1898 / 15 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 18 Jan 1898 18:00:01 GMT) scan diff

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Sprache fort und sagte: Namens der Regierung erlaube ich mir nachstehende Erklarung abzugeben: =

„Gegenüber den mannigfachen Beschwerden, welche hinsichtlich der Sprachenderordnungen vom 5. April erhoben werden, erachtet es die Regierung alg ihre Pflicht, ihre Auffassung und ihre Absichten mit voller Deutlichkeit . Die Regierung geht hierbei von der Anschauung aus, daß im Königreich Böhmen belde Landessprachen im Amte galten e gleichberechtigt sind. Daraus folgt, daß es

edem Bewohner des Königreichs Böhmen innerhalb der Grenzen des andes zusteht, fein Recht bei allen landesfürfstlichen Behörden sei es in cjechischer, sei es in deutscher. Spraches zu suchen und zu finden, und so, wie diese Grundsätze für die Regierung unver⸗ rückbar festftehen, wird sie auch an der Einheit des Landes sgwie an jener der Verwaltung und des Beamtenkörperg unbedingt sesthalten. Innerhalb dieser Grundsätze jedoch ist die Regierung behufs An— ahnung friedlicher Zustände gern bereit, geäußerten Wünschen, welche in r fich, Verhältnissen ihre Begründung finden, sobald als nur immer thunlich, entgegenzukommen. Sie plant daher, vor- behaltlich einer eventuellen esetzlichen Regelung, eine Neu⸗ ordnung der sprachlichen For fr ffh⸗ in der Art, daß künftiabin auf Grund der Ergebnisse, der letzten Volkszählung zwischen ein⸗ sprachigen und gemischt sprachigen, Landesbezirken unterschieden werden soll, in welchen entweder die deutsche oder die czechische oder endlich die beiden Landessprachen als innere Amts. und Dienstsprache Geltung haben sollen. Damit wäre nach Ansicht der Regierung beiden Nationalitäten gegenüber ein durchaus gerechtes und gleichmäßiges Vorgehen umsomehr bethätigt, als auch bhe⸗ züglich der sprachlichen Befähigung der Beamten an Stelle einer doch mehr theorctischen und im Moment der Berufung viel⸗ leicht nicht mehr vorhandenen Qualifikation das reelle thatsächliche Bedürfniß allein maßgebend bliebe und jeder Begmte bei voller Wahrung der Gleichberechtigung das an Sprachenkenntniß besitzen müßte, was der Dienst bel der Behörde seiner Verwendung wirklich erfordert. Um jedoch in Zukunft im Königreich Böhmen genügend sprachlich qualifizierte Beamte zu besitzen, wird die Regierung nicht ermangeln, für die nächste Landtagssession Anträge vorzubereiten, welche eine gründliche Aenderung in den Einrichtungen an Mittel⸗ schulen Böhmens behufs praktischer Erlernung der zweiten Landes sprache bezwecken.“

An dem hohen Landtage wird es sein so schloß der Stadt⸗ halter diese Anträge der Regierung seiner Zeit einer sorg⸗ fältigen und wohlwollenden Prüfung zu unterziehen. Der Statthalter wiederholte hierauf . Erklärung in czechischer Sprache. Der Abg. Graf Bu quoi fützrte sodann aus, daß die deutsche Sprache immer als gemeinsames Ver—⸗ ständigungsmittel werde gelten müssen; doch entscheide über diese Dinge kein Zwangsgebot, sondern das natürliche Be⸗ dürfniß. Als Patrioten müsse es Jedermann obliegen, die Gelegenheit zum Friedensschluß zu fördern. Die Verhandlung wurde sodann abgebrochen. e

Der „Neuen Freien Presse“ wird aus Prag gemeldet, daß gestern Abend im Carolinum daselbst eine Versammlung der deutschen Studentenschaft Prags stattgefunden habe. In der⸗ selben sei beschlossen worden, ein Telegramm an den Minister⸗ Präsidenten Freiherrn von Gautsch abzusenden, in welchem Schutz für die deutsche Studentenschaft gegen Anfeindungen und Mißhandlungen von seiten der czechischen Bevölkerung verlangt wird. Sollte dieser Schutz versagt werden und die deutsche Studentenschaft in Prag vogelfrei bleiben, dann werde die deutsche Studentenschaft die älteste deutsche Universität verlassen und deren Verlegung in eine andere deutsche Stadt Böhmens verlangen.

Der dalmatinische Landtag ist gestern eröffnet worden. Der Präsident Bulat führte in seiner Eröffnungs⸗ rede aus in diesem Augenblick falle dem Landtage eine höchst wichtige Aufgabe zu, da er durch Be⸗ achtung der parlamentarischen Gepflogenheiten und durch ernstliches Arbeiten viel dazu beitragen könne, daß die konstitutionelle Thätigkeit und der Friede zwischen den Bevölkerungen des Reichs wieder hergestellt werde, was die schönste Feier des fünfzigjährigen Jubiläums des Kaisers bilden würde. Hierauf brachte der Präfident ein Hoch auf den Kaiser aus, in welches die Versammlung begeistert einstimmte.

Die erste Session des ungarischen Reichstages ist gestern durch ein Königliches Rescript geschlossen worden. Die ufer Session wurde heute mittels Königlichen Reskriptes eröffnet.

Großbritannien und Irland.

Der Schatzkanzler Sir Michael Hicks Beach hielt gestern Abend in der Handelskammer von Swansena eine Rede, in welcher er, dem „W. T. B.“ zufolge, ausführte: Großbritannien wünsche, daß China nicht ein Objekt für Ge⸗ bietserwerb, sondern ein offenes Thor für den Handel der Welt sei. Die Regierung sei fest entschlossen, dafür zu sorgen, wenn nöthig sogar auf die Gefahr eines Krieges hin, daß dieses Thor nicht den Engländern verschlossen werde.

Der „Standard“ schreibt: die Entsendung der Truppen nach dem Sudan sei lediglich eine Defensiv⸗ maßregel und deute in keiner Weise die Absicht der Regierung an, sich auf einen vorzeitigen Angriff gegen die Schaaren des Khalifen in Omdurman einzulassen.

Frankreich.

