1898 / 35 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 09 Feb 1898 18:00:01 GMT) scan diff

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en b J vertreten werden. Damit verlasse ich Punkt. Wir er⸗ ennen an, , n nach den heutigen Ausführungen des Herrn Staafssekretärs, daß die Besitzergreifung von Kiaotschau im wirth⸗ chaftlichen wie im politischen Interesse des deutschen Vaterlandes eine dankenswerthe That war. Wir enthalten uns auch eines er⸗ neuten Eingehens auf die selbst von dem Staatssekretär in der udgetkommisston zugestandenen Mängel auch r im Verhältniß sehr ag Oecupation. Wir ö auch im Augenblick darauf, ie von mir in der Budgetkommisston angeregte Kostenfrage weiter zu verfolgen. Die Person des Staatssekretärs und seine beutigen Kar n 49 uns die Gewähr, daß man auch in Bezug auf die sinanzlelle Seite der Entwickelung der Angelegenheit die Vorsicht walten lassen wird, die man in Bezug auf die politische und wirthschaftliche Seite bis jetzt in anertennens« werther Weise und mit bestem Erfolg hat walten lassen. So wünschengwerth ein , , . für die Kriegeflotte ist, um so mehr Interesse wird der Handel an einem solchen Stützpunkt haben, der ihn unabhängig macht von dem Auslande. Ein besonderes Wort der An⸗ erkennung und des Dankes . wir aussprechen für den Schutz der deutschen Missionen in Süd⸗Shantung; wir sind dem Auswärtigen Amt von Herzen dankbar für die Erfüllung dieser Ehrenpflicht der deutschen zFealf . In keinem Parlament werden die Erklärungen, die wir heute gehört haben, bei den national gesinnten Parteien des Echos entbehren. Dleses Vertrauen auszusprechen, ist für mich eine ehrenvolle Aufgabe, die mir meine Partei aufgetragen hat.

Abg. Dr. Barth ö. Vgg.): Meine Freunde haben die afrikanische Kolonialpolitik von Anfang an mit der größten Skepsis verfolgt. Was die chinesische Kolonialpolitik, um diesen Ausdruck zu gebrauchen, anbetrifft, so liegt die Sache anders. Die Einleitung dieser Politit hat einen won f e ftl e Ursprung; es wird die Aufschließung Chinas in den nächsten Jahrzehnten schneller vor sich gehen, als früher in Jahrhunderten. Für theoretische Erwägungen hat die chinesische Regierung niemals . Aufmerksamkeit gezeigt. Man muß ihr egenüber ein nachdrückliches Gewicht politischer Macht in die Wag— chale werfen. Deswegen kann ich es nur billigen, daß man die passende Gelegenheit ausgenutzt bat. Ich möchte . ob nicht in China in unserer Interessensphäre eine freie Konkurrenz aller Nationen ele ffn werden soll, während wir denselben Anspruch in den Interessensphären der anderen Nationen erheben. Dieser Punkt würde von großer Bedeutung sein für die wirthschaftliche Entwickelung in allen überseeischen Gebieten. Wir haben allen Grund, in freund lichen Beziehungen zu England zu bleiben. Unsere Industrie kann die Konkurrenz mit . anderen, auch der englischen, in den noch aufzuschließenden Märkten aufnehmen. Eine zweite Frage betrifft Kreta. Es ist mißlich, dieser Frage eine bestimmte Polnte zu geben. Ich möchte dem Staatssekretär anheimgeben, in welcher Form er antworten will.

2 Staatssekretär des Reichs⸗Marineamts, Kontre⸗Admiral rpitz:

Meine Herren! Ich möchte anknüpfen an die Worte, die der Herr Abg. Dr. Lieber in Betreff der Rede des Prinzen Heinrich in Kiel beim Abschied gesagt hat. Ich glaube nicht, daß die Rede eines Admirals bei einem militärischen Feste, und selbst wenn er ein König— licher Prinz ist, hier Gegenstand der Erörterung sein soll. Meine Herren, wer selbst erlebt hat, was es heißt, hinauszugehen auf Jahre in eine ungewisse Zukunft auf schwankendem Element und scheiden zu müssen von Frau und Kind, wird einen anderen Maßstab an die Worte legen, die in einer solchen Abschiedsstunde gesprochen werden. Nichts hat dem Prinzen Heinrich, Königliche Hoheit, der ein tief— religiöser Herr ist, ferner gelegen, als irgendwie religlöse Gefühle verletzen zu wollen. Uns, die wir dabei gewesen sind, ist der Gedanke auch nicht gekommen, wir haben ihn erst später aus den Zeitungen entnommen.

Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Staats⸗Minister von Bülow:

Auf die erste Anfrage des Herrn Vorredners aus dem Hause möchte ich erwidern, daß die Freihafenstellung von Kiaotschau auch meines Erachtens in Zukunft wohl am meisten unseren Handels⸗ interessen entsprechen möchte. Ich möchte uns aber namentlich dem Auslande gegenüber nicht von vornherein festlegen (sehr richtig), sondern ich glaube, es ist am besten, wir halten uns unabhängig, wie die Engländer in Hongkong dies meines Wissens gethan haben und thun. (Sehr richtig!)

