mindern und das Parlament zu stärken. Ein Volksstamm, der in Desterreich eine Rolle spielen will, muß doch mit dem Machtfaktor rechnen, Ter im Hause Habsburg liegt. Man kann sich nicht wundern, daß die Deutschen in Oesterreich, wenn sie sich nicht als die festen Stützen des Hausegs baburg erwiesen haben und andererseits den andern Volksstaͤmmen gegenüberstehen, erdrückt werden können. Bei aller Sympathie für unsere dortigen Volke⸗ genoffen halte ich es für nützlich, daß sie in sich gehen und sich sagen, daß. wenn sie feste Stützen des Hauses Habsburg sind, eine andere
Rolle spielen werden. Sie müssen dem angestammten Kaiserhause
dieselbe deutsche Treue bewahren, wie wir erwarten, daß alle Preußen und alle Deutschen unserem angestammten Fürstenhaus Treue bewahren.
Staatssekretär des Innern, Staats ⸗Minister Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner:
Der Herr Abg. Dr. Lieber ist nochmals zurückgekommen auf die Behandlung der sozialpolitischen Angelegenheiten, und ich bin dem Herrn Abgeordneten aufrichtig dafür dankbar, daß er das gethan hat gegenüber den vielfachen, wie ich nur sagen kann, absichtlichen Ver⸗ drehungen meiner Ausführungen seitens der Presse.
Meine Herren, ich habe ausdrüclich darauf hingewiesen, daß wir nicht daran denken, die sozialpolitische Fürsorge sachlich einzuschränken oder solche Maßregeln, wie wir bisher ergriffen haben, nicht auch in Zukunft fortzusetzen. Ich habe aber den Schwerpunkt in meinen Ausführungen darauf gelegt, daß es sich zunächst darum handelt, die bestehenden sozialpolitischen Gesetze auszubauen und zu vertiefen, weil weite Kreise der Bevölkerung vorhanden sind, denen es dringend zu wünschen ist, nach der ganzen Art ihrer gewerblichen Beschäftigung, daß sie ebenfalls unter die sozialpolitischen Gesetze fielen. Ich erinnere nur an die große Zahl der handwerksmäßigen Feuerarbeiter, die jetzt trotz hoher Gewerbsgefahr die Wohlthaten dieser Gesetze leider noch nicht genießen. Ich habe aber ferner allerdings ausgeführt, daß es außerordentlich bedenklich sei, sämmtliche Erwerbszweige Deutschlands polizeilich reglementieren zu wollen, daß man auf diesem Gebiet nur mit der äußersten Vorsicht vorgehen sollte; denn es sei bedenklich, Verordnungen zu erlassen, die sich in ihrer Ausführung garnicht kontrolieren lassen, und die sehr leicht dahin führen, daß das Verhältniß zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber, der soziale Frieden, der zwischen diesen beiden Kategorien unbedingt bestehen muß, aufs schwerste gefährdet wird. Das Verhältniß jwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer kann man nicht nur auf den rechtlichen Vertrag stützen, es muß auch ein gewisses Pietäts⸗ verhältniß beftehen (sehr richtig), ein gewisses Verhältniß des persönlichen Vertrauens. Meine Herren, ich habe schließlich ausgeführt, daß einem Reichstage gegenüber, der aus allgemeinen direkten Wahlen hervorgeht, und in Anbetracht der Thatsache, daß die Arbeiter das größte Kontingent der Wähler stellen, garnicht zu erwarten ist, daß eine Regierung es aufgeben könnte, selbst wenn sie es wollte, fortgesetzt eifrige und ernste Fürsorge dem Wohle der arbeitenden Klassen zu widmen. Demgemäß bestreite ich auch, daß, seitdem ich die Ehre habe, an der Spitze des Reichsamt des Innern zu stehen, in dieser Beziehung irgend ein ab— sichtlicher Stillstand eingetreten ist. Ich bemerke in dieser Beziehung und habe das bereits in meinen früheren Ausführungen angedeutet, daß, ehe ein den gleichen Zweck verfolgender Antrag hier im hohen Hause einging, meinerseits bereits Erhebungen bei den verbündeten Regierungen veranlaßt sind über die gewerbliche Nebenbeschäftigung von Schulkindern, und daß ich denke, in dieser Frage sehr nachdrücklich und entschieden mit Zustimmung der verbündeten Regierungen, und, wie ich glaube, in Uebereinstimmung mit der Majorität dieses hohen Hauses vorzugehen. (Bravo! rechts.)
Ich gestatte mir ferner zu bemerken, daß Verhandlungen im Gange sind über die Arbeiterverhältnisse der Bauarbeiter, über die Vorschlaͤge der Arbeiterstatistischen Kommission wegen der Arbeits⸗ verhältnisse der Handelsangestellten, daß in Vorbereitung sind Schutz⸗ vorschriften für die Arbeiter in Thomasschlackenmühlen, daß — eine Angelegenheit, die ja hier im hohen Hause so oft besprochen ist — eine Verordnung im Entwurf fertig gestellt ist, betreffend Maßregeln zur Bekämpfung der Milzbrandgefahr in Roßhaarspinnereien, Pinsel⸗ fabriken und Bürstenfabriken. Ich erinnere daran, daß Maßregeln in Aussicht genommen sind und Erhebungen angestellt werden über die gesundheitsschädlichen Gefahren der Blei⸗ und Zinkdämpfe in Blei⸗ und Zinkfabriken, und gegen die Gefahr der Vergiftung durch Schwefelkohlensteff in Gummifabriken. Ich könnte dieses Verzeichniß noch weiter ergänzen.
Ich weise auch darauf hin, daß eine Abänderung des gegenwärtigen Invaliditätsgesetzes ganz unbedingt geboten ist und in der Tagung des nächsten Winters vorgelegt werden wird. Im Interesse nament⸗ lich der östlichen Provinzen Preußens können wir den finanziellen Zu— stand der Versicherungsanstalten, wie er jetzt ist, nicht bestehen lassen, und ich kann heute schon sagen: würde der von uns vorzuschlagende Vertheilungsmaßstab nicht die Billigung des Reichstages finden, oder würde auch aus der Mitte des hohen Hauses kein gangbarer Vor⸗ schlag gemacht werden, der in anderer Weise die jetzige Vertheilung der Lasten regelt, so würden wir in Preußen gezwungen sein, auf administrativem Wege die Frage zu regeln.
Also ich bestreite, daß die verkündeten Regierungen die Absicht haben, einen Stillstand in der positiven Förderung des Wohles der arbeitenden Klassen eintreten zu lassen; sie werden aber vorsichtig sein in allen den Anerdnungen, für die eine genügende staatliche Kontrole nicht zu schaffen ist, und die die Gefahr in sich bergen, daß das friedliche Verhältniß zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern gestört wird. Wir können nicht dahin kommen, meine Herren, daß schließlich jeder Gewerbetreibende sich Abends mit dem Polizisten zu Bette legen müßte und Morgens mit dem Polizisten wieder aufstehe. (Bravo! rechts.)
