Die Bodenverbältnisse des preußischen Flachtandes. J Eine geologisch · agronomische Skizze.
Rede, gehalten zur Vorfeier des Geburtstages Seiner Majestät des Kaisers und Königs Wilhelm II. am 26. Januar 1898 in der Aula der Königlichen LandSwirthschaftlichen Hochschule zu Berlin von Dr. H. Gruner, . Professor der Mineralogie, Geologie und Bodenkunde.
Hochansehnliche Versammlung! ;
Ueberall, wo in unserer deutschen Heimath sich deutsche Männer heut vereinigen, um weihevoll den Geburtstag ihres verehrten Landes—⸗ herrn zu feiern, da herrscht Freude, ia Begeisterung, und solch (,,. Stimmung wird hier aufs einmüthigfte von Vertretern, Gönnern und Studierenden der Landwirthschaftlichen Hochschule getheilt. Was ist auch natürlicher, als daß gerade Vertreter der Landwirth⸗
schaft, von der das Wohl und Wehe des Staats in so hohem Grade abhängig ist, von freudigen Gefühlen bewegt werden beim Gedenken an ihren Erhabenen ö den edlen Sproß des Hauses Hohenzollern, das unserem Vaterlande Fürsten ab, die in Ausübung ihres an Ehren, doch auch Verantwortung 6 reichen Berufes heiligen Ernst mit rastloser Pflichttreue verbanden! Wohl muß uns das Herz stolz und höher schlagen, sehen wir heut unsern Kaiser und König, im kraftvollsten. Mannealter, umgeben von einer blühenden Familie die zahllosen Glückwünsche und Huldi⸗ gungen von edlen Vertretern verbündeter und befreundeter Fürsten und seines Volkes entgegennehmen, sehen wir ihn pietätvol gleiche Bahnen wandeln, wie seine erlauchten Vorfahren, deren einer, als Held und Siegesfürst wohl einzig in der Geschichte dastehend, sich doch den ersten Diener des Staats nannte, deren anderer, an Jahren ein Grels, an Geistesfrische aber ein Jüngling, keine Zeit hatte, müde zu sein. Wie unser geliebter Landesherr vor ung steht, ganz erfüllt von dem Bestreben, eine weise und kraftvolle Ordnung im Staate aufrecht zu erhalten und dessen Geschicke mit Energie zu lenken, wie er dabei doch demüthig vom Höchsten den Beistand und die Kraft erbittet, so ist er das leuchtende Vorbild eines echten, edlen, deutschen Manneß und lehrt einen jeden seiner Unterthanen, an der Stelle, die ihm zugewiesen, mit Gewissenhaftigkeit und Treue im Großen wie im Kleinen zu wirken und, dem herrlichen alten Wahlspruch: Mit Gott für König und Vater land! folgend, im Vertrauen auf den göttlichen Segen der Arbeit voll Verehrung und Liebe für den Landesherrn sich mit Hingabe dem Dienste des Vaterlandes widmen. Und auch wir hier im Kreise ge—⸗ loben uns wohl innerlich aufs neue, im Bereich unserer Thätigkeit: der Landwirthschaft und ihrer Wissenschaft, stets das Beste zu leisten, was in eines Jeden Kraft steht, und unentwegt weiter zu schaffen, zu forschen, zu klären und zu lehren. . ĩ
Getreu dieser unserer Aufgabe, soll auch heute in diesen Räumen, die fern dem politischen 5 liegen, der Gegenstand meiner kleinen Festbetrachtung ein Stoff sein, der nicht aus dem Rahmen landwirthschaftlichen Interesses hinaustritt. Es sei mir gestattet, ein Streiflicht auf unser geliebtes Vaterland, das Land im eigentlichen Sinne, zu werfen und einige Worte von dessen Bedenverhältnissen, Bodenschätzen 2c. zu reden, iadem ich mich dabei auf das engere Ge⸗ biet des seit Jahrhunderten vom ruhmreichen Hohenzollern⸗Geschlecht beherrschten Königreichs Preußen, und zwar der knapp bemessenen Zeit wegen vorzugsweise auf das Flachland beschränke.
Redner gab nun eine kurze Schilderung der orographischen Ver⸗ hältnisse des norddeutschen Flachlandes und kam zu dem Schluß, daß dieses, im Norden bespült von den Wogen zweier Meere, im Süden begrenzt durch die mitteldeutschen Gebirge, die ihre befruchtenden und natürliche Verkehrsstraßen bildenden Wasseradern: Weichsel, Oder, Elbe, Weser und Ems mit ihren Nebenflüssen Norddeutschland zu⸗ wenden, in bodenwirthschaftlicher, gewerblicher und kommerzieller Pin sch so günstig wie nur irgend ein Theil der Mutter Erde gelegen sei. Nach dieser Seite in hohem Grade bevorzugt, wäre es nach der anderen, nämlich in Bezug auf landschaftliche Schönheit, freilich stiefmütterlicher bedacht, und eß könne daher nicht Wunder nehmen, wenn der Fremde, der, aus der Ferne kommend, mit der Eisenbahn die weiten Niederungen Norddeutschlands durchfährt, dieselben für reizlos hält; doch werde der Einheimische, dem die Liebe zum Vaterlande zugleich den Sinn für
dessen schlichte Naturschönheiten erschließt, mit Freuden die Lieblichkeit vieler sich darbietenden Landschaftsbilder anerkennen. Und so wie die landschaftliche Schönheit des norddeutschen Flachlandes aus mangeln⸗ der Kenntniß nicht genügend gewürdigt werde, so stehe es auch in Bezug auf die Beurtheilung der Bodenbeschaffenheit und Bodenschätze.
Hierauf folgte eine kurze Charakteristik der auftretenden Haupt- bodenarten, und zwar der Thon⸗, Lehm-, Mergel⸗, Sand⸗, Moor und
Torfbodenarten. Redner gab zu, daß die Sandböden erhebliche Strecken einnehmen, diese aber auch von besseren Böden durchzogen werden und durch die moderne Kultur sich diesen hohe Erträge ab— gewinnen lassen. Dasselbe gelte von den Moor. und Torfboden⸗ arten, die durch Grabenentwässerung und 10 em starken gleich mäßigen Sandauftrag — nach dem Vorgange Rimpau's — oder innige Vermengung mit Schlick, Sand u. s. w. sich in treffliches Ackerland bezw. Wiesen verwandeln lassen. Sehr viel sei in dieser Hinsicht bereits durch die energische Arbeit der Zentral⸗Moorkommission geschehen und nach Errichtung der Versuchsstation in Bremen die Natur der Moore und ihre beste Kuiturmethode eingehend studiert worden u. s w.