Der Herr Abg. Dr. Barth hat ferner den Wunsch geäußert, näheres zu erfahren über unsere Stellung zu Kreta. In unserer Haltung Kreta gegenüber hat sich nichts geändert, seitdem wir uns in der Budgetkommission über dieses Thema unterhalten haben. Wir haben an Kreta nach wie vor keine anderen Interessen, als daß dat⸗ selbe nicht zum Erisapfel und nicht zur Brandfackel werde. (Lebhafte Rufe: Sehr richtig Wie die für Kreta neugeplante Verfassung im einzelnen ausfallen, und wer das Vergnügen haben wird, die interessante Insel als Gouverneur zu regieren (große Heiterkeit), kann uns an und für sich vollständig gleichgültig sein. (Bravo)

Wir sind allerdings der Meinung und dieser Meinung haben wir auch akademischen Ausdruck gegeben —, daß es sich empfehlen würde, bei der Neuregelung der kretensischen Verhältnisse auch die Minorität der Bevölkerung zu berücksichtigen. Dauernder Friede wird auf Kreta nur herrschen, wenn das muhammedanische Dritttheil der Bevölkerung Sicherheit für Leben und Eigenthum erhält. (Sehr richtig) Dabei kommt es uns aber mehr auf den Frieden an als auf die Muselmänner. (Sehr gut) Die bekannten Knochen des pommerschen Grenadiers werden wir für die eine, wie für die anderen der sich auf Kreta bekämpfenden Gruppen ebenso wenig aufs Spiel wie die Faust unserer braven Matrosen in Bewegung setzen.

Um das europäische Konzert aufrecht zu erhalten, haben wir uns bisher allen denjenigen Entscheidungen der anderen Mächte ange—⸗ schlossen, über welche sich alle übrigen Mächte geeinigt haben. An dieser Praxis denken wir auch fernerhin festzuhalten (sehr richtig h, sofern nicht Anträge an uns herantreten sollten, durch welche uns eine Verantwortung aufgebürdet werden sollte, die nicht in den Rahmen unserer vorsichtigen und reservierten Orientpolitik paßt. (Sehr gut h Es ist ja nicht nöthig, daß in einem Konzert und auch im euro⸗ päischen Konzert jeder dasselbe Instrument spielt. (Heiterkeit. Sehr gut) Der Eine schlägt die Trommel (Heiterkeit), der Andere stößt in die Trompete (Heiterkeit), der Dritte hält die große Pauke in der Hand. (Große Heiterkeit) Wir bliesen in Konstantinopel die Flöte diplomatischer Einwirkung und Ueberredung, und wir bliesen sie

nicht umsonst. (Sehr gut! und Heiterkeit.)

Denn gerade weil die Pforte weiß, daß wir ihr ganz objektiv gegenüberstehen, konnten wir ihr in entscheidenden Momenten, wie beispielsweise als es sich darum handelte, ob die Türkei dem be⸗ siegten Griechenland den von diesem erbetenen Waffenstillstand ge⸗ währen oder den Vormarsch auf Athen fortsetzen sollte, sagen, daß es nicht weise von ibr sein würde, sich den vereinigten Wünschen aller europäischen Mächte entgegenzusetzen. An einem positiven Druck auf die Pforte werden wir uns aber nicht betheiligen. (Sehr gut) Wir

. Viese 26 des geh e rungs.

können das schon deshalb nicht, weil die Folgen eines solchen un= berechenbare sind, und weil wir da in der Türkei und anderswo allerlei Ueberraschungen erleben könnten. ö.

Was aus Kreta schließlich werden wird, kann ich Ihnen auch beim besten Willen nicht sagen (große Heiterkeit, und kann Ihnen niemand sagen. Das ruhet im Schoße der seligen Götter. Das aber kann ich Ihnen sagen, daß Deutschland sich nicht hineinziehen lassen wird in die Komplikationen, die unter Umständen aus der kretischen Frage hervorgehen könnten, und daß wir dafür sorgen werden, daß der kretensische Wogenprall nicht an der deutschen Küste brandet.

Daraus ergiebt sich auch unsere Stellung gegenüber der Kandidatur des Prinzen Georg von Griechenland für den Gouverneursposten von Kreta. Wenn sich die Pforte im guten mit allen Mächten über diese Kandidatur geeinigt hätte, so würden wir selbstverständlich nicht Nein gesagt haben. Eine Pression auf die Pforte machen wir aber nicht mit. Wenn Streit entsteht, treten wir ruhig bei Seite (sehr guth; wenn Differenzen laut werden, legen wir die Flöte still auf den Tisch und verlassen den Konzertsaal. (Große, andauernde Heiterkeit.) Das entspricht sowohl unserem Friedensbedürfniß wie unserer Uninteressiertheit in orientalischen Dingen und in Mittelmeer⸗Fragen. Wir setzen uns dadurch auch nicht in Widerspruch zu Rußland, mit dem wir nicht nur durch alte und ehrwürdige Traditionen, sondern auch durch viele und wichtige politische Interessen verbunden sind (sehr richtig!), und von dem uns ich habe es heute schon einmal konstatiert kein irgendwie tiefergebender Gegensatz trennt. Wir widersetzen uns weder Rußland noch Frankreich, noch England, noch irgend einer anderen Macht. Wir betheiligen uns nur nicht an Schritten, welche be—⸗ denkliche Folgen haben könnten, und wir übernehmen keine Ver— antwortlichkeit für Beschlüsse, die wir für gefährlich halten.

