1897 / 286 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 04 Dec 1897 18:00:01 GMT) scan diff

Deutscher Reichstag. 3. Sitzung vom 3. Dezember 1897, 1 Uhr.

Ueber den Anfang der Sitzung wurde in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet. == Auf der Tagesordnung steht zunächst die erste Berathung des Gesetzentwurfes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit.

Nach den Abgg. Dr. Spahn Gentr.), Kauffmann (fr. Volksp), Dr. von Cuny (al) und Pr. von Buchka (d. kons) nimmt das Wort der

Abg. Stadthagen (Soz.). Redner geht auf verschiedene Einzel ˖ heiten ein und weist darauf hin, daß rach 2 des Gesetzes die Gerichte sich Rechtshilfe zu leiten haben. Es stehe aber nicht fest, ob auch die Militärgerichte zur Rechtshilfe verpflichtet seien. Redner führt Anzeigen, in welchen eine Belohnung von 1000 M6 augsgesetzt wäre, um die Ausführung eines Urtheils des bürgerlichen Gerichts gegen einen Offizier zu erlangen, als Beispiel dafür an, daß das

ilitärgericht dabei keine Rechtshilfe gewährt habe. Bedenklich sei die Besflimmung über die Gerichts sprache. Danach solle den Personen, welche der . Sprache nicht mächtig seien, das Protokoll, welches in deutscher Sprache abgefaßt sei, vorgelegt werden; Redner wünscht, daß es bei dem bisherigen Verfahren bleibe.

Abg. Win terer (b. k. F.) hält ebenfalls die Bestimmung über die Zuzlehung von Dolmetschern für eine bedenkliche Abweichung von dem gegenwärtigen Rechte.

Abg. Beckh (fr. Volksp.) bedauert, daß zu viele Fragen nech der Erledigung der Landesgesetzgebung überlassen werden sollen, während möglichst einheitliches Recht zu schaffen sei. Bedenklich sei, daß in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit die Ablehnung eines Richters auggeschlossen sei; das Recht der Ablehnung müsse far die Parteien wie in Streitsachen vorhanden sein. Ebenso dürfe es nicht allein in das Ermessen des Richters gestellt werden, ob eine Beschleunigung in der Sache nothwendig sei.

Damit schließt die erste Berathung. Die Vorlage wird einer Kommission von 21 Mitgliedern überwiesen.

Es folgt die erste Berathung des Gesetzentwurfs, be⸗ treffend die Entschädigung der im Wiederaufnahme—⸗ verfahren freigesprochenen Personen.

Das Wort nimmt zuerst der

Staatgsekretär des Reichs-Justizamts Dr. Nieber ding:

Meine Herren! Die Entschädigung der unschuldig Verurtheilten, welche den Gegenstand des Ibnen vorliegenden Gesetzentwurfs bildet, sollte nach dem Wunsche der verbündeten Regierungen abschließend geregelt werden in Verbindung mit der Revision des Strasprozesses, welche Sie in den beiden letzten Sessionen beschäftigt hat. Als die verbündeten Regierungen damaltz die Frage der Entschädigung für die unschuldig Verurtheilten mit der Revision des Strafprozesses ver⸗ banden, wurde vielfach gegen sie der Verdacht ausgesprochen und dieser Verdacht hat auch nach Schluß der Session und nach dem bedauerlichen Scheitern der Strasprozeßnovelle in der Presse seinen Nachklang gefunden daß es den verbündeten Regierungen bei der Entschädigungepflicht für unschuldig Verurtheilte überhaupt nicht ernst gewesen sei, daß in die Strafrrozeßnobelle Bestimmungen über diesen Gegenstand nur eingeschoben worden seien, um die Novelle dem Reichstage schmackhafter zu machen und ein Kom⸗

pensationsobjelkt anderen Ansprüchen gegenüber, die aus dem Hause erhoben werden könnten, zu gewinnen. Meine Herren, wenn die ver⸗ bündeten Regierungen gegenwärtig Ihnen einen Gesetzentwurf vor- legen, welcher unabhängig von der Revision des Strafprozesses diese Enischädigungsfrage regeln soll, so ist das, meine ich, der beste Beweis dafür, wie ungerechtfertigt der damals ausgesprochene Verdacht ge⸗ wesen ist. In der That haben bei der damaligen Vorlage nur sach⸗ liche Erwägungen die Auffassungen der verbündeten Regierungen be⸗ stimmt. Damals war der Gedankengang etwa folgender: die große Ausdehnung, die das Wiederaufnahmeverfahren in dem Strafprozeß erhalten hat, führt darauf zurück, daß man in dem Strafprozeß die Berufung nicht aufgenommen hat; wenn wir in der Strafprozeß⸗ novelle die Berufung nun wieder in den Prozeß einführen, so ist es cine aus der Mee dieser Gesetzgebung sich von selbst ergebende Folge, daß dasjenige außerordentliche Rechtsmittel wieder beseitigt werden muß, welches nur als Kompensation für die Be⸗ rufung gedacht worden war und deshalb in dem Prozeß Aufnahme gefunden hatte, um so mehr beseitigt werden muß, nachdem in der Praxis sich gezeigt hatte, daß in der That die weite Ausdehnung des Wiederaufnahmeverfahrens, wie es das geltende Gesetz enthält, schwerwiegende Nachtheile für die Rechtspflege mit sich bringt. Wenn aber das Wiederaufnahmeverfahren so, wie es damals in Kon⸗ sequenz der Einführung der Berufung gedacht war, beschränkt wird, wenn ez beschränkt wird auf die Zulässigkeit in denjenigen Fällen von Nebenfällen abgesehen —, in denen die Unschuld des früher Ver⸗ urtheilten nachgewiesen wird, dann war damit ohne weiteres eine Grundlage gegeben, auf der die Enischädigung der freigesprochenen Unschuldigen in unmittelbarem natürlichen Anschluß an den Wieder⸗ aufnahmeprozeß aufgekaut werden konnte. Und weil durch die so gegebene Beschränkung des Wiederaufnahmeverfahrens eine natürliche und einfache Grundlage für die Konstruktion des Ent⸗ schädigungs verfahrens gegeben war, deshalb wurde damals die Gntschädigungsfrage mit der Revision des Strasprozesses verbun⸗ den. Nun, meine Herren, mit dem Scheitern der Strafprozeßordnung

