1897 / 294 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 14 Dec 1897 18:00:01 GMT) scan diff

ausreichend gehalten worden. Bei der persönlichen Uater⸗ stũtzung von Nothleidender. in solchen Fällen unvorsichtig vorzugehen, ist außerordentlich gefährlich; denn das begünstigt unter Umständen eine vollkommen ungerechtfertigte Begebrlichkeit. Ferner aber sind die sach lichen Schäden im einzelnen abgeschätzt worden, und auf dieser Grundlage, obne welche sich nichts machen ließ, wird dem im nãchsten Monat zusammentretenden preußischen Landtage eine Vorlage zugeben, betreffend Regelung der zu gewährenden staatlichen Beihilfen.

Die Rede des Herrn Bebel hat sich weiter auf Grund des Leitmotivs entwickelt: die Arbeiter finden keine genügende Beräück⸗ sichtigung im Reich und in den Einzelstaaten. Das sagt Herr Bebel in der Volksvertretung eines Reichs, welches für die Verbesserung der Lage der arbeitenden Klassen durch die soziale Gesetz⸗ gebung in einer Weise gesorgt hat, wie noch kein Staat der Welt. (Sehr gut! rechts und links. Zuruf bei den Sozialdemokraten.) Es ist noch keinem Staat der Welt gelungen, uns das nachzumachen, was wir für die arbeitenden Klassen gethan haben. (Lebhafter Bei⸗ fall. Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Ich halte es nicht für sehr geschmackvoll, Jemanden, dem man nicht aus Edelmuth, sondern einer staatlichen Pflicht folgend, Gutes gethan hat, fortgesetzt auf diese Wehlthaten binzuweisen; und ich würde es nicht gethan baben, wenn nicht Herr Bebel seine provozierenden Aenßerungen gethan hätte. (Sehr gut! rechte.) Aber ich gestatte mir doch, daran zu erinnern, daß die Arbeitgeber seit Bestehen der sozialen Gesetzgebung für deren Zwede fast eine Milliarde und das Reich über 100 Millionen auf⸗ gebracht haben, und daß für diesen Zweck gegenwärtig täglich rund 1 Million ausgegeben lsehr gut! rechts), also zum Besten der Arbeiter in Deutschland verwendet wird. (Hört, hört!)

Es handelt sich aber nicht nur um die Leistungen in Geld. Deutschland ist seit 25 Jahren ein wesentlich reicheres Land ge⸗ worden; je mehr unser Reichthum steigt, desto mehr haben, meines Erachtens, die besitzenden Klassen die Verpflichtung, von ihrem Neberschuß abzugeben an die besitzlosen Klassen, deren Hände Arbeit wir unzweifelhaft unsere industrielle Entwickelung mit ver⸗ danken. Die besitzenden Klassen haben aber noch mehr gethan; sie haben sich nicht beschwert, so oft ich auch mit Arbeitgebern gesprechen habe (Ach! bei den Sozialdemokraten), nein, meine Herren! über die materiellen Opfer, die sie zu bringen haben auf Grund der sozialpolitischen Gesetze. Viel drückender sind die persönlichen Arbeitsleistungen, die ganzen öffentlich rechtlichen Pflichten, welche die besitzenden Klassen im Interesse der Durch⸗ führung dieser Gesetzgebung zu leisten haben. (Sehr richtig! bei den Nationalliberalen) Ferner: Haben richt auch die Einzelstaaten in Deutschland ganz Erhebliches zum Besten der ärmeren Klassen geleistet? Hat nicht eine ganze Reihe von Einzelstaaten die arbeiten⸗ den Klassen befreit von den direkten Steuern? Ist das ebenfalls nichts?

Herr Bebel ist dann auf die Kemmission für Arbeiterstatiftik zu sprechen gekommen und hat zunächst gesagt, sie würde immer nur zu⸗ sammenberufen kurz, ehe der Reichstag zusammentritt, um ihr ss wenigstens noch ein Scheinleben zu sichern. Diese Behaupturg ist vollkommen unrichtig, denn die Kommission hat im Jahre 1894 dreimal getagt, einmal 6, einmal 4 und einmal 11 Tage; im Jahre 1895 allerdings nur 2 Tage, aber aus dem sehr nahe⸗ liegenden Grunde der schweren Erkrankung ihres damaligen Vor- sitzendden. Sie hat im Jahre 1896 viermal, im Ganzen 12 Tage getagt, und im Jahre 1897 dreimal, im Ganzen 6 Tage. Ueberdem ruhen auch die Arbeiten der arbeitsstatistischen Kommission nickt. Wir haben jetzt die Verhältnisse der Müller festgestellt, wir werden weiter feststellen die Arbeits verhältnisse der Angestellten der Gastwirth⸗ schaften und der Binnenschiffahrt. Wir haben ferner, ehe die Anregung von dem hohen Reichstage ausgegangen ist, bei den ver⸗ bündeten Regierungen eine Enquete eingeleitet, betreffend die gewerbliche Beschäftigung schulpflichtiger Kinder. Auch mit dieser Frage wird sich demnächst die arbeitsstatistische Kommission zu beschäftigen haben. Daraus folgt selbstverständlich nicht, daß wir jeder Begutachtung dieser Kommission auch einen gesetzlichen Ausdruck geben. Wir müssen dech auf Grund der Enqusten, die dort ver⸗ anstaltet sind, erst die Ueberzeugung gewonnen haben, daß wirklich dringende Mißstände herrschen, die ein Eingreifen der Staats⸗ regierung nothwendig machen. (Sehr richtig! rechts) Meine Herren, ich meine überbarpt, sozialpolitische Maßregeln auf diesem Gebiete haben ihre Grenze; wir können nicht alle Erwerbszweige polizeilich reglementieren (sehr richtig), wir können nicht in den Gang jedes Betriebes mit staatlicher Hand eingreifen. (Sehr richtig) Schließ⸗ lich fällt in der That ein Zuvielregieren in dieser Be ziehung geradezu dem deutschen Volke auf die Nerven. (Sehr gat) Und was haben wir davon? Es ist ganz unmöglich, alle diese Kontrolinftanzen, die nöthig sind, um zu er⸗ zwingen, daß die Arbeiterschutzvorschriften auch wirklich ausgeführt werden, zu schaffen. Was ist die Konsequenz daven? Wenn wir den Bogen zu straff srannen, dann tritt eine Kolluston zwischen Arbeit- nehmer und Arbeitgeber ein, und wir erfahren nur in ganz unendlich wenigen Fällen etwas davon, ob die bestehenden Vorschriften gehalten oder überschritten werden. Man sollte keine Gesetze und keine staat⸗ lichen Verordnungen erlassen, bei denen man nicht kontrolieren kann, daß sie auch wirklich durchgeführt werden. (Sehr richtig) Man sollte aber die staatlichen Anordnungen, die einmal erlassen sind, auch energisch durchführen und dafür sorgen, daß ausreichende Kontrol⸗ organe vorhanden sind, um die Durchführung zu beaufsictigen. (Sehr richtig! rechts) Deshalb hätte ich auch gewünscht, daß in den ein⸗ zelnen Staaten noch in giößerem Umfange wie bisher staatliche Ge⸗ werbe Inspektoren angeftellt würden.