Es ist ja, meine Herren, wie ich wohl weiß, hier und da in Guropa die Ansicht verbreitet, als ob unsere Haltung gegenüber den orientalischen Wirren keine ganz unparteiische wäre. Diese Ansicht entspricht aber nicht den thatsächlichen Verhältnissen. Unsere Politik gegenüber dem griechisch⸗türkischen Streit ist von Anfang an und bis zuletzt sine ira et studio geleitet worden. Wir waren und wir sind ebenso weit entfernt von blinder Parteinahme für den einen, wie von irgend welcher unberechtigter Ranküne gegen den anderen Theil. Die deutsche Politik hatte von Anfang an gegenüber dem griechisch türkischen Kriege nach unserer Auffassung aus zwei große Interessen: Einmal das Interesse an der Aufrechterhaltung des Friedens, dann aber das Interesse, daß die lange verkannten und so wohlberechtigten Ansprüche der deutschen Gläubiger Griechenlands endlich befriedigt würden. (Lebhafter Beifall.)

Von dem ersten Gesichtspunkte, dem Wunsche der Erhaltung des Friedens, waren alle Demarchen inspiriert, die Deutschland allein oder gemeinsam mit anderen Mächten in der kretischen Frage unter⸗ nommen hat. Und wenn es seiner Zeit auch nicht gelungen ist, das in Kreta entstandene Feuer im Keim zu ersticken, wurde dasselbe doch lokalisiert, und erreicht, daß der Brand nicht die anderen Balkanvölker und damit voraussichtlich Europa ergriff. Allerdings, meine Herren, ist das Gewicht, das große Schwergewicht der deutschen Politik in die Schale, die Reiche wägt“, nicht geworfen worden zu Gunsten der Griechen. Das kam aber zunächst daher, daß in dem vergangenen griechisch⸗türki⸗ schen Kriege die Griechen der angreifende, die Türken aber der ange—⸗ griffene Theil waren. Nun entspricht es aber nicht den Traditionen der deutschen Politik, sich zu ereifern für denjenigen, der unbesonnen einen Streit beginnt. Dazu kam noch eine andere Erwägung, die ich mich garnicht scheue, auch an dieser Stelle ganz offen auszusprechen. Die Griechen hatten durch die Art und Weise, wie sie ihren Ver⸗ pflichtungen gegenüber ihren deutschen Gläubigern, einem sehr achtungswerthen und sehr beachtungswerthen Theile des deutschen Volkes, kleinen Leuten, kleinen Rentnern, Leuten, die zum theil ihre ganzen Ersparnisse in griechischen Werthen angelegt hatten, nachgekommen oder vielmehr nicht nachgekommen waren (Heiterkeit), nicht gerade dazu beigetragen, sich unsere Sympathien zu sichern. (Sehr wahr) Und wenn ich dem griechischen Volke, für dessen Emanzipation unsere Väter und Großväter geschwärmt haben, einen aufrichtigen Freundesrath ertheilen dürfte, so würde es dieser sein, nach Wiederherstellung des Friedens sich vor allem der Ordnung seiner inneren Angelegenheiten und ganz besonders der Sanierung seiner Finanzen zu widmen. Les bons comptes font les bons amis, zu deutsch: Zahle deine Schulden, und das übrige wird sich finden. Heiterkeit.)

Im übrigen bleibt es für uns in orientalischen Angelegenheiten bei dem erprobten Grundsatze, daß wir nur da zu haben sind, wo es sich um die Wahrung und Stärkung des Friedens handelt. Denn wenn ich auch weit entfernt bin, wie der Bürgersmann im ‚Faust“ es hübsch zu finden, wenn hinten weit in der Türkei die Völker auf ein⸗ anderschlagen (Heiterkeit), so glaube ich doch, daß es auf diesem Ge⸗ biet die erste Pflicht der Regierung ist, dafür zu sorgen, daß, was auch kommen möge, der Deutsche in seinem Lande in Ruhe sein Gläschen trinken kann und segnen Fried' und Friedenszeiten. (Leb—⸗ haftes Bravo!)

