1897 / 23 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 27 Jan 1897 18:00:01 GMT) scan diff

bei welchem die Cinheit Deutschlands und das Anseben, dessen es sich überall erfreut, Güter, welche in erster Reihe dem scherhause zu danken sind, in erhebender Weise zum Ausdruck kamen. Sodann handelte Redner von dem Kunstunterricht vor der Begründung von Kunst . Akademien. ;

Im griechischen Alterthum erlernte der Kunstjünger seine Kunst in der Regel in der Werkstatt eines Meisters, doch gab es schon im 4. Jahrhundert v. Chr. auch einen mehr n. Unterricht in der von Eupompos begründeten, von Pamphilos zur Blüthe gebrachten Malerschule zu Silvon. .

Die Natur galt dem Griechen als Hauptlehrmeisterin. Tiefe Kenntniß des menschlichen Körpers liegt den Werken aus der Zeit des Phidias, des Skopas und Praxiteles zu Grunde; sie zeugen davon, daß die Phantasie der Künstler von den schönsten Naturgebilden erfüllt war. Ein bedeutendes Studienmaterial lag in den so be liebten gymnastischen Uebungen. In der späteren griechischen Kunst bat das anatomische Wissen und Können noch bedeutende Fortschritte gemacht, doch drängt sich bier und da das Aufzeigen der in staunens⸗ werther Weise überwundenen anatomischen Schwierigkeiten etwas vor.

Im frühen Mittelalter wurde in den Ländern nördlich von den Alven die Kunst großentheils von Geistlichen und Mönchen betrieben. In den Kirchen- und Klosterschulen wurde die Natur nicht studiert, vielmehr galten ältere christliche Werke als Vorbilder,

Seit dem Emporkommen der Städte und des Bürgerthums wird der Kunstunterricht Werkstattunterricht. Bedeutende Fortschritte werden in der Wiedergabe der Natur gemacht, aber auch die Schwächen der handwerksmäßigen Erziehung treten bervor. Es fehlt ihr jede theoretische Grundlage, was Dürer lebhaft beklagt. .

In Italien scheint die Kunst und somit auch der Kunstunterricht nie in dem Maße in die Hände der Geistlichen und Mönche üer gegangen zu sein, wie in den nördlichen Ländern, jedoch hat auch hier Jahrhunderte hindurch das unmittelbare Studium der Natur geruht. Erst in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts treten ausgesprochene Künstlercharaktere auf. Niccolo Pisano studiert die Antike und die Natur und wird der Begründer der Rengissance vor der Renaissance. Giotto's Genie bricht der künstlerischen Eigenart die Bahn. Seine direkten und indirekten Schüler aber gerathen, allerdings mit rübmenswerthen Ausnahmen, in zu große Abhängigkeit von seiner Kunstweise. Dazu trug die lange Lehrzeit bei ö Meister sowie die herrschende usfaffang, von der Nothwendigkeit, Werke berühmter Künstler nach⸗ uahmen, bei. b, im 15. Jahrhundert kommt wieder ein hingebendes Studium der Natur auf. Alberti und Lionardo preisen dasselbe und warnen vor dem Nachahmen bereits geschaffener Kunstwerke. . .

Der Unterricht war auch in der Renaissancezeit wesentlich J aber die begabten Schüler wachsen zu besonderen Künstlerpersönlichkeiten empor. .

. . in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts das Studium der Antike die Formensprache der Architektur umgewandelt, machte es sich auch in der Skulptur und Malerei schon damals be— merkbar, so bewies die Antike auf den letzteren Gebieten doch erst am Ende des 15. und am Anfange des 16. Jahrhunderts ihre volle stil. wandelnde Macht. . . J

Bezeichnend für den Kunstunterricht in der Renaissancezeit ist es, daß auch die Wissenschaft an demselben ihr gutes Theil hat, wie es denn auch Lionardo in seinem Malerbuch fordert. .

Die allmählich so vielseitig gewordenen Anforderungen an die Künstlererziehung lassen die letztere auf den akademischen Unterricht zustreben. Um 1494 entsteht die Lionardo da Vinci- Akademie in Mailand. In Rom und in Florenz treten im 16. Jahrhundert Akademien ins Leben. .

Die erste Maler⸗Akademie, deren Unterrichtsplan wir kennen, ist die von den Caracei in Bologna gegen Ende des 186. Jahrhunderts begründete Kunstschule. Hier wurde dem Pseudo- Idealismus der Manieristen, der oberflächlichen Nachahmer des Michel Angelo, der Krieg erklärt und ein gründliches Naturstudium sowie das Eindringen in den Geist der großen Meister angestrebt. Leider n, man sich zu sehr an diese Meister an, was den Bolognesen den Namen der Fklektiker eintrug und die Eigenart der italienischen Kunst des 17. Jahr—⸗ hunderts beeinträchtigte. . .

Die Geschichte der späteren Akademien, wie sie, nach dem Vor—

ange Frankreichs unter Ludwig TIV., in den meisten Ländern als ffn liche Anstalten ins Leben traten, wurde, als außerhalb des Rahmens des Bortrags liegend, nur kurz gestreift. Sie haben mancher Orten erst den Sinn für die Kunst, geweckt, ja eine Kunst entstehen lassen. Sie haben die künstlerische Tradition aufrecht er⸗ halten, aber allerdings auch wiederholt durch übertriebene Reglemen⸗ tierung der Eigenart der Kunst Abbruch gethan. .

Nach den in unserem Jahrhundert vorgenommenen Umgestal, tungen baut sich gegenwärtig der akademische Unterricht wobl überall auf dem gründlichen Raturstudium auf; er strebt danach, den werden⸗ den Künstler mit den großen Leistungen der Vergangenheit vertraut zu machen; dem Schüler wird aber auch Gelegenheit geboten, seine Phantasie zu bethätigen; zu selbständigem Schaffen leitet ihn der an den Akademien üblich gewordene Atelier ⸗Unterricht beim selbstgewählten Meister hinüber. . ö

Die Akademie der Künste, so schloß der Redner, ist sich stets des Segens bewußt, welcher ihr, sowie den idealen Gütern, die sie zu pflegen berufen ist, daraus erwächst, daß unser Kaiser von Liebe zur Kunst erfüllt ist und die hohe Bedeutung, welche dieser Blüthe der Gesittung für das Wobl des Vaterlandes innewohnt, voll zu würdigen weiß. ;

Heute, an dem Geburtstage unseres Erlauchten Protektors,

edenken wir besonders lebhaft dieses Kunstsinnes; sind es doch Seine eburtstage; an denen der Kaiser immer aufs neue der Skulptur die Aufgabe stellt, bedeutende Werke des Alterthums im Geiste jener Zeit zu ergänzen; war es doch an Seinem Geburtstage, daß unser Kaiser die Kunst mit der Darstellung Seiner ruhmreichen Vorfahren und der hervorragendsten Männer ihrer Regierungszeit betraute: ein wahrhaft Kaiserliches Geschenk an die Stadt, an die Nation.