ist die Gelegenheit zu einer so günstigen Gestaltung des Entschä⸗

digungsverfahrens für die unschuldig Verurtheilten geschwunden. Wenn wir überhaupt vor einem Abschluß der Revision des Straf⸗ prozesses, wie sie die verbündeten Regierungen nicht aufgegeben haben, aber in nächster Zeit nicht in Aussicht nehmen können, wenn wir vor dieser Zeit an die Frage der Entschädigung der unschuldig Ver⸗ urtheilten wieder herantreten wollen, dann müssen wir versuchen, diese Frage auf einen anderen Boden zu leiten. Die verbündeten Regierungen haben geglaubt, den Veisuch noch in dieser letzten Session der Legislatur ⸗Periode machen zu können, um die Frage nochmals vor denjenigen Reichttag zu bringen, der sich in früheren Sessionen schon mit ihr beschäftigt bat, vor einen Reichstag, mit dem in allen wichtigen Fragen dieser Materie bis auf eine die verbündeten Regierungen sich im Einklang befunden haben. Die Gestalt, die nach dem vorliegenden Gesetzentwurf der Entschädigungs vrojeß, wenn ich so sagen darf, annehmen soll, ist einfach und durch⸗ sichtig. Wir ändern an dem Wiederaufnahmeverfahren nichts, wir wollen die Grenzen, in denen das Wiederaufnahmeverfahren durch die Strafprozeßordnung zugelassen ist, nicht verrücken; wir würden dann in die Strafprozeßordnung selbst eingreifen müssen; und nach den Erfahrungen des letzten Jahres haben die verbündeten Regierungen . . gehalten, von einer Berührung der Strafprozeßordnung abzusehen.

1 Wurd also in dem Vorverfahren, welches die Strafprozeßordnung vorsieht, die Wiederaufnabme des Strafverfahrens gegen den Ver⸗ urtheilten beschlossen, so findet nach Maßgabe der allgemeinen Grund⸗ sätze des Strafverfahrens eine neue Hauptverhandlung statt. Der Angeklagte findet sich in derselben Lage, wie jeder andere Angeklagte. Er hat nichts zu beweisen, er hat insbesondere nicht seine Unschuld darzuthun, er kann warten, welche belastenden Momente von seiten der Staatsanwaltschaft gegen ihn vorgebracht werden. Nur die Verdachts gründe, die von seiten der Anklage gegen ihn geltend ge⸗ macht werden, hat er zu widerlegen. Auf weiteres erstreckt sich seine Aufgabe nicht. Ergiebt nun das Verfahren, daß die Verdachtsgründe, die von der Anklage erbracht werden, obwohl sie beftehen, nicht aus= reichen, um den Angeschuldigten zu verutheilen, so wird er freigesprochen, und damit ist das Verfahren erledigt. Ergiebt sich aber weiter in der Hauptverhandlung, daß die Verdachtsgründe, die die Anklage geltend gemacht haben, nicht nur erschüttert, sondern vollständig be⸗ seitigt sind, daß alles das, was in der Anklage gegen den Angeklagten vorgebracht wird, hinfällig wird, derart, daß die Richter sich von der Unschuld des Angeklagten überzeugen müssen, dann wird zunächst auch dieser Angeklagte freigesprochen und das Urtheil verkündigt, womit dann das Strafverfahren feinen Abschluß findet. Aber, meine Herren, hier setzt nun der Entwurf ein und verpflichtet das Gericht in den Fällen, in welchen die Richter sich von der Unschuld des An⸗ geklagten überzeugt haben, durch Beschluß festzustellen, daß der Fall der Entschädigung des Freigesprochenen vorliege. Diesen Beschluß soll das Gericht fafssen im unmittelbaren An⸗ schluß an die Hauptverhandlung nach dem Gesammteindruck alles dessen, was in der Hauptverhandlung vorgebracht worden ist, nach seiner freien Ueberzeugung, aus seiner unmittelbaren Wahrnehmung heraus, die einer mündlichen oder schriftlichen Begründung nicht be⸗ darf, gewissermaßen ähnlich wie der Wahrspruch der Geschworenen ergeht. Der so gefaßte Spruch des Gerichtshofes soll unanfechtbar sein; elnmal gefaßt, kann er von der Staatsanwaltschast nicht mehr angefochten werden. Da die Oeffentlichkeit an dieser Frage kein Interesse hat, so wird der Beschluß nicht verkündigt, sondern dem Freigesprochenen zugestellt. Der Freigesprochene erhebt auf Grund dieses Beschlusses seine Forderungen auf Entschädigung gegen die Justizverwaltung. Billlgt die Justizverwaltung ihm eine an⸗ gemessene Entschädigung zu, so ist die Sache erledigt; ist dasjenige, was die Justijverwaltung dem Freigesprochenen zu⸗ billigt, nach seiner Meinung nicht entsprechend, so steht ihm das Recht zu, den Weg der Klage gegen den Fiskus zu betreten in dem ordent⸗ lichen Verfahren Rechtens, also mit allen Mitteln, wle sie der ordent⸗ liche Prozeß hier bietet.

Meine Herren, indem die Vorlage in dieser Weife das Ent⸗ schädigungsr erfahren ordnet, steht sie, glaube ich, in allen Punkten auf den Anschauungen, die hier im Reichstage in der vorigen Session und auch in früheren Sessionen zur Geltung gekommen sind, ab⸗ gesehen von einem einzigen. Ich glaube, es kann auch nur der einzige Punkt, den die Vorlage, abweichend von der Auffassung des hoben Hauses, wie sie bei der Berathung der Strasprozeßnovelle in der zweiten Lesung hier zur Geltung kam, regeln will, einer ernst⸗ haften Diskussion unterliegen. In allen übrigen Punkten ist nach meiner Meinung das Haus durch seine eigene Stellungnahme und auch durch die Stellungnahme ftüherer Reichstage bis zu einem gewissen Maße gebunden. Der allerdings wichtige Punkt, der hiernach zwischen dem Beschlusse der jweiten Lesung in der rorigen Session und den verbündeten Regierungen noch streitig ist, betrifft die Frage: Soll die Entschädigung jedem Frei⸗ gesprochenen gewährt werden, oder soll sie nur denjenigen gewährt werden, die in dem Verfahren vermöge der Beseitigung aller Ver⸗ dachtsgründe als unschuldig befunden worden sind? Die verbündeten Regierungen sind in der Vorlage bei dem Standpunkt verblieben, den ich bei der Diskusston der Strasprozeßnovelle in der vorigen Session die Ehre hatte, dem hohen Hause gegenüber darzulegen; sie haben sich auch nach wiederholter Erwägung nicht überzeugen können, daß es zu⸗ laͤssig ist, bei der Entschädigung der Freigesprochenen über den Kreis derjenigen hinauszugehen, die von seiten der Gerichtshöfe als unschuldig befunden worden sind, oder mit anderen Worten: sie haben es für unzuläͤssig erachtet, solche Freigesprochenen mit einer Entschädigung aus Staatsmitteln zu bedenken, welche in dem ersten Verfahren verurtheilt, in dem zweiten Verfahren zwar freigesprochen sind, aber gleichwohl mit nicht widerlegten Verdachtsgründen belastet den Gerichtssaal verlassen.