Meine Herren, es sind uns schwere Vorwürfe gemacht werden, daß wir die sezialvolitischen Gesetze in dieser Selsion nicht wieder vorgelegt haben. Wir haben aber noch in der vorigen Session von dem Herrn Abg. Rickert den Schmerzensschrei gehört: Verschonen

Sie uns doch einmal mit dieser Fluth der Gesetzgebung, Arbeitgebern,

geben Sie uns doch einmal Schonzeit! Ich glaube wirklich, daß durch einen zu schnellen Gang der Gesetzgebung die materiellen Interessen der Bevölkerung nicht gefördert werden (Sehr richtig), aber die Verwaltung auf das Allerschwerste leidet. (Sehr richtig Wenn das ganze Jahr die maßgebenden Instanzen nur mit dem Entwurf neuer Gesetze beschäftigt sind, finden sie garnicht mehr die Zeit zu einer intensiven gründlichen Verwaltung, und ich meine: dieses Uebermaß von Gesetzgebung ist wesentlich daran schuld, daß außerhalb des Hauses und vielleicht auch innerhalb desselben das Interesse an den parlamentarischen Verhandlungen anfängt nach⸗

zulassen (sehr wahr), und die Beröllerung selbst kann diesen Massen verwickelter umfangreicher Gesetze garnicht mehr folgen. (Sehr richtig) Gehen Sie ju schnell in der Gesetzgebung vor, was ist die Konsequenz? Wir baben ein Gesetz mehr im Reichs Gesetzblatt stehen, aber im übrigen ist manchmal über dem ganzen Gesetz die Ruhe eines Kirchbofes. ((Sehr richtig!)

Der Herr Abg. Bebel hat ferner gesagt, man kätte zwar die Konfektionsordnung erlassen, aber was wäre dabei herausgekemmen? Wir hätten die Fabrikarbeiter einfach kineingetrieben in die Haus⸗ industrie. Wenn das wahr wäre, was folgte daraus? Dann folgte daraus, daß man eben eine solche Verordnung nicht durchführen kann und daß man sehr vorsichtig sein sollte, solche Verordnungen mu erlassen. Ich kann indeß den Vorwurf des Herrn Abg. Bebel nicht als berechtigt anerkennen. Die Konfektionsordnung hat im all- gemeinen Nutzen gehabt, aber vom Standpunkte des Herrn Abg. Bebel aus müßte man sagen: Solche Verordnungen darf man nicht erlassen. Denn so weit können wir doch unmöglich gehen, wie in der vorigen Sitzung einer der Redner gegangen ist bei Be⸗ rathung der Konfektionsnovelle, wo er vorschlug, man solle auch die Hauewirthe darauf verpflichten, zu kontrolieren, daß kein Mißbrauch mit der Hausarbeit getrieben werde. Ja, dann haben wir wirklich den Gefängnißstaat fertig gebracht, wenn gar noch die Hauswirthe kontrolieren sollen, was in den einzelnen Familien geschiebt. (Sehr richtig!)

Herr Abg. Bebel hat ferner darauf hingewiesen, die Be⸗ schwerden gegen die Bäckereiverordnung wären deshalb vollkommen unbegrürdet, weil man ja aus der Berufsstatistik ersähe, daß die Bäcker und Fleischer in ihrer Zahl garnicht zurückgegangen seien. Der Herr Abg. Bebel bat da einen kleinen zeitlichen Irrthum begangen. Wie die Berufestatistik aufgenommen wurde, war näm⸗ lich die Bäckereiverordnung noch garnicht ergangen, folglich konnte die Bäckereiverordnung auf die Entwickelung des Bäckergewerbes bis dahin noch gar keinen Einfluß üben, und aus der Berufs—⸗ statiftik konnte ein solcher Einfluß nicht hervorgehen. Aber außerdem wird das Bäckergewerbe und Fleischergewerbe vom Groß⸗ betriebe deshalb nie in dem Maße wie andere Gewerbe aufgesogen werden, weil diese beiden Gewerbe gejwungen sind, für den lokalen Bedarf zu arbeiten und weil dadurch die Konzentration in Groß—= gewerbe ihre natürlichen Grenzen findet. Ich meine überhaupt, wir sollten uns beschränken, hier im Reichstage nicht fortgesetzt neue sozialpolitische Gesetze zu planen, sondern zunächst einmal die vorhandenen Gesttze wester ausbauen und in ihrem Wirkungs- kreise ausdehnen. Wenn wir auch nur die sozialpolitischen Gesitze, dle bestehen, weiter ausbauen wollen, so kann ich Ihnen versichern, ist das schon eine Riesenarbeit. Ich will nur einmal einen ganz kurzen Gesichtepunkt andeuten: man hat, meines Erachtens und, meine Herren, ich kenne die Sache nicht nur aus der Gesetz⸗ gebung selbst, sondern auch aus der Praxis, weil ich acht Jahre lang und länger diese Gesetze organisiert und gehandhabt habe man hat meines Erachtens bei dem Gesetze über die Alters. und Invalititäte⸗ versicherung den Fehler begangen, eine solch uageheure Organisation zu schaffen ohne einen selbständigen lokalen Unterbau, man hat vielmehr die ganzen lokalen Geschäfte den vorhandenen staatlichen Behörden übertragen, und für diese war das zu viel und eine höchst lästige Aufgabe. Ich würde es deshalb für sehr wünschenswerth halten, namentlich die Gesetzgebung über die Alters- und Invaliditäts⸗

versicherung derart auszubauen, daß man den großen Versicherunge⸗ anstalten eigene Lokalinstanzen gebe, welche sowohl mit den Arbeit⸗ gebern wie mit den Arbeitnehmern in fortgesetztem Verkehr steben und dadurch dazu beitragen würden, die Schwierigkeiten der Ausfüh⸗ rung des Gesetzes zu mildern, und das Gesetz mehr ins praktische

Leben, wie es bisber noch der Fall ist, überzuführen. Aber man darf sich dabei nicht verheblen, daß das eine Organisation wäre, die nicht unwesentliche neue Mittel erfordern würde.