Eine gestern verbreitete Note der „Agence Havas“ besagt: Mehrere Blätter fordern den Kriegs-Minister, General Billot auf, die Erklärungen zu veröffentlichen, welche Dreyfus am Tage seiner Degradierung dem Hauptmann Lebrun⸗Renaud gemacht hat. Durch eine derartige Veröffentlichung würde die Regierung eine abgeuriheilte Sache zur Diskussion stellen, und es würde scheinen, als ob sie Zweifel in die Autorität des Kriegsgerichts setze. Wir . übrigens zu wissen, daß die Regierung nicht das

echt zu haben glaubt, eine derartige Mittheilung zu machen, und zwar aus den gleichen Gründen, aus welchen sie be⸗ schlossen hatte, das Kriegsgericht im Jahre 1894 bei ver— schlossenen Thüren verhandeln zu lassen.

In der Deputirtenkammer erklärte, wie ‚W. T. B.“ meldet, der Deputirte Cavaignac, daß er die Regierung über die obige Note der „Agence Havas“ interpellieren wolle. Der Minifster⸗Präsident Méline beantragte, die Berathung der Interpellation zu vertagen, und bat die Kammer, das Land zu beruhigen, indem sie ihre Arbeiten wieder auf— nehme; es sei nöthig, daß das Budget bewilligt und die . Dreyfüs, deren sich der Parieigeist be⸗ mächtigt habe, beiseite gelassen werde. Der Minister⸗ Präsident schloß seine Ausführungen, indem er auf die Ehre der Armee und die Achtung vor dem Richterstande hinwies und das Vertrauen der Kammer forderte. Der Deputirte Cavgignac hielt es für unzulässig, daß der Kriegs-Minister in dem Augenblick schweige, in welchem die Ärmee angegriffen werde. Der Deputirte Lavertujon brachte den Antrag ein, die Berathung der Interpellation Cavaignac um einen Monat

zu vertagen, dieser Antrag wurde jedoch mit 277 gegen!

29 Stimmen abgelehnt. Der Deputirte Perier de Larsan beantragte, die Besprechung der Interpellation bis nach Er⸗ ledigung der bereits vorgemerkten Tagesordnungen zu ver⸗ schieben. Der Deputirte Cavaignac bekämpfte die 6 und warf dem Minister-Präsidenten vor, daß er seine ann, nicht ausspreche. (Méöline rief dazwischen: Ich will sie nicht aussprechen.) Cavaignae bestand auf der sofortigen Besprechung. Der Minister⸗Präsident Mwline schloß sich dem Antrage Perier de Larsan an, wies darauf hin, wie unpolitisch es sei, eine Agitation weiter zu unterhalten, welche schon zu lange ö 6 und fügte hinzu, daß das Kabinet, falls die Kammer ich für die sofortige Berathung ausspreche, fer, werde. Der Antrag Perier de Larsan wurde hierauf mit 310 gegen 2652 Stimmen angenommen und die Sitzung geschlossen.

Gestern Nachmüttag fanden in Paris abermals mehrere Kund⸗ gebungen statt, darunter zwei erheblichere in der Rue Montmartre und auf dem Boulevard bel der Rue Drouot, woselbst eine aus Tausenden von Studenten und zahlreichen Neugierigen zusammengesetzte Menge „Tod den Juden!“ und Nieder mit Zola!“ rief. Die Polizei zerstreute die Menge und nahm sieben Verhaftungen vor. Zu einer gestern Abend abgehaltenen Versammlung im Tivoli— Vauxhall, welche von der Redaktion der „Libre Parole“ ver⸗ anstaltet worden war, hatte sich eine zahlreiche Menschenmenge ein gefunden. Die Antisemiten gingen, nach dem Bericht des. W. T. B.“, im Saal umher mit Fahnen, auf denen die Worte: ‚Tod den Juden!“ standen. Die Anarchisten stießen Rufe aus, unter denen „Es lebe die Kommunel“, Es lebe die soziale Revolution!“ am häufigsten wiederkehrten. Schließlich wurden Rochefort und Drum ont zu Ehren⸗Präsidenten gewählt, während der Redakteur Gusrin der Libre Parole! den Vorsitz übernahm. Die Wahl war von dem heftigsten Tumult begleitet. Die Anarchlsten begannen von neuem zu lärmen und rissen die Fahnen herab, mit denen der Saal geschmückt war. Hieraus ent⸗ wickelten sich heftige Zusammenstöße mit den Antisemiten, bei denen einige Personen verletzt wurden. Aus dem Lärm hörte man die Rufe: Tod den Juden!',. „Nieder mit Rochefort! Trotz der wüsten Scenen begann der frühere Boulangist Thisbault eine Rede gegen die Anhänger Dreyfus' zu haltern, und beantragte schließlich eine Tagesordnung, welche gegen die Beleidigungen der Armee durch die Juden und ihre Verbündeten Einspruch erhebt und ver— sichert, die Pariser Bevölkerung sei bereit, die Regierung bei den Maßnahmen, welche durch die Sorge für den Frieden diktiert würden, zu unterstützen. Während der Verlesung dieser Tage ordnung kam es zu neuen Schlägereien. Die eine Partei stimmte die Marseillaise, die andere die Carmagnole an. Dazwischen ertönten Rufe und Gegenrufe. Schließlich kam es wegen einer Fahne, welche die Anarchisten abgerissen hatten, zu einem so heftigen Zusammen— stoß, daß eine Abstimmung über die Tagesordnung unmöglich wurde und die Antisemiten den Saal verließen, um in dem Bezirk des Chäteau d'Fau, dem Bastille⸗Viertel und vor dem Cercle militaire weitere Kundgebungen zu veranstalten. Die Anarchisten, etwa 1000 Personen, blieben im Tivoli zurück. Bei den Zusammenstößen im Tivoli sollen etwa 30 Personen verwundet worden sein. Um 115 Uhr war der Saal gänzlich geräumt, die Kundgebungen setzten sich aber in den Straßen fort. Ein Volks aufe, welcher sich nach dem Cercle militairs begeben wollte, wurde auf dem Boulevard des Italiens angehalten und zog dann vor die Redaktion der Libre Parole, wo er unter dem Rufe Tod den Juden!‘ ein Kundgebung veranstaltete. Die Polizei zerstreute die Manifestanten und nahm 5 Verhaftungen vor. Eine andere Gruppe, welche von dem früheren boulangistischen Deputirten Millevoye geführt wurde, gelangte vor den Cercle militaire. Die . suchte eine Kundgebung zu verhindern und nahm einige Ver⸗

aftungen vor. Milleveye setzte es aher durch, daß die Gruppe vor

dem Cercle militaire unter dem Rufe; „Es lebe die Armee!“ vorbei⸗ ziehen konnte. Nach einer kurzen Ansprache entließ Millevove die Gruppe mit dem Zuruf: ‚Auf morgen!“ Inzwischen durchzog eine Schaar von 300 Studenten das Quartier St. Martin unter dem Rufe: Nieder mit Zola!“, wurde aber nach einem Zusammenstoß mit der Polizei zerstreut. Im Quartier Latin kam es zu einigen unerheblichen Kundgebungen.