Abg. Dr. Hasse (ul.): Wenn wir die Freude hatten, daß Kigetschau von Veutschland besetzt wurde, so liegt das an der Tüch⸗ tigkeit unserer Flotte. Es giebt kaum einen Punkt an der chinesischen Küste, der so gut für die Ansiedelung von Deutschen sich eignete, wie dieser. Die Ermordung katholischer Missionare ist mit Recht benutzt worden. Ich hoffe, daß wir über die Sühne für die Ermordung eines evangelischen Missionars auch etwas Erfreuliches erfahren werden. enn die Besetzung von Kigotschau sich so glatt voll zogen bat, ohne daß fremde Mächte Widerspruch erhoben oder diesen Widerspruch mit den Waffen in der nd bethätigt hätten, so ist das sehr erfreulich. Die Chinesen selbst sind durchaus befriedigt über die dhe fh Deutschlands. Wir müssen uns darauf gefaßt machen, daß große Mittel für Hafenbauten und Befestigungen don uns verlangt werden. Durch die Konzessionen, welche an Deutschland gewährt sind, hat das abgetretene Gebiet erst recht Be⸗ deutung erlangt, Ueber die endgültige Verwaltung sind noch keine Beschluͤsse gent. Es wäre angezeigt, die Verwaltung vielleicht dem Auswärtigen Amt resp. der Kolonial Abt hestung zu unterstellen. Aber die Marineverwaltung hat die ersten vorbereitenden Schritte gethan; es ist zweckmäßig, wenn sie einheitlich die Verwaltung in der Hand behält. Die Erwerbung selbst und die Art derselben halte ich für ein außerordentli lückliches Greigniß, für dessen Durch führung wir der Reichsregierung ju lebhaftem Dank verpflichtet

sind. Dem Abg. Bebel möchte ich entgegnen, daß es sich hier nicht um ein erstes Stück der Weltpolitik handelte, sondern daß wir uns schon lange in der Entwickelung dieser Verhältnisse befinden. Denn in Ost⸗Asien fahren den ej Schiffe jwischen fremden eilen und befördern einen großen Theil der mehr alt llionen onnen umfassenden Frachten. Diese Weltpolitik ist lange vorhanden,

igen Konsequenzen ge . . 9j

adurch, da betheiligt, w

Gegen 6 Uhr wird die Weiterberathung auf Mittwoch 2 Uhr vertagt.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

. 16. Sitzung vom 8. Februar 18938.

eber den Beginn der Sitzung ist schon berichtet worden. Nach Erledigung . . folgt 6 Verlesung der Interpellation der Abgg. Haacke, Freiherr von Zedlitz und Neukirch (fr. y und Genossen:

Ist die , . Staatsregierung bereit, Mittheilung darüber zu machen, ob die in der Thronrede verheißene Vorlage, betreffend die Neuregelung und Verbesserung des Bienstein⸗ kommen der Geistlichen beider Konfessionen in der nächsten Zeit zu erwarten ist, gegebenenfalls aus welchem Grunde die Einbringung der Vorlage sich verzögert?“

Der Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten D. Dr. Bosse erklärt sich bereit, die Interpellation sofort zu beant⸗ worten, und führt nach Begründung derselben durch den Abg. Haacke Folgendes aus:

Ich beantworte die gestellte Anfrage namens der Königlichen Staatsregierung dahin: Nachdem der Landtag der Menarchte die Königliche Staatsregierung in der letzten Sesston durch Resolutionen aufgefordert hatte, auf dem Wege der Gesetzgebung für die Aufbesse⸗ rung und Regelung der Gehälter der Geistlichen zu sorgen, hat sich die Staatzregierung alsbald mit den geordneten Organen der exangeli⸗ schen Landeskirchen und der katholischen Kirche in Verbindung gesetzt. Die evangelischen Kirchen hatten sich über eine gesetzliche Regelung des Pfarrerbesoldungswesens auf der Grundlage der Errichtung einer für alle Landeskirchen gemeinsamen Alterszulagekasse verständigt, und die sechs betheiligten obersten Synoden haben die betreffenden Kirchengesetz⸗ entwürfe inzwischen sämmtlich angenommen. Wie aus der Presse und auch wohl dem Herrn Interpellanten bekannt ist, hat die letzte der gehörten Synoden, die General⸗Synode des Konsistorialbezirs Cassel dem Kirchengesetz erst am 29. Januar endgültig zugestimmt. Es liegt auf der Hand, daß es nicht möglich gewesen ist, in den acht Tagen, die seitdem verflossen sind, die Allerhöchste Genehmigung zur Einbringung des erforderlichen Staategesetzentwurfs herbeizuführen. Die hierzu nöthigen Vorarbeiten werden jedoch mit der größten Be⸗ schleunigung fertiggestellt, und der in der Thronrede an⸗ gekündigte Gesetzentwurf wird dem hohen Hause in der nächsten Zeit vorgelegt werden. Wir selbst haben das lebhafteste Interesse daran. Die Verhandlungen mit den Herren Bischöfen sind gleichfalls eingeleitet. Sie sind noch nicht zu Ende gebracht. Ich hoffe indessen, daß es gelingen wird, schon im Interesse der Parität, auch den für die katholische Kirche bestimmten Gesetz« entwurf in der nächsten Zeit dem hohen Hause zugehen zu lassen. Von einer materiellen Erörterung der ganzen Frage nehme ich bei dieser Lage der Sache jzur Zeit Abstand, umsomehr, als der Herr

Interpellant sie selbst nicht gewünscht hat und wir in wenigen Wochen

uns nothwendig über diese Seite der Sache unterhalten können, und auch um deswillen, well sich die Wänsche der Staatsregierung und dieses hohen Hauses sich vollständig begegnen.

