1898 / 16 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 19 Jan 1898 18:00:01 GMT) scan diff

Großhandels ⸗Durchschnittspreise von Getreide an außerdeutschen Börsen ˖ Plãtzen für die Woche vom 10. bis A5. Januar 1898 nebst entsprechenden Angaben für die Vorwoche. 1000 kg in Mark. (Preise für prompte TLoko⸗] Waare, soweit nicht etwas Anderes bemerkt.)

Woche

. . anuar 15958 woche 156,27 18798 235, 533 228, 18 Ils, , IId. ß a, 55 171.12

146,88 146, 9ᷣ 233 7 2g , lõg, 95 1655 gh 155,31 1535,35

N, 93 98, 96 164,10 155,04 103,35 103,36

9420 92, h9 144,86 145,47

105,0 102,92 155,95 156,70

141,33 145,21 228,64 235,90

166,659 169,53 169,5 173,41 177,4 178, 82

1464 114,51 107 40 109.79 14220 145, 68

. fir Bod Wien. den e e, ö eff, ungarischer, prima

ste, slovakische

p Roggen, Mittelqualitãt Weizen, ö

fer, erste, Malz⸗

gen,, Weljen, Saxonka 1

Roggen Har, Ulka

Roggen. 1

Roggen lieferbare Waare des laufenden Monats

Welzen Antwerpen. Donau⸗ Weizen Red Winter Nr. 2 k Am sterdam.

St. Petersburger Weijen, Poln. Odessa⸗ London. a. Produktenbörse (Mark Lane). engl. weiß roth b. Gazette averages.

englisches Getreide, Mittelpreis aus 196 Marktorten

Liverpool.

]). .

168, 26 164,92

163,80 124,81 156,38

160, 07 187,21 179,26 169, 90 172.24 178,32 121,68 1098, 16 132,88

94,79

gg, 60

140,55 152,0

163,35 16566

163,49 121,7 155.52

16202 188,71 181,59 172,79 174,66 181,69 120,70 108,22 132, 95

93, hh

92,09

140,28 151,22

erfte

. ö Calffornier. Chicago Spring Northern Dulut

engl. gelber (neu) .. Californ. Brau⸗ Gerste Canadische Gn, r Chieago. Weizen, Lieferungs⸗Waare des laufenden Monats. New⸗JYork.

Weizen, Lieferungs⸗Waare des laufenden Monats.

Bemerkungen.

1 Tschetwert Weizen ist 163,89, Roggen 147, 42, Hafer 98, 28 8. angenommen; 1 Imperial Quarter ist für die Wetzennotiz an der Londoner Produktenbörse bod Pfd. engl. gerechnet; für die Gazette averages, d. h. die aus den Umsätzen an 196 Marktorten des Königreichs ermittelten Durchschnittspreise für einheimisches Ge⸗ treide, ist J Imperial Quarter Weizen 480, Hafer 312, Gerste —=— 400 Pfd. engl. angesetzt. 1 Bushel Weizen 60 Pfd. engl.; 1 Pfd. engl. 453,5 g; 1 Last Roggen 2100. Weizen 2460 Kg.

Bei der Umrechnung der Preise in Reichswährung sind die aus den einzelnen Tages⸗Notlerungen im ‚Deutschen Reichs- und Staats⸗ Anzeiger“ ermittelten wöchentlichen Durchschnitts, Wechselkursfe an der Berliner Börse zu Grunde gelegt, und zwar für Wien und Budapest die Kurse auf Wien, für London und Liberpool die Kurse auf London, für Chicago und New. Jork die Kurse auf New⸗York, für St. “ae,. Odessa und Riga die Kurse auf St. Petersburg, für Paris,

ntwerpen und Amsterdam die Kurse auf diese Plätze.

Deutscher Reichstag. 19. Sitzung vom 18. Januar 1898, 2 Uhr.

Die zweite Berathung des Entwurfs eines Gesetzes, be—⸗ treffend die Feststellung des Reichshaushalts-Etats für das Rechnungsjahr 1898, und zwar des Etats des Reichs— amts des Innern, wird bei dem Titel „Gehalt des Staats— sekretärs“ fortgesetzt.

Abg. von Kardorff (Rp.): Heute Morgen ist mir ein Artikel der Hamburger Nachrichten, vor Augen gekommen, worin gesagt wird, daß es

ar nicht zu begreifen sei, weshalb das Schreiben, a n. gestern Gegen tand der Debatte war, als vertrauliches bezeichnet wäre; denn es handele sich dabei um etwas ganz Selbstverständliches, um den Schu der arbeitswilligen Leute. Nicht nur die Konservativen, sondern . alle anderen Parteien bis weit über die Nationalliberalen hinaus haben aus Anlaß des Hamburger Ausstandes den Schutz der arbeits— willigen Arbeiter verlangt. Als das Sozialistengesetz noch in Kraft war, bedurfte man solcher verschärften Bestimmungen nicht; da hatte man gegen Autschreitungen den kleinen Belagerungszustand. Aber heute, nachdem das , , n, zu meinem Bedauern nicht wieder er⸗ neuert ist, sind die Bürgerkreise im ganzen Lande der Meinung, daß der bestehende Schutz für die arbeitswilligen Arbeiter nicht genüge. Daß die Regierungen Material sammeln, um ju prüfen, wie weit diese Strömung berechtigt ist, ist selbsiverständlich. Man hätte dag Schreiben also gar nicht als vertraulich zu bezeichnen brauchen. Herr Singer glaubte aus diesem Schreiben schließen zu können, daß die So eiefern, zum Stillstand gebracht werden solle. Damit wird er vielleicht bei seinen Gesinnungsgenossen, die ihm gegenüber etwag leichtgläubig sind, Glauben finden, aber nicht im Lande. Daß die Arbelter noch keine Roasstion gfreiheit hätten, ist eine absichtliche Irre⸗ führung der öffentlichen Meinung. Die Koalitionsfrelheit ist vorhanden, Sie (ju den e e enn verlangen nur, daß den Gewerk⸗ vereinen Korporationtrechte V. werden sollen. Wir sind aber der e n daß die . chen Erfahrungen auch die deutschen Arbeiter bedenkli machen sollten. Die Gutachten amerikanischer und deutscher Unternehmer, die England bereist haben, bezeugen, daß die Engländer nicht mit uns und mit den Amerikanern konkurrieren können, weil die ag gen Unternehmer durch die Gewerkvereine in ihrer Bewegungs⸗ frelheit eingeschnürt sind. Wenn wir den Gewerkveresnen Kör⸗ orationgzrechte geben, dann machen wir Tausende von Arbeitern von er Sozialdemokratie abhängig, die sich bisher noch frei gehalten haben. Die sozialdemokratische Partei fährt jetzt elne siegesgewisse * bei den nächsten Wahlen würden die sozialdemokratischen Stimmen wiederum junehmen. Das ist eine nothwendige Wirkung der Aufhebung des Soßialistengesetzeg, von dem die Sozialdemokraten immer behaupten, daß es. die Sozialdemokratie erst ge— ee. . i . . , , in den . rium Berle neingerathen waren. er dritte Grund des Anwachsens der

