Zu den Petitionen um Erhöhung der Pfarrer⸗ gehälter bemerkt der Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. Bosse:
Ich möchte nur kurz bemerken: der Antrag der Kommission ist uns in jeder Weise willkemmen. Die Staatsregierung steht der Frage mit größtem Wohlwollen gegenüber, und über die Frage, wie es gemacht werden soll, sind wir bezüglrch der evangelischen Landes⸗ kirche der alten Provinzen mit dem evangelischen Ober -⸗Kirchenrath bereits in Verhandlungen eingetreten, und ich hoffe, daß sie zu einem alle Seiten befriedigenden Resultat führen werden.
Bei dem Kapitel ‚Medizinalwesen“ spricht
Graf Udo zu Stolberg seine Befriedigung aus über den zur Bekämpfung der Granulose aus geworfenen Fonds. Die Krankheit sei ju ung aus Rußland eingeschleppt; der Kampf gegen sie werde daher auch fortgesezt werden müssen, wenn sie in den Ostprovinzen aus- gerottet sei.
Der Etat des Kriegs⸗Ministeriums giebt zu Debatten keinen Anlaß. Damit 9 die Einzelberathung erledigt. Das Ctatsgesetz wird mit der Indemnitaͤtsklausel genehmigt.
Schluß nach 6 Uhr. Sonnabend 12 Uhr: Kleinere
Vorlagen.
Haus der Abgeordneten. 93. Sitzung vom 28. Mai 1897.
Auf der Tagesordnung steht die zweite Berathung des Gesetzentwurfs zur Ergänzung und Abänderung von k über Versammlungen und Ver⸗ eine nebst den dazu gestellten Abänderungsanträgen.
Ueber den ersten Theil der Debatte ist gestern berichtet worden.
Minister des Innern Freiherr von der Recke:
Meine Herren! Die Königliche Staatsregierung hat sich bei der Ausarbeitung des Ihnen vorliegenden Entwurfs eine große Zurück haltung aufgelegt (Heiterkeit in der Mitte und links) und eine Reihe von Verbesserungsvorschlägen, die seit vielen Jahren in Erwägung gezogen waren, zurückgestellt, in der Hoffnung und in dem Wunsche, das Zustandekommen dieser Novelle zu erleichtern. Sie hat sich darauf beschränkt, lediglich diejenigen Machtbefugnisse zu fordern, die nach ihrer Auffassung unumgänglich nöthig sind, und sie hat außerdem noch eine Reihe von Erleichterungen vorgeschlagen.
Was ist nun, meine Herren, aus diesem Gesetzentwurf in der Kommission geworden? Die verehrten Herren in der Kommission haben sich, um mich vulgär auszu⸗ drücken, die Rosinen aus dem Kuchen herausgenommen (Heiter keit), haben die Erleichterungen dankbar acceptiert, haben, was ich meinerseits dankbar anerkenne, die Bestimmungen über die Minder⸗ jährigen angenommen, allerdings mit sehr erheblichen Einschränkungen, und haben diejenigen Artikel, auf welche die Königliche Staats — regierung das Hauptgewicht legen muß, einfach abgelehnt. (Sehr richtig! rechts) Meine Herren, die Königliche Staatsregierung kann dies nur sehr bedauern und muß Sie dringend bitten, die beiden Artikel JL und III in der Fassung der Regierungsvorlage wieder her⸗ zustellen.
Daß ein Bedürfniß dazu besteht, die Machtmittel des Staats auf dem Gebiete des Versammlungs⸗ und Vereinswesens zu ver⸗ stärken, ist meiner Auffassung nach unbestreitbar. Natürlich kann man das nicht mathematisch und ziffernmäßig darlegen, und man kann es am allerwenigsten denjenigen darlegen, die von vornherein die Absicht haben, sich nicht überzeugen zu lassen. (Unruhe in der Mitte und links) Meine Herren, ich muß es in Erwiderung einer Aeußerung des Herrn Abg. Schmieding auf das entschiedenste bestreiten, daß die Königliche Staatsregierung von den ihr zu Gebote stehenden Macht⸗ mitteln bis jetzt noch nicht den ausreichenden Gebrauch gemacht habe. Im Gegentheil, ich werde mir erlauben — zugleich einem Wunsche des Herrn Abg. Porsch entsprechend —, Ihnen nachzuweisen, daß sich eine ganze Reihe von Fällen in der Monarchie abspielen, in denen die staatliche Autorität in der gröb⸗ lichsten Weise mißachtet wird, ohne daß es möglich ist, straf⸗ rechtlich gegen derartige Aeußerungen einzuschreiten oder Ver⸗ sammlungen oder Vereine, in denen sich solche Sachen ereignen, auf⸗ zulösen oder zu schließen. Ich will mich dabei nur auf einige Fälle beschränken, kann aber versichern, daß mir eine große Anzabl davon zur Verfügung steht. Sie stellen eine vollständige Kette von Ent⸗ sagungen der Behörden dar, welche ju ihrem Bedauern darauf ver— zichten mußten, einzuschreiten, weil das Gesetz ihnen zur Wahrung der staatlichen Autorität keine Handhabe bot. Es liegt mir hier
z. B. vor ein Bericht über eine Versammlung eines sozialdemokratischen Vereins, in dem ganz offen gesagt ist, wenn man den Staat schädigen und untergraben könne, solle man es nur in jeder Weise thun‘. Eine gerichtliche Verfolgung wurde ab⸗ gelehnt. (Hört! Hört! rechts.)
Inhalts eines Berichts über eine Volksversammlung in Hanau wurde dort offen erklärt, man müsse sehen, den Staat durch alle möglichen Mittel zu Falle zu bringen; man müsse an dem Staat rütteln und ihm den Boden untergraben, damit er zu Falle komme‘. — Es liegt hier ferner vor ein Bericht über eine Anarchistenversammlung in Frankfurt — Zurufe links! Namen) vom 12. Dezember 1893 — ECachen links und im Zentrum), in welchem gesagt wurde: die alte Gesellschaft verschaffe sich Genußmittel durch Betrug und Aus⸗ beutung; der Zeitpunkt für die Arbeiter sei gekommen, wo sie fich zufammenfinden und Rache nehmen können an der Ausbeutung des Kapitals“. In einer anderen Ver—
sammlung äußerte ein Anarchist: „er sei Individualist, halte nur sein eigenes Ich im Auge Eachen links und im Zentrum; große Unruhe; Rufe rechts: Ruheh (Glocke des Präsidenten); er würde vor keinem Verbrechen zurückschrecken, und wenn er Revolver oder Dolch gebrauchen müsse“. (Hört! Hört! rechts) Ihm erwiderte ein Gesinnungsgenosse, er könne dem Vorredner nicht Unrecht geben, Diebkstahl und Falschmünzerei halte auch er nicht für ein Verbrechen“. (Rufe links: Bravo!)
Sodann, meine Herren, erlaube ich mir, um auch den Herren zu genügen, die aus der neuesten Zeit etwas zu wissen wünschen, vom 18. August 1896 Mittheilung zu machen über eine Versammlung des polnisch sozialdemokratischen Vereins in Berlin. (Aha! links und im Zentrum) Sie werden sich vielleicht aus den Zeitungen ent
hat, folgende Resolution gefaßt bat: Gs soll dahin gewirkt werden, daß die Autonomie Polens hergestellt und die
Polen Rußlandtz, Preußens und Oesterreichs von der verdammungswürdigen Unterjochung zu befreien sind“. Darauf haben die Mitglieder des Berliner Vereins beschlossen:
Die polnischen Sozialdemokraten erklären, alle Punkte des Kongresses anzuerkennen und nicht eher zu ruhen, bis alles aus⸗ gefübrt sei.
(Hört! hört! rechts. Lachen links und im Zentrum.) Auch dieser Fall ist der Königlichen Staatsanwaltschaft unterbreitet worden; es hat sich aber ebenfalls dasselbe negative Resultat ergeben, wie in den vorher gedachten Fällen. Es hat sich eine strafrechtliche Ver⸗ folgung des Redners nicht erzielen lassen, ebensowenig ist nach Auf⸗ fassung der Polizei eine Auflösung der Versamm lung möglich ge⸗ wesen. Ich erlaube mir ferner, Ihnen aus einer Versammlung, die sich in Hannover abgespielt hat (Rufe links: Wann und wo?) — im Jahre 1895 — Folgendes vorzuführen. Auf dem Kommers eines Turner bundes äußerte der Präses u. a.: . Die Preußen hätten Hunger und Noth, sonst wären sie nicht hierher gekom men; zu Hause hätten sie nichts Anderes zu essen als Kartoffel schalen. (Heiterkeit) Mehrere Turner des Vereins müßten jetzt zur Ableistung ihrer Militärpflicht eintreten; den Rock trügen diese aber doch nur zum Schein, ihr Herz bleibe hannöversch.! Auch gegen eine derartige Aeußerung hat sich eine Verfolgung nicht ermöglichen lassen. Zum Schluß noch ebenfalls ein Beispiel aus der neuesten Zeit: Ein Redner betonte, daß allein die hannoversche Partei die absslute Wahrheit verfolge. Er schloß mit einem Hoch auf das Hannoverland, was seinen rechtmäßigen Fürsten wieder erhalten müsse. (Bewegung im Zentrum.) Meine Herren, ich habe Ihnen hauptsächlich Beispiele aus sozial- demokratischen und anarchistischen Versammlungen vorgeführt, weil sich, wie ich hier noch ausdrücklich betonen will, die Tendenz des von der Königlichen Staatsregierung vorgelegten Gesetzentwurfs gegen die Umsturzparteien richten soll. Irgend welche Absicht, den legitimen Versammlungs⸗ und Vereinsbestrebungen entgegenzutreten, liegt, wie ich wiederhole, nicht vor. Ich möchte hier Veranlass ung nehmen, an⸗ knüpfend an einige Aeußerungen, die bei der ersten Berathung dieses Gegenstandes gefallen sind, noch einmal der Auffassung entgegen · zutreten, als wenn es sich bei der sozialdemokratischen Partei um eine Reformpartei handle, die auf dem besten Wege wäre, sich zu mausern. Meine Herren, die Königliche Staatsregierung steht durchaus nicht auf diesem Standpunkt. Sie hat von jeher betont, daß sie auch die sozialdemokratische Partei für eine revolutionäre Partei halte, welche als Endziel verfolge, die bestehende Staats, und Gesellschaftsordnung umzustürzen, und sie hat sich durch den Verlauf der Dinge eines an⸗ deren durchaus nicht belehren lassen können. (Sehr richtig! rechts.) Ich möchte Ihnen zum Beweise dessen, daß nicht allein die Verwaltung auf diesem Standpunkt steht, einige Aeußerungen aus Gerichtserkenntnissen vorlesen, denen Sie mit Recht ein besonderes Gewicht beizulegen Veranlassung haben. Erst am 29. Januar d. 8 hat das Königliche Ober⸗Verwaltungsgericht in einem Erkenntniß ausgesprochen: „daß ein Beamter die Pflichten seines Amts verletze und sich des Vertrauens, das sein Beruf erfordert, unwürdig zeige, wenn er die Bestrebungen einer politischen Partei, welche die Grundlagen der bestehenden Rechts, und Staatsordnung grundsätzlich bekämpft, be⸗ wußt unterstützt oder fördert. Die sozialdemokratische Partei, welche notorisch die Grundlagen der bestehenden Rechts ⸗ und Staats ordnung grundsätzlich bekämpft und, wofern sie die Macht zur Verwirk⸗ lichung ihrer Ziele hätte, bis zu deren Erreichung auf gesetzmãßigem Wege schwerlich warten würde, ist bemüht, Anhänger bei der ihr noch fern stehenden ländlichen Bevölkerung zu gewinnen, indem sie bei derselben Unzufriedenheit mit ihrer Lage zu erregen und dadurch den sozialdemokratischen Ideen Eingang zu verschaffen sucht.
Diese Auffassung deckt sich vollständig mit der Auffassung, die das Königliche Kammergericht in einem Erkenntniß vom 14. Oktober 1895 ausgesprochen hat. Daselbst wird gesagt:
denn ein Verein, welcher sich die Verbreitung und Befestigung sozialdemokratischer, also auf Um sturz der Verfassung und der bestehenden Gesellschafts ordnung und Aenderung der Gesetzgebung gerichteter Ideen zur Aufgabe macht, bezweckt die Er⸗ örterung solcher Angelegenheiten u. s. w. '
Wenn ich hier eine Beurtheilung des Ober⸗Verwaltungsgerichts über diejenigen Verhältnisse, die ich vorhin bei Mittheilung des polnisch-sozialdemokratischen Vereins gestreift habe, anschließen darf, so wird das für Sie vielleicht auch nicht ganz ohne Interesse sein ˖ Das Ober⸗Verwaltungsgericht sagt:
Das Ober ⸗Verwaltungsgericht hat es bereits in dem durch das Ministerialblatt der inneren Verwaltung“ veröffentlichten End⸗ urtheile vom 11. Januar 1888 als notorisch bejeichnet, daß in den ehemals polnischen Theilen der preußischen Monarchie feit langem eine Aktionspartei besteht, deren Ziele, so unklar, verworren und widersprechend auch die in die Oeffentlichkeit dringenden Aeußerungen über die zu ihrer Erreichung dienenden Mittel seien, — doch unver⸗ kennbar darauf hinausliefen, jene Landestheile, wenn auch nicht ganz von Preußen loszureißen, so doch in ihrer staatsrechtlichen Stellung derartig zu ändern, daß dadurch die verfassungsmäßig bestehende Reichs⸗ und Staatsordnung in ihren Grundlagen gänzlich verändert werde.
Auch hier finden Sie also eine sehr scharfe Verurtheilung dieser Ver⸗ hältnisse seitens der Gerichts höfe. Die Königliche Staatsregierung kann, wie ich wiederhole, nicht anerkennen, daß es sich bei der sozial⸗ demokratischen Partei um eine Partei handelt, die sich zu einer Re⸗ formpartei auswachse, sondern sie steht fest auf ihrer Meinung: die Sozialdemokratie ist eine revolutionäre Partei, und dementsprechend müssen wir ihr gege nüber die Mittel wählen. Nun sind wir weit davon entfernt, zu glauben, daß wir die Sozialdemokratie lediglich auf dem Wege der Repression bekämpfen können; nein, wir sind nach wie vor entschlossen, die in die Wege geleitete Sozialreform fortzusezen. Aber wir können nicht zugeben, daß es auf diesem Wege allein geht; wir bedürfen außerdem zur Bekämpfung scharfer repres⸗ siver Mittel.
Meine Herren, es ist nun im Verlaufe der ersten Berathung und auch beute darauf hingewiesen worden, daß sich gegen die Vorlage der Staatsregierung ein großer Entrüstungssturm erhoben habe. Es läßt
Bekenntutz, daß dies auf die Könieliche Staatarenierung auc nich den geringften Eindruck macht (lebhaftes Bravo rechts); im Gegen. theil, es hat sich bei ihr nur die Auffaffung gefestigt, daß sie sich mit
findet. (Bravo! rechts) Wenn sie überhaupt nach der Richtung hin Veranlassung hat, sich zu äußern, so kann es nur der Ausdruck dez Bedauerns sein, daß sich ein großer Theil der Presse dazu hergegeben hat, nicht die eigentliche öffentliche Meinung wiederzugeben, sondern sie direkt zu fälschen. (Sehr gut! rechts. Widerspruch links) Die Erörterungen in der Presse beginnen übrigens jetzt in ruhigere Bahnen einzulenken und ich zweifle nicht daran, daß binnen kurzer Zeit die Auffassung der Presse auch eine andere sein wird. Meine Herren, ich sehe auch nicht ein, in wie fern die Vorlage der König. lichen Staatsregierung reaktionär sein soll; sie bezweckt nichts Anderez als gewissen groben Mißbräuchen auf dem Gebiet des Versammlungs. und Vereinswesens Abhilfe zu schaffen. Wenn Sie das eine Reaktion nennen, so kann es offenbar nur eine gesunde Reaktion sein (Bravo! rechts, und man kann denjenigen Staaten, welche sich bereits in dem Besitz solcher Bestimmungen befinden, welche wir erwünschen, nur dazu Glück wünschen, daß sie es verstanden haben, sich mit Hilfe einer weisen Landesvertretung der⸗ artige Machtmittel zu verschaffen. (Lachen links.) Meine Herren, es haben ja selbst die Gegner dieser Vorlage anerkennen müssen, es könne kein Mensch wünschen, daß derartige Versammlungen und Vereine, wie sie die Vorlage treffen will, unbehelligt bleiben. Es kann also nur die Befürchtung eines Mißbrauchs der Vollmachten sein, welche die Gegner veranlaßt, sich gegen deren Bewilligung auszusprechen. Konsequent und logisch ist diese Auffassung meines Erachtens nicht. (Sehr richtig! rechts) Denn wenn man den Zweck will und ein— sieht, daß es erforderlich ist, der Staatsregierung schärfere Waffen zu geben, so wird man sich über dieses Bedenken hinwegsetzen müssen. (Sehr richtig! rechts.)
Meine Herren, ich bestreite keineswegs, daß Mißgriffe bei Hand⸗ habung des Vereins und Versammlungsgesetzes möglich sind; daß sie vorkommen, liegt in der Natur der Sache, und so lange wir mensch⸗ lichen Schwächen unterworfen bleiben, werden derartige Menschlich keiten nicht ausbleiben; sie werden sich wiederholen, sie werden repro— biert werden und sie werden sich vielleicht auch etwas vermindern. Bei einem ganz allgemeinen schrankenlosen Versammlungsrecht muß naturgemãß die untere Pelizeibehörde diejenige sein, welche die Beauf · sichtigung der Versammlungen übernimmt. Wir können unmöglich in jede Versammlung, nach dem kleinsten Dorfe, höhere Polizeibeamte schicken. Dazu fehlt es vollständig an Material. Es bleibt eben nichts Anderes übrig, als mit diesen unter Umständen schwierigen Funktionen die unteren Polizeibeamten zu betrauen und ihnen Vertrauen zu schenken, daß sie nach bestem Wissen und Können ih ren Funktionen nachkommen werden.
Glauben Sie denn, meine Herren, daß diejenigen Funktionen, die diesen Beamten nach dem Gesetzentwurf zugemuthet werden, schwieriger zu erfüllen sind, als beispielsweise die jetzt schon im Vereinsgesetz stehende Bestimmung, zu erkennen, ob gewisse Aeußerungen gegen das Strafgesetzbuch verstoßen? — Ich bestreite daß und möchte annehmen, daß ein untergeordneter Polizeibeamter reichlich so viele Schwierigkeiten hat, zu entscheiden, ob dieser Fall vorlegt, oder ob die öffentliche Ordnung und die Sicher⸗ heit des Staats gefährdet wird.
Außerdem ist doch zu erwägen — und ich bemerke das jetzt gleiö, weil die Diskussion sich zu gleicher Zeit auf Art. III erstreckt — daß die Befürchtung eines Mißbrauchs der Repressivbestimmungen bezüglich der Vereine vollständig wegfällt. Es ist bei der ersten Berathung seitens des nationalliberalen Herrn Redners vorsichtigerweise dieser Punkt gänzlich umgangen worden. Bei den Bestimmungen des Art. II ist nämlich die Entscheidung darüber, ob ein Verein aufgelõft werden soll, ausdrücklich der Landes ⸗Polizeibehörde übertragen, und gegen die Gntscheidung der Landes Polizeibehörde haben Sie die Rechtskontrole des Ober ⸗Verwaltungsgerichts. Nachdem man es für nützlich erachtet hat, im Bürgerlichen Gesetzbuch, also auf privatrechtlichem Gebiete, einem Verein die Rechtsfähigkeit zu entziehen, wenn er gegen das Gemeinwohl verstößt, so vermag ich nicht einzusehen, warum man dann es ablehnt, auf Grund des öffent · lichen Rechts einen Verein zu schließen, wenn er sich gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung vergeht. Ich bin sogar der Meinung, daß man auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts strenger sein muß, weil dort die Gefahr eines Mißbrauchs sehr viel größer ist als auf dem Gebiet des Privatrechts. J
Wenn ich mich nun zusammenfassen darf, so muß ich erklären, daß die Königliche Staatsregierung einmüthig der Meinung ist: der Staat bedarf auf dem Gebiete des Vereins⸗ und Versammlungẽwesens verstärkter Machtmittel. Wir sind ferner der Auffassung, daß die selben in zweckmäßiger Weise durch die Vorlage gegeben werden können, und glauben endlich, daß die Befürchtung einen Mißbrauchs dieser Bestimmungen in weiterem Um fam ausgeschlossen ist. Die Königliche Staatsregierung hofft, daß Sie ihr diese Machtmittel bewilligen werden. Sollten Sie dies wider Erwarten ablehnen, so muß sie die volle Verantwortung für die Folgen denjenigen Parteien zuschieben, die es nicht über sich ge⸗ winnen können, den praktischen Bedürfnissen des Lebens und den Bedürfnissen des Staats folgend, diese Machtmittel n gewähren. Und, meine Herren, diese Verantwortung is leine leichte. Wenn Sie bedenken, welche Entwickelung die Soil! demokratie schon in den Krankenkassen gewonnen hat, wenn Sie berũck sichtigen, welchen Einfluß sie sich in der Gewerkschaftsbewegung zu der⸗ schaffen sucht, mit welchen Mitteln sie augenblicklich bestrebt ist, den Zusammenschluß der Eisenbahnarbeiter zu fördern — Sie finden in den neuesten Zeitungen nähere Nachrichten darüber — wenn Sie sich endlich die Musterung vergegenwärtigen, die damals gelegentlich des Hamburger Ausstandes die Sonaldemokratie über ihre Mannen ge⸗ halten hat: dann, meine Herrrn, können Sie der Staatsregierung die⸗ jenigen Mittel nicht versagen, deren sie, wie ich hier offen ausspreche unter allen Umständen bedarf. Meine Herren, die Bevölkerung würde auch eine Ablehnung der Vorschläge der Königlichen Staatsregierung nicht nur nicht verftehen (achen link und im Zentrum, sehr richtig
rechts), sondern sie wird — dessen bin ich sicher — zu gelegener Zeit auch dieserhalb Abrechnung halten. (Uh! links.)
(Schluß in der Zweiten Beilage.)
sich ja auch nicht leugnen, daß in der Presse scharf über diese Gesetzes vorlage
sinnen, daß ein sozialdemokratischer Kongreß, der in London getagt
geurtheilt worden ist. Gefstatten Sie mir aber auch das freimũthige
der Einbringung dieser Gesetzesvorlage auf dem richtigen Wege be.
n 125.
(Schluß aus der Ersten Beilage.)
Gewähren Sie der Königlichen Staatsregierung die Machtmittel, deren sie bedarf, ehe es zu spät ist. Darin stimme ich dem Herrn Grafen Limburg⸗Stirum vollständig zu: je länger Sie damit zögern, desto schärfer werden die Mittel sein müssen, die Sie der Königlichen Staatsregierung nachher zu bewilligen haben werden.
Wenn es mir nun erlaubt ist, mich kurz über die vorliegenden Anträge zu äußern, so kann ich nur sagen, daß der Antrag der konser⸗ vativen Partei sich im wesentlichen mit dem der Staatsregierung deckt, sodaß, obwohl eine Beschlußfassung darüber nicht stattgefunden hat, für die Staatsregierung ein Bedenken wohl kaum bestehen wird, ihn anzunehmen.
Hinsichtlich des Antrages der freikonservativen Partei hat eine Beschlußfassung der Königlichen Staatsregierung ebenfalls noch nicht stattzefunden, dem Gebra uch gemäß, welcher es in der Regel verbietet, eher zu derartigen Anträgen Stellung zu nehmen, ehe sie zum Be⸗ schluß erhoben sind. Es läßt sich nicht verkennen, daß dieser Antrag die Lösung oder Regelung der vorliegenden Frage auf grundsätzlich
anderem Wege anstrebt, als die Regierungsvorlage es thut. Der
Antrag geht nicht so weit als die letztere, er giebt aber der Königlichen Staatsregierung sehr viel mehr Machtmittel, als es nach dem Kommisstonsantrage der Fall sein würde, und so sind gerade die⸗ jenigen Bestrebungen zu treffen, auf deren Bekämpfung, wie ich vor hin schon ausgeführt habe, die Regierung besonderes Gewicht legt.
Ich kann hiernach zu diesem Antrage eine definitive Erklärung nicht abgeben, und muß in erster Linie bitten, die Regierungsvorlage anzunehmen. (Bravo! rechts.)
Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch (fr. kons.): Mein Antrag trifft die sozialrevolutiondren und nationalrevolutionären Be⸗ strebungen; das ist im wesentlichen der Kern der Vorlage, wie der Minister schon auseinandergesetzt hat. Wir haben uns im wesentlichen an die Fassung des Sozialistengesetzes angeschlossen, dessen 12 jährige Praxis in der Rechtsprechung und Verwaltung vorliegt. Nicht bloß auf dem Boden geistigen Kampfes muß den ÜUmsturzbestrebungen ent- gegengetreten werden, sondern auch mit den Machtmitteln des Staats. Wenn wir zu verschiedenen Ergebnissen dabei kommen, so ist der Stand⸗ punkt des Grafen Limburg, der lieber etwas nimmt, wo er alles nicht erhalten kann, praktischer als der des Herrn Schmieding, der der Re⸗ gierung Vorwürfe macht, daß sie ihre Machtmittel nicht ausreichend gebraucht hat, aber bei dieser Vorlage nicht mitmacht. (Zuruf, des Abg. Dr. Krause: untaugliche Mittel) Ein preußisches Sozialisten gesetz, während in anderen Staaten nichts Aehnliches besteht, soll nicht wirksam sein. Die Gesetzgebungen der anderen Staaten enthalten auf dem Gebiet des gemeinen Rechts die genügenden Machtmittel, die hier erst geschaffen werden sollen. Im Reiche ist an eine Gesetzgebung gegen die Sozialdemokraten nicht zu denken, da müssen wir uns mit einer preußischen Gesetzgebung begnügen. Das Verhalten der Nationalliberalen ist keine richtige Realpolitik. Das Zentrur bekennt sich als Gegner der Sozialdemokratie; aber deshalb sollte es der Regierung die Machtmittel nicht verweigern, die nach unserem Antrag nicht gegen das Zentrum verwendet werden können. Ist denn Tas Sozialistengesetz semals gegen das Zentrum angewendet worden? Die Mißstände datleren von dem Augenblick an, wo die Verlängerung des Sonzialistengesetzes abgelehnt und damit das Odium von der Sozial⸗ demokratie genommen wurde. Es soll nicht ein morsches Brett über den Brunnen gedeckt, sondern eine weithin sichtbare Warnungẽtafel aufgerichtet werden für die treuen deutschen Bürger, daß sie nicht in den sozialdemokratischen Sumpf fallen. Auf dem Gebiet des Vereins⸗ wesens ist die Anwendung der Machtmittel vielleicht noch noth— wendiger, als auf dem Gebiet der Versammlungen. Ich gebe mich der Hoffnung hin, daß die Herren Polen für den Antrag zu Art. III stimmen werden, weil sie damit am beften beweisen können, daß sie allen Bestrebungen auf Abtrennung eines Theils des Staatsgebiets entgegenzutreten gewillt sind.
Abg. Motty (Pole) erklärt sich gegen die Wiederherstellung der Regierungsvorlage und gegen alle Anträge. Einen so trüben Horizont, wie ihn r. Limburg⸗Stirum zu sehen scheine, könne er nicht ent⸗ decken. Die Mittheilungen des Ministers über die in einzelnen Ver sammlungen gefallenen Redensarten bewiesen nichts. Um alle solche Redensarten zu unterdrücken, müßte man Tausende von Gesetzen machen. Redner wendet sich auch gegen die freikonservativen Anträge.
Abg. von Kardorff (fr. kons.): Der Abg. Porsch hat die Be⸗ hauptung aufgestellt, das Sozialistengesetz hätte zur Einschränkung der Sozialdemokratie nicht geführt. Das ist statistisch unrichtig. Ich habe die Zahlen im Reichstage gegeben. Die Zahl der sozial= demokratischen Stimmen ging zurück nach Erlaß des Sozialisten⸗ gesetzes. Während der Dauer des Gesetzes verstärkte sich die Sozial⸗ demokratie, weil das Gesetz den verfehlten Ausweisungsparagraphen enthielt und weil es nicht dauernd war. Aber die Steige—⸗ tung der Stimmen war eine geringe; sie wurde erst beträchtlich nach Aufhebung des Spozialistengesetzes. die ich noch heute bedauere, und die auf einem Mißverständniß des Reichstages beruht. Man darf sich nicht wundern, wenn bei den nächsten Wahlen die Sozialdemokraten 25 Millionen Stimmen er⸗ reichen werden. Das Sozialistengesetz wurde vom Fürsten Bismarck in milder Form vorgelegt und von den Nationalliberalen abgelehnt. Es wurde nachher in viel schärferer Form wieder aufgenommen von den Nationalliberalen und auch von einem Theil des Zentrums. Es wird etzt ein nicht so scharfes Gesetz verlangt. Die Verantwortung für das
allen dieses Gesetzes tragen die Herren, welche dagegen stimmen. Die atholische Kirche führt einen starken Kampf gegen die Sozialdemokratie. Aber in Belgien wächst die Sozialdemokratie trotzdem bedenklich. Nicht bloß von der evangelischen Kirche geschieht etwas gegen die Sozial⸗ demolratie⸗ sondern auch von der Landwirthschaft, seitdem sie erkannt hat, daß fie die Handelsverträge hauptsaͤchlich den Sozialdemokraten verdankt. Wie kann man mit geistigen Waffen gegen die Sozial demokratie kaͤmpfen, die selbst nur durch Verhetzung und Terrorismus zu wirken sucht! Ebenso gut könnte man auch jedes Verbrechen, den Diebstabl, den Mord u. s. w., nur mit geistigen Waffen bekämpfen. Alle Parteien dieses Haufeßs haben ein Interesse daran, daß das konftitutionelle System bei uns zur Wahrheit wird. Ein Minister⸗Verantwortlichkeitsgesetz haben wir nicht. Aber alle Parteien wünschen, daß wir nur solche Minister haben, die nur solche Maßregeln ausführen, welche ö. vor ihrem Ge⸗ wissen verantworten können, nicht bloß, watz ihnen befohlen wird. Hlauben Sie, daß das möglich ist, wenn diese Machtmittel, wie ie die Krone verlangt, abgelehnt werden? Die Natlonal. lberalen haben im Reichstage mit uns zufammen für ein viel shhärferes Soꝛialistengesetz gestimmt. (Zuruf: Reichstag) Aber im Neichstage ist ein solches Gesetz auch in der abgeschwächtesten Form 9h möglich. Die Herren, welche an dem Zustandekommen det er gerh en , gearbeitet haben, mögen sich ja engagiert ühlen für die Aufhebung dez Verbindungtzverbotg. Aber Herr Hauß—= Hann. hatte schon damals gesagt: man wisse nicht, wie die Einzel ondtgge die Sache auffassen. Die Zustimmung der Konservativen zum Bürgerlichen Gesetzbuch wäre nicht ju haben gewesen, wenn das
Zweite Beilage zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗Anzeiger.
Berlin, Sonnabend, den 29. Mai
Verbindungs verbot aufgenommen wäre. Im Bundesrath fiel es den Einzelstaaten garnicht ein, das Verbindungsvvmerbot aufzuheben. Es ist begreiflich, wenn diese sich gegen jede Ausdehnung der Vorlage aussprechen. Aber wenn die Nationalliberalen die Bestimmung über die Minder jährigen annehmen, dann könnten Sie auch einen Schritt weiter gehen. Die Nationalliberalen berufen sich immer auf den Fürsten Bismarck, aber wenn es darauf ankommt, dann lassen sie ihn im Stich. Fürst Bismarck hat gemeint, die Sozialdemokraten ständen mit ihren Be⸗ strebungen außerhalb des Gesetzes, und deshalb könnten sie auf den Schutz durch Gesetze nicht rechnen. Ich weiß, daß dieses Programm im Reichstage nicht durchgeführt werden kann; aber wir werden daran festhalten, und bis im Reichstage etwas erreicht werden kann, muß das , , bewilligt werden, was hier verlangt wird.
Abg. Dr. Sattler (n.): Fürst Bismarck hat selber erst kürzlich anerkannt, daß er bei den Nationalliberalen treue Mitarbeit gefunden habe. Warum hat sich Herr von Kardorff hier auf die Krone berufen? Das dient den Interessen der Krone nicht. Wir haben es niemals für richtig gehalten, in das Land hinauszurufen, daß das monarchische Gefühl im Schwinden begriffen ist. Damit wollte er wohl nur nach einer anderen Richtung hin wirken. Nicht blos der Minister soll seiner eigenen Ueberzeugung folgen, sondern jeder einzelne Mann. Aus der Geschichte des Sozialistengesetzes hätte Herr von Kardorff die Erfahrung schöpfen können, daß man weiter kommt, wenn man feste Begriffe nimmt, als wenn man dehnbare, kautschukartige Vorschriften erlaßt. Graf Limburg und der Minister haben von der Verant- wortung gesprochen, die uns zufallen würde, und von der Abrechnung, die uns droht. Ich bin erstaunt gewesen, auf welchen kolossalen Widerspruch die Vorlage stieß. Die Gefahr der Verantwortung und Abrechnung scheuen wir nicht. Es soll jetzt der letzte Moment sein, wo noch geholfen werden kann. Da müßte doch eine akute Gefahr vorhanden sein, die plötzlich hervorgetreten sein muß, denn sonst wäre die Vorlage doch früher gekommen. Das Material, welches der Minister vorbrachte, war für mich von keiner er⸗ schütternden Bedeutung. Zur Bekämpfung des Welfenthums würde die Regierung am meisten beitragen nicht durch strafgesetzliches Ein schreiten, sondern, wenn sie bei der Auswahl ihrer Beamten vor⸗ sichtiger wäre, wenn sie nicht Leute nach Hannover schickte, die mit bureaukratischer Ostelbierschneidigkeit auftreten, die es für ihre Auf⸗ gabe halten, Streitigkeiten in die Kreise hineinzutragen, die fest auf dem Boden des preußischen Staates stehen. Die Nationalliberalen haben noch 1890 für das Sozialistengesetz gestimmt, und zwar für ein dauerndes, während die Konserpvatlven dagegen stimmten. Man handelt in dem dunklen Gefühl: es muß irgend etwas geschehen. Das ist bei der Gesetzgebung falsch, weil man dabei außer Acht läßt, ob auch das Ziel erreicht wird. Wir haben einen Beschluß gefaßt, der von großer Bedeutung ist für das ganze Vereins⸗ und Versammlungsrecht, der auch für die Militärverwaltung von großer Bedeutung ist. Ich kann kaher nicht anerkennen, daß wir bloß die Rosinen aus dem Kuchen genommen haben. Der Antrag von Zedlitz schlägt untaugliche Mittel vor, weil sie nicht für ganz Deutschland gelten. In Hamburg und Sachsen sind allerdings solche Bestimmungen vorhanden, aber wo ist der Nutzen dieser Bestim⸗ mungen? Die sozialdemokratische Agitation ist nur aus den Vereinen und Versammlungen verdrängt, aber nicht geschwächt worden. Ich bezweifle ja nicht, daß die Regierung noch keine Stellung zu den von Zedlitz'schen Anträgen genommen hat; die Staatsregierung würde ja vielleicht sonst etwas zahlreicher erschienen sein. Aber gerade deshalb trete ich nicht auf den Boden der von Zedlitz'schen Anträge. Es besteht ein Widerspruch zwischen der Vorlage und diesen Anträgen; die letzteren bilden ein . während die Vorlage allgemein gehalten war. Für die Ausnahmegesetzgebung muß die Staatsregierung in erster Linie die Verantwortung selbst ubernehmen. Deshalb werden meine Freunde sich lediglich an die Beschlüsse der Kommifssion halten in dem Bewußtsein, daß wir die Grundlage des Staats schützen, aber dabei darf nicht der Schaden größer sein als der Nutzen.
Abg. Rickert (fr. Bgg.) verzichtet auf das Wort.
Abg. Dr. Lieber (Sentr. j: Mitglieder des Zentrums haben wiederholt für die Verlängerung des Sozialistengesetzes gestimmt, niemals aber für die Einführung desselben. Die Mehrheit des Zentrums hat gegen die Einführung und die Verlängerung des Gesetzes gestimmt. Die Bestimmungen des Sozialistengesetzes waren nicht scharf genug, denn die Verwaltung und auch die Recht— sprechung ist abgewichen von dem Wortlaute. (Die weiteren Aus⸗ führungen des Redners gehen in der immer mehr steigenden Unruhe des sehr stark besetzten Hauses, welches augenscheinlich nach Schluß der Debatte verlangt, zum theil verloren,. Die Anführungen des Ministers aus anarchistischen Bersammlungen haben auch auf mich keinen erschütternden Eindruck gemacht; sie waren das reine Lawendel⸗ wasser gegenüber dem, was der frühere Minister von Köller bei der Umsturzvorlage vorgebracht hat. Der Minister hat davon gesprochen, daß im Hause Leute sitzen, welche sich nicht überzeugen lassen wollen. Das macht keinen Eindruck. Wenn der frühere Minister mit seiner Vertretung der Umsturzvorlage keine Anerkennung gefunden hat bei einem Manne, der jetzt vor Gericht steht, so wird der Minister von der Recke für diest Vorlage auch keine Anerkennung finden.
Nach Schluß der Debatte bemerkt
Abg. von Kar dorff, daß er die Krone nicht in ungehöriger Weise in die Debatte gezogen habe, sonst hätte der Präsident ihn zur Ordnung gerufen. Herr Sattler, ein so großer Staatsmann er auch sein mag, hat zu diesem Vorwurf kein Recht. Meiner monarchischen Gesinnung glaube ich durch meine heutige Abstimmung entsprechenden konkreten Ausdruck zu geben. Fürst Bismarck würde nicht gegen die Regierungsvorlage stimmen.
Abg. Dr. Sattler: Ich habe nicht gesagt, daß der Vorredner ungehörtger Weise die Krone in die Debatte gezogen habe; ich habe auch nicht seine monarchische Gesinnung in Zweifel gezogen.
Darauf wird der Antrag des Grafen Limburg gegen die Stimmen der Konservativen abgelehnt, ebenso die Regie⸗ rungsvorlage. Ueber den Antrag von Hehn wird namentlich abgestimnt. Bei der Anwesenheit von 399 Mitgliedern (da zwei Mandate erledigt sind, fehlen von dem vollen Bestande des Hauses also nur 32 Mitglieder) wird der Antrag von Zedlitz mit 206 gegen 193 Stimmen abgelehnt.
t . Lund III der Regierungsvorlage bleiben also ge⸗ trichen. .
Nach Art. II der Beschlüsse der Kommission sollen an den Versammlungen, in denen politische Angelegenheiten erörtert oder berathen werden „sollen“, Minderjährige nicht theilnehmen dürfen. Das Wort „sollen“ ist von der Kommission eingefügt
worden.
Abg. Dr. Porsch (Zentr.): Dag Zentrum wird gegen den Artikel 3 weil der Begriff der politischen Angelegenheiten sich nicht treng umgrenzen läßt. uch wirthschaftliche Fragen, wie Lohnver— hältnisse, Arbeitszeit ze., sind schließlich öffentliche Angelegenbeiten. Ueber diese Fragen können aber auch die Minderjährigen sprechen. Dag geschieht auch in christlichen Lehrlings. und Gesellenvereinen, in denen man auf Angriffe der Sozialdemokraten eingehen muß.
Geheimer Ober. Regierunge⸗Rath von Philipsborn vertheidigt die Vorlage.
1897.
Abg. Rickert: Nach den Kommissionsverhandlungen bezeichnete der Minister auch gewerkschaftliche Versammlungen als solche, die volitisch sein könnten. Das steht aber in Widerspruch mit dem S. 15 der Gewerbeordnung. Ich halte es für selbstverständlich, daß die Absicht des Ministers undurchführbar ist. Soll das Koalitions- recht der Arbeiter, der minderjährigen Arbeiter gefährdet werden durch die Polizeiwillkür? Ich möchte auch an die Nationalliberalen die Frage richten, ob es sich lohnt, wegen dieser Frage der Minder⸗ jährigen überhaupt etwas von dem Gesetze zu stande kommen zu lassen.
Geheimer Ober -Regierungs Rath von Philipsborn: Der Minister hat nicht alle gewerkschaftlichen Versammlungen als politisch bezeichnet; manchmal gestalten sie sich aber zu rl ger Versamm⸗ lungen aus. Waß unter dem Koalitionsrecht der Arbeiter zu ver⸗ stehen ist, spricht das Reichsgericht in zwei interessanten Erkenntnissen von 1837 und 1892 aus. Danach betrifft das Koalitionsrecht nur die konkreten Arbeitsvertragsverhältnisse; würden diese Grenzen über—⸗ schritten, so würden di Vereine politische Vereine, auf welche alle Beschränkungen für politische Vereine zutreffen.
Abg. Dr. Krause (nl. I; Die Bedenken des Herrn Rickert sind durch die Mittheilung des Regierungsvertreters erledigt. Wenn das nicht der Fall ist, dann richten sich die Bedenken gegen das Gesetz, nicht gegen die Handhabung desselben. Bei den katholischen Gesellen⸗ vereinen kann das Verbot der Minderjährigen schädlich sein; aber von vornherein sollten politische Dinge in diesen Vereinen doch nicht er⸗ örtert werden. Die große Zahl der Versammlungen kommt hierbei in Betracht, in denen die Minderjährigen geradezu einen Krebsschaden bilden. Insofern haben wir allerdings die Rosinen mit in den Kuchen über— nommen. Das Bild von dem Kuchen mit den Rosinen beweist mir die Solidarität der Staatsregierung; denn der Minister von Boetticher gebrauchte erst neulich im Reichstage dasselbe Bild. Die Kommission hat das Wort sollen‘ eingefügt, weil von vornherein feststehen muß, ob politische Dinge in einer Versammlung erörtert werden sollen, damit die Minderjährigen von vornherein wissen, ob sie theilnehmen können oder nicht.
Geheimer Ober. Regierungs⸗Rath von Philips born erklärt, daß die Regierung ihren Widerspruch gegen die Einfügung des Wortes ollen“ nicht aufgegeben habe.
Abg. Munckel (fr. Volksp.): Die Rosinen sollen wir garnicht baben; denn nach der vorhergegangenen Abstimmung bezweifle ich daß der Minister die Vorlage Gesetz werden lassen wird. Lassen wir die Vorlage fallen! Nehmen wir den Torso auch wirklich an, Gesetz wird er eben doch nicht. Das Gesetz scheitert an dem Widerspruch der verbündeten Regierungen. Was gut an dem Gesetz ist, haben wir im Reichs tag angenommen, und wenn die preußische Regierung das will, so setzt sie es bei den verbündeten Regierungen auch durch. Wenn wir jetzt etwas annehmen, bekommen wir das Gesetz nur ab= . vom Herrenhause zurück und setzen dasselbe den schwankenden
bstimmungsverhältnissen aus. Das mächtige Herrenhaus ist uns ja im Reichstage als Schreckbild vorgeführt worden. Wenn wir Artikel I und III bekommen oder garnichts, dann ziehe ich das „Garnichts“ vor. Mit diesem Gesetz wird einem großen Kreise preußischer Staatsbürger das Versammlungsrecht geraubt. Werden die Schutzleute, Gendarmen, Polizei⸗Lieutenants das Gesetz richtig auslegen? Ich bin manchmal bei den Ausführungen des Ministers zweifelhaft, ob sie ganz den Gesetzen entsprechen. Und die Minder jährigen sollen bei Anzeige einer Versammlung schon entscheiden, ob politische Dinge erörtert werden, und ob sie theilnehmen können oder nicht. Die Gefahr der Kollision mit dem Koalitionsrecht ist auch nicht ausgeschlossen, trotz der Reichsgerichtserkenntnisse. Besonders die Frauen werden davon betroffen. Jede öffentliche Angelegenheit kann in das politische Gebiet hineinspielen. Den Sozialdemokraten wird dadurch das Wasser nicht abgegraben, aber alle anderen politischen in würden schwer geschädigt. Ich bitte, heute die ganze Vorlage zu beseitigen.
Abg. Dr. Irmer (kons.): Der Vorredner hat die National⸗ liberalen ermahnt, den Torso nicht anzunehmen. Ich habe mir nicht den Kopf der Nationalliberalen zu zerbrechen. Wir wollen das Ver⸗ bindungs verbot nicht ohne Aequivalente aufheben. Wir haben diese Aequivalente in der Vorlage und schließlich im Antrag von Zedlitz efunden. Da beide abgelehnt sind, so werden wir für den Artikel 1 timmen. Wie wir 6 in dritter Lesung stimmen werden, weiß ich noch nicht. Durch Rede und Gegenrede wird ja vielleicht ein Minderjähriger einmal von der Sozialdemokratie ferngehalten werden; aber der Schaden, der bei sehr vielen anderen Minderjährigen ange⸗ richtet wird durch den Besuch von Versammlungen, ist größer als der Nutzen. In christlichen Arbeiter- und Gesellenvereinen brauchen keine polstischen Vorträge gehalten zu werden.
Das Wort „sollen wird gegen die Stimmen der Kon⸗ servativen und eines Theiles der Freikonservativen aufrecht erhalten; Artikel L wird in der Fassung der Kommission gegen die Stimmen des Zentrums und der Freisinnigen an⸗ genommen.
Um 4 Uhr wird ein Vertagungsantrag abgelehnt gegen die Stimmen der Konservativen und Freikonservativen.
Artikel IV hebt das Verbindungsverbot auf und bestimmt, daß Minderjährige politischen Vereinen nicht beitreten und Versammlungen derselben nicht anwohnen dürfen.
Abg. Dr. Krause (nl.) beantragt, daß Minderiã brige und weib⸗ liche Personen an politischen Versammlungen dieser Vereine nicht theilnehmen dürfen, aber an anderen Versammlungen.
Abg. Rickert will die Theilnahme von weiblichen Personen an Versammlungen zulassen.
Geheimer Ober ⸗Regierungs Rath von Philipsborn glaubt. daß durch den Antrag a. der Umgehung des Gesetzes Tbür und Thor geöffnet würde.
Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch beantragt mit Rück sicht auf die vorliegenden wichtigen Anträge wiederum die Vertagung der Sitzung.
Abg. Br. Bachem (Zentr.) beantragt die Abhaltung einer Abend- sitzung. Nicht die Rücksicht auf die Reichstagsmitglieder, welche den Ausflug nach Hamburg machen wollten, bestimme ihn dazu, sendern die Höflichkeit gegenüber den Hamburger Herren, welche die Einladung haben ergehen lassen.
Der Antrag auf Vertagung wird abgelehnt gegen die Stimmen der beiden konservativen Gruppen. . ;
Der Antrag Rickert wird abgelehnt, der Antrag Krause und mit diesem der Art. IV werden angenommen.
Zu Art. V haben die Konservativen die Wiederherstellung der Regierungsvorlage beantragt betreffs der Auflösung von Versammlungen, in denen — anwesend sind; diese Bestimmung war von der Kommission gestrichen worden. blieb nur aufrecht erhalten die Strafbestimmung für die Minderjährigen, welche an politischen Versammlungen theil⸗ nehmen.
Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch will dafür Be stimmungen aufgenommen wissen, wonach der Vorsitzende die Minder jährigen zum Verlassen einer politischen Versammlung auffordern müß, und erst wenn dieser Aufferderung don den Min der jã drigen
nicht nachgekommen wird, soll die Auflösung erfolgen können.
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