Ob der Herr Abg. Bebel mit den blauen Briefen Bescheid weiß, erscheint mir sehr jweifelbaft. Ich wenigstens babe noch niemals davon gebört, daß j. B. ein Major, wenn er verabschiedet wird, einen solchen erhalten bätte, im Gegentbheil, der blaue Brief ist das Zeichen, daß eine Beförderung ftattgefunden bat.
Der Herr Abg. Bebel greift dann in Bezug auf die vorgeschriebene ärztliche körperliche Begutachtung der zu Pensionierenden unsere Aerzte an. Ich weise das als unberechtigt zurück. Unsere Prinzen, meine Herren, bezüglich derer der Herr Abgeordnete meinte, daß dieselben eigentlich nie felddienstunfähig würden, beziehen in der Regel keine Be⸗ soldung und machen auch auf Pension keinen Anspruch, halten es aber für eine besondere Ehre, im Falle das Vaterland in Gefahr kommen sollte, ibre Dienste demselben ju weihen. Dafür sollten wir ihnen doch recht dankbar sein.
Das Regiment, bei dem in 7 Jahren bei einer Kompagnie 6 Hauptleute pensioniert und 8 Bataillons Kommandeure neu an⸗ gestellt worden sind, dieses Regiment kenne ich nicht. Der Versuch, bei der Art der Pensionierung einen Unterschied zwischen Offizieren und Mannsckaften zu konstruieren, ist vollständig mißglückt; denn wie ich bereits nachgewiesen habe, ift die Zahl der pensionierten Offi⸗ ziere in den letzten Jahren um 67, die der Mannschaft aber um 166 ι gestiegen, so daß angenommen werden darf, daß den Mann⸗ schaften die Wohlthaten des Gesetzes im reichsten Maße zu theil werden. Ich babe übrigens schon bei anderer Gelegenheit in der Budgetkommission ausgeführt, daß die Annabme, die Dienstunbrauch⸗ barkeit der Leute nebme zu, eine gam irrige ist; im Gegentheil, dieselbe bat stetig abgenommen, wozu die auch vom Reichstage als im Prinzip richtig anerkannte Maßnabme der Einstellung überzähliger Rekruten in einem gewissen Prozentsatz bei⸗ getragen hat. Die Truppentheile sind hierdurch in der Lage, den Etat stets voll zu erhalten und jeden Mann alsbald zu entlassen, der bei der Ausbildung irgend einen Schaden zeigt, wodurch in vielen Fällen Dienftbeschädigung vermieden wird.
Daß keine allgemeinen Bestimmungen vorhanden sind, nach welchen ein Offizter, der — wie man sagt — übergangen wird, seinen Ab schied nehmen müsse, habe ich bereits gesagt. Ich könnte eine ganze Reibe bis in die neueste Zeit reichende Ordres anführen, die sich darüber aussprechen, daß das Offizierkorps nicht berechtigt ist, eine Beförderung nach der Anciennität zu verlangen. Diese Thatsache greift bis in das 17. Jahrhundert zurück. Solange die brandenburg⸗ preußische Armee besteht, haben sich die Kriegsherren das Recht, Be⸗ förderungen außer der Tour eintreten zu lassen, stets vorbehalten. Ein Recht auf Beförderung nach dem Dienstalter besteht also nicht und somit auch kein Recht, den Abschied zu verlangen, wenn sich jemand im Avancement übergangen glaubt. Daß die Verhältnisse bei speziellen Fällen anders liegen können, will ich nicht bestreiten. Der Betreffende, dem angedeutet wird, daß er die Grenze erreicht habe, hält sich vielleicht für vollkommen gesund ꝛc.; aber maßgebend dafũr, ob ein Offizier im Interesse des Dienstes in diesem noch länger zu verbleiben bat oder nicht, kann natürlich unter allen Umständen nur die Ansicht der Vorgesetzten sein und leiben. (Bravo! rechts.)
Württembergischer Kriegs ⸗Minifter, General der Infanterie Freiherr Schott von Schottenstein: Der Herr Abg. Galler hat mir vorgeworfen, ich hätte die Rechte des Reichstags von oben herunter behandelt und gesagt: Das und das geht den Reichstag bejw. den Abg. Galler nichts an. Wenn er den stenographischen Be⸗= richt gelesen haben wird, so wird er sich überzeugen, daß ich so etwas nicht gefagt habe. Ich habe lediglich gesagt: darüber, warum ein hober Dffizier nicht die höchste Stelle in der Armee erreicht, habe er kein Urtbeil, und das muß ich auch aufrecht erhalten. Die höheren Offiziere würden sich mit Recht darüber beschweren, wenn man die Sualißkationsberichte der Generale dem Herrn Abg. Galler mittheilen würde. Sie müßten eben die Qualifikationsberichte in Händen haben, um über die Berechtigung der Offiziere zum Aufrücken in die höheren und böchsten Stellen urtheilen zu können. Wenn ferner gesagt worden ist, es ständen der Partei des Herrn Abg. Galler Mittheilungen aus Offtiierskreisen zu Gebote, und ich möchte einmal auf die Stim— mung des Offizierkorps hinhorchen, so kann ich ihm doch versichern: nachdem ich 42 Jahre in Württemberg diene, kenne ich die Stimmung der württembergischen Offiziere besser als er. Jedenfalls kann er sich darauf verlassen, daß ein Appell an den Partikularismus bei den Offizieren in Württemberg keinen Widerhall findet. Er hat endlich mir mit den Schwierigkeiten gedroht, die seine Partei mir im württembergischen Landtäge bereiten werde. Das werde ich abwarten!
