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Mecklenburg⸗ Schwerin.
Seine Königliche n der Großherzog und Ihre Kaiserliche und Königliche Hoheit die ieh? zogin⸗ Mutter sind von Cannes zurückgekehrt und haben im Jagd⸗ schlosse Gelbensande Aufenthalt genommen. Von dort aus besuchten Höchstdieselben gestern und heute Schwerin und Ludwigslust.
Sachsen⸗Weimar⸗Eisenach.
Ihre Majestäten die Königin und die Königin⸗ Regentin der Niederlande sind gestern, von Aussee kommend, zu mehrtägigem Aufenthalt auf Schloß Belvedere bei Weimar eingetroffen; Seine Königliche Hoheit der Groß⸗ herz og hatte Allerhöchstdieselben in Jena empfangen.
Gestern früh traf ebendaselbst Seine — 5 der Herzog Johann Albrecht zu Mecklenburg, Regent des Groß⸗ herzogthums Mecklenburg⸗Schwerin, zum Besuch ein.
*Die Neuwahlen zum , nach dem Wahlgesetz vom 17. April d. J. sind für den onat September an⸗ geordnet worden.
Sachsen⸗Coburg⸗Gotha. Ihre Kaiserliche und Königliche Hoheit die Herzogin und Ihre Königliche Hoheit die Prinzessin Beatrice begeben sich, der Cob. Zig.“ zufolge, heute von Coburg nach London.
Schwarzburg⸗Sondershausen. Die Besserung in dem Befinden Ihrer Hoheit der Fürstin hält an. Nach dem vorgestern ausgegebenen Bulletin ist jegliche Gefahr nunmehr vorüber.
Frankreich.
Der Senator Paul Casimir⸗Perier, ein Oheim des früheren Präsidenten der Republik, ist gestorben.
Behufs Unterstützung der durch eine Mißernte heim⸗ gesuchten Landwirthe Algeriens wird die Regierung beim Parlament einen Kredit von 1200000 Francs beantragen.
Die Truppen, welche infolge der durch den Stamm Udjah verursachten Ruhestörungen nach der marokkanischen Grenze entsandt worden waren, sind in ihre Garnisonen zurückgekehrt.
Italien.
Die Deputirtenkammer genehmigte gestern in dritter Lesung und in geheimer Abstimmung mit 163 gegen 83 Stimmen die Vorlage, betreffend die Reorganisation der Armee.
Schweiz.
Die Bundesversammlung ist gestern zu ihrer ordent⸗ lichen Sommersession zusammengetreten. Der Nationalrath wählte Grieshaber⸗Schaffhausen (radikal) zum Präsidenten und Thelin⸗Waadt (radikal) zum Vize⸗Präsidenten. Der Ständerath wählte Raschein⸗Graubünden (radikal) ö. Präsidenten und Hildebrand⸗Zug (klerikal) zum Vize— Präsidenten. Die zwischen den Staaten des Internationalen Verbandes zum Schutze von literarischen und künstlerischen Werken abgeschlossenen Zusatz Vereinbarungen wurden von der Bundesversammlung ratfiziert.
Niederlande.
Der Staatssekretär der Südafrikanischen Republik Dr. Leyds, welcher in Begleitung des Jonkheer van der Hoeven vom Auswärtigen Amt in Prätoria aus Paris im Haag ein— getroffen war, wird sich, wie „W. T. B.“ meldet, heute von dort zu achttägigem Aufenthalt nach Berlin begeben.
Türkei.
Der Ober⸗Zeremonienmeister Munir Pascha, welcher mit der Vertretung des Sultans bei dem Jubiläum der Königin Victoria betraut ist, wird sich, dem „W. T. B.“ zufolge, in Begleitung des Brigade⸗ Generals Nassir und . ö Enver wahrscheinlich übermorgen nach England
egeben.
Gestern Nachmittag fand, wie das Wiener „Telegr.⸗ Korresp.⸗Bureau“ meldet, in Konstantinopel eine Konferenz der Botschafter und nach derselben die dritte Berathung über die Friedens verhandlungen statt. Morgen werden die Militär⸗Attachés zu einer ersten Berathung über die Grenz⸗ regulierungsfrage zusammentreten.
Demselben Bureau wird aus Philippopel berichtet, daß, dort eingetroffenen Berichten zufolge, in den letzten Tagen in Konstantinopel zahlreiche Plakate aufgefunden worden seien, welche die Angliederung Thessaliens an die Türkei verlangen und zum Widerstande gegen die Rückgabe des besetzten Gebiets auffordern. Den gleichen Zweck verfolgten auch geheim ver— breitete Flugblätter.
Amerika.
Eine Versammlung der republikanischen Senatoren hat den Finanz⸗Ausschuß angewiesen, dem neuen Tarif für Zucker mit festen Abgaben zuzustimmen. Durch denselben wird hestimmt, daß Zucker von nicht über 16 Standard holländisch und nicht mehr als 75 Grad Reingehalt einen .. von 1 Cent per Pfund zahlen, und daß der Zoll ür jeden Grad mehr um *ich Cents per Pfund und für Bruchtheile eines Grades im gleichen Verhältniß steigen soll. her von mehr als 16 Standard holländisch und aller raffinierter . soll 185/19 Cents per Pfund zahlen. Rohzucker von
ͤ Java und den Philippinen soll zu einem rl lag ugelassen werden, der um 19 Cent niedriger o
ist, als der Zollsatz für anderen Rohzucker. Der Tarif sieht ferner eine differentielle Behandlung . Zuckers vor, der eine Ausfuhrprämie genießt.
Der Se nat überging gestern die Berathung des Zucker⸗ tarifs und nahm diejenige der landwirthschaftlichen Zölle auf.
Einer Meldung des „New⸗Hork Herald“ aus Rio de Janeiro zufolge wurde nach einem Gefecht zwischen den Aufständischen und den Regierungstruppen bei Canudos diese Stadt von den letzteren genommen. Die aufständischen Fa⸗ natiker sollen in dem Gefecht fast vernichtet worden sein. Die Regierungstruppen sollen über 300 Mann an Todten verloren haben.
Arbeiterbewegung.
In Stettin hielten die ausständigen Steinsetzer ((ogl. Nr. 105 d. Bl.) der „Ostsee⸗ Ztg.“ zufolge am Dienstag eine Ver⸗ sammlung ab, in welcher sie beschlossen, am Donnerstag die Arbeit zu den bisherigen Bedingungen wieder aufzunehmen. Sie wollen jedoch wegen ihrer 6. auf gütlichem Wege mit ihren Arbeit⸗ gebern weiter unterhandeln.
Der Ausstand der Tischler in Hannover (vgl. Nr. 128 8. Bl.) ist dem Vorw. zufolge gestern aufgeboben worden. 1108 Gesellen in 196 Geschäften arbeiten zu den geforderten Bedingungen. 68 Ge—⸗ sellen haben die Forderungen nicht durchgesetzt.
In Bochum traten, wie die Rh.⸗Westf. Ztg.“ mittheilt, am Dienstag etwa 200 Maurer (ogl. Nr. 132 d. Bl.) in den Ausstand.