Aus vieler Millionen Herzen steigen am beutigen Tage warme Segenswünsche für unseren Kaiser empor. Vereinigen wir uns im Gefühle der Verehrung und Liebe zu dem Rufe:

Seine Hire f an der Kaiser und König Wilhelm II. lebe hoch!

Innere Anschauung und bildliches Denken.“ k . gehalten am 2. Januar 1897 in der Aula der Königlichen Technischen Hochschule, von dem ö Rektor, Geheimen Regierungs⸗Rath Professor Dr. Hauck. Hochgeehrte Festversammlung!

In freudiger Erhebung und el n linter Hingebung schlagen, heute, am Geburtsfest! Seiner Majestät des Kaisers und Königs unsere dankbaren Herzen dem in Ehrfurcht geliebten Herrscher jubelnd entgegen. J.

. thront nicht in steiler Höh' unnahbar unserem Fühlen und Denken. Er hascht auch nicht nach dem . Flitter eitler Volks- gunst. Aber Er lebt im Herzen Seines Volkes als die Verkörperung des unbeugsamen Pflichtgefühls, das Sein rastloses Sorgen und Schaffen für das Wohl des geliebten Vaterlandes beseelt.

Von dem tiefen sittlichen Ernst, womit Er Seinen Herrscher⸗

beruf auffaßt, zeugt ein Wort, das Er einst zu Seinen Brandenburgern äußerte: Wer jemals einsam auf hoher See, auf der Schiff sbrücke stebend, nur Gottes Sternenhimmel über sich, Einkehr in sich selbst gehalten bal, der wird den. Werth einer solchen Fahrt nicht verkennen. Manchem von Meinen Landsleuten möchte Ich wünschen, solche Stunden zu erleben, in denen der Mensch sich Rechenschaft ablegen kann über das, was er erstrebt und was er l tft hat.

Da kann man geheilt werden von Selbstüberschätzungen, und das thut Uns allen noth.“

nikers von grundlegender Bedeutung

Entsprechend diesem Mahnwort pflegen wir an unserer Hoch⸗ chule gerade das Geburtsfest unseres Hohen Herrn als einen solchen ag zu feiern, an dem wir uns frei machen von dem . getriebe der Berufgtbätigkett und in gehobener Feststimmung den Blick auf das große Ganze richten, um in ernfter Selbstprüfung uns Rechen⸗ schaft zu geben über die Beziehungen der persönlichen Arbeit zu den

allgemeinen Fragen und Bestrebungen, die uns bewegen. So sei es mir heute vergönnt, über ein Thema zu Ihnen zu sprechen, das für das Verftänduiß der iti 8, . des Tech ist, nämlich über Innere

Anschauung und bildliches Denken“.

Es kann nicht meine Absicht sein, die sich hierauf beziehenden . auch nur einigermaßen erschöpfend zu behandeln. Ich kann

ie nur bitten, mich auf dem Wege von Betrachtungen zu begleiten, die den Zweck haben, zu weiterem Nachdenken über die eigenartigen Beziehungen unseres Seelenlebens anzuregen. . .

Freilich hat man bei solchen Verfuchen immer mit der Schwier ig; keit zu rechnen, daß jeder sein eigenes liebes Ich zum Maßstab nimmt und überzeugt ist, seine Art zu denken sei die richtige und einzig mögliche.

ol reinsten und am wenigsten beeinflußt durch andere Ein⸗ wirkungen scheint mir die Bethätigung des Anschauungsbermögens beim bildenden Künstler, und speziell beim Maler vor sich zu gehen. Es sei mir daher gestattet, zuerst diesen allein ins Auge zu fafsen und dann erst von dem hierdurch gewonnenen Standpunkt aus die Formen des Denkens bei anderen Berufsarten zu beleuchten,

Betrachten wir zunächst die Zeichendersuche eines Kindes! Ver— langen wir von einem Kinde, es solle einen Tisch oder ein Haus zeichnen, so werden wir stets Bilder erhalten, die den Typus von einfachen geometrischen Aufrissen zeigen. Die Erklärung bierfür dũrfte nicht schwer sein: Es fällt dem Kinde garnicht ein, einen im Zimmer stehenden Tisch als Modell zu benutzen, um dieses in der äußeren Erscheinung, wie es sich seinem Auge darbietet, Linie für Linie abzukopieren. Es zeichnet vielmehr unmittelbar aus seiner inne ren Anschauung heraus und gestaltet demgemäß das Bild in einer Form, wie sie seinem inneren Bewußtsein von der wahren Gestalt des Tisches entspricht. ;

Ganz Aehnliches können wir auch beim Künstler beobachten.

Schiller führt bekanntlich die Kunst auf den Spieltrieb zurück. Das Spiel aber erscheint beim Kinde in seiner reinsten, unbefangensten Form. Die Phantasie, durch deren Vermittlung im Spiel wie in der Kunst der schöne Schein an Stelle der Wirklichkeit gesetzt wird, bethätigt sich beim Kinde weit kräftiger als beim Manne. Daher wird das Gebahren des spielenden Kindes im künstlerischen Schaffen stets seinen Wiederschein finden. ö ;

Die wichtigste Rolle spielt dabei die innere Anschauung. Nur erstreckt sich . beim Künstler außer auf die wahre Form der Ob— jekte auch auf die Erscheinungsform. Der Künstler beobachtet die Natur mit aufmerksamem, liebendem Auge und hat sich dadurch einen Schatz von Erscheinungseindrücken und Erfahrungen gesammelt, die er als Erinnerungsbilder in seiner Seele verwahrt, und die er jeden Augenblick wieder zu lebendigen Vorstellungen wachzurufen vermag. Diese Erinnerungsbilder sind es in erster Linie, die sein Bewußtsein beeinflussen.

l hat sich bei den Bildern unseres Adolf Menzel, der be— kanntlich stark kurzsichtig ist, was bei seiner Farbengebung deutlich zu Tage tritt, schon aufgehalten über die peinliche Wiedergabe von Kleinigkeiten, wie Knöpfen, Schnallen. Ordenszeichen an den Uniformen u. s. w. Man sagte, bei seiner Kurzsichtigkeit könne er diese von dem angenommenen Standpunkt aus garnicht so genau sehen, wie er sie eichne. ; n Mir scheint sich dies einfach dadurch zu erklären, daß er die Knöpfe so zeichnet, wie sie in seiner inneren Anschauung vorhanden sind, und diese stebt unter dem gemeinsamen Einfluß des ihm in Fleisch und Blut übergegangenen Bewußtseins von der Unerbittlich⸗ keit der ordonnanzmäßigen Kleiderordnung, sowie der Erinnerungs- bilder, die er von den einzelnen Details in seinem Innern verwahrt.