Auch aus verschiedenen Städten der Provinz werden antisemitische Kundgebungen gemeldet, so aus Bordeaux, Clermont Ferrand, Grenoble und Nancy. In Marseille veranstalteten etwa drei⸗ tausend Personen unter den Fenstern des Offizierkasinos Kund— gebungen und riefen wiederholt: ‚Es lebe die Armee!“ Auch Blumen⸗ sträuße wurden dort ,,. Die Offiziere erschienen auf dem Balkon und riefen: „Es lebe Frankreich!' Eine Schaar von Studenten und jungen Leuten durchzog die Straßen unter den Rufen: Nieder mit den Juten! Nieder mit Zola!“ Vor den Häusern der Zeitungen fanden Beifallsäußerungen statt. Dann trennte sich die Menge ohne weiteren Zwischenfall. Eine gesonderte Gruppe zertrümmerte die Spiegelscheiben an Läden, die Juden gehören. In Lyon veranstalteten Studenten vor dem „Journal du Peuplen, welches für Zola Partei genommen hatte, Kundgebungen und zertrümmerten die Fensterscheiben des Hauses. Das Personal des Blattes setzte sich zur Wehr; einige Studenten wurden durch Stockschläge und Steinwürfe verwundet.

Italien.

Der Papst hielt gestern bei dem Empfange von etwa 400 römischen Patriziern eine Ansprache, in welcher er, dem „W. T. B.“ zufolge, die Huldigung derselben als Bethätigung der unauflöslichen Allianz zwischen dem Papstthum und einer Stadt bezeichnete, welche den Charakter eines heil gen Ortes habe. Der Papst wies die Ansichten, welche diese Treue als unheilvoll für das Vaterland dar⸗ stellten, zurück. Die Nation werde solange kein Heil haben, als sie dem Einfluß der Sektierer ausgesetzt sei. Schließlich forderte der Papst zur Uebung von frommen Werken und Tugenden auf, welche die beste Bürgschaft des Heils inmitten der schwierigen Zeiten seien.

Türkei.

Das modifizierte Abkommen über die Anleihe ist nach einer Meldung des „W. T. B.“ vorgestern von dem Ministerrath genehmigt und dem Sultan zur Sanktionierung unterbreitet worden.

Die mit Leontjew nach St. Petersburg entsandte abessynische Mission ist von Odessa in Konstantinopel eingetroffen.

Rumänien.

Der König hat, wie „W. T. B.“ meldet, die De⸗ mission des Justiz-Ministes Djuvara angenommen und den Ackerbau⸗Minister Stolojian interimistisch zugleich mit dem Justiz⸗Portefeuille betraut.

Bulgarien. Die Fürstin Marie Louise ist, wie „W. T. B.“ ,, gestern Abend von einer Prinzessin entbunden worden.

Schweden und Norwegen.

Der schwedische Reichstag ist heute eröffnet worden. Das Budget weist, wie „W. T. B.“ meldet, 124 Millionen Gesammtausgaben auf und fordert u. a. die Bewilligung von 50 000 Kronen zur Erhöhung der Apanage des Kron⸗ prinzen unter Hinweis auf die von dem norwegischen

Storthing vorgenommene Herabsetzung derselben um die gleiche

Summe, ferner 350 090 Kronen zur ir, der Stadt Götehorg, 3 000 000 Kronen zu anderen Befestigungswerken und 6500 000 Kronen zum Bau neuer iche , g

Amerika.

Aus Havanna wird gemeldet, daß ein gewisser Picou in Santa Clara einen Mordversuch gegen den dortigen Präfekten gemacht habe. Der kommandlerende General in 6 Clara habe die sofortige Verhaftung des Verbrechers ewirkt.

Die Anführer der freiwilligen Truppen in Havanna haben ihre Zustimmung zu dem gesetzmäßigen Zu⸗ stand erneuert und ihre Unterstützung zur Aufrechthaltung der Ordnung angeboten. Der Direktor des Blattes „Recon⸗ centrado“ ist verhaftet worden.

A ien.

Wie das „Reuter'sche Bureau“ aus Peking vom gestrigen Tage meldet, hielt das Tsung-⸗li⸗Yamen vor— gestern Abend eine Konferenz wegen der vorgeschlagenen briti⸗ schen Anleihe ab. Der großbritannische Gesandte habe für die finanzielle Unterstützung unter anderen Bedingungen auch die Eröffnung von Talienwan und Nanning als Vertragshäfen gefordert. Der russische und der französische Gesandte hätten sich den britischen Vor—⸗ nen widersetzt. Eine weitere Konferenz solle heute statt— nden.

Demselben Bureau zufolge ist Chang⸗Yin⸗Ham zum Gouverneur von Schantung ernannt worden.

Parlamentarische Nachrichten.

Die Berichte über die gestrigen Sitz ungen des Reichs⸗ tages und des Hauses der Abgeordneten befinden sich in der Ersten und Zweiten Beilage.

In der heutigen (19) Sitzung des Reichstages wurde die zweite Berathung des Entwurfs eines Gesetzes, betreffend die Feststellung des Reichshaushalts-Etats für das Jahr 1898, und zwar des Etats des Reichsamts des Innern, bei dem Titel „Staatssekretär“ fortgesetzt.

Der Abg. von Kardorff (Rp.) nahm als erster Redner die in der letzten Sitzung begonnene Erörterung über den ver⸗ traulichen Erlaß des Staatssekretärs in Betreff der eventuellen Abänderung des 8 153 der Gewerbeordnung wieder auf. Er bezeichnete diesen Erlaß als einen seinem Inhalt nach völlig selbstverständlichen, dessen Geheimhaltung keineswegs absolut geboten gewesen sei.

(Schluß des Blattes.)

In der heutigen (4) Sitzung des Hauses der Ab⸗ geordneten, welcher der Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministe⸗ riums, Finanz⸗Minister Dr. von Miguel, der Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen, der Minister für Landwirth⸗ schaft ꝛc. Freiherr von Hammerstein und der Minister des Innern Freiherr von der Recke beiwohnten, wies zunächst der Präsident von Kröcher darauf hin, daß der Abg. Dr. Virchow gestern zum 25. Male zum Vorsitzenden der Rech⸗ nungskommission gewählt worden sei, und . ihm unter allseitigem Beifall den Dank des Hauses dafür aus, daß er 25 Jahre hindurch als Vorsitzender dieser Kommission seine . bemessene Zeit den Geschäften des Hauses gewidmet habe.

Sodann wurde die erste Berathung des Staatshaus⸗ halts-Etats für 1898/99 fortgefetzt.

Bei Schluß des Blattes hatte der Abg. von Eynern (nl.) das Wort.

Dem Hause der Abgeordneten ist nachstehender Entwurf eines Gesetzes wegen Abänderung des Gesetzes vom 26. April 1886 (Ges-Samml. S. 131), betreffend die Be⸗ förderung deutscher Ansiedelungen in den Pro— vinzen Westpreußen und Posen, zugegangen:

Einziger Artikel.

Das Gesetz vom 26. April 1886 (GesetzSamml. S. 131), be⸗ treffend die Beförderung deutscher Ansiedelungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, wird, wie folgt, abgeändert:

1I) Der im § 1 der Staatsregierung zur Verfügung gestellte 3. von 100 Millionen Mark wird auf 200 Millionen Mark kerhohl⸗

2) Im § 8 fallen die Worte „bis zum 31. März 1907“ und der Schlußsatz weg.

Die diesem Gesetzentwurf beigegebene Begründung lautet, wie folgt:

Das Gesetz vom 26. April 1886 (Gesetz.Samml. S. 131), be⸗ treffend die Beförderung deutscher Ansiedelungen in den Pro⸗ vinzen Wesipreußen und Posen, hatte sich die Aufgabe gestellt, gegen⸗ über der in steigendem Maße und unter Verdrängung der deutschen Elemente sich vollziehenden Ausbreitung der polnischen Natio⸗ nalität in diesen Provinzen das Deutschthum durch Ansiedelun deutscher Bauern und Arbeiter zu stärken Es bezweckte, dur

Seßhaftmachung deutscher Landwirthe zu verhindern, daß sich das

Nationalitätenverhältniß noch weiter, als es ohnehin schon geschehen, zu Ungunsten des Deutschthums verschiebe. Während das Gesetz auf diese Weise sein Ziel unter dem Gesichtspunkte der Abwehr be⸗ drohlicher Bestrebungen verfolgte, bezweckte es gleichzeitig, durch Hebung der Landeckultur im Wege einer planmäßigen Kolonisation der beiden Provinzen deutschem Geist und deutscher Sitte dort mehr und mehr Eingang zu schaffen.

Die Erfahrungen des letzten Jahrzehnts haben die Nothwendig— keit eines solchen Vorgehens der Staatsregierung bestätigt.

Die Verschiebung des Stärkeverhältnisses zwischen den beiden Nationalitäten zum Nachtheil der Deutschen hält an und hat im Gefolge die Entstehung einer großen Zahl ländlicher Kleinwirthschaften, die nach einem von polnischer Seite mit großem Eifer geleiteten Gütertheilungssysteme geschaffen werden. Von diesen ländlichen Kleinbetrieben nimmt die polnische Berölkerung in stetig wachsendem Umfange Besitz unter Bedingungen, die dem Deutschen eine seinen Bedürfnissen entsprechende Lebenshaltung und das Fortkommen auf solchem Anwesen nicht ermöglichen. So macht sich auf dem platten Lande eine steigende Zunahme des polnischen Kleingrundbesitzes bemerkbar, in seinem Erfolge noch unterstützt durch die Anziehungs—⸗ kraft, die der Westen auf die Deutschen in den Ansiedelungsprovinzen ausübt. Aber auch in den Städten zeigt sich mehrfach eine Ueberhand⸗ nahme der polnischen Nationalität in den Mittelständen, eine strenge Absonderung dersfelben von der deutschen Bevölkerung und eine

barmachung der durch deutsche Kultur erzeugten Intelligenz zu i mn m, wecken. Diese Sonderbestrebungen haben zu einer PVerschärfung der Gegenfätze und schließlich zu einer Haltung des Polenthums in Wert und Schrift geführt, die in Einer Bedrängung der deutschen Bevölkerung in sozialer und wirthschaftlicher ö. jhre 61 äußert. .

Einer solchen Eatwickelung muß die Staat zregierung zum Schutze der hierdurch bedrohten Deutschen wie zur Erhaltung des Friedens und der, Wohlfahrt der Staatsbürger mit Entschiedenheit entgegentreten. Sie hat sich deshalb im Stande der Abwehr ge⸗ nöthigt gesehen, mit dieser Vorlage auf dem von ihr mit dem Gesetze pom 26. April 1886 beschrittenen Wege weiter zu gehen.

Durch dieses Gesetz war der Staattzregierung für die Zwecke der Besiedelung ein Fonds von 109 Millionen Mark zur Verfügung gestellt worden, dessen Höhe, wie die Begründung eikennen läßt, mehr schätzungsweise, als nach bestimmten rechnerischen Unter sagen bemessen war. Es liegt auch in der. Natur der Sache, daß weder die Preieverhältnisse der für die Besiedelung zu er— werbenden Güter und die Aufwendungen für ihre Verbesserung und Aupassung an den kleinbäuerlichen Betrieb noch der Umfang der dem Fonds wieder zufließenden Cinnahmen beim Erlaß des Gesetzes auch nur mit einiger Sicherheit übersehen werden konnten. Dieser Fonds erweist sich nachgerade als nicht zureichend, um die Ziele des Gesetzes mit dem Nachdruck, den die Gestaltung der Verhältnisse jn den Ansiedelungsprovinzen erfordert, zu betreiben und in dem Maße zu verwirklichen, daß das deutsche Element gegenüber den nationalpolnischen Bestrebungen eine ausreichende und nachhaltige Stärkung erfährt.