General ⸗LZieutenant von Viebabn: Der Herr Abg. Galler bat meine Angaben von der letzten Sitzung bemängelt, aber er hat sie nicht widerlegt. Im übrigen bemerke ich dabei, daß die Steigerung der Pensionsausgaben für die Offiziete in den Angaben, welche ich vorgestern im Auftrage der Militärverwaltung machte, von mir über⸗ haupt garnicht bestritten worden ist; im Gegentheil, fie ist von mir von vornberein zugegeben worden. Was nun die beute von dem Herrn Abgeordneten angegebenen Zablen anbelangt, so wird die Richtig⸗ keit derselben nach den Etatsansäßen von mir keineswegs bezweifelt. Es ist aber bereits in der Budgetkommission zur Sprache gekommen, daß infolge einer sebr vorsichtigen Veranschlagung des Etats seitens der Milijärverwaltung die im Etat angesetzten Summen keineswegs identisch mit den wirklichen Ausgabensummen sind. Die wirklichen Ausgabensummen haben wir festgestellt als Unterlage für den Etat, jmmet vom Stande Ende Juni, und daraus ergiebt sich, daß die Pensions« ausgaben für Offiziere aus Tit. 2 des Kapitels 74 für Preußen: 1887398 12 2789 594 betrugen und 1896ñ97 20 053 953. Also von einer Verdoppelung ist jedenfalls in diesen Ausgaben nicht die Rede. Ich hatte eigentlich nicht die Absicht, auf die Angaben des Herrn Ab—⸗ geordneten in der vorigen Sitzung noch einmal zurückzukommen; nach. dem aber die Verbandlungen diese Wendung genommen baben, möchte ich doch noch Folgendes hier jur Sprache bringen. Der Herr Abgeordnete hat zur näheren Begründung seiner Bebauptung angeführt: Die Zahl der pensionirten Offiziere, mit Ausnahme Haber, babe im Gtatsjabre 1896.97 6895 betragen und belaufe sich für 1897 / 98 auf 7515, woraus sich also für das letzte Jahr ein Zuwachs von 655 Köpfen ergebe. Nach den, dem Etat des Allgemeinen Pensions fonds angeschlossenen Beilagen ergeben sich indessen für Preußen, Sachsen und Württemberg für das Etatsjabr 1896,97 nicht 6800, sondern 6611, und für das Etatszjahr 1397,98 nicht 7515, sondern 6852 vensionierte Offiziere. Der Zuwachs beträgt nur 241 Köpfe. Die Sanitätsoffiztere sind hierbei außer Betracht gelassen.
Abg. Dr. Lieber (Zentr.): Herr Galler hat mich — ich muß mich varlamentarisch ausdrückon — mißverstanden. Ich var erfreut, daß man seitens der Militärverwaltung dem Reichstage Auskunft ge geben bat. Herr Galler hätte sich daran erinnern sollen, daß ich die Steigerung des Pensionsfonds in der Budgetkommission angeregt habe. AÜuf dieser Anregung beruhte wohl die eingebende Mittheilung der Kriegsberwaltung. Durch die Ausgabebewilligung hat der Reichs⸗ tag das Recht, wenn die Pensionierungen steigen, and ere Ausgaben ju verweigern und dem Kaiser anbeimzugeben, od er nicht im Interesse der anderen Reichsausgaben das Penstonierungstempo verlangsamen will. Dadurch ist das Recht des Reichstages gewabrt; man sollte sich hüten, dieses Recht zu überspannen. Wenn Herr Galler gegenüber der wärttembergischen Zentrumspartei nicht aufkommen kann, dann kann er ja auch mich noch auf dem Altar der Volkspartei opfern. Da ich für die Mittbeilungen der Kriegkverwaltung gedankt habe, geschah
deshalb, weil ich frein worden bin. Wir behalten uns die Kritik der Pensionierungen trotzdem auf Grund des Bndgetrechtes vor. Gerade bei diesem 8 wo die beiderseitigen Rechte sich so nabe berühren, daß der
rdacht nabe liegt, daß einer in die Rechte des andern eingreift, baben wir, das Zentrum, allen Grund., Verwahrung einzulegen, als ob wir in die Kronrechte eingreifen wollten. ; .
Äbg. Bebel (Soz.): Wie will Herr Lieber die verschiedene Haltung seiner Partei im Reichstage und im bayerischen Landtage egenuüber demselben Antrage erklãren? Wenn in Bayern der Antrag 6 von einem Prinzen fur zulässig erklärt worden ist, wie kann Hert Lieber das Recht des Reichstages bestreiten? Stebt dieser etwa hinter dem baverischen Landtage zurück? Daran wäre er allerdings felbst schuld! Wenn die verbündeten Regierungen keine Auskunft geben wollten, dann wäre die einzige Antwort des Reichstages; dann seben wir kein Geld. S6 der oberste Kriegsherr Beschlüsse des Reichstages beachten will, ist seine Sache. Aber der Reichstag hat die Mittel, darauf eine Antwort zu geben. Ist freilich die Volks vertretung ibrer Würde sich nicht bewußt, dann kann man mit ihr wie die Katze mit der Maus spielen. Nieine Behauptungen können nicht widerlegt sein, denn sie beruben auf amtlichen Atktenstüceen. Die jablreicken Pensionierungen von. Majoren beweisen die Gefãhr⸗· sichkeit der Majorsecke. (Zurufe: Die , die mit dem Titel Major entlassen sind, bekommen keine ö Ich bin fũr Auftlärungen zugänglich. Aber man glaubt im Volke diese Dinge, und wenn ö . . 226 hätte man ja vielleicht den anzen Etat obne jede Aufklärung erledigt. ; . ; ; Abg. Galler (d. Volksp.): Trotz seiner diplomatischen Rede ist es Herrn Lieber nicht gelungen, die Thatsache aus der Welt zu schaffen, daß er gouvernementaler ist als ein Königlich baverischer Prinz. Meine Zak hat der General ⸗Lieutenant von Viebahn be⸗ mängelt. Ich batte sie aus nationalliberalen Blättern entnommen, Will General Tieutenant von Viebahn bestreiten, daß 1887 - 88 5 520 600 M und 1897 98 36 970 000 M für Pensionen verlangt worden sind? . — .
General. Lieutenant von Viebahn; Ich glaube, es liegt hier zum tbeil ein Mißverständniß vor. Ich glaube, mich ziemlich deutlich ausgefprochen zu haben, daß ich die Zahlen des Herrn Abgeordneten, so weif fie den im Stat wiedergegebenen Ansätzen entsbrechen, nicht beftreiten wollte. Ich müßte mich febr undeutlich aus gesprochen haben, aber es ift mir nicht der Gedanke gekommen, diese Zahlen anzu⸗ zweifeln, sondern ich habe mir erlaubt, darauf binzuweisen, daß bereits in der Budgetkommission auf den Unterschied hingewiesen ist zwischen den thatfächlichen Ausgaben und den Ausgaben, die in Etat an- gesetzt sind. Im übrigen wird die Sache nachher noch weiter zur Sprache kommen; dann werde ich in der Lage sein mich darüber zu anhern, auf welchen Umständen dies berubt. Nun ist die, ganze Meinungsdifferenz zwischen dem Herrn Abgeordneten und mir die, daß er vorhin angegeben bat, daß seit 1857,88 bis 1897/98 die Aus⸗ gaben für Orr, e lern en sich im Großen und Ganzen ver⸗ doppelt baben. Ich habe mir bereits vorbin erlaubt zu sagen, daß die Steigerung der Offizierspensionen von mir im Auftrage der NMilitätperwaltung garnicht geleugnet sei; im Gegentheil, wir baben dies von vornherein zugegeben. Ich batte den stenographischen Bericht von vorgestern nicht zur Hand; jetzt habe ich ibn bier und werde mir erlauben, die Stelle vorzulesen, die ich gestern vorgetragen babe. babe gesagt: Die ziffernmäßigen Ausgaben der Jahre 1889 bis 1895 find gestiegen für Beamte um 131,89 0l für Mannschaften um 175, Son oso, für Offiziere um 10635250. Ich habe also von vora⸗ berein im Auftrage der Militärverwaltung zugegeben, daß eine Steige rung der Offiziers vensionen stattgefunden bat. Wenn der Herr Ab⸗ geordnete nun noch mehrere Fragen an mich stellte, welche sich auf die zlusgaben bezieben, die für Preußen, Sachsen und Württemberg gemeinsam in dem Etat angesetzt sind, so bedauere ich außerordentlich, diefe Fragen hier nicht beantworten zu können, da ich das Material für die Königlich sächsische und Königlich wüͤrttembergische Armee in dieser Ausdehnung bier nicht zur Stelle habe. .
Abg. Dr. Lieber Sentr.); Die Vorredner sind auf Bayern zurückgekommen. Aber die Verhältnisse in Bayern sind anders ge⸗ lagert als die preußischen; deshalb können die bayerischen Prinzen einem Antrage zustimmen, dem ich im Reichstage niemals zustimmen würde. General Lieutenant von Viebahbn: Der Herr Abg, Bebel hat sich veranlaßt gesehen, zweimal zu bemängeln, daß es nicht mög⸗ lich oder wenigstens sehr schwierig sei, daß die Fnvaliden des Mann⸗ schaftsstandes, also Leute, welche sich im Dienst einen Schaden zu⸗ gejogen, zur Pension gelangten. Diese Behauptung ist unrichtig und muß mit aller Entschiedenheit zurũckgewiesen werden! Sie ent- behrt des Beweises, denn die Militärderwaltung, macht unbedingt Anfpruch darauf, daß anerkannt werde, daß in ihrem Wohlwollen gegen Sffiziere und Mannschaften kein Unterschied gemacht wird, fondern daß sie jeden, der im Dienst zu Schaden gekommen, so woblwollend wie irgend möglich behandelt. Ich habe bereits ftäüher Gelegenheit gehabt, darauf, hinzuweisen, daß keine Woche vergeht, wo nicht folche Fälle, in denen vbelleicht ein Verseben einer unteren Bebörde paffiert ist, von seiten der oberen Instanz zu Gunsten der betreffenden Mannschaften geregelt werden. Die Sache muß aber natärlich eine Grenze haben, denn wir können nicht Leuten eine Rente des Staates, eine Invalidenpension jubilligen, welche fich ihren Schaden garnicht im Dienst zugezogen haben. Diesen Beweis müssen wir baben, und wir sorgen selkst nach Mög—⸗ sichkeit dafür, daß er erbracht wird. Natürlich wird diefer Beweis zu⸗ weilen schwer, wenn etwa die Ansprüche erst lange nach der Ent- laffung des Mannes zur Sprache kommen; aber auch da wird mit einer Genauigkeit, von welcher, glaube ich, viele der Herten gar keinen Begriff haben, jedem einzelnen Falle nachgegangen. Wir setzen eine an; kolossale Mühe und Arbeif daran, daß nicht etwa der berechtigte Anspruch eines Mannes unbefriedigt bleibt. Dann bat der Herz Abg. Bebel unter anderen einen Fall angeführt. wo ein Soldat nach dem Aufstehen aus dem Bett mit kaltem Wasser übergossen worden und dann nachher zu Schaden gekommen sei. Es ist ein Grundsatz der Militärverwaltung, welcher seitens meines Amtsvorgängers schon bier ausdrücklich betont worden ist, daß, wenn Leute durch Miß handlungen von Vorgesetzten zu Schaden kommen und dies irgendwie nachzuweisen ist, es als Dienstbeschädigung angerechnet wird und daß nachher dafür eine Invalidenpension bewilligt wird. Natürlich der Be⸗ weis dafür muß da sein. Im übrigen geht die Fürsorge der Militärverwaltung noch weiter; denn auch für diejenigen Leute, wo der Nachweis, daß das Leiden durch den Dienst berbeigeführt ist, nicht erbracht ist, haben wir den 5 110 des Militärpensionsgesetzes, welchen ich mit Erlaubniß des Herrn Präsidenten verlesen möchte: Denjenigen Unteroffizieren und Soldaten, welchen nach diesem Geletz ein Anspruch auf Invalidenversorgung nicht zustebt, können im Falle ihrer Ent— lafsung wegen Dienstuntauglichkeit bei dringendem Bedürfniß vor⸗ übergehend, den Verhältnissen entsprechend, Unterstützungen bis zum Betrage der Invalidenpension dritter Klasse gewährt werden. Von diefer Bestimmung, das kann ich dem Herrn Abg. Bebel aus meiner Praxis versichern, wird ein sebr umfassender Gebrauch gemacht.
Abg. Bebel behauptet, daß die Mannschaften oft genug wegen eines Schadens, den sie nicht mit in das Heer gebracht hätten, den sie also im Dienste erhalten baben müßten, trotz aller Anstrengungen keine Pension erreichen könnten. Es lägen in dieser Beziehung sogar mehrere Petitionen dem Reichstage vor. ;
Abg. Wesiß (fr. Volksp.): Früher mußten die Stellen der Subaltern⸗ und Unterbeamten des Reichs- und Staatsdienstes für die Militäranwärter vorbehalten werden. Jetzt sind auch die Gemeinden gezwungen, die Militäranwärter anzustellen, und zwar in den Stellen, welche nur mechanische Dienstleistungen erfordern, ferner in den Kanzleien und den Bureaux, bei letzteren zur Hälfte. . drei Viertel ihrer Beamten ist also den Gemeinden das Recht ge— nommen, felbst auszuwählen. Auch wenn sich keine Militäranwärter für eine Stelle melden, muß die Gemeinde überall erst fragen, und erft wenn nach sechs Wochen kein Militär sich meldet, kann man Zivilpersonen anstellen; als wenn man die Stelle Monatelang unbesetzt lassen könnte. Was für Preußen gut ist, ist für Süddeutsch⸗
dadurch von manchen falschen Vorstellungen be⸗
personen mehr. Jedenfalls bildet das bayerische Heer ein in sich ab. K— Ganzes, in das die Reichsgesetzgebung nicht hinein a= reden hat. Stände die baverische Regierung noch auf ibrem Stand. punkte vom Jahre 1875, so würde sie solchen Grundsätzen im Bundes. rathe Widerspruch entgegensetzen oder sich für ihr Gebiet ihre Rechte bewahren.