Nachdem Abg. Rickert (fr. Vgg.) auf das Wort ver⸗
zichtet, bemerkt
Abg. Gegielski (Pole): Ueber die Rede des Herrn von Koecielski ist schon so oft gesprochen worden, daß Herr Foͤrster auch darüber Bescheid wissen könnte. Es liegt Methode in den Sympathie⸗ kundgebungen. Man wollte die öfterreichische Regierung diskreditieren. Graf Badeni war ein gerechter Mann, denn er wollte allen Völker⸗ schaften gerecht werden. Wir Polen würden ganz zufrieden sein, wenn uns das gegeben würde, was den Deutschen in Oesterreich 28 ist. Herrn Lieber sage ich fär sein Eintreten für die Polen unsern herzlichsten Dank.
Abg. Dr. Paasche (nl): Ich kann mir nicht gefallen lassen, daß ich verantwortlich gemacht werde für die Mißverständniffe des 966 Bebel. Er spricht, wie immer, in gehässiger Weise von der
nwissenheit seiner Gegner über die So ialdemokratie; wir wissen leider viel zu viel von dem Ziel Ihrer Bestrebungen. Wer die Ziele der Sozialdemokratie erkannt hat, wendet ihr den Rücken. Ich habe Widerspruch dagegen erhoben, daß der Arbeiter hauptsächlich die
Steuern trägt, daß er bauptsächlich Soldat ist, daß die besitzenden Klassen sich käten, in ihr? Tesche za greifen, Ich babe Ihnen demgegenüber die amtli Zahlen der Statistit angeführt, Ich habe zu den ländlichen er, natürlich auch die Dienfstboten 6 für die die Arbeitgeber die Konsumabgaben mit bezahlen. ann kommt man auf 9,4 Millionen Arbeitgeber und deren An⸗ ere und 87 Millionen Arbester in der Landwirthschaft. Bezüg⸗ ich der Gewerbetreibenden hat er zugegeben, daß manche Arbeitgeber nicht viel beffer flehen, wie die Arbelter. Wenn wir das aber be⸗ haupten, ift es nicht wahr. Was ich über die Krisen gesagt habe, bat Herr Bebel vollftaͤndig falsch aufgefaßt. Es ist eine maßlose Üebertreibung, daß die Arbeiter die Lasten der Steuern allein tragen. bg. Bebel (Soz.): Ich muß mich gegen den Vorwurf der Gehässiakeit verwahren und dagegen, daß die Arbeiter unserer Partei den Rücken kehren. Die Enthüllungen über die Ziele der Sozial- demokratie, die in Pamphleten in Tausenden von Exemplaren ver⸗ breitet werden, wie das Exemplar, von welchem gestern die Rede war, werden von fremden Geldern bezahlt, aber sie üben auf die Arbeiter keine Wirkung. Daß ein großer Theil der Arbeitgeber nicht viel beffer dasteht als die Arbeiter, ist eine auch uns bekannte Thatsache. Die kleinen Bauern und die kleinen Landwirthe sind nichts Anderes als Arbeiter. Ein Theil der als selbständige Landwirthe be⸗ r, Leute kann ohne Nebenarbeit in der Industrie garnicht ehen.
Abg. Dr. För ster (b. k. F) tritt noch einmal für die Deutsch · Dester⸗˖ reicher und dafür ein, 1 im Deutschen Reichstage wohl ein Recht habe, für die deutschen Brüder im Osten einzutreten. Mit der Re⸗ volution im Parlament hätten diejenigen begonnen, welche die Sprachen ˖ verordnungen erlassen und nachher die Geschäftsordnung des Parla⸗ ments ungesetzlicher Weise geändert haben. ‚
Damit schließt um A/ Uhr die erste Lesung. Der größte Theil des Etats wird der Budgetkommission überwiesen.
Es folgt die erste Berathung des Entwurfs einer Militär⸗Strafgerichtsordnung.
Reichskanzler Fürst zu Hohenlohe⸗Schillings fürst:
Meine Herren! Am 18. Mai vorigen Jahres babe ich an dieser Stelle die Vorlage des Entwurfs einer Militär. Strafgericht ordnung in Aussicht gestellt mit dem Hinzufügen, daß derselbe — vorbehaltlich der durch die militärischen Einrichtungen bedingten Besonderbeiten — auf der Grundlage moderner Rechtsanschauungen aufgebaut sein würde.
Dem entspricht der Ihnen jetzt zugegangene Entwurf. Er führt im Gegensatz zu dem bisherigen schriftlichen Untersuchungsprozeß ein mündliches unmittelbares Verfahren ein; er trennt die Auf⸗ gaben des Richters, Anklägers und Vertheidigers; er giebt den Richtern das Recht der freien Beweiswürdigung und gewährt die Rechtsmittel der Beschwerde, der Berufung und der Revision. Die Gerichte entscheiden endgültig und in voller Selbständigkeit über That frage und Strafe. Die Ständigkeit der Gerichte ist in hohem Maße gewährleistet, die Vertheidigung in weitem Umfange zugelassen. Die Hauptverhandlungen sind grundsätzlich öffentlich; wie im bürgerlichen Strafprozeß, kann die Oeffentlichkeit aus Rücksichten auf das öffentliche Wohl ausgeschlossen werden, wozu als weiterer Ausschließungsgrund noch tritt die Gefährdung militärdienstlicher Intereffen, insbesondere der Disziplin. — Ein oberstes Militärgericht sichert die überein . stimmende Auslegung und Anwendung der Gesetze.
Meine Herren, alles das berechtigt mich, zu sagen, daß der Ent⸗ wurf auf modernen Rechtsanschauungen aufgebaut ist. Eine weitere Annäherung an die Formen und Grundsätze des bürgerlichen Straf⸗ prozesses verbietet die Rüdsicht auf die Einrichtungen der Armee und auf die Aufrechterhaltung der Disziplin. Die Disziplin ist der Grund⸗ pfeiler, auf dem die Tüchtigkeit eines Heeres beruht; eine Militär⸗ Strasprezeßordnung soll die Disziplin stützen und darf deshalb keine Bestimmungen enthalten, welche im Gegentheil sie zu gefährden geeignet wären.
Die verbündeten Regierungen glauben in dem Entwurf die richtige Lõsung gefunden zu haben für die schwierige Aufgabe, das bisherige Verfahren zu reformieren, ohne Straffheit und Zucht im Heere zu schädigen.
Wir erblicken weiter in der Herstellung eines gemeinsamen Rechtsperfahrens für das ganze deutsche Heer und die Marine einen Gewinn für die Nation.
An Sie, meine Herren, richte ich die Bitte, den Gesetzentwurf mit Wohlwollen zu prüfen; wollen Sie sich dabei gegerwärtig halten, daß die Vorlage nicht zu stande kommen konnte, obne daß des großen zu erreichenden Zweckes halber von den Kontingentsherren auf bedeutende Rechte verzichtet worden wäre. Ihrer Weisheit vertraue ich, daß Sie dem Zustandekommen des Gesetzes kein Hinderniß bereiten werden durch die Geltendmachung von Wünschen, denen die ver bündeten Regierungen nicht zuzustimmen in der Lage sem würden.
Kriegs⸗-Minister, General-Lieutenant von Goßler:
Es ist nicht meine Absicht, meine Herren, eine ausführliche Be⸗ gründung der Entwürfe vorzutragen; ich glaube, daß Jeder, der sich für die Sache interessiert, in den gedruckten Begründungen genügende Information finden kann. Was mich veranlaßt hat, das Wort zu erbitten, ist eine Erscheinung, die im verflossenen Jahre öffentlich zu Tage getreten ist. Es sind nämlich in der Presse Nach⸗ richten verbreitet worden in Betreff der Entfstehung und Verzögerung dieser Vorlage, die absolut unrichtig waren und die auf eine hohe Stelle außerhalb des Hauses abzielten. Ja, es sind in dieser Hinsicht sogar Ausstreuungen verbreitet worden, die geeignet waren, diese Stelle herabzusetzen. Ich habe es mir reiflich überlegt, ob sich eine Berichtigung solcher Nachricht empfehlen möchte, habe aber doch davon Abstand gencmmen, um nicht in einen Zeitungskrieg zu gerathen; denn ich erachte: ‚die Stelle, bei welcher meine Ver⸗ antwortung in Frage kommt, und für welche meinerseits Berich⸗ tigungen nur bestimmt sein können, das ist der Reichstag.“
Aus diesem Grund bitte ich um die Ermächtigung, bier eine kurze chrono logische Darstellung der Vorgänge, welche dieser Vorlage zu Grunde liegen, geben zu dürfen. Aus der Zusammenstellung der Vorgänge, die ich mir habe machen lassen, ergiebt sich, daß die Frage der Neuordnung der Militär ⸗Strafgerichtsordnung seit dem Jahre 1877 im Fluß ist. Es hat also 20 Jahre bedurft, um diese Vorlage scweit zu bringen, wie es jetzt der Fall ist. In dieser Zeit sind eine Reihe von Immediat⸗Kommissionen berufen worden; Grundsãätze der verschiedensten Art wurden aufgestellt, doch konnte ein Abschluß nicht erzielt werden. Man braucht dabei nicht etwa daran zu denken, daß von Allerhöchster Stelle Schwierigkeiten bereitet worden wären; das würde grundfalsch sein, denn gerade unseres Hochseligen Kaisers Majestät hat ja diese Immediat⸗Kommissionen selbst berufen. Der Abschluß wurde vielmehr vereitelt, weil man an maßgebenden Stellen der Armee — und meines Erachtens auch nicht mit Unrecht — die Ansicht vertrat, daß es richtiger wäre, die bis⸗ herige preußische Strafgericht ordnung, die sich in schweren Zeiten gut
bewährt hatte, entspreckend zu reformieren, als eine vollkommen neue Grundlage ju schaffen, die vielleicht den Verhältnissen der Armer und ihren Traditionen nicht entsprechen könnte. Auch andere Stellen haben Bedenken geäußert, und möchte ich in dieser Beziehung nur er.
wähnen, daß auch der frühere Reichekanzler Fuürft von Bismarck
seiner Zeit solche ausgesprochen und darauf bingewiesen hat, dae eventuell auch politische Schwierigkeiten sich bei der Ausführung diesc Projektes würden ergeben können, — eine Erwartung, die in gewissem Sinne ja auch eingetroffen ist.
Ich will nun zu dem Stand der Dinge übergehen, in welchem sich dieselben zu der Zeit befanden, in welcher ich die Stellung dez Kriegs Ministers übernahm. Als Seine Majestãt die Gnade hatten, mir diese Stelle anzuvertrauen, ist über die Strafgericht ordnung sehr eingehend gesprochen worden, und ich habe damals den be⸗ stimmten Befehl erhalten, zunächft mein Augenmerk anf die Förderung dieser Angelegenheit zu richten. Als ich demnächst die Geschäste in Berlin übernommen hatte, fand ich eine Reihe der schwer⸗ wiegendsten Aufgaben vor. Es war zunächst die endgültige Feststellung des Etats zu erledigen, eines Etats, der weit greifende Veränderungen in sich trug, so unter anderem die Nen⸗ organifation der Infanterie. Es lag ferner die Frage der Gehalte. aufbesserung vor, ein neues Servisgesetz war zu geben, und außerdem wurde die Frage einer zeitgemäßen Umbewaff nung der Feld⸗Artillerie eine brennende. Dazu kam als besondere schwierige Materie die Militãr · Strafgerichtsordnung. Ich versuchte nun zunächst mich über diese eingehend zu unterrichten, doch war das nicht leicht, da die hier. auf beiüglichen Geschäfte infolge einer längeren Beurlaubung meines hochverehrten Herrn Amts vorgängers in ein gewisses Stocken gekommen waren. Auf meine Frage nach einem Entwurf wurden mir drei Ent. würfe vorgelegt, die man nach der verschiedenen Farbe der Umschläge als einen weißen, blauen und rothen bezeichnete. Ich habe denjenigen Entwurf gewählt, welchen mein Herr Amtevorgänger vertreten und der bereits dem Staats. Ministerium vorgelegen hatte. Beim Studium dieses Entwurfs vermißte ich manches, so war die Begründung der- selben im Kriegs. Ministerium nicht vorhanden, sondern sollte — wie mir mitgetheilt wurde — im Generalauditoriat vorbereitet werden. Auch die Akten waren momentan nicht zu beschaffen. Sie lagen einer anderen Stelle vor, da man auch noch Berichte der General⸗ Kommandos eingefordert hatte, die aber erst zum theil eingegangen waren. Ich war semit mehr oder weniger auf mein eigenes Studium angewiesen und fand dabei außer der fehlenden Begründung noch eine große Reihe von Lücken. Als ich mich hierüber näber unterrichten wollte, wurde mir vorgetragen, daß noch zwei Gesetze, und zwar ein Ein führungegesetz und ein Disziplinargesetz, fehlten, doch sei man der Ansicht, erst die Militär⸗Strafgerichts ordnung zu verabschieden, ehe man an die Ausarbeitung dieser beiden Gesetze herangehe. Diefer Ansicht konnte ich mich nicht anschließen, und diese meine Auffaffung ist später durch den Gang der Ereignisse voll gerechtfertigt worden. Bereits Ende August 1895 war es mir möglich, die Sache zum Immediat⸗ vortrag zu bringen, und, wie es bei diesen Vorträgen immer der Fall ist, in eingehendster Weise den Stand der Angelegenheit darzulegen und zu erklären, daß ich die Möglichkeit bezweifeln müßte, bei dem derzeitigen Stande der Arbeiten schon im kommenden Herbft eine ent⸗ sprechende Vorlage machen zu können. Doch erhielt ich den bestimmten Befehl, unter allen Umständen dafür zu sorgen, daß das gegebene Versprechen unbedingt eingelöst werde. Auf diesem Befehl beruht meine ganze Thätigkeit und es ist mir, dank der treuen Mitarbeiter ⸗ schaft der Offiniere und Beamten des Kriegs Ministeriums und des General · Auditoriats, gelungen, bis Ende September den Entwurf der Militär- Strafgerichtsordnung zu revidieren und ebenso wie die umfangreiche Begründung zu demselben fertigzustellen. Demnächst ist der Entwurf dem Staats⸗Ministerium zugegangen, dort von neuem acceptiert worden und auch die Allerhöchste Genehmigung hat nicht gefehlt. Nachdem alsdann der Entwurf in Druck gelegt worden war, konnte ich denselben Mitte Oktober dem Herrn Reiche⸗ kanzler überreichen, der ihn seinerseits sofort dem Bundes rath zu⸗ gänglich machte. Von diesem wurde er den vereinigten Ausschũssen für das Justizwesen, das Landheer und die Festungen, sowie für das Seewesen überwiesen. Was ich vorausgesehen hatte, trat ein: einzelne Bundesstaaten erklärten, sie könnten den Entwurf überhaupt nicht votieren, wenn nicht wenigstens der Entwurf des Einführungsgesetzef vorhanden wäre. Das letztere war inzwischen, ebenso wie das andert erwähnte Gesetz, in Angriff genommen worden, und wenn diese beiden Gesetze auch nicht so umfangreich wie das Hauptgesetz sind, so fehlte doch für ihre Ausarbeitung zunächst eine Grundlage; immerhin war es möglich, auch sie bis Anfang Dezember fertig zu stellen und durch alle Stadien hindurchzutreiben. Mitte Dezember gingen sie gleichfalls dem Bundesrath zu.
Man mußte den Bundesstaaten nun Zeit lassen, sich mit dem Inhalt dieser Entwürfe vertraut zu machen, denn sie waren ihnen bis dabin vollkommen unbekannt. Die zum theil außerordentlich umfangreichen Boten der verschiedenen Bundesstaaten gingen im Laufe des Dezember und Januar ein; nachdem sie bearbeitet und gefichtet worden waren, konnten die vereinigten Ausschssse unter meinem Vorsitz Ende Januar 1897 ihre Berathungen beginnen und die erste Lesung bis Anfang Februar als vorläufiges Resultat zu Ende führen. Die vorgenommenen Veränderungen waren zwar nicht prinzipiellet Natur, aber um so zahlreicher, und so mußten die Entwürfe nen gedruckt werden.
Es trat nun eine politische Schwierigkeit hervor, die seiner Zeit der Färst Bismarck wohl vorausgesehen hatte. In den Entwürfen ist nämlich — wie Ihnen ja nun bekannt — ein gemeinsamet Reichs⸗Militärgericht vorgesehen, und dieser Umstand veranlaßte das Königreich Bayern, darauf aufmerksam zu machen, daß es aus dem Versailler Vertrage die Berechtigung berleite, eventuell einen eigenen Ober · Landes gerichtshof zu errichten. Ueber diese Frage, die ja staatt⸗ rechtlicher Natur ist, konnten unseres Erachtens die Ausschüsse nicht befinden — das lag nicht in ihrer Kompetenz. — Es wurden infolge dessen Verhandlungen mit dem Königreich Bayern eingeleitet, und ich darf hier die ausdrückliche Versicherung hinzufügen, daß diese Verhandlungen dem innigen Verhältniß, in dem beide Staaten steben, in der vollkommensten Weise entsprochen und in der höflichsten und bundesfreundlichsten Form stattgefunden haben. Da diese Frage jedoch kurzer Hand nicht zu erledigen war, man aus Anlaß derselben andererseits aber die Entwürfe nicht scheitern lassen wollte, so wäbltt man den Ausweg, diese Frage zu temporisieren. Das bat meines Erachtens deshalb auch gar keine Bedenken, weil die Entwürfe, wenn sie perfekt werden, vor dem Jahre 1900 doch nicht in Kraft treten
denn es find nicht nur seht erbebliche Etatsbewilligungen noth- ig, an die vor dem nächsten Jahre nicht herangetreten werden ann, sondern eg bandelt sich auch um die Anstellung einer grohen Ansabl von Richtern und um eine vollständige Neuorganisation unserer Gerichtsbenirke. Ich glaube daher, daß vor dem Jahre 1800 die Neuordnung nicht wird ins Leben treten können. Bis rabin wird sich diese Frage voraussichtlich geklärt haben, und darf man sich vielleicht der Hoffnung hingeben, daß, wenn der Reichs Nilitãrgerichts hof, wie er in dem Entwurfe vorgesehen ist, vom Reichstage angenommen werden sollte, hierin eine Beeinträchtigung e Selbftändigkeit Baverns nicht weiter erblickt wird, und jwar umso weniger, als ja dieser Gerichtshof kein eigentlich erkennender ist, sondern lediglich die Auslegung der Gesetze als Aufgabe erhalten hat. Auch in dieser Hinsicht ist die Einwirkung Seiner Majestät des Faisers von dem erfreulichsten Erfolge begleitet gewesen. Immerhin baben diese Verhandlungen so viel Zeit in Anspruch genommen, daß die Ausschüsse erst Anfang Mai in die jweite Lesung eintreten konnten, bei welcher dann eine volle Einigung erzielt wurde. Eine dritte Tagung war schließlich noch Ende Mai nothwendig, um den Bericht der Aus- schiss' an das Plenum des Bundesraths festzustellen. So war der Juni berangekommen, und es hätten zu diesem Termin dem bohen Hause die Entwürfe unterbreitet werden können. Bei der Geschäfts—⸗ lage aber, in welcher der Reichstag sich damals befand und bei der gülle von Arbeit, die zu jener Zeit von ihm bereits bewältigt worden rar, konnte wobl kaum angenommen werden, daß diese wichtige, twerwiegende Vorlage noch im Sommer hätte zum Abschluß kommen innen. Dieses der Grund, weshalb die Vorlage bis zu diesem Herbst rertagt wurde, und möchte ich bei dieser Gelegenheit ausdrücklich er⸗ wähnen, daß auch hier die letzten Hindernisse, die der unverzũglichen Vorlage sich vielleicht noch hätten in den Weg stellen können, durch Alerhöchste Initiative beseitigt worden sind. Ich meine, aus diesen Daten läßt sich ohne weiteres erkennen, welches die Gründe der schein⸗ baren Verzögerung gewesen sind, und daß ein Zwiespalt in leitenden Kreisen der Armee in keiner Weise stattgefunden hat.
Auch der Chef des Militärkabinets ist in den Zeitungen vielfach und schwer in heftiger Weise angegriffen worden. Bei der Persön⸗ lichleit dieses Mannes sind diese Angriffe ganz unberechtigt. Von ausgezeichneter Vergangenheit, voller Objektivität und Integrität, kann ich dem Herrn Chef des Militärkabinets nur dankbar sein für die Unterstützung, die er mir in dieser Angelegenheit hat zu theil werden lafsen. Das ist ja selbstverständlich, daß ein Mann, der selkständig denkt, auch seine eigene Auffaffung zum Ausdruck bringt. Und so bat auch der Chef des Militärkabinets Bedenken geäußert, und — ich sage es offen — ich babe diese Bedenken zum großen Theil selbst getheilt. Darüber aber waren wir Beide einig, daß wir bei der Geschäftslage und in Anbetracht der gesammten Verhältnisse uansere Bedenken zurückstellen und die Vorlage fördern müßten, so gut wir könnten.
Auch die Bemerkung des Herrn Abg. Richter, daß dieses Gesetz als Vorspann für die Flottenvorlage dienen solle, ist nicht richtig; denn als die Entscheidung fiel, diese Entwürfe dem Reichstage vor⸗ zulegen, war von einer Flottenvorlage überhaupt noch nichts bekannt.
Wenn ich nun mit wenigen Worten auf den Inhalt der Ent— wärfe eingehe, so glaube ich für dieselben ohne weiteres in Anspruch nehmen iu dürfen, daß sie vollständig klar und logisch gearbeitet sind und sich durch eine Einfachheit auszeichnen, die die Handhabung der Militärrechtspflege auch in schwierigen Zeiten garantiert. Os diese Neuregelung gerade in der Armee mit großer Begeisterung aufgenommen werden wird, ist mir zweifelhaft; denn in der Armee ist die Auffassung vertreten, daß sie das Gute, was sie hat, ungern aufgiebt, und wenn sich auch das Gute reformieren läßt, man dieses doch gern bewahrt. Im allgemeinen ift man in der Armee diesen Traditionen treu und sich derselben bewußt; etwas vollständig Neues wird ungern aufgenommen. Bin ich jedoch einerseits der Ueber 1eugung, daß die Grundlagen der neuen Entwürfe derartige sind, daß die Militärrechtspflege in der Armee nicht leiden wird, so bin ich doch andererseits überjeugt, daß, wenn diese Grundlagen verschoben werden sollten, man so veränderte Entwürfe der Armee nicht oktrovieren kann und daß die verbündeten Regierungen sich dann in die Lage versetzt sehen würden, sie abzulehnen.
Die Verantwortung dieses hohen Hauses bei der Berathung dieser Gesetzentwärfe halte ich für eine sehr große. Der Herr Reichs kanzler hat bereits erwähnt, es hänge wesentlich von der Strafgerichts ordnung die Disziplin in der Armee ab. Dem stimme ich voll und ganz bei und füge noch hinzu, daß sich ein falscher Schritt in dieser Hinsicht meiner festen Ueberzeugung nach nie wieder gut machen lassen läßt, wie auch die Weltgeschichte beweist, daß eine große Armee ohne Die ziplin die größte Gefahr für einen Staat ist.
Ich gebe mich der bestimmten Hoffnung hin, daß die staate⸗ erhaltenden Parteien dieses hohen Hauses an die Berathung der Ent⸗ würfe mit voller Objektivität und Unparteilichkeit herantreten werden, und knüpfe ich hieran die Bitte, die ganze Frage der politischen Be⸗ deutung, die sie erhalten hat, zu entkleiden. Sle konnte eine politische sein in der Erwägung, ob eine neue Militär-Strafgerichtsordnung vorgelegt werden würde oder nicht; nachdem dieses aber geschehen ist, meine ich, dürfen wir nur nach rein militärischen Interessen entscheiden.
Ich nehme an, daß die Entwürfe einer Kommilsion überwiesen werden. Daß wir in der Kommission Juristen garnicht entbehren können, liegt auf der Hand; ich würde es aber dankbar erkennen, neben diesen auch noch einige Herren, die der Armee und dem militärischen Leben etwas näher stehen, in dieselbe zu deputieren. (Heiterkeit und sehr richtig!)
So ist diesem Reichstage, meine Herren, noch eine große Aufgabe beschieden. Nachdem Sie in der Lage gewesen sind, das Bürgerliche Gesetzbuch fertig zu stellen, stehen Sie beute vor einer weiten großen Aufgabe, und wenn Sie anch diese glücklich und zum Heile der Armee lösen, so werden Sie sich damit in der Gesetzgebung ein dauerndes Denkmal setzen. (Lebhafter Beifall.)
Abg. Gröber (Zentr): Ez waren schlleßlich doch wohl noch andere Hindernise bei dieser Vorlage iu berwinden, als die⸗ jenigen, 3 der Kriegs ⸗Minister vorgeführt hat; das Haupt- Uinderniß bildeten die Änschauungen des Mäilttärstandes. Die äußere
orm der Vorlage in ihrer übersichtlichen, glatten und klaren Durch= arbeitung hat etwas Bestechendes. Aber besser wäre en doch wohl ge⸗ wesen, im allgemeinen mehr auf die bürgerliche Strasprozeßordnung jurückzjugreifen. Die besondere Ausgestaltung birgt die Gefahr in sich,
daß die Militär. Strafgerichtgordnun . nicht mitmachen wird, die wir für die bürgerliche Strasprezeßordnung erhoffen. Bezüglich
der Anwendung der modernen Grundanschauungen auf den Militärprozeß
ist der GErfolg inter dem guten Willen sehr vielfack jurück=
geblieben. Hat doch der Reichsgerichts Rath Stenglein, der Ver. jsasser der bayerischen Militär⸗Strafprozefordnung, ein sebr abfälliges Urtheil über die Vorlage gesprochen, deren gründliche Umänderun er für nothwendig hält. Gegenüber der preußischen Militär ⸗Straf⸗ projeßordnung entbält die Vorlage einen Fortschritt; aber unsere Aufgabe ist eine höhere; wir sollen für das game Reich einschließlich Bayerns eine neue Militãr. Stra proꝛegordnung schaffen. Man kann es den Bayern nur zumuthen, daß sie das gute Alte . sollten, wenn sie dafür etwas Besseres erhalten. Redner führt aus, daß es bedenklich sei, daß rein bürgerliche Vergehen, Kontraventionen und Aehnliches vor dem Militärgericht verhandelt werden sollen, daß ferner die Reserve. und Landwehr. Offiziere noch mehr als bisher der Militärgerichte barkeit unterworfen sein sollen, und fährt dann fort: es sollen ferner die Vergehen, die vor dem Dienst⸗ eintritt begangen sind, vor dem Militärgerichtsbof beurtheilt werden, wenn wahrscheinlich auf eine geringere Strafe als sechs Wochen erkannt werden wird. Es kann vorkommen, daß jemand, der sich politisch 3 hat, wegen eines vor seinem Diensteintritt begangenen politischen Vergeheng vor dem Militärgericht sich rechtfertigen muß. Die Militärrichter haben über solche Dinge andere Anschauungen als die bürgerlichen Richter. Es sollen auch Vergehen, die nach der Dlenftzeit vorkommen, theilweise unter die Militär gerichtskarkeit fallen, sedaß jemand bis zum 41. Lebensjahre in ge⸗ wissen Fällen vor das Milttärgericht zitiert werden kann. Nach der Vorlage ist der Gerichtsherr mindeftens ebenso belastet wie der Audi⸗ teur. Die Gerichteoffiziere werden gegenüber dem Gerichtẽ herrn kaum eine eigene Meinung bei der Untersuchung geltend machen können, ohne sich einer schweren Verantwortung auszusetzen. Für schwerere Fälle mäßte eine förmliche Untersuchung vor einem Richter und unter Zulassung der Vertheidigung eingefübrt werden. Der Angeklagte muß ein Recht zur Beschwerde haben, nicht bloß an den Gerichtsberrn nnd defsen Vorgesetzten, sondern auch an ein ordentliches Militãrgericht. Das Reserdatrecht Bayerns auf einen besonderen obersten Militär. gerichtshof erkennen meine Freunde vollkommen an. Das juristische Element ist gegenüber dem Laienelement in den Militärgerichten zu gering vertreten. Aber bedenklich ist die Beseitigung der Unteroffiziere und Gemeinen als Richter; warum macht die sonst gegen Neuerungen so ablehnende Militãtperwaltung 6 hier eine Ausnabme? Der Ausschluß eines jeden Juriften bei den Standgerichten, die den Schöffengerichten gleichstehen, ist sehr zu beklagen, ebenso daß bei den Kriegsgerichten nur ein Jurist betheiligt sein soll, der sich unter den Offisteren ganz verlassen vorkommen muß. Die vorgesehene Nach⸗ prüfung der Urtheile der Militärgericht kann die Mäãngel der Zusammensetzung nicht beseitigen. Die Ständigkeit der Gerichte schafft eine Gleichmäßigkeit und Einheitlichkeit der Ent⸗ scheidungen und verhindert den Schein der Zusammensetzung der Ge⸗ richte ad hoc. Warum soll aber bei den Standgerichten nur ein Beisitzer ftändig sein? Bei den anderen Gerichten ist die Stãndig⸗ keit der Richter sehr beschränkt. Gin unabhängiger Untersuchungẽ⸗ richter ist nicht vorhanden; das ist ein großer Febler, ebenso wie das beschränkte Recht des Angeklagten auf Ablehnung der Richter. Die EnFwickelung wird schließlich dabin führen, daß die bisber nur sehr beschränkte Oeffentlickkeit des Verfahrens sich mehr und mehr aus—⸗ dehnen wird, schon um den Verdacht der Vertuschung zu beseitigen. Die Bestimmung über den Ausschlus der Oeffentlichkest im Interesse der Diszirlin ift nicht recht klar. Die Begründung spricht davon, 3. man eine öffentliche Gerichts verhandlung nicht in einer Kaserne abhalten könne; soll die Oeffentlichkeit dadurch ausgeschlossen werden, daß man nach Belieben die Verhandlung in eine Kaserne verlegt? Bapern bat solche Bestimmang nicht. Bei der Leichtigkeit der Ausschließung der Deffentlichkeit müßte wenigftens eine Bestimmung aufgenommen werden, wonach Angebörige des Verletzten den Verhandlungen beiwohnen können. Die Frage, wie die Vertheidigung gestaltet wird, ist für meine Freunde das Allerwichtigste. Sie darf nicht erst zugelassen werden, wenn die Grund⸗ lagen des Ürtheils schon gelegt siad, also erst nach Erhebung der An⸗ klage; sie muß bei allen Gerichten zugelassen werden. Ein Rechts anwalt foll nur für bürgerliche Vergehen zugelassen werden, und zwar muß die Zulaffung besonders erfolgen. Es scheint in den militãrischen Kreisen eine ungeheure Angst vor den Anwalten zu herrschen. Wenn sie nur vor Militärrichtern und unter Ausschluß der Oeffentlichkeit sprechen, so werden sie überhaupt keine Lust haben, große Reden gegen die militärischen Vorgesetzten zu halten. Die Disziplin, der Gehorsam soll auf Pflichtgefuͤhl beruhen und nichl auf der Angst und Furcht vor Ordnungsstrafen. Der Ausspruch Seiner Majestãt des Raifers: ‚Wer ein braver Christ ist, ist auch ein braver Soldat“, berubt auf einer anderen Grundlage als die Motive, die immer nur von der Furcht vor der Strafe die straffe Diszirlin erwarten. Wir denken nicht daran, daß die Militärgerichte absichtlich eine Ungerech⸗ tigkeit begeben werden, ebenso wie wir dies von den bürgerlichen Richtern nicht befürchten. Gegen die absichtliche Ungerechtigkeit schützen keine Gesetze, aber gegenüber den irreaden Richtern müssen die nöthigen Garantien gegeben werden. Redner schließt mit dem Antrage auf Ueberweifung der Vorlage an eine Kommission von 21 Mitgliedern, Abg. von Puttkamer ⸗ P lauth (. kons.): Ich will mich nicht auf die Einzelheiten einlassen, die besser in der Kommission erörtert werden können. Der Kriegs⸗Minister hat Recht damit gehabt, daß er darum bat, daß auch Laien in die Kommission gewahlt werden möchten. Beim Vorredner ist lediglich der Jurist zum Vorschein gekommen, der Standpunkt der Armee ist sehr in den Hintergrund gedrängt worden. Unsere Stellung zur Vorlage wird davon abhängen, wie fie in der weiteren Berathung sich gestalten wird. Für eine sehr akute Abänderung der Vorlage werden wir sicherlich nicht stimmen. Wir haben die feste Zaversicht zur Regierung, daß sie sich weder durch die sogenannte öffentliche Meinung, noch durch eine Mehrheit dieses Haufes pon ihrem Standrunkte abdrangen lassen wird. Dazu ist das Objekt zu wichtig. Die Armee 1 ein noli me tangere für uns. Mit der stehl und fällt das Reich, nicht nur in Bezug auf die Gefahr von außen, sondern auch in Bezug auf die Aufrechter haltung der Gesetzlichkeit im Innern. Die öffentliche Meinung wird von den Parteiführern geschaffen, die Einfluß auf die Zeitungen haben. Diese öffentliche Meinung ist im Partetinteresse gemacht worden; es wäre uns lieber gewesen, wenn der Entwurf gar nicht vorgelegt worden wäre. Da das aber mit Sanktion Seiner Majestãt einmal geschehen ist, haben wir die Pflicht, ihn objektiv zu prüfen. In meiner Fraktion sind Leute, die einen mehr oder weniger von der Vorlage abweichen den Stand. punkt einnehmen. Es ist das grohe Verdienst des General. Auditeurs Ittenbach, daß er die Interessen der Disziplin in ein rechtliches n . n den modernen Rechtzanschauungen zehracht hat. Wenn wir die Angriffe bedenken, die gegen die Armee gemacht worden sind, dann můssen wir Bedenken gegen die Einführung der effentlichtest Haben, die nur den Agitationen gegen die Armee neue Nahrung zuführen kann. Daß allgemeine Scdres bindende Vorschriften über den Ausschluß der Oeffentlichkeit bringen können, glauben wir nicht, Es wird noth⸗ wendig sein, daß die Gerichte selbst über den Ausschluß der Oeffent⸗ ar zu befinden 383 Die ue n, Stelle braucht man mit diefen Einzelheiten nicht ju belasten. In. Belug auf die Mündlichkeit des , enthält die Vor⸗ lage einen großen Fortschrit gegenüber dem bisherlgen. Ver= fahren, obgleich es nicht unbedenklich ist, von den weniger gebildeten Leuten eine mündliche Verhandlung zu verlangen. Die Liebe zur Armee, die sich in den Kriegervereinen und in Ten Kameradschaftg⸗· Vereinen offenßart, bewe ß, daz Ungerechtigteiten in derselben nicht dorkommen. Ba in der Ärmee elbst, wie der Kriegs. Minister aus, führte, lebbafte Bedenken gegen die Vorlage herrschen, so können Sie es uns nicht verdenken, daß wir nicht fehr lebhaft fuͤr die Vorlage ainkreken. Es handelt fich bei der ganzen Sache nur darum, der öffentlichen Agitation und 5 ein Ziel zu setzen. Wir wollen nicht verkennen, daß man au bejüglich der Armee, den offentlichen Bedütfrissen Rechnung tragen soll, soweit es sich mit den militärischen Interessen vereinbaren läßt. Se⸗ weit es abet über diefe Grenzlinie hinausgeht, ist die Sache so vom Uebel, daß wir da nicht, mehr mitmachen wollen. Die , . Richter, die darch die Vorlage eingeführt werden, sind mit, allen Attributen der Unabhängigkeit ausgestattet, die Gericht offtziere können natürlich nicht auf Lebenszeit ernannt werden, weil sie dadurch die
Fühlung mit der Armee verlieren würden. Die unbegrenzte Zalaffung der Rechteanwalte ist trotz der Zustände in Bavern doch bedenklich; denn es giebt eine ganze Reihe von Anwalten, die die Gelegenbeit benutzen würden, um gegen die Vorgesetzten zu betzen. Daß Herr Gröber die Militãrgerichtsbarkeit auf militãtische Vergehen beschrän ken will, beweist, daß der Jurist bei ihm überwiegt; denn der Soldat muß das Gefühl haben, daß nur ein Gericht über im steht. Wir sind für eine einheitliche Gestaltung des Militär⸗Strafrechts, aber wir wollen nicht Reservatrechte einzelner Staaten verletzen durch Majori⸗ sterung dieser Staaten im Bundesrath oder im Reichstage. Trotz aller Bedenken wollen wir mit den anderen Parteien zusammen an dem Zuftandekommen dieser Vorlage arbeiten; aber wir sind fest ent ˖ schloffen, der ganzen Vorlage ein pures Nein entgegenzusetzen, wenn etwas bineingebracht wird, welches den Traditionen widerspricht, auf denen unsere Armee groß und unser Vaterland mächtig geworden ist. Wir setzen in die verbündeten Regierungen das Vertrauen, daß sie nichts zulassen werden, was irgendwie die Stellung der Armee beein⸗ trächtigen kann.
Abg. Schröder (fr. Vgg. ): Meine politischen Freunde erblicken einen wesentlichen Fortschritt darin, daß der Reichskanzler und die verbündeten Regierungen diese Vorlage vor den Reichstag gebracht haben, und sie hoffen, daß es gelingen wird, zu einer Verständigung zu gelangen. Sollte dies aber nicht auf einen Hieb gelingen, so wäre das kein Wunder, da diese Materie schon seit 20 Jahren im Flasse ist und namentlich bei den verbündeten Regierungen auf Schwierigkeiten gestoßen ist. Wir nehmen zwischen den Rednern, die eben gesprochen baben, einen vermittelnden Standpunkt ein. Der Abg. von Puttkamer vertritt eigentlich die absolute Negation, er findet durchaus kein Bedürfniß zur Annahme der Vorlage. Es handelt sich hier keineswegs um eine Forderung des politischen Radikalismus; seit Jahren hat man eine solche Vorlage gewünscht, und in der freikonservativen Partei hat zuerst ein Mann, der später preußischer Minister geworden, eine solche Forderung gestellt. Auf der anderen Seite hat Herr Gröber zu sehr den bayerischen Stand punkt vertreten; er will nicht nur einen Fortschritt gegenüber dem preußischen Gesetz, sondern auch über das bayerische Gesetz hinaus. Im Interesse der deutschen Rechteein beit sollte man aber eine Mittel. linie suchen. Herr Gröber sollte nicht vergessen, daß hier Preußen ein größeres Opfer zugemuthet wird als Bayern. Auf die Details gebe ich nicht ein. Herr Gröber läßt sich zu sehr von seiner Zivil⸗ praxis beherrschen; bei uns befteht glücklicherweise kein scharfer Gegen⸗ saz wwischen Volk und. Armee, und die überwiegende Mehr⸗ heit des Reichstages wird bereit sein, alles bintan zu halten, was die Disziplin in der Armee erschüttern könnte. In Bezug auf die Zusammensetzung der Gerichte bin ich mit dem Abg. Gröber einpeistanden. Ich will nicht untersuchen, ob die Nothwendigkeit vor. liegt, die niedere Gerichtsbarkeit ausschließlich aus dem Offiʒierkorps zusammenzufetzen und die Juristen auszuschließen. Das ist allerdings ein Mangel, dem meine Freunde nicht zustimmen können. Die Aus⸗ schließung des juristischen Elements verräth ein ungerechtfertigtes Mißtrauen gegen das selbe. Es kandelt sich garnicht um einen Gegensatz zwischen militärischen und Zivilansichten, sondern es kommen nur Meimmungsverschiedenheiten über Einzelbeiten innerhalb derselben militärischen Organisation in Frage. Die Gesetzgebung hat sich jedenfallz davor zu hüten, ein solches Mißtrauen gegen das juriftische Element mitzumachen. Es wird ernstlich zu vrüfen sein, ob es nicht möglich ist, bei den böheren Gerichten den Einfluß des juriftischen Elements mehr zu betonen; besonders auffällig ist, daß diefe Tendenz gegen das Juriftenelement sogar in der Zusammen⸗ setzung des obersten Reichs-Militärgerichtshofes zu erkennen ist. Im Gegensatz zu Herrn von Puttkamer meine ich, daß es nicht möglich ist, eine solche Reichsinstitution zu schaffen, ohne auch Bayern mit einzubegreifen. Die Verständigung darüber wird wohl bis 1900, wo die Vorlage in Kraft treten soll, möglich sein. Die Reichs verfassang erkennt dieses bayerische Reservatrecht nicht an. Reservatrechte, die in der Verfassung stehen, erkennen wir an, aber bloß aus Hochachtung vor cinem behaupteten Reservatrecht können wir nicht auf die natio- nale Einheit verzichten. Bayern hat nur eine selbständige Militär= gesetzgebung bis zur anderweitigen w Regelung. Redner schließt mik der Hoffnung auf das Zustandekommen der Vorlage im Interesse des Vaterlandes und der Armee.
Königlich baverischer Gesandter Graf von Lerchenfeld Köfe⸗ ring: Meine Herren, der Herr Kriegs ⸗Minister hat bereits über die Frage des baverischen Rrservatrechts gesprochen. Er hat bemerkt, daß die Verhandlungen in freundschaftlicher Weise geführt worden sind. Ich kann das nur vollinhaltlich bestätigen, und bin auch der feften Juversicht, daß eine Verständigung zu stande kommen wird. Was die Berathungen im Bundesrath betrifft,; so hat Bayern den Anspruch auf einen besonderen obersten Gerichtshof, eine besondere Repisionsinftanz, dort geltend gemacht; dieser Anspruch ift im Bundesrath nicht bestritten, er ist aber auch nicht anerkannt worden. Es beflanden Zweifel, und um nicht die Vorlage an den Reichstag zu verzögern, hat man die Entscheidung ausgesetzt, wie Sie aus der Fassung des Absatze? 2 des 5 53 des Einführungsgesetzes erseben. Ss heißt dort: die Einrichtung der oberften In- fianz in Rücksicht auf die Verhältnisse, wird besonders geregelt. Die Militär⸗Strafprozeßordnung berührt in einer Reihe von Punkten das bayerische Reservatrecht, und daß dieses im allgemeinen gewahrt werden soll, das sehen Sie aus dem erften Absatz des 8 33 des Ein⸗ führungsgesetzes, welcher festsetzt, daß diese Gesetze in Bayern nach Maßgabe des Bündnißvertrages zur Anwendung kommen. Von den Rednern im Haufe haben die Abgeordneten von Puttkamer und Gröber diefes Refervatrecht zu meiner Freude anerkannt. Der Herr Vor⸗ redner hingegen hat in dieser Beziehung nicht nur Zweifel aus⸗ gefprochen, sondern dessen Bestehen in Abrede gestellt. Ich glaube, daß eine eingehende Erörterung dieser Frage besser in der Kom⸗ mifsion stattfinden wird als hier im Plenum, und ich werde daher meine Bemerkungen , Der Herr Vorredner hat ge⸗ fagt, daß er in dem Versailler Bändnißvertrage nichts gefunden habe, wag Bahern daz Recht gebe auf einen besonderen obersten Gerichts. hof. Demgegenäber erlaube ich mir auf den 8 5 Ziffer IIl dieses Vertrages zu verweisen, wo es heißt: Das bayerische Heer bildet einen in sich geschlossenen Bestandtheil des deutschen Bundesheeres mit selbständiger Verwaltung, unter der Militärhoheit Seiner Majestät des Königs von Bavern. Durch diese Bestimmung wird somit Bayern die volle Militärboheit garantiert. Zur Militärhoheit aber gehört die Militär, Justirhoheit, die Gerichtsherrlichkeit. Daraus folgt, daß in Bayern kein anderes als ein vom Fönig von Bayern bestelltes Gericht Recht sprechen kann und daß sonach anch die oberste Instanz eine bayerische ö sein hat. Daß iff kur; der Standpunkt, den Bayern elnnimmt, Y ehr will ich zur Begründung vorläufig nicht sagen. Nur das soll noch bemerkt werden, daß ron unserer Seite durchaus nicht übersehen worden ift, was in der . I des hi des Bündnißvertrages steht. Dort ist gesagt, daß Bayern seine? ilitärgesetzgebung nur behält bis zur ver⸗ fassung mäßigen Regelung durch das Reich. Bayern erkannte das bollftandig an. Das Reich ist berechtigt festzustellen, wie der oberste Berichts of lär Bayern beschaffen fein soll, ebenso wie das Reich n dem Entwurf . hat, wie die , einzurichten sind. Bas Reich setzt die Rechtsnormen fest, nach denen Bayern die Ge⸗ richtsbarkeit ausjuühen hat, bie f. ist es verfassunge mäßig berechtigt. Was hat Reich e, Auffaffung aber nicht kann, das ist: die Herichtsbarieit für Bayern selbst auszuüben. Das ist, was ich vor⸗· läufig bemerken wollte. Ich glaube, in der Kommission wird sich Ge⸗ legenheit finden, diese Frage näher zu erörtern. .
Reichskanzler, Fürst zu Hohenloh e⸗Schill ings fürst.
Gegenüber der eben gehörten Erklärung des Herrn Vertreters der bayerischen Regierung möchte ich nur darauf hinweisen, daß der Bundes · rath in dieser Frage noch keine Stellung genommen hat. Für ihn ist die Frage, ob Bayern ein vertrags mäßiger Anspruch auf einen eigenen obersten Militärgerichtshof zusteht, noch eine offene. Die preußische Regierung hegt den lebhaften Wunsch, die obwaltenden Meinungsverschiedenheiten in erfreulicher Weise auszugleichen, bevor die Frage des obersten Gerichte ·