Nach der letzten Denkschrift der Ansiedelungs⸗Kommission (Druck⸗ sachen für 1896ñ)97 Nr. 81 des Herrenhauses, Nr. 83 Abgeordnetenbauses) waren bis Ende des Jahres 1896 gesammt 183 Liegenschaften mit einem Flächeninhalt 52 724 ha für den Kaufpreis von rund 56 Millionen Mark erworben. Hiervon waren 34 689 ha mit 1975 Kolonisten besiedelt. Unter Berücksichtigung der im Jahre 1897 unverhältnißmäßig gestiegenen Besiedelungsziffer und unter Zugrundelegung der bis— herigen Durchschnittsgröße der Besiedelungen einschließlich der Land—⸗ ausstattungen für die öffentlichen Verbände ist anzunehmen, daß mit Ende des laufenden Etatsjahres 2200 Ansiedler auf einer Fläche von etwa 44 000 ha angesetzt sein und daß bei Zunahme des Grund⸗ erwerbs bis zu 100 000 ha sonach rund 56 0600 ha zur Begebung übrig bleiben werden.

In Würdigung der namhaften Schwierigkeiten, die die Lösung jeder kolonisatorischen Aufgabe bietet, ist dieses Ergebniß befriedigend und erfolgreich zu nennen, um so mehr, als nicht verkannt werden darf, wie sich für den Fortgang der Besiedelung hier naturgemäß Verzögerungen dadurch ergeben, daß auf die Verkaͤuflichkeit geeigneter Güter ein Einfluß nicht geübt werden kann. Dazu kommt, daß die erworbenen Guter der Regel nach erst während eines längeren oder kürzeren Zeitraums verbessert und für die Umwandlung in bäuerliche Anwesen eingerichtet werden müssen, und daß eine die nationalen und wirthschaftlichen Ziele des Ansiedelunge⸗ gesetzes gleich sorgfältig berücksichtigende Auswahl unter dem Ansiedler⸗ angebot die Zahl der brauchbaren Bewerber erheblich vermindert. Trotz dieser Schwierigleiten ist bereite in umfassendem Maße, wie die dem Landtage alljäbrlich zugehenden Denkschriften im einzelnen nach⸗ weisen, die Landeskultur in den beiden Provinzen gehoben worden durch die Meliocation der vielfach verwahrlosten Güter, durch Aus⸗ legung eines rationellen Wege und Grabennetzes üher alle Theile des zur Besiedelung bestimmten Gebiets, durch die Einführung jweck— dienlicher Wirthschaftmethoden auf den zwischenzeitlich verwalteten Gütern und durch Schaffung lebensfäbiger mittlerer und kleinerer bäuerlicher Betriebe an Stelle der ehedem um ihre Existenz kämpfenden Großwirthschaften. ö

Durch Heranziehung gesitteter, arbeitsamer und kapitalkräftiger Elemente aus allen Theilen Deutschlands ist der ländlichen Bevölke⸗ rung der Ansiedelungspropinzen ein werthvoller Gewinn an Intelli⸗ genz zugeführt worden, der sich allenthalben sowohl in der fort⸗ schreitenden Entwickelung der wirthschaftlichen Lage der einzelnen Ansiedler, als auch in der Hebung und Kräftigung des Gemeinsinns äußert. Wie einerseits mit Erfolg auf dem Zusammen⸗ schluß der Ansiedler zu genossenschaftlichen Vereinigungen zwecks höherer Verwerthung der landwirthschaftlichen Erzeugnisse hingewirkt worden ist, so hat andererseits die Regelung der öffentlich rechtlichen Verhältnisse in 80 Gemeinden durch reichliche Ausstattungen eine besondere Fürsorge erfahren.

Auch in finanzieller Hinsicht ist der leitende Gesichtspunkt in der Begründung des Gesetzes vom 26. April 1886 seither festgehalten worden, daß eine angemessene Schadloshaltung des Staats sicher zu stellen ist und daß man sich, ohne finanzielle Vortheile für ihn ge⸗ winnen zu wollen, im Großen und Ganzen mit einer mäßigen Ver⸗ zinsung des aufgewendeten Kapitals begnügen muß, wenn die Ziele des Gesetzes erreicht werden sollen.

Es wird, selbst unter Mitherücksichtigung der allgemeinen Ver⸗ waltungslosten, eine Verzinsung des gesammten aufgewendeten Kapitals von über 2 060 erzielt werden. Bringt man daneben die Erhöhung der Steuerkraft in Anschlag, die sich aus dem Ersatz des angekauften, vielfach schwachen Großgrundbesitzes durch einen leistungsfähigen mittleren und kleineren Besitz ergiebt, sowie die Ausgaben zu allgemeinen Zwecken der Landeskultur und zu öffentlichen Einrichtungen, wofür zum theil sonst andere Staatemittel hätten verwendet werden müssen, so ist das Opfer, das dem Staate durch diese Kolonisierungsaufgabe auferlegt wird, ein verhältnißmäßig geringes zu nennen. Es verliert in dem Maße an Belang, in welchem man die Stärkung des Deutsch⸗ thums und die kulturelle Hebung der Ansiedelungsprovinzen vom Standpunkte ihrer hohen sozialpolitischen und wirthschaftlichen Be—⸗ deutung würdigt. .

Für ein weiteres zweckförderndes Vorgehen der Ansiedelungs« Kommission ergiebt sich nun aber ein Hemmniß in der Bemessung des durch Gesetz vom 26. April 1886 bereit gestellten Fond. Mit Abschluß des Etatsjahrs 1897198 werden unter Verwendung aller dem Fonds bis dahin gemäß F 8 a. a. O. wieder zuge⸗ flossenen Beträge gegen 80 Millionen verausgabt sein. Es würden demnach der Ansiedelungs Kommission am 1. April 1898 nur noch 20 Millionen und diejenigen Rückeinnahmen zur Verfügung stehen, die dem Fonds bis zum 31. März 1907 als dem Zeitpunkte zufließen, von dem ab sie den allgemeinen Staattz⸗ Einnahmen hinzutreten. Nach dem Schlußsatze des 1 4. . O. soll mit der käuflichen Erwerbung von Grundststücken nur in dem Umfange vorgegangen werden, daß hinlängliche Mittel zur Bestreitung der für die erstmalige Einrichtung und die erstmalige Regelung der Gemeinde Kirchen und Schulverhältnisse der Ansiedelungen erforderlichen Kosten übrig bleiben. Die vorherige Bemessung dieses Kostenaufwandes ist überaus schwierig; um so vorsichtiger muß bei Veranschlagung des zurück zu behaltenden Betrages verfahren werden. Nun ist nach den bisherigen Erfahrungen anzunehmen, daß der vorstehend nachgewiesene Fonderest am 1. April 1898 zuzüglich der künftigen Einnahmen zum weitaus größten Theile erforderlich sein wird, um die erwähnten Einrichtungen auf den noch unbesiedelten Flächen der erworbenen Güter von rund 565 000 ha zu bestreiten. Es würden also von diesem Fonds nur noch einige wenige Millionen zu ferneren Gattzankäufen Verwendung finden dürfen, und es hätte die Ansiedelungs⸗ Kommission im nächsten Eiatsjahre bereits mit der Abwickelung ihrer Geschäfte zu beginnen.

. Dies hieße, der kolonisatorischen Arbelt mitten in ihrer Ent— wicklung und ihren Erfolgen Halt gebieten und überdies zu einem Zeitpuntt, wo die starken Gegenströmungen einen besonders kräftigen Schutz des Deutschthums erfordern, und wo angesichts der großen Grund besitzbewegung vor welcher unter den noch fortdauernd ungünstigen landwirihschaftlichen Verhällnissen auch ein Theil des deutschen Grund⸗ esitzes in den Ansiedelungsprobinzen nicht mehr stand zu halten ver— mag, der Staagteregierung in erhöhtem Maße die Aufgabe erwächst, auf eine umfassende und in ihrer Bedeutung weit über die Gegenwart hinausrelchende Verbesserung der landwirthschaftlichen und sozialen Verhaͤltnisse der Änstedelungsprovinzen hinzuwirken. Unterließe dies

der Staat und verzichtete er auf jede fernere Nachfrage na rund⸗ besiz, so würde alsbald die schon jetzt, zumal ö. e , rührige private Parzellierungsthätigkeit in verstärktem Grade einsetzen und bei der geringen Kapitalkrast der zunäͤchst betheiligten eingesessenen ar , m für nf zur , Schaffung lebensunfähiger en und zu einer bedenklichen den ir n n führen. n nn n, us diesen Gründen erachtet es die Staatsregierung für eboten, den durch 8 1 des Gesetzes vom 26. April 1886 r g tel Fonds auf 290 Millionen Mark zu erhöhen. Eine solche Fondsverstaͤrkung wird sie in die Lage setzen, mit Nachdruck und dauerndem Erfolge in die noch anhaltend lebhafte Grundbesitzhewegung zu Gunften“ des Deutschthums einzugreifen und den Plan der ferneren Besiedelung in einem Maßstabe zu entwerfen und durchzuführen, wie ihn die N Lage in den Ansiedelungäprovinzen nothwendig er⸗ Diese Möglichkeit wird der Staatsregierung um so erer gewährleistet, wenn die Beschränkung der . inner , . die Rückeinnahmen dem Ansiedelungsfonds wieder zufließen, beseitigt wird, wie dies schon in der Regierungtvorlage des Gesetzes vom 26. April 1886 vorgesehen war. Während hierdurch der Staats- Jegierung eine für die Lösung ihrer Aufgabe erwünschte Bewegungs— freiheit eingeräumt wird, schafft die auch fernerhin in Geltung bleibende Bestimmung des § 8 a. a. O., daß jene Rückeinnahmen alljährlich in den Staatshaushalts, Etat aufzunehmen sind, dem Ver— fassungs recht sowohl, wie dem Budgetrecht des Landtages Genüge.

mr, 3 des „Eisenbahn⸗Verordnungzsblatts“, beraus⸗ , im Ministerium der öffentlichen Arbeiten, vom 14. Januar, at folgenden Inbalt: Erlasse des Ministers der öffentlichen Arbeiten: vom 3. Januar 1898, betr. Einrichtungen, die es den Reisenden er⸗ leichtern, sich auf den Eisenbahnstationen zurechtzufinden; vom 4. Ja—⸗ nuar 1898, betr. Vorprüfung der Genehmigungsgesuche zu Dampf— kesselanlagen und ihrer Unterlagen; vom b. Januar 1898, betr. Bil⸗ dung von Direktionsgruppen fuͤr Stellenbesetzungen. Nachrichten.

Statistik und Volkswirthschaft.

Zur Arbeiterbewegung.

Zum Ausstande der englischen Maschinenbauarbeiter meldet . W. T. B. weiter auß London: Die Gesellschaft der Angestellten im Maschinenbau, Gewerbe in London richtete am Montag an den Arbeitgeber Verband ein Schreiben, in welchem sie offiziell mittheilt, sie ziehe die Forderung des Achtstundentages zurück, und die Hoffnung ausdrückt, die Arbeitgeber würden nunmehr die Sperr⸗Ankündigungen zurückziehen. Die Gesellschaft hat auch mehrere Abordnungen an die Arbeitgeber entsandt. Ferner wird aus Manchester berichtet, daß noch von einer Reihe weiterer Firmen Sperr⸗ ankündigungen erlassen worden sind. Auch die Firma Golloway, die größte Dampfkesselfabrik der Welt, befindet sich unter ihnen. In Glasgow hat eine Anzahl unionistischer Arbeiter um Wieder⸗ aufnahme in die Schiffsbauhöfe gebeten.