Meine Herren, ich gebe mich der Hoffnung hin, daß wir endlich zu einem gedeihlichen Abschluß dieser überaus wichtigen und dringenden Angelegenheit kommen und uns darüber in verhältnißmäßig leichter Weise verständigen werden. (Bravo h)

Abg. Dr. von Heydebrand und der Lasa (kons.)

beantragt die Besprechung der Interpellation.

Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch (fe. kons.) erklärt, seinerseits nach der eben gehörten Erklärung des Kultuss⸗Ministers keinen Anlaß zur Besprechung zu haben.

Abg. Dr. Porsch (Zentr.) schließt sich dem Antrage auf Be⸗ sprechung an.

Der Antrag wird genügend unterstützt.

Abg. Dr, von Heydebrand und der Lasa (kons): Damit nicht der Anschein entsteht, als ob nicht auch in unserer Fraktion ein ebenso warmes Herz für die Geiftlichen vorhanden wäre, daß wir ihnen nicht wirksam entgegenkommen wollten, konstatiere ich, daß im vorigen Jahre ein Antrag unserer Partei die n gefordert hat und die Majorität des Hauses sich auf unseren Antrag vereinigt hat, der die Unterlage für das gesetzgeberische Vorgehen bilden soll. Auf die Sache *in einzugehen, trage ich Bedenken; ich erachte es auch nicht für zweckmäßig, alles Uebrige in den Kreis der Besprechung hinein⸗ zuziehen, wie es der Herr gate rpcfn getban hat. Wir werden den 8. abwarten, an ihn mit Wohlwollen herantreten und die wie wir hoffen ausgreichend vorgesehene Besserstellung der Geist⸗ lichen so früh wie möglich in Krast treten lassen. Alles Uebrige be⸗ halten wir uns vor, bis die Vorlage da ist.

Abg. Dr. Dor sch (3entr.); Namens meiner Freunde kann ich mich diesen Ausführungen anschließen und kann mir versagen, einige Ausführungen des Abg. Haacke richtig zu ftellen. Ich habe die Bemerkung des Minissers, daß auch für die katholische Kirche ein Gesetzentwurf vorgelegt werden kann, gern gehört und hoffe, daß die Vorlegung auf Grund der Vereinbarung mit den Bischöfen statt⸗ . kann und die Verhandlungen mit diesen möglichst schnell zu

nde kommen.

Abg. Dr. Sattler (nl): Ich brauche mich materiell nicht zu äußern, zumal ich bei der ersten Lesung des Etats die Stellung meiner Freunde zu der zu erwartenden Vorlage skizziert habe. Wir e en die Erklärung des Ministers mit Freude, daß die Vorlage in näͤchster

eit kommen soll, weil wir überzeugt sind, daß sie einer dringenden Nothlage abzuhelfen bemüht ist. Wir hoffen, daß wirklich dieser Zeitpunkt möglichst nahe ist, damit an noch die nothwendigen Ju⸗ wendungen für das Jahr 1898/ñ 99 den betreffenden Herren zu theil werden. Ich verzichte gegenwärtig auf weitere Ausführungen und verweise nur darauf, daß wir dem ganzen Unternehmen mit größtem Wehlwollen gegenüberstehen und in der Gehaltgaufbesserung der Geistlichen ein absolut dringendes Grforderniß erblicken.

Schluß in de netten Denltach

zum Deutschen Reichs⸗A

M 35.

Zweite Beilage

Berlin, Mittwoch, den 9. Februar

(Schluß aus der Ersten Beilage.)

Abg. Dr. Langerhans (fr. Volksp.): Nach dem, was Herr

acke sagte, muß ich Einiges bemerken, weil man sonst sagen könnte: qui tacet, consentire videtur. Ich stimme aus wesentlichen Gründen nicht zu. Wir haben weder einen evangelischen, noch einen katholischen, noch einen paritätischen Staat, sondern einen Staat mit völliger Religionsfreiheit. Wenn wir anfangen, uns um einzelne Religionen zu kümmern und ihre Prediger zu Staatebeamten zu machen, so thun wir weder dem Staat noch den Kirchen einen Dienst, im Gegentheil, das würde Staat und Kirche in großem Maße stören. Wie können wir über das Gehalt der Prediger bestimmen? Wir haben nicht ein Wort bei der Anstellung mitzusprechen, auch nicht in der Frage, wie viel Prediger angestellt werden sollen; das machen die Kirchen unter sich. Wenn die Religlonsgesellschaften nicht soviel Ueberzeugung von ber Wichtigkeit ihrer Kirche haben, daß sie ein Scherflein geben, damit

ihre Prediger leben können, so ist ihre christliche Ueberzeugung nicht Man kann also nicht sagen, daß im ganzen Hause zu

viel werth. gestimmt wird. ; .