Staatssekretär des Innern, Staats ⸗Minister Dr. von Boetticher:
Meine Herren! Die Rede des Herrn Vorredners könnte mich in die Versuchung führen, eine kleine Vorlesung über deutsches Ver= faffungsrecht zu halten (Heiterkeit), allein ich will darauf verzichten und den Herrn Abgeordneten nur darauf verweisen, daß der d 77 des Militär ⸗Pensionsgesetzes, welcher für seine Rede die Unterlage ge geben hat, durch ein Reichsgesetz vom Jahre 1893 seine jetzt geltende Fassung erhalten hat, daß diese Vorschrift Reichsrecht geworden ist, und daß aus dem Umstande, daß dieses Gesetz im Reichs. Gesez. blatt“ publiziert ist, auch die Schlußfolgerung gezogen werden muß, daß es verfassungsZsmäßig zu stande gekommen ist, also daß, selbst wenn die darin enthaltene Vorschrift als Verfassungsänderung angesehen werden müßte, sich nicht 14 Stimmen im Bundesratk zusammengefunden haben, die diese Bestimmung haben ablehnen wollen. .
Ebenso möchte ich in aller Kürze den Herrn Vorredner noch darauf verweisen, daß der Bündnißvertrag mit Bayern in keiner Weise der Anwendung der Vorschrift auf Bayern entgegensteht. Es handelt sich hier nicht um einen Gegenstand der Armee— verwaltung, sondern um eine Verpflichtung, die den in dem 8 77 näher bezeichneten Kommunen und Instituten dahin auferlegt worden ist, daß sie früher der Armee angehörig gewesene Personen bei der Besetzung der näher bezeichneten Dienststellen vorzugsweise ju be— rücksichtigen haben.
Nun, meine Herren, ist aber auch der Eifer, mit dem der Herr Vorredner den Gegenstand seiner Rede behandelt hat, durchaus nicht gerechtfertigt; denn er hat über Dinge gesprochen, die erst in den ersten Stadien der Vorbereitung sich befinden und Über deren definitive Ausgestaltung der Bundesrath selbst noch nicht im Klaren, mit dem er sogar noch gar nicht einmal befaßt ist. Der 5 77, wie er durch das Gesetz vom Jahre 1893 seine Ausgestaltung ge— wonnen hat, schreibt vor:
Daß die Subaltern., und Unterbeamtenstellen bei den Kem⸗ munalbehörden, bei den Indaliditäts- und Altersversicherungs anstalten, sowie bei ständischen oder solchen Instituten, welche ganz oder zum theil aus Mitteln des Reiches, Staates oder der Gemeinde unterhalten werden (ausschließlich Forstdienste) nach Maßgabe der darüber von dem Bundesrath festzustellenden allgemeinen Grundsätze vorzugsweise aus Inhabern des Zivilversorgungsscheines (Militär= anwärter) zu besetzen sind.
Dieser Paragraph nöthigte dazu, die Aufstellung solcher Grundsaäße für die Besetzung der bezeichneten Stellen in die Hand zu nehmen, und nichts war natürlicher, als daß das berufene Ressort, in diesem Falle das Reichsamt des Innern, dazu überginge, nach Analogie der bereits für den Reichsdienst bestehenden Vorschriften und nach Ana— logie der in den einzelnen Bundesstaaten, besonders in Peeußen erlassenen Bestimmungen den Entwurf von Grundsätzen für die Durch führung des 5 77 in die Hand zu nehmen. Ein solcher Entwurf ist aufgestellt und den Bundesregierungen mitgetheilt, bevor er als Vor— lage an den Bundesrath gegangen ist, und zwar, wie in dem von mir erlassenen Rundschreiben ausdrücklich bemerkt worden ist, zu dem Zweck, damit die Bundesregierungen Gelegenheit bätten, zur Kenntniß des Reichsamts des Innern zu bringen, welche Wünsche bezüglich der Ausgestaltung der Grundsätze mit Rücksicht auf die besonderen Ver⸗ bältnisse des kommunalen und Institutendienstes in den einzelnen Bundesstaaten bestehen. Es heißt in meinem Rundschreiben:
Ich lege Werth darauf, den Entwurf vor der Vorlage an den Bundesrath der Prüfung der hohen Bundesregierungen in unterbreiten, damit bei der Vielgestaltigkeit der in den verschiedenen Theilen des Reichs bestebenden Kommunalverhältnisse besondere Wünsche und Interessen insoweit Berücksichtigung finden können, als es mit dem Bedürfniß einer einheitlichen Regelung der An— stellungspflicht vereinbarlich erscheint.
Die Bundesregierungen baben zur Zeit sich noch nicht sämmtlich auf dieses Rundschreiben geäußert; es hat deshalb die Sache auch noch nicht weiter gefördert werden können. Die Mebrzabl der Bundes regierungen, die sich geäußert haben, haben sich aber bereit⸗ willig auf den Standpunkt des Entwurfs gestellt; andere Bundes regierungen haben Erinnerungen gezogen, und es wird nun, wenn die Aeußerungen sämmtlich vorliegen, Sache des Reichsamts det Innern sein, die verschiedenen Vorschläge, die vsrgebracht worden sind, ju sichten und mit einander zu vergleichen und dann erst einen Entwurf aufzustellen, der dem Bundesrath vorgelegt werden kann.
Was nun die definitive Feststellung der Grundsätze, nach denen die Anstellung der Militäranwärter im Kommunaldienst erfolgen soll, anlangt, so hat der Bundesrath bereits, als er die Novelle von 1895 in Vorberathung nahm, sich dahin verständigt, daß diese Grundsäßze nicht etwa durch einen Bundesrathsbeschluß festgestellt werden sollen, sondern daß sie unter den Regierungen vereinbart werden sollen. Es ist also dadurch — das werden mir die Herren zugeben — die denkbar größte Gewähr dafür gegeben, daß alle Besonderbheiten, die in den einzelnen Bundesstaaten etwa bestehen, daß alle Wansche be— züglich der Ausgestaltung der Anstellungspflicht der Militäranwärter zur Würdigung und Geltung gebracht werden können, und daß nicht eher in den betreffenden Bundesstaaten die Grundsätze zur Anwendung gelangen, als bis die Regierungen der betreffenden Bundes staaten sich auch mit diesen Grundsätzen einverstanden erklärt haben.