Aus Ancona meldet W. T. B.“: Durch ein sozialistisches Manifest war die Bevölkerung aufgefordert worden, gegen eine hier erfolgte Erhöhung der Brotpreise zu protestieren. Gestern Vormittag begaben sich etwa 100 Frauen mit ihren Kindern nach dem Rathhause, um eine Herabminderung der Brotrreise zu verlangen. Der Bürgermeister versprach, alsbald entsprechende Maßnahmen zu treffen. Inzwischen hatte sich eine große Zahl von Männern dazu gesellt. Einige Kinder warfen Steine gegen die Fenster des Rathhauses. Nachdem die Polizei den Platz vor dem Rathhause gesäubert hatte, ergoß die Menge sich, von der Polizei verfolgt, in die Straßen und zertrümmerte durch Stein⸗ würfe mehrere Schaufenster; infolgedessen wurden die Geschäfte ge⸗ schlossen. Es kam zu Tumulten; einige Beamten der öffentlichen Gewalt und eine Frau wurden verwundet. Mehrere Verhaftungen wurden vorgenommen. Die Kundgebung wurde fortgesetzt, um die Entlassung der Verhafteten zu erwirken, und die Ruhe erst Abends wieder hergestellt.

Aus Wasbington wird dem Londoner Daily Chroniele“ gemeldet: 15 000 Arbeiter und Arbeiterinnen der Baumwoll spinnereien haben die Arbeit niedergelegt; der Ausstand nimmt an Ausdehnung zu.

Verkehrs⸗Anstalten.

Laut Telegramm aus Goch ist die erste englische Post über Vlissingen vom 17. Januar ausgeblieben. Grund: Nebel auf See.

Laut Telegramm aus Köln (Rhein) ist auch die zweite englische Post über Ostende vom 17. Februar ausgeblieben. Grund: Nebel auf See und Zugverspätung in Belgien.

Bremen, 17. Januar. (W. T. B.) Norddeutscher Lloyd.

Dampfer Mainz“, n. Brasilien best., 15. Jan. Dover passiert. Werra“ 15. Jan. v. New⸗ York n. Bremen abgeg. Witte kind‘ 16. Jan. Reise v. Southampton n. d. La Plata fortges. „Pfalz. 16. Jan. vom La Plata in Antwerpen eingetr. „Sachfen“ 16. Jan. Reise v. Bort Saiden. Ost⸗Asien fortges. „Willehad? a. d. Reise n. Baltimore 15. Jan. Prawle Point passiert. d 18. Januar. (W. T. B.) Dampfer Weimgr“ n. New Jork beft., 17. Jan. Mittags Lizard passiert. „Prinz Regent Luitpold“ 17. Jan. Mrgs. in Southampton angek, „Ems“ 17. Jan. Vm. Reise von Gibraltar n. New. Jork fortgesetzt.

Hamburg, 17. Januar. (W. T. B) Hamburg-Am erika⸗ Linie. Dampfer ‚Polaria“, von Hamburg kommend, ist gestern in St. Thomas eingetroffen.

London, 17. Januar. (W. T. B.) Castle⸗-Linie. Dampfer „Avondale Castler ist auf der Heimreise gestern in Lon don an— gekommen. D. „‚Dunolly Castle“ ist auf der Ausreise am Sonnabend in Kapstadt eingetroffen. D. „Garth Castle“ ist auf der Ausreise am Sonnabend von Southampton abgegangen. BV. ‚Lism ore Castle- ist auf der Autsreise gestern in Mauritius angekommen.

Rotterdam, 17. Januar. (W. T. B) Holland-Amerika⸗ Linie. Dampfer Werken dam“ von New. York gestern Vorm. nach Amsterdam abgegangen. D. . Edam., von Amsterdam nach New. Jork, und ‚Veendam“, von New Jork nach Rotterdam, haben

heute Vorm. Seilly passiert.

Theater und Musik.

Königliches Schau spielhaus.

Gestern Abend ging Goethe's politisches Drama Die Auf⸗ geregten“ in einer ergänzenden Bearbeitung von Felix von Stenglin jum ersten Mal und mit schönem Erfolge in Seene. In diesem fragmentarischen Werk, welches aus den Jahren 1799 und 1794 stammt, gab Goethe

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Ge⸗ frei⸗ 6 mit. Gewalt ertrotzen und noch einige Vortheile darüber hinaus bei dieser Gelegenheit erlisten wollen. Goethe erwägt in dem Lustspiel sorgfältig und klug die Rechte und Pflichten der Herrscherin und der Beherrschten, welche, wenn beide Theile von edlen und rechtlichen Gesinnungen in ihrem Verhalten bestimmt werden, allezeit und allerorten in wohlthätiger Eintracht zusammenwirken können. So hatte der Dichter das unvollendet gebliebene Werk angelegt, und genau nach seinen Aufzeichnungen ist es von F. von Stenglin ergänzt worden. Der Bearbeiter hat den zweiten Akt geschickt mit dem dritten zusammengejzogen. Die fingierte Nationalversammlung, in der die Schloßherrschaft und die Bauern sich gegenseitig aussprechen wollen, hat er nach den kurzen Andeutungen Goetheis selbständig ergänzt und dann den bei Goethe fehlenden letzten Akt angefügt. Das Werk, wie es jetzt vorliegt, besitzt zunächst kulturhistorische Bedeutung durch die Eigenart der Charaktere und der sozlalen Ver⸗ hältnisfe, welche geschildert werden. Die dichterische Kraft Goethe's tritt in einzelnen starken Empfindungen und sprühenden Geistes funken unverkennbar hervor; aber die innere Unlust an dem Stoff hat wohl seine Gestaltungskraft beeinträchtigt. Man muß an der vornehmen Ruhe genügen lassen, mit welcher der Gegenstand behandelt wird. Einen derberen, possenhafteren Ton, der für einzelne scenische Vorgänge ganz am Platze ist, schlägt Stenglin an und erzielt damit kräftige humoristische Wirkungen. Die Einstudierung und Inscenierung des Stückeßz war mit großer Sorgfalt vorbereitet worden. Frau Meyer (Gräfin), Fräulein Lindner (Luise) und Herr Keßler (Hofrath) verkörperten mit Anmuth und Würde drei schöne Gharaktere. räulein Hausner verlteh der gutherzigen, aber ungestümen Komtesse Friederike, welche mit angelegter Flinte von dem tückischen Amtmann ein veruntreutes Dokument und damit den Bauern ihre Rechte erobert, die erforderliche Energie. Die verliebte schwache Tochter des Chirurgus gab Fräulein von Mayburg liebenswürdig und natürlich. Herr Purschian spielte einen leichtfertigen Baron mit vornehmer Zurückhaltung, und Herr Vollmer wurde als Träger der Hauptrolle, der des prahlerischen, selbstgefälligen Cbirurgus Breme von Bremenfeld, durch seinen drolligen Humor auch der Held des Abends.

