untersten Lohnklasse noch weiter herabsetzen und dadurch Einnahmen Ostpreußens um 10 96ο0 herabsetzen. Gher fön man dgran denken, die Beiträge der höheren Lohnklassen . Die Vorlage bedarf der gründlichsten Prüfung, und bei der Geschäftglage des FHaufeßz wird' es unmöglich fein, die elbe n. zu bringen, auch wenn sie einer besonderen Kommission ; lesen werden wird. Es erscheint überaus wünschens werth, daß wir e. en Bestimmungen annehmen, über welche eine Meinungs⸗ nheit nicht besteht. ö Absicht entspricht mein Antrag, welcher die in der Verlage enthaltenen Erleichterungen bezüglich der nition der Erwerbsunfähigkeit und bezüglich des Markenklebens umfaßt und sich als eine Art Nothgesetz darstellt, welches man ohne Kommissionsberathung sofort in zweiter Lesung im Plenum erledigen könnte. Sollte eine Kommissionsberathung beliebt werden, . sollte man die Kommission beauftragen, diesen Antrag vorweg zu then und vorab darüber Bericht zu erstatten. Durch dieses . , der Bevölkerung Deutschlands ein wirklicher Dienst geleistet werden. Direktor im Reichsamt des Innern von Woedtke: Der . J, des Herrn von Ploetz sowohl wie der Antrgg Roesicke scheinen mir nicht annehmbar zu sein. Die finanziellen Bedenken gegen den Antrag von Ploetz sind von dem Vorredner sehr eingehend und treffend dargelegt worden, sodaß ich darauf einzugehen verzichten kann. Der Antrag von Ploetz will von dem Markenkleben absehen und eine RNente gewähren, wenn eine Arbeitsbescheinigung beigebracht wird. Der Gedanke ist ganz schön, aber es wird dadurch nicht etwas Besseres erreicht, als durch daz bestehende Gesetz. In der Praxis wird es 63 nicht bewähren, Arbeitsbescheinigungen beizubringen. Während der 4 hat sich dieses Verfahren nicht gut bewährt und hat zur starken Belästlgung der Arbeitgeber geführt, namentlich soweit unständige Arbeiter in . gekommen. Der Arbeitgeber muß die Bescheinigungen mindestens vier Jahre aufheben. Die Antragsteller des Antrages von Ploetz haben die finanzielle Tragweite ihres An⸗ trages nicht übersehen, sie haben viel niedrigere Renten vorgeschlagen, als das bestehende Gesetz gewährt. Der Antrag Noc enthält einige gute Körnchen aus der Vorlage, der Rest soll ad calendas Graecas vertagt werden. Ein Noihgesetz ist das nicht; denn es Handelt sich dabei nicht um eine Abwendung von Gefahren. Bei einer Materie wie die Invalidenversicherung, welche bei der Bevölkerung nicht auf dasjenige Maß von Wohlwollen gestoßen ist, die sie ver⸗ dient, kann man nicht jetzt ein Stückchen ändern und im nächsten Jahre wieder. Der Ausgleich zwischen den einzelnen Versicherungsanstalten viel dringender nothwendig als die Aenderungen, welche Herr gesicke durchdrücken will, In Ostpreußen ist ein rechnungsmäßiges Defizit vorhanden, welches sich von Jahr zu Jahr vermehrt. Bis 1900, wo die erste Rechnungsperlode abläuft, muß die Sache ge⸗ regelt werden; um das Defizst auszugleichen, müßte die arme Provinz Ostpreußen ihre Lasten erhöhen. Herr Roesicke legt auf die Ausführungen der Denkschrift, welche gegen seine Ausführungen rechen, ein viel zu geringes Gewicht. Es mag sein, daß nicht alle Beträge in Ostpreußen entrichtet worden sind. Aber das reicht nicht aus zur Erklärung der kolossalen Verschiedenheiten mit den anderen Provinzen. Bis zum 31. Dezember 1896 war an Renten bewilligt auf 1000 Kö im ganzen Reich 45,l, in Ostpreußen aber 78,84, in Schleswig⸗Holstein 6238, in Schlesien 59,4 u. s. w. Die Ausgleichung der verschiedenartigen Belastung kann ja durch die Zusammenlegung mehrerer Anstalten erfolgen, z. B. durch die Zu⸗ sammenlegung aller norddeutschen Anstalten. Dadurch würde aber eine große Anzahl von Anftalten ihrer Selbständigkeit beraubt, wäh⸗ rend die Vorlage die Anstalten aufrecht erhält und für die Zukunft ihnen auch ihre Vermögensbestände beläßt bei anderweitiger Verthei⸗ lung der Rentenlast. Abg. Gamp (Rp): Auch ich hege die Befürchtung, daß bei der Geschäftslage die Vorlage nicht mehr verabschiedet werden kann; aber ich halte es nicht für richtig, einzelne Bestimmungen heraut—⸗ zugreifen. Da wären andere ger griffen dringender. Die Erledigung der von Herrn Roesicke herausgegriffenen Bestimmungen würde 6 an
die Neigung abschwächen, das bestehende Gesetz zu . sollte deshalb eingehend erwägen, ob nicht eine Vereinfachung und
BVerschmelzung der verschiedenen Versicherungen möglich sei. Herr Roesicke meinte, von vornherein hätte man eine solche Verschmelzung vornehmen sollen. Da würde es dringend nothwendig sein, jetzt daran zu gehen; denn je länger man wartet, desto schwieriger wird die Verschmelzung. Leider sind die Vorschläge des Präsidenten Bödiker nicht veröffentlicht worden; man sollte gerade hierbei die Deffentlichkeit zur Mitwirkung heranziehen. Ich stehe den Vor— 3 des Herrn Bödiker durchaus wohlwollend gegenüber. Man t die Unfallversicherung besonders organisiert. Man sollte sie aber nicht weiter ausdehnen, sondern sollte die Unfallfürsorge, soweit sie noch nicht besteht, in die Invalidenfürsorge aufgehen lassen und den verunglückten Leuten eine höhere Rente gewähren. In Ospreußen haben wir fast gar keine Industrie. Man könnte dort die Unfall⸗ organisation und die Invalidenanstalten versuchsweise vereinigen. Die Verhältnisse in Ostpreußen sind nicht vorübergehend. Es waren 1891 in Ostpreußen über 12 900 Altersrentner vorhanden, in Berlin nur etwas über 1000. Glauben Sie, daß in Zukunft die jungen Leute aus Berlin nach Ostpreußen wandern werden? Daran ist nicht zu denken. Wenn 1891 die Invalidenversicherungsanstalt Ostpreußen in ihrem Be⸗ richt sagt, daß der Versuch gemacht sei, Renten zu erlangen, so ist da⸗ mit gesagt, daß dieser Versuch zurückgewiesen worden ist. (Wider⸗ 6 des