Sozlaldemokratie ist der!

n. 1 des landwirthschaftlichen Gewerbes, durch den die eute vom Lande in die Städte getrieben werden. Für den Nieder⸗ gang der Landwirthschaft hietet die Neuverpachtung der Domänen einen Beweis; da wird bestätigt, was ich schon früher gesagt habe, die Besitzer, die zu zwei Dritteln verschuldet waren, haben . Ver⸗ mögen ganz verloren. Diejenigen, die zu einem Brittel verschuldet waren, sind jetzt zu jwei Dritteln verschuldet. Alle sozialistischen und demokratischen Unternehmungen, die bisher versucht sind, sind ge—˖ scheitert. Die Siegesgewißheit der Sozialdemokratie ist daher nicht n berechtigt. Wenn das Christenthum das alte Heidenthum be—⸗ eitigt hat, so wird es auch das moderne Heidenthum Überwinden.

Inzwischen haben die Abgg. Dr. Pachnicke (fr. Vgg.) und Genossen folgenden Antrag .

die verbündeten Regierungen um die Vorlegung eines Gesetz⸗ entwurfs zu ersuchen, welcher die dem Koalitionsrecht noch entgegen⸗ stehenden Beschränkungen beseitigt, insbesondere a. den 5 152 der Reichs⸗Gewerbeordnung dahin abändert, daß Verabredungen und Vereinigungen zur Erlangung günstiger Lohn⸗ und Arbeits⸗ bedingungen auch dann erlaubt sind, wenn sie nicht oder nicht nur die unmittelbaren Interessen der sich Ver⸗ abredenden oder Vereinigenden, sondern auch die Interessen der Arbeiter und Arbeiterinnen im allgemeinen betreffen, oder darauf gerichtet sind, Aenderungen in der Gesetzgebung und Staatsverwal⸗ tung herbeizuführen; h. den im 5 152 der Reichs⸗Gewerbeordnung erwähnten Vereinigungen und sonstigen zur Wahrnehmung von Berufginteressen gegründeten Vereinen gestattet, mit einander in Verbindung zu treten; C. den zur Wahrnehmung von Berufsinter⸗ essen begründeten Vereinen Rechtsfähigkeit verleiht, wenn fie den FS§ 55 bis 60 des Bürgerlichen Gesetzbuchs genügen.“

Abg. Dr. Lieber (gentr.): Bezüglich des Rundschreibens steben wir auf einem anderen Standpunkt als die Sozialdemokratie. Die Thaten, die die Sozialdemokratie tadelt, sind ja in dem Rund⸗ schreiben noch nicht als beabsichtigt hingestellt, . es handelt sich nur um Erhebungen. Ich kann nicht verhehlen, daß einige der aufgestellten Fragen recht bedenklich sind. Aber wir werden die Entschließungen der verbündeten Regierungen abwarten, die ja schließlich mit einem Gesetzentwurf an uns kommen müssen. Zu⸗ gegeben werden muß allerdings, daß die Sozigldemokraten das Rund schreiben in dem Lichte einer Aeußerung des Staatssekretärs betrachtet haben, in der er davon sprach, daß unter dem allgemeinen Wahlrecht das Koalitionsrecht nicht so nothwendig sei. Was diese beiden Dinge miteinander zu thun haben, verstehe ich nicht. Das eine ist ein poli- tisches, das andere ein wirthschaftliches Recht. Der Geift, der aus diesen Worten athmet, deutet darauf hin, als ob man eine Beschränkung der Koalitionsfreiheit beabsichtige. Wir sind nicht abgeneigt, in Er— wägungen darüber einzutreten, ob nicht Arbeitswillige geschützt werden müssen gegen den Terrorismus ihrer nichtarbeitenden Kollegen; aber das muß ohne Beeinträchtigung des Koalitionsrechts geschehen. Wir werden dabei auf dem Boden der absolutesten Parität der Arbeiter und Arbeitgeber stehen bleiben. Gegenüber der Haltung der Zentrumspartei, gegenüber den Vorschlaͤgen der verbündeten Re— gierungen von 1591 hätte Herr Singer wohl unterlassen können, unsere Stellung in dieser Frage in Zweifel zu ziehen. Ver Zentrumspartei ist die Ablehnung der 1891 beantragten Ver schlechterung des § 153 der G. O, zu verdanken. (Zuruf des Abg. Singer (Soz.): Die Hauptsache ist, daß Sie 1899 ebenso stimmen.) Glauben Sie, daß diejenigen, welche 1891 grundsätzlich gegen den W lb3 . gestimmt haben, 1899 dafür stimmen werden? (Abg. Singer: Das ist ja schön.) Die beste Hinderung des Kontraktbruches ist die Organisation der Arbeiter. Aber die Sozialdemokraten sind die ärgsten Feinde der Organisation christlicher Arbeiter. Eine Frage vermisse ich übrigens in dem Rundschreiben des Staats sekretärs, man sollte fragen: Wer treibt denn am meisten Mißbrauch mit dem Koalitionsrecht: die Gewerkvereine oder die Wilden?