Von wie durchschlagender Bedeutung für den Kuͤnstler ein scharfes Beobachten und das lebendige Festhalten von treuen Erinnerungs⸗ bildern in der inneren Anschauung ist, zeigt sich am augenfälligsten bei der Darstellung von Bewegungen. Es ist noch nicht allzulange her, daß uns die Momentphotographie mit Augenblicksbildern von galoppierenden Pferden überraschte. Da hörte man denn allgemein den Alarmruf, die Künstler hätten bisher den Pferdegalopy ganz fals ch dargestellt, sie haften falsch gesehen. Bald sah man auch in illustrierten Zeit schriften und selbst in Gemälde ⸗Ausstellungen Bilder von Rossen mit jenen unglaublich verzwickten, betrunkenen Beinstellungen, wie sie die neue momentphotographische Lehre vorschrieb. Es ist injwischen wieder Ruhe eingetreten, man ist wieder zur alten Darstellungsweise zurückgekehrt, die Künstler haben Recht bebalten. .

Tritt man der Streitfrage näher, so möchte man zunächst sagen: Der Künstler wird allerdings nicht jede von den verschiedenen momentanen Beinstellungen brauchen können, sondern er wird sich unter diesen die charakteristischste auswählen; es wird also die künstlerische Darstellung doch wenigstens mit einem einzigen aus einer ganzen Serie von Augenblicksbildern übereinstimmen müssen.

Dies ist aber nicht der Fall. Und das erklärt sich so: die Be⸗ wegung jedes Beines ist eine periodische, pendelartige. Bei jeder solchen Bewegung findet, wie beim Pendel selbst, ein größter Ausschlag statt, bei welchem eine Umkehr und demgemäß eine vorübergehende

emmung eintritt. Dieser Moment ist der einzige, der vom Auge aufgefaßt werden, und von dem also ein Erinnerungs— bild entstehen kann; in jedem anderen Moment ist die Geschwindig⸗ keit zu groß, als daß das Auge einen Eindruck empfangen könnte. Nun treten aber beim galoppierenden Pferde diese Momente der größten Ausschläge für die beiden Vorderbeine und für die beiden Hinterbeine nicht gleichzeitig ein, sodaß eine Augenblicksphotograpbie niemals beide zugleich entbalten kann. Trotzdem sind es nur diese zwei Momente, die sich dem Auge des Künstlers einprägen und sich in seiner inneren Anschauung zu einem einheitlichen Erinnerungsbilde zusammensetzen. 3 .

Wenden wir uns weiter zur Betrachtung der Farbengebung, Hier seben wir uns zur Zeit gewissen Strömungen gegenüber, die sich! noch austoben und abklären müssen, über deren Wesen und Ziel aber, sofern wir von Ausschreitungen absehen, doch kein Zweifel ob walten kann. . . ö

Die unter der Bezeichnung Freilichtmalerei und Impressionis⸗ mus“ bekannte Bewegung entstand zunächst aus der Erkenntniß, daß man der Natur durch liebevolles Studium der Luft, und Licht stimmungen im freien Sonnenlicht viel intimere Reize ablauschen könne, als sie bisher wahrgenommen wurden. Man setzte sich ins Freie unter den Sonnenschirm, um das kurze Spiel der Beleuchtungẽ⸗ erscheinungen in einer Sitzung direkt in die Leinwand einzufangen. So entftanden jene in Licht getauchten Bilder mit dem einschmeicheln⸗ den Zauber des durch die . zitternden goldigen Sonnenlichts, mit den über alle Formen gehauchten duftigen Tönen, mit dem über jede 33 gegossenen schattenaufzebrenden Reflexlicht. .

Wenn sich auch manche bis zur Rohheit gesteigerte Ausschreitun gen im Gefolge dieser Richtung zeigten, so ist doch anzuerkennen, daß sie zu einer Schärfung und Vertiefung des künstlerischen Blicks und zu einer wesentlichen Verfeinerung der Naturauffassung führte, die in der Landschaftsmalerei ihre schönen Früchte gezeitigt hat. .

Zu einer Vervollkommnung der Gedächtnißkraft und des inneren Anschauungs vermögens hat sie weniger beigetragen. Und darin liegt ihre Schwäche und Einseitigkeit. J .

Wir können nicht leugnen, daß wir die beständige Lichtschwelgerei allmählich über bekamen. Es muß von Zeit zu Zeit ein Gewitter sturm durch die Lüfte sausen, um uns für die Schönheit des ruhigen Sonnenlichts wieder neu / ju machen. Und bei einem solchen nehmen wir auf einmal wahr, daß uns die Natur im Kampfe jwischen Licht und Luft viel großartigere Reize enthüllt als in der Ruhe. Diese r blieb der Freilicht ˖ malerei verschlossen. Mitten im Toben aufgeregten Elemente oder draußen am Gefstade des sturmgepeitschten Meeres vor den sich thürmenden und aufschäumend überstürzenden Wogen die

Staffelei unter dem Son r ist ei , ö ,

Die hier zur ung auch nicht direkt auf die 8 aufgefangen werden. Sie sind einem zu raschen Wechsel des wogenden Formen und Farbenspels unterworfen. Sie können vom Künstler nur in der inneren An schauung aufgefaßt, als Erinnerungsbilder lebendig festgehalten und von hier auß . im objektiven Bilde niedergeschlagen werden.

Diese Art des künstlerischen Schaffens möchte man wohl als Impressionismus im eigentlichen Sinne des Wortes bezeichnen. Sein unbestritten größter Meister ist zur Zeit Arnold Böcklin. Ihn bat man noch nie unter dem Sonnenschirm malen sehen.

Wohl aber streift er Tage lang mit dem Rucksack auf dem Rücken durch Gottes freie Natur, um dann plötzlich nach Hause zu eilen, sich an die Staffelei zu 33 und die Geheimnisse, die er draußen erspäht und in innerer Anschauung treu bewahrt hat, in packender realistischer Wahrheit auf die Leinwand zu zaubern.

Bei dieser Art des künstlerischen Schaffens ist aber weiter noch auf einen wichtigen Umstand hinzuweisen, der die Gestaltung des schließlichen objektiven Bildes in bedeutsamer Weise beeinflußt. Er führt uns auf den Begriff der Stimmung. Das schließliche Bild deckt sich keineswegs genau mit dem ursprünglichen direkten An schauungsbild. Sondern es haben sich sowohl beim Uebergang des letzteren in die innere Anschauung, als bei der Uebertragung von da auf die Leinwand nicht unerhebliche Abweichungen ergeben.