Abg. Roesicke: Sie haben ja den Bericht nicht gelesen)) Ich habe ihn gelesen. (Abg. Roesicke legt den Bericht auf den Tisch des Hauseg nieder Daß vielleicht bei dem Nachweis der Beschäftigung in Jweifelsfällen das menschliche Mitgefühl zur wohlwollenden Aus— Legung geführt hat, kommt bei allen Versicherungsanstalten vor. Herr Roesicke und auch der Regierungsvertreter haben den Antrag von Ploetz sehr abfällig beurtheilt. Sie verkennen die geoße sozial⸗ Politische Bedeutung desselben; denn er geht davon aus, die Versicherung auszudehnen guf Alle, die sich in einer unterstützungsbedürftigen Lage befinden, ob sie Arbeiter oder Arbeitgeber sind. Jetzt wird für den gut⸗ bezahlten Arbeiter gesorgt, aber für den kleinen Bauer und Hand— werker, der den Beitrag für seine Arbeiter bezahlen muß, wird nicht esorgt. Für die Armenpflege zahlen die Steuerzahler nach ihrer Leistungs⸗ ähigkeit, warum soll das nicht auf die Invalidenversicherung über- ragen werden, welche die Armenpflege ihrer entehrenden Re fr e. entkleiden soll. Herr Roesicke hat, den Antrag des Herrn von Ploetz . leichtfertig behandelt. Er meinte, daß die kleinen Leute davon nen Vortheil hätten, während sie danach versicherungspflichtig werden . soweit sie nicht mehr als 2000 M Einkommen haben. Die andwirthschaft ist besonders belastet, weil die landwirthschaftlichen Arbeiter nicht solche Werthe erzeugen wie die Industriearbeiter, welche mit Maschinen arbeiten. Nach dem Antrag von Ploetz soll die Rentenlast vertheilt werden nach Art der Matrikularbeiträge, und die . Elemente sollen dazu herangezogen werden. r Roesicke und seine Freunde haben ja auch einmal die ichseinkommensteuer vorgeschlagen zur Abwehr der Bier⸗ steuer. Die Nothlage der landwirthschaftlichen Versicherungk⸗ anstalten besteht hauptsächlich darin, daß nicht der Ver⸗ rungswerth der Beiträge zur Vertheilung der Renten zu Grunde
9. wird; ferner sind die Uebergangsbestimmungen die Ursache für die Nothlage, denn die Altersrenten belasten namentlich die ländlichen Bern ke. Die Einführung der einheitlichen Rente durch den Antrag von Ploetz kommt den Wünschen des Zentrums entgegen, welches nur die Industriearbeiter versichern will, denn für fr sieht der An⸗ trag von Ploetz eine Erhöhung der einheitlichen Rente vor. Eine Ausgleschung könnte ja gefunden werden durch Zusammenlegung aller preußischen Anstalten; dadurch würde die 5 sierung gefördert werden. Man könnte ja auch vielleicht eine Reichsanstalt einrichten. Wenn eine Verständigung nicht erzielt wird, bietet das gegenwärtige Gesetz die Mittel, . Verbände zu beseitigen, und die preußische Regierung hat nach 5 66 das Recht, eine Zusammenlegun aller preußischen Anstalten zu beantragen. Ich glaube aber doch, Eu die weitere . dieses Gegenstandes zur Klärung der Ansichten führen wird. Gegen die Ueberweisung an eine Kommission hahe ich keine Bedenken; die Kommission wird sich aber darauf beschränken
»die wir dem Staatshaushalts Etat beifügen,
müssen, die allgemeinen ingen u erörtern und der Regierung für die Aenderungen ein ausgieblgeres Material zur Verfügung m stellen.
Gegen 6 Uhr wird nach einigen persönlichen Bemerkungen die weitere Berathung bis Donnerstag 2 Uhr vertagt.
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Prenßischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 70. Sitzung vom 28. April 1897.
Eingegangen ist ein Gesetzentwurf, hetre end die Ent⸗ dic ig 9. Verluste durch Schweinekrankheiten in der Provinz Schlesien.
Auf der Tagesordnung steht die zweite Berathung des Staatshaushalts⸗Etals für 1897/98, und zwar des Etats des Ministeriums der geistlichen, Unter⸗ richts- und Medizinal⸗Angelegenheiten.
Bei den Einnahmen erwidert, wie bereits gestern kurz berichtet worden ist, auf eine Anfrage des Abg. von Strom⸗ beck (Zentr.) der
Minister der geistlichen, Angelegenheiten D. Dr. Bosse:
Meine Herren! Ich glaube, daß ich im stande bin, die Diskussion
über die von dem Herrn Abg. von Strombeck aufs neue angeregte Frage wesentlich dadurch abzukürzen, daß ich Ihnen die Erklärung wieder⸗ hole, die mein Herr Kommissar in der Budgetkommission in dieser Beziehung abgegeben hat. Sie geht dahin, daß zwischen dem Herrn Finanz ⸗Minister und mir nach eingehenden Verhandlungen eine Einigung und Uebereinstimmung dahin erzielt worden ist, daß die Staatsnebenfonds der Kultus⸗Verwaltung, soweit sie reines Staats⸗ eigenthum sind und namentlich nicht selbständige juristische Persönlich⸗ keit haben, in den Staatshaushalts⸗Etat aufzunehmen sind, daß ihre Einnahmen jedoch selbstverständlich nur den Zweckbestimmungen der Fonds gemäß zu verwenden sind und daß sie vom Jahre 1898 / 89 an durch den Staatehaushalts⸗Etat laufen sollen. Auf Grund dieser Einigung werden also im nächsten Jahre die betreffenden Fonds in den Staatshaushalts. Etats eingestellt werden, und es wird Ihnen bel dieser Gelegenheit eine Zusammenstellung aller rechtlichen Unterlagen für die Beurtheilung der Frage, ob ein Fonds in den Staatshaushalts⸗Etat gehört oder nicht, vorgelegt werden. Daß das nicht schon in diesem Jahre geschehen ist, hat seinen Grund darin, daß bei einer Reihe von Fonds noch Zweifel bestanden und daß der Herr Finanz ⸗Minister und ich uns dahin geeinigt haben, diese Zw eifel dem Herrn Justiz⸗Minister zu einer gutachtlichen Aeußerung vorzu⸗ legen, — ein Weg, den wahrschelnlich das hohe Haus als vollständig be⸗ rechtigt anerkennen wird. Das wird in kurzer Zeit erledigt sein, und dann werden im nächsten Jahre die Fonds im Staatshaushalts⸗Etat erscheinen, und das hohe Haus wird in der Lage sein, ju prüfen, ob wir in jedem Falle das Richtige getroffen haben. Ich glaube, daß mit dieser Erklärung die Sache als erledigt anzusehen ist.
Abg. von Strom beck (Zentr.) wünscht, daß die eigentlichen Stiftungsfonds, die nicht unmittelbares Staatseigenthum seien, juristische Persönlichkeit erhielten.
Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:
Meine Herren! Ob die Einnahmen aus Nebenfonds als Ein⸗ nahmem bezw. Ausgaben des Staats anzusehen sind und ob sie des⸗ halb durch den Staatshaushalts⸗Etat laufen müssen, das wird sich ergeben, wenn dem hohen Hause die Zusammenstellung dieser Fonds vorgelegt wird. Ich glaube, daß die von dem Herrn Abg. von Strombeck jetzt angeregte Frage einigermaßen verfrüht ist. Ich bin der Meinung, daß durch den Staatshaushalts⸗Etat nur diejenigen Einnahmen laufen, die als Einnahmen des Staats anzusehen sind. Dagegen glaube ich allerdings, daß wir nur dann dem Hause den vollen Einblick und die volle klare Darlegung dieser Verhältnisse gewähren können, wenn wir auch diejenigen Staatsnebenfonds, die wir als Stiftunge fonds mit selbständiger juristischer Persönlichkeit ansehen, in der bisherigen Weise in einer mehr oder weniger ausführlichen Zusammenstellung, ersichtlich machen. Das ist unsere Absicht, und ich kann versichern, daß wir ganz loyal auf diesem Gebiet vorgehen wollen. Die Sache ist aber, wie sich bei dem Angriff im einzelnen herausgestellt, nicht immer ganz einfach. Wir sind auf gewisse Zweifel gestoßen, die noch nicht voll⸗ ständig erledigt sind. Ich bin aber sicher, und glaube das mit voller Bestimmtheit in Aussicht stellen zu können, daß im nächsten Staats⸗ haushalts⸗Etat diese Frage ihre vollkommen klare und gründliche Erledigung finden wird.
Bei den Ausgaben für das Gehalt des Ministers nimmt nach der bereits mitgetheilten Rede des Abg. Roeren (Zentr.) das Wort
Abg. von Eynern (ul.): Hoffentlich wird sich das Zentrum bei den nächsten Wahlen den übrigen Ordnungsparteien im Kampfe gegen die Sozialdemokratie anschließen. Das ist bis jetzt nicht immer der Fall gewesen. Es sind Sozialdemokraten mit Hilfe des Zentrums e worden. (Rufe im Zentrum: Wo?) In Dortmund! Die
eußerung auf dem Hamburger Lehrertage wird sich niemand von uns aneignen. Der Redner hat sie selbst zu vertreten. Die Klage über die Imparität bei der Anstellung von Beamten haben wir be⸗ reits im vorigen Jahre sehr eingehend als unberechtigt zurückweisen können. Sogar die Evangelischen dürften sich nach den Mit⸗ theilungen des Ministers in Bezug auf die höheren Beamten rellen über Zurücksetzung hinter die Katholiken beschweren. Herr Roeren hätte also mit dieser Klage nicht wieder kommen sollen. Die Klöster sind allerdings gewissen Beschränkungen unterworfen worden, und die Minister müssen diese gesetzlichen Bestimmungen anwenden. Aber der Minister hat im vorigen Jahre nachgewiesen, daß von 1891— 93 die Zahl der Ordensniederlassungen sich von 1064 auf 1215 und die Zahl der Ordensmitglieder sich von 12 052 auf 14 044 vermehrt hat. Solche Einrichtungen wie in Belgien wollen wir aber nicht haben, weil das nicht im allgemeinen Interesse liegt. Das Kloster Maria 7. ist mit der Zeit sehr stark gewachsen und beginnt schon, den ganzen Bauernstand der Umgegend aufzusaugen. Manche Benachtheiligung der Katholiken in den Kommunen mag ja vorkommen. Wir sind bereit, zur Abstellung dieser Miß⸗ stände . aber wir wünschten, daß dann auch die Klagen der Beschwerdekommission der Nationalliberalen über Zurücksetzung der Evangelischen berücksichtigt werden. Kaiserswerth z. B, dessen Bürger der Abg. Dauzenberg ist, und wo von 2300 Einwohnern ̃evangelisch und ee f find, hat 13 katholische Ge meinde⸗ vertreter und nur einen evangelischen. Herr Dauzenberg hat dort . Einfluß, und das nennt er also wohl Paritaͤt. Ein Katholik at einmal gesagt: Wo Ihr in der Majorität seid, ver⸗ langen wir Toleranz nach Eueren Grundsätzen; wo wir die Majorität haben, unterdrücken wir Cuch nach unseren Grundsãtzen. . der Rheinprovinz macht sich das Prozessionswesen der katholischen irche immermehr bemerkbar. Namentlich in konfessionell gemischten
Unterrichts⸗ und Medizinal⸗
Bezirken nimmt es immer mehr Raum für sich lin Anspruch und hindert den Verkehr. Ich glaube nicht, daß die Proze . eine Sperrung der Straßen für sich beanspruchen können. Es giebt Ver. ordnungen, daß nur „ hergebrachte Prozessionen in der hergebrachten Weise“ stattfinden dürfen. . dieser Verordnungen lassen sich die Mißbräuche beseitigen. In Frankreich sind die Prozesstonen da verboten, wo Kirchen verschiedener Konfessionen vorhanden sind.
Durch eine solche Bestimmung könnten manche Exzesse bei uns ver=
mieden werden, Die Katholiken verlangen, daß die Passanten vor dem Sanktissimum den Hut abziehen oder gar niederknien; da dies Anderg⸗ . nicht thun, so haben sich oft a, ,. daraus entwickelt. HRedner führt einige Beispiele dafür an, bei denen Bestrafung der Uebelthäter eingetreten sei, . anten geschlagen haben, weil diese nicht den Hut abzogen.) Die Regierung möge dahin wirken, daß dasz Prozessionswesen gesetzlich eingeschränkt werde. Ich möchte serner den Minister fragen, wie es mit der Gesetzgebung bezüglich des Charfreitags steht, für die schon verschiedene Vorschlaͤge gemacht sind. Herr Dauzenberg
ist im vorigen Jahre damit einverftanden gewesen, daß der Charfreitag mit Rücksicht auf die evangelische Kirche zum gesetzlichen Feiertag gemacht werde. Redner bemängelte weiter, daß in . bet Köln ein neues Gymnasium errichtet werde unter geistlicher Leitung; die Schule müsse so eingerichtet werden, daß sie auch von Protestanten besucht werden könne. Man müsse verhindern, daß sich ein Schulwesen bilde, welches rein katholischen Charakter habe.
Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:
Meine Herren! Was die Anfrage des Herrn Abg. von Eynern betrifft, so bemerke ich, daß die Charfreitagsvorlage von mir in An⸗ regung gebracht ist, daß darüber die Provinzialbehörden gehört worden sind, und daß sich die Sache selbst noch in der Verhandlung zwischen den verschiedenen betheiligten Ressorts befindet. Ob es möglich sein wird, noch im Laufe dieser Session die Vorlage einzubringen, muß ich dahingestellt sein lassen. Ich hatte alles Mögliche gethan, um sie womöglich vor dem letzten Charfreitag vorzulegen, das ist mir aber nicht gelungen.
Ueber die katholische Schule in Ehrenfeld will ich mich zunächst nicht weiter verbreiten, weil ich von der Sache bisher nichts ge⸗ hört habe. Ich habe nur den Eindruck aus den Ausführungen des Herrn Abgeordneten, daß bis jetzt die Sache da vollständig in Ordnung ist (Heiterkeit); und wenn später etwas nicht in Ordnung sein sollte, werden gewiß die staatlichen Behörden die Augen auf⸗ machen und Remedur schaffen, soweit das nöthig ist.
Run glaube ich, meine Herren, dem Herrn Abg. Roeren elnige Worte der Erwiderung schuldig zu sein. Ich muß zunächst mit dem Herrn Abg. von Eynern meine große Befriedigung darüber aus— sprechen, daß diese großen, schweren Fragen von ihm in einem so ruhigen, friedlichen und sachlichen Tone besprochen worden sind. Ja, meine Herren, es sind das die allerschwersten Fragen, die bei der Kultusverwaltung in allen ihren Zweigen überhaupt bestehen. Sie sind zurückzuführen auf den großen konfessionellen Zwiespalt, der nun einmal in unserem Volke besteht, und es ist gewiß, daß die Hoffnung, in staatlichen Dingen gemeinsam nützlich zu wirken, nur dann realisiert werden kann und um so mehr realisiert werden wird, je mehr wir uns be—⸗ mühen, diese Dinge ruhig und sachlich hier mit einander zu erörtern.
Ich bin auch noch in einem anderen Punkt mit dem Herrn Abg. Roeren vollkommen einverstanden. Meine Herren, die Ueberwindung der großen feindseligen Mächte der Zeit ist auch nach meiner Meinung nur möglich auf dem Boden der christlichen Religion und der christ= lichen Schule und Jugenderziehung, und so viel an mir ist, werde ich, so lange ich auf diesem Platze stehe, nichts unterlassen, um dieses Mittel des Widerstandes gegen die falschen Mächte der Zeit zu fördern und zu pflegen auf dem gesunden Boden, der in unserer. preußischen Verfassung vorgezeichnet ist.
Nun, meine Herren, die Einwendungen und Klagen im einzelnen, die der Abg. Roeren vorgebracht hat, sind ja nicht neu; die meisten von ihnen haben wir früher schon gehört und hier miteinander er— örtert. Ich bemerke zunächst zu den Beschwerden, daß die Regierung die für katholische Minoritäten verwendeten konfessionellen Privat⸗ schulen nicht mit demjenigen Eifer als öffentliche Schulen anerkannte und zu öffentlichen Schulen umwandelte, wie es zu wünschen wäre: daß wir das nicht könn en. Diese Privatschulen der konfessionellen Minderheiten bilden sich zunächst auf die private Initiative einzelner Mitglieder hin, die für ihre Kinder ein besonderes Schulbedürfniß haben. Dann aber, wenn die Schule so anwächst, daß es sich darum handelt, ob sie eine öffentliche werden soll oder nicht, muß sie ent⸗ weder von der Gemeinde übernommen oder es muß eine besondere Schulsozietät gebildet werden. Nun kann ich versichern, daß überall, wo auf Initiative der Betheiligten derartige Anträge gestellt werden und an mein Ressort gelangen, ich sie mit aller Sorgfalt instruiert und behandelt habe. Es ist aber nicht immer möglich, schon wegen der Leistunge⸗
„fähigkeit der Betheiligten, diese Schule ohne weiteres auf die Ge⸗
meinde zu übernehmen oder eine öffentliche Schulsozietät zu bilden; und wir sind schließlich in der Beschwerdeinstanz machtlos. Denn in diesen Fragen haben die Selbstverwaltungs⸗ und die Beschlußbehörden zu entscheiden, und deren Entscheidung müssen wir uns einstweilen fügen. Wir helfen aber diesen Minoritäten nach Möglichkeit durch staatliche Unterstützung. Nun irrt sich darin der Herr Abgeordnete ganz entschieden, wenn er glaubt, daß wir dabei die Evangelischen bevorzugten und die Katholiken zurücksetzten. (Bewegung im Zentrum) Gerade das Gegentheil ist der Fall, gerade das Gegentheil! Wir haben drei Gruppen solcher kleinen Schulen: solche mit weniger als 20 Kindern, solche mit weniger als 30 Kindern und solche mit weniger als 40 Kindern. Nun will ich Ihnen vorlesen, mit welchem Prozentsatz die evangelischen Schulen und die katholischen Schulen dieser Art bel den Unterstützungen seitens des Staats betheiligt sind. Wir haben aufgewendet bei den Schulen der Gruppe A, die unter 20 Kinder haben, für die evangelischen 47,22 0,½ der Gesammtausgaben der Schulen, für die katholischen b4 88 0ͤ/9. (Hört! hört! rechts und bei den Natlonalliberalen) Wir haben aufgewendet in der Gruppe B, die mehr als 20, aber weniger als 30 Kinder enthält, für die evan⸗ gelischen 46,920 /, für die katholischen 47,51 o; endlich in der Gruppe O, die mehr als 30, aber weniger als 40 Kinder in sich schließt, für die evangelischen 46,11 c 0 und für die katholischen zö b o,. (Hört! hört! rechts und bei den Nationalliberalen) Ich& kann beim besten Willen nicht anerkennen, daß das eine imparitãtische Behandlung ist. (Sehr richtig! rechts und bei den National. slberalen) Wenn sie aber imparitätisch ist, dann. geht die Imparität zum Nachthell der Gvangelischen und zu Gunsten de— Katholiken. (Sehr richtig! recht, und bei den Nationalliberalen.) Nein, meine Herren, das sind ungerechte Vorwürfe, und
es mir nicht verübeln, wenn ich sie auf Grund meines amtlichen terials hier zurückweise. (Bravo! rechts und bei den Nation liikeñl leg Meine Herren, ich muß auf das Allerbestimmteste bestreiten, daß wir
jn der Provinz Posen germanisierende Tendenzen unter Schädigung katholischer Kinder in ihrer Religion betrieben. Das ist in keiner Weise wahr. Daz Einzige, was man in der Provinz Posen allenfalls zugeben kann, ja was ich in der Provinz Pesen auch zugeben muß, sst, daß wir dort zeitweise einen Mangel an katholischen Lehrern ge⸗ habt haben. Glücklich erweise und auf Grund unserer Bemühuagen sind wir jetzt in der Lage, diesen Mangel allmählich zu über⸗ winden. Die Zahl der katholischen Seminaristen in der Pro- pinz Posen ist neuerdings wesentlich gewachsen. Wir haben gegenwartig 228 evangelische und 332 katholische Seminaristen jn der Provinz Posen, und auch in den Präparanden ⸗Anstalten wächst das katholische Element. Es sind gegenwärtig in Posen 1165 evan⸗ gelische und 200 katholische Präparanden vorhanden. Also der Mangel an katholischen Lehrern in der Provinz Posen wird sehr bald über⸗ wunden sein. An uns hat es nicht gelegen, daß vorübergehend Mangel war. Wir haben alles Mögliche aufgeboten, um diesen Mangel zu beseitigen. Es liegt uns daran, an katholischen Schulen auch katholische Lehrer zu haben.
Ich will bier gleich noch einen Punkt erledigen, d. i. der auf— fallende Umstand, der von dem Herrn Abgeordneten auch erwähnt worden ist, daß es wohl vorkommt, daß an einer konfessionellen Schule ein Lehrer der anderen Konfession angestellt wird. Ja, meine Herren, das kommt namentlich in den ostlichen Provinzen vor. Wir haben da stiftungsmäßig evangelische Schulen, an denen allerdings auch katholische Lehrer angestellt sind, und zwar lediglich mit Rück⸗ sicht auf die inmwischen angewachsene Zahl der katholischen Kinder. Liegen die Dinge so, daß wir da besondere katholische Schulen ein⸗ richten können, so thun wir es. Aber das geht nicht immer; vor allen Dingen müssen wir das Unterrichtsbedürfniß befriedigen; wir können die Kinder nicht ohne Unterricht lassen. Sind nun aber die Leistungsverhältnisse der Gemeinde nicht so, daß sich eine besondere Schule gründen läßt, dann müssen wir uns so gut behelfen, wie es eben geht, und dadurch kommen in der That zuweilen ganz auffällige Erscheinungen, daß an einer Schule, die stiftungsmäßig und urkundlich evangelisch ist, ein katholischer Lehrer erscheint, daß in solchen Schulen einer evangelischen Minorität eine katholische Majorität gegenüber⸗ steht, während das natürlich bei der Gründung der Schule anders gewesen ist, da waren nur evangelische Kinder vorhanden. Das umgekehrte Verhältniß, daß wir katholische Schulen mit evan⸗ gelischen Lehrern besetzen, kommt, sopviel ich weiß, überhaupt nicht vor, — wenn es vorlommt, ganz selten, denn sonst hätte mir das im Laufe der Verwaltung auffallen müssen.
Ich will dann zu diesen kleinen Schulen nur noch bemerken, daß die ganzen Verhältnisse, die Schwierigkeiten, die Eigenthümlichkeiten ihrer Verwaltung sehr gründlich auseinandergesetzt sind in unserer Volksschul⸗Statistik vom Jahre 1891 im Theil 1 auf S. 142 ff., und ich gebe dem Herrn Abg. Roeren und den Herren, die sich dafür interessieren, anheim, sich dort die Dinge einmal nachzulesen; es würde zu weit führen, darauf hier weiter einzugehen.
Nun, meine Herren, an diesem Bestreben, die katholische Be⸗ völkerung gerecht zu behandeln und ihren Bedürfnissen gerecht zu werden, würde garnichts geändert werden, wenn nach dem Wunsche des Herrn Abg. Roeren im Ministerium eine andere Zusammensetzung der Beamten nach Konfessionen einträte. Ich habe mich hier in früheren Jahren einmal sehr ausführlich darüber ausgesprochen, aus welchen Gründen ich nicht beabsichtige, ja, im Gegentheil Widerstand leiste, im Ministerium wiederum eine katholische Abtheilung her⸗ zustellen. Meine Herren, so lange ich Kultus⸗Minister bin, wird keine kntholische Abtheilung im Ministerium eingerichtet! (Bravo! bei den Nationalliberalen) Das geschieht nicht aus Feindschaft oder Miß⸗ trauen gegen die katholische Kirche — das liegt mir ganz ferne, damit habe ich nichts zu thun; ich bin verfassungsmäßig ver— pflichtet, gegen die katholische Kirche — im rechten Sinne — ebenso gerecht zu sein, wie gegen die evangelische, und ich bin mir dieser Verpflichtung sehr wohl bewußt. — Und dennoch, meine Herren, ja vielleicht gerade deshalb, werde ich nicht die Hand dazu bieten, die katholische Abtheilung im Ministerium wieder aufleben zu lassen. Meine Herren, ich habe aus den Akten der katholischen Abtheilung gesehen, daß sie nicht günstig, in vielen Fällen nicht günstig gewirkt hat. Bei der jetzigen Einrichtung haben wir vier katholische Räthe im Ministerium, die ich immer zusammennehme bei irgend einer wichtigen katholischen Angelegenheit — wenigstens sehr häufig —, und ich habe außerdem, um Ihnen auch das zu sagen, einen Hilfs— arbeiter berufen, bei dem ich gar keinen Grund hatte, nach der Kon⸗ fession zu fragen, der Katholik ist. — Ich habe ihn einberufen, weil es ein tüchtiger Mann war, der mir entgegengetreten ist als eine tüchtige Kraft, die im Ministerium zu verwerthen war. Kein Mensch — auch hier im Abgeordnetenhause — hätte ein Wort sagen können, wenn ich einen evangelischen Mann genommen hätte. Meine Herren, wir wählen bei diesen Dingen überhaupt nicht nach Konfessionen, son⸗ dern wir wählen ausschließlich nach der Sache, und das ist auch das einzig Richtige. Dabei haben wir uns sehr gut gestanden. — Ich will hier nicht ein⸗ gehen auf die Ober Präsidenten — Sie haben ja einen katholischen Ober ⸗Praͤsidenten in einer Provinz, die doch nur sehr wenig mehr katholische Einwohner hat als evangelische; Sie haben einen katholi⸗ schen Regierungs ⸗Präsidenten; Sie haben mehrere katholische Ober⸗ Reglerungs⸗Räthe und zahlreiche katholische Kreis ⸗Schulinspektoren
im Hauptamt (Zuruf) — ja, meine Herren, das sind katholische
Kreis. Schulinspektoren im Hauptamt!
Meine Herren, der ganze Vorwurf in Bezug auf die Besetzung von Stellen geht aus von dem Begriff einer falschen, mecha—⸗ nischen, kalkulatorischen Parität oder Imparität. Mit diesem Begriff ist nicht zu rechnen. Damit werden Sie in Preußen nicht durchkommen; denn die ganze preußische Tradition und Geschichte spricht dagegen. Und, meine Herren, das ist auch nicht nöthig! Es ist eine vollkommen gerechte und sachgemäße Behandlung auch der katholischen Bevölkerung zu gewaͤhrleisten, ohne daß man sich auf diese mechanische Parität in der Besetzung der Be— amtenstellen einlaͤßt.
Es ist darüber geklagt worden, daß wir weniger katholische Geist⸗ liche als Kreis. Schulinspektoren im Nebenamt haben. Das ist richtig; das hängt damit zusammen, daß wir in den wesentlich katholischen Gegenden in Posen, Westfalen und am Rhein eine große Zahl baupt⸗ amtlicher KreisSchulinspektionen besitzen. Dieser ganze Zug nach den hauptamtlichen Kreis. Schulinspektionen hat seinen Grund darin, daß der Kreig-Schulinspektor im Hauptamt als Fachmann in der Regel sich den Geschäften der Kreis. Schulinspektion sehr viel mehr widmen kann, als der Kreis, Schulinspektor im
Nebenamt. Das liegt doch in der Natur der Sache. Ich denke garnicht daran, die geistlichen Kreis Schulinspektionen im Nebenamt mit einem Schlage zu beseitigen; das würden wir überhaupt garnicht können, schon aus finanziellen Gründen nicht. Ich kann auch nicht sagen, daß meine Neigung dahin stände. Darauf ist allerdings mein Bestreben gerichtet, da, wo die Verwaltung der Schulinspektion besonders schwierig ist oder der Schulinspektor im Nebenamt an der vollen ordnungsmäßigen Wahrnehmung der Geschäfte durch die Pflichten seines Hauptamtes außer stande gesetzt wird, eine Kreis⸗ Schulinspektion im Hauptamt einzurichten. Dabei werde ich selbstverständlich im Großen und Ganzen den konfessionellen Ver⸗ hältnissen des Bezirks, um den es sich handelt, Rechnung tragen, wie ich das auch bisher gethan habe.
Was nun den Religionsunterricht anlangt, den wir an konfessio⸗ nelle Minderheiten ertheilen lassen, und zwar unter sehr starker Auf⸗ wendung staatlicher Mittel — denn das scheint mir die rechte Auf⸗ gabe des Staats zu sein, da, wo diese Minderheiten nicht im stande sind, den Kindern einen konfessionell religiösen Unterricht zu gewähren, mit seinen Mitteln einzutreten —, so sind die Katholiken im Vortheil, die Evangelischen im Nachtheil. Meine Herren, an konfessionelle Minderheiten ist mit staatlicher Beihilfe in den Jahren 1893,94 Religionsunterricht ertheilt worden in 1075 Schulverbänden, und zwar an h229 evangelische Kinder in 330 Stationen und an N96 katholische Kinder in 339 Stationen. Also wiederum haben wir unsere Fürsorge den katholischen Kindern vorzugsweise zugewendet, nicht aus einer besonderen Vorliebe für die katholischen Kinder, sondern weil uns da das größere Bedürfniß entgegengetreten ist. Aber so viel sehen Sie daraus, daß es uns ganz fern liegt, in tendenziöser Weise die katho—⸗ lischen Kinder zu benachtheiligen. Das wäre eine Grausamkeit, die wir in keiner Weise verantworten könnten. Ebenso hat sich die Zahl in dem Jahre 1895.96 gestaltet. Dort ist an konfessionelle Minder⸗ heiten Religiongunterricht ertheilt für 4648 evangelische Kinder in 332 Stationen und für 97265 katholische in 343 Stationen.
Ich habe früher einmal ausgeführt, daß im Großen und Ganzen die schwächere Vertretung katholischer Beamten wohl darauf zurück⸗ zuführen sei, daß sich der Nachwuchs der katholischen Bevölkerung weniger dem Studium der Fächer zuwendet, aus denen die Beamten hervorzugehen pflegen. Ich bin auch heute noch dieser Meinung. Ich bin darin bestärkt durch Vorgänge in München im vorigen Jahre, wo von sehr autoritativer katholischer Seite unter Bezugnahme auf meine Aeußerung dies ausdrücklich anerkannt worden ist. Ja, ich habe hier in Berlin mit Herren der Zentrumsfraktion aus dem Reichs⸗ tage über diese Dinge mich ganz friedsam und freundlich unterhalten, und man hat mir zugestanden, daß die Sache so ist. Und wenn Sie sich eins der allerneuesten Produkte in der katholischen Literatur an⸗ sehen wollen und die neueste Broschüre des Professors Schöll in Würzburg durchlesen, so werden Sie auch da finden, daß er genau dasselbe sagt und die katholische Bevölkerung ermahnt, doch mehr und mehr dahin zu streben, wissenschaftliche Berufe für ihre Kinder zur Geltung zu bringen.
Nun will ich damit das Schulgebiet verlassen und nur ganz kurz mich zu der Beschwerde über die Verwaltung auf dem Gebiete des Ordenswesens wenden, — eine alte katholische Beschwerde. Ja, meine Herren, die Verfügungen auf diesem Gebiet sind nichts weniger als bequem für uns; viel bequemer wäre es uns, wir kümmerten uns um die Sache garnicht und ließen Niederlassungen in beliebiger Zahl zu. Aber, meine Herren, das dürfen wir nicht; denn wir sind durch die Gesetzgebung gebunden, und diese Gesetzgebung, dieses Ordensgesetz ist gemacht auf Grund einer Vereinbarung. Wenn die Herren, nach= dem die Sache jetzt mehr als 10 Jahre alt geworden ist, das ver⸗ gessen haben, so kann ich ihnen nur anheimstellen, sich doch wieder die Ver⸗ handlungen von damals durchzulesen; da werden sie finden, wie damals diese Dinge vereinbart sind, und ich darf noch hinzusetzen: sie sind verein bart unter sehr hoher katholischer Autorität. Meine Herren, davon kann und darf ich nicht einseitig abweichen. Das sind staatliche Vor⸗ sichtsmaßregeln gewesen, die man bei dieser Vereinbarung zum Abschluß des Kulturkampfes von staatlicher Seite geltend gemacht und in dieser Gesetzgebung aufrecht erhalten hat. Deshalb kann ich nicht anerkennen, daß der Staatsregierung die Verpflichtung ebliege, zur Beseitigung der sogenannten Kulturkampfsreste die Initiative zu ergreifen. Sind da noch wirklich Dinge, die etwa im Laufe der Zeit schwerer und unerträglicher geworden sind, als sie es früher gewesen, so muß die Initiative zur Beseitigung von katho⸗ lischer Seite ausgehen. Wir können nur dann die Initiative ergreifen, wenn ein staatliches Bedürfniß vorliegt; wenn im Staat und bei der Staatsverwaltung uns Momente entgegen⸗ treten, die uns diese Zustände unerträglich erscheinen lassen. So liegt die Sache aber keineswegs; im Gegentheil, ich glaube, daß doch auch in diesen Bestimmungen sehr viel Verständiges ist. Ich schließe das daraus, daß es überhaupt in der Welt keinen Staat — in der Welt ist vielleicht zu viel gesagt, aber in Europa, in Deutschland ganz gewiß — keinen Staat giebt, in dem die Ordenskongregationen und ordengähnlichen Gemeinschaften und Genossenschaften der katholischen Kirche nicht gewissen Beschränkungen unterworfen wären, und ich glaube mit freiem Muth behaupten zu dürfen: die katholische Kirche in ihrer Gesammtheit — es ist mir das oft von Katholiken bestätigt — wird in keinem Staate der Welt, auch in keinem katholischen Staate, besser behandelt als in Preußen. (Bewegung im Zentrum)
Nun ist uns gesagt worden, es sei doch ganz seltsam, daß man einen so großen Unterschied mache zwischen den evangelischen Diakonissenanstalten und den katholischen Schwestern. Ja, soweit die katholischen Schwestern wirkliche Ordensschwestern sind, müssen wir den Unterschied machen; das steht im Gesetz, dazu sind wir ver⸗ pflichtet, und wir dürfen nicht das Gesetz verletzen. Soweit sie sich aber mit Werken der christlichen Liebesthätigkeit befassen, ohne einem Orden anzugehören — j. B. die katholischen Schwestern vom Rothen Kreuz —, so werden ihnen genau so wenig Hindernisse in den Weg gelegt wie den evangelischen Diakonissinnen. Wir haben hier einen ganzen Verein gehabt, sie nannten sich, glaube ich, Maria Schwestern, welche ganz unbehelligt gewesen sind, ganz frei gewirthschaftet baben; erst später wurden sie, und zwar auf ihren Wunsch und unter Zustimmung ihres zuständigen Bischofs, in eine wirkliche ordensähnliche Genossenschaft vereinigt und auf den An⸗ trag des Bischofs zugelassen, und sind nun natürlich auch dem Ordenkgesetz unterworfen wie jeder andere Orden. Das ist aber die Initiative dieser Schwestern gewesen. Es liegt eben in dem strammen Zusammenschlusse der Orden doch ein wichtiges Moment, welches diese Thätigkeit von der freien Thätigkeit unterscheidet. Ich
brauche das Herrn Roeren nicht auteinanderzusetzen, der uns sagte
unsere Schwestern können auch austreten, sind ganz frei, können ohne
jeden Nachtheil zurücktreten in den bürgerlichen Stand. Ja, meine
Herren, das lönnen sie — aber in der Regel wohl nur unter Bruch ihres Gelübdes — das ist doch ein gewaltiger Unterschied, und die Stellung der geistlichen Oberen, namentlich der Ordenzoberen ist doch eine andere bei den Orden und bei den
einfachen Vereinen, wie sie unsere Diakonissen bilden. Nein, meine
Herren, das hat doch seiner Zeit seine guten Gründe gehabt! Nun
können aber doch die Herren von der katholischen Seite, wenn sie
einige Gerechtigkeit gegen die Staatsregierung wollen walten lassen,
unmöglich behaupten, daß wir, der Herr Minister des Innern und
ich, in Bezug auf die Zulaffung der Ordensniederlassungen zu abweisend
oder zu engherzig wären. Meine Herren, wir haben allein in der Diözese
Münster 218 Niederlassungen (hört, hört! bei den Nationalliberalem), 1417 Krankenschwestern, 666 erziehende Schwestern und 36 Patres in der Seelsorge, und es ist von Katholiken in der Diözese Münster, von Geistlichen, gesagt worden: wir können es uns nicht besser wünschen in dieser Beziehung, es ist und es wird den Bedürfnissen bei uns im wesentlichen genügt. . .
Ja, meine Herren, und wie hat sich dies geändert? Im Jahre 1872 waren in Preußen 8795 Ordensmitglieder; im Jahre 1886 7248, die Zahl ist gestiegen im Jahre 1890 auf 11717 und im Jahre 1893 auf 14044. (Hört! hört! links.) Das, meine Herren, ist doch kein Widerstand; das ist doch keine tendenziöse Behandlung und Einschränkung! Ich würde das auch für falsch halten. Die Be— völkerung hat sich auch vermehrt. Die Bedürfnisse sind größer ge⸗ worden. Aber daß wir das Bedürfniß prüfen, können Sie uns nicht verargen, das ist uns vorgeschrieben. Wir prüfen es unter Anhörung aller Instanzen und jedesmal auch unter Anhörung der geistlichen Oberen, und unsere besten Informationen bekommen wir von kirchlicher Seite und nicht von staatlicher. Das ist eine reine Legende, wenn Sie annehmen, wir setzen uns über den Kopf der kirchlichen Instanzen hinweg. Nein, wir setzen uns mit ihnen in Verbindung! Schließlich müssen wir aber die Entscheidung treffen, und wir treffen sie im vollen Gefühl unserer Verantwortung.
Was die Niederlassungen anlangt, so waren im Jahre 1872 vor⸗ handen 914, im Jahre 1886 746, im Jahre 1890 1027 und im Jahre 1893 1215. Ja, meine Herren, ich glaube wirklich allen Grund zu haben zu der Behauptung, daß von unserer Seite nach dieser Richtung hin eine tendenziöse Handhabung des Ordensgesetzes nicht geschieht.
Nun ist von Herrn Abg. Roeren darüber geklagt worden, daß die Ordengniederlassungen der katholischen Schwestern, vor denen Sie ja großen Respekt und zu denen Sie ja ganz gewiß eine große Liebe haben — die wir übrigens theilen; ich theile durchaus den Respekt vor den krankenpflegenden katholischen Schwestern; sie leisten aus⸗ gezeichnetes, ja sie sind Vorbilder auf diesem Gebiet; das erkenne ich im vollsten Maße an —, es ist darüber geklagt worden: diese Niederlassungen könnten jederzeit aufgelöst werden. Ja, meine Herren, so einfach ist die Sache nicht; sie können nicht ad libitum der beiden Minister aufgelöst werden; es gehört dazu eine Königliche Verordnung. Im übrigen ist aber, seitdem die ganze Ordensgesetz⸗ gebung besteht, noch niemals auch nur eine einzige Auflösung erfolgt. Also woher soll da der Grund zur Beschwerde kommen?
Meine Herren, der große konfessionelle Zwiespalt in unserm Volke nöthigt uns, mit einander zusammenzuleben, und nöthigt uns, um den Ausdruck eines hervorragenden süddeutschen Katholiken, mit dem ich neulich über diese Dinge gesprochen habe, zu gebrauchen, uns mit einander einzurichten. Das geht aber nur auf thatsächlichem Gebiet. Es giebt gewisse prinzipielle Forderungen der katholischen Kirche, von denen sie nicht läßt, und zur Zeit auch wohl nicht lassen kann — ich wage das als Protestant nicht zu entscheiden — und es giebt ebenso gewisse prinzipielle Forderungen, von denen wir als Evangelische, als Söhne der Reformation nicht lassen können und, wie heutzutage die Sache steht, auch nicht lassen wollen. Deshalb bleibt uns nichts Anderes übrig: wir müssen uns auf einen thatsächlichen modus vivendi, mit einander einrichten; da können wir die Prinzipien offen lassen, die mögen auf dem geist⸗ lichen und geistigen Gebiet mit den Waffen des Geistes ausgekämpft werden. Dieser Kampf muß bleiben, den können wir nicht hindern, und wenn wir noch so friedsam gesinnt sind, eine Konfession gegen die andere. Aber wir müssen uns mit einander einrichten. Zu diesem Einrichten gehören zwei Voraussetzungen — ich habe das im vorigen Jahre gesagt — Einmal — und ich bin überzeugt, daß auch die Mehrzahl der Herren die Respektierung unserer staatlichen Hoheitsrechte will — ich kann einem kirchlichen Anspruch gegenüber nie und unten keinen Umständen ein staatliches Hoheitsrecht preisgeben. Das thue ich auch nicht, ich würde lieber von meinem Amte weggehen, ehe ich das thaͤte; ich wärde darin eine Unmöglichkeit erblicken, weiter freudig meines Amtes zu walten. Das ist also unmöglich. Die andere Voraussetzung ist: wir können nicht die Kultus verwaltung beider Konfessionen so führen, als wenn nur eine Konfession im Staat ver⸗ handen wäre; wir können weder die katholischen Kultusangelegenheiten so verwalten, als wenn es inur Gvangelische gäbe, noch können wir die evangelischen Kultusangelegenheiten so verwalten, als wenn es nur Katholiken gäbe, oder gar nach katholischem Prinzip. Das können wir nicht. Wir müssen gegenseitig Rüäcksicht nehmen, wir müssen auch Rücksicht nehmen auf die Eindrücke der Bevölkerung. Gewiß sagen Sie, warum gewährt Ihr ung denn nicht einen Orden an einem Orte, wo die Bevölkerung es wünscht! Wie aber, wenn der andere Theil der Bevölkerung daran Anstoß nimmt? Unter Umstaͤnden liegt die Sache so, daß die Gründung einer Ordens ⸗ niederlassung den konfessionellen Streit in einer Weise entfacht, die nicht zu verantworten ist, oder daß den Uebelständen, denen durch die Niederlassung abgeholfen werden soll, auf eine andere Weise besser ab⸗ geholfen werden kann, wenn wir nur nicht hier den Kampf anfangen. Das, meine Herren, werde ich nicht thun; ich werde nicht Oel ins Feuer gießen bei diesem konfessionellen Kampf. Soll überhaupt die . zu einer ruhigen, stetigen, gedeihlichen Entwickelung geführt werden, zu einer sachlichen Verständigung aller patriotischen Leute, die ihr Vaterland und ihr Volk lieben, fo kann das nur geschehen, wenn jeder an seinem Theile die Hand dazu bietet, den konfessionellen Frieden der Bevölkerung zu wahren. Nun, meine Herren, das habe ich mir vom ersten Anfang meiner Amtsführung zur Aufgabe gemacht, meines schweren und verantwortungsvollen Amtes; ich habe das ble jetzt nach besten Kräften geübt, vielleicht nicht immer mit vollem Erfolge, aber wenigstens ehrlich und redlich, und dabei werde ich auch
bleiben. (Lebhaftes Bravo)