Abg. Freiherr von Zedlitz und Neu kirch (fr. kons.): Diese Aeußetungen nöthigen mich doch zur Erwiderung. Abg. Langer hans scheint die Geschichte unseres Staates und der katholischen und evan= gelischen Kirche nicht zu kennen, sonst wüßte er, daß es eine Ehren— pflicht des Staatetz ist, mit Rückicht darauf, daß er in der Zeit der Noth die Kirchengüter für staatliche Zwecke eingezogen hat, auch für die reichliche Dotierung der Pfarreien zu sorgen. Der preußische Staat soll seinen Ehrenpflichten, auch wenn sie nicht auf der Bei⸗ fassung basiert sind, genau ebenso genügen, wie den verfassungsmäßigen. Abgesehen von dem Abg. Langerhans und seinen, in diesem Hause glücklicher Weise nicht sehr zahlreichen politischen Gesinnungsgenossen, wird auf allen Seiten des Hauses die Aufbesserung der Gehälter der Geistlichen als ein dringendes Bedürfniß anerkannt, und ich hoffe, daß die Regierung daraus einen noch stärkeren Anlaß herleiten wird, möglichst rasch mit der Voclage zu kommen,. .

Ein Schlußantrag des Abg. von Arnim wird abgelehnt.

Abg. Dr, Langerhans:; Die Gründe, die Abg. von Zedlitz anführte, habe ich wohl gekannt, aber ich denke, daß die Verpflich- tungen, die der Staat bei der Einziehung der geistlichen Güter ein— gegangen ist, schon reichlich gehalten sind, daß viel mehr gegeben ist, als eingezogen wurde. .

Damit ist die Interpellation erledigt.

Das Haus setzt darauf die zweite Berathung des Staatshaushalts⸗Etats für 1898/99 bei den Ausgaben der Justizverwaltung fort.

Abg. Broese (kons.) hält eine Erhöhung des Wohnungsgeld— zuschusses für die Unterbeamten, namentlich in größeren Städten, wie Berlin, analog der Erböhung für die Subalternbeamten, für dringend nothwendig und empfiehlt die Ueberweisung einer entsprechenden Petition der Justiz⸗Unterbeamten in Berlin als Material.

Geheimer Dber⸗Finanz⸗Rath Belian erklärt, daß die Er— wägungen über diese Frage noch nicht abgeschlossen feien wegen der Verschiedenbeit der Verhältnisse in den einzelnen Landestheilen.

Abg. Meyer (Zentr) schließt sich den Wünschen des Abg. Broese an und weist namentlich darauf hin, einen wie schweren Dienst die Unterbeamten im Sommer und Winter zu verrichten haben; es empfehle fich deshalb auch, ihr Verlangen auf Erhöhung des Gehalts, der Diäten und Verbesserung ihrer Anstellungsverhältnifse zu berück. sichtigen und auch dieses Petitum der Staatsregierung als Material zu überweisen. ;

Abg. Wetekamp lfr. Volksp.) bemerkt, daß zunächst die Dienst⸗ verhältnisse dieser Beamten geregelt werden mnüßten, und fragt an, ob und in welcher Weise mit der Verkürzung der Dienststunden der Gefängnißbeamten vorgegangen sei. Er würde es bedauern, wenn den Beamten durch Vertretungen ein großer Theil ihrer freien Zeit ver kürzt würde.

Justiz-Minister Schönstedt:

Meine Herren! Hinsichtlich des von dem Herrn Abg. Wetekamp ausgesprochenen Wunsches, daß die Beschaffung der Dienstkleidung für die Gefängnißbeamten seitens der Staattregierung in die Hand ge⸗ nommen und vermittelt werden möge, haben im Laufe des letzten Jahres eingehende Ermittelungen stattgefunden. Dieselben haben aber zu einem negativen Ergebniß geführt insoweit, als die Vertreter der größeren Gefängnisse, insbesondere des Gefängnisses von Plötzensee, entsprechend der Auffafsung der dort angestellten Beamten, sich gegen eine solche Anschaffung ausgesprochen haben. Infolge dessen hat für die Justiz⸗ verwaltung kein Anlaß vorgelegen, den Antrag weiter zu verfolgen.

Was die Dienstzeit der Gefängnißaufseher angeht, so ist schon im vorigen Jahre von meinem Herrn Kommissar hier die Erklärung abgegeben worden, daß die Justiwwerwaltung den Anspruch auf eine Beschränkung der Dienstzeit dieser Beamten auf eine zehnstäündige Durchschnitts dauer als berechtigt anerkennt und ihrerseits gewillt ist, nach Möglichkeit diesen Grundsatz zur Durchführung zu bringen. Dementsprechend ist im Dezember vorigen Jahres an die Ober⸗Staatsanwalte eine Verfügung erlassen worden, die allerdinggs nicht ganz den Inhalt hat, welchen Herr Wetekamp voraustsetzt, die nämlich nicht etwa ohne weiteres die Weisung enthält, daß fortan keine Gesängnißaufseher zu einer längeren als 10 stündigen Dienstzeit berangezogen werden dürfen, sondern die nur die Di— rektiven giebt, um die allmähliche Eraeichung dieses Ziels in die Wege zu leiten.