Die Empfindung des Künstlers wird durch eine bestimmte Natur⸗ erscheinung in besonderer Weise angeregt, und ihre Nachbildung soll beim Beschauer dieselbe Gefühlserregung, dieselbe Stimmung hervor⸗ rufen. Schon beim Auffassen des Erscheinungsbildes in der inneren Anschauung des Künstlers werden unbewußt die Hauptfaktoren des spezifischen Stimmungswerths sich stärker einprägen, während das Neben⸗ sächliche und Gleichgültige zurücktritt oder sich ganz verwischt. Derselbe

Vorgang der Hervorhebung des Bedeutungsvollen und der Zurückdrängung

oder Ausscheidung des Nebensächlichen wiederholt sich dann nochmals, und zwar jetzt in mehr oder minder bewußter Absicht, bei der Ueber⸗ tragung des inneren Anschauungsbildes auf die Leinwand. .

Auf diese Weise vermag es der Künstler, sein Bild mit seiner Seelenstimmung zu durchgeistigen und auf den Beschauer die näm- liche Empfindung zu übertragen. So entsteht ein stimmungs⸗ volles Gemälde. .

Dies ist der Sinn des bekannten Ausspruchs von Zola: Ein Kunstwerk ist ein Stück Natur, angeschaut und wiedergegeben durch ein Temperament“).

Es ist höchst interessant, in den Bildern bedeutender Künstler ich nenne als naheliegendes Beispiel: Lenbach diesen potenzierten Ausdruck des Charakteristischen und die Zurückdrängung des Gleich- gültigen zu beobachten. . . . . .

Haben wir uns seither stets auf die Abbildung eines in Wirklich- keit vorhandenen Naturobj ktes beschränkt, so ist der weitere Schritt zur Betrachtung des freien künstlerischen Schaffens nunmehr leicht.

Der Künstler hat in seiner Seele als Niederschlag seines fort⸗ gesetzten Naturbeobachteng und seines inneren Geisteslebens, das er damtt befruchtet, einen Schatz von Erinnerungsbildern aufgespeichert, die er jederzeit wieder zu lebendiger innerer Anschauung wach · rufen kann, sei es als Ganzes, sei es in Bruchstücken. Er kann Einzelbestandtheile derselben mit andern verknüpfen, wenn nöthig unter Modifikation der einen jzu Gunsten der andern, und kann durch solches Scheiden und Verbinden unter dem bestimmenden Einfluß seelischer Regungen neue Bilder in seiner inneren Vorstellung erzeugen. Dieses K das den Künstler befähigt, aus sich selbst heraus eine Welt zu gestalten, nennen wir Phantasie. Ueberträgt er ein solches von seiner Phantasie ge⸗ schaffenes inneres Anschauungsbild auf die Leinwand, so haben wir ein Phantasiegemälde. . .

Es können Anregungen der mannigfachsten Art sein, welche die Auslösung der Erinnerungsbilder und die wechselseitige Verknüpfung der ausgelösten Vorstellungen zu neuen Bildern in der Phantasie des Künstlers bewirken, sinnliche Eindrücke, Gefühlseinflüsse oder Ge⸗ dankenanregungen. Die Sinneseindrücke sind keineswegs auf solche des Gesichtssinns beschränkt. Auch durch das Gehör vermittelte Empfin⸗ dungen können die Aus lösung von bildlichen Vorstellungen veranlassen und ein inneres Anschauungsbild erzeugen, dessen Stimmunggehalt gleichartig und gleichwerthig mik der durch den Gehörseindruck erzeugten Stim- mung ist. In dieser Beziehung haben wir gerade aus jüngster Zeit interessante Beispiele zu verzeichnen. Es genüge, an die Zeichnungen von Max Klinger zu Brahm's Symphonie, dann aus der vorjährigen Jubiläums- Ausstellung an Dubufe's Engelgruß n und Makowsky's Leichenzug“, oder aus allerjüngster Zeit an Melchior Lechter's Bilder zu erinnern. . .

Gehen wir weiter zu dem Fall, daß Gedankenanregungen die künstlerische Phantasie in Thätigkeit setzen! Die Ge dan ken⸗ malerei mit ihren Allegorisierungen und Symbolisierungen hat schon sehr verschiedene Beurtheilungen gefunden. Um über ihre Be⸗ rechtigung Klarheit zu gewinnen, scheint es mir nöthig, die zwei Fälle auseinanderzuhalten: 1) ob ein abstrakter Gedanke fertig vorliegt und nun nachträglich in das Leihhauskostüm allegorischer Personifika. tionen künstlich eingekleidet wird, oder ob 2) der Gedanke bereits in der inneren An Une durch Kombination bildlicher Vor⸗ stellungen zu stande kam, sodaß die Entstehung des Gedankens und seine Verbildlichung einen gemeinsamen Akt der Phantasiethätigkeit bildete. Nur in diesem letzteren Fall bat das Bild als Schöpfung der Phantasie Anspruch auf die Bezeichnung Kunstwerk, und nur in diesem Fall wird es auch wieder die Phantasie des Beschauers anregen und seinen Gedankeninhalt auf jeden übertragen, der es mit empfäng⸗ lichem Gemüthe auf sich wirken läßt. .

Wenn dies an einem Beispiel erläutert werden soll, so drängt sich uns ganz von selbst das isnt allegorische Bild Seiner Majestat des Kaisers auf: Niemand zu Liebe, Niemand zu Leide'. Ganz ab⸗ gesehen davon, daß gerade am beutigen Tage alle unsere Gedanken sich im Blicke auf Ihn vereinigen, wüßte ich überhaupt kein be⸗ zeichnenderes Beispiel zum Verständniß der Sache aufzufinden als eben das genannte. . . .

Den Gedanken, den das Gemälde verbildlicht, hat Seine Majestät bereits ein halbes Jahr vor der Veröffentlichung des Bildes in seiner Rexe bei dem Festbankett (am 10. Mai 1896 in Frank⸗ furt . M. ausgesprochen mit den Worten: „Und Jo hoffe Ich, . ein jeder von Ihnen auch mit Mir darin übereinstimmen wird, da es unsere Pflicht ist, unser Volk in Waffen hoch zu halten, zu achten und zu ehren, .. . . daß auch wie bisher der deutsche Michael, in goldener Wehr strablend, vor dem Thore des Friedengtempels der Welt stehend, dafür sorgen wird, daß niemals böse Geister im stande sein werden, den Frieden unseres Landes ungerächt zu stören.

Das ist nicht etwa ein abstrakter Gedanke, desfen Wortaus druck nur durch einige. bildliche Redewendungen geschmückt ist. Sondern der ganze Gedanke ist als Bild konzipiert. Noch ehe ihn der Kaiser in Worte faßte, stand die bildliche Vorstellung lebendig vor Seiner inneren Anschauung. Der nachträgliche Entwurf der Tuschtzeichnung bestand lediglich in einer Umsetzung des inneren Anschauungẽebildes in die reale Wirklichkeit .

Daß unser Kaiser mit einem stark entwickelten Vorstellungs ver mögen und mit einem kräftigen und umfassenden Gedãchtniß zur treuen Festhaltung von Erinnerungsbildern begabt ist, wissen wir. Grinnern wir uns z. B. Seiner bekannten Tuschleichnung Kampf der Panzer. schiffe! Dieselbe gehört zu der Klasse derjenigen Bilder, die wir vorhin als impresstonistisch im eigentlichen Sinne des Wortes be= zeichnet haben. Das Bild konnte nicht eiwa als Plain -gir Studie direkt von der Natur abkoviert werden, son dern stellt eine Wiedergabe der Erinnerungsbilder von Augenblickseindrücken vor, die in der inneren Anschauung festgehalten waren.

(Schluß in der Zweiten Beilage.)

M 23.

(Schluß aus der Erfsten Beilage.)

Ein lebendiges inneres Vorstellungsvermögen giebt sich in der Regel durch eine anschauliche Sprache zu erkennen. Die Worte, welche Anschauungen jum bezeichnenden Ausdruck bringen, lösen auch in der Vorstellungskraft des Hörers entsprechende Anschauungsbilder aus, wie wir dies z. B. bei unserem Altmeister Goethe in unüber⸗ troffener Weise bewahrheitet finden. Auch bei unserem Kaiser trifft das Merkmal zu. Wie oft haben wir nicht den Genuß gebabt, in Seinen Gelegenheitsreden Seine Kunst des anschaulichen Schilderns und die plastische Gestaltungskraft Seiner Worte zu bewundern! Er

liebt nicht dialektische Künste. Seine Rede blendet nicht. Aber sie

fesselt. Sie wirkt eindringend und nachhaltig. Denn fie hinterläßt Anschauungen.

Von dem gewonnenen Standpunkt aus därfte nunmehr das Ver⸗ ständniß für den psychologischen Vorgang, den ich als „Denken in Bildern“ oder bildliches Denken“ bezeichnet, nicht mehr schwer fallen.

Wir haben im Vorangehenden unsere Betrachtungen vorwiegend auf die Seelenthätigkeit des Künstlers bezogen. Aber auch bei uns andern Menschen trifft Aehnliches zu.

Durch die äußeren Sinneseindrücke werden in unserem Bewußt sein Vorstellungen erzeugt, die irn Gedächtni festgehalten und wobl geordnet aufgespeichert werden, sodaß jede nach Bedarf sofort hervor⸗ geholt werden kann. Die Denkthätigkeit besteht nun darin, daß die ursprünglichen Vorftellungen in ihre Elemente zerlegt, und diese in der mannigfaltigsten Weise mit einander und mit frisch hinzutretenden zu neuen Borstellungsreihen verkettet werden.

Die Vorstellungselemente sind verschiedener Natur. Die ur— vrünglichsten sind die von den Sinneseindrücken herrührenden. Von diesen sind die Geschmacks., Geruchs- und Gefühlsvorftellungen von untergeordneter Bedeutung; die Gehörsvorstellungen treten meist nur für bestimmte Zwecke, wie bei musikalischer aktiver oder passiver Thätigkeit in Funktion. Für das Denken im praktischen Leben und für das wissenschaftliche Denken kommen hauptsächlich die Gesichtsvorstellungen oder Bild vorstellungen in Betracht. Hierzu gesellen sich dann noch die durch die Scheidung der gemeinsamen Merkmale der ursprünglichen Vorstellungen entstehenden Begriffs—⸗ vorstellungen und durch weitere Abstraktion dieser die Wort— vorstellun gen. In der Form von Wortvorstellungen werden namentlich auch die Früchte der Gedankenarbeit anderer Individuen unserem Vorstellungsschatz? einverleibt. Durch sie haben wir die Möglichkeit, das eigene Vorstellungsgetriebe mit dem unserer Mit— , in Beziehung zu setzen.

Je nachdem nun beim Denken diese verschiedenen Arten von Vorstellungselementen zur Verwendung kommen, können wir zwei verschiedene Arten des Denkens unterscheiden:

1 Das bildliche Denken, welches ausschließlich mit Bild—⸗ dorstellungen operiert, ) das abstrakte Denken, welches Begriffs⸗ und Wortvorstellungen verwendet.

Das bildliche Denken besteht darin, daß ganz ebenso, wie wir es oben bei der Phantasiethätigkeit des Känstlers beobachtet haben, die aus dem Gedächtniß ausgelösten Vorstellungsbilder vor unserer inneren Anschauung vorüberziehen. Um eine besondere Benennung für diesen Denkvorgang zu haben, möchte ich das bildliche Denken wohl auch als „Sinnen“ bezeichnen, in Erinnerung an die Dichter—⸗ worte: Und mit sinnendem Haupt saß der Kaiser da“.

Das abstrakte Denken ist dasjenige, was gewöhnlich als logisches oder spekulatives Denken bezeichnet wird.

Ich erinnere mich einer hübschen Anekdote, in welcher beide Denk— formen in scharfen Gegensatz zu einander treten: Ein junger Bauers mann stand am Vorabend seiner Hochzeit an einen Baum gelehnt aaf der Höhe und blickte in tiefes Sinnen versunken auf die vom Golde der untergehenden Sonne bestrahlte Hätte, die sein künftiges Glück bergen sollte. Da nahte sich der Schulmeister des Dörfchens und redete ihn an: Sagt mir nur, was denket Ihr eigentlich? Ich? ich denke garnichts. Aber etwas müßt Ihr doch denken! Wenn Ihr so dumm seid und etwas denken müßt, ich hab's nicht

nöthig. . * allgemeinen komm en nun aber die zwei Arten des Denkens nie oder nur selten getrennt zur Anwendung, fondern sie treten in die mannigfaltigste Werhselwirkung und Verbindung mit einander. Zwar wird der einzelne je nach Veranlagung und Erziehung die eine beson⸗ ders bevorzugen; er kann aber die andere nicht entbehren. Beide sind leich nothwendig, denn sie ergänzen sich. Jede für sich hat ihre Vorzüge und ihre Nachtheile.

Die Vorzüge des bildlichen Denkens liegen vor allem in der Weite und in der Uebersichtlichkeit des Vorstellungskreises, den es zu beherrschen vermag. Ein sogenannter weiter oder hoher Gedankenflug ist nur dem bildlichen Denken möglich. Das „visionäre Denken des Genies, des Erfinders ist im wesentlichen immer ein bildliches, wenn es auch der Mithilfe des abftrakten Denkens nicht entbehren kann.

hängt dies zum theil damit zusammen, daß die Bilder vorstellungen sich beim Denken unmittelbarer zur Auslösung heran. drängen, als dies bei den Begriffs! und Wortvorstellungen der Fall ift. Ich erinnere daran, wie z. B. unser Personengedächtniß in der Vergegenwärtigung von Physiognomien ungleich gewandter ist, als in der von Namen. Wie ost geschieht es nicht, daß uns ein Name oder ein Wert, wie wir sagen, auf der Zunge liegt, daß uns aber seine Auslösung schlechterdings nicht gelingen will. Bei der Aus- lösung von Bildvorstellungen kommt iwas Aehnliches nicht vor. In der Unbegrenztheit des bildlichen Denkens liegt aber zugleich eine große Gefahr desselben. Es kann dem Denker passieren, daß, wie nan zu sagen pflegt, die Gedanken mit ihm durchgehen. Das bildliche Denken läßt sich leichter von Gemüthsregungen beeinflussen, und da— durch wird die Objektivität seiner Urtheile beeinträchtigt. Am reinsten tritt es in Thätigkeit, wenn es vom Willen ganz unabhängig ist, wie es im Traumleben zutrifft. Aber auch in wachem Zustande kann das Sinnen in Träumen ausarten. Die Vorzüge des abstrakten Denkens bestehen dagegen hauptsächlich in der Schärfe und Sicherheit seiner Schlüsse, in der Sachlichkeit und Unbestechlichkeit seiner maklerischen Thätigkeit; seine Nachtheile in der engeren Begrenzung seines Urtheilsgebieiß. Beim abstrakten Denken giebt es mehr k, verbohrte, pedantische Denker. Es kann sich bei ihm auch leichter als beim bildlichen Denken ergeben, daß der Denker ein zur Beurtheilung wesentliches Moment übersieht; und hierdurch findet die e nr ter seiner Urtheile ihre Begrenzung. Dies trifft namentlich . wenn das abstrakte Denken sich auf sich selbst stellt und die Fühlung mit der Erscheinungswelt aufgiebt, wie es z. B. bei den nch e fh Spekulationen der Naturphilosophie der Fall war. Dann gilt das Wort Goethe's: ‚Ein Kerl, der spekuliert, ist wie ein Thier auf dürrer Heide, von einem bösen Geist im Kreis berumgeführt, und rings umher liegt schöne grüne Weide“.

Aut dem Gesagten dürfte hervorgehen, daß die zwei Denk formen sich gegenseitig ergänzen, daß die eine voa der anderen kontroliert werden muß.

SFaßssen wir nun einzelne Berufs und Gelegenheitsthätigkeiten in dieser Beziehung ins Auge!

Nehmen wir den Schach spieler, sei es, daß er mit verbundenen oder mit offenen Augen spielt. Sein Denken wird , e,, ein bildlicheö sein. Denn er muß sich die Stellungen der Figuren für alle von ihm gedachten Kombinationen in innerer Anschauung lebenbig dergegenwärtigen. Aber er wird, um sich vor Fehlschlüssen zu schützen, seine Erwägungen beständig durch strenges logischeß Penken, durch

Zweite Beilage zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗-Anzeiger

Berlin, Mittwoch, den 27. Januar

scharfes err, , . der verschiedenen Möglichkeiten oder Wabrscheinlichkeiten ünd deren kausalen Zusammenhänge kontrolieren.

Genau die gleiche Bewandtniß hat es, wie mir scheint, mit der Denkthätigkeit des Strategen und des Staatsmannes.

Von den bildenden Künstlern haben wir bereits gesehen, daß sie fast ausschließlich das bildliche Denken üben. Eine Kontrole durch das logische Denken haben sie weniger nöthig, da sie durch den Schatz ihrer künstlerischen Erfahrungen, den man als ästhetisches Gefühl be— zeichnen kann, vor Mißgriffen hinlänglich geschützt sind.

Ein äbnliches gilt von den Frauen. Sie bedienen sich vor— zugsweise des bildlichen Denkens oder Sinnens, weshalb wir Männer ihnen auch das Epitbeton sinnig' beigelegt haben. Vor Fehlschlüssen werden sie durch den ihrem reichen Gemüthsleben entspringenden natürlichen Takt bewahrt. Ob hierin die moderne Frauenbewegung mit ihren auf die Annahme der abstrakten Denkweise gerichteten Be⸗ strebungen eine Aenderung herbeiführen wird, will ich nicht ent— scheiden. Ich für mein Theil bin mit den beftehenden Verhältnissen zufrieden.

Der Philologe als Grammatiker (im Gegensatz zum Archäo⸗ logen) denkt vorwiegend abstrakt. Ebenso der Theologe als Dogmatiker (im Gegensatz jum Seelsorger). Auch beim Jurifsten, der sich mit der Feststellung und Verknüpfung der Rechtsbegriffe und mit der Auslegung der Gesetzesbestimmungen befaßt, ist die abstrakte Denkform die maßgebende. Wo sich aber seine Schlußfolgerungen auf konkrete Verhältnisse besiehen, wie z. B. bei dem Indizienbeweis eines Schwurgerichtsfalls, wird er von selbst dazu geführt werden, das bildliche Denken zur Hilfe zu ziehen. Ich möchte annehmen, daß gar mancher praktische Jurist, der seine Laufbahn als abstrakter Denker begonnen hat, sie als bildlicher Denker beschließt.

Andererseits ist das Denken des Mediziners, wie überhaupt alles naturwissenschaftliche Denken in seinem Grundzuge ein bildliches, anknüpfend an die durch die Beobachtung gewonnene An— schauung. Es erhält aber erft durch die ergänzende Mitwirkung des abstrakten Denkens die erforderliche Sicherheit des Urtheils.

In der Mathematik gehen beide Denkformen, die Anschauung und die logische Spekulation, neben einander her, bald in gegenseitiger Unterstützung, bald in bewußter Trennung. Es würde eine Aufgabe für sich bilden, diese Verhältnisse für die einzelnen Zweige der mathe—⸗ 6 Wissenschaft und für deren verschiedene Entwicklungsphasen zu schildern.

Wir kommen endlich zum Techniker. Das Denken des Tech— nikers bezieht sich auf reale Objefte, die sein Geist ersinnt und die vor seinem innern Auge in lebendiger Anschaulichkeit stehen. Sein Denken wird also ein vorwiegend bildliches sein. Er kann aber dabei die beständige Kontrole darch das abstrakte Denken durchaus nicht entbehren. Er muß den Zweck, dem sein Werk dienen soll, scharf und bestimmt umgrenzen, muß die äußern Bedingungen, Lenen es unterworfen ist, sicher erfassen, alle Möglichkeiten und Zu— fälligkeiten im Bau,. und Betrieb peinlich in Rücksicht ziehen, die sich vielfach durchkreußenden Wirkungen derselben klar beurtheilen u. s. w. und muß auf Grund dieses vielumfassenden Materials seine logischen Schlußfolgerungen und spekulativen Kom— binationen anstellen. Von den mannigfaltigen Einzelheiten dieses Denkvorgangs ist ein gut Theil rein abstrakter Natur. Sie werden aber durch die das ganze Gedankengetriebe beherrschende Anschauung übersichtlich geordnet und zusammengehalten. Unter den zuvor be— trachteten Beispielen möchte diese Denkarbeit des Technikers am meisten derjenigen des Strategen ähneln. Sie ist durchaus verschieden von der frei waltenden Phantasiethätigkeit des Künstlers.

Dagegen hat in anderer Beziehung das Schaffen des Technikers auch wieder viel mit dem des Künstlers gemein. Hat er sein Projekt in seiner inneren Vorstellung fertig gestellt, so benützt er, um es an Andere mitzutbeilen, nicht sowohl das Wort, als die Zeichnung. Die Zeichnung ist das Verständigungsmittel, die Sprache des Technikers. .

Bei der Umsetzung seines inneren Anschauungsbildes in die objektive Zeichnung befindet er sich nun in einer ganz ähnlichen Lage wie der Künstler. Nur hält sich dabei sein Bewußtsein weniger an das Erscheinungébild, als an die wahre Gestalt des Objekts, in ähn⸗ licher Weise wie wir es beim zeichnenden Kinde oder bei Adolf Menzel 86 baben. Er benützt daher für die Verbildlichung weniger die zentralperspektive als die Darstellung in Grund⸗ und Aufriß. Allein dies bedingt keinen wesentlichen Unterschied. Es betrifft nur das äußere Schema der Darstellung. Für die Verwerthung des Schemas zum stimmungsvollen Bild., das heißt zum Bild, das zu dem Beschauer nach den Absichten seines Urhebers spricht, sind ganz dieselben Rücksichten maßgebend, wie sie zuvor für die kuͤnstlerische Darstellung besprochen wurden. Gleich einem Lenbach wird auch der Techniker darauf Bedacht nehmen, sein Objekt möglichst bestimmt und charakteristisch zum bild⸗ lichen Ausdruck zu bringen, indem er das Wesentliche hervorhebt, das Nebensächliche zurückdrängt. Für den Architekten ist dies wohl selbst⸗ verständlich. Aber es bezieht sich ebenfo gut auch auf den Bau⸗ und Maschinen ⸗Ingenieur. Auch für eine Maschinenzeichnung gilt das Wort Zola's: sie muß ein reales Etwas sein, angesehen und wiedergegeben durch ein Temperament.

Hierzu kommt aber noch Eines. Kehren wir wieder zurück zu der Denkthätigkeit des über ein Projekt sinnenden Technikers mit ihren vielfach abstrakten Einzelspekulationen!

Es ist im höchsten Grade bemerkenswerth, wie es die Ingenieur wissenschaft verstanden hat, auch diese abstrakten Elemente dem bild⸗ lichen Denken anzupassen.

Es handelt sich dabei zunächst um die Methoden des graphischen Rechnens, wie sie z. B. der Geodät bei seinen Vermessungsarbeiten oder der Bau Ingenieur bei seinen Entwürfen zu Erdarbeiten verwendet, ferner um graphische Tafeln wie die graphischen Eisen⸗ bahnfahrpläne u. dergl. Vor allem aber kommt das ausgedehnte Gebiet der graphischen Statik in Betracht.

Die Objekte der Ingenieurkunst stehen unter der Einwirkung von statischen oder dynamischen Kräften, deren wechselseitiges Spiel und ausschlaggebende Wirkung zu beurtheilen und zu regeln ist.

Der Begriff ‚Kraft‘ ist zunächst ein rein abstrakter, und die Aufgabe fällt daher dem abstrakten Denken zu. Aber der Ingenieur verbildlicht die Kräfte, und zwar nicht bloß die Kräfte an sich, sondern auch ihre gegenseitigen Beziehungen und Wechselwirkungen. Nicht als ob damit das abstrakte logische Denken umgangen würde. Nein, dieses bleibt in seinem Recht und in seiner ö Aber es wird der Vorzüge des bildlichen Denkens theilhaftig gemacht, die in der Anschaulichkeit und Uebersichtlichkeit des Denkbildes bestehen. Man könnte diese Methoden der graphischen Statik in gewissem Sinne als ein Analogon zu der Gedankenmalerei in der Kunst bezeichnen. Wir erfreuen uns in ihnen einer der wichtigsten Errungenschaften auf dem Gebiete des Ee bastlichn Denkens, von der die Philosophie als Lehre vom Denken mit Interesse Kenntniß nehmen dürfte.

So sehen wir, daß an sich das Denken des Technikers ganz nach denselben Gesetzen verläuft wie dasjenige von Angehörigen anderer Berufsklassen, daß aber bei ihm dem inneren Anschauungevermögen, in dem sich ein bildliches Denken abspielt, eine weit größere Bedeu— tung zukommt als bei Andern. Ohne eine lebendige Vorstellungskraft kann niemand ein tüchtiger Techniter sein.

Die Anlage dazu muß angeboren sein. Die Schule kann nur die Aufgabe erfüllen, sie zur Entwicklung zu bringen und auszubilden, und zwar dadurch, daß sie den Schüler anleitet, die Augen auf—

1897.

jumachen, das Gesehene scharf aufzufassen und das Aufgefaßte in seinem Innern lebendig festzubalten, und ferner dadurch, daß jedes einzelne Unterrichtsfach in seinem Betriebe darauf gerichtet ist, die Einbildungskraft des Schülers kräftig anzuregen und zu befruchten. Es kommt weniger auf den Lehrstoff als auf die Lehrmethode an. Und hierfür giebt die Eigenart des Lehrers den Ausschlag. Dieser muß selbst ein kräftiges Anschauungsvermögen besitzen. Er muß es verstehen, in der Vorstellungskraft seiner Schüler innere Anschauungs— bilder wachzurufen. .

Ist er Philologe, so mag er sich von hellenischem Geist beseelen lassen. Die sckönsten und herrlichsten Blüthen hat das bildliche Denken bei dem gottbegnadeten Volke der Griechen getrieben. Das Gemeinsame in dern scheinbar so verschiedenartigen Geistesthätigkeiten eines Homer, eines Pythagoras, eines Phidias, eines Archimedes war eben die innere Vorstellungskraft. Durch sie wurde das Griechenthum die Pflanzstätte der abendländischen Kultur.

Von uns Deutschen sagt man wohl und wir selbst lassen uns die Schmeichelei gern gefallen wir seien das Volk der Den ker. Wir können aber nicht leugnen, daß dem Lobe ein übler Beigeschmack anhaftet. Das Wort „Denker“ ist dabei augenscheinlich im Sinne

des abstrakten Denkens verstanden. Ist das richtig? Ist der Deutsche

wirklich seiner inneren Natur nach abstrakter Denker? Ich glaube es entschieden verneinen zu müssen. Geister wie Goethe, Fürft Bismarck u. s. w., in denen wir die deutsche Art zu denken zu monu— 66 Vorbildlichkeit verdichtet sehen, widersprechen dieser Auf⸗ assung.

Eines allerdings ist zuzugeben: zu Anfang dieses Jahrhunderts hat die dialektische Philosophie Hegel's eine Bewegung hervorgerufen, die, das Denken ganz in die abstrakte Richtung lenkte und bis über die Mitte des Jahrhunderts hinaus das deutsche Geistesleben in derselben gefangen hielt. Aus dieser Zeit stammt jenes zweifel hafte Lob. Aber der deutsche Geist hat die damalige Ausschreitung längst über⸗ wunden und ist zu sich selbst zurückgekehrt. Wenn sich auch Nachwehen derselben da und dort noch geltend machen mögen, und wenn jene Verirrung auch namentlich auf die Schule einen berhäng- nißvollen, zum theil heute noch wahrnehmbaren Einfluß ausgeübt hat, so ist der gesunde deutsche Sinn doch trotz dieser Widerstaände in. das rechte Fahrwasser wieder eingelenkt.

Voll freudiger Zuversicht blicken wir auf unsern in Ehrfurcht 6 Kaiser, in dem sich die Eigenart des deutschen Wesens ver örpert.

Wir haben gesehen, wie bei Ihm jene auf innere Anschauung ge— gründete Geistesrichtung in ausgeprägter Weise zum Ausdruck gelangt. Sie macht sich in Seinem ganzen Wesen gelterd. Sie äußert sich in Seiner innigen Liebe zur Natur, an deren Reizen Er Sich in der stillen Waldeinsamkeit, in der majestätischen Größe des Hochlandes, in der unendlich vielgestaltigen Formen, und Farbenwelt des. Meeres erlabt und erfrischt. Sie äußert sich ebenso in Seiner liebenden Fürsorge für die Kunst, wie in dem lebhaften Interesse und dem tief eindringenden Verständniß für alle Fragen der Technik, das gerade wir Lehrer an der Technischen Hoch- schule schon so oft zu bewundern Gelegenheit hatten, und für dessen Bethätigung in der mächtigen Förderung der Bestrebungen der vater . ländischen Industrie wir Ihm so heißen Dank wissen.

Nicht minder gelangt jene Geistezrichtung zum Ausdruck in dem sicheren, klaren Blick, womit der Kaiser die verwickelten wirthschaft= lichen Verhältnisse überschaut und mit unablässigem Mühen Sich der gewaltigen Aufgabe unterzieht, in dem Gewirre der sich bekämpfenden Interessen einen gerechten Ausgleich zu finden.

Zu dieser Eigenart des Fühlens und Denkens gesellt sich bei Ihm die Herrschereigenschaft einer eisernen Energie, eines festen, unbeugsamen Willens, der keine Unterordnung kennt als die unter das Wohl des Vaterlandes.

So steht unser Kaiser vor uns: eine geschlossene Persönlichkeit, zu der wir in Ehrfurcht aufblicken, der wir uns aber doch wieder se nahe fühlen, indem wir wahrnehmen, wie Sein Denken und Empfinden mit dem unsrigen gleich gerichtet und gleich gestimmt ist. Wir ver stehen Ihn und Sein Wollen und hoffen zu Ihm in fester freudiger Zuversicht.

Lassen Sie uns, unserem geliebten Herrscher in dieser feierlichen Stunde unsere Huldigung darbringen, indem wir Ihm das Gelöbniß erneuern, fest und treu zu Ihm zu stehen und in vertrauensfreudiger Hingebung an Seine Führung unter Anspannung aller unserer Kräfte mit Ihm zu arbeiten für das Wohl des theuren Vaterlandes!

Er aber, der Allmächtige Gott, wolle Ihn in Seinen gnädigen Schutz nehmen und Ihm auch in Seinem neuen Lebensjahr die frische Kraft und den freudigen Muth erhalten! Gottes reichster Segen walte in Gnaden über Kaiser Wilhelm und Seinem erhabenen Haus!

Geben wir unseren Gefühlen gemeinsamen Ausdruck, indem wir aus vollem Herzen rufen; . ö

Seine Majestät, unser Allergnädigster Kaiser und König, unser in Ehrfurcht geliebter Herr, lebe hoch!

Die Gährungsgewerbe und die Stärkefabrikation in ihrer Entwickelung und in ihren Beziehungen zur Land wirthschaft.

Festrede von . Dr. M. Delbrück, Vorsteher des Instituts für Gährungsgewerbe und Stärkefabrikation.

Hochansehnliche Versammlung! Liebe Kommilitonen!

Die mit der Landwirthschaft in Beziehung stehenden technischen Gewerbe die Brauerei, die Brennerei mit der Preßhefefabrikation, die Stärke, und endlich die Rübenzuckerindustrie nehmen das öffentliche Interesse in einem ungewöhnlichen Maße in Anspruch, weil sie neben ihrem technisch⸗wissenschaftlichen Gehalt, ihrer hervor ragenden wirtbschaftlichen, speziell landwirthschaftlichen Bedeutung einen der Grundpfeiler der finanziellen Gebahrung des Deutschen Reichs bilden. An der Gesammteinnahme des Reichs von etwas über einer Milliarde sind die Zölle und Verbrauchssteuern mit 635 Millionen Mark betheiligt, und von diesen fallen 223 Millionen auf die Steuern, welche aus dem Zucker, dem Bier und dem Branntwein genommen werden. Einschließlich des aus dem inländischen Taback erzielten Be—⸗ trages von 11 Millionen Mark, sind die mit der Landwirthschaft in Besiehung stebenden Gewerbe mit fast 40 0, an den Einnabmen aus Zöllen und Verbrauchssteuern betheiligt.

Es mag dahingestellt bleiben, ob alle genannten Gewerbe sich zur Besteuerung eignen, die Stärkeindustrie mit ihren Nebenzweigen der Stärkezucker⸗ und Dextrinfabrikation ist steuerfrei belassen in jedem Falle war und ist bei Erwägungen über die Steuerform und Steuerbhöhe das Wohl und Wehe nicht nur der Judustriezweige selbft, unter heutigen Verhältnissen vielmebr in noch erböbtem Maße dasienige der die Robstoffe liefernden Landwirtbschaft zu erwägen.

Wie sebr die Landwirthschaft durch die Verbältnisse unserer Gewerbe in Mitleidenschaft gezogen wird mag daraus ermessen werden, daß die von diesen auff nommenen Robfrüchte jäbrlich einen Werth von 630 Millionen Mark repräsentieren gegenüber einem Gesammtwerth der landwirthschaftlichen Produktion in Brotfrüchten von 1100 Millionen. .

Es kann daber als eine bobe Aufgabe bezeichnet werden, das Woblergeben der sogenannten landwirtbschaftlichen Nebengewerber nach allen Richtungen bin ju pflegen. Ginige don ibnen, die Jacker⸗ und die Brauindustrie, baben sich längst ju seldständigen Groß-

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