Meine Herren, wenn die verbündeten Regierungen silh der Hoff⸗ nung hingeben, daß es möglich sein werde, auf dieser Grundlage zu einer Verständigung mit dem Reichetage zu gelangen, so stützen sie diese Hoffnung auf zwei Erwägungen. Sie stützen sie einmal auf die Enunziationen, die in dieser Frage vom Reichstage selbst ausgegangen sind; sie ftützen sie darauf, daß, wenn auch in der zweiten Lesung der Strasprozeßnovelle hier im Hause im vorigen Jahre der Standpunkt der Regierungen nicht anerkannt wurde, doch vorher auf Grund zwei⸗ maliger sorgfältiger Durchberathung der Strasprozeßnovelle von Ihrer Kommission anerkannt wurde, daß die Gntschädigungspflicht des Staatetz nicht über den Kreis derjenigen Personen ausgedehnt werden dürfe, die der gegenwartige Gesetzentwurf als entschädigungsberechtigt hinstellen will; sie stätzen ihre Hoffnung darauf, daß schon im Jahre 1886 der Reichstag selbst aus eigener Initiative heraus einen Gesetzentwurf beschlossen hat, der, wenngleich anders formuliert da er das Wiederaufnabmeverfahren in den Kreis seiner Bestimmungen hineingezogen hatte doch materiell auch auf dem Standpunkte steht, auf dem die gegenwärtige Vorlage sich befindet, wonach die Entschädigung nur den unschuldig Befundenen gewährt werden solle; sie stützen sich darauf, daß dieser Beschluß des Reiche tages von 1886 nicht etwa improvisiert worden ist, sondern auf sorg⸗ fältigen Vorberathungen einer Kommission beruhte, die in ibrem schriftlichen Berichte ausdrücklich motiviert bat, wer halb nicht unbe⸗ dingt und in allen Fällen jedem Freigesprochenen eine Entschädigung aus Staatsmitteln gewährt werden könne; sie stützen sich endlich darauf, daß schon vor diesem Vorgange vom Jahre 1886 eine vom Reichstage gewählte Kommission im Anfange der achtziger Jahre, 1882, 83, in einem schriftlichen Berichte dem Hause dargelegt hat, daß man zwar wobl daran denken könne, eine fakultative Entschädigung sür diejenigen einzuführen, die nicht unschuldig befunden worden sind, daß aber dem Staate niemals zur Pflicht gemacht werden könnte, für jeden Frei⸗ gesprochenen, ohne Rücksicht auf Schuld oder Unschuld aus Staats⸗ mitteln eine Entschädigung zu gewähren.

Meine Herren, wenn derch eine Reihe von Jahren hindurch, wie

es kier gescheben, von 1882 bi letzt, immer wicherholt theils ve⸗

Reichstag selbft, theils seine Kommisstonen auf Grund sorgfältiger Vorberathungen die Entschädigungepflicht des Staats in der Weise begrenzt haben, wie es in der Vorlage versucht wird, so, glaube ich, wird einer Vorlage, die diesen Inhalt hat, nicht der Vorwarf gemacht werden können, daß sie die Ansprüche, die berechtigter Weise von den Freigesprochenen erhoben werden können, unbillig verkũmmere.

Aber zweitens, meine Herren, darf sich die Vorlage auch darauf be⸗ rufen, daß es schwer sein dürfte, wenn wir auf das Ausland hinblicken, dort eine Gesetzgebung uns entgegenzubalten, die in dem, was den im Wiederaufnahmeverfahren Freigesprochenen gewährt werden soll, weiter geht als unsere Vorlage. Soweit es sich um die Gntschädigung unschuldig Verurtheilter handelt, die platzgreifen soll, nachdem im Wiederaufnahmeverfahren die Freisprechung erfolgt geht, glaube ich, keine Gesetzgebung des Auslandes weiter als die gegenwärtige Vorlage. Die Gesetzgebungen der größeren europälschen Kult staaten, die auf diesem Gebiete eine Regelung haben eintreten lassen, begrenzen bis auf eine die Entschãdigungspflicht allgemein dahin, daß sie im Falle der Un⸗ schuldfestftellung eintreten soll. Die einzige Gesetzgebung, die anscheinend weitergeht, ist diejenige Oesterreichs. Aber, wenn sie im Prinzip auch über den Kreis der unschuldig Befundenen heraus die Gewährung einer Entschädigung vorsieht, so kommt sie im praktischen Resultate insofern kaum weiter als unsere Vorlage, als sie doch nicht dasjenige den Entschädigungsberechtigten zubilligt, was ihren Schaden unter allen Umständen ganz auszugleichen im stande ist, sondern nur eine nach Lage des Falles angemessene Entschädigung eintreten läßt, und weiter, als sie nicht, wie unsere Vorlage, die Ansrrüche deg Frei⸗ gesprochenen an die ordentlichen Gerichte weist, sondern an einen Ver⸗ waltungsgerichtshof. Und so, meine Herren, glaube ich, daß, wenn wir unbefangen das Recht des Auslandes mit demjenigen vergleichen, was die verbündeten Regierungen Ihnen in der gegenwärtigen Vor⸗= lage bieten, wir sagen dürfen: wir stehen mit unserer Lösung auf der Höhe der Aufgabe und nicht hinter dem zurück, was irgendwo im Auslande versucht worden ist.