Abg. Dr. Osann (nl): Das Rundschreiben enthält nicht das, was man ihm vorwirft. Es läßt sich nicht bestreiten, daß die Wirk samkeit mancher Vereinigungen oft genug unliebsam zu Tage getreten ist, daß oft nach dem Satze verfahren wird: Und folgst Du nicht willig, so brauch' ich Gewalt. Der Ausstand in Hamburg, der Maurerstrike in Leipzig haben Excesse mit sich gebracht, die man nicht ruhig hin— nehmen kann. Zur Bezeichnung des Erlasses als „vertraulich“ lag kein Anlaß vor. Aber es ist bedenklich, wenn eine Partei es offen aus⸗ spricht, daß sie solche Aktenstücke, auch wenn sie durch Amtsmißbrauch in ihre Hände kommen, veröffentlicht wird. (3wischenruf des Abg. Singer: Das thun dle Andern auch.) Freiheit ist es nicht, wenn Ar⸗ beiter, die arbeiten wollen, zum Ausstande gezwungen werden. Die Vexationen der Arbeiter durch Drohungen, Beleidigungen, Thätlich⸗ keiten, Verrufterklärungen ꝛe. sind so bedenklicher Art, daß man wohl einen Schutz dagegen ins Auge fassen kann. Wenn darüber Erhebungen veranstaltet werden, so ist das selbstverständlich. Man braucht deshalb nicht mit jedem Wort des Rundschreibens einverstanden zu fein. Wir haben keine Ursache, unseren Standpunkt zu ändern, daß nämlich bei Wahrung voller Koalitionsfreiheit die Einzelnen gegen Gxeesse geschützt werden müssen. Wir brauchen unseren Standpunkt nicht aufjugeben, am allerwenigsten vor den Wahlen. Wir buhlen nicht um die Stimmen der Sozialdemokraten.

Abg. Dr. Pachnicke (fr. Vgg.):; Noch ehe der vertrauliche Erlaß des Staatssekretärs auf den Redaktionstisch des Vorwärts“ geflogen war, hatten meine Freunde einen Antrag eingebracht, der im Gegensatz zu diesem Erlaß die Beseitigung aller Hindernisse des Koali⸗ tionsrechts verlangt. Dieser Antrag ist jetzt in eine Resolution zum Etat verwandelt worden, denn uns kam der Erlaß nicht überraschend nach der Stellungnahme verschiedener Unternehmervereine zur Frage des Koalitionsrechtß. Die Rechtsprechung wendet das Koaßlitionsrecht nur auf das einzelne Arbeitsverhältniß an; sobald es sich aber um allgemeine und ian, m Fragen handelt, sind die Vereinigungen der Arbeiter den Landeggesetzen unterworsen. Redner empfiehlt darauf seinen Antrag und fährt dann fort: Excesse gegen arbeite willige Personen sind nur selten vorgekommen, sodaß es nicht nothwendig sst, die Gesetzgebungsmaschine in Bewegung zu setzen. Der Erlaß ist bedenklich wegen des Zeitpunkts, an welchem er in die Oeffentlichkeit tritt; er dient nur dazu, die Sozialdemokratie zu stärken und zu sördern. Der Februarerlaß von 1890 sichert den Arbeitern das Koalitiontzrecht zu; es jeigt sich aber ein starkes Schwanken in der Handhabung der Sozialreform. Es besteht ein ganzes Arsenal von Strafbestimmungen gegen die Arbeiter, bei deren Anwendung niemals auf Milde gerechnet werden kann. Die Urtheile der Gerichte entsprechen in dieser Be⸗ ziehung oft nicht ganz dem gesunden Menschenverstande. Der Erlaß ist nicht so unschuldig, wie er dargestellt worden ist, er bedeutet die Einleitung einer gesetzgeberischen Aktion. Wir legen Werth darauf, festjustellen, daß es unrichtig ift, daß über die Kreise der National⸗ enn. . Freunde der Einschränkung des Koalitionsrechts vor⸗

anden sind.

Abg. Dr. Graf Udo ju Stolberg Wernigerode (d. kons): Es handelt sich garnicht um einen Erlaß, sondern um eine einfache Umfrage. Dag ist bei der Entscheidung der Sache doch von einiger Bedeutung. Wir vergeuden unsere Zeit überflüssig; denn es liegt gar nichts vor, worüber wir debattieren können, weder eine Verwal tungs— maßregel noch eine Vorlage. Daß für die Umfrage Gründe vorgelegen haben, ist von verschiedenen Seiten festgestellt; es sind unliebsame Dinge fast bei jedem Strike vorgekömmen. Die Polijei hat es nicht immer hindern können, daß Arbeiter mit Gewalt von der Arbeit zurück= gehalten worden sind. Ich kann nur bedauern, daß so wichtige An= träge, wie der des Abg. Pachnicke, im letzten Augenblick eingebracht werden. Wenn die Arbeiter von ihrem Koalitongrecht keinen Ge— brauch machen könnten, dann hätten doch nicht so viele Strikes statt= finden können, wie es wirklich der Fall gewesen ist. Wenn der An trag Pachnicke für die Sozialdemokratie gefährlich wäre, fo würden die Sozialdemokraten doch den Antrag nicht unterschrelben. Ich kann im Namen meiner Freunde erklaren, daß wir gegen den Antrag stimmen werden.

Abg. Dr. Schneider g. Volkep.) geht auf die Jabresberichte der Fabrikin spektoren ein, die eine gewisse Bereicherung dadurch erführen, daß Zahlen angegeben seien über die Betriebe, die der Fabrlkaussicht

unterstellt seien; allerdings seien diese Zahlen vergleichbar. Da ergiebt ih. fährt der ort. daß noch nicht ein Drittel sammtlicher in Preußen befindlichen Betrieh im letzten Jahre revidiert worden sind. Die Zahl der Auf sichtsbeamten ist ja vermehrt worden, aber sie müßten noch zahl. reicher sein. Ez wäre wünschenswerth, wenn sie sich schon beim Beginn von Lohnstreitigkeiten einmischen wollten, um Ausstände zu verhüten Diese Frage eng mit dem Rundschreiben des Staatgsekretärz ju. sammen. Die Anregung dazu wäre an den Herrn Staatz ekretar wohl nicht herangetreten, wenn man bei ihm nicht eine Neigun nach dieser Seite vermulhet hätte. Die Berichte der Fabri! inspektoren ergeben durchaus nichts zum Beweife dafür, daß. wie Graf Stolberg hehguptet, bei jedem Ausstande größere Greef vorkommen. Daß die Strafbestimmungen det 5 153 gegen die Arbeiter nicht ausreichen, wird von keinem Fabrikaufsichtsbenmten be⸗ hauptet, wohl aber klagen sie fast alle, daß die Uebertretung der gesetzlichen Vorschriften seitens der Arbeitgeber von den Gerichten nicht genügend geahndet werde. Wir werden uns zum Koalitiontrecht ebensg stellen wie 1391; es handelt sich um dessen Befestigung und um die Verleihung der echte fahig e an die Berufsvereink.

Abg. Legien (Soz) führt aus, daß die Regierung das Rund⸗ schreiben als vertraulich bezeichnet habe, weil sie den Sturm ber Entrüstung zurückhalten wollte, den das Bekanntwerden solcher Schritte, ehe die . vorbereitet sei, hervorgerufen haben würde. Ein neues Soialistengesetz würde die Zahl der Anhänger der Sozial⸗ demolraten nech stärker vermehren, als es jetzt der Fall sei. Nur auf dem Papier stehe die Koalitionsfreiheit, weil jede Pollzeibehörde sie ver⸗ nichten könne, während die organisierten Arbeitgeber jedem Arbeiter seine Koalitionsfreiheit absprächen. Wo seien denn Ausschreitungen der Arbeiter vorgekommen? Es wäre wünschenswerth, wenn das Beweismaterlai beigebracht würde. Und wenn einzelne Fälle vorgekommen, seien sie schwer bestraft worden. Vorgekommen seien solche Ausschreitungen, wo eine Organisation nicht bestand, oder wo die Uebebthäter der Organisation nicht angehörten. Von den Ausschreitungen der Unter⸗ nehmer und der Beamten gegen die Arbeiter habe der Staatssekretar nicht gesprochen. Ein Bürgermeister in Staßfurt habe aber aus den Listen der Gewerkvereine die Mitglieder den Unternehmern bekannt gegeben. (Redner führt auch noch einige andere Fälle an.) Die Re⸗ gierung wende sich mit ihren Fragen an das Unternehmerthum, von dem man kaum erwarten könne, daß es sich gegen die Verschärfung von Strafbestimmungen erklären sollte. Der Baugewerk. Innung verband habe die Sache angeregt, und gerade die Baugewerke f = derten die Organisation ihrer Arbeiter; wenn ihren Wunschen nach⸗ gegeben würde, so würde damit nur dem Bauschwindel Vorschub geleistet. Freiherr von Stumm habe davon gesprochen, daß die Arbeiter sich nicht die Groschen von den Blutsaugein aus der Tasche ziehen lassen sollten. Er habe damit jedenfalls die Kapitalistenklaffe gemeint. Oder habe er vielleicht die Sozialdemokraten gxmeint? Wenn mii den hristlichen Arbeitervereinen Differenzen beständen, so liege das 9 dem Hineintragen der religiösen Dinge in die rein ökonomischen ragen.

Persönlich bemerkt

Abg. Freiherr von Stumm (Rp.), daß er allerdings die Ka— pitalisten gemeint habe, aber nicht diejenigen, welche für ihre Arbeiter sorgen, sondern diejenigen, welche aus Arbeitergroschen hohe Gehälter in Parteiäm tern bejögen. ;

Gegen 5ö/ Uhr wird die weitere Berathung vertagt. Nächste Sitzung Mittwoch 2 Uhr. (Fortsetzung der ersten Berathung des vom Zentrum beantragten Entwurfs eines Ge— setzes, betreffend Aenderungen und Ergänzungen des Straf—

gesetzbuchs.)

Preusoischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

4. Sitzung vom 18. Januar 1898.

Das Haus setzt die erste Berathung des Staatshausz⸗ halts⸗-Etats für 1898/99 fort.

Abg. von Eynern (nl): Die Finanzlage ist erfreulicher ,. so vortrefflich, daß der Finanz. Minister selbst nicht recht weiß, wobin er mit all diesen Spartöpfen hin soll. Er verlangt det halb im Extra— ordinarium Summen, die im nächsten Jahre nicht verbraucht werden können; er entzieht diese Summen damit der jährlichen konstitutionellen Bewilligung und legt immer neue Juliusthürme an. Auch die Ueber⸗ schüsse im Reich sind so groß, daß daraus die Kosten für die Flotte gedeckt werden können. Da Zentrum sucht deshalb wit Hilfe des Budgetrechts Einfluß auf die Gestaltung der Dinge im Reiche auszuüben. Eine größere Schuldentilgung können wir nicht vornehmen, das Extra—⸗ ordinarium dürfen wir nicht überfüllen. Ich glaube im Gegensatz zum Finanz ⸗Minister, daß wir erst im Anfang einer großen Eniwicke⸗ lung unserer Industrie stehen; durch die Vorgänge in China wird sich unser Export sicherlich noch weiter entwickeln. Bei dieser Finanz- lage müssen wir die Ueberschüsse zu Steuererlassen benutzen. Dat fürchtet der Finanz ⸗Minister und malt die Zukunft düster; er be⸗ bauptet, daß wir jetzt in Preußen an direkten Steuern weniger be⸗ zahlen als 13530. Er hat dabei vergessen, daß die Realsteuern den Gemeinden überwiesen sind und daß es sich bei uns um die Ge— sammtsteuern handelt, die auch in den Gemeinden getragen werden müssen. Kein Kultursftaat der Welt ist mit direkten Steuern mehr belastet als Preußen. Im Kreise Hagen sind die Kommunalsteuer⸗ zuschläge bis auf 400 ½ gestiegen, sodaß viele Leute der Ver armung entgegengehen und das. Verlangen nach Steuererlassen berechtigt ist. Dazu kommt die allzuscharfe Steuereinschätzung seit der , g. die Beanstandungen der Steuererklärung bilden nicht die Ausnabme, sondern die Regel. Nicht der Finanz— Minister ist hieran schuld, sondern das System, die Ausführung der Steuerreform durch die preußische Bureaukratie und Fiskalltät. Gegen einen angesehenen Mann wurde ein Verfahren wegen Steuerdefraudation eingeleitet, weil er in einer Generalpersammlung einer Aktiengesellschaft 200 Aktien mehr zur Vertretung anmeldete, als er bei seiner Steuererklärung angegeben hatte. Das Verfahren wurde ehe nt. als er nachwies, daß er fremde Aktien mit vertreten habe. Unsere anständigen ehrlichen Bürger können wir nicht solchen Kontrolen unterwerfen. Eh würde sich empfehlen, die Veranlagungs— periode von einem auf drei Jahre zu verlängern, wie es auch bei der Vermögentzsteuer geschehen. Die Einkommensteuer bringt jetzt nicht mehr ein als in der Zeit der alten Steuereinschätzung, abgesehen natürlich von der Steigerung infolge Zunahme der Bevol erung. Die günstige Finanzlage ist vielmehr durch die Steigerung der Er— gebnisse unserer staatlichen Betriebe, namentlich der Eisenbahnen veranlaßt. Es ist zu entschuldigen, wenn bei den außerordentlich gestiegenen Ansprüchen unserer Kohlenindustrie der Waggonmangel i teen ist. Aber die Eisenbahnverwaltung leidet an einem Fehler im System, da sie auch für die Finanzen sorgen soll. Nie—⸗ mand kann jzween Herren dienen. Selbst die Verwendung des Fonds ven 5. Millionen jum Ankauf von Grund und Boden für Eisenbahnanlagen, den die Eisenbahnverwaltung ganz gut allein verwalten könnte, soll der Kontrole des Finanz. Ministers unter liegen. Wir müssen durchaus zu einer Trennung unserer Eisenbabn⸗ verwaltung ven der allgemeinen Finanzverwaltung kommen; unter dieser jo gere, Kontrole kann die Cisenbahnverwaltung nicht die nöthige Ruhe finden, um allen Ansprüchen gerecht zu werden. Die Eisenbahnunfälle sind ein beklagenswerther Beweis dafür. Nach der Denkschrift des Ministers der öffentlichen Arbeiten ist alles in schönster Ordnung; wer kann aber dieses umfangreiche Materlal durchstudieren, das umfangreicher ist als die sämmtlichen Goethe'schen Werke? Wir haben seit Jahren auf die Mängel hingewiesen, Mängel in den Geleisanlagen, Schwäche des Oberbaues, unzureichende Bahnhöfe, zu lange Züge, ungenügende Besoldung der Unterbeamten z.; die Denk⸗ schrift kann doch gegen uns nicht mit Recht den Vorwurf erheben, daß wir aus Mangel an Kenntniß“ Beschwerden erheben; ebenso wenig darf sie uns vorwerfen, daß wir aus Sparsamkeit Forderungen der

Eisenbahnverwaltung abgelehnt hätten. Wir haben nie eine Forderung

r die Betriebssicherheit abgelehnt. Ich sage nicht, daß der Hin fe nicht fähig sei, diese große Verwaltung zu leiten; er muß vom Finanz⸗Minister unabhängiger gemacht werden. In elner besonderen Eisenbahnkommission müssen wir diese Angelegenheiten prüfen, die verstärkte Budgetkommission ist nicht dazu geeignet. Ein großer Uebelstand ist die Zusammenpferchung des iehes in den Eisenbahnwaggonz. Die Gemeinden ollen gezwungen werden, ibre Lehrer ebenso zu stellen, wie die ehrer der staatlichen Anstalten gestellt sind. Diese Belastung können sie nicht tragen. Für manche Gemeinden wieder, die reich genug nd, sorgt der Staat mit Staatsanstalten. Ebenso ist es in der ö die reichen Gemeinden Kiel und Schöneberg bei erlin sollen Königliche Polizeiverwaltung erhalten, während andere Städte diese Lasten selbst tragen müssen. Im Etat der aus wärtigen Augelegenheiten kostet uns die Gesandtschaft beim Vatikan jährlich 100 000 M Das Reich bat 1874 seine dortige Gesandtschaft eingezogen, und Preußen hat sie wiederhergestellt. Der Vatikan scheint aber niemals den Frieden zu wollen, sondern nur den Krieg. Viele Katholiken wünschen mit uns im Frieden zu leben, aber der Papst verhält sich immer unfieundlich gegen uns und schürt den Haß gegen den Glauben, den zwei Drütel der preußischen Bewohner haben. Das Zentrum muß es selbst miß⸗ billigen, wie der Papst bei der Canisiusfeier die Reformation als Quelle der Sittenverderbniß hinstellte. Da kann der Friede und das freundschaftliche Verhältniß mit dem Papst nicht bestehen bleiben, und wenn das Zentrum den Frieden will, sollte es mit uns beantragen, die Gesandtschaft beim Vatikan aufzuheben. In dem nationalpolnischen Element sehen wir eine Gefahr für die Sicherheit unseres Staats und müssen es daher bekämpfen. Der Domänen⸗CEtat zeigt uns die verschlechterte Lage der Landwirthschaft. Die Industrie wird gern damit einverstanden sein, daß der Staat aus den von ihr gelieferten Ueberschüssen der Landwirthschaft hilft. Es ist nicht wahr, daß Industrie, Handel, Gewerbe und Landwirth⸗ schaft entgegenstehende Interessen haben; im Gegentbeil, wir haben alle gemeinsame Interessen, und das wird sich hoffentlich auch bei dem Abschluß der neuen Handelsverträge zeigen.

Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums, Finanz⸗Minister Dr. von Miquel:

Meine Herren! Gestatten Sie mir einige Bemerkungen zu den verschiedenen Reden, die wir bereits über den Etat hier gehört haben. Ich beginne mit dem Redner, den wir zuletzt gehört haben. Der Herr Abg. von Eynern stellt die Sache so dar, daß seine Freunde und er doch finanziell weiser gewesen wären als das ganze übrige Haus; denn sie hätten immer gesagt, ein wirkliches Defizit existiere ja garnicht. Er braucht. den Ausdruck: vor einigen Jahren sah die Sache nach den damaligen Darstellungen des Finanz—⸗ Ministers ganz anders aus. Nein, meine Herren, es sah nicht nach den damaligen Darstellungen des Finanz ⸗Ministers anders aus, wir hatten kein bloßes etatsmäßiges Defizit, wir hatten vier Jahre ganz reelle Defizits von über 100 Millionen insgesammt; das hing also nicht von der Darstellung des Finanz⸗Ministers ab, sondern von der harten Wirklichkeit, und, wenn wir jetzt Jahre des Ueber⸗ schusses haben, so hat man auch in der Finanzverwaltung aus der Ge⸗ schichte der gewerblichen Bewegung schon vorher gewußt und aus der Erfahrung, die wir in Preußen selbst gemacht hatten, daß einmal wieder Zeiten kommen könnten, wo wir infolge eben dieser gewerb⸗ lichen Entwickelung zu bedeutenden Ueberschüssen gelangen würden. Wir konnten aber mitten in den Defizitjahren nicht wissen denn die großen Krisen haben häufig zehn Jahre gedauert —, daß wir so schnell und in einem solchen Umfange zu einem so bedeutenden gewerblichen Aufschwung in der Industrie, in Handel und Gewerbe kommen würden, wie es thatsächlich der Fall gewesen ist. Herr von Eynern hat das selbst anerkannt, wenn er aus⸗ drücklich sagt: es hat das niemand in dieser Weise vorher wissen können, wie denn auch das ganze Haus dem vorsichtigen und spar— samen Begegnen der ungünstigen Zeiten, welches seitens der Finanz⸗ verwaltung damals vorgeschlagen und vertreten wurde, in vollem Maße in all' diesen Jahren zugestimmt hat.

Melne Herren, der Herr von Eynern sagt jetzt und das habe ich auch in verschiedenen Blättern gelesen —: der Finanz ⸗Minister wisse heute garnicht mehr, wo er mit seinem Gelde bleiben solle; er habe gar keine Verwendung dafür. Nun, meine Herren, dieser Etat beweist Ihnen das Gegentheil. Es ist Verwendung da, und es wird, wenn diese Ueberschüsse fortdauern, auch in den nächsten Jahren Ver⸗ wendung genug für die Meliorationen des Landes und die kulturelle und ideelle Hebung der Bevölkerung durch diese Mittel vorhanden sein. Darüber ist gar kein Zweifel. Vorläufig sind die Ueberschüsse allerdings, dem bestehenden, im vorigen Jahre in diesem hohen Hause verabschiedeten Gesetz entsprechend, zur Schuldentilgung verwandt. Aber, meine Herren, allerdings nicht zu einer wirklichen, direkten Schuldentilgung, wohl aber zu einer solchen, die in der Wirkung das—⸗ selbe ist. Bei der Aufführung, die wir bei einem Gelehrten gelesen haben, daß Abschreibung auf Kredite keine Schuldentilgung sei, brauche ich mich nicht weiter aufzuhalten. Das ganze Haus ist darüber vollständig im Klaren; aber ich mache doch darauf aufmerksam, weil wir noch immer in der Nothwendigkeit sind, neue Schulden zu machen, und weil diese neuen Schulden zwar ja im Großen und Ganzen für solche Unternehmungen gemacht werden, die eine Rente bringen, aber (das weiß jeder, der unsere Eisenbahnentwickelung kennt) die jetzt noch weiter gebauten Eisenbahnen haben größtentheils eine viel geringere Aussicht auf eine größere Rente als diejenigen, die wir früher gebaut haben. Da wird eine große Anjahl darunter sein, die kaum mehr als die Betriebskosten und jedenfalls geringe Zinsen bringen werden. Ich spreche deswegen aber durchaus nicht gegen den Ausbau der Bahnen; ich halte es für eine der heilsamsten und segensreichsten Folgen der Eisenbabnverstaatlichung, daß wir durch dieselbe in die Lage gekommen sind, auch nicht rentierende Bahnen zu bauen im Interesse der Landesmeliorationen. (Sehr richtig! rechts.) Meine Herren, nun kommt Herr von Eynern, allerdings ohne weitere Begründung, auf denselben Punkt, den schon verschiedene Herren, darunter von mir sehr verehrte Fachkenner des Etats, hier berührt haben: auf die Frage, ob es etatsrechtlich zulässig sei, im Extra⸗ ordinarium mehr zu verausgaben, als man eigentlich wohl in dem betreffenden Jahre verwenden könnte. Mir hat gerade daran gelegen, indem ich ganz bestimmt erklärte, daß nach meiner Meinung diese großen, extraordinären Summen, welche wir eingestellt haben, schwerlich in diesem Jahre sämmtlich zur Verwendung kommen können die Aufmerksamkeit des Hauses darauf zu lenken. Ich bin anderer Ansicht wie die verehrlichen Herren ich werde das gleich näher ausführen —, ich halte das etatsrechtlich für zulässig, und ich kann mich darauf berufen, daß das hohe Haus schon durch die einfache Thatsache, daß es bei einer Menge von Positionen Uebertragbarkeit in das nächste Jahr ausgesprochen hat, ohne zu fordern, daß die that⸗ sächlich übertragene Summe in den Etat des folgenden Jahres wieder

aufgenommeu sei, meiner Auffassung beigetreten ist.

Wenn es hier heißt in der Verfassung: . Alle Einnahmen und Ausgaben des Staates müssen für jedes Jahr im voraus veranschlagt und in den Staatshaushalts⸗Etat gebracht werden“,

so soll damit nur ausgedrückt werden, der Staatsbaushalt wird alle Jahre abgeschlossen und es müssen alle vermuthlichen Ausgaben und Einnahmen im voraus veranschlagt und auf diesen Jahres⸗Etat gebracht werden. Das war das, was der Artikel allein eigentlich aussprechen wollte. Darüber, ob die einzelne Summe den Bedarf des einzelnen Jahres überschreite, sollte aber das Abgeordnetenhaus in seiner freien Etatsbewilligung entscheiden. Meine Herren, ich mache in dieser Beziehung diejenigen Herren, die sich dafür interessieren, auf eine Schrift des bekannten Staatsrechtslehrers Laband aufmerksam, der zum ersten Mal mit der vollen Schärfe dargethan hat, daß der⸗ artige allgemeine staatsperfassungs mäßige Bestimmungen überhaupt nicht sich auf die einzelnen Positlonen beziehen sollen, sondern nur auf die Gesammtsumme, die sich aus den Einzelbewilligungen schließ⸗ lich ergiebt. Meine Herren, ich sagte: wahrscheinlich kann das Extra⸗ ordinarium nicht ganz verbaut und verwendet werden. Es giebt darunter gewiß eine Anzahl Positionen, die wirklich verbaut werden. Ich bin garnicht im stande, Ihnen die einzelnen Positionen herauszusuchen; das ist Sache der einzelnen Ressorts, der technischen Ressorts, die darüber befinden. Würde das Haus ganz genau von den betreffenden einzelnen Ministern die Erklärung verlangen, ob sie diese Raten, die hier ein⸗ gestellt sind, voll verwenden können, so würden, glaube ich, in vielen Fällen die Minister auch nicht im stande sein, darauf bestimmt zu antworten. So ist es immer gehalten. Man hat in dieser Beziehung wenn ich so sagen darf stets jedenfalls eine laxe Praxis angenommen; man hat es mit Freuden begrüßt, wenn die Etats möglichst volle Raten aufweisen, und ich habe es immer für sehr wünschenswerth gehalten, so große Raten zu geben, daß die Bauten mit der möglichsten Schnelligkeit zu Ende gebracht werden können.

Eine große Reihe neuer Bauten unternehmen und kleine Raten in den Etat für diese Bauten einstellen, ist im höchsten Grade un— zweckmäßig. Dann werden die Bauten verzögert und dadurch kost⸗ spieliger gemacht.

Der Herr Abg. Richter hat hingewiesen das ist eigentlich die⸗ selbe Frage daß wir hier in Preußen diejenigen Summen, welche aus den bewilligten Anleihen jedes Jahr flüssig gemacht werden, auch nicht in den Ctat einstellen.