Konzerte.

Die schnell zu Ruf gelangte Sängerin Fräulein Clara Butt gab am Donnerstag v. W. im Saal der Philharmonie ein Konzert mit dem vom Kapellmeister Rebiek dirigierten Orchester des Hauses. Sie trug Beethoven's „In questa tomba“, Händel's Ombra mai fü“ und Gesänge von Schubert, Schumann und Anderen vot. Ihre Altstimme ist von auffallend schönem Klang, aber noch nicht vollkommen ausgebildet und konnte sich hauptsächlich aus diesem Grunde dem Orchester gegenüber nicht immer genügend Geltung ver⸗ schaffen. Dennoch wurde ihr so lebhafter Beifall zu theil, daß sie Bohm's „Still, wie die Nacht“ und ein englisches Lied zugeben konnte. Das Orchester, das außer der Ouvertüre zu „Fidelio“ von Beethoven noch mit einer Ballade von G. G. Taubert die Hörer er⸗ freute, verdient Anerkennung. Der Pariser Pianist Herr Alfred Cortot, welcher vor kurzem von Herrn Edouard Risler hier eingeführt wurde, gab ebenfalls am Donnerstag im Sagal Bechstein einen eigenen Klavierabend, der den Zuhörern die erwünschte Gelegenheit brachte, den Künstler auch einmal allein zu hören. Beethoven's Sonate: „Abschied, Trennung und Wiedersehen“ (op. Sl a) sowie die A-cdur-Sonate (op. 101) desselben Meisters trug der Pignist mit musterhaft geschulter Technik und mit einer Tiefe der Auffassung vor, die 2 Ein⸗ druck auf die Hörer machte. Die männliche, kraftvolle Art des An⸗ schlags war in den Allegrosätzen durchaus am Platze, während in der Cantilene manchmal mehr Weichheit zu wünschen blieb. Außerdem spielte der Künstler noch kleinere Stücke von Chopin und Lisit, die gleichfalls mit wohlverdientem Beifall aufgenommen wurden. Das dritte Konzert des Böhmischen Streichquartetts der Herren Hoffmannn, Suk, Nedbal und Professor Wihan, welches an demselben Tage in der Sing⸗Akademie stattfand, ge⸗ staltete sich durch die Mitwirkung des . Perrn Edouard Risler zu einem besondeis interessanten Ereigniß. Mit großer Kraft und Präzision führte der letztere den Klavierpart in dem F-moll. Klavierquintett (op. 34) von Brahms durch. Sowohl diese Nummer wie die beiden Quartette des Pro⸗ gramms: Armoll von R. Schumann und Cis-moll (op. 131) von Beethoven, wurden von den Konzertgebern in der gewohnten tadel⸗ losen Aussührung zu Gehör gebracht. Auch im großen Saal des Architektenhauses fand an demselben Tage eine mustkalische Veranstaltung statt. Der Hugo Wolf Verein gab hier ein Konzert, in welchem eine große Anzahl von Liedern des Komponisten, dessen Namen der Verein trägt und dessen Werken er Eingang ver⸗ schaffen will, zur Aufführung gelangten. Der Tenorist Herr Ludwig Heß, der seine Studien auf der Königlichen Hochschule unter Leitun des Professors Otto gemacht hat, sang zuerst drei ernste Lieder na Texten von Mörike; ‚Wo find' ich Trost?.! „An den Schlaf“ und Auf ein altes Bild‘, in welchen seine klangvolle, wohlgeschulte Stimme und sein ausdrucksvoller Vortrag gut zur Geltung kamen. Im weiteren Verlaufe des Abends trug derselbe noch einige heitere Lieder nach Eichendorff''chen Texten vor, von denen auf allgemeinen Wunsch Verschwiegene Liebe! und das zum ersten Male esungene Lieber Alles, wiederholt wurden. Auch die Sängerinnen Hirn Juang Heß und Margarete Tochtermann sowie der Baritonist Hialmar Arlberg brachten eine Reihe von Ge⸗ sängen des Komponisten, welchen außer von den vorgenannten Dichtern, Texte von Goethe und Heyse zu Grunde lagen, wirkunggvoll zu Gehör. Unter diesen gefielen besonders die an Brahmß'sche Vor⸗ bilder erinnernden Lieder Um Mitternacht und „Nun laß uns das Fenster schließen. Das Publikum bekundete durch zahlreichen Besuch und regen Beifall sein Interesse an den Bestrebungen des Vereins.

In der Sing Akadem te gab der Königlich sächsische Konzert⸗ meister Henri Petri am Sonnabend ein Konzert unter Mitwirkung des Pͤoilbarmonischen Orchesterg. Der hier nicht mehr un—2 bekannte Künstler, welcher die „Gesangsseene! von Spohr, die Variationen für Violine von Joachim und das D-dur-Konzert von Beethoven zu Gehör brachte, erfreute sowohl durch Wärme und Lebendigkeit des Tons, wie die seinem Vortrage eigene künstlerische Empfindung. Die zahlreichen Hörer nahmen jede Nummer mit leb⸗ haftem Beifall auf. Im Sag! Bechstein fand gleichzeitig ein Klavier Abend von Vera Maurina aus Mogtau statt, in welchem die aus der Schule Emil Sauer's hervorgegangene, begabte Künstlerin zum ersten Mal vor dem hiesigen Publikum er⸗ schien. Mit großer Kraft des Anschlags und Sicherheit im Technischen verband ste zugleich eine seelendolle und stets fesselnde Art des Vortrag. Daß sie von dem Pedal nur mäßig Gehrauch machte, sei ebenfalls besonders anerkannt. Sie spielte die Orgel ,,. und Fuge in H-dur von Bach Busoni, in der die rapiden

ktavengänge beider Hände Bewunderung verdienten, außerdem Beethoven's Songte in. Gedur (op. 31), die 25 Variationen nebst Fuge über ein Händel'sches Thema von Brahms, sowle kleinere Pigcen von Chopin, AÄrenely, Tschaikowety, C. Sauer und Lisjt. Das