Bei den unter der Verwaltung des Ministeriums des Innern stehenden Gefängnissen ist die zehnstündige Dienstzeit durchgeführt. Die gleiche Durchführung stößt aber bei den Gefängnissen im Be⸗ reiche der Justizverwaltung auf Schwierigkeiten, weil das etatsmäßige Beam tenpersonal bei den Gefängnissen der Justizverwaltung ein verhält⸗ nißmäßig geringeres ist wie bei den Gefängnissen der inneren Ver—⸗ waltung. Es kommt im Juftizbereich nicht auf dieselbe Zahl von Ge⸗ fangenen ein Aufseher wie bei den Gefängnissen der inneren Verwaltung. Gs koramt dazu, daß bei einem großen Theil der Justizgefängnisse die Inanspruchnahme der Aussichtsbeamten deshalb eine größere ist, weil sie mit sehr zahlreichen Vorführungen zum Zweck gerichtlicher Vernehmung zu thun haben. Es kommen auch zahlreichere Justiz⸗ gefangene in Frage, weil ferner hier häufiger ein Wechsel in den Ge—⸗ fangenen stattfindet, da es sich hier meistens um eine kürzere Straf⸗ dauer handelt wie bei den großen Gefängnissen unter der Verwaltung des Ministeriums des Innern. Alle diese Verhaͤltnisse verlangen naturgemäß eine Berücksichtigung. Es kann nicht mit einem Schlage das Beamtenpersonal in dem Maße verstärkt werden wie es die vollständige Durchführung dieses an sich durchaus berechtigten Ge⸗ dankens erfordern würde. Es ist aber, wie gesagt, schon darauf hin⸗ gewirkt. Eg muß hierbei geschieden werden, wie im einzelnen die

Einrichtung, die bauliche Gestaltung und die Organisation des Gesängnisses ausfällt. Alles dies ist sehr wesentlich. Bei dem einen Gefängniß kann ein Beamter eine viel größere Zahl von Ge— fangenen beaufsichtigen wie bei dem anderen, je nach dem inneren Ausbau, nach der Art der Beschäftigung u. s. w. Die Verfügung, die erlassen ist am 9. Dezember v. J., stellt an die Spitze den Satz: Es soll der Versuch gemacht werden, zunächst bei denjenigen Gefängnissen, bei denen wenigstens ein Inspektor im Hauptamt an⸗ gestellt ist, die tägliche Dienstzeit der Gefangenenaufseher und ⸗Auf⸗ seherinnen auf durchschnittlich 10 Stunden zu beschränken; ohne daß eine zu erhebliche Verstärkung des Aufsichtspersonals statt⸗ findet.

Es ist weiter hingewiesen auf die dabei sonst zu berücksichtigenden Umstände, und es ist dann, abweichend von dem System, welches in der Verwaltung des Innern herrscht, zunächst als wünschenswerth bezeichnet, daß nicht rein mechanisch für jeden Tag eine zehnstündige Dienstzeit eingeführt werde, sondern daß für 5 Tage der Woche eine Dienstzeit von 11 Stunden festgehalten werde, damit am sechsten Tage den Beamten ein halber Tag vollständig freigegeben werden könne. Nach dem, was uns über die Wünsche der Unterbeamten bekannt geworden ist, werden sie diese Art der Regelung vorziehen. Es sind Berichte erfordert von den Ober ⸗Staatsanwalten darüber, in welcher Weise und in welchem Umfange die Maßregel schon jetzt zur Duich⸗ führung gelangt ist oder gelangen kann, und wir werden Anträge erwarten in Bezug auf etwaige Vermehrung des Personals. Ich glaube hoffen zu können, daß im nächsten Etat die entsprechenden Umgestaltungen zu sichtbarem Ausdruck gelangen werden.

Abg. Kir sch (Zentr.): Die rechte Seite scheint sich in der letzten Zeit der Unterbeamten besonders anzunehmen, auch wenn diese Wüasche von der Regierung nicht getheilt werden. Ich sage nicht, daß dies mit Rücksicht auf die Wahlen geschieht, aber wir bedauern, daß sie nicht schon im vorigen Jahre mit uns für eine generelle Erhöhung der Gehälter der Ünterbeamten eingetreten sind. Nunmehr ist zu hoffen, daß die Regierung sich den allgemeinen Wünschen des Hauses nicht verschließen wird. .

Abg. Broese: Wir haben für die Unterbeamten dasselbe Her; gehabt zu jeder Zeit wie die andere Seite, nur stießen wir auf praltische Schwierigkeiten.

Abg. von Eynern (ul.): Ganz so warm sind die Herren drüben doch nicht für die Sache gewesen, denn sie haben unseren Antrag auf Vorlegung eines Gesetzentwurfs in dieser Session abgeändert dahin, daß dieser Entwurf „baldmöglichst“ vorgelegt werde.

Die Petition der Unterbeamten wird der Regierung als Material überwiesen.

Abg. Noelle (ul.) beschwert sich darüber, daß in den Gerichts. gefängnissen bei billigen Arbeitslöhnen der Privatindustrie eine ver⸗ nichtende Konkurrenz gemacht werde; er erinnert namentlich an die Beschwerde der Lüdenscheider Industrie.

Justiz-Minister Schönstedt: Meine Herren! Eine Beschwerde einer Lüdenscheider Firma des

Inhalts, wie ihn etwa der Herr Abg. Noelle vorgetragen hat, ist an

den Herrn Minister des Innern und an mich im vorigen Jahre ge—

richtet worden. Es haben darauf Ermittelungen stattgefunden und diese

haben ergeben, wenigstens was die Justizgefängnisse anbetrifft bezüg⸗ lich der Verwaltungsgefängnisse bin ich zur Ertheilung von Auskunft nicht in der Lage —, daß die Angaben des thatsächlichen Grundes ent— behren. Es kamen drei gerichtliche Gefängnisse in Frage: in Wohlau, in Strehlen und in Schweidnitz, und nach dem Berichte des Ober⸗ Staatsanwalts vom 14. Januar dieses Jahres hat sich er⸗ geben, daß in Wohlau schon seit dem 1. April 1894 für den Konkurrenzfabrikanten, der da in Frage kommt, überhaupt nicht mehr gearbeitet wird. Im Gefängniß in Strehlen sind allerdings in den letzten Jahren 34 bezw. 32 jugendliche Gefangene gegen einen Tagelohn von nur 30 beschäftigt worden mit der An⸗ fertigung von Rockkettchen, nicht aber mit der Anferngung von Knöpfen und Schnallen. Im Gefängniß zu Schweidnitz endlich sind 1895/3 96 durchschnittlich 26,75 Gefangene für diese Konkurrenzfirma thätig ge⸗ wesen, aber nur in ganz verschwindendem Maße mit der Anfertigung von Knöpfen. Im Jahr 1895 sind 27, 16, im Jahr 1896 2,90 Gefangene mit der Anfertigung von Knöpfen beschäftigt worden.

Danach reduziert sich also die Beschwerde über einen unlauteren Wettbewerb seitens der Gefängnisse auf ein durchaus geringes Maß. Ich glaube kaum, daß hierin die Industriellen Lüdenscheids eine Be⸗ schwerde finden können. In diesem Sinne ist eine ablehnende Be⸗ scheidung an die beschwerdeführende Firma am 26. Januar meinerseits ergangen.

Gestern ist mir eine Eingabe der Handelskammer zu Lüden⸗ scheid zu Gesicht gekommen, die denselben Gegenstand betrifft. So⸗ viel ich weiß, enthält sie nichts Neues, und es ist möglich, daß die Handelskammer in der Sache schon vorgegangen ist, ohne von dieser Aufklärung Kenntniß zu haben.

Noch den Ergebnissen der thatsächlichen Ermittelungen halte ich die Beschwerde nicht für begründet. Es läßt sich unmög⸗ lich durchführen, daß alle Gefangenen lediglich für Staats betriebe oder in landwirthschastlichen oder ähnlichen Unternehmungen beschäftigt werden; gerade für den Bereich der Justizgefängnisse ist die Schwierigkeit in dieser Beziehung besonders groß, weil es sich bei ihnen vielfach um Gefangene von sehr kurzer Strafdauer handelt, und weil die einzelnen Gefängnisse, die hier in Frage kommen, nicht immer über ein so großes Gefangenenpersonal zu verfügen haben, daß etwa größere landwirthschaftliche Melierationsarbeiten von ihnen vorgenommen werden können.

Dag Bestreben der Justijverwaltung geht aber dahin, derartige Beschäftigungen nach Möglichkeit zu fördern, und es sind im Laufe des vergangenen Jahres mehrfache Verfügungen in dieser Richtung ergangen, welche, wie ich glaube, den laut gewordenen Beschwerden immer mehr den Boden entziehen werden.

Bei dem Kapitel „Besondere Gefängnisse“ bringt

Abg. Dr. Friedberg (nl) die schlechte Behandlung der Redakteure in den Gefän ien zur Sprache und fragt den Minister, ob er nicht eine zweckmäßige Verordnung erlassen wolle.

nzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗Anzeiger.

1898.

Justiz⸗Minister Schönstedt: . Die von Herrn Dr. Friedberg angeregte Frage ist eine sehr

schwierige. Bekanntlich haben wir noch nicht ein einheitliches Straf⸗ vollzugtsgesetz. Allerdings ist im Bundesrath vor einigen Monaten eine Vereinbarung über gewisse allgemeine Grundsätze, die beim Straf· vollzug beobachtet werden sollen, getroffen. Unter diesen Grundsãätzen befindet sich auch der, daß bei der Strafvollstreckung, soweit es nach der Bestimmung des Strafgesetzbuchs möglich ist, die Individualität, der Bildungsgrad, die Vergangenheit u. s. