, wenn es sich darum handelt, die Eingesperrten wieder herauz. zugeben. In meiner Praxis gerade auf diesem Gebiete habe ich tot meiner anfänglichen Skepsis doch zu der Ueberzengung gelangen müssen, daß die Opfer schlechter Einrichtungen der menschlichen Ge. sellschaft in großer Anzahl in den JIrrenhäufern festgehalten werden, ohne daß an ihrem gesunden Geisteszustand zu zweifeln wäre. In vielen Fällen entscheidet hier leider gar nicht die hvgienisqhe sychiatrie, sondern allein die polizeiliche Zweckmãßigkeit, welche eute, die wiederholt wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt oder wegen mehrfacher Zechprellereien und dergleichen bestraft sind, als geisteskrank in die Irrenhäuser abschiebt. Eine neuen. dings erschienene Broschüre stellt sehr anschaulich die kraffesten Fälle zusammen, in welchen geistig normale Personen, die Anderen unbequem geworden waren, in die Irrenhäuser gebracht wurden und sich erft nach jahrelangen Anstrengungen befreien konnten. Solcher Fälle sind ass eine Menge vorgekommen und sie kommen noch läglich vor. Mein Antrag hat seine Bedeutung in sich. Die Frage muß wegen ihrer großen Bedeutung auch von der Volksvertrefung gründlich erörtert werden, dazu fordert schon die entsetzlich hobe Zahl der in den öffentlichen und privaten Anstalten für, Geisteskranke untergebrachten Personen heraus, die von Jahr zu Jahr weiter wächst. Es handest sich in erster Linie um den Schutz der Kranken, aber auch um den Schutz der Gesunden. Der Staat ist berechtigt, durch Maßregeln die Besammtheit gegen die Gefahren zu schützen, welche fie durch Irre bedrohen, aber er hat diese Maßregeln mit allen denkbaren Garantien zu umgeben. Das Römische Recht ist in diesem Puntki viel humaner ge— wesen als das Deutsche Recht im christlichen Mittelalter, welches den Wahnsinn als Teufelswerk und die Irrsinnigen als Höllen⸗ söhne betrachtete. Die mittelalterlichen, rohen Anschauungen, daß die Geisteskranken nicht sowohl Kranke als vielmehr Verbrecher seien, spuken allerdings noch heute in manchen Köpfen. Das Schlimme ist, daß um den Irren sich heute zwei Instanzen streiten: die Juristen und die Irrenärzte, und daß darüber der Irre oft um sein ganzes Recht gebracht wird. Daß übrigens die Irrenärzte selbst garnicht selten in Wahnsinn fallen und vielfach in diesem Zuftand weiter amtlich thätig sind, bis der Wahnsinn un jweideutig zum Ausbruch kommt, also das ell Unheil anrichten konnte, läßt sich auch mit Beispielen belegen. Eigenthümlicher Weise hat auch der Kongreß der Irrenärzte gegen jedes Verlangen in der Richtung meines Antrags protestiert; er sieht den gegenwärtigen Zustand als vorzüglich an und verlangt nur für die Irrenärzte noch mehr Vertrauen, und das in einer Zen, wo die Gerichtsprozeduren dieser Art 6j zu häufen begonnen haben. Eine der größten Kapazitäten der Pfychiatrie fällt über die Fälle
Forbes, Feldmann und einen dritten Fall ganz dasselbe absprechende
Urtheil wie ich selbst. Der auf jenem Kongreß zutage getretene Un— fehlbarkeitsglauben hat also gar keine Grundlage. Die Schwierigkeiten der reichsgesetzlichen Regelung sind vorhanden, aber sie sind nicht unüberwind⸗ bar. Vor allem müssen die Bedingungen für die Konzefsionierung der . die schärfsten sein; es müßte ihnen unter allen Um— tänden die Einsetzung eines obersten ärztlichen Leiters vorgeschrieben werden. Jedem Internierten, gleichviel ob bereits entmündigt oder nicht, müßte sofort ein Kurator bestellt werden, mit dem er frei ver— kehren kann. Die Aufnahme in die Anstalt muß an größere Kautelen als jetzt gebunden werden; es darf nicht mehr das Zeugniß eines
Arztes — und wäre es auch ein Kreisphysikuß — und nicht mehr
das polizeiliche Attest genügen. Ein Kollegium aus Aerzten, Juristen und Lalen müßte über die Aufnahme befinden. In Frank— reich wird das Unterschlagen eines Briefes an einen Irren mit entehrender Gefängnißstrafe belegt. Die Irren müssen in der Lage sein, sich mit ihren Angehörigen und Berathern allein, ohne Aufsicht des Irrenarztes besprechen zu können. Rur auf diese Weise wird es den zu Unrecht Eingesperrten möglich werden, ihre Befreiung zu betreiben, und das ist für jetzt das Dringendfte. Kommt keine Vorlage, dann werden wir selbst mit einem durch— gearbeiteten Entwurf im nächsten Frübjahr aufwarten und immer wieder damit kommen, bis der Baum fällt; wir werden nicht ruhen und nicht rasten, bis dieser erste winzige Schritt erfolgt ist. Ich appelliere an daz Herz und das Gerechtigkeitsgefühl des Reichstages im Namen der Aermsten der Armen, der Geisteskranken.
Von dem Abg. Dr. Kruse (nl) ist inzwischen folgender Abänderungs antrag zu dem Antrag Lenzmann einge— bracht worden:
Die verbündeten Regierungen zu ersuchen, baldigst einen Gesetz⸗ entwurf vorzulegen, der Grundsätze feststellt, wodurch die Auf nahme, die Aufenthaltsverhältnisse und die Entlassung von Geistes— kranken in, resp. aus den Anstalten reichsgesetzlich geregelt werden.“
Abg. Jacobskötter (d. kons.) unterstützt lebhaft den Wunsch des Antragstellers, daß, dem Antrage entsprechend, baldigst diese Materie reichsgeietzlich geordnet werde. Wie dringend das Be— dürfniß sei, habe sich aus dem der Petitionskommission vor— liegenden Material ergeben. Seine Partei werde daher dem Antrage Lenzmann, lieber aber dem Antrag Kruse, der eingehender und weiter—
gehend sei, zustimmen. Wenigstens werde auf diefein Wege ein An—
fang zum Besseren gemacht werden. . Abg. Dr. Kru se: Herr Lenzmann hat selbst zugegeben, daß eine große Anzahl von den von ihm verwertheten Fällen zweifelhaft ist. Er wirft den Aerzten vor, daß sie sich für unfehlbar halten, er hat sich jedoch selbst heute als nicht weniger unfehlbar hier hingestellt. edenfall ist es in keinem der von ihm angeführten Fälle mit Sicherheit nachzuweisen, daß zivilrechtlich eine Freiheitsberaubung stattgefunden hat. Auf solches Material hin sollte man doch nicht einem ganzen hoch— angesehenen Stande ein solches Zeugniß ausstellen und so Uebles nach⸗ reden. Ich empfehle deshalb dem Reichstage, an Stelle des Lem mann'schen meinen Antrag anzunehmen, den ich für besser halte. Abg. Stadthagen (Soj.): Heute wird eine große Anzahl von Leuten mit oder ohne Requisition der Polizei rechtswidrig in den Irrenanstalten zurückgehalten. Am liebsten erhielten die Aerzte den bestehenden Zustand aufrecht und entschieden über die Aufnahme don Irren allein. Auch die sog. Kleptomanie und der beliebte Ver— solgungswahnsinn muß herhalten, um gegebenenfalls unbequeme Leute ins Irrenhaus zu bringen. Wie ungeheuerlich die Leistungen mancher Aerzte auf diesem Gebiete sind, beweist die Amtsentsetzung eines Berliner Geisllichen, der auf ein paar von ihm gebrauchte Ausdrücke hin von dem gerichtlichen Physikus als mit beginnendem Querulanten· wahnsinn behaftet bezeichnet wurde. Hierher gehört auch das Ver⸗ fahren der Polizei und der Charité gegen die sozialdemokcatische Näberin Fräulein Wabnitz. Wie Herr Kruse dazu kommt, gegenüber diesen That— sachen zu behaupten, daß kein Fall widerrechtlicher Freibeitsberaubung nachgewiesen sei, ist mir nicht erfindlich. Der in Preußen bestehende Zustand, wonach jeder auf Antrag zweier Aerzte oder auf, er if, der Polizei dauernd ins Irrenhaus gesperrt werden kann, ist zweifellos rechtswidrig; an diesem Zustande hat auch die Verordnung von 1835 garnichts geändert. Es sind Ueberwachungskommissionen, bestehend aus Aerzten und Laien, für jede Irrenanstalt einzusetzen und der Ber— kehr mit der Außenwelt frei zu geben. . ; Abg. Schmidt⸗Warburg hen r): Meine Partei steht auf
dem Standpunkt, daß der Antrag Kruse den Vorzug verdient; er
ist einerseits ausgedehnter, andererseits eingeschränkter, indem er nur die Grundsätze reichsgesetzlich regeln, die Ausführungsbestimmungen aber der Landesgesetzgebung überlassen will. Die Frage hängt eng mit der ,,. zusammen, über welche das Nöthige . Bürgerlichen Gesetzbuch vorgesehen ist, wie ja auch a Verfahren durch die , , geordnet wird. Die Klagen über das Irrenwesen und feine Behandlung sind in den
Jahren überall in der Oeffentlichkeit und auch in den Parla⸗ ke . 1 geworden. kann keinem Zweifel unterliegen, daß Leute men verrt worden ö. auf ärztliche oder polizeiliche Veranlaffung, — Cinsperrung sich nachher als ungerecht erwies. Daß die ärzt⸗ sichen Yrofessoren sich thatsächlich für so ziemlich unfehlbar halten, fi cbenfo sicher, wie daß sie e nicht sind. In Tieser Beyiehung u mir namentlich die Ausführungen des Abg. Stadthagen sehr Gerit gens werth erschienen. Man sollte vor Gericht mehr. Zeugen vernehmen, dann würden weniger Verstöße dieser Art vorlommen. Sebr interessant wäre es, wenn auch die Regierung eine Aeußerung Fäle. Die kleines gegen uns gerichtete Spiße hätte Herr Lenzmann kei einem Hinweise auf den Ulexianerprozeß und das Mittelalter
lieber unterlassen sollen. Fast jede Stadt Belgiens hatte schon im Mittelalter ihre eigene Irrenanstalt. Malen Sie uns also das Mittelalter nicht gar * schwarz. Ich empfehle die Annahme des Antrages in der Fassung des Abg. Kruse.
Staatssekretär des Innern, Staats-Minister Dr. von Boetticher: .
Melne Perren! Ich hatte nicht die Absicht, mich an der gegen— wärtigen Debatte zu betheiligen, aus sehr naheliegenden Gründen; aber da der Herr Vorredner den besonderen Wunsch ausgesprochen hat, auch vom Regierungstisch etwas über den vorliegenden Antrag zu hören, so beeile ich mich, diesem Wunsche nachzukommen. Die verbündeten Re gierungen baben bisber keinen Anlaß gehabt, sich mit der vorliegenden Materie zu beschäftigen. Es ist von keiner Seite im Bundesrath eine Antegung gegeben, daß von Reichswegen gesetzliche Bestimmungen über die Sicherstellung derjenigen Personen, die in Irrenheilanstalten aufgenommen werden sollen, zu erlassen. Dagegen haben die ja fort gesetzt bervorgetretenen Klagen darüber, daß das Verfahren über die Aufnahme ron Geisteskranken in Heilanstalten nicht überall in dem Sinne geregelt sei, daß eine ausreichende Sicherheit gegen die Auf⸗ nahme nicht geisteskranker Personen in solche Anstalten bestehe, dahin geführt, daß in den einzelnen Staaten die Vorschriften, die in dieser Beziebung gelten, einer Revision unterzogen sind, und gerade in neuerer Zeit ist in den größeren Bundesstaaten in dieser Beziehung doch recht viel gescheben. In Preußen hat ein Ministerial⸗Runderlaß vom 19. Auguft 1895 das Verfahren über den Bau und die Einrichtung der Irrenanstalten geregelt; ein zweiter Ministerial Erlaß vom 25. September 1895 trifft Bestimmungen über das Verfahren bei Auf—⸗ nahme und Entlassung von Geisteskranken in und aus den Privat— anstalten; ein weiterer Erlaß vom 24. April 1896 beschäftigt sich mit derselben Materie. In Bayern ist ebenfalls neuerdings unter dem . Januar 1895 ein Erlaß ergangen, welcher sich auf die Aufnahme in Irrenanstalten und auf die Entlassung aus solchen bezieht. In Sachsen ist die Materie durch eine Ministerial ⸗Verordnung vom 30. Mai 1894 geordnet. In Württemberg — und diese Verordnung hat, glaube ich, der Herr Abg. Lenzmann bereits angezogen — ist unter dem 5. November 1894 durch eine Ministerial⸗
verfügung und durch eine zweite Verfügung, die am 7. November
1894 erlassen ist, Vorsorge getroffen worden. Außerdem hat Hessen unterm 3. Oktober 1895 sich ebenfalls der Materie angenommen.
Meine Herren, ob die Vorschriften, die in diesen Verordnungen erlaffen find, ausreichen, um das Maß von Sicherheit zu geben, das wir alle auf diesem Gebiete wünschen, kann ich im Augenblick nicht prüfen. Ich kann nur sagen nach der Einsicht dieser verschiedenen Erlasse, daß das Bestreben dahin gegangen ist, eine größerr Sicherheit der in die Anstalten aufzunehmenden Per- sonen dadurch zu schaffen, daß man sich nicht damit begnügt hat, auf Grrnd der Gutachten, die von Privatärzten erstattet sind, die Aufnahme zuzulassen, sondern daß man in jedem Falle vorgeschrieben hat, daß beamtete Aerzte, welche also eine größere Gewähr vermöge ihrer reicheren Erfahrungen, vermöge der Thatsache, daß sie eben als beamtete Aerzte angestellt sind, bieten, die Gutachten, die der Auf⸗ nahme vorausgehen müssen, zu erstatten haben.
Welches das Schicksal des Antrags des Herrn Abg. Lenzmann beim Bundetrath sein wird, wenn er von diesem hohen Hause an— genommen werden sollte, vermag ich nicht zu sagen.
Ich kann mir wohl denken, daß in einzelnen Bundesstaaten die An— schauung, daß nach den erlassenen Landesverordnungen und Ministerial⸗ verfügungen das Maß von Sicherheit, das wir verlangen, bereits ge⸗ geben ist, dazu führen wird, sich gegen den Plan, ein Reichsgesetz zu
erlaffen, zu eiklären, den Antrag also abzulehnen. Meinerseits bin ich
geneigt, zu befürworten, daß, sofern durch diese Landesverordnungen
eine ausreichende Sicherheit nicht gegeben sein sollte, dann der Weg
der Reichsgesetzgebung beschritten werden möge. Denn, meine Herren, ich für meine Person bin gar nicht im Zweifel darüber, daß auf dem Gebiete des Irrenwesens manches gesündigt ist, und daß es gut ist, wenn man die bessernde Hand an mangelhafte Rechtszustände, wie solche auf diesem Gebiete noch bestehen, legt. (Bravo)
Abg. Dr. Förster (Reform⸗P.): Es ist zweifellos, daß die Zu⸗ stände in den Irrenanstalten vielfach allem spotten, was man sonst unter dem Begriff der Menschlichkeit versteht. Da muß Remedur geschaffen werden. Heute werden viele Leute, entweder weil sie politisch oder weil fie ihren Verwandten oder einem Ehegatten unbequem sind, auf die leichteste Weise für immer hinter Schloß und Riegel gebracht. Hinter den Mauern der Irrenhäuser verbirgt sich nicht bloß eine Menge von Irrsinn und Irtthum, sondern auch bon Schurkerei. Vergegenwärtigt man sich, wie ein Psychiater das Zeuguiß des anderen beurtheilt resp. verurtheilt, so muß man fragen; Wem soll künftig das Urtheil über die Irrsinnigen überlassen werden? Deute müssen sich die Juristen ja mit dem üÜrtheil des Arztes be— ghügen; das geht nicht länger an. Es muß ein Kollegium vorhanden sein, in welchem auch das Laienelement vertreten ist, und s müssen Zeugen geladen werden. Ist nicht die Gefahr vorhanden, daß der gesund ins Irrenbaus Gebrachte dort thatsäch, lich jeine Zurechnungsfäbigkeit Cinbüßt und wirklich verrückt wird? Fin besonderer Stein des Anstoßes sind in dieser Beziehung die Priva; Irrenanstalten, welche bloß? Srwerhzanstalten sind. Eg. Graf von Bernstorff (Roy.): Auf dem Gebiete des öffent⸗ lichen Irrenwesens ist doch in letzten Zeit viel geschehen; das Zwange⸗ Fstem ist abgeschafft und das System der offenen Thür eingeführt.
rößere Garantien hätten wir ju wünschen auf dem Gebiete des ntmündigungsverfahreng, und wir hoffen, daß diese noch vor 1900 geben werden, um dann gleichzeitig mit dem Bürgerlichen Gesetz= uch in Kraft treten zu können. Aber auch dem Antrage Lenzmann⸗ ö use stimmen wir zu und geben der Faffung Kruse den Vorzug. Wir stten daher den Abg. Lenzmann, seinen Antrag zurückzuziehen, damit eute ein einstimmiger Beschluß zu stande kommt.
Damit schließt die Erörterung. Im Schlußwort weist 9 Abg. Lenzmann den Vorwurf zurück, als habe er gegen den Lerztestand allgemeine Vorwürfe und Angriffe erhoben. Er habe hichts dagegen, ob der Äntra seinen Namen trage oder den des
ba. rufe und ziehe seine Fassung zurück. de Abg. Dr. Krufe hält n perfönlicher Bemerkung gegen den Abg. inmänn aufrecht, daß die Behauptung, es würden unzählige Gefunde n Irtenanstalien zuräckgehalten, eine Beleidigung des Aerztestandes
Darauf wird der Antrag Kruse einstimmig angenommen.
Es folgen Berichte der Petitionskommission. Die Peti⸗
tionen wegen Aenderung der Sonntagzruhe⸗Bestimmungen für Zigarren⸗ und Tabadhandungen, für Konditoreien und Barbiere, werden, soweit sie eine Aenderung des Geseßes be⸗= 6 durch Uebergang zur Tagesordnung erledigt, soweit ie dagegen Aenderungen der Ausführungsbestimmungen ver⸗ langen, dem Reichskanzler als Material für die Landesbehörden überwiesen.
Bezüglich der Petitionen wegen Aenderung des Post⸗ Zeitungstarifs wird beschlossen, dieselben dem Reichskanzler als Material zu überweisen, nachdem ein Vertreter des Reichs⸗ Postamts erklärt hat, daß Unterhandlungen mit den bethei⸗ ligten Ressorts: mit der preußischen Regierung, mit Bayern und Württemberg, bereits eingeleitet seien, sodaß zu hoffen sei, daß dem Reichatage bald eine Vorlage zugehen werde.
Die Petition der Stauer und Schauerleute, betreffend Anerkennung als gewerbliche Arbeiler im Sinne des Titels VI der Gewerbeordnung, wird durch Uebergang zur Tagesordnung erledigt.
Schluß 5 Uhr. L Uhr. (Zweite Berathung des Etats: eichs - Schatzamt, Reichsamt des Innern.)
2
Nächste Sitzung Monta Reichs⸗Justizamt,
Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.
19. Sitzung vom 16. Januar 1897.
An Stelle des erkrankten Präsidenten von Köller führt der Vize⸗Präsident Freiherr von Heereman den Vorsitz.
Auf der Tagesordnung steht die dritte Berathung des , betreffend das Diensteinkommen der Lehrer und Lehrerinnen an den öffentlichen Volksschulen.
Ueber den Beginn der Debatte ist vorgestern berichtet worden.
Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten D. Dr. Bosse:
Meine Herren! Nicht bloß die politischen Freunde des Herrn Abg. von Tzschoppe, sondern, wie ich glaube, alle Parteien des hohen Hauses sind darin einig, daß die jetzige Ordnung des Reliktenwesens für die Lehrer nicht ausreichend ist. Damit stimmt auch die Re⸗ gierung vollkommen überein, und es sind bereits bei uns Vorberei⸗ tnugen getroffen, um das jetzige Lehrerwittwenkassenwesen auf eine andere Grundlage zu stellen. Ich kann also hier erklären, daß es uns dringend am Herzen liegt, das Reliktenwesen der Lehrer entsprechend zu ordnen, und ich hoffe, daß wir auch diese Sache endlich zu einer glücklichen Lösung bringen werden.
Ebenso stimme ich mit dem Herrn Abg. von Tischoppe voll⸗ kommen darin überein, daß wir auch für die Geistlichen werden etwas thun müssen. Ich bin in dieser Beziehung bereits mit der Finanz—⸗ verwaltung ins Benehmen getreten, und ich hoffe, daß, wenn sich die diesjährigen Etatsverhandlungen in Bezug auf die Beamten erst ein mal erledigt haben werden, wir darin schon einen ganz unvermeid⸗ lichen Antrieb haben werden, auch für die Geistlichen etwas zu thun. (Bravo!)
Abg. Knörcke (fr. Volksp. . Wir halten nach wie vor daran fest, daß durch dieses Gesetz den Lehrern keineswegs das gewährt wird, was ihnen gewährt werden sollte nach der Wichtigkeit ihrer Berufs stellung; wir halten daran fest, daß dieses Gesetz geeignet ist, die schwersten Bedenken in manchen Punkten zu erregen. Namentlich sind wir der Meinung, daß die größeren Städte geschädigt werden, so daß wir nur mit Selbstüberwindung für das Gesetz stimmen können. Aber wir erkennen einen dankenswerthen Fortschritt der materiellen Lage der Lehrer in der Vorlage; die gesetzliche Festlegung ist so bedeutsam, daß wir dem Gesetze unsere Zustimmung geben werden. Wir werden nach wie vor bestrebt sein, eine weitere Besserung der Lehrergehälter zu erwirken.
Abg. Dr. Dziorobek erklärt sich namens der Polen ebenfalls für das Gesetz, hat aber Bedenken wegen der Verfassung.
Damit schließt die Generaldebatte. Vize⸗Präsident Frei⸗ herr von Heereman schlägt vor, über die Frage der Ver⸗ n, , n,. der Vorlage erst nach Schluß der Spezial⸗
erathung der dritten Lesung sich schlüssig zu machen. Damit ist das Haus einverstanden.
Bei 3 2 macht . ,
Abg. Pr. Porsch Bedenken geltend gegen die Bestimmung, daß für die Rektoren und die Hauptlehrer an mehrklassigen Mittelschulen ein höheres Grundgehalt festgesetzt werden solle, und will diese Be⸗ stimmung streichen, weil auch die Lehrer an einklassigen Schulen ein höheres Grundgehalt verdienen. Dafür sei die allgemeine Fassung des 5 , daß ein entsprechendes Grundgehalt gewährt werden solle, ausreichend. . .
Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten D. Dr. Bosse:
Meine Herren! Ich möchte doch bitten, es unter allen Umständen bei der Fassung Ihrer Kommission und der zweiten Lesung zu belassen. Es würde in Lehrerkreisen und namentlich bei den Rektoren die denk bar schwerste Beunruhigung hervorrufen, wenn man diesen Absatz streichen würde; man würde trotz aller Versicherung doch auf den Gedanken kommen, daß dahinter die Tendenz läge, für die Rektoren das ihnen zugedachte, etwas erhöhte, nach der Amtsstellung bemessene Einkommen wieder zu beseitigen. Ich bitte Sie dringend, es so zu belassen, wie es jetzt ist. Die Fassung beruht auf einer Vereinbarung mit der vorjährigen Kommission, da wir ja ursprünglich eine besondere Zulage für die Rektoren in Aussicht genommen hatten. Ich möchte Sie also bitten, es hierbei zu belassen und den im Falle der Streichung unvermeidlichen Besorgnissen der Rektoren keine Nahrung zu geben.
2 wird unverändert angenommen. .
Im 57 wird der auf Antrag des Abg. Rickert an⸗ genommene Zusatz, wonach dem Lehrer schriftlich die Gründe für die Verweigerung der Alterszulagen angegeben werden ujen gegen die Stimmen der Konservativen aufrecht erhalten.
Zu §10 wird ein . Lohmann angenommen, der den Lehrern die Anrechnung ihrer Dienstzeit sichert, die sie an den Präparanden⸗Anstalten zugebracht haben, welche vertrags⸗ mäßig die Vorbereitung von Zöglingen für die staatlichen Lehrer⸗Bildungsanstalten übernommen haben.
Nach s 11 soll für die Lehrer, welche erst nach Inkraft⸗ treten des Gesetzes in den öffentlichen Volksschuldienst ein⸗ treten, die vorausgegangene Dienstzeit nur berechnet werden, wenn ein Beitrag von 337 6 (für Lehrerinnen 154 (6) jährlich an i ö in Berlin an die Stadt⸗
ulkasse gezahlt wird. h .. gin der Abgg. Dr. Irmer (kons.) und Dr. Qpfer⸗ gelt will diese Anrechnung bis zum ch maß von 10 Jahren ulassen und die re,, auf 270 bezw. 129 4 ermäßigen. ußerdem soll die Stadt Berlin berechtigt sein, auf diese Zahlungen zu verzichten. Der Antrag wird nach kurzer Debatte angenommen.
Nach 5 16 erhalten die unverheiratheten Lehrer ohne eigenen Hausstand in der Regel eine um ein Drittel geringere Miethsentschãdigung.
Abg. Rickert erklärt sich gegen diese Vorschrift, die eine Aus- nahmebestimmung schaffe. Wenn man sie annehme, müsse man auch für die Beamten, für die Minifter, wenn sie unverheirathet sind, ein niedrigeres Gehalt festsetzen. Ist ein Hausstand vorhanden, wenn der Lehrer eine Verwandte oder Wirthschafterin hat?
Ministerial⸗Direktor Dr. Kũgler: Die Ausnahme ist zu Gunsten der Lehrer geschaffen. Die Beamten erhalten Wohnungsgeldzuschuß und müssen oft noch Geld zulegen, um eine Wohnung zu bekommen. Die Lehrer aber sollen volle Miethsentschädigung bekommen, also müssen die Lehrer ohne eigenen Hausstand anders behandelt werden als die verheiratheten. Haben die Lehrer eine Verwandte oder Wirthschafterin bei sich, so haben sie einen Hausstand.
Abg. Dr. Irmer (kons.) schließt sich diesen Ausführungen an.
Abg. Rickert bleibt dabei, daß hier eine Benachtheiligung der unverheiratheten Lehrer vorliege.
Sz 16 wird unverändert genehmigt.
Bei 5 27 wendet sich
Abg. Dr. Sattler nochmals gegen die Benachtheiligung der großen Städte; wenn die Vertreter derselben, führt Redner aus, trotzdem für das Gesetz stimmen, so liegt darin ein Akt der Ueber windung im Interesse der Lehrer., Ein Unrecht bleibt aber die Benach- theiligung der großen Städte. Dafür spricht auch der Umstand, daß andere Gründe für die Haltung des Hauses angeführt werden, nament- lich daß meine wilde Rede im rorigen Jahre die Mehrheit des Hauses beeinflußt habe; igt macht man die Haltung der Ver treter der großen Städte geltend. Die Bürgermeister aber sind nicht die einzigen Vertreter der Städte; die Abgeordneten der Städte haben sich niemals geweigert, an dieser Vor— lage mitzuarbeiten. Die Regierung zeigte ein Eatgegen⸗ kommen für die Städte. Auf den Standpuntt meines Ankrages konnte sie sich allerdings nicht stellen. Ich hoffte aber, daß die Mehrheit des Hauses selbst ein Einsehen haben und zur Gerechtigkeit zurückkehren würde, weil sie schon ich vorigen Jahre ihr Bedauern über die Nothwendigkeit des Beschlusses aussprach, da kein Geld vorhanden sei. Aber trotz der besseren Finanzen will man den Städten die ihnen gesetzlich zugewendeten Gelder wegnehmen. Herr von Heydebrand stellte mit taktischer Geschicklichkeit die Interessen der Lehrer denen der Städte gegenüber. Aber wir sind keine Taktiker, sondern harmlose Leute und finden es unbillig und hart, wenn man uns die Zuschüsse nimmt, auf die wir Ansprüche haben. Die Städte haben auf diese i ü. hin die Schulgelder aufgehoben und brauchen die Zuschüsse daher dringend. Aber Herr von Heydebrand war kein großer Mann, sondern nur ein Taktiker.
Abg. Dr. von Heydebrand und der Lasa (kons): Daß der Vorredner durch seine Rede nichts besser macht, diese Empfindung habe ich im vorigen Jahre gehabt und habe sie auch jetzt. Er 1 uns zu Unrecht den Vorwurf, daß wir nach persönlichen und nicht nach sachlichen Momenten entscheiden. Wenn, der Vorredner und seine Freunde wirklich harmlose Leute wären, hätten sie besser gethan, nicht die Ruhe des Hauses durch solche Reden zu stören. Schweigen wäre das bessere Theil gewesen, und das hat Herr Sattler noch nicht gelernt.
Abg. Lr. Dittrich (Zentr.): Ich bin für die Vorlage gewesen, die den Städten die Zuschüsse entzieht, weil ich die Gesetzgebung von 1888 als verfassungswidrig ansehe.
Abg. Ehlers (fr. Vgg.): Die Entziehung der Zuschũsse bleibt ein Unrecht, und wenn wir uns das gefallen lassen müssen, dann kann man uns doch nicht zumuthen, daß wir die Ruhe des Hauses nicht stören sollen. Was würden die Agrarier zu einer solchen Zumuthung sagen! Die Vertreter der Städte stimmen für die Vorlage, aber den bitteren Eindruck des Unrechts wird nie⸗ mand verwischen können. Ich wollte, die Städte hätten heute noch den Einfluß zur Zeit der Hansa. Um die Reichsidee würde es schlecht
estanden . wenn es nicht eine Zeit gegeben hätte, wo die Err. den Gedanken des Reiches vertraten. Die Städte sind bahn ⸗ brechend gewesen auf dem Gebiete des Schulwesens; soll man sie dafür strafen? Die neue Regelung ist eine ganz mechanische Sache, die Beschränkung auf die 25 Stellen und die 2b. Das ist kein Rechtsboden. Dieser Rechtsboden wäre auch verlassen worden, wenn die Städte nur auf das beschränkt würden, was sie haben, und es würde doch die Ungerechtigkeit vermieden werden.
Abg. Dr. von Heyde brand und der Lasa (kon) weist den Gegensaz von Stadt und Land zurück; die große Zahl der kleineren und mittleren Städte gewinne Lurch dieses Gesetz, und nur die ganz großen und überwiegend wohlhabenden Städte verlören etwas.
Abg. Dr. Sattler nl.) . Ich habe dem Vorredner nur auf die persönlichen Angriffe geantwortet, die er im vorigen Jahre gegen mich erhoben hat. Der konservativen Partei habe ich unsachliche Motive nicht vorgeworfen, das habe ich auch im vorigen Jahre nicht gethan. Es giebt viele kleine Orte, die wohlhabend sind und keine Steuern erheben, während die großen Städte oft wenig leistungs fãhig sind. Auch unter den Landgemeinden und sonstigen Unterhaltungspflichtigen sind wohlhabende Personen, welche keine Zuschüsse brauchen. Wir brauchen die Rathschläge nicht, wann wir reden oder schweigen sollen.
§z 2 wird genehmigt.
u § 28 beantragt Abg. von Tepper-Las ki (fr. kons.) eine Verbesserung seines in zweiter Lesung eingebrachten An⸗ trages, der dahin geht, den Lehrern die Möglichkeit zu geben, bei der bisherigen Ordnung ihrer Gehälter zu bleiben.
Der Antragsteller führt aus, daß nach seinem Antrage die Lehrer nur das erhalten, was sie jetzt beziehen, und nicht etwa dazu noch das, was das Gesetz ihnen gewährt.
Geheimer Ober⸗Finanz-⸗Rath Dr. Germar schließt sich diesen Ausführungen an.
Abg. Dr. Lieber (entr.) beantragt, diesen Punkt zur nochmaligen Berathung an die Kommission zurückzuverweisen.
Minister der geistlichen 2ꝛc. Angelegenheiten D. Dr. Bosse:
Meine Herren! Ich kann nur die Erklärung abgeben, daß ich annehme: wenn ein Lehrer erklärt, er wolle dem Gesetz sich nicht unterwerfen, so erhält er das Einkommen, wie er es bis jetzt gehabt hat. Wir dürfen und müssen es vermeiden, Bestimmungen zu treffen, die bei der Ausführung des Gesetzes dahin führen könnten, daß die Lehrer sagen: wir unterwerfen uns dem Gesetz nicht, und daß sie sich dann nachher besser stehen als die Lehrer, die dem Gesetz sich unter⸗ werfen. Das möchte ich unter allen Umständen vermieden wissen. Das kann auch nicht die Absicht des Gesetzes sein, sonst wäre es geradezu widersinnig.
Ich halte den Antrag des Abg. von Tepper - Laski in Ueberein stimmung mit den Ausführungen des Herrn Kommissarius der Finanz⸗ verwaltung für ganz unabhängig von dieser Frage. Ich halte ihn für nützlich, weil er den Gemeinden etwas mehr zuweist, als die Re⸗ gierungsvorlage. Die Regierungsporlage hatte nur den Durchschnitt der Alterszulage angenommen, dagegen nach diesem Antrage wird nenhi der wirklich vorliegende Bedarf gewährt.
Also vom Standpunkt der Kultusverwaltung steht nicht das Ge⸗ ringste entgegen, dem Antrag von Tepper⸗Laski zuzustimmen.
Auf eine Anfrage des Abg. Han sen (fr. kons.) erklärt der Geheime Aber Regierungs Rath von Bremen, daß die nordschleswigschen Betriebsschulfonds unverändert bestehen bleiben. .
Abg. Latacz (Zentr.) erklärt sich gegen, Abg. Dr. Irmer (kons. für den Antrag von Tepper ˖Laski.