Meine Herren, ich glaube, aus den Verhandlungen, die in der Kommission für die Strafprozeßnovelle in der letzten Session über diese Frage gepflogen worden sind, haben Sie sich bereits überzengt, daß finanzielle Interessen bel der Erledigung der Entschädigungsfrage für die verbündeten Regierungen nicht mitsprechen können. Wie die damals Ihnen mitgetheilten Zahlen beweisen, ist die Zahl der Wieder⸗ aufnahmeverfahren verhältnißmäßig gering, so gering, das daz Märchen nicht mehr aufrecht erhalten werden kann, als wenn die verbündeten Regierungen von einer Regelung dieser Frage abgehalten würden durch Rücksichten auf die Finanzen. Nein, meine Herren, wenn wir auch nach wiederholter Erwägung auf dem Standpunkte bleiben, den die verbündeten Regierungen immer eingenommen haben, daß eine Entschädigung nur eintreten soll in denjenigen Fällen, ia denen die Unschuld des Freigesprochenen nachgewiesen ist, so sind es ethische Rücksichten, die uns zu dieser Begrenzung befstimmen. Wir dürfen umsomehr überzeugt sein, daß diese Grenze richtig gezogen ist, als der Reichstag selbst sich wiederholt für diese Begrenzung ausgesprochen hat, und als wir uns im Einklang befinden mit der Auffassung, die hierüber in der Gesetzgebung des Auslandes herrscht.

Meine Herren, ich glaube, die verbündeten Regiernmgen hätten an und für sich aus der Sache heraus keine Veranlassung, Ihnen eine solche Vorlage zu machen; denn die unglücklichen Menschen, die

im Wiederaufnahmeverfahren unter Erweiß ihrer Unschuld zur Frei

sprechung gelangen, die werden das ist Ihnen gegenüber wiederholt im Hause festgestellt worden und das muß ich auch heute bervor⸗ heben unter allen Umständen aus Staatsmitteln entschädigt. Wenn der Zustand, wie er gegenwärtig ist, weiter besteht, so werden sie die Entschädigung auch ferner erhalten im Wege der Gnade; was wir erstreben durch diese Gesetzee vorlage ist, daß sie entschädigt werden im Wege des Rechtz. . . ö

Das ist der eimige Unterschied zwischen dem, waz besteht und dem, was wir schaffen wollen oder dem, was auch Sie früher er⸗ strebt haben. .

Die verbündeten Regierungen haben früher auf dem Standpunkte sich befunden, es sei nicht zweckmäßig, die Entschädigungsfrage auf den Weg Rechtens zu verweisen.

Sie haben diesen Standpunkt aufgegeben und sind Ihnen damit entgegengekommen, sie haben den Weg betreten, meine Herren, den Sie durch Ihre früheren Beschlüsse gewiesen haben.

Ich glaube der Hoffnung Ausdruck geben zu können, daß Sie geneigt sind, dieses Entgegenkommen anch Ibrerseits zu erwidern, sa⸗= weit zu erwidern, daß Sie den Standpunkt wieder einnehmen, den der Reichstag in früheren Jahren eingenommen hat. Wenn dag geschieht, meine Herren, dann wird es uns gelingen, in gemeinfamer Arbeit diese so lange streitig gewesene Frage noch in der letzten Session dieser Legislaturperiode zur Erledigung zu bringen.

Abg. Roe ren (Zentr.): Der frühere Entwurf sollte daz Wieder⸗

aufnahmererfahren ändern und die Freisprechung nur im 6. der nachgewiesenen Unschuld gestatten. Das ist jetzt nicht beabfichtigt; aber die Vorlage will die Entschädigung nur gewähren im Falle der bewlesenen Unschuld. Damit wird ein ganz neuer Begriff in die , . ebung gebracht. Es wird nich mehr bloß unterschieden 66 uldig und unschuldig, sondern es muß derjenige, der die Entschädigung erhalten will, nachwelsen, daß ein Anderer die That begangen haf, oder daß er sie nicht begangen haben kann, Das wird schwer möglich fein. Man hält es für bedenklich, daß Eersonen, die verdächtigt sind, eine Entschädigung erhalten. ber zwischen diesem Extrem und dem anderen der nachgewiesenen Unschutd liegt die große Zahl der Fälle, in denen die Beschuldigten von allem Verdachte frei geworden sind, aber ihre Unschuld nicht er= weisen konnten. Wenn in der Begründung gesagt wird, 1 die Be⸗ feitigung aller Verdachtsgründe zur Gntschädigung berechtigt, so stimmt bamit der Tert des Gesctzes nicht überein; der Entwurf muß dann geändert werden, und es würde egen, die Vorlage nichts Erhebliches mehr einzuwenden sein, als daß nicht gleich in demselben Verfahren auf Freifpreckung und auf Entschädigung erkannt wird, daß vielmehr bezüglich der Gntschäzigung ein besgnderer Antrag gestellt werden muß. Es hieße, den Instanzenzug vollständig verdrehen, wenn zuerst die Justitzverwaltung über das Verhändensein eines Schadens befinden und erst nachher der Rechtsweg . ein sollte. Die Gerichte 6 schließlich doch nicht dazu berufen, über eine Entscheidang des ustiz⸗Ministers zu befinden. Das zuständige Gericht sollte den Schadenan fpruch ele, Ich beantrage, die Vorlage einer Kom mission von 14 Mitgliedern zu überweisen. . Abg. Dr. 2 (ul.): Ich chli 4 diesem Ant an. Die Vorlage erfüllt einen seit janger Zeit vorhandenen Wunsch des Volkes. Bie Regierung hat früher diesem Wunsche zu genügen ver⸗ sucht, aber in einer der Mehrheit des Hauses , , namlich unter EGinschränkung des Wiederaufnahmever fahrens, w es dem Verurtheilten erschwert worden wäre, eine Wiederaufnahme

Verfahrens In erlangen. Die Hauptsache ift, daß alle diesenigen 3 Gntschädigung bekommen sollen, deren Uuschuld nachgewiesen 6 Pie bloß aus formalen sründen Frelgefproc enen sollen dagegen kein: Gntschädigung erbalten. Das Bedenken, daß freisprecher de Urtheile weiter . dadurch geschaffen würden, besteht heute schon. Es hebt auch Heute schon solche Freigesprochenen, die nur weggn nicht nreichender Verdachtegründe freigesprochen sind. Diesen in Wirklich. eit vorbandenen Unterschied sollte man auch gesetzlich festlegen. Es sst zuzugeben, daß ijwischen der Begründung und dem Text des Gesetzes allerdings ein scheinbarer Widerspruch besteht, Der Text muß fo gefaßt werden, daß auch die wegen des Fortfall aller Ver⸗

56 Freigesprochenen die Entschädigung erhalten sollen. Es bleibt baun allerdings noch einige Möglichkeit vorhanden, daß ein wirklich Unschuldiger keine Entschädigung erbält. Aber eine Härte hat schließlich jedes Gesetz im Gefolge, und die verbleibenden Hůrten find zu gering gegenüber ber Schwierigkeit, es auszuschlie ßen, daß ein Schuldiger wegen des Freispruches Anspruch auf Entschädigung er⸗ hält, wodurch das Velkebenußtsein verletzt würde. In den Einzel · heiten legen manche Unklarheiten vor, die die Kommission wird be⸗ seitigen můũssen.

Abg. Dr. von Buch ka (d. kons. : Wir können den verbündeten Regierungen nur Dank wissen, daß sie diese Frage zum Gegenstand einer befonderen Vorlage gemacht haben, und ich möchte wünschen, daß diefe Vorlage nicht mit dem Antrage Rintelen wegen Wiedereinfüh⸗ rung der Bergfung, der wenig Aussicht auf Erfolg hat, verkettet wirt. Der Zuftand, welchen der Entwurf anstrebt, besteht praftisch schon; die an r e, bekommen jetzt schon ausreichende Ent⸗ schädigung, aber nur im Wege der Gnade, nicht im Wege des Rechts. Fine Entfchädigung für die unschuldig erlittene Untersuchungshaft ist ibeorenssch noch eigentlich dringender, als die für unschuldig erlittene Strafhaft. Denn die Verurtheilung kann nur unter den Garantien des Straßprozesses erfolgen, während bei der Untersuchung namentlich von schweren Verbrechen die Pollzei und die Anklagebehörde die Möaglich⸗ elt haben muß, fich des muthmaßlichen Thäters zu versichern. bie Entschädigung für unschuldig erlittene Unterfuchunggshaft ist zur Zeit unerreichbar. Eine Entschädigung kann nur dersenige erhalten, deffen Unschuld nachgewiesen ist. Im Wiederaufnahm eper fahren ver · blaffen die Bewelse, die früher vorgebracht sind, gewöhnlich so stark, daß der Angeschuldigte auf einen Freispruch rechnen kann, ohne da seine Unschuld d, . ift. In solchen . darf keine Entschädi⸗

ung gewährt werden. wenn nicht das Rechtsgefühl des Volkes ver⸗ nf werden soll. Die weitere Berathung der Vorlage hätte auch obne wetteres im Plenum erfolgen können; aber da der Antrag auf KRommifsionsberathung gestellt ist, will ich mich dem nicht widerletzen, obgleich der Meinung bin, daß man mit dem sehr werthyollen, aber nicht sehr n, . Juristenmaterial sparsam verfahren sollte; man könnte daher die Vorlage der bereits vorhin beschlofsenen Kom= mission überweisen.

Abg. Munckel fr. Volley. ): Ich möchte Sie bitten, unter Ablehnung des Antrags v. Buchka die Vorlage einer besonderen Kom= mission ju überweisen ; diese wird genug zu tbun bekommen. Ein Antrag des Kollegen Rintelen, n erfü von 150 und einigen Mit⸗ gliedern, betreffend die Berufung, liegt bereits vor und ich fann ver- rathen, daß von meinem Kollegen Lenjmann und mir ein ganz ãhnlicher Antrag vorbereitet wird. Das sind sehr ähnliche Materien und auch die Milt tärftrafprojeßordnung hat damit mehr zu thun, als die Frage der freiwilligen Gerichtebarkeit. Eins muß ich an dem Ent— wurf loben, daß man sich bemüht bat, einige schwlerige Materien auszuscheiden, um wenigsteng diese eine durchzjubringen. Damit bin ich abet mit meinem Lobe zu Ende. Wie das für uns eine Lockspeise hätte fein sollen für etwaige andere Konzessionen auf dem Gebiete der Strafprozeßordnung, ift mir unverständlich. Wir sollen die Gleich ˖ mäßigkeft der Wirkung der richterlichen Freisprechung für einen Gewinn von eilichen Mark in verschwindend wenigen Fällen in den Kauf geben. Man iönnte ja die Entschäbigung für unschuldig erlittene Untersuchungs⸗ hast zurückflellen, wenn man fuͤr die Entschäpigung der unschuldig Verurtheilien nicht einen so werthvollen ö zahlen müßte. BDileser Preis besteht in der Qualifikation der reigesprochenen. Ge⸗ wiß wird immer ein Unterschied bestehen zwischen dem sogenannten non jiquetâ und der nachgewiesenen Unschuld, aber etwas Anderes ist es, ob man diesem Unterschied auch rechtliche Wirksamkeit beilegt. Damit würde der Satz ‚Calumniare audacter, semper aliquid haeret? zum Grundsatz unserer Jufttzpflege gemacht. Es ist ein großes Un=

jück, daß Leute, die mit Ünrecht angeschuldigt werden, so sehr (eiten in die Lage kommen, sich kon diesem Verdacht zu reinigen. Die üble Nachrede gegen sie bleibt oft bestehen auch nach dem richterlichen Freispruch. Soll dag nun von Gesetzes wegen be⸗ 44 t werden? Man sfagt: es werden in unserem Wieder a 2 26 so ungemein viele freigesprochen, nur weil die Bewelsmittel zu Grunde gegangen sind; gegen wieviel Menschen wird denn überhaupt das Verfahren wieder gufgenommen? Das ist ein ganz verschwindender Bruchtheil. Ich erinnere nur an den be⸗ rühmten Fall . Man sollte dech auf diesem Gebiete nicht an finannielle Binge, sondein an die Prinzipienfrage denken. Jeder ie g. bat das Recht, zu verlangen, daß das Gericht sormell und feierlich seinen früheren Irrthum einsiebt und daß der Reichs 2 diesen gerichtlichen Irrthum urbi et erbi bekannt macht. Im nde genommen, handelt ez sich nur um Erstattung der notb- wendigen Auslagen nach Analogie des § 499 der Strafprojeßordnung. Diese Auglagen muß in Zukunft der Staat tragen. Wie soll aber nun die Entschädigung erfolgen? Nach der Vorlage soll die Ent- schã digung solchen uit cjablt werden, die vorsäͤtzlich oder durch robes Verschulden ihre Verurtheilung selbst verursacht haben. Dieser all kann eintreten, wenn die Einlegung eines Rechtsmittels ver. äabsäumt ist. Am besten wäre es, wenn die Kemmission die Worte grobes Verschulden“ ganz und gar striche.

2 Rintelen (Zentr.) hält es im Anschluß an die Verhand⸗ lungen früheren Reichstags-Kemmission für nicht stattbaft, bei einem non liquet eine r n zu gewähren. Das Wieder⸗ aufnahmeverfahren bedürfe einer Aenderung, durch welche verhindert werde, daß zweierlei Arten von Freisprechungen existierten.

Nachdem Abg. Beckh (fr. Volksp.) sein Bedauern darüber aus. gesprochen, daß man nicht schon im vorigen Jahre diese Materie aus der Sfrafprozeßvorlage allein herauegelöst habe, führt

Abg. Stadthagen (Soz.) nochmals aus, daß nach der Fassung des Gesetzes nur ein ganz feiner Bruchtheil der Freigesprochenen eine Enischäbigung erbalten würde, und sucht seine Behauptungen an mehreren Beispielen zu erläutern.

Damit schließt die Diskussion. Die Vorlage wird einer Kommission von 14 Mitgliedern überwiesen.

Auf Antrag des Abg. Auer (Sof) wird der schleunige Antrag * Einstellung der gegen die sozialdemokratischen Abgg. Brühne, Möller, Schmidt⸗-Frankfurt, Stadt⸗ hagen und Vogtherr schwebenden Verfahren ohne Debatte genehmigt.

Schluß 6i/ Uhr. Nächste Sitzung . 1Uhr. (Erste Lesung des Gesetzentwurfs berreffend die deutsche Flotte.)

Parlamentarische Nachrichten.

g sind die nachstehenden Initiativ⸗ anträge eingebracht worden: An des Abg. , , . Der Neichstag wolle beschließen, dem nachstebenden Gesetzentwurf dle verfafsungsmäßtge ,,. zu ertheslen; Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Abänderung und Er⸗ gänzung der Gewerbeordnung. n ker Gewerbeordnung find hinter 1332 folgende Paragraphen neu einzufstellen:

§ 133 an. Wird durch Vertrag eine kürzere oder längere Sandigu gef bedungen, so muß sie für beide Theile gleich sein; sie dar nicht weniger als einen Monat betragen. je Kündigung kann nur für den Schluß eines Kalendermenats zugelassen werden. ⸗‚

Die Vorschriften des Abs. 1 finden auch in dem Falle Anwendung, wenn das Dienstverkältniß für bestimmte Zeit mit der Vereinbarung eingegangen wird, daß es in Ermangelung einer vor dem Ablaufe der Vertrags zeit erfolgten Kündigung als verlängert gelten soll.

Eine Vereinbarung, die diesen Vorschriften zuwiderläuft, ift

nichtig. S 133 ab.

Die Vorschriften des § 133 aa. fin den keine Anwendung, wenn der Angestellte ein Gehalt ven mindeftens fünftausend Mark für das Jahr bezieht.

Sie bleiben ferner außer Anwendung, wenn der Ange stellte für eine außereuropäische Niederlassung angenommen ist und nach dem Vertrage der Arbeitgeber für den Fall, daß er das Dienstverhältniß kündigt, die Kosten der n, Angestellten zu tragen hat.

AC.

Wird ein Angestellter nur zur vorübergehenden Aushilfe ge nommen, so finden die Vorschristen des S 135 aa keine Anwendung, es sei denn, daß das Dienstverhältniß über die Zeit von drei Monaten hinaus sortgesetzt wird. Die Kündigun eg muß jedoch auch in einem solchen Falle für beide Theile gleich sein.

Antrag der Abgg. Dr. Paasche, Bafsermann, Dr. Clemm (Eudwigs hafen) und Fed en:

Der Reichstag wolle beschließen: folgendem Gesetzentwurf seine Zuftimmung zu ertheilen:

2 betreffend die Abänderung des Gesetzes vom 14. April 1894. betreffend die Abänderung des Zolltarifgesetzes vom 15. Juli 1879 (Reichs. Gesetzbl. S. 335 69

An Stelle deg ersten Satzes der Ilffer 1 und an Stelle der IJiffer 3 des Gesetzes vom 14. April 1896, betreffend die Abãnderung Tes Zelltarifgesegzis vom 15. Full i875 (Reichs. Gesetzfl. S. 335) treten folgende Bestimmungen; .

1) Bei der Ausfuhr von Welzen, Roggen. Hafer, Hülsenftüchten, Gerfte, Buchweizen, Rapz und Rübsaat aug dem freien Verkehr des Inlandeß werden, wenn die ausgeführte Menge, wenigstens 500 Eg deträgt, auf Antrag des Waarenführerg Bescheinigungen . scheine) ertheilt, welche den Inhaber berechtigen, innerhalb einer vom Bundegrafh auf jängftens sechs Monate zu bemessenden Frist eine dem der Einfuhrscheine entsprechende Menge der nämlichen Waarengattung ohne Zollentrichtung einzuführen.

3) Her Inhabern von Mühlen oder Mälzereien wird für die Ausfuhr der von ihnen y Fabrlkate, sowie den Inhabern von Preßbefefabriken für Lie Ausfuhr ihrer Preßhefe eine Erleichte⸗ rung dahin gewährt, daß ihnen der Eingangözoll für eine der Aug⸗ fuhr 8 Menge des zur Mähle oder Maͤlzerei gebrachten oder zur pr f iat er n, verwendeten aus ländischen Getreides, einschlleßlich Mals, nachgelassen wird. Der Ausfuhr der Fabrikate und Preßhefe steht die Niederlegung derselben in elne , unter amtlichem Verschluß gleich. Ueber das hierbei in Rech nung jn ftellende Ausbenteverhältniß trifft der Bundes- rath Bestimmung. Das jur Mühle oder Maͤlzerei, oder zur ,,,, jollamtlich abgefertigte ausländische, sowie auch onftige3z Getreide, welches in die der Steuerbehörde zur Lagerung des erftbezeichneten Getreides angemeldeten Räume ein⸗ gebracht ist, darf in unverarbeitetem Zustande nur mit Genehmigung ber Steuerbehörde veräußert werden. Zuwiderhandlungen hiergegen werden mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark geahnder.

Inhabern von Mühlen, Mälzereien und Dee hefes e riter welchen die vorbezeschnete Erleichterung gewährt ist, werden bei der Ausfuhr ihrer Fabrikate und Preßhefe Einfuhrscheine Siffer 1) über eine ent⸗ sprechende Getreidemenge ertheilt, sofern sie diese Vergünstigung an Stelle des in Abf. 1 vorgeschlagenen Erlasses des Eingangsiolls für eine der Ausfuhr entsprechende Menge zur Mühle oder Maälzerei ge⸗ brachten oder zur Preßhefefabrikation verwendeten ausländischen Ge⸗ treides beantragen. .

Auch den Inhabern von Mühlen oder Mälzerelen oder von Preß hefefabriken, welchen die in Abs. 1 bezeichnete Erleichterung nicht ge⸗ währt ist, werden nach Antrag bei der Ausfuhr ihrer Fabrikate bezw. Preßbefe Einfuhrscheine über eine entsprechende Getreidemenge ertheilt.

Voraussetzung für die Bewilligung der vorgedachten in Abs. 1 bis 3 bezeichneten Zollerleichterungen an Preßbefefabrikanten ist die Bedingung, daß sie eine entsprechend ihrer Branntweinproduktion in den letzten drei Betriebs jahren von dem Bundesrath feftzufetzende jährliche Branniweinproduktion nicht überschrelten.

Antreg der Abgg. Basserm ann, von Cunz und Genossen:

Der Reichstag welle beschließen: dem nachstebenden Gesetzentwurf die verfassungsmäßige Genehmigung zu ertheilen:

Entwurf eines Gesetzes, betreffend das Vereinswesen. Einziger Artilel. .

Inländische Vereine jeder Art dürfen mit einander in Ver⸗ , . Entgegenstehende landesgesetzliche Bestimmungen sind aufgehoben.

Antrag der Abgg. Dr. Schmitt (Mainz) und Roeren: Der Reichstag wolle beschließen: die verbündeten Regierungen zu ersuchen, noch in 3. Session

dem Reichstage eine Novelle zu dem Gesetz vom 20. April 1892, be- treffend den Verkekr mit Wein, weinhaltigen und weinähnlichen Getränlen (Gesetz Samml. S. 597), vorzulegen, durch welche ein wirk⸗ samer Schuß der Interessen des Weinbaueß, des reellen Weinhandels und der Konfumenten herbeigeführt, namentlich die gewerbsmäßlũe Herstellung sowie der gewerbe mäßige Einkauf und Verkauf von 3 wein verboten wird.

Antrag der Abgg. Dr. Hitze, Dr. Lieber (Montabhaur) und

Dr. e gr von Hertling; . suc er Reichstag wolle beschließen, die verbündeten Regierungen zu ersuchen:

2. Erbebungen über den Umfang, die Gründe, die gesundbeit lichen, sittlichen und erziehlichen Gefahren der gewerblichen Be⸗ fchäftigung schulpfüichtiger Kin der zu veranstalten;

b. fon ich eine mißbräuchliche Ausdehnung dieser Beschäftigung eraiebf, durch Anregung resp. Erlaß entsprechender Verordnungen (88 1200 und 1654 Abs. h) derselben entgegenzutreten.

Antrag der Abgg. Charton und Genossen: Der Reichstag wolle beschließen: den nachstehenden Gesetz⸗ entwürfen die verfassungsmäßige Zustimmang ju geben:

es, betreffend die Verfaffung und die Verwaltung Isaß - Lothringens, vom 4. Juli 1879 (Reichs. me,, . S. 165). Der 82 det Befetzes vom 2. Juli 1876, betreffend die Ver⸗ affung und die Verwalung Elsaß⸗Lothringens, wird in folgender eise n n,

Auf den Stattbalter gehen zuglelch die durch Gesetze und Verordnungen dem Reichskanzler in Elsaß⸗Lothringischen Landes⸗ angelegenhelten überwiesenen Befugnisse über.

Bie durch 5 10 des Gesetzes, betreffend die Einrichtung der Verwallung, vom 30. Dezember 1871 dem Ober, Präsidenten über⸗ tragenen außerordentlichen Gewalten sind aufgehoben.

Gesetz wegen Abänderung des §S 2 des Gese

Gesetz wegen Abänderung des § gl des Gesetzes über die Presse ö ] vom 7. Mai 1874. Das Gesetz über die . vom 7. Mai 1874 tritt in Kraft in Elsaß Lothringen als Reichsgesetz am 1. April 1896. . er jwelle Satz des 5 31 dieses Gesetzes, betreffend Einführung

des Gesetzes in Elsaß Lothringen, ist aufgehoben.

6 e Letz . wegen Neuregulierung der Wahlen zu m Landetzausschuß von Elfaß⸗Lothringen.

81. Der Landegautzhchuß von Glsaß-Lothringen geht aus allgemeinen und direkten Wablen mit geheimer Abstimmung hervor 22 Be⸗ stimmungen der Wahlen zum Dan . Reich tag.

Auf je zo C0 Ginwohner wird ein Abgeordneter gewählt. Sine Vermehrung der Zahl der Abgeordneten infolge der fteigenden Beröllerung wird das Gesetz e m wn

Die Bestimmungen der 55 12 bis iaklustve 16 des Gesetzes vom 4. Juli 1572, betreffend die Verfassung und Ve waltung Elsaß⸗ Lothringens, werden aufgehoben.

Von den Abgg. von Salisch und Genossen der Gatwurf eines Geseßes, betreffend einige Abänderungen und Er, gänz ungen der i, n, , ,,. vom 1. Februar 1877 (Reichs. Gesetzbl. S. 253 ff) und ber Zivilprozeß ordnung vom 30. Jantar 1877 (Reichs. Gesetzbl. S. 83 ff), s9wie die Be⸗ strafung wiffentlich falscher unbeeideter Aussagen.

Ven den Abgg. Freiberr Heyl zu Herrnsheim, Basser⸗ mann, Prinz zu Schoönaich⸗ Carolath, Dr. Ofann, Dr, Hasse und Graf von Ortola der Entwurf eines Gesetzes, betreffend den Krbelterfchutz in Werkstätten der Hausgewerbetreibenden sfowie die Abänderung der Gewerbeordnung und die Arbeits- zeit der in offenen Verkaufsstellen, in Schank⸗ und Ga stwirthschaften beschäftigten weiblichen Personen.