Alsdann wurde der wichtigen Fingerzeige gedacht, welche die Wissen⸗ schaft dem Landwirth bei Beurtheilung und Werthschätzung seines Bodens bietet und welche über den Fruchtbarkeitszustand Aufschluß gebe. Duich die chemische Analyse allein — so betonte Redner — könne kein klares Bild von dem Fruchtbarkeitezustande eines Bodens gewonnen werden, sie leiste aber große Dienste, wenn sie mit mechanischen und gewissen physikalischen Untersuchungen, besonders aber mit geologischen Bestimmungen in Verbindung stehe. Ganz besonders entscheide über die Fruchtbarkeit eines Bodens die Ermitte⸗ lung des geologischen Profils und zwar bis zu mindestens 2 m Tiefe; denn durch die chemische Analyse allein erfahren wir in der Hauptsache nur den Gesammtgehalt der Nährstoffe im Boden, aber nicht die Form, in welcher diese darin verbreitet und von den Pflanzen leicht aufnehmbar sind u. s. w.
Aber nicht nur die oberflächlich verbreiteten, sondern auch die im tieferen Untergrunde zur Verfügung stehenden Bodengebilde und Mineralschätze gewähren für unabsehbare Zeiten Grundbedingung zu Erwerbs quellen der verschiedensten Art, und es kamen nun die in dem betreffenden Gebiete auftretenden Kalk. und Mergellager, Thone, Gipse, Raseneisenerze, Diatomeenerden, Braunkohlen, Staßfurter Kalisaljze, Phofphate, Erdölquellen, Bernsteinfunde u. a. m. zur Be⸗ sprechung. Es fehlen der Heimath — abgesehen von den vorzüglichen Ziegelthonen — freilich die schönen natürlichen Bausteine der Gebirgs⸗ länder, jedoch besitze sie trotzdem ein vorzügliches Material für Fundamentierungen, Pflasterungen und Chausfeebauten in den überall verbreiteten losen Gesteinen, den erratischen Blöcken, auch ‚Findlinge“ genannt, welche aber nicht nur wegen ihrer Verwerthbarkeit, sondern besonderes Interesse dadurch veidienen, daß sie über den letzten Abschnitt in der Entwickelung unserer nordischen Heimath den Schleier lüften. Dem heimischen Boden fremd und an den Gehängen der mitteldeutschen Gebirge bis zu 500 m Höhe lagernd, schienen sie betreffs ihrer Herkunst und der Kräfte, welche ihren Transport be— wirkten, lange Zeit ein unlösbares Räthsel zu bleiben. Das ein- gehende Studlum der geologischen Verhältnisse Norwegens und Schwedens, der arktischen Regionen und der Gletscherwelt in der Schweiz führte aber zu der Erkenntniß, daß nicht nur diese Geschiebe, sondern auch die gesammten im Flachlande bis zu 200 m mächtigen Sande, Grande, Lehme, Mergel und Thone mit den darin eingebetteten Geschieben Norwegen, Schweden, den russischen Astseeprovinzen und Finland entstammen und durch mächtige Eisströme an ihren, jetzigen Standort gelangten. Die weiteren Ausführungen verbreiteten sich über die Wandelungen, welche Norddeutschland durch die gewaltige Zeiträume einnehmenden Glacialperioden, durch den Rückzug des Inlandeises bis nach Schweden , durch den Wechsel von arktischem, Steppen, trockenem und feuchtem ozeanischem Klima erfuhr, womit der mannig⸗
fache Wechsel in der jeweiligen typischen Flora und Fauna Hand in DVand ging. Der letzte Rückiug des Eises lockte die früher nach Süden verdrängten thierischen Waldbewohner herbei und mit ihnen den Menschen, der bereits Zeitgenosse der Interglaeialzeit war, damals mit Mammut, Nashorn, Renthier, Wildpferd u. a. zusammenlebte, bei der zweiten Vereisung sich aber nach Süden zurückzog. Mit ihm hegann die Kulturarbeit, und hauptsächlich ist es der feingerlebene Gletscherschlamm, womit Skandinavien Norddeutschland während zweier Eiszeiten beschenkte, welcher für die aus den rohesten Anfängen bis zur ieren Vervollkommnung gediehene Kulturarbeit die Be⸗ dingung und den Boden lieferte.
Der Landwirth muß nun das größte Interesse daran haben, diesen Boden, die Quelle seines Wohlstandes, das Kapital, woraus er seine Renten bezieht, auf das Genaueste nach jeder Richtung hin kennen zu lernen. Ein wichtiges Hilfsmittel dazu gewähren ihm die durch geologisch ⸗ agronomische Karten und ihre Erläuterungen gebotenen Aufschlüsse, die nicht nur für den Landwirth geradezu unentbehrlich, sondern auch für den National-Oekonomen, Statistiker, Bergmann, Ingenieur, für die technischen Gewerbe und die ygiene von eminenter Bedeutung sind, und von denen bereits 240 Blätter — einen Flächenraum von ca. 560 Quadratmeilen um⸗ fassend — bearbeitet vorliegen, von denen 200 publiziert sind. Nach vollständigem Abschluß der Aufnahmearbeiten werden sie ein fo großartiges Werk repräsentieren, daß sich ihm wohl kaum ein zweites an die Seite stellen dürfte.
Redner führte noch kurz aus, daß der Boden des zum Königreich Preußen gehörigen Gebirgslandes einen anderen Charakter trage und fuhr dann fort:
Hielt das diluviale Inlandeis auch dieses Gebirgsland einst fest umklammert, so schob sich dasselbe doch nicht darüber hinweg, ließ als Dokument seiner Anwesenheit darauf weder die Grundmoräne und die Arbeit seiner Schmelzwässer, noch Absaätze aus diluvialen Wasser— . zurück. Jene Ländereien mit den Hunderten aus dem vielfachen Wechsel von Meer, Süßwasser und Festland entstandenen, eigenartigen, petrefaktenreichen Thon⸗, Mergel ⸗, Kalk⸗ und Sand gesteinen, den zahllosen massigen und geschichteten kiystallinisch— körnigen, älteren und jüngeren vulkanischen Gesteinen — diese un gejählten Blätter im Buche der Entwickelungsgeschichte unserer Erde — tragen vielmehr einen Boden, welcher nur das vom Alter schwer gebeugte, zerfallene, auß dem ewigen Kampf ums Dasein mit den Atmosphärilien hervorgegangene Gestein des Untergrundes darstellt.
Die darin feinvertheilten metallischen Stoffe vereinigte das in den Gesteinsadern unausgesetzt zirkulierende Wasser zu kompakteren Ansammlungen und übergab willig als Frucht seiner mühevollen, Millionen von Jahren waͤhrenden Thätigkeit dem Menschengeschlecht die metallischen Schätze, die es nun — als lachende Erben — be⸗— fähigen, sich die Genüsse eines modernen Kulturlebens zu leisten. Groß sind die Schätze, welche Preußen jener Schatzkammer der Natur jährlich entnehmen kann, denn im Jahre 1896 wurden 4 Mill. t an Eisenerzen im Werthe von 28 Mill. Mk, 700 000 t Zinkerze im Werthe von 17 Mill. Mk., Bleierze im Werthe von 12 Mill. Mk., 700 000 t Kupfererze im Werthe von nahezu 17 Mill. Mk., 15 t Gold⸗ und Silbererze im Werthe von 75 000 M gefördert; die
Hüttenproduktion an Silber betrug aber über 288 000 kg im Werthe
von 26 Mill. Mk., an Gold 755 kg im Werthe von 3 Mill. Mk.
Die Steinkohlenförderung ergab 79 Mill. t im Werthe von 553 Mill. Mk., und es stehen im niederrheinisch⸗westfälischen (Ruhr ⸗) Becken noch 30 Milliarden t mit einem Vorrath für 500 Jahre, im Saarbecken für 2300 Jahre ausreichende Mengen an. Bei Aachen wird der Kohlenvorrath auf 12 Milliarden t, im oberschlesischen Becken auf 45 Milliarden t — ausgreichend für 2680 Jahre —, in dem kleinen niederschlesischen Becken auf 825 Mill. t — genügend für 259 Jahre — geschätzt.
Glück auf“, so dürfen wir daher ausrufen — ist auch die Menge des geförderten allbeherrschenden Goldes knapp bemessen —, Lieb' Vaterland, kannst ruhig sein — so ist doch der goldene Friede, welchen Deutschland seit mehr als einem Vierteljahrhundert als größtes Kleinod besitzt, der goldene Boden, auf welchem allein die Kulturarbeit, die Volkswohlfahrt und ganz besonders die Land⸗ wirthschaft blühen und gedeihen kann, ohne diesen wird ihr der Boden unter den Füßen entzogen.
Hohe Aufgaben, wie z. B. die Kultivierung der großen Moore im nordwestlichen Theil des Staats, die Besiedelung der Ostmarken, Vervollständigung der Wasserstraßen, Maßnahmen zur Verhütung von Ueberschwemmungen, wie sie juͤngst stattgefunden haben, bedürfen ruhiger, friedlicher Entwickelung unseres Staatslebens. Mit Zuversicht dürfen wir hoffen, daß wir uns auch fernerhin derselben erfreuen können, sehen wir doch unseren verehrten Kaiser — einen Friedensfürsten im schönsten Sinne des Wortes — mit Einsctzung seiner ganzen Energie, seiner gewinnenden und machtvollen Persönlichkeit, bestrebt, den süßen Frieden, die heilige Ordnung?“ zu wahren, und be⸗ kundet er doch durch Wort und That, wie ganz besonders das Wohl der Landwirthschaft, ihre Unterstützung, ihre Förderung ihm am Herzen liegt. Trifft er doch mit weit voraus schauendem Blick und tiefem Verständniß unausgesetzt Maßnahmen, welche in handelspolitischer Beziebung die Produktivität des Landes zu heben geeignet sind, bezweckt er doch durch Vervollkommnung der Seemacht, die Kolonisationsarbeit unserer deutschen Brüder im Auslande zu schützen und die Machtsphäre deutscher Kultur mehr und mehr zu erweitern! Damit sichert er sich die tiefste Dankbarkeit im Herzen aller vaterlandeliebenden deutschen Männer.
Und so wollen wir an diesem schönen Festtage wünschen und hosfen, daß Seine Majestät — unser verehrter Kaiser — das Staats—⸗ schif mit weiser Umsicht und straffer Hand fernerhin sicher durch alle etwa entgegentretenden Fährnisse leite und ungezählte Jahre noch zum Segen seines Volkes sich ungeschwächter Kraft und Frische er— freuen möge.
Die Autointoxikation der Thiere.
Auszug aus der Festrede des Professors W. Eber, gehalten am Geburtstage Seiner Majestät des Kaisers und Königs, am 27. Ja—⸗ nuar 1898, in der Aula der Königlichen Thierärztlichen
Hochschule ;
Bei der steigenden Bedeutung, welche die Erforschung der Aetio⸗ logie der Thierkrankheiten mit jedem Tage gewinnt, sei es mir ver⸗ gönnt, eine besondere Krankheitsursache in den Brennpunkt des Interesses der hohen Festversammlung zu rücken: die Selbstvergiftung oder Autointoxikation.
Die Ursache der Intoxikation ist die Aufnahme des präformierten Giftes, die Ursache der Au tointoxikation die im Thierkörper selbst sich bildende schädliche Substanz. Die Vorstellung, welche sich die Griechen von den Krankheitsursachen überhaupt gemacht hatten, die veränderte Säftemischung“, erinnert lebhaft an die Lehre von den Autointoxikationen. Die neue Lehre unterscheidet sich aber von der alten Krasenlehre durch das Bestreben, die Ursache der Dyskrasien zu isolieren und ihre Bildungsstätten zu lokalisieren.
Wie in der humanen Medizin, hat sich in der Thierheillunde seit vielen Jahren eine Richtung ausgebildet, welche die Autointoxikation für die Entstehung einzelner Thierkrankheiten herangezogen und damit der Prophylaxe und dem therapeutischen Eingriff neue Bahnen eröffnet hat.
Am übersichtlichsten läßt sich das Wesen der Autointoxikation an der Selbstvergiftung durch Kohlensäure darstellen. Denn das Gift, seine Bildungsstätten und seine Ausscheidung, sind uns bekannt. Hinderung der Ausscheidung führt zur Kohlensäure Autointoxikation. Sie kann auch bei freien Respirationswegen erfolgen, z. B. durch Behinderung der Zwerchfellbewegung. Sie kann durch Transporte, Arzneien ꝛc. begünstigt werden.
Schwieriger zu übersehen ist die Harnvergiftung oder Urämie. Wir kennen das „Urämiegift“ noch nicht, wissen jedoch, daß das Symptomenbild einsetzt, sobald die Harnabsonderung aus irgend einem Grunde sistiert. Die Urämie hat für die Thierheilkunde eine geringe Bedeutung.
Für die . von den Aatointoxikationen ergiebt sich, daß Zurückhaltung der normalen flüchtigen oder fixen Stoffwechselprodukte
zur Selbstvergiftung führen kann, und man hat daher diese und n n t,. als Retentionstoxikosen zusammen⸗ gefaßt.
Dieser Begriff muß noch weiter gefaßt werden; denn auch Be—⸗ binderung oder Veränderung der in den Geweben sich abspielenden Stoffwechselvorgänge können gleichfalls zur Retention giftiger Sub⸗ stanzen führen. Als Beispiel sei auf den Diabetes mellitus hin- gewiesen. Die Gewebe vermögen den Traubenzucker nicht zu ver= brennen, er wird zum Gifte.
Allein daneben spielen sich noch andere Vorgänge ab. Es bilden sich in dem normal funktionierenden Körper frem de Substanzen. Der Tod im Coma diabeticum wird auf folche neugebildeten Stoff⸗ wechselprodukte zurückgeführt (Produktiongtoxikosen).
Beispiele reiner Produktionstorxtkosen sind anscheinend die sogenannte schwarze Harnwinder des Pferdes und die Gebärparefe Kalbefieber) des Rindes. Die Therapie hat bei beiden Krankheiten, seitdem die frühere Auffassung über deren Aetiologie verlaffen wurde, größere Erfolge zu verzeichnen.
Namentlich scheint dies nach dänischen Mittheilungen beim Kalbe⸗ fieber der Fall zu sein. Die Herabsetzung der Thätigkeit der Euter⸗ zellen durch Einfüllen einer H — 10 , Jodkaliumlösung in die Milch— zisternen hat die Mortalität an der Parese auf 10 00 gegen 50 o6s herabgedrückt (193 Beobachtungen).
Die Intoxikationen vom Darm aus sind sehr mannigfaltig und kaum zu überseben. Hier tritt gegenüber der lebenden thierischen Zelle noch die Thätigkeit der Fermente und Mikroorganismen hervor. Ihre Propukte können den Organismus gleichfalls vergiften. Wird jedoch die lebende Körperzelle von Parasiten direkt angegriffen, so sprechen wir von Infektion. .
R Hier scheiden sich Aetiologie, Prophylaxe und Therapie. In der Vorbeugung und Heilung liegt der Schwerpunkt meiner kurzen Skizze über die Autointoxikatlonen der Thiere.
Die Prophylaxe der Intoxikationen heißt: Verhütung der Auf nahme des chemischen Giftes; die Prophylaxe der Autointoxikationen: Verhütung der Zurückhaltung oder Bildung des Giftes durch Beein— flussung der physiologischen Körperfunktionen; die Prophylaxe der Seuchen und Infektionskrankheiten: Verhinderung der Aufnahme des belebten Krantheitsgiftes durch gesunde Individuen.
Die Therapie der Autointoxikationen ist angewandte Toxo— therapie im weitesten Sinne des Wortes: Entleerung des Intestinal⸗ traktus, Neutralisation des Giftes, Grregung aller Sekretionen, ing— besondere der Haut Speichel druüsen · und Nierenthätigkeit, Erhöhung oder Erniedrigung des Stoffwechsels des gesammten Körpers oder einzelner Organe.
Für die Pharmakotherapie endlich ergiebt sich die Regel, der Autointoxikation bei der Dosierung und Auswahl der Mittel gerecht zu werden.
Hochansebnliche Festversammlung!
An dem heutigen Tage richten sich Aller Augen auf jene Stelle, an der unser erhabener Kaiser die Geschicke des Reichs machtvoll lenkt. Unseres Kaisers weiser Regierung verdanken wir das Gut des Friedens. Unseres Kaisers Schaffen ist uns ein leuchtendes Vorbild nimmer rastenden Pflichtgefühls und seltener Energie. Und diese Herrscher⸗ tugenden sind es, welche unsere Herzen begeisterter schlagen lassen, wenn wir unseres Kaisers gedenken. In den Jubel, welcher heute mehr denn je zum Throne drängt, möge sich auch unser Ruf mischen: Seine Majestät, unser Allergnädigster König und Kaiser, Wilhelm II., lebe hoch!
Dentscher Reichstag. 26. Sitzung vom 26. Januar 1898, 2 Uhr.
Zur Berathung stehen zunächst die Anträge der Abgg. von Ploetz und Graf von Carmer (d. kons.) und der Abgg. Dr. Pgaasche (nl) u. Gen., die Einführung eines Zolles, sowie die Besteuerung von Saccharin und von verwandten Süßstoffen betreffend. In dem Antrag von Ploetz wird die Regierung ersucht, einen angemessenen Zoll auf Saccharin noch in dieser Session beim Reichstage durch Abänderung des Zolltarifs zu beantragen und baldmöglichst eine Fabrikai⸗ steuer für den im Zollinlande produzierten Saccharin einzu⸗ führen. In dem Antrag Paasche wird dagegen die Annahme eines Gesetzentwurfes vorgeschlagen, nach welchem Saccharin, Zuckerin, Krystallose und Dulzin einer Verbrauchsabgabe von S0 M pro Kilogramm Nettogewicht unterliegen sollen; ebenso hoch solle der Eingangszoll bemessen werden. Die erste Lesung beider Anträge wird verbunden.
Abg. von Ploetz: Die Zuckerindustrie steht heute lange nicht mehr so günstig da wie noch vor wenigen Jahren. Die Preise sind gesunken, die Löhne und Betriebsausgaben gestiegen. Auch das letzte Zuckersteuergesetz hat die Industrie nicht wieder auf die frühere Höhe gehoben. Dem Rübenbau muß aber geholfen werden, wenn die Zuckerprodufktion nicht schließlich bloß einigen Großgrundbesitzern zu gute kommen und der Bauer ganz ausfallen soll. Der Rübenbau darf also nicht allzusehr beschnitten und die Preise müssen so hoch gehalten werden, doß sich der Rübenbau noch lohnt. Bis zur Aufhebung der Prämien wird wohl noch viel Wasser den Berg herunterfließen; ein scharfes, aber durchschlagendes Mittel würde die Herabsetzung der Verbrauchssteuer sein. Für heute bringen wir wieder, um der Zuckerindustrie zu helfen, ein kleines Mittel in Vorschlag. Aus dem Zucker werden an Reichs⸗Ein⸗ nahmen über hundert Millionen gezogen, dabei spielt bisher das Saccharin noch gar keine Rolle. Die Produktion an Saccharin ist in Deutschland ganz erheblich gesliegen. Vor 2 Jahren hatten wir nur 2 Fabriken, fetzt sind es 4. Im Auslande bestehen bloß 3 Das Saccharin besitzt die drei⸗ bis vierhundertfache süßende Kraft des Zucker, bereitet diesem also eine unhaltbare Konkurrenz. Sehr hoch besteuert wird es bereits im Auslande. In Frankreich, . Spanien be⸗ steht ein gänzliches Verbot; Rußland, Schweden, Italien lassen es nur für Medizinalzwecke zu. Das Saccharin besitzt absolut keinen Nährwerth, es ist bloß ein Süßstoff, hat aber andererseits die gefährliche Fähig⸗ keit, die Verdauungekraft herunterzusetzen und ist insofern indirekt sehr gesundheitsschädlich. Jedenfalls wurden wir gerne sehen, wenn die Frage noch in dieser Session erledigt würde; ob man so weit gehen soll, wie der Antrag Paasche geht, darüber sind wir heute noch nicht im Klaren.
Abg. Dr. Hermes (fr. Volksp.): Auch der Antragsteller scheint nach seiner Darlegung das vorgeschlagene Mittel zur Hebung der Zuckerindustrie nicht für sehr geeignet zu halten; jedenfalls sind die anderen Mittel, Herabsetzung der Kensumsteuer und Abschaffung der Exportprämien, viel geeigneter. Namentlich der erstere Weg empfiehlt sich außerordentlich. Ver Zuckerverbrauch ließe sich in Deutsch—⸗ land ganz beträchtlich ausdehnen. Wir wissen ja aber auch, daß die Regierungen in Verhandlung steben wegen internationaler Aufhebung der Ausfuhrprämien; der für den Antrag gewählte Augenblick ist also gleichfalls so ungeeignet wie möglich. Was nun die Anträge selbst betrifft, die im Interesse der Zuckerschutzzöllner die Konkurrenz des Saccharin beseitigen wollen, so sind sie übertrieben. Das Saccharin hat allerdings gar keinen Nährwerth, ist aber ganz neutral und beeinträchtigt, in kleinen Dosen gegeben, die Ver dauung absolut nicht, da es unzersetzt durch den Körper geht. Es kann also als Nahrungsmittel den Zucker durchaus nicht ersetzen, ihm also auch keine Konkurrenz machen. Da⸗ 373 ist es als Arzneimittel unentbehrlich bei Krankheiten, wie Dlabetes und Gicht, es wird außerdem zur Süßung leichter Biere und von Kaffeesurrogaten verwendet und dient hier den Interessen jener Bevölkerungsschichten, für die der Zuckerkonsum unerschwinglich ist. Mit dem beantragten Zoll und der Steuer würde die Saccharin⸗ fabrikation einfach vernichtet und die große Menge derjenigen erheblich geschädigt, die in allen eben angeführten Beziehungen an Saccharin Interesse haben. Ich hoffe, daß die verbündeten Regierungen diesen
; gesprochen und hat gewissermaßen die Frage gestellt,
lediglich dem Fanatismus der Hochschutzzöllner entsprungenen An⸗ . gegenüber unzugänglich liche . geringe Ver⸗ brauch laßt überhaupt weder vom Standpunkt der Zuckerindustrie noch der Versteuerung ein erhebliches Interesse erkennen.
Abg. Dr. Paasche 2 weist die Kritik, daß der Antrag nur dem Fanatismus der Hochschutzzöllner entsprungen sei, zurück. Saccharin koste beute in raffinlertem Zustande bei hoo facher Süß⸗ kraft 50 M pro Kilo; 80 1 entspreche also noch nicht der heutigen Be⸗ steuerung des Zuckers. Die Rechte verlange eine Fabrikatsteuer, der nationalliberale Antrag dagegen eine Verbrauchsabgabe. Gehe man letzteren Weg, so würden die Bedenken des Vyrredners, daß die Fabrikation vernichtet würde, hinfällig. Man wolle keineswegs das Saccharin als Heilmittel ,, . und auch die Fabrikation nicht todtschlagen. Man wolle aber dagegen auftreten, daß das Saccharin als Geschmackskorrigens allgemein verwendet, daß es zur Zuckerung schlechter Weine und saurer, ungenießbarer Biere gebraucht werde. Ebenso schlimm stehe es mit der Zusetzung bon Saccharin zu Kakao und Chokolade, womit man die Ernährung der Kinder schließlich in die größte Gefahr bringe. Selbst der Mar⸗ garine und dem Kautaback werde, um den Geschmack sanft und lieblich zu machen, Saccharin zugesetzt, desgleichen zu Limonaden und Frucht wassern, Branntwein und Liqueuren; bis zur Hälfte des bisherigen Zuckersatzes werde bereits durch Saccharin ersetzt. Alle diese Dinge würden in den Reklamen der Saccharinfabrikanten zugegeben. Mit dem süßen Gebäck und der Konditorwaare stehe es nicht anders; die meisten Bäckereien verwendeten es mindestens zur Hälfte an Stelle des bisherigen Zuckerzusatzez. Die Auffassung des Abg. Hermes könne diesen Thagtsachen gegenüber nicht Platz greifen. Die Besteuerung des Saccharins sei noch weit mehr berechtigt als die des Zuckers, den man ja bloß als Genußmittel besteuere, nicht als Nahrungsmittel. Die Produktion sei in starker Zunahme begriffen, da die Fabriken sich gegenseitig scharfe Konkurrenz machten und die Preise sehr gedrückt hätten; damit habe auch der Konsum rapide zu⸗ genommen. Dem Antrage ständen steuertechnische Schwierigkeiten entgegen, namentlich infolge der raschen Ausdehnung der Produktion; die Antragsteller wollten daher dem Bundesrath die Steuerkontrole zugewiesen wissen, die Einzelheiten würden in der Kommission zu er— örkern sein. Wenn die Regierung heute keine Erklärung abgebe, würde sich die Kommissionsberathung empfehlen.
Staatssekretär des Reichs⸗Schatzamts Dr. Freiherr von
Thielmann:
Meine Herren! Der Herr Abg. Paasche schloß seine Rede mit der Frage, ob die verbündeten Regierungen seinem Antrage so weit stattgeben würden, daß sie einen entsprechenden Gesetzentwurf ein⸗ brächten; in diesem Falle würde er gern bereit sein, seinen Initiativ⸗ antrag zurückzuziehen.
Eine solche Erklärung kann ich nicht abgeben, denn die ver⸗ bündeten Regierungen haben zu beiden beut vorliegenden Anträgen noch nicht Stellung genommen. Sie können aber versichert sein, meine Herren, daß das Wohl der Zuckerindustrie der Regierung sehr am Herzen liegt, aus begreiflichen Gründen; denn eine Regierung, die der Zuckerindustrie den Boden ganz oder theilweise würde entziehen wollen, würde ihre eigensten Interessen verletzen, und ein Staats⸗ sekretär, der dazu riethe, würde sich selber die größten Schwierigkeiten bereiten.
Wenn ich zu den vorliegenden Anträgen wenige Worte sage, so geschieht es also nicht, um irgend eine Stellungnahme der verbündeten Regierungen vorzubereiten, sondern lediglich um thatsächliche Daten an die Hand zu geben, die bei Ihrer Berathung von Nutzen sein können.
In dem Antrage Paasche ist in erster Linie von Saccharin, Zuckerin, Krystallose und Dulzin die Rede, und in einem späteren Paragraphen wird gesagt, daß der Bundesrath er⸗ mächtigt sein soll, andere „verwandte! Süßstoffe einer ent⸗ sprechenden Steuer und einem entsprechenden Zolle zu unter⸗ werfen. Meine Herren, ich möchte, daß Sie sich bei der Berathung gegenwärtig halten, daß der Kreis der verwandten Süßstoffe kein begrenzter ist. Ich habe hier ein Gutachten des Kaiserlichen Ge⸗ sundheitsamts, in dem nicht weniger als 17 verschiedene Namen für solche Süßstoffe aufgeführt sind. Sie lassen sich im wesentlichen allerdings auf zwei Grundstoffe zurückführen, nämlich auf das eigentliche Saccharin und das Dulzin. Die chemischen Namen dieser beiden Stoffe erlassen Sie mir wohl; sie würden die halbe Sitzung ausfüllen. (Heiterkeit) deutsche chemische Indufstrie steht an der Spitze der gesammten chemischen Industrie der Welt, und wir können erwarten, daß heute oder morgen, in diesem oder im nächsten Jahre ein Chemiker einen neuen Stoff erfindet, der ebenso süß ist wie Saccharin oder vielleicht noch süßer. Es würde der Begriff der verwandten Stoffe Ihrerseits also genauer begrenzt und genauer festgelegt werden müssen; denn es wäre dem Bundesrath vielleicht nicht erwünscht, die Frage selber ent⸗ scheiden zu sollen. Was ift alles verwandt?? Denn nimmt man den Begriff der Süßkraft überhaupt als Grund der Verwandtschaft, so ist schließlich auch der Stärkezucker verwandt“, und den wollen Sle doch nicht treffen.
Nun komme ich zu den Worten, die Herr Paasche betreffs der Möglichkeit einer Steuer und Zollkontrole gesprochen hat. Ich trete dem vollkommen bei, daß eine Steuerkontrole möglich ist. Ob eine Zollkontrole dagegen möglich ist, wie Herr Paasche anzunehmen ge⸗ neigt ist, scheint mir doch einigermaßen fraglich. Ein Gegenstand, bei dem das Kilogramm mit 80 4 Zoll belegt ist, findet zu leicht unbemerkt über die Grenze Eingang. Ich glaube also, daß, wenn es sich darum handelt, den Zucker vor der Konkurrenz und — wie die Herren sagten — vor der unlauteren Konkurrenz des Saccharins zu schützen, der Weg der Verkehrsbeschränkung vielleicht ein sichererer ist, als der Weg der Steuer und des Zolls. Ich habe eine Zusammenstellung der Gesetzgebungen unserer Grenzländer und einiger anderer europäischen Länder. Alle diese — Belgien, Frankreich, Italien, Portugal, Rußland, Schweden und ferner die Vereinigten Staaten von Amerika — haben sich mit dem Saccharin beschäftigt. Die meisten von ihnen haben lediglich Verkehrsbeschränkungen eingeführt, einige, beispiels—⸗ weise Belgien, haben sogar den sehr hohen Zoll, den sie früher hatten (14 000 Fr. auf den Doppeljentner) wegen der Unmöglichkeit einer dauernden Zollkontrole neuerdings fallen gelassen und sind zu den reinen Verkehrsbeschränkungen übergegangen. Die Verkehrsbeschrän⸗ kungen sind meist, wie Herr Abg. von Ploetz bereits bemerkte, der—⸗ artige, daß Einfuhr, Herstellung und Transport des Saeccharins verboten ist, und daß Ausnahmen nur zu Gunsten von Apotheken und zur Herstellung von pharmazeutischen Produkten stattfinden.
Meine Herren, dieser Weg scheint mir gangbar; denn er hat in vielen Staaten anscheinend zu einem günstigen Resultat geführt. Ich würde Ihnen also rathen, diesen Weg jedenfalls zu erwägen, ehe Sie einen Beschluß fassen.
Des weiteren hat der Herr Abg. von Ploetz vom Zucker ob und
Was sind nun verwandte Stoffe? Die
welche Erfolge von der internationalen Konferenz zu erwarten seien. Die internationale Konferenz tritt erft in drei Wochen zu⸗ sammen; ich bin also nicht in der Lage, über ihre zu fassenden Beschlüsse mit irgend welcher Sicherheit schon heute etwas mit- zutheilen. Das aber kann ich Ihnen sagen — und ich glaube, es wird sämmtlichen Herren willkommen zu bören sein, — daß zwischen Oesterreich⸗ Ungarn und dem Deutschen Reich, also den⸗ jenigen beiden Ländern, welche in erster Linie in Frage kommen bei der Erzeugung von Rübenzucker, vollständiges Einverständniß herrscht über den Weg, der in Brüssel zu beschreiten ist, und über die Vor⸗ schläge, die dort zu unterbreiten sind. Ich bitte Sie, meine Herren, meine Versicherung dafür hinzunehmen, daß die Reichsregterung es sich keine Mühe verdrießen lassen wird, zu einem günstigen Resultat in Brüssel mitzuwirken. Der Erfolg bleibt freilich der Zukunft vor—⸗ behalten. (Bravo! rechts.)
Abg. Schwarze (Zentr.) tritt den Ausführungen des Abg. Dr. Hermes entgegen. Der Konsum von Saccharin steige rapid. Er— freulich wäre ja, wenn die Prämien aufgehoben und die Verbrauchs
abgaben beseitigt würden; aber so welt sei man eben noch nicht. Redner spricht sich für die Kommissionsberathung aus.
Abg. Dr. Graf Udo zu Stolberg⸗Wernigerode (d.ons.): Die Erörterung wird dadurch erschwert, daß niemand weiß, wie groß die Saccharinproduktion augenblicklich ist. Kommt der Verbrauch nicht in Betracht, dann kann e sich nicht um eine blühende Industrie handeln, die man nicht vernichten dürfte. Diese Unsicherheit könnte für uns dieselben unangenehmen Folgen haben, vor denen wir angesichts der Entwickelung der Privatpostanstalten stehen, in welchen jetzt große Kapitalien festgelegt sind. Ich beantrage, beide Anträge einer Kommission zu überweisen.
Abg. Wurm (Soz.): Eine Besteuerung ohne Verzollung sei ein Unding; eine Zollkontrole sei aber undenkbar, es würde damit nur der Schmuggel gefördert. Für Trantporterschwerung sei er (Redner) auch und für Abwehrmaßregeln in den Fällen, wo Saccharin als Betrugsmittel verwendet werde. Bei dem Preise des Saccharins von 45 bis 50 M würde mit dem Steuersatz von 890 nichts erreicht, denn bei seiner bbö0 fachen Süßkraft würde es dem, der es im Großen anwenden könnte, immer noch pro Pfund 200 e Nutzen lassen. Der Antrag gehe also fehl. Das Saccharin gehöre aber in Wein, Bier, Konserven, Konditor⸗ waaren ꝛc. garnicht hinein, seine Verwendung charakterisiere sich als Betrug und müsse als solcher bestraft werden. Das Saccharin zu verbieten, liege kein Anlaß vor, denn gesundheitsschädliche Wirkungen seien bisher noch nicht nachgewiesen. Wollte man es verbieten, dann dürfte es dem Dimethylamidoazobenzol nicht besser ergehen, welches doch in der Margarine jetzt dem ganzen Volke aufgezwungen sei und das seinen Stammbaum gleichfalls vom Theer ableite. Wolle man dem Volke wirklich helfen, so schaffe man die Verbrauchsabgabe ab, denn der Zucker sei kein Genußmittel mehr, sondern längst ein Nahrungsmittel geworden.
Damit schließt die Diskussion; nach einem kurzen Schluß⸗ wort des Mitantragstellers Abg. Grafen von Carmer (d. kons.) werden beide Anträge einer besonderen Kommission von 14 Mitgliedern überwiesen.
Es folgt die erste Berathung des von den Sozialdem o⸗ kraten eingebrachten k betreffend das Recht der Versammlung und Vereinigung und das Recht der Koalition.
Abg. Gever (Soz.) einpfiehlt den Antrag. Die Gewerkschaften seien nicht nur Strlkevereine, sondern hauptsächlich Unterstützungsvereine. Redner weist auf die großen Ausgaben hin, die diese Vereine für Reiseunterstützungen, Unterstützuagen bei Todesfällen, Umzügen 2e. ausgäben Für Strikes würden allerdings auch Gelder verwendet, aber die anderen Verwendungszwecke überwögen. Das Rundschreiben des Staatssekretärs Grafen Posadowsky bezwecke nur die Vernichtung des Koalitionsrechts der Arbeiter zu Gunsten der Unternehmer. Von der Aufhebung des Verbindungsverbots würden aber nicht allein die Sozialdemokraten Vortheile haben, sondern auch die Gegner derselben. Redner behauptet am Schluß seiner Ausführungen, die Art der Handhabung des Vereinsgesetzes in Sachsen gegenüber den Sozialdemokraten sei ungerechtfertigt.
Königlich sächsischer Bevollmächtigter zum Bundesrath Dr. Fischer: Namens meiner Regierung erkläre ich, daß wir auf die einzelnen Be⸗ schwerden nicht mehr eingehen; zunächst sind es immer dieselben Paradepferde, nur manchmal mit veränderter Bezäumung. Es muß ermüden, wenn ich immer wieder von neuem versichern soll, daß wir die Mittel, welche unsere Landesgesetzgebang über das Vereins und Versammlungsrecht an die Hand giebt, um die öffentliche Ruhe und Sicherheit aufrecht zu erhalten, nach wie vor handhaben. Daß die sächsische Regierung ungesetzliche Mittel angewendet hätte, haben Sie (die Sozialdemokraten) nicht bewiesen. Ich verweise auf die verschiedenen Verordnungen der sächsischen Regierung. Das Gesetz, betreffend die Ueberwachung der Vereine und Versammlungen, z Landes gesetz. Die verfassungsmäßigen Beschwerden darüber gehören vor den sächsischen Landtag, der Reichstag ist nicht zuständig. Auch die sozialdemokratische Partei ist dort vertreten, und sie hat von ihrem Rechte auch Gebrauch gemacht. Einen dritten Grund möchte ich verschweigen, weil ich mir nicht selbst den Anschein geben will, als wenn ich gegen eine Partei dieses Hauses provokatorisch vorgehen wollte. Nur ein Zwischenruf des Abg. Schoenlank, der in dem Vorwurf gipfelte, daß ich als Amtshauptmann das Recht gebeugt hätte, nöthigt mich zu sprechen. Herr Schoenlank, können Sie mir beweisen, daß ich irgend einmal in dieser Weise gehandelt hätte? Ich habe in meiner Eigenschaft als Amtshauptmann in Chemnitz während der Strikebewegung Licht und Schatten zwischen Arbeitgebern und Ar⸗ beitern gleich vertheilt. Weshalb ich gern schweigen wollte, ist der Ton, in dem diese Beschwerden vorgebracht werden, und die Art, wie diese Beschwerden accompagniert werden. Als neulich gegen meine Regierung und meine Person Schmähungen geschleudert wurden, sagte ich mir: entweder ich muß grob werden, und das verbietet mir meine Erziehung, oder ich muß höflich antworten, und dazu halte ich mich nicht für ver⸗ pflichtet, selbst nicht als Angehöriger eines Staats, dessen Bewohnern man befondere Höflichkeit nachrühmt.
Abg. Freiherr von Stumm (Rp.): Ich möchte allen deutschen Regierungen und allen bürgerlichen e, in den Einzel staaten wünschen, daß sie dem in Sachsen gegebenen Beispiel bei ihrem Vorgehen een die Sozialdemokraten folgen. Der Antragsteller hat dieselbe Redewendung vorgebracht, die wir von den Abgg. Singer, Bebel und Legien wiederholt und bis zum Ueberdruß, sogar zum theil besser gehört haben. Die einzelnen Materien des Vereinsrechts werden bei dem Antrage Schneider ꝛc. objektiv behandelt werden. Die Sozialdemokraten wollen in Bezug auf das Vereins und Versammlungsrecht tabula rasa machen; sie wollen sogar Versammlungen von Bewaffneten unter freiem Himmel und ohne Anzeige zugelassen wissen. Alle Bestimmungen, welche die Erlangung günstigerer Lohn⸗ und Arbeitsbedingungen verhindern, sollen abgeschafft sein. Damit wäre auch das Strafgesetzbu ab e ef; wenn Mord und Todtschlag zur Erlangung günstigerer Arbeits bedingungen dienen. Wenn die Sozialdemokraten mit solchen Anträgen kommen, deren Tragweite sie kaum übersehen, so sollten sie doch lieber e vorgehen und gleich den Antrag auf Abschaffung der Monarchie stellen. Für mich ist der Kernpunkt der ganzen Frage: git der Staat dem Umsturz gegenüber eine zu große oder zu geringe Macht? Die rechte Seite des Hauses hat erklärt, daß die Machtmittel des Staats der Sozialdemokratie gegenüber zu geringe sind. Das Sozialisten⸗ gesetz ist aufgehoben, das Umsturzgesetz abgelehnt. Wie kann man von der Regierung verlangen, daß sie solchen Anträgen wie den vor⸗ liegenden entgegenkommt? Wir sollten die Berathung der Einzel⸗ fragen, die durch andere Anträge ebenfalls behandelt werden, ver⸗ schieben, den vorliegenden Antrag aber a limine abweisen.
Abg. Lenzmann fr. Volksp.): Wir stellen uns dem Antrage sympathisch J, Wir wollen nicht die Sozialdemokratie ftärken, sondern die bürgerliche Freiheit verfassungsmäßig ausbauen. Deshalb empfehlen wir die Berathung des Antrages in einer Kommisston. Auf keinem Gebiete begegnen wir einer solchen Mißachtung des Volkswillens, als auf diesem Gebiete. Als wir vor zwei Jahren einen ähnlichen Antrag an eine Kommission überwiesen, trieben die Herren von der rechten Seite Obstruktion. Der konservative Vorsitzende der Kommission hat nur einer einzigen Sitzung derselben beigewohnt. Man sollte nicht mit Rücksicht auf die Anträge Bassermann und Schneider die Debatte über den vorliegenden Antrag abkürzen. Mit der Berathung dieses Antrags lösen wir nur eine verfassungsmäßige Verpflichtung ein; denn die Reichsverfassung stellt das Vereinswesen unter dite Gesetzgebung des Reichs, und die Umstände drängen auf. Er⸗ füllung dieser Aufgabe, zumal wenn man hört, wie es in Sachsen zugeht. Wir stellen uns auf den Boden des Antrags, der allerdings mancher Verbesserungen bedarf. Denn die polizeiliche Beaufsichtigung der Versammlungen wollen Sie (die Sozialdemokraten) doch wohl nicht beseitigen? Es muß nur das Auflösungsrecht beschränkt werden, und gegen unbefugte Auflösungen muß es Strafe geben. Die verbündeten Regierungen sollten, wenn der Antrag an eine Kommission überwiesen wird, auch ihre Vertreter dorthin entsenden. .
Darauf wird die Berathung abgebrochen.
Nach einer Reihe persönlicher Bemerkungen der Abgg. Freiherr von Stumm (Rp.), Scho enlank (Soz), Lenz⸗ mann und Fischbeck (fr. Volksp.) wird die Sitzung gegen 6 Uhr geschlossen. .
Nächste Sitzung Freitag 2 Uhr. des Innern.)
(Etat des Reichsamts
Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.
8. Sitzung vom 26. Januar 1898.
ö den ersten Theil der Sitzung ist gestern berichtet worden.
Zur Beraihung gelangt der Antrag des Abg. Fuchs Gentr.) auf Annahme eines Gesetzentwurfes, betreffend Aenderungen des Komm unalwahlverfahren s. Nach demselben sollen die drei Wahlabtheilungen nicht mehr durch einfache Drittelung gebildet werden, sondern es sollen von der Getammtsumme der Steuern auf die erste Abtheilung 5, auf die zweite 4 und auf die dritte 3 Zwölftel entfallen; in der ersten Abtheilung sollen mindestens 10 und in der zweiten mindestens 20 Proz. der Gesammtzahl der Wähler ver⸗ treten sein.
Nach der Begründung dieses Antrags durch den Abg. Fuchs nimmt das Wort der Minister des Innern Freiherr von der Recke, dessen Rede morgen im Wortlaukte nach—⸗ getragen werden wird.
Abg. von Eynern (nl): Nach dieser Erklärung des Ministers ist die Rolle des Antragstellers als freiwilliger Regierungskommissar doch wohl in die Brüche gegangen. Der Antragsteller will das Drei⸗ klassenWahlsystem überall in Preußen einführen, trotzdem es z. B. in Hannover und Schleswig olstein nicht besteht; in diesen beiden Proypinzen besteht ein Wahlsystem, welches so recht nach dem Herzen des Antragstellers ist. Daß der Antrag in der letzten Session der Legislaturperiode eingebracht werden würde, hatte ich erwartet, denn diesem Antrage schreibt das Zentrum eine große agitatorische Kraft zu. Mit der Umgestaltung des Wahlrechts hat der Antragsteller in Köln Unglück gehabt; das lag an seiner Agitationsart. Wenn der Minister des Innern die Absicht haben sollte, die drei Landräthe in Hannover in ihrer Agitation zu stärken, so kann ich ihm nur das Vorgehen des Herrn Fuchs bei diesen Gemeindewahlen als Muster empfehlen. Es ergeben sich bei der Aufstellung der Wahllisten Situationen, die jedem Komkker zu Witzen Anlaß geben könnten. Wer ist denn aber Schuld daran, daß das alte Wahlrecht noch besteht? Die Schuld liegt doch allein am Zentrum. Die Zwölftelung war von der Regierung vorgeschlagen und wurde von allen Parteien angenommen. Aber das Zentrum wollte speziell Ge—⸗ schäfte machen, weil die Zwölftelung allein nicht genügte, um dem Zentrum die Stadtverordnetenmandate in Köln, Bonn, Koblenz ꝛc. auszuliefern. Das Zentrum setzte die Drittelung in den einzelnen Urwahlbezirken durch gegen den Widerstand der Linken, und so ver⸗ schlechtert kam die Vorlage an das Herrenhaus, welches tabula rasa machte; so sind wir zu dem bestehenden Zustande ge—⸗ kommen. Das Zentrum hat damals auch bittere Reue empfunden und hätte gern nachher sich mit der Zwölftelung allein begnügt. Aber da war es spät. Der Antragsteller hat also Unrecht, irgend einer Partei oder der Regierung einen Vorwurf wegen des gegen. wärtigen Zuastandes zu machen. Das Haus hat die Regierung auf⸗— gefordert, statistisches Material über diese Frage zu schaffen. Das Zentrum hätte daher nicht seine Anträge einbringen, sondern die Re⸗ gierung zur Vorlegung des statistischen Materials auffordern sollen. Auf Grund dieses Materials hätten wir die Frage dann welter erörtern können. Da dieser Weg nicht beliebt ist, so kann ich nur annehmen, daß der Antrag nicht auf Annahme rechnet, sondern nur gestellt ist aus dem Bedürfniß, neuen Agitationsstoff zu schaffen. Im übrigen sind wir mit Herrn Fuchs einverstanden, daß das gegenwärtig bestehende System vom Uebel ist. Aber gegen die Vorschläge des Zentrums sind wir sehr mißtrauisch, denn wir wollen ein objektiv wirkendes Wahlgesetz haben, wo Jeder zu seinem Rechte kommt; wir wollen kein Wahlsystem, welches zu Gunsten des Zentrums wirkt. Nach der Erklärung der Stagtsregierung, welche das statistische Material noch nicht vorlegen kann, ist eine Kommissioneberathung = zjwecklog. Wir haben aber nichts dagegen, wenn dies von anderen Parteien gewünscht wird, eine Kommission einzusetzen; es kommt unseren Mitgliedern nicht darauf an, einige Stunden in der Woche sich zwecklos mit Herrn Fuchs und seinen Freunden zu unterhalten.
Abg. Wetekamp (fr. Volksp.): Uns geht der Antrag nicht weit genug; wir verlangen die Abschaffung des Dreiklassen⸗Wahlsystems, welches ungerecht und unhaltbar ist, geheime, nicht öffentliche Wahlen. Trotzdem sehen wir in dem Antrag einen bedeutenden Fortschritt gegen den jetzigen, durch die Steuerreform sehr verschärften Zustand. Verr von Eynern irrt sich, wenn er glaubt, daß das Drelklaffen⸗ Wahlfystem überall eingeführt werden solle, sondern nur da, wo eg bisher schon üblich ist. Wir werden, falls eine Kommisstonsberathung beantragt wird, auch für dieselbe stimmen.
Abg. von Dallwitz (kon): Die Stellung meiner politischen e zu dieser seit der Steuerreform in der Luft schwebenden
ahlrechtsreform ist dieselbe geblieben wie früher; wir wollen die Verschiebungen ausgleichen, welche in dem Wahlrecht durch die Steuerreform eingetreten sind. Wir haben dabei hauptsaͤchlich das Interesse des werbenden Mittelstandes in Stadt und Land im Auge und wollen ihn stärken gegen die Einflüsse von oben und von unten. Bevor wir unt über diese wichtige Frage aber entscheiden, halten wir es für nothwendig, diese Verschiebungen gründlich und genau zu ermitteln. Daß in einzelnen großen Städten exorbitante Ver⸗ hältnisse bestehen, geben wir zu, aber diese einzelnen Zahlen können nicht als Grundlage für eine Reform des Kommunal. Wahlrechts be⸗ nutzt werden, zumal die Wirkungen des neuen Kommunal- Abgaben⸗ gesetzes, der Herabsetzung des Zensus und der fingierten Steuersätze, in diesen Zahlen noch nicht hervsrtreten. Zu einer Durchlöcherung des DVreiklassen. Wahlrechts haben wir um so weniger Anlaß, als daz Zentrum und die Freisinnigen nach der Einführung des Reichstags. Wahlrechts in Preußen streben. Auf die Autorität des Fürsten Bismarck bezüglich des Dreiklassen Wahlrechts sich zu berufen, haben doch daz Zenfrum und die Freisinnigen keine erechtigung. Redner beantragt . . 1 Ueberweisung des Antrags an eine Kommission von
gliedern.