Wenn in dieser formalen Weise der Artikel 99 ausgelegt würde, so würden wir allerdings auch dazu verpflichtet sein; denn das, was wir aus einer Anleihe liquidieren, ist auch eine Einnahme des Staates, müßte also, wie das im Reiche üblich ist, durch den Etat laufen.

Sie werden finden, daß wir bei der Aufstellung des Komptabl—⸗ litätsgesetzes diesem Vorgehen im Reiche nicht gefolgt sind, und wir werden Gelegenheit haben, auf diese ganze Frage bei Berathung des Komptabilitätsgesetzes eigentlich ein verpönter Ausdruck heute, denn es heißt: Gesetz, betreffend die Verwaltung der Einnahmen und Ausgaben zurückzukommen. Die Budget ⸗Kommission mag die Sache im vorliegenden Falle prüfen. Ich glaube nicht, daß es richtig ist, eine neue Praxis in dieser Beziehung einzuführen. Denn wenn die Herren so genau prüfen wollten, ob die einzelnen Positionen in dem betreffenden Jahre auch wirk— lich verausgabt werden können, was würde dann die Folge sein? Die dadurch ersparten (gestrichenen) Beträge würden nach dem Eisenbahngarantiegesetz vom Jahre 1882 einfach in Ausgabe gestellt werden müssen zur Schuldentilgung. Das wäre die nothwendige, verfassungsmäßige Folge, und ich glaube, da wir in den letzten Jahren in so erheblichem Maße Schulden getilgt haben, da wir ein Gesetz haben, welches die obligatorische Schuldentilgung mit 3/6 /0 vor⸗ schreibt, daneben auch vorschreibt, daß alle rechnungs⸗ mäßigen Ueberschüsse zur Schuldentilgung verwandt werden, brauchen wir doch nicht so weit zu gehen, in diesem Jahre unter Verminderung der Wohlthaten, die wir durch das starke Extraordinarium dem Lande erweisen, nun auch noch etats⸗ mäßige Ueberschüsse zur Schuldentilgung zu verwenden, die wir uns gewissermaßen künstlich durch Streichung der Raten des Extraordi⸗ nariums herstellen.

Meine Herren, Sie werden mir zugeben, daß ich mit der größten Offenheit und ganz absichtlich die Diskassion selbst angeregt habe, in der Hoffnung, daß wir un in dieser Beziehung wohl verständigen können.

Dies also über die Frage der Bemessung des Extraordinariums. Ich glaube, Herr von Eynern wird mir selbst zugeben, daß sein Vor⸗ wurf, ich habe auf diese Weise dem Hause das Recht der etats—⸗ mäßigen Bewilligung absichtlich entziehen wollen (Zuruf) das haben Sie gesagt, Herr von Eynern doch etwas wenig be⸗ gründet war.

Der Herr Abg. von Eynern sagt, iz ojo seien eine so hohe Schuldentilgung, daß man sie überhaupt nicht höher machen könne. Das kann ich dech nicht zugeben. In einem doch immerhin sehr riskanten und in seiner ganzen künftigen Entwickelung gar nicht zu übersehenden industriellen Unternehmen, welches mit sieben Milliarden Schulden belastet ist, halte ich eine Schuldentilgung von 56 oo gar nicht von der Beschaffenheit, daß man sich über eine Erhöhung derselben besondere Sorge machen müßte. Nun sieht allerdings der Herr Abg. von Eynern sehr rosig in die Zukunft; er sagt: ich theile nicht die Ansicht, daß wir schon auf dem Höhepunkt der gewerblichen und industriellen Entwickelung angekommen sind, vielmehr bin ich der Meinung, wir sind erst im Anfange, und die Entwickelung wird noch ganz andere Dimensionen annehmen. Wenn Herr von Eynern sich in dieser Beziehung auf seine großen Erfahrungen in der Industrie berufen kann, so muß ich ja vor einem solchen Ausspruch wohl einigen Respekt haben, und ich würde mich sehr freuen, wenn seine Prophezeiungen in vollem Maße zuträfen. Aber es giebt doch auch andere Kenner dieser industriellen Entwicklung, denen ich auch große Autorität beilegen muß, welche anderer Ansicht sind. Ich glaube, Herr von Eynern wird wohl selbst zugeben, daß auf solche unsichere Prophejeiungen die Finanzpolitik eines großen Staatz ihre Maßregeln und ihre Operationen nicht gründen darf. (Sehr richtig) In dieser Beziehung ist die Vorsicht doch besser als die Nachsicht, und ich meine, die bisherige Vorsicht jn der Behandlung des Finanzwesens hat doch schließlich auch gute Früchte getragen. Auch die große industrielle Entwicklung ist dadurch doch nicht ver⸗ hindert worden; sonst würden wir sie heute nicht voraussehen. Wag die Einkommensteuer betrifft, so kann Herr von Eynern jwar

nicht bestreiten, daß wir in Preußen niedrigere direkte Staatssteuern als in allen anderen Ländern von Bedeutung zahlen, nämlich 5, 25 M pro Kopf, aber er sagt, ich habe vergessen, daß der Staat die Grund steuer den Gemeinden überwiesen hätte. Nun, wie das mit dieser Frage zusammenhängt, ist mir vollkommen unverständlich. Gerade da⸗ durch haben sich ja die Staatssteuern vermindert, und sind den Gemeinden neue Steuerquellen überwiesen worden.

Er sagt dann ferner, ich hätte die Höhe der Kommunal⸗ steuern vergefssen. Nein, meine Herren, ich bin selbst zu lange Kommunalbeamter gewesen, als daß ich nicht wüßte, wie es mit den Kommunalsteuern steht; ich habe das nicht vergessen, aber ich hatte keinen Grund, es zu erwähnen, ich sprach eben nur von der Staatssteuer. (Zuruf) Gewiß, wenn man die Gesammtbelastung der Bevölkerung untersuchen will, dann muß man auch die Kommunalsteuern hinzunehmen. Das war aber bel dieser Gelegenheit meine Aufgabe nicht, wo ich von den Staatsfinanzen sprach. Aber, wenn Herr von Eynern nun hinzufügt, in keinem Lande der Welt bezahle man so viel Gesammt⸗ steuern als in Preußen, so will ich bier mit ihm nicht darüber streiten; ich würde ihn ersuchen, zu mir zu kommen, und ich werde ihm eine Statistik geben, bei welcher er sich selbst verwundern wird über seine Behauptung. Ich kann auch sagen, daß einschließlich der Kommunalsteuern, einschließlich der indirekten Steuern, die bei uns etwa 16 M pro Kopf betragen, in Ländern wie z. B. Frankreich etwa das Dreifache, in Oesterreich felhbst fast das Doppelte dieser Sätze erhoben wird. (Abg. von Eynern: direkt) Auch dirckt; denn die Kommunalsteuern in Frankreich sind ja auch wie hier in erheblichem Maße Zuschläge (Centimes additionnels) zu den Staatssteuern. Aber ich will darauf nicht weiter eingehen, das gehört hier eigentlich garnicht her. (Heiterkeit. )

Nun kommt der Herr Abgeordnete auf die angeblichen Scherereien und Quälereien bei der Einkommensteuer. Ich kann ja ganz zufrieden sein, denn er läßt mich freundlicherweise aus dem Spiel und sagt: der Finanz⸗Minister hat gewiß sich bemüht, diese Beschwerden abzu⸗ stellen und eine möglichst korrekte, verständige, taktvolle Handhabung der Steuerveranlagung durchzuführen, aber seine Beamten folgen ihm nicht, sie machen ihm die großen Schwierigkeiten; aber sie müssen doch schon sehr erheblich geringer geworden sein, weil die Beschwerden und Berufungen in so starkem Maße in den letzten Jahren abgenommen haben. Wie der Herr Minister des Innern unmöglich verantwortlich sein kann, was man ihm doch so gern imputieren möchte, für alle Mißgriffe eines einzelnen Schutzmanns oder Amtsvorstehers im Lande, so kann auch der Finanz⸗Minister nicht verantwortlich sein für einzelne Taktlosigkeiten und Mißgriffe, die gewiß hie und da vorkommen und vielfach auch in der Kommunalverwaltung vorkommen; sogar beruhen viele Mißgriffe zum theil gerade auf den ersten Ein⸗ schätzungen der Voreinschätzungskommission. Ich will tiefer auf die Sache gegenwärtig nicht eingehen; die Herren werden eine Statistik bekommen, die ich im ganzen Lande habe aufnehmen lassen, wie sich die Beanstandungen verhalten zu den nicht beanstandeten Deklara—⸗ tionen, welche Ergebnisse in Bezug auf die Richtigstellung der Dekla⸗ rationen diese Beanstandungen gehabt haben, und um welche Summen es sich dabei handelt. Die Fälle der Bestrafungen wegen wissentlicher Steuerhinterziehung sind leider recht zahlreich, selbst bei höchst ein⸗ geschätzten Personen. Ich hoffe, daß das hohe Haus der Meinung, die der Fraktionsgenosse des Herrn von Eynern, der Herr Dr. Sattler, aus⸗ gesprochen hat, dann beistimmen wird, daß, wenn wir in dieser Be⸗ ziehung nicht genau zusehen, die alte Ungerechtigkeit und Ungleichheit der Einkommensteuer sehr bald wieder vorhanden sein würde. Wag ich thun kann, um einzelne Verkehrtheiten, ein zu kleinliches minu⸗ tiöses Verfahren, ein zu tiefes Eindrängen um Kleinigkeiten, ein mangelhaftes Verständniß des in allen Verhältnissen richtigen Satzes minima non curat praetor einzustellen, das werde ich nach wie vor ich habe das vom ersten Augenblick an gethan in Zukunft auch mit aller Entschiedenheit thun. Ich versichere, daß mir noch kein Zeitungsblatt in die Hand gekommen ist, wo speztelle Fälle angeführt werden, sodaß man ersehen konnte, wo die Fälle sich zugetragen haben, noch keine Beschwerde von einem Steuerpflichtigen zugegangen ist, die ich nicht bis auf den letzten Punkt habe untersuchen lassen. Da sind allerdings Fälle vorgekommen, wo ich scharfe Korrekturen habe eintreten lassen müssen und auch habe eintreten lassen; allerdings die weit überwiegenden Fälle haben sich als unbegründet herausgestellt. Aber auf diesen Punkt werden wir später bei einer anderen Gelegen⸗ heit zurückkommen.

Der Herr Abgeordnete sagt nun, daß die Ideen, die man gehabt hätte von der Verdreifachung und Vervierfachung der Einkommen⸗ steuer, infolge der Reformgesetze sich in keiner Weise erfüllt hätten. Ich habe bei der Berathung der Gesetze dieselben Ansichten ver⸗ treten und habe infolge dessen namentlich gegen die über⸗ mäßigen Depressionen, die man damals vorschlug, mich ablehnend verhalten. Aber das steht doch fest und dürfen wir doch nicht vergessen, daß wir in dem ersten Jahre nach Einführung der Deklaration plötzlich aus der Einkommensteuer ein Mehraufkommen von 40 Millionen hatten. Wo waren denn diese 40 Millionen früher? Das beweist allerdings, daß das Dekla⸗ rationssystem doch ein sehr gutes Mittel zur Ergründung der Wahr⸗ heit ist. Daß es auch Mängel hat, daß die Einkommensteuer in manchen Punkten der Revision bedürftig ift, das bestreite ich gar nicht; das habe ich schon damals vorausgesagt: wir werden hier durch Er⸗ fahrung lernen müssen und werden nach einer Reihe von Jahren in manchen Punkten die Einkommensteuer wieder überrevidieren müssen. Aber im großen Ganzen hat sich das System durchaus bewährt, wie das auch daraus hervorgeht, daß viele große und kleine Staaten jetzt in die Erwägung getreten sind, ob sie nicht das preußlsche Steuer⸗ system nachmachen könnten und auch bei sich mutatis mutandis durch⸗ zuführen im stande seien.

Meine Herren, dann kommt Herr von Eynern auf die angeb⸗ lichen fortwährenden Konflikte zwischen dem Finanz ⸗Minister und dem Gisenbahn⸗Minister. Das ist auch eine fable convenue im Lande, daß alles, was in irgend einem Ressort passiert, der Finanz ⸗Minister verschuldet habe. Ich habe nun einen breiten Rücken und halte es auch für meine amtliche Pflicht, dies zu ertragen; ich werde mich dadurch in der ganzen Auffassung von meiner Pflicht und den Auf⸗ gaben eines preußischen Finanz ⸗Ministers durchaus nicht irremachen lassen. (Bravol rechts.)

Meine Herren, ich weiß aber von solchen Konflikten zwischen mir und dem Eisenbahn⸗Minister nichts; Herr von Eynern muß wohl genauer in dem Atte unterrichtet sein, wenn er daz so bestimmt behauptet.