Von den Abgg. Dr. Hitze, Dr. Lieber (Montabaur), Dr. Freiherr von Hertling der Antrag: Der Reichstag wolle beschl R. die verbündeten Regierungen zu ersuchen:

a. Erhebungen über den Umfang, die Gründe, ,, alf und erziehlichen Gefahren der gewerblichen? eschäftigung

chulpflichtiger Kinder zu veranstalten;

b. soweit sich eine mißbräuchliche Ausdehnung dieser Beschäftigung ergiebt, dur i, . resp. Erlaß entsprechender Verordnungen (S§ 1200 und 154 Abs. 4 derselben entgegenzutreten.

Von den Abgg. Auer und Genossen folgende neuen Anträge:

1) Der Reichtztag wolle beschließen; die verbündeten Regierungen zu ersuchen, dem Reichstag bis zur nächften Sesston einen Entwurf für ein eic, em me; vorzulegen.

Y Der Reichstag wolle beschließen: die verbündeten Regierungen zu erfuchen, dem Reichetag bis zur nächten Session einen Gesetz. entwurf vorzulegen, durch welchen an Stelle der im § 139 der Reichs Gewerbeordnung bestimmten Beamten und Landes⸗Polizei⸗ behörden Bet riebsaufsichts Behörden nach folgenden Grund- sätzen errichtet werden:

Die Aufsicht erstreckt sich auf alle Betriebe im Gewerbe, ein⸗ schlleßlich der Heimarbeit, Handel, Verkehr, Bergbau, Land und Forstwirthschaft, Fischerel und Schiffahrt.

Sie wird einer Reichs⸗Zentralauffichtsbehörde übertragen, welche dieselbe nach Inspektionsbertrken zu organisieren hat.

In den Inspektionsbezirken wird die Betriebsaufsicht von Reichs beamien und Beigeordneten gemeinsam ausgeübt mit dem Recht, ihre Anordnungen zwangsweise durchzuführen.

Die Beigeordneten sind auf Grund eines allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts von den Hilfspersonen aller Be⸗ triebe zu wahlen. Weibliche Beamte und Beigeordnete sind ent⸗ sprechend der Zahl der in den Betrieben beschäftigten weiblichen Hilfs-⸗ personen anzustellen beziehungsweise zu wählen.

3) Der Reichstag wolle beschließen: die verbündeten Regierungen zu erfuchen, dem Reichstage bis zur nächsten Session einen Gesetz . entwurf vorzulegen, wodurch die regelmäßige tägliche Arbeitsieit für alle im Lohn,, Arbeits. und Dienstverhältniß im Gewerbe Industrle⸗, Handels. und Verkehrswesen beschäftigten Personen auf acht Stunden festgesetzt wird.

4) Entwurf eines Gesetzes wegen Aufhebung der dem Statthalter bon Elsaß⸗Lothringen übertragenen außer- ordentlichen Gewalten.

5) Entwurf eines Gesetzes, betreffend das Recht der Ver⸗

sammlung und Vereinigung und das Recht der Koalition. 6) Entwurf eines Gesetzeg, betreffend die Abänderung des

Strafgesetzbuchs für das Deutsche Reich.

§ 1. Die 90, 97, 99, 101 und 103 des Strafgesetzbuchs für das Deutsche Reich sind aufgehoben.

§ 2. Dleses Gesetz tritt am Tage seiner Verkündigung in Kraft.

ö Der Reichstag wolle beschließen: die verbündeten Regierungen zu erfuchen, dem Reichstage bis zur, nächsten Session einen Gesetz⸗ entwurf vorzulegen, wodurch sämmtliche landesgesetzlichen Sonder bestimmungen über die Rechtsverhältnisse der land und forstwirthschaftlichen Arbeiter und des Gesindes zu ihren Arbeitgebern beziehungsweise zu ihrer Yen her rschaft aufgehoben werden und an deren Stelle die Bestimmungen der Reichs⸗Gewerbeordnung treten.

8) Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Abänderung des Artikels 31 des Gesetzes, betreffend die Verfassung des i Reichs, vom 16. April 1871 (Bundes⸗Gesetzbl. 1871

9) Der Reichstag wolle beschließen: die verbündeten Regierungen zu erfüchen, dem Reichstage bis zur nächsten Session einen Gesetz . entwurf vorzulegen, durch welchen:

Y die Errichtung von Gewerbegexichten obligatorisch gemacht und deren Zuständigkeit auf die 3 von Streitigkeiten aus edehnt wird, die aus dem Lohn,. Arbeits, und i n, ,, aller m Gewerbe, ö in der Land, Forstwirthschaft und ene, an r, und Verkehr oder als Gesinde beschäftigten rsonen entstehen;

II. die Theilnahme an den Wahlen und die Berufung zu Mit- gliedern eines Gewerbegerichts auf die in den genannten Berufen be⸗ schaͤftigten weiblichen Personen ausgedehnt wird;

III. die Verleihung des Wahlrechts und der Wählbarkeit auf das vollendete jzwanzigste Lebensjahr herabgesetzt wird.

Offizielle Reg ierungsdrucksachen.

In Nr. 237 des „Börsenblattes für den deutschen Zuchhandel! findef sich ein Auffatz des Bibliothek Assistenten beim Reichsgericht Pr. jur. Maas über Offizielle Regierungsdrucksachen *, welcher mit Rücksicht auf den Gegenstand und die positiven Vor⸗ schläge des 3 . zu ihrer periodischen bibliographischen Auf - zeichnung und zur Srganisation ihrer Vertheilung an Amtastellen und . eken der Beachtung der interessierten Kreise nicht unwerth erscheint.

Maas geht davon aug, daß das wichtige Literaturgebiet der offiziellen Regierungsdrucksachen in ale en fh Beziehung be⸗ n, . sehr vernachlässigt sei, und daß man es trotz des Auf schwungs der sozialwissenschaftlichen Studien und trotz der stãrker werdenden Reigung der Regierungen, die Erfahrungen anderer Stagten zu beobachten, bie ber unterlassen habe, sie allgemein nagen glich machen. Der Grund dafür liege theilweise in der naturgemaß beschränkten Oeffentlichkeit der Amtsbibliotheken, an welche gerade offizielle Druck werke am Häusigsten gelangten, hauptsächlich aber an dem Mangel genügender bibllograpbischer Veröffentlichungsmittel üher diese meist nicht' in den buchbändlerischen Bibliographien verzeichneten Werke. Die großen Landes und Untversitäts⸗ Bibliotheken erführen über diese sir Wsssenschaft und Praxis gag bedeutenden Veröffentlichungen elten mehr, als was die Ressorts der eigenen oder der fremden

egierungen ihnen zuzusenden für gut befänden. Es liege aber sowohl