Meine Herren, der Abg. Bebel ist dann auch auf das bestehende Koalitionsverbot für Vereinigungen von Arbeitern zu sprechen ge⸗ kommen. Ich glaube, wenn es in irgend einem Lande weniger nöthig ist, solche Arbeiterkoalitionen zuzulassen, so ist das in Deutschland. In einem Land, wo das direkte allzeweine Wablrecht besteht, werden schon durch die Schwerkraft der Thatsache, daß die Arbeiter die große Masse der Wähler bilden, die Interessen der Arbeiter immer eine lebhafte und wirksame Unterstützung finden. Infolge dessen ist eine Vertretung der Arbeiter, wie sie in Arbeiterkoalitionen liegt, bei uns nicht annäbernd so nothwendig wie in anderen Staaten nit anderem Wahlmodus. (Bewegung bei den Sozialdemokraten.) Aber daß die verbündeten Regierungen diesen Wünschen äußerst skeptisch gegenüber stehen und sich schwer dazu verstehen können, das können Sie ihnen doch eigentlich nicht verdenken, so lange die Sozialdemokratie noch mit solchen politischen und wirthschaftlichen P antas men wie gegen⸗ wärtig verknüpft ist. (Sehr richtig! rechts) Ich nehme an, meine Herren, Sie werden von diesen Phantasmen zurückkommen, und ich behaupte, ein Theil von Ihnen ist innerlich schon davon zurück= gekommen. (Sehr wahr! rechts) Der Herr Abg. Bebel hat auf dem Hamburger Parteitage der Sozialdemokraten ein Wort gesprochen, dem ich vollkommen beitrete: Ohne Profit raucht kein Schorn⸗ stein! (Heiterkeit, und er hat hinzugesetzt: Alle unsere Unter nehmungen mit Ausnabme des Hamburger Unternehmens sind gescheitert. Das kann ja auch nicht anders sein; auch in Frankreich sind alle die kollektivistischen Unternehmungen seit den Staats. Arbeitestãtten von Louis Blanc bis zu der Glasfabrik in Albi gescheitert. Das Lebens prinzip alles Fortschritis ist der menschliche Egoismus, der sich durch Arbeit und Intelligenz eine bessere Situation schaffen will alz die der Nebenmenschen, und wenn Sie dem Menschen diesen seinen Lebenstrieb nehmen, dann stockt auch der menschliche Foꝛrtschritt. (Sehr wahr!) Und daß wir gegenwärtig den Aibeiter⸗ koalitionen skextisch gegenäberstehen, dazu trãgt auch die Entwickelung der Verhältnisse in England bei. Wohin sind denn die englischen Striker schen gekommen? Daß sie sogar verlangt haben von den sie sollten in ihren Fabriken keine neuen, Arbeiter sparenden Maschinen anschaffen! Daß wir also unter den gegenwärtigen politischen Verhältnissen solche Arbeiterkoalitionen nicht schaffen, die zum großen Theil nichts sein würden als Strikevereine, das -könten Sie uns nicht verdenken.

Der Herr Abg. Bebel ist vorgestern auch auf den Fall Halle zu sprechen gekommen. Als ich die Anklagen, die gegen mich auf Grund dieser Hälle'schen Schriften in den Zeitungen erschienen, las, war ich mir zuerst zweifelhaft, ob das wirklich Ernst wäcte. Kein Mensch in ganz Deutschland hai geglaubt, daß ich in den ersten 14 Tagen,

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wo ich mein großes neues Ressort übernommen hatte, in der dag gewesen wãre, die Hũlle schen Schriften selbst ju lesen; bei dem Maße der Geschãfte, welches man täglich zu bewältigen hat, muß man sich in dieser Beziehung selbstverstãndlich auf seine Organe verlassen. G ist auch nicht angeordnet worden, daß diese Schriften angeschaft werden, sondern sie sind nur empfohlen worden, und wenn man aus

eine Schrift empfiehlt, so ist man selbstverständlich ganz außer stande, für jeden Paffus derselben die Verantwortlichkeit zu übernehmen; man hält sich an die allgemeinen Grundlagen. Nachdem ich eine Anzahl von Zitaten aus den Hülle'schen Schriften in den Zeitungen gelesen habe, habe ich mir allerdings gesagt, daß einzelne Behauptungen darin sind, die ich für thatsächlich unrichtig halte, wie z. B. die Be hauptung, die Sozialdemokratie habe den Wucher begũnstigt. Das i eine Behauptung, die absolut nicht aufrecht zu halten ist. Wenn ich eine Schrift zur Anschaffung für die Bibliotheken von Krankenhäusern empfehle, so ist es den Vorstehern noch vollkommen überlassen, talt⸗ volle Auswahl zu treffen. Ich nehme z. B. nicht an, daß der Vorstand eines Krankenhauses die Unvorsichtigkeit begehen wird, diese vor⸗ wiegend proteslantischen Schriften katholischen Arbeitern zu geben. Ich würde es nicht für taktvoll halten. Aber, meine Herren, dabei muß ich doch steben bleiben, die Schriften stehen in ihrer Ge⸗ sammtheit auf sittlichem, christlichem und monarchischem Boden (Heiterkeit links), und die Angriffe, die aus der Empfehlung dieser Schriften gegen mich gerichtet sind, verwechseln die Masse der

Arbeiter mit der Sozialdemckratie. (Sehr richtig! rechts) Gott sei Dank, giebt es noch eine ganze Anzahl von Arbeitern, die nicht

Sozialdemokraten sind (sehr richtig! rechts), sondern treue Anhänger der Monarchie, und die die Absicht haben, im Schatten der Kirche zu sterben. (Heiterkeit. Braxo! rechts) Im übrigen kann ich mich nicht entsinnen, daß ich jemals die Ehre gehabt habe, die Bekannt⸗ schaft des Herrn Prediger Hülle zu machen; aber nach dem Aufgebot von Kraft, was ibm gegenüber in der Presse aufgewandt ist, muß ich annehmen, daß das doch ein sehr bedeutender Mann und ein seht gefährlicher Gegner für die Sozialdemokratie ist. (Heiterkeit links)

Der Abg. Bebel ist dann ferner auf das Vieheinfuhrverbot z srrechen gekommen. Er hat behauptet, die kleinen Landwirthe litten am allermeisten durch das Schweine⸗Einfuhrverbot. Ich bestreite dat auf das allerentschiedenste. (Sehr richtig! rechts) Das Schwein ist gerade das Thier, von dem der kleine Landwirth sich nährt, und aut seinem Verkauf bejahlt er seine Steuern und Lasten. (Sehr richtig! rechte.) Es ist das Hauethier des kleinen Mannes, und wenn die Schweine⸗ preise steigen, kommt das in erster Linie dem kleinen Manne zu gute. Wenn ferner hier die großen Milchproduzenten in der Nähe großer Städte die Aufhebung des Vieheinfubrverbots beantragt haben, so beweist das ja gar nichts gegenüber den Interessen der gesammten deutschen Landwirthschaft. (Sehr richtig! rechts) Wir werden gar nicht daran denken, dieses Ginfuhrderbot abzuschwächen, so lange noch die Gefahr vorliegt, daß dabei neue Viebkrankheiten in Deutschland eingeführt werden und alle die Mähen vergebens sind, die wir für die Hebung der deutschen Viehzucht angewandt haben. (Lebbaftez Braro! rechts)

Der Hert Abg. Bebel hat dann schließlich einen Ausspruch gethan, der mich außerordentlich überrascht hat. Er hat behauptet, die schwierigen Zustände der mittleren Klassen beruhten auf dem Kapital, und er fuhr fort mit dem Wunsche: wenn man doch für den Mittel— stand wenigstens die Zuftände des Mittelalters hätte oder diejenigen vor 50 Jahren. Ja, das habe ich nicht geglaubt, daß uns Hen Bebel die Zustände des Mittelalters, die Zustände des Zunftzwanget, der Zwangs und Bannrechte, der Hörigkeit, der Frobnden als sein Ideal auffübren würde. (Widerspruch und Heiterkeit links) Sie haben auf das Mittelalter exemplifiziert, und ich habe auch nicht geglaubt, daß Sie auf einen Zeitpunkt zurückgreifen würden, der in der absolutistischen Zeit liegt. (Sehr gut! rechts) Die Zustände, unter denen gegenwärtig der Mittelstand leidet, sind nicht die Wirkungen des Kapitals, jondern die Ursachen liegen in der un— geheuren Entwickelung der mit elementarer Kraft arbeiter den Maschinen. (Sehr richtig! in der Mitte) Was früher der einzelne Handwerker in allen Stadien der Fabrikation selbst machte, das wird heute an hundert verschiedenen Stellen im Wege der

Arbeitstbeilung eines großen Fabrikbetriebs gemacht, und aus diesen

hundert einzelnen Manipulationen, häufig sogar verschiedener Fabriken, die ineinander arbeiten, entsteht erst das fertige Fabrilat, und dadurch wird allerdings eine so billige Produktion auf einzelnen Gebieten möglich, daß der Handwerker nicht mehr damit konkurrieren kann. Wenn der Herr Abg. Bebel hierin die Ursache der gegenwärtigen schwierigen Lage des Mittelstandes sieht, zu deren Heilung man im übrigen thut, was in unseren Kräften steht, dann müßte er nach seiner Auffassung auch zu der Forderung der englischen Striker kommen, er müßte verlangen, daß auch Arbeit sparende Maschinen nicht mehr eingeführt werden.

Zum Schlusse resumiere ich mich gegenüber der Behauptung des Herrn Abg. Bebel, im Deutschen Reiche würden die Arbeiter nicht genug berücksichtigt. Ich kann den Herren Sozialdemokraten versichern, wir werden fortgesetzt in Anerkennung der sitt lichen Aufgabe des Staats uns ernst lich bem üben, das Wohl der arbeitenden Klassen weiter zu fördern, namentlich soweit es sich um berechtigte For— derungen für die sittliche und körperliche Gesund— heit der Arbeiter handelt. Meine Herren, wir werden uns aber weder durch die Agitationen der Soꝛialdem oktatie noch durch die Lehrmeinungen ihrer bewußten oder unbewußten Mit. läufer in mißbräuchlicher AusLdebnung des Staatsbegrifft dazu bewegen lassen, alle Erwerbs. weige polizeilich zu reglementieren, um schließlich einen sozialistischen Polizeistaat herbeiführen, in dem sich die Arbeiter nicht wobler befiaden dürften als bisher, in dem aber die besttzenden Klasfen sich zu bewußten Gegnern des Staats herausbilden würden. (Lebhaftes Bravo! rechts.)

Königlich Sächsischer Minifter Dr. Graf von Dohenthgl! und Bergen: Meine Herren, auch ich sebe mich veranlaßt, auf einige Angriffe zu antworten, die der Herr Abg. Bebel in der letzten Sitzung gegen die Königlich sächsische Regierung gerichtet hat. Ich kann zwar in voller Uckereinstimmung mit dem Herrn Vorredner, da s sich bier 1m Gegenftände handelt, bezüglich deren das Reich die Gesetgebung nicht orer noch nicht in die Sand genommen hat. elne Verpflichtung zu eine Antwort einerfeits nicht anerkennen. Wenn ich mich aber gleichwohl au die Aeußerungen des Herrn Bebel einlasse, so geschiebt dies lediglich au Achtung vor diesem hohen Sause und obne eine Anerkenntniß mein reit, daz ich auch in fänttigen Fällen geneigt sein werde, auf alt Angriffe aus diesem hohen Hause zu antworten, die sich geg meine Regierung richten, und die sich auf Gegenstände benehen, die