Ich glaube, es wird dies wesentlich zur Beruhigung des Herrn Vorredners dienen; eine größere Garantie konnen Sie wirklich nicht verlangen. Heiterkeit.)
Ich will noch weiter bemerken, daß beispielsweise die Ver— sicherungsanstalten für die Alters- und Invaliditätsversicherung, dit auch im § 77 angeführt sind, sich bereits, ich glaube bis auf eine oder jwei, bereit erklärt haben, in der Hauptsache nach denselben Regeln,
die für den Reichsdienst gel ten, die Anstellung der Militäranwärter ordnen.
Und wenn nun schließlich der Herr Vorredner gemeint bat: was für Preußen gut ist, ist für uns nech lange nicht gut genug, — so will ich nicht Gleiches mit Gleichem vergelten. Ich nehme ibm das weiter nicht übel; es macht vielleicht bei ibm zu Hause einen guten giadruck, wenn seine Wähler das lesen. (Heiterkeit) Ich will ibm sogar sagen: wir steben auf dem Standpunkt, daß wir unseren süd⸗ deutschen Bundesbrüdern noch etwas viel Besseres wünschen, als wir selbst es haben. (Bravo)
Abg. Gröber (Zentr.):; Es ist erfreulich, daß wir noch nicht vor vollendeten Thatsachen steben. Die Beunruhigung im Lande ift sekr groß, namentlich in den Verwaltungen der größeren Städte. 1893 haben sich die liberalen Städteverwaltungen nicht um dieses Gesetz ge⸗ fämmert, sie batten damals hohe Politik fär die Militärvorlage zu treiben und auf den damaligen Reichstag zu schelten. Der Reichstag fonnte das Gesetz damals nur ju stande bringen, wenn er auf jede Debatte verzicktete; das Gesetz wurde einstimmig angenommen, kurz hedor die Auflösung des Reichstages erfolgte. Also alle Parteien haben die Verantwortung mitzutragen, auch die freisinnige. Herr Fberty im Preußischen Abgeordnetenhause war gerade für die Aus. debnung auf die Landgemeinden; bei ihm möge sich Herr Weiß be— danken, daß wir das Gesetz in Süddeutschland haben. Daß das Reichsgesetz den , , . ist nicht zu ändern. Wir können nur über die Modalitäten der Ausführung ein Wort sprechen, und deshalb babe ich meinen Antrag gestellt, der das Selbstoerwal. sungs recht der Gemeinden schützen soll. Theurer wird die GSemeinde—⸗ rwaltung werden, denn die Unteroffiziere, die in die kleinen Femeinden kommen, baben sich in den großstädtischen Garnisonen wanches Bedürfniß angeeignet, das in den kleinen Städten nicht so billig ju befriedigen ift. Redner bedauert schließlich, daß der 1891 gefaßte Bes luß, alle Pensionsgesetze in eines zusammenzufassen, noch nicht erfüllt sei. . .
Abg. Weber Heidelberg (al.): Auch in diesem Gesetz über die Militäranwärter ist dem Bundesrath die Vollmacht gegeben, die Sache durchzuführen. Wir haben damit schlechte Erfahrungen gemacht, z. B. bejüglich der Bäckereirerordnung. Der Bundesrath sollte seine Be⸗ schlüsse bekannt geben, damit der Reichstag sich darüber äußern kann. Venn Herr Gröber über die liberalen Stadtyertretungen berziebt, so möchte ich darauf aufmerksam machen, daß die badischen Stadt⸗ rertretungen zuerst gegen die neuen Vorschriften über die Militär anwärter Front gemacht haben. Redner empfiehlt die Annahme des Antrages Gröber, der die Rechte der Stätte auf Anstellung ihrer Beamten nach Möglichkeit wahre. .
Abg. Marbe Zentr) erklärt sich ebenfalls für den Antrag.
Abg. Dr. Förster- Neustettin Reformp.) tritt dafür ein, daß den Inbaliden, die in Reichs. und Staatsdienste treten, ibre Pension nicht gekürjt werde. Die Leute ständen meist in höherem Alter; sie bedörften der Pension als einer Art Pflegegeld neben ihrem Gebalt.
General⸗Lieutenant von Viebahn dankt dem Vorredner für das Interesse, das er den Invaliden entgegengebracht habe, aber nachdem durch die Novelle von 1893 eine größere Fürsorge für die Invaliden kewirkt sei, seien die Ressorts der Meinung, daß eine weitere Für⸗ soꝛge jetzt nicht einzutreten habe.
Abg. Bueb (Soj. ): In Elsaß Lothringen haben seit der frarj5sischen Revolution die Gemeinden das unbeschränkte Anftellungs— recht für ihre Beamten. Die Novelle würde dieses Recht sehr er⸗ beblich einschränken. ;
Nachdem Abg. Dr. Osann (ul.) sich für den Antrag Gröber erklart hat, bedauert
Abg. Graf von Oriola (al.), daß die Wünsche der Militär⸗ indaliden mit, so kurzen Worten abgethan würden, trotzdem die Petitionskommission sich dafür erklärt habe. Hoffentlich finde in Zu⸗ kunft eine eingehendere Würdigung seitens der Regierung statt.
General⸗Lieutenant von Viebahn: Ich habe nicht von meinem rersönlichen Wohlwollen gesprochen, sondern nur die Meinung der verbündeten Regierungen vorgetragen.
Die Ausgaben werden bewilligt; der Antrag Augst wird gegen die Stimmen der Sozialdemokraten, der deutschen Volks⸗ vartei und der freisinnigen Volkapartei, sowie einiger Zentrums— mitglieder abgelehnt; der Antrag Gröber wird dagegen ein— siimmig angenommen. ;
Schluß 5 Uhr, Nächste Sitzung Montag 1 Uhr. Etat des Auswärtigen Amts.)
Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.
35. Sitzung vom 20. Februar 1897. Ueber den ersten Theil der Sitzung ist vorgestern berichtet worden. Das Haus setzt die zweite Berathung des Staatshaus⸗ halts-Etats für 1897.98 beim Justiz⸗Etat fort.
Bei den Remunerationen der Beamten der Amts⸗ anwaltschaft lenkt, wie hier noch einmal kurz mitgetheilt sei,
Abg. Freiberr von Zedlitz und Neu kirch (fr. kons) die Auf⸗ merksamkeit auf das Uebermaß an Bureauthätigkeit und Schreiberei, welches den Amtsvorstehern aus der grsßen Zahl von Ermitte⸗ lungen, Vernehmungen und Erhebungen erwachse. Ferner sei es an rielen kleineren Amtsgerichten nur sehr schwer oder auch gar nicht möglich, für die Wahrnehmung der Geschäfte der Amtsanwalte geeignete Personen zu gewinnen. Im Interesse der Justipflege sollte man daher an einer Reihe kleinerer Amtsgerichte die Assessoren mit der Thätigkeit der Amtsanwalte betrauen. Dadurch würden diese Ge⸗ schäfte in sachverständiger Weife erledigt werden.
Justiz⸗Minister Schönstedt:
Meine Herren! Die Klage über eine zu weitgehende Inanspruch— rahme der Amtsvorsteher zu den Geschäften der gerichtlichen Polizei st ja eine alljährlich wiederkehrende. Ich habe bereits wiederholt sowobl in diesem als auch im anderen Hause Gelegenheit gebabt, nich ju der Sache zu äußern. Die Staatsregierung erkennt ihrer⸗ sits vollkommen an, daß die Stellung der Amtsvorsteher als In- baber von öffentlichen Cbrenämtern es von selbst mit sich bringt, daß sie jzu gerichtlichen Geschäften nicht in größerem Umfange in An— pruch genommen werden dürfen, als es das Geschäftsbedürfniß noth= wendig mit sich bringt.
Auf diesem Standpunkt steht die Justizverwaltung seit einer Reihe von Jahren. Andererseits ist die Juftijwerwaltung nicht in der Lage, da auf die Mitwirkung der Amtsvorsteher zur Erledigung don Geschäften der gerichtlichen Polizei zu verzichten, wo ihr andere zeeignete Organe nicht zur Verfügung stehen, und wo die Abstand⸗ nahme von der Mitwirkung der Amtsvorsteber zu erheblichen Be⸗ lastigungen des Publikums, das alsdann vor das Amtsgericht geladen verden müßte, führen müßte.
Meine Herren, die Justiüverwaltung ist ihrerseits bemüht ge— wesen, den wiederbolt vorgebrachten Beschwerden nach Möglichkeit Atgegenjukommen. Es liegen mir Verfügungen vor, die in dieser a. erlassen sind, und ich darf mir wobl gestatten, aus dem In- alt derselben kurze Mittheilungen zu machen.
6 eee, im Jahre 1881 ist — anscheinend auch auf Veranlaffung flamentarischer Anregung und auf den Wunsch des Hern Ministers
Sätzen dahin lautet:
Allgemeine und bindende Normen darüber, in welchen Fällen die Mitwirkung der Amtsvorfteber von der Staatsanwaltschaft in Anspruch zu nehmen sei, lassen sich nach der Natur der Sache nicht aufstellen; es wird vielmebr immer das durch die Umstände des einzelnen Falles geleitete verständige Ermessen der Beamten der Staatsanwaltschaft entscheiden müssen. Die letzteren werden indeß niemals außer Acht zu lassen baben, daß die Mitwirkung bei den Geschäften der Strafjuftiz nur einen Theil der Berufstbätigkeit der Amtsvorfteher bildet, und daß die übrigen Zweige dieser Thätigkeit nicht durch jene Geschäfte beein⸗ trächtigt werden dürfen. Zu vermeiden wird namentlich sein, die Amtsvorfteher mit besonders ausgedebnten und umfangreichen Ver⸗ nehmungen zu befassen oder ihnen die Vornahme von Er—⸗ mittelungen ꝛc. in solchen Sachen zu übertragen, deren Be⸗ handlung wegen der Beschaffenheit des vorliegenden De⸗ liktes für den Nichtjuristen mit Schwierigkeiten ver⸗ knüpft ist. Andererseits wird bei einfachen Sachen stets zu erwägen sein, ob die erforderlichen Ermittelungen sich nicht in zweckentsprechender Weise durch die Gendarmen bewirken lassen“,
von denen allerdings — wie es dann weiter heißt — nicht verlangt werden kann, auch nach der Auffassung des Herrn Ministers des Innern, daß sie förmliche Protokolle aufnebmen, von denen vielmehr nur Anzeigen und Berichte über das Ergebniß ihrer Ermittelungen erwartet und verlangt werden können, abgeseben von den ausnahms⸗ weise vorkommenden ganz besenders qualifizierten Gendarmen.
Meine Herren, im Anschluß an diefe Verfügung ist unter dem 15. März 1882 eine weitere Verfügung erlassen, in der die Behörden der Staatsanwaltschaft darauf aufmerksam gemacht werden, daß in vielen Fällen, da, wo doch eine Requisition durch den Amtsvorsteher nicht unmittelbar, sondern nur durch Inanspruchnahme der ihnen unterftellten Beamten, der Guts und Gemeindevorsteber, erledigt werden könne, es sich empfehlen werde, diese Guts und Gemeinde vorsteher direkt in Anspruch ju nehmen und auf die Mitwirkung der Amte vorsteher zunächst zu verzichten.
Auf Grund der Verbandluagen des Vorjahres habe ich dann unter dem 15. April 1896 wiederum Veranlassung genommen, die Verfügungen aus den Jahren 1881 und 1882 in Erinnerung zu bringen und dabei hervorzuheben, daß sie nicht allein auf die Inanspruchnahme der Amtsvorsteher, sondern sämmtlicher Inhaber von Ehrenämtern in der Staats oder Selbstverwaltung ent— sprechend anzuwenden seien. Ich babe hervorgehoben, daß der ursprüng—⸗ liche Wirkungskreis der Verfügungen von 1881 und 1882, entsprechend dem erweiterten Geltungsbereich der Kreisordnung, sich erweitert habe. Ich habe auf die sich immer wiederholenden Klagen hingewiesen und deshalb die Erwartung ausgesprochen, daß überall die Staats anwaltschaft ihre Requisitionen an die Amtsvorsteher auf das Maß des Nothwendigen beschränken werde.
Bestimmte Klagen sind seitdem zur Kenntniß der Zentralstelle nicht gekommen. Ich bin deshalb auch nicht in der Lage, mich darüber zu äußern und ein Urtheil darüber zu fällen, in wie weit diese Ver⸗ fügungen gewirkt haben oder nicht. Ich kann nur bitten, daß Fälle, die auf eine Nichtbeachtung dieser Verfügungen schließen lassen, zu meiner Kenntniß gebracht werden; dann werde ich es meinerseits nicht daran feblen lassen, in geeigneter Weise einzuschreiten.
Meine Herren, den anderen Punkt, die Amtsanwalte betreffend, so hat der Herr Freiherr von Zedlitz sich schon selbst dahin ge— äußert, daß er von mir nicht erwarte, ich werde zu den von ihm gegebenen Anregungen schon beute eine beftimmte Stellung nehmen. Dazu würde ich in der That mit Rücksicht auf die große Tragweite dieser Anregungen nicht in der Lage sein. Dagegen bin ich vollkommen bereit, alles das in Erwägung zu ziehen, was von dem Herrn Abg. Freiherrn von Zedlitz hier vorgebracht worden ist. In thatsächlicher Beziehung darf ich mir gestatten, darauf hinzuweisen, daß, wie auch aus dem Stat hervorgeht, schon an einer Reihe von geößeren Orten besondere Amtsanwalte auch etatsmäßig angestellt sind, wie ich glaube, an 15 oder 18 Drten 26 Amtsanwalte. Sie finden die Gehälter dieser Beamten in dem Ctat unter Kapitel 74 Titel 6 aus geworfen. Ich darf ferner darauf hinweisen, daß bei einer größeren Anzahl von Amtsgerichten die Geschäfte der Amtsanwaltschaft von Mitgliedern der Staatsanwaltschaft vorge—⸗ nommen werden, sodaß also da die Inanspruchnabme der Gemeinde⸗ beamten in Wegfall kommt. Im übrigen balte ich es allerdings für zweifelhaft, ob in sehr großem Umfange die Staatsregierung in der Lage sein wird, auf das ibr nach dem Ausführungsgesetze vom 24. April 1878 zustebende Recht zu verzichten, wo eine Königliche Polizeiverwaltung nicht eingerichtet ist, die Uebernahme der Ge— schäfte des Amtsanwalts durch die ersten Gemeindebeamten oder andere der Gemeinde vorzuschlagende geeignete Personen zu ver— langen. Es ist außerordentlich schwierig, meine Herren, für die kleineren Amtsgerichte qualifizierte Personen zur Wahrnehmung dieser Geschäfte zu finden. Der Versuch, Gerichts ⸗Assessoren für eine größere Zabl von Amtsgerichten als Amtsanmalte zu bestellen, ist auch gemacht worden, aber mit geringem Erfolg. Dies erklärt sich zum theil daraus, daß nach den bestehenden gesetzlichen Bestimmungen die Gerichts ⸗Assessoren keinen Anspruch darauf haben, daß die Zeit, die sie etwa in den Stellen eines Amtsanwalts zu—⸗ gebracht haben, ihnen später auf ibr richterliches Dienstalter angerechnet wird. Nach dieser Richtung hin stellt die dem Hause unaterbreitete Vorlage bezüglich der Regelung der Richtergehälter allerdings eine Abhilfe in Aussicht und es würde dieses Hindeniß dann wegfallen. Wenn aber der Herr Abg. von Zedlitz glaubt, daß durch die Ver⸗ einigung der Amtsanwaltsgeschäfte mit Geschäften der gerichtlichen Polizei, die sonst den Amtevorstehern obliegen würden, der Königlichen Staatsregierung die Anstellung van Gerichts -⸗Assessoren in solchen Stellen werde erleichtert werden, so möchte ich doch gleich meinen bescheidenen Zweifel darüber aussprechen, ob eine solche Verbindung von Geschäften diese Stellen anziebender machen würde, wie sie es jetzt sind.
Es giebt in anderen Staaten äbnliche Einrichtungen, z. B. in Baden. In Baden werden durchgebends die Amtsanwaltsgeschäfte durch Beamte der Staatsanwaltschaft wahrgenommen, d. h. durch besondere Beamte, die bei der Staatsanwaltschaft am Orte des Landgerichts ihren Sitz haben und von dort aus die Geschäfte ihres Bezirks wahr— nehmen. Wir werden uns aber darüber nicht täuschen können, daß eine solche Einrichtung auch mit manchen Unzuträglichkeiten verknüpft
sein wird, und daß die häufige Abwesenheit der Amtsanwalte von
des Innern — eine Verfügung erlaffen, die in ihren wesentlichen
ihrem Sitze, das Fehlen derselben an den Amtsgerichten, wo bisher am Orte selbst ein Amts anwalt bestellt war, doch vielfach zu einer Grschwerung der Geschäfte und zu einer Beeinträchtigung der Straf⸗ rechtspflege fũübren kann.
Ich will mich darauf beschränken, auf diese Bedenken kurz hin⸗ zuweisen, die einer Ausführung der sonst beachtenswerthen Vorschläge des Herrn von Zedlitz in der Praxis sich entgegenstellen könnten. Im übrigen kann ich nur wiederholen, daß diese Anregungen einer sorg⸗ fältigen Erwägung seitens der Staatsregierung gewiß sein dürfen.
Bei dem Kapitel „Besondere Gefängnisse“ bemerkt
Abg. Dr. Friedberg (nl.): Brũ —ͤ 6 * des Eick des . 1 . MJ sammten Gefängnißwesens auf das Ministerium des Innern empfohlen. Wenn wir das Gefängnißwesen einer einheitlichen Verwaltung unter⸗ stellen wollen, so kann für mich dabei nur das Justizminssterium in Betracht kommen. Auch in Frankreich ftrebt man dahin, das Ge fãngnißwesen dem Justiz · Ministerium zuzutheilen. Strafzuerkennung und Strafvollzug müssen von einer Stelle aus verwaltet werden. Das Ansehen des Richterstandes wird nicht erböbt, wenn wir der Juftipverwaltung den Strafvollzug entziehen.
JuftizMinister Schönstedt:
Meine Herren! Auch hierbei handelt es sich um eine Frage, die seit Dezennien, ich möchte sagen seit Anfang dieses Jahrhunderts sich in der Schwebe befindet und es zu einer Lösung bisher nicht hat bringen können. Darüber besteht seit langer Zeit Einverftändniß zwischen den verschiedenen Ressorts und im Schoße der Staats: egierung, daß der bestehende Dualismus in der Gefängnißverwaltung nicht wünschens⸗ werth ift, daß es vielmehr dringend geboten sei, die Gefängnißver⸗ waltung in eine Hand zu bringen. Der wesentliche Streitpunkt ist eben der, welchem Ressort sie zu überweisen sei: der Verwaltung des Innern oder der Jusftizverwaltung. Diese Frage ist eine sehr lebhaft umstrittene; die Anschauungen darüber haben auch im Laufe der Jahrzehnte wiederholt gewechselt. Es ist in der Mitte der vierziger Jahre, ich glaube im Jahre 1845, schon einmal eine Allerhöchfte Kabinetsordre dahin erlassen, daß die gesammte Gefängniß⸗ verwaltung der Justizverwaltung zu unterstellen sei. Sie ist aber nicht zur Ausführung gekommen, und es sind namentlich die Ereignisse des Jahres 1848 gewesen, die die Erledigung dieser Sache ins Stocken gebracht baben. Seitdem ist ein ernstlicher praktischer Versuch, die Sache zu regeln, nicht mehr gemacht werden. Hier im Abgeordneten hause haben, wie der Herr Dr. Friedberg erwähnt bat, im Jahre 1875 und auch bei anderen Gelegenbeiten eingehende Verhandlungen über die Frage stattgefunden. Der Abg. Windthorst hat, wenn ich mich recht erinnere, eine Resolution beantragt dahin, daß die Gefängnißverwaltung in eine Hand gelegt werde, und zwar in die Hände der Justizverwal⸗ tung. Nach meiner Erinnerung ist aber die Mittheilung des Herrn Abg. Friedberg über das Ergebniß dieser Verhandlungen nicht ganz genau. Ich meine, der erfte Theil der Resolution sei angenommen, der zweite abgelehnt worden. Damals hat sogar der Justiz. Minister Leonbardt trotz seiner in Hannover gemachten Erfahrungen sich gegen die Unterstellung der Gefängnißverwaltung unter die Justizbebörde ausgesprochen, allerdings nicht aus sachlichen Gründen, sondern weil nach der damaligen Organisation ihm für die Juftizverwal⸗ tung diejenigen Organe zu fehlen schienen, die er für geeignet hielt, die Gefängnißverwaltung zu übernehmen. Die Gerichte waren nach seiner Auffassung nicht hierzu geeignet, das Institut der Staats- anwaltschaft in Preußen aber damals nicht genügend entwickelt. In dieser Beziehung, meine Herren, sind inzwischen wesentliche Aende⸗ rungen eingetreten. Die Justiz hat jetzt einen sehr erheblichen Theil der Gefängnisse unter ihrer Verwaltung, und ich glaube sagen zu können, ohne auf Widerspruch zu stoßen, daß die Justiz sich den ihr hieraus erwachsenen Aufgaben vollkommen gewachsen erwiesen hat, und daß insbesondere die großen Gefängnisse, die in den letzten 20 Jahren im Bereich der Justizverwaltung gebaut sind, in ihrer inneren Ein— richtung, ibrer Verwaltung, ihren Arbeitsbetrieben und ihrer erzieb— lichen Wirkung den Vergleich mit den Gefängnissen in dem Ressort des Ministeriums des Innern nach keiner Richtung zu scheuen haben.
Das ändert nichts daran, daß auch heute noch die Meinungen darüber, welches Ressort berufen sei zur Uebernahme der Gefängnisse, noch immer auseinandergehen. Die Sache ist aber gegenwärtig im Fluß. Es liegt bereits das Votum des Herrn Ministers des Innern dem Staats-Ministerium vor, das Votum der Justizverwaltung ist dem Abschluß nahe, und die Frage wird also vorauctsichtlich sehr bald zu einer Entscheidung gelangen Die Frage ist aber außerordentlich schwierig; sie berührt die allerverschiedensten Verhältnisse. Wenn die Justizverwaltung auch heute noch auf dem Standpunkt steht, daß es der naturgemäßen Entwickelung entspräche, die ge— sammte Strafvollstreckuang denjenigen Behörden zuzuweisen, von denen die Strafurtheile erlassen werden, wenn sie ein sebr wesentliches Gewicht darauf legt, daß unsere Strafrechtsorgane, die Staatsanwaltschaften und die Strafgerichte, in fortgesetzter lebendiger Fühlung mit der Gefängnißverwaltung bleiben, wenn sie glaubt, daß für die richtige Ausübung der Strasjustiz es geradezu ein Gebot der Nothwendigkeit sei, daß den Organen derselben die Möglichkeit ge geben sei, einen näberen Einblick in unsere Gefängnisse zu nehmen und sich aus unmittelbarer Anschauung und aus eigener Thätigkeit ein Urtheil darüber zu verschaffen, wie die von ihnen erkannten Strafen im einzelnen wirken, so wird demgegenüber von anderer Seite darauf hingewiesen, und auch gewiß in beachtenswerther Weise, daß der Verwal⸗ tung des Innern zur Seite stehe ihre nähere Fühlung mit der Polizei, ibre engen Beziehungen zum Zwangserziehungs und Korrigendenwesen u. s. w., alles Dinge, die gleichfalls im innigsten Zusammenhange mit unserer Strafrechtspflege und dem Vollstreckungswesen stehen.
Welche von den Gründen, die für die eine oder die andere Auf- fassung vorgebracht werden, schließlich ausschlaggebend sein werden, darüber läßt sich im Augenblick nichts sagen. Aber die Hoffnung, die schon der Herr Minister des Innern hier ausgesprochen hat, glaube ich auch meinerseits aussprechen zu können, daß die Frage einer bal digen Entscheidung nahe geräckt ist.
Das Kapitel und der Rest der dauernden Ausgaben werden, wie ebenfalls schon vorgestern mitgetheilt worden ist, bewilligt.
Bei den einmaligen Ausgaben tritt
Abg. Kache (kons) für den Neubau des Gerichts gebäudes in Brieg ein, indem er die jetzigen unzulänglichen baulichen. Ver— hältnisse schildert, die einer baldigen Verbesserung dringend bedürften. Er bezieht sich dabei auf seine eingebenden An ebe, . im vorigen Jahre. Es sei zwar die Frage aufgetaucht, ob das Landgericht aus Brieg nicht zu verlegen sei, aber die Verhältnisse würden doch bald
wieder ein Landgericht daselbst nöthig machen, und dann müßte ein