In Zwickau wurde der Ausstand der Maurer (ogl. Nr. 129 d. Bl.), wie die ‚Lpz. Ztg.“ mittheilt, in einer am 3. Mai abge⸗ haltenen Versammlung von der Ausstandskommission für beendet, d. h. für gescheitert erklärt. — Demselben Blatte zufolge haben sämmtliche Brauer der Brauerei Cainsdorf⸗Zwickau wegen Maß⸗ regelung eines Genossen, der bei der Lohnbewegung sich besonders hervorgethan, die Arbeit niedergelegt.
Von den Töpfern Münchens (ogl. Nr. 112 8d. Bl) befinden sich, dem Vorw. zufolge, noch 116 im Äusstand, 80 arbeiten zu den neuen Bedingungen. .
Ueber den Ausstand der Pferdebahn -⸗Angestellten in Wien (vgl. Nr. 128 u. ff. d. Bl.) meldet W. T. B.“ heute: Nach mehr⸗ stündigen, im Polizei-⸗Präsidium unter Mitwirkung des Bürger⸗ meisters Dr. Lueger und des landesfürfstlichen Kommissars der Wiener Tramwaygesellschaft, Statthalterei⸗ Rathes Kutschera, statt⸗ gebabten Verhandlungen jzwischen den Vertretern der Tramway⸗ ßesellschaft und den Delegirten der ausständigen Bediensteten wurde infolge weitgehender Zugeständnisse der Tramwaygesellschaft eine all—⸗ seitige Einigung erzielt, worauf die Delegirten der Ausständigen namens ihrer Mandatare erklärten, die Arbeit in vollem Umfange wieder aufzunehmen. Die Zugeständnisse der Tramway— gesellschaft an ihre Bediensteten bestehen darin, daß ein sogenannter Unterhrechungsdienst jeden Bediensteten nur einmal wöchentlich trifft, daß alle Kategorien der Bediensteten mit Ausnahme der Kondukteure eine tägliche Lohnerhöhung von 19 Kreuzern erhalten, und schließlich, daß alle Bediensteten nach dem zweiten Dienstjahre ständige und nach zwölfjähriger Dienstzeit definitive Angestellte werden.
Aus Kopenhagen erfährt W. T. B.“, daß die infolge von Lohnstreitigkeiten zwischen den Fabrikanten und Arbeitern der Eisen— industrie (vgl. Nr. 132 d. Bl.) seit einiger Zeit befürchtete Aus—⸗ schließung von Arbeitern, wie verlautet, ,. um Mitternacht in Kraft treten soll. Von der Ausschließung würden über 4000 Arbeiter betroffen werden.
In London verhandelte, W. T. B.“ zufolge, der inter⸗ nationale Bergarbeiter⸗Kongreß (ogl. Nr. 132 d. BI.) 86 über die Frage des achtstündigen Arbeitstages und nahm einen Beschlußantrag der deutschen, französischen und belgischen Abgeord⸗ neten an, welcher das Acht ⸗Stunden⸗Prinzip auch auf die Männer⸗ arbeit über Tage ausgedehnt wissen will.
Statiftik und Volkswirthschaft.
Der auswärtige Handel des deutschen Zollgebiets im Jahre 1896.
Das kürzlich erschienene, vom Kaiserlichen Statistischen Amt herausgegebene zweite „Vierteljahrsheft zur Statistik des Deutschen Reichs (1897) enthält eine Uebersicht über den auswärtigen Handel des deutschen Zollgebiets im Jahre 1896 mit den von der Sach— verständigen⸗Kommission für 1896 ermittelten Handelswerthen, die von den im Dezemberheft der Monatlichen Nachweise über den aus—⸗ wärtigen Handel“ veröffentlichten Werthen, die noch nach den 1895er ,, gegeben werden mußten, nicht unerheblich abweichen.
ie definitiven Summen sind nun folgende:
Einfuhr im Jahre 1896: a. im Spezialhandel: 364 102 570 dz mit einem Werthe von 4557 g51 000 Æ gegen 364 075 160 4z und 4573 448 000 Æ nach dem Dezemberhefte, d. i. um 15 Millionen Mark weniger, b. im Gesammt Eigenhandel: 377 803 268 dz im Werthe von 4899 001 000 M
Ausfuhr im Jahre 1896: a. im Spezialhandel: 257 198 756 42 im Werthe von 3 7653 822 000 M gegen 257 185 330 4z im Werthe von 3 631 629 000 M nach dem Dezemberhefte, d. i. um 122 Millionen Mark mehr.
Durchfuhr im Jahre 1896: 21 541 224 dz gegen 19 808 383 2 im Vorjahr. Gesammter Werth des Spezialhandels in Ein und Ausfuhr 8 311773 9000 S gegen 7670187 000 S oder über 641 Millionen Mark mehr als im Jahre 1895, Werth des Gesammt⸗ Eigenhandels in Ein« und Ausfuhr 9 051 189 000 S gegen 8 334 365 000 4Æ oder 716 Millionen Mark mehr als im Jahre 1895.
Ein- und Ausfuhr haben sich nach Menge und Werth beträchtlich erhöht, jene von 325 369 756 auf 364 102 570, also um fast 39 Mil⸗ lionen dz, und von 4246 111 000 auf 4557 951 000 4A, d. i. um fast 312 Millionen Mark, diese von 238 296 583 auf 257 198 756 42, daher mehr nahezu 19 Millionen 4z, und von 3 424 076 000 auf 3 753 827 000 S, daher mehr fast 330 Millionen Mark.
Die Hauptergebnisse der Krankenversicherung
des Jab res 1895 sind im R. u. St. Anz.“ bereits vor einiger Zeit (Nr. 96 vom 23. April) veröffentlicht worden; nun bringt das 2. Vierteljahrsheft des Kaiserlichen Statistischen Amts eine etwas umfassendere Dar⸗ stellung derselben, der dann die spezielle Bearbeitung in einem be⸗ sonderen Bande der „Statistik des Deutschen Reichs“ folgen wird. Die Hauptresultate für 1895 sind folgende:
Obschon in diesem Jahre neue Erwerbskreise dem Versicherungs⸗ zwange nicht unterworfen wurden, wuchs infolge der günstigen Ge— schäftsverhältnisse die durchschnittliche Mitgliederzahl der Krankenkassen um 3,3 / (im Vorjahr nur um 25 so) auf 7 525 524 Mitglieder, von denen 3 450 599 den Orts, 1 913 917 den Betriebs, Krankenkassen und 1287 650 der Gemeindeversicherung angebörten. Die Anzahl der Kasseneinrichtungen erhöhte sich von 21 552 auf 21 992; an dem Zuwachs sind die Betriebs - Krankenkassen nahezu mit der Hälfte betheiligt. Mit dem erhöhten Mitgliederbestande sind auch die Erkrankungsfälle, die Krankheitstage, sowie die Einnahmen und Ausgaben gestiegen. Der außerordentlich günstige Gesundheits⸗ stand des Jahres 1894 ist nicht wieder erreicht worden; es kamen nämlich auf 1 Mitglied 1895 — 9,4 (im Vorjahre 0, 3) Erkrankungs⸗ fälle und 6, (im Vorjahre 6,0) Krankheitstage.
Von der Gesammteinnahme in Höhe von 145 684 520 „ ent- sprangen aus Beiträgen und Eintrittsgeldern 117 399 026 6 Von den Ausgaben — 116884116 M — entfielen auf:
den Arzt 23 141 102 A Arznei und sonstige Heilmittel .. 18134 308 Krankengeld 45 356229 Anstaltsberpflegung, Sterbegeld ꝛc. 18190727 .
zusammen auf Krankheitskosten .. 104 822 366 1 An dem Vermögen von 105 222 399 4A partizipieren die Betriebs⸗ Krankenkassen mit 51 478 154 M, die Orts - Krankenkassen mit 38782 182 6, die Eingeschriebenen Fuga n mit 11739 595 4A; der größte Theil desselben ist Reservefonds, nämlich 93 827193
Das Lehrlingswesen in Württem berg.
In den kürzlich erschienenen „Jahresberichten der Gewerbe⸗Auf⸗ sichtsbeamten im Königreich Württemberg für das Jahr 1896 bildet die eingehende Berichterstattung über das Lehrlingswesen ein jwar interessantes, aber deshalb wenig erfreuliches Kapitel, well sich daraus
weder in Handwerks noch in Fabrikbetrieben ein Fortschritt zum Guten erkennen läßt. Sämmiliche württembergischen Aufsichtsbeamten beklagen, daß in den weitaus meisten Fabriken keine Lehr= linge ausgebildet werden und der jugendliche Arbeiter nur zum Bedienen der Maschine abgerichtet werde. Bei der er,. von Massenartikeln sind die jungen Leute eine billige Arbeitskraft, welche dann, wenn mit wachsenden Beduürfnissen auch ihre Lohn⸗ ansprüche steigen, häufig auf die Straße gesetzt werden und das Heer der Arbeitslosen vergrößern, weil sie für besser bezahlte Arbeiten nicht angelernt sind. Leider ist auch die Zabl derjenigen, welche von sich aus ernstlich danach streben, tüchtige selbstãndige , zu werden, immer mehr im Schwinden, da die höheren Anfangslöhne, welche in Fabriken den jungen Leuten gezahlt werden, viel ju verlockend sind, als daß nicht die Fabrikthätigkeit der eigentlichen Lernthätigkeit vor ˖ gejogen würde. Von mehreren Ausnabmen berichtet nur der Aufsichtsbeamte des den südlichen Theil des Neckar kreises einschließlich des Amtes Stuttgart, den ganzen Schwarz- waldkreis und vom Donaukreis das Oberamt Kirchheim umfassenden zweiten Gewerbe⸗Inspektionsbezirks, der zu den wenigen Industrie⸗ zweigen, in denen eine fachgemäße Ausbildung von Lehrlingen in Fa— brikbetrieben noch stattfindet, weil sie eines entsprechend ausgebildeten Arbeiternachwuchses bedürfen, folgen de zählt: Maschinenfabriken, Eisen und . Metallwaarenfabriken, Fabriken für Fein⸗ mechanik und chirurgische Instrumente, einzelne Betriebsabtheilungen von Uhren und Schubfabriken, Handschuhfabriken, lithographische Anstalten, Buchdruckereien und Bindereien. Vereinzelt finden sich auch noch „Lehrlinge! in den Reparaturwerkstätten größerer Fabriken der Textil,, Papier- und chemischen In⸗ kustrie, sowie derjenigen für Nahrungs, und Genußmittel. Die am meisten übliche Lehrzeit ist die 3 jährige; eine 33. und 4 jährige findet sich vorherrschend in solchen Geschäften, deren Er⸗ lernung längere Uebung und besondere Geschicklichkeit und Handfertig keit men rer Das Lehrlingsverhältniß wird in den meisten Fällen durch einen schriftlichen Lehrvertrag geregelt. Kost und Wohnung wird den Lehrlingen in Fabriken nicht mehr von den Lehr—⸗ herren gewährt, dagegen auch kein Lehrgeld verlangt, viel mehr den Lehrlingen häufig ein gewisser Tag., Stunden ⸗ oder Wochen lohn bezahlt. Diese Löhne sind sehr verschieden und steigen theils halbjährlich, theils jährlich. In einer Reibe verschiedener Geschäfts⸗ zweige wurden z. B. Taglöhne von 20-390 3 im ersten, 30-60 3 im zweiten, 50 — 8090 3 im dritten Lehrjahr angetroffen, in anderen wieder Stundenlöhne von 4, 6 und 8 3 oder Wochenlöhne von L560 , 250 ½ und 3,509 M für das erste, zweite und dritte Jahr. Bei 31jähriger Lehrzeit wird in einer Eisengießerei im ersten Jahr 70, im zweiten 80 , im dritten 1 M Taglohn bezahlt, und im letzten Halbjahr der Lehrling mit Accordarbeit beschäftigt, in einer Maschinen⸗ fabrit während des ersten Halbjahrs gar keine Bezahlung gewährt und hierauf je ein Jahr lang 50 g, 75 3 und 1 6 Taglohn ge⸗ geben. Eine Metallwaarenfabrik bezahlt ihren Lehrlingen bei vier⸗ jähriger Lehrzeit im ersten Jahr 40 , im zweiten 50 3, im dritten 60 3 und im vierten Jahr 1 S Taglohn. Manche Lehrherren be—⸗ dingen im Lehrvertrag die Einbehaltung eines Theils des Lohnes, z. B. von 10 3 von jedem Taglohn während der ganzen Lehr— zeit oder von 1 /z des Wochenlohnes, so lange, bis eine bestimmte Summe lin einem Fall 70 S, in anderen wieder mehr oder weniger) erreicht ist, aus, als Entschädigung im Falle der vorzeitigen Auflösung des Lehrverhältnisses infolge von Unbrauch— barkeit, Unfolgsamkeit, Krankheit des Lehrlings. Bei ordnungsmäßiger Beendigung der Lehre wird der zurückbehaltene Betrag dem Lehrling bezw. dessen Eltern oder Vormund ausbezahlt. Der Zudrang zu den Lebrstellen in manchen Maschinenfabriken und auch anderen Betrieben größerer Industrieorte hat übrigens schon die Folge gehabt, daß einzelne abrikanten gar keine Bezahlung an Lehrlinge mehr bewilligen oder ich höchstens noch zu einem sogenannten Taschengeld von 20 bis 50 8 wöchentlich verstehen. — Der Aufsichtsbeamte des dritten, den ganzen Donaukreis mit Ausnahme des Oberamts Kirchheim und vom Jagst⸗ kreis das Oberamt Heidenheim umfassenden Inspektionsbezirks führt nur eine einzige Fabrik, und zwar eine Metallwaarenfabrik, an, welche ihren Lehrlingen eine gründliche Ausbildung zu theil werden läßt, die jungen Leute auch nach Möglichkeit zum fleißigen Besuch der Fort— bildungsschule anspornt und eine strenge Kontrole des Besuchs der selben wie des Betragens in den Schulstunden ausübt. Für Fleiß und gute ,, Lehrlinge und jugendlichen Arbeiter hat die Geschäftsleitung Geldprämien im Betrage von 3, 5, 6, 7 und 10 ausgesetzt und im Berichts jahre insgesammt 313 A vertheilt.
In den Handwerksbetrieben mit elementarer Kraft nimmt die Lehrlingshaltung nach und nach auch die eben geschilderten, in den Fabriken üblichen Formen an, wenngleich es noch zahlreiche Werkstätten giebt, in denen die Lehrlinge Kost und Wohnung beim Meister haben. Bei der fast ausschließlich in Betracht kommenden dreijährigen Lehrzeit schwankt in solchen Fällen das Lehrgeld meist zwischen 120 und 2650 n, so namentlich in Bau und Möbel⸗ tischlereien und mechanischen Werkstätten.
Der Lehrling des Klein bandwerks hat wohl regelmäßig noch Kost und Wohnung beim Meister ßen ein bescheidenes, den Betrag von 100 4M selten übersteigendes 6 In verschiedenen Fällen betrug dasselbe nur 50 bis 80 anchmal wird auch gar kein Lehrgeld, dafür aber eine um ein halbes oder ganzes Jahr längere Lehrzeit verlangt. Die 3jährige Lehrzeit ist die in den meisten Hand⸗ werken übliche, in einigen findet sich auch eine 25 und 2jährige, ja sogar eine 14 jährige. Viele Meister klagen darüber, daß es für sie von Jahr zu Jahr schwieriger werde, Lehrlinge zu be—⸗ kommen, weil die jungen Leute lieber in Fabriken gingen als in eine geordnete Lehre. Der augenblickliche Vortheil eines baldigen Baar⸗ verdienstes und der Reiz eines ungebundeneren Lebens außerhalb der Fabrik würden eben heutzutage von Vielen höher angeschlagen als der sichere, für das spätere Leben höher zu schätzende Gewinn einer tüch⸗ tigen fachlichen Ausbildung durch eine Lehre, in welcher noch Zucht und Ordnung herrsche. Infolge dieser Umstände hätten sich schon manche Meister, namentlich in Bäckereien, gejwungen gesehen, das ohnehin geringe Lehrgeld herabzusetzen und in einzelnen Fällen sogar überhaupt kein Lehrgeld mehr zu verlangen, trotz Gewährung von Kost und Wohnung bei nur 2Qjähriger Lehrzeit. In einer großen Zahl von Fällen werden diese Klagen in den amtlichen Berichten, wie schon eingangs erwähnt, für begründet erachtet; nicht selten aber seien die Ursachen des geschilderten Uebelstandes auch ganz andere. „Die geringe Aussicht auf lohnenden Verdienft in verschiedenen Handwerken, wo nicht allein die Gehilfen, sondern häufig sogar die Meister kaum auf den ortsüblichen Taglohn kommen, trägt vorwiegend dazu bei, daß die männliche Jugend sich mehr und mehr von Handwerken, die ihren Mann kaum mehr ernähren und daher allmählich von selbst eingehen werden, ab⸗ und der lohnenderen Be⸗ schäftigung in Fabriken zuwendet. Ferner giebt es ja leider verschie dene Lehrmeister, welche ihrer . zu gründlicher Ausbildung der Lehrlinge nicht in gehöriger Weise nachkommen können, weil ihre eigenen beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten selbst viel zu wünschen Übrig lassen; mitunter wirken auch noch verschiedene andere Ursachen hierzu mit. So wurde in Schlossereien und kleinen mechanischen Werkstätten, deren Unternehmer nur mit Lehrlingen arbeiten, hier und da gefunden, daß die Lehrlinge, wenn der Lehrmeifter auswärts auf Kundschaft ist, was häufig vorkommt, sich selbst überlassen sind. Ferner äußerten sich einige Bäckermeister bedauernd über die ungenügende Ausbildung der Lehrlinge durch manche ihrer Konkurrenten, welche, um leichter Lehrlinge zu bekommen, nur 13 jährige Lehrzeit anstatt der üblichen, ohne. Beeinträchtigung der Lehrlingsausbildung nicht abkürjzbaren 2 jährigen verlangen und an derselben zudem nos dadurch vieles verabsäumen, daß die Lehrlinge häufig mit Nebenarbeiten, besonders Austragen der Backwaare, in Anspruch ge⸗ nommen werden. Auch die mea sel lig und ungenügende Ausbildung der Lehrlinge in manchen Schneiderwerkstätten auf dem Lande, die für
en⸗ und Knaben⸗Konfektionsgeschäfte arbeiten, wurde von einem
einere Herrenkleider anfertigenden Schneidermeister sehr beklagt. Tüch⸗ tigen, ibrer ganzen Persönlichkeit nach sich zur Ausbildung von Lehr⸗ lingen besonders eignenden Handwerksmeistern gegenüber drängte
manchmal die Frage auf, warum sie keine Lehrlinge hielten. Die hierauf
ertbeilte Antwort ging öfters dahin daß die früher herangebil deten Lehr linge nach der — in Fabriken oder zu den unmittelbaren Ronkurrenten der betreffenden Meister gegangen seien, und daß unter solchen Umständen die Lehrlingshaltung mehr der Konkurrenz zu statten gekommen sei., Dieselbe bringe dem Lehrmeister in dez Regel weht Nachtheil als Vortheil, da das heutzutage be willigte Lehrgeld in keinem richtigen Verbältniß mehr stehe zu den vom Lehrmeister zu bringenden Opfern an Zeit, Mühe und Geduld für Lehrlinge von Durchschnittsqualitãt.. . .
In Würdigung der großen Wichtigkeit einer gründlichen und ediegenen Ausbildung der Lehrlinge hat die Königliche Zentralstelle r Gewerbe und Handel in Vorschlag gebracht, 50900 „ zu Bel⸗
trägen für (atsprechend hohe Lehrgelder an tü chtige Handwerksmeister, welche sich mit fachgemäßer Ausbildung von Lehrlingen befassen, in den nächsten Staats haushalts. Etat einzustellen. .
Im dritten Gewerbe ⸗Inspektionsbezirk sind während des Berichts. jahres in 23 Städten freiwillige Lehrlingsprüfungen abgehalten worden, an welchem sich insgesammt 338 Lehrlinge betheiligt haben. Diefelben vertheilen sich auf alle möglichen Industriejweige und sind sbrer großen Mehrzahl nach in Handwerksbetrieben ausgebildet worden. An den Prüfungen sind die bedeutenderen Induftrieplätze, wie folgt, betbeiligt: Geislingen mit 51 Lehrlingen, Göppingen mit 50, Heiden⸗ heim mit 34, Ulm mit 28 und Ravensburg mit 24. .
In Anbetracht der Wichtigkeit dieser Prüfungen für die Aus⸗ bildung der jungen Arbeiter wie für die Hebung des Handwerks selbst hat der Vorstand des Verbandes württembergischer Gewerbevereine, um die Betheiligung an den Prüfungen zu einer regeren zu gestalten, in einer zu Anfang des Berichte jahres abgehaltenen ul . den Antrag gestellt: Es soll die Uebernahme der Placierung von Lehrlingen, bezw. die Stellenvermittelung für solche, insofern sie die Lehrlinge prüfung nach den Normen des Prüfungsstatuts bestanden haben, von feiten des Verbandes erfolgen. In der Begründung des Antrag wurde hervorgehoben, daß sowohl der Meister wie der Lehrling häuflg nur seinen allernächsten Vortheil im Auge habe, der Lehrling seine Bequemlichkeit, der Meister die Arbeitskraft, die er mit dem Lehrling erspart, infolgedessen die Ausbildung des letzteren, welche durch die Lehr⸗ lings prüfung nachgewiesen werden soll, dabei stets zu kurz komme. Anders sei es jedoch, wenn die Prüfung den unmittelbaren Vortheil einer raschen und günftigen Stellenvermittlung biete; dann werde sie nicht mehr als eine Last, sendern als Vorbedingung zur Erzielung eines Lebens vortbeils angefchen, und manchem Meister werde dann doch das Ge— wiffen schlagen, ehe er den ihm anvertrauten jungen Mann durch un⸗ geeignete Beschäftigung um diesen Vortheil bringe. Die Versammlung faßte den einmütbigen Beschluß, zur Durchführung dieses Vorschlags eine Zentralorganifation für die Unterbringung geprüfter Lehrlinge ins Leben zu rufen. . . .
Die Arbeitszeit der Lehrlinge dauert in den meisten Elementar⸗ kraft⸗ und Handwe rksbetrieben nach Abzug der Vor und Nachmittags; und der Mittagspause 11 Stunden, dehnt sich in manchen aber auch länger aus. In Getreide, und Sägmühlen wurden zuweilen jugend · liche Lehrlinge angetroffen, die mehrere Monate im Jahre bis zu 15 Stunden täglich beschäftigt wurden, und in manchen Bier—⸗ brauereien hatten dieselben gleich den erwachsenen Arbeitern 6 mä ßig 12 bis 13 Stunden fäglich zu arbeiten. ‚Die schlimmsten Zu st ande wurden jedoch in einigen Schneiderwerkstätten auf dem Lande, welche für Kleider ⸗Konfektionsgeschäfte arbeiten, ge- funden. Daselbst währt die regelmäßige tägliche Arbeitszeit sowohl für die Gehilfen wie für die Lehrlinge fast das ganze Jahr hindurch 134 bis 14, in manchen Betrieben 14 bis 15 Stunden. In den meisten dieser Werkstatten kommt häufig auch noch ein⸗ bis zweimal wöchen tlich Ueberzeitarbeit von zwei bis 3 Stunden vor, mit deren Ginrechn ung täglich somit 15 bis 16, ja sogar 17 bis 18 Stunden gearbeitet wird. Diese Arbeitszeit verstebt sich nach Abzug der sehr kurjen Pausen. Frübstück und Vesper Vor, und Nachmittags werden während der Arbest, ohne daß diese durch eine eigentliche Pause unter⸗ brochen wird, eingenommen. An das 10 bis 15 Minuten dauernde Mittagessen schließt sich eine etwa Istündige Pause an, während welcher sich die Arbeiter im Freien aufhalten; dieselbe fällt aber bei schlechtem Wetter oder in Ler Saison häufig ganz weg. Das im Winter in die Arbeitszeit fallende Nachtessen spielt sich in 10, längstens 15 Mi— nuten ab.“ In dem amtlichen Bericht wird dann weiter bemerkt, daß solche langen Arbeitszeiten schon an und für sich, vollends aber bei dem Mangel an Bewegung auf die Dauer gesundheitsschädlich wirken und ganz besonders die Entwickelung jugendlicher Arbeiter in Bedenken erregender Weise , , beeinflussen müssen, und schleunige Ab- hilfe durch Ausdehnung deb Arbeiterschutzgesetzes auf diese Werkstätten für geboten erachtet.
Kunst und Wissenschaft.
XV. Kongreß für innere Medizin zu Berlin (9. bis 12. Juni).
Zum zweiten Male tagt der Kongreß für innere Medizin in der Reichshauptstadt. Im Jahre 1382 in Wiesbaden, auf dem Boden der uralten, gesundbeitspendenden Thermen, auf Anregung der Herren von Leyden, Gerhardt (bamals in Würzburg), Kußmaul (damals in Straßburg), Seitz (damals in Gießen, gegründet, hat sich der Kongreß bisher nur einmal (1884) in Berlin versammelt, um an der damals stattfindenden Feier des Kliniker ⸗ Jubiläums von Frerichs theilzunehmen. Im Jahre 1890 wurde beschlossen, den Kongreß abwechselnd in seiner Heimath Wiesbaden und in Leipzig, Wien, Munchen, Berlin tagen zu lassen: eine Maßnahme, die sich als außerordentlich fruchtbar und an⸗ regend erwies; ist doch die Zahl der Kongreßmitglieder von 133 im Gründungsjahre auf 3656 im verflossenen Jahre gestiegen. Die Vor⸗ sitzenden waren der Reihe nach: Th. von Frerichs (dreimal), E. von Leyden Cweimal). K. Gerhardt, W. von Leube, C. von Liebermeister, H. Nothnagel, H. Curschmann, H. Immermann, H. von Ziemßen, Chr. Bäumler; F. von Leyden, einer der Hauptförderer des Kongresses, ist jetzt zum dritten Male Votsitzender. Die Wege und ,, in denen der Kongreß und seine Arbeiten sich bewegen, sind dieselben, die der Vorsitzende Th. von Frerichs in der allerersten Sitzung in bedeutsamer Rede vorzeichnete, Da⸗ mals rief der Altmeister der klinischen Medizin die. Ver— sammlung dazu auf, einzustehen für die Einheitzideg des kranken Organismus, für die Arbeit an und für den kranken Menschen, welche zwar alle Ergebnisse, gewonnen durch Beobachtungen am Thier (experimentell) und an der Leiche, verwerthet, alle Bausteine, heran⸗ gebracht durch die Cinzelfächer und Hilfswissenschaften, willig ver= arbeitet, dabei aber ihr einziges Ziel im Auge behält. Die an,, der klinischen Forschung, der Born unserer eigenen Erkenntniß, so lauteten die mahnenden Worte, ist und bleibt die Beobachtung am Kranken; die klinische Erfahrung, erweitert und geschärft durch physi⸗ kalische und chemische Handhaben, entscheidet in letzter Instanz. Die Ginheitsldee von den allgemeinen Gesetzen, welche die Lebensvorgänge des Individuums beherrschen, soll der, wenn auch nur vorübergehend drohenden Verkleinerung und
heilung der inneren. Klinik. durch die sich abtrennenden
ige kräftig entgegenwirken. Diesen Grundsätzen ist der Kon greß, dessen innere Leitung nach dem 1886 erfolgten Tode von Frerichs“ auf G. von Leyden übergegangen ist, auch unter der neuen Führung treu geblieben; ihr verdankt er seine den Schwestergesellschaften eben⸗ bürtige Stellung und das Ansehen, welches er im In und Auslande . — Nachdem sich gestern Abend in den Räumen des Zentral⸗ oteis die bereits erschienenen Kongreßtheilnehmer in jwanglosem usammensein begrüßt hatten, wurde die erste Sitzung heute durch eine Rede E. von Leyden's, verlesen durch Herrn Moritz Schmidt⸗ e e. a. M., eröffnet; wir entnehmen derselben Folgendes: Der ortragende begrüßte die Gäste und Alle, welche zur Theilnahme und Mitarbeit am Kongreß erschienen, wies auf die Ausstellung, für deren Gelingen Herr General ⸗Arzt und Geheimer Ober⸗Medizinal⸗ Rath Pr. aper ganz besonders eingetreten ist, sowie auf die Dr. Pagel'sche Festschrift hin und widmete dem Andenken Theodor von Frerichs; pietätvolle Worte. In den seit der Gründung des Kon. eff vergangenen anderthalb Jahrzehnten, führte er sodann aus, hat ch in der inneren Medinn vieles geändert; die Reformen und Ent⸗
dedungen, die unserer Zeit den Stempel geben, baben auch die innere Heilkunde vorwärts gebracht; deren Umgeftaltung spiegeln die Arbeiten gerade des Kongresses deutlich wieder. Die innere Klinik steht heute unter dem Zeichen der wissenschaftlichen Therapie, nachdem die Diagnostik erakt und fest begründet worden; die Therapie ist und bleibt daneben auch eine Kunst, leßtere lehrt die Klinik, und ihr höchstes Ziel ist, zu helfen. Auch in der Therapie wurde der Dog; matismus. die Systemsucht abgeschüttelt; der umsichtige Arit ist therapeutisch ein Eklektiker, der das Gute von allen Richtungen her nimmt und nicht nur das wissenschaftliche Interesse, das ihm der Krankheit.. Fall‘ darbietet, sondern auch die persönlichen und humanen Seiten seines Kranken‘ und diese in erster Linie beobachtet und im Auge behält. Früherer Nibilismus und Pessimismus sind über— wunden, ebenso wie das abwartende Verhalten; die Bewerthung der Gesundheit und des Lebens ist für den modernen Menschen eine andere, höhere geworden. Keine Verordnung, kein Wort des Arjtes ist von gleichgültigem Interesse für den Kranken; auch die sogenannten n . Mittel sind von Bedeutung. Daß der Glaube an Medikamente, über dessen Niedergang schon der römische Arjt Celsus klagte, verschwunden sei, ist gegr. die große Entwickelung, welche die chemische Pharmakologie genommen, spricht dagegen; nur sind die modernen Mittel einfacher, ihre Zusammen⸗ fetzung und physiologische Wirkung genauer gekannt als früher. Arzt und Patient verlangen von selbst nach dem Neuen, welches die schwindende Hoffnung belebt. Der Arzneimittellehre sind die Serum⸗ therapie und die Organsafttherapie zu Hilfe gekommen; in ersterer Hinsicht behauptet das Bebring'sche Diphtherleheilserum allen An⸗ griffen gegenüber seinen Platz, während das Rothlaufserum, das des Wundstarrkrampfs u. a. in ihren Erfolgen vorläufig noch recht bestritten sind. In Hinsicht auf die Organtherapie hat sich bislang nur die Entdeckung des Jodothyrins durch Baumann, den zu früh der Wissenschaft Entrissenen, als wirksame Substanz der Schilddrüfe bei gewissen Stoffwechselkrankheiten zu erbalten vermocht. Im allgemeinen aber sollte doch die Anpreisung neuer Mittel, die sich nicht scheut, auf Giebel und . zu steigen ‘, wieder zu den alten würdevolleren Formen zurückkehren. Den rein chemischen Heilmitteln stehen gegenüber die physikalischen, namentlich die Ernährungstherapie, Krankenpflege, die Wasser⸗ und Badekuren, endlich auch die Psycho— therapie (Suggestion); letztere bilden nicht selten den Tummel⸗ platz von Charlatanen, denen die Macht des Aberglaubens seitens des Rathsuchenden zu Hilfe kommt“. Der Vortragende be⸗ sprach sodann noch die einzelnen Zweige der echt / wiss enschaftlichen Naturheilkunde. und ihre strikten Indikationen. ;
Nach Beendigung dieser sehr beifällig aufgenammenen Eröff nungs · rede wurden auf Vorschlag E. von Leyden's im Namen des Kongresses zu Ehren. Präsidenten erwählt: Seine Königliche Hoheit der Herzog Karl Theodor in Bavern, der Staatg⸗Minister und Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal⸗Angelegenheiten D. Hr., Bosse, der General⸗Stabzarzt der Armee Dr. von Coler, der Ministerial⸗ Direktor Dr. Althoff; ferner zu Stellvertretern des Vorsitzenden Herrn von Leyden die Herren Liebreich⸗ Berlin, Behring Marburg, General Arzt Schaper Berlin, Runeberg ⸗ Helsingfors. — Im Namen der Regierung begrüßte die Versammlung Herr Unter⸗-Staatssekretaͤr Rothe, welcher ihren Verhandlungen den besfen Fortgang wünschte, namens der städtischen Körperschaften Herr Ober Bürgermeister Dr. Zelle, namens der Berliner Medizinischen Gesellschaft Herr Professor Dr. R. Virchow. .
Nach Verlesung von Anschreiben derjenigen Mitglieder, welche ihr Ausbleiben entschuldigten, ging der Kongreß zu seiner wissenschaft lichen Tagesordnung über. Das Thema der ersten Sitzung bildete der chronische Gelenkrheumatismus, über welchen der Geheime Medizinal⸗ Rath Bäumler (Freiburg i. B) referierte. Anschließend daran er⸗ öͤrterte Herr Professor Adolf Ott (Prag ⸗ Marienbad) die Behandlung dieser Krankheit. . . .
Mit dem Kongreß ist im Architektenhause eine auch für Nichttheilnehmer zugängliche Au sstellung von wissenschaftlichen Instrumenten, Krankenpflege⸗ Apparaten, Arzneipräparaten und Kranken nahrungsmitteln verbunden, welche unter Leitung der Herren Ge— heimer Ober ⸗Medijinal: Rath Dr. Schaper und Priyatdosent Dr. Mendelsohn gerade die Berliner Leistungen auf diesen Gebieten vor⸗ zuführen sich bestrebt. Auch hat das Berliner Lokaleomits durch Herrn Privatdozenten Pagel, den bekannten medizinischen Historiker, eine Fest⸗ schrift, betitelt Die Entwickelung der Medizin in Berlin, abfassen lassen, welche mit authentischen, zeitgenössischen Porträts der Hauptvertreter der medizinischen Vergangenheit Berlins, wie Chr. W. Hufeland (1762 — 18365, G. W. Heim (1747 - 1834), Joh. Müller (1801 - 18589), J. Lucas Schönlein (1793 — 1864) u. A., geschmückt ist, eine bisher noch nicht vorhandene, ebenso kurze wie gehastvolle Darstellung des Entwickelungsganges, welchen die Medizin in Berlin genommen hat, giebt und den Kongreßmitgliedern überreicht wird. Herr J. F. Berg= mann, der langjährige Verleger der Kongreßverhandlungen, hat die Schrift, welche ein bislang nur in Bruchstücken bearbeitetes, inter⸗ essantes Kapitel aus der Geschichte Berlins und ihrer geistigen Bestrebungen behandelt, in vornehmer Weise ausgestattet.
In Kiel tagt von heute bis zum 11. d. M. die . Deutsche Zoologische Gesellschaft‘. In der heutigen Sitzung berichtete der Plankton -Forscher Professor Brandt-⸗Kiel Über die Faung der Istsee, insbesondere der Kieler Bucht. Ferner werden Vorträge halten Professor Chun Breslau, Professor Hensen⸗Kiel und Andere.
Literatur.
ff. Publikationen aus den Königlich Preußischen Staats-⸗Archiven. 67. Band. 5 Priebatsch, Politische Korrespon denz des Kurfürsten Albrecht Achilles. 2. Band: 1475— 1480. 26 M — Der n, Band behandelt vornehmlich zwei Ereignifse, in denen Albrecht Achilles eine hervorragende Rolle spielte: den Reichskrieg gegen Karl den Kühnen und die Kämpfe gegen den Ungarnkönig Matthias Corvinus. Im vorigen. Bande wurde dargelegt, welche Verdienste der Kurfürst sich um die Auf⸗ bringung des Keichsheeres erwarb; hier erfährt man, daß ihm that— sächlich die Oberleitung des Heeres zufiel, die Kaiser Friedrich JII. dem Ramen nach ausübte. Mit unsäglicher Mühe gelang es ihm, das aus vielen kleinen Kontingenten zusammengesetzte Heer etwas zu disziplinieren und die Abneigung vieler Reichsstände gegen den Krieg zu überwinden. Große e e che Thaten waren mit einem so mangel⸗ haften Kriegsinstrument nicht zu vollbringen, aber der Anmarsch des Heeres genügte, um den Herzog von Burgund, der Neuß vergebens berannte, zum Friedenschluß zu veranlassen, ohne es auf eine entscheidende Schlacht ankommen zu lassen. Unmittelbar darauf riefen den Kurfürsten dringende Angelegenheiten nach dem Osten. Dort stritten sich Polen und Ungarn um die Krone Böhmens, und der Kaiser und die benach⸗ barten Reichsfürsten wurden in diesen Kampf der damals mãächtigsten Ostreiche mithineingezogen. Wie der Kaiser stand Albrecht auf der Seite Polens, da Ungarn ihm den Besitz der Fürstenthümer Glogau und Krossen, auf die er Erbanspruch batte, streitig machte, Nach langen wechselvollen Kämpfen, in denen Albrecht seine krie erische Tüchtigkeit wiederholt glänzend bewährte, erlangte er endlich zum theil den Pfandbesitz jener Erbschaft, und wenige Jahre später ver= zichtete Ungarn definitiv auf die Einlösung des umstrittenen Gebiets.
ast sein ganzes Leben hindurch hatte Albrecht treu zum Kaiser ge alten und ihm nn,. und milttärisch die größten Dienste geleistet: im Alter schieden sich ihre Wege, da Friedrich 1II. Albrecht s Vorschlag, aus den Hohenzollernschen Landen und einigen kleineren Reiche ständen und Städten, wie Nürnberg, eine Kaiserliche Partei in Süd ⸗ beutschland zu bilden, ablehnte und sich den Rivalen des Kurfürsten, den Wittelsbachern, näherte. Albrecht starb bald darauf; er erlebte nicht mehr die Genugthuung, daß der Kaiser sich nach kurzer Frist von den Wittelsbachern abwandte und sich wieder auf die Partei der Hohenzollern zu stützen suchte. — Albrecht Achilles war für lange Zeit der letzte . der eine große Reichspolitik betrieb; unter seinen Nachfolgern wurden die Hel en in mehrere Zweige getheilt und ihre Macht dadurch geschwächt; den Kurfürsten von Brandenhurg insbesondere fehlte die zentrale Slellung in Franken, die Friedrich J.
und Albrecht in den Stand 88 hatten, eine fübrende Stellung im Reiche einzunehmen. Erst der Große Kurfuͤrst erhob sich wieder über die Stellung eineg bloßen Territorialherrn und eröffnete eine neue Epoche brandenburgischer Großmachtspolitit. ; ff. Forschungen zur Brandenburgischen und Preußi⸗ schen Geschichte. Herausgegeben von Albert Naud és. 9. Bd., 2. Hälfte. Leipzig, Duncker u. Humblot, 1897. — Dieses Heft wird eröffnet durch einen Nachruf Gustav Schmoller's für den kürzlich ver- storbenen Herausgeber der Zeitschrift Albert Naudé, dem er als hervorragendste Elgenschaften Feinheit und Schärfe des Geistes nach= rühmt, während ihn tiefe philosophische Fragen weniger anzogen. ö folgt von demselben Verfasser die schon mehrfach gedruckte edächtnißrede auf Heinrich von Sybel und Heinrich von Treitschke: eine ausgezeichnete Würdigung der beiden großen Historiker, zugleich ein gedankenreicher, wenn auch nicht immer einwandfreier Beitrag zur Geschichte der Historiographie unseres Jahrhunderts. Schmoller stellt diesen beiden Leopold von Ranke gegenüber: dessen Weltanschauung wurzelte in der weltbürgerlichen Humanität, der romantisch⸗ ästhetischen Stimmung der Zeit der Goethe und Hegel; jene bildeten Charakter und Denkweise an neuen Tendenzen: die welt⸗ bürgerliche Humanität wurde durch den deutschen Patriotismus ver- drängt, und wenn Ranke sich von der Gegenwart abwandte, wollten sie in ihr leben und nach Kräften auf sie einwirken; nicht die böchste Objektivität, sondern eine politisch nationale Geschichte war ihr Ideal. Wie sehr diese Ideen den Anschauungen ihrer Zeitgenossen entsprachen, zeigt die große Verbreitung ihrer Hauptwerke; die Beurtheilung der Geschichte des 19. Jahrhunderts ist auf lange hinaus durch Treitschke's „Deutsche Geschichte und Sybel's „Begründung des Deutschen Reichs durch Wilhelm J. festgelegt. — Ein wichtiges Problem der märkischen Geschichte, die Germanisieruag zwischen Elbe und Oder, behandelt Otto Guttmann. Er zeigt, daß zur Zeit der Karolinger noch keine prinzipielle Feindschaft zwischen Deutschen und Wenden existierte; erst als die Sachsen das Christenthum angenommen hatten und eine grundsaͤtzliche Eroberungspolitik begannen, bildete sich ein Stammes⸗ und Glaubensgegensatz heraus. Die Kolonisation verlief in den einzelnen Gegenden verschieden; so drang im Norden der mächtige Heinrich der Löwe mit Gewalt vor, er eroberte das Land und trieb nicht selten die Bewohner in das Elend; in der Mark Brandenburg erweiterte der minder mächtige Albrecht der Bär seine Länder am liebsten durch friedliche Verträge mit den Wendenfürsten, von einer Verjagung der ursprünglichen Insassen konnte also keine Rede sein. Es war dazu um so weniger Grund vorhanden, als das von Waͤldern, Seen und Sümpfen durchschnittene Land schwach bevölkert war, und die Einwanderer von den wenig zahlreichen Wenden nichts zu befürchten hatten. — In einem Aufsatze über die Westminster⸗ Konvention behandelt Georg Küntzel noch einmal die vielbesprochene Frage der Entstehung des Siebenjährigen Krieges und kommt dabei zu dem Resultat, daß der Grundzug der Politik Friedrich's des Großen war, seinen Staat unter allen Umständen vor dem drohenden Kriege zu bewahren. . J — Das Gesetz, betreffend das Anerbenrecht bei Renten- und Ansiedelungs gütern, vom 8. Juni 1896, für die Praxis erläutert von Heinrich Peiser, Amtegerichts-Rath in Danzig. Verlag von Siemenroth u. Troschel, Berlin. — Die mit den neueren Höfegesetzen gemachte Erfahrung, daß das Anerbenrecht, welches sich in einigen Landestheilen Hannovers historisch entwickelt hat, außerhalb derselben nur geringe Anwendung findet, so lange es von dem Belieben des Grundbesitzers abhängt, seinen Hof durch Ein- tragung in die Höferolle dem Anerbenrecht zu unterwerfen, hat be⸗ kanntlich dazu veranlaßt, die Renten. und die Ansiedelungsgüter dem ihrer Erhaltung nachtheiligen allgemeinen Intestaterbrecht durch das Spezial Intestaterbrecht des Anerbenrechts gesetzlich zu ent- ziehen. Wenn dieses bei einer anderweiten Regelung des gesammten ländlichen Erbrechts vorbildlich sein wird, so ist es auch über das unmittelbare Anwendungsgebiet hinaus von aktuellem Interesse, die Bestimmungen des Gesetzes genauer kennen zu lernen. Der Verfasser giebt zunächst den Gesetzestert in ununterbrochenem Zusammenhang und kommentiert sodann die einzelnen Vorschriften unter Voranstellung einer einleitenden Darlegung der Entstehung und der Grundzüge des Gesetzes sowie seines Verhaͤltnisses zum Bürgerlichen Gesetzbuche, zu den Höfegesetzen und Landgüterordnungen. Den Schluß bildet die Zirkularverfügung des Ministers für Landwirthschaft, Domänen und Forsten an sämmtliche General-⸗Kommissionen (mit Ausnahme der⸗ jenigen zu Düsseldorf vom 10. August 1896.
Gesundheitswesen, Thierkrankheiten und Absperrungs⸗ Maßregeln.
Dänische Antillen. ö Die Regierung der dänischen Antillen bat für Herkünfte aus Mayaguez (Puerto Rico) und der Insel Tenerifa wegen dort herrschender Pocken eine 16 tägige Quarantäne angeordnet.
Saigun, 8. Juni. (B. T. B) Aus Bangkok wird der Ausbruch einer Cholera⸗Epidemie gemeldet.
Verkehrs⸗Anftalten.
Bremen, 9. Juni. (W. T. B.) Norddeutscher Lloyd. D. . Ems 7. Juni 2 Rm. Reise v. Gibraltar n. New⸗Nork fortgef. Fulda, v. New Jork kommend, 7. Juni 11 Vm. Reise p. Gibraltar n. Neapel fortges. „Aller“ 7. Juni 9 Vm. in New-⸗JYJork angek. „Spree, v. New⸗York kommend, 7. Juni 1Nm. auf Weser angek. ‚Willehad“, v. Baltimore kommend, 7. Juni 3 Nm. St. Catherines Point passiert. Brem en“ 7. Juni 12 Mittags Reise v. Southampton n. New -⸗JYor k fortges. „Weimar.“ 7. Juni Mittags Reise v. Southampton n. Gen ug fortges. Gera“, v. Australien kommend, 5. Juni 11 Abds. . passiert. Sach sen“*, n. Ost ˖⸗Asien best, 8. Juni Vm. in Suez angek. Roland“, n. Baltimore best., 5. Juni 5 Nm. Lizard passiert. ‚Barbarossa“ 6. Juni 5 Migs. in New-NYork angek. Marke, v. La Plata kommend, 8. Juni 8 Mrgs,. auf Weser angek. ‚Koblenz“, n. Brasilien best.,, 7. Juni v. Bahia n. Santos abgegangen. .
Hamburg, 9. Juni. (W. T. B.) Hamburg ⸗Amerika⸗— Linic. D. ‚„Pennsylvania“ hat, von New-⸗Jorik kommend, gestern Abend ? Uhr Lizard passiert. .
London, 8. Juni. (W. T. B.) Union-Linie. D. . Guelph“ ist auf der Heimreise heute bei den Canarischen Inseln ange- kommen. B. Normann “' ist auf der Ausreise heute in Kapstadt eingetroffen. .
Rotterdam, 8. Juni. (W. T. B.) Holland ⸗Amerika⸗ Linie. D. Edam“, von Amsterdam nach New Jork, bat gestern Nachmittag Scilly passiert. ; .
Bukarest, 9. uni. Der durch Hochwasser vielfach unter⸗ brochene Eisenbahnverkehr in Rumänien ist, dem . W. T. B.“ zufolge, trotz des noch anhaltenden Regens wieder aufgenommen
worden. Theater und Musik.
Neues Königliches Opern -⸗Theater.
Herr Emil Greder vom Dresdner Hof ⸗ Theater begann am Sonntag als Mephisto in Goun od's . Margaxrethe ein Gast⸗ spiel auf Engagement, welches er gestern als Beckmesser in den
Meist ersingern“ von Wagner fortsetzte. Der Sänger soll feine Befähigung darlegen, in die durch Franz Krolop's Tod verwaiste Stelle eines Baß. Buffo einzutreten. ein Organ ist, soweit die genannten beiden Partien ein Urtheil eee, baritonal gefärbt und von angenehmem Klange, nur fragt es sich, ob es auch kräftig enug sein wird, um sich später den weniger akustischen
äumen des Dag er fz anzupassen. Im übrigen ist dem Gaste mustkalisches Feingefühl und ein sehr beachtenswerthes schau⸗ spielerisches Können nachjurühmen. Namentlich war sein Beckmesser eine mit sicheren Strichen scharf gezeichnete Charakterfigur. Als Fanst und als Walther Stolzing gastierte Herr Emil Götze, welcher gestern vortrefflich digponsert war und den begelsterien Beifall