der Herr . der Königlich s atastropben, die über uns kereingebrochen sind, richt zeitig genug und nicht mit genũgender Gaergie Hilfe geleistet worden sei. Er hat aus- aefuübrt, es seien ia sen Zebntausende von Familien an den Bettelstab gebracht worden, obne daß der Staat so eingetreten lei, nie man es von ihm erwarten sollte. Man habe fährt der Herr Abm. Bebel fort die Sommermonate vergeben lassen, Jetzt endlich srete man an den Landtag mit der Forderung von einigen lumpigen Millionen beran; bis zum Frühling würden sich die Verbandlungen binfieben, und die Ausfaat würde dadurch in Frage gestellt, eine neue Gente würde verhindert. Diese Schilderung entspricht durch · aus nicht den Thatsachen. Die Hochfluth bat sich in den letzten Tagen des Juli und den ersten Tagen des August eingeste llt. Noch im Laufe des Monats August ist mit Alerböchster Bewilligung aus bereiten Mitteln des Staates eine Million zur Unterftützung zur Verfügung gestellt worden. Im Laufe des Septembers sind ju Iwecken, auf deren Details ich bier nicht einzugehen rauche, sehr erbebliche weitere Mittel angewiesen worden, und im Sttober ist eine jweite Million zur Ausjahlung gelangt. Alle riese Vorgänge sind in der Deffentlichkeit und auch den sächsischen Kammern längst bekannt; denn die Regierung hat den Kammern, die anfangs November zusammengetreten sind, unverweilt eine Vorlage gemacht, zum Zweck der Anforderung von sehr erheblichen Mitteln zur Unterstützung derjenigen Personen, die durch die Wasserfluth ge⸗ schädigt worden sind. Diese Vorlage ist von der Zweiten Kammer berestz genehmigt worden, und zwar, wenn ich recht unterrichtet bin, schon am vorigen Freilag. Die Genehmigung durch die Erste Kammer wird voraus sichtlich in den nächsten Tagen erfolgen, und es steht sodann der Auszahlung der fraglichen Mittel nichts mehr im Wege. Sie werden hieraus entnehmen, meine Herren, daß die Beharptung des Herrn Abg. Bebel, als ob sogar die nächstjäbrige Aussaat ge⸗ faährdet sei, vollftändig übertrieben ist. Ich darf vielleicht die sich mir darbietende Gelegenheit benutzen, meine Herren, um auch von dieser Stelle aus zu betonen, daß, so traurig die Wasserkatastrophe gewesen ist, die über mein engeres Heimathland hereingebrochen war, so großartig sich die werkthätige Hilfe gejeigt hat, die uns aus allen Theilen des Deatschen Reichs zu theil geworden ist. Mit be— sonderer Dankearkeit und Anerkennung, meine Herren, gedenke ich der planvollen und jielbewußten Hilfsaktion, die von dieser Stadt ausgegangen ist und die in großartiger und glänzender Weise von den stãdtischen Vertretungen Berlinz gefördert worden ist. (Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Herr Abg. Singer, Sie wollen bieraus entnehmen, daß ich das Gute, das von der Sozialdemokratie kommt, dankbar anerkenne, wenn es auch nech so selten kommt. Meine Herren, wende ich mich nun wieder zu dem Herrn Abg. Bebel, so kann ich ihm den Vorwurf nicht ersparen, daß er auch be⸗ zäglich der Ginbringung der lächsischen Vereinsgesetznoelle Angriffe gegen die Königlich sächsische Regierung gerichtet hat, die in keiner Weise begründet sind. Selbst der Vorwärts“ und das ist wohl ein einwandfreier Zeuge im Sinne des Herrn Abg. Bebel hat anerkannt, daß die Königlich sächsische Regierung einen Gesetz⸗ entwurf vorgelegt hat, der kurz und bündig denjenigen Wänschen Rechnung trage, die ier im Reichstage geäußert, wor⸗ den sind. Zu diesem Gesetzentwurf sind von Parteien der Zweiten sächsischen Kammer Anträge angekündigt oder eingebracht worden, die lediglich dasjenige bestätigen, was der Herr Reichskanzler schon in der vorigen Sitzung ausgeführt hat. Die Regierung bat zu diesen Anträgen noch keinerlei Stellung genommen, sie wird sich selbst⸗ verftändlich bemühen, ibrer Vorlage zur Annahme zu verhelfen; sollte ür dies nicht gelingen, so wird sie dies lebhaft bedauern, sie wird es aber nicht ändern können. Die Versicherung kann ich aber dem Herrn Abg. Bebel schon heute geben, alle seine Reden, alle seine Anträge und Intewellationen und alle seine Broschüren, und mögen sie noch so schãtzbar sein, so schãtzbar wie die schöne rosenrothe, deren er sich neulich hier gerühmt hat, werden die Königlich sächsische Regierung nicht davon abhalten, den bestehenden Gesetzen Geltung zu verschaffen.

Abg. Dr. von Dziembowski⸗Pomian (Pole) erklärt, er wolle nicht über den Etat sprechen, sondern hauptsächlich über die politischen Zustände seiner Heimath. Allerdings handele es sich dabei um die Verbältnisse eines Einzelstaats, aber wenn in einem Einzelstaat die Bevölkerungsklassen gegeneinander aufgereizt würden, so könne das dem Reiche micht gleichzültig sein. Redner gebt ferner auf die Thätigleit der Anstedelungs Kommission ein und auf die Handhabung des Rentengutsgesetzes, die dahin gehe, die Ansiedelung polnischer Landwirthe zu verhindern.

Präsident Freiberr von Buol bittet den Rerner, sich nicht zu sehr in die preußischen Angelegenheiten zu vertiefen.

Abg. Dr. von Dziembowski fährt fort: Durch die Aende⸗ tungen der Ortenamen, die täglich vorkommen, werden geradezu Ver⸗ kehrshemmnisse geschaffen. Der Ober, Landesgerichts ⸗Präsident von Marienwerder hat angeordnet, daß die Zuziebung eines Dolmetschers verboten sein soll bei denen, welche eine deutsche Schule besucht oder beim Milstär gedient haben; das ist eine ungesetzliche Einschränung des freien Ermessens der Richter. Redner weist auf das Vor- gehen des Vereins zur Förderung des Deutschthums in den Ost⸗ macken hin, der von den Behörden und Gerichten geschützt werde, auf das Verbot aller Festlichkeiten von Gewerbevereinen ꝛc., weil die⸗ selben den öffentlichen Frieden gefährden könnten, auf den Kampf gegen das polnische Lied, welches zu spielen namentlich den Militãr⸗ kapellen untersagt werde. Die H. R. T-Presse verlange die Ex⸗ propriation der Polen und ihre Germanisterung, die Verbannung aller Beamten, welche polnische Frauen haben ꝛc. Das Alles stebe in absolutem Widerspruch mit dem bestehenden Richte. Selbst die Liberalen in Posen hätten sich veranlaßt gesehen, gegen die den Rechtsboden verlassenden Maßnahmen zu protestieren. Die Affaire von Carnap habe ergeben, daß dieser Distrikts Kommissar die poinische Bevölkerung beleirigt babe; der Prozeß Grüttner hake sich zu einer Anklage gegen die vreußische Eisenbahnverwaltung gestaltet. Es bestehe eine antipolnische Korresponden;, in der die polnischen Preß⸗ stimmen für die Behörden übersetzt würden. Die Versetzung des Ober⸗ lebrers Frick, der sich der Abflimmung enthalten bätte, damit kein Konservativer gewählt würde, sei eine Wirkung des antipolnischen Vereins. Redner fordert zum Schluß, daß dieser Druck auf die Polen beseitigt werde. Die Polen blieben auf dem Boden des Rechts und Gesetzes stehen und würden davon nicht abweichen.

Minister für Handel und Gewerbe Brefeld:

Meine Herren! Ich möchte mir gestatten, die Aufmerksam keit des hohen Hauses noch einmal auf die vorgestrige Rede des Herrn Abg. Bebel zurückzulenken, und zwar auf denjenigen Theil, in welchem er die preußische Bergverwaltung zum Gegenstand besonders heftiger Angriffe gemacht hat. Ich thue das nach dem Vorgange des König lich säͤchsischen Herrn Bevollmächtigten zum Bundesrath unter dem gleichen Vorbehalt, daß ich es auch meinerseits nicht für berechtigt halte, die Verwaltungeangelegenheiten der einzelnen Staaten hier zum Gegenstand der Erörterung zu machen, ich glaube aber, meiner seits von dieser grundsätzlichen Behandlung in diesem Falle auch eine Ausnahme machen zu dürfen in Rücksicht auf die soznalpolitische Seite der Sache und deswegen, weil der Herr Abg. Bebel das Verhalten der preußischen Regierung unter den Gesichtspunkt einer Verletzung reichsgesetzlicher Vorschriften gebracht hat.

Der Vorgang, um den es sich handelt, ist folgender. Im De— zember des Jahres 1892 brach plötzlich und unerwartet im Saar revier ein Ausstand der Bergarbeiter aus. In einer Versammlung don Bergarbeitern wurde der Ausstand beschlossen. Mittels Radfahrer wurde der Beschluß in sämmtlichen Grubendistrikten verbreiter, und in wenigen Tagen hatten 24 000 Bergleute die Arbeit niedergelegt. Es ging dabei nicht ohne bedenkliche Störungen zu; es ist vorgekommen,

daß die Beamten beleidigt und beschimpft wurden, daß die anziehenden Bergarbeiter mißhandelt, zu Boden geworfen und mit Steinen ge⸗ worfen wurden; es ist mit Revolvern und mit Flinten scharf ge⸗ schossen worden, man hat sogar ein Pulverattentat verübt bei der Wohnung des Redakteurs einer dortigen Zeitung, man bat den Be⸗ amten die Fenster eingeworfen; kurz und gut, es sind Unordnungen aller Art vorgekommen.

Der Strike hat bekanntlich nur kurze Zeit gedauert. Die Stellung der Verwaltung war eine sehr em fache: bei der großen Zabl der Arbeiter war sie nicht in der Lage, die sämmtlichen Arbeiter abzulegen, obgleich sie dazu die volle Berechtigung batte; denn keiner dieser Arbeiter hatte den Vertrag gekündigt; die Niederlegung der Arbeit war allgemein ohne Kündigung des Vertrags, also unter Kontraktbruch, vor sich gegangen. Die Arbeiter hatten außerdem es unterlassen, die Forderungen, die sie stellten, vorher den Behörden mitzutheilen; erst nachher haben sie diese Forderungen aufgestellt, sodaß thatsãchlich dieser Ausstand in frivoler Weise und unter Kontraktbruch herbeigeführt ift. Die Verwaltung hat gleichwohl sich bereit gefunden, die Arbeiter wieder zur Arbeit zuzulafsen. Den größten Theil davon hat sie nachträglich auch wieder zugelassen und eine gewisse Zabl ausgeschieden, die nicht ohne weiteres wieder angenommen werden sollten, nämlich diejenigen, die sich ganz besenders bei dem Arbeitlerausstand bemerkbar gemacht hatten durch ihr agitatorisches Verhalten als Hetzer und Anstifter und dadurch, daß sie eine besondere Unbotmäßigkeit gegen die Beamten zeigten. Diese Zabl der Arbeiter wurde also ausgeschieden, aber nicht so, daß sie mit der Ablegung dauernd fern gehalten werden sollten, sondern es wurde vorbehalten, bezũglich jedes Einzelnen eine genaue Untersuchung seines Verhaltens bei dem Ausstand eintreten zu lassen. Diese hat nun bel allen, die sich ge⸗ meldet haben, stattgefunden, und das Ergebniß der Untersuchung ist gewesen, daß man den größten Theil dieser Arbeiter wieder an⸗ genommen bat; ausgeschlossen sind nur einige Hundert, und jwar gerade diejenigen, die sich bei den von mir bereitz hervorgehobenen Ruhestörungen besonders betheiligt hatten, diejenigen, die die Aller⸗ schlimmften waren und bezüglich deren die Verwaltung froh sein konnte, daß sie sie los war. (Sehr richtig! rechts.)

Nun, meine Herren, diese Anordnung ist ausgegangen von meinem Herrn Amtsvorgänger, den der Herr Abg. Bebel in seiner vorgestrigen Rede als klassischen Zeugen für seine Auslegung des Koalitionsrechts hingestellt hat, in diesem Punkt scheint also mein Herr Amte vorgänger jedenfalls anderer Ansicht als der Herr Abg. Bebel ju sein, und ich kann meinerseits sagen, daß ich die von ihm getroffenen Anordnungen in jeder Beziehung billige, und daß ich sie aufrecht erhalten werde. (Bravo! rechts.) Ich glaube aber, wenn ich Ihnen die Emwägunzen darlege, die mich zu dieser Auffassung führen, werden Sie mir Recht geben. Wie ich bereits hervorgehoben habe, fand der Arbeiterausstand statt unter Kontrakrbruch, ohne daß gekündigt wurde, er fand statt, ohne daß man vorher die Forderungen, um die es sich handelte, über haupt nur der Bebörde mitgetheilt hat. Wenn man nun die— jenigen, die unter solchen Umständen nicht bloß selbst die Arbeit niedergelegt, sondern zugleich ihre Arbeitsgenossen auf⸗ gehetzt, angestiftet und veranlaßt haben, daß diese Arbeiter in solchem Umfange an dem Ausstand sich betheiligt haben, jetzt wieder annehmen wollte, so würde man ja dasselbe noch einmal riskieren, was man kurz vorher zu seinem Schaden erlebt hat. (Sehr richtig! rechts) Einmal haben die Menschen es fertig gebracht, ihre Mit⸗ genossen, ihre Mitarbeiter zu verleiten zu einem solchen tollen Streich; sollen wir dulden, daß das noch einmal geschieht? Was hat ein solcher Strike zu bedeuten; überlegen Sie sich einmal, was die Folge sein wird, wenn wir einmal einen allgemeinen Strike der Gruben- arbeiter in unseren sämmtlichen Kohlen gruben haben würden. Dann bekommen wir keine Kohlen mehr, dann stehen die Maschinen, die Eisenbahnen still, es hört die Beleuchtung der Städte auf, die Heizung der Wohnungen und Krankenhäuser; kurz und gut, die ganze wirthschaftliche Ordnung wird desorganisiert. Das, meine Herren, dürfen wir nicht leiden; ich bin fest entschlossen, an diefer Anordnung, die mit gutem Grund beschlossen ift, fest⸗ zuhalten, diese 400 Leute werden richt wieder eingestellt. (Bravo! rechts] Nun muß ich aber bemerken, es bandelt sich bier nicht etwa um Leute, die nothleidend oder beschãftigungsles sind, sondern um solche, die seit vier Jahren längst wieder anderweit Arbeit angenommen, ihr Uaterlommen und ihre Beschäftigung gefunden haben; es sind Leute, die in allen möglichen Fabriken beschäftigt sind, bei den Privateisen⸗ bahnen, bei den Privatgruben, bei der Privatindustrie, in der Land- wirthschaft, kurz und gut, sie baben überall ihre Unterkunft gefunden und stehen jetzt nach vier Jahren der Staats Bergverwaltung genau so gegenüber, wie alle übrigen Arbeiter, die überhaupt nicht in ihrem Dienst gestanden babeaga. Solcke Arbeiter anzunehmen, würden wir uns wohl buten, wenn wir wissen, daß sie minderwerthig sind. Diese Arbeiter sind aber ganz zweifellos und erst recht minder⸗ werthig, sie haben es durch ihr Verhalten dokumentiert, solche Leute stellen wir nicht wieder an, das kõnnen wir nicht verantworten! Bravo! rechts.) Ich bleibe also bei der Verordnung, die nicht ich, sondern mein Herr Amtsvorgänger getroffen Fat, die ich aber nach allen Richtungen hin billige.

Nun möchte ich mir gestatten, noch auf einen anderen Theil der Rede des Herrn Abg. Bebel zurückzukommen. Der Herr Abgeordnete hat nämlich Bejug genommen auf die hohen Unfallziffern der preußischen Bergwerksverwaltung oder der Bergwerke ũber⸗ baupt. Ich würde keinen Anlaß haben, auf diesen Punkt näher einzugehen, wenn ich nicht zu gleicher Zeit mich erinnerte, daß im vorigen Jahre bei der jweiten Lesung des Etats aus eben dieser hohen Unfallüiffer gegen die preußische Berg⸗ verwaltung von den Parteigenofsen des Abg. Bebel sehr schwere Vor⸗ würfe hergeleitet wurden, unter denen der Vorwurf der absoluten Impotenz und Inferiorität der staatlichen Aufsicht über die preußischen Bergwerke erhoben wurde. Damals war kein Vertreter der preu⸗ sischen Regierung hier im Reichstage zugegen; es war daher niemand in der Lage, diese Vorwürfe eingebend entkräften ju können. Ich glaube aber jetzt, das hohe Haus bitten zu dũrfen, mir zu gestatten, mil einigen Worten darauf einzugehen, und jwar deswegen, weil ja gerade die Unfalljiffern der preußischen Bergwerke thatsachlich, wie nicht weggeleugnet werden kann, sebr hohe sind, sehr viel höher als in Frankreich, Belgien und England siad. Sie sind doppelt so groß als in Frankreich, um die Hälfte größer als in Eng⸗ land und Belgien. Es gilt dies indeß nicht für die Gesammt⸗ heit der preußischen Bergverwaltung, sondern ausschließlich für

Innern

die Steinlohlenbergwerke. Und das, meine Herren, bat seine gan besenderen Grũnde. Diese möchte ich Ibnen gern in Kürze darlegen, damit die aus diesen hohen Unfallyiffern bergeleiteten Besorgnisse zerstteut werden in den Kreisen der Arbeiter wie auch derjenigen, denen das Wohl der Arbeiter am Herzen liegt. Man nimmt gewöhnlich aa, daß die hohen Unfallziffern der Berg⸗ verwaltung sich vorzugsweise erklãren aus den Schlagwettererplosionen. Das ist nicht ganz richtig. Auf die Schlagwettererplosionen entfallen in der Gesammtheit aller tödtlichen Unfälle in den letzten 5 Jahren nur 11 960. Die Hauptsumme entfällt dagegen auf Unfälle, die durch Stein⸗ und Kohlenfall herbeigefübrt werden, also dadurch, daß bei den Bergbaubetrieben plötzlich hereinbrechende Stein · und Kohlenmassen den Arbeitern auf den Kopf fallen und sie verletzen, nämlich 370,0. Das erklärt sich nun aus der Eigenart der Lagerung der preußischen Kohlenflõ ze. Die preußischen Kohlenflõtze sind gegenüber den englischen theils steiler gelagert, theils haben sie im Hangenden ein harteres Geftein. Die Folge davon ist, daß die Hereingewinnung der Kohlen in den vreußischen Bergwerken außerordentlich viel gefährlicher ist als in den englischen. Es strirzen leichter ganze Kohlen- oder Gesteinmassen auf die Arbeiter herab, wenn bei der Lösung derselben nicht mit der äußersten Vorsicht verfahren wird. Auch gegenüber den belgischen Kohlenbergwerken liegt die Sache so, daß thatsächlich die Gewinnung der Kohle bei uns sehr viel gefährlicher ist. Die belgischen Kohlenflötze haben eine viel geringere Mächtigkeit und die Kohle ist leichter ju lösen; infolge deffen ist das Hereingewinnen der Kohle sehr viel ungefährlicher. Es kann das ausgekoblte Bergwerk leichter durch Bergeversatz ausgefüllt und so gedeckt werden, daß ein Zusammenbruch nicht so leicht stattfiaden kann. Bei der geringen Mächtigkeit der Flötze fallen die Kohlen aus geringerer Höhe, und infolge dessen sind die Wirkungen weniger nach- theilig, weniger tödtlich.

Es kommt auch noch ein anderes Moment hinzu. Der preußische Bergbau hat einen außerordentlichen, schnellen, rapiden Aufschwung genommen. Wir haben eine Vermehrung der Belegschaften in dem Zeitraum von 15 Jahren, die sich in Belgien auf 170 stellt, in England auf 40, in Preußen auf 67 0/9. Nun liegt es in der Natur der Dinge, daß die neu angenommenen Arbeiter weniger gut und weniger erfahren sind, und infolge dessen die größten Unvorsichtigkeiten und Fehler beim Anhauen der Kohlen begehen. Daraus erklärt sich, daß wir die außerordentlich hohen Unfalleziffern im Bergbau, speziell beim Steinkohlenbergbau, haben, und die über⸗ tragen sich wiederum auf die Sesammtzahl. Da die Ziffer, um die es sich handelt, sowohl absolut, wie relativ eine außerordentlich hohe ist, so muß es natürlich die Aufgabe der Verwaltung sein, thunlichst dafür zu sorgen, daß sie sich vermindert, also die Ursachen der zahl⸗ reichen Unfälle genau festzuftellen und die Mittel zur wirksamen Ver⸗ hütung an die Hand zu geben. Das hat sie thatsächlich auch gethan. Schon vor länger als 10 Jahren hat sie eine besondere Kommission konstituiert, die sogenannte Schlagwetter⸗Kommission. Diese Kommission hat sehr detaillierte Vorschläge gemacht, auf denen die gegenwärtigen bergvolizeilichen Vorschriften beruhen. Auf ihren Vorschlägen beruht auch die Einrichtung der sogenannten Befahrungs⸗Kommissionen, wonach für jedes einzelne Revier durch besendere Kommissionen genaue periodische Untersuchungen stattfinden über die Einrichtungen für die Bewetterung der Gruben. Diese Befahrungs⸗Kommissionen haben außerordentlich nützlich gewirkt; sie haben es zuwege gebracht, daß viele Mißstände nach und nach beseitigt worden sind, sodaß man sagen kann, diese Einrichtung hat sich in der That als frucht⸗ und segenbringend erwiesen. Ebenso haben wir auch in diesem Jahre eine Kommission niedergesetzt zum Zweck der Untersuchung der Ur⸗ sachen und der Verhütung des Stein und Kohlenfalls, der, wie ich Ihnen bereits auseinandergesetzt habe, 3700 der Unfälle bedingt. Diese Kommission ist theils aus Aufsichtsbeamten, theils aus Ver⸗ waltungsbeamten, theils aus Leuten der Wissenschaft, theils aus Privat-, theils aus Staats. Grubenbenbeamten zusammen gesetzt. Wir haben auch erfahrene Unterbeamte hinzugezogen und desgleichen erfahrene Grubenarbeiter, um alles, was Wissenschafkf, Technik und Erfahrung an die Hand giebt, zu verwerthen und ein zuverlässiges Urtheil darüber zu gewinnen, in welcher Weise man den zahlreichen Unfällen wirksam vorbeugen kann. Diese Kommission bat getagt, sie hat nach einem bestimmten Programm berathen und hat nun für die einzelnen Reviere Ausschüsse gebildet, deren Aufgabe es ist, für jedes Revier unter Befahrung der einzelnen Gruben genau zu untersuchen: was sind die Ursachen, die veranlassenden Umstände, wie stellt sich die Statistik, und was sind die Maßregeln, die man zu treffen hat, um den Unfällen dieser Art wirksam vorzubeugen.

Ich habe geglaubt, meine Herren, Ihnen diese Thatsachen kurz mittheilen zu müssen, well ich der Meinung bin, daß sie wohl geeignet sind, beruhigend zu wirken, sowohl auf die Kreise der Arbeiter, als auch auf die Kreise aller derjenigen, die sich für das Wohl der Arbeiter interessieren. Sie werden aber auch daraus ersehen können, daß der Vorwurf, der gegen die Bergverwaltung gerichtet ist, als ob sie ihrer Aufgabe nicht gewachsen sei, oder ihr das Wohl der Arbeiter nicht am Herzen läge, in keiner Weise berechtigt ist. Ich kann versichern, ich habe ja der Berg- verwaltung nicht angebört, ich habe außerhalb derselben gestanden —. aber, nachdem ich in die Verwaltung eingetreten bin, habe ich die Ueberzeugung gewonnen, daß sie das hohe Ansehen, das sie im In⸗ und Auslande bisher genossen hat, im vollen Maße verdient; meine Aufgabe wird es sein, dafür zu sorgen, daß sie diesen ihren Ruf be⸗ halten wird.

Abg. Richter (fr. Volksp.):; Der Verredner von den Polen hat darauf bingewiesen, daß ein Oberlehrer, der sich der Ab- stimmung enthalten hat, um nicht einem Freunde der Bedrohungen res Vereinsrechtz zur Wahl zu verhelfen, im Interesse des Bienste versetzt worden sst. Bas ist eine schwere Bedrohung des Wahlrechts, die allerdings mehr in den preußischen Landtag als bierber gehört. Der Staatssekretär des Reichsamts des hat den Berufsgenossenschaften Schriften empfohlen, was Fisher nicht üblich war. Ich weiß nicht, ob er sich im Recht laubt. Er meinte, er habe die Schriften nur empfohlen. Eine in. amtliche Einführung ist doch bedenklich. Dieser Hülle'sche Verlag besckäftigt sich nicht bloß mit sozialen und wirthschaft⸗ sichen Fragen, sondern er ist ein integrierender Theil der ganzen ofinißsen Preßwirthschaft; aus dem Verlage gehen Empfehlungen der Militãr. und Marineborlagen hervor. Diesem offiztösen Verlage follen die Berufsgenossenschaften mit ihren Geldmitteln dienstbar ge⸗ macht werden. Ber Staatssekretär meint, dah die Bevölkerung der Gesetzmacherei nicht folgen kann. Warum ist man zu dieser Erkenntniß nicht aekommen vor dem Handwerker-, dem Margarine ˖ und dem Börsen ·

gesetz. Der Staatssekretãr hat angedeutet, daß eine lokale Organisation für die Invaliden versicherung nothwendig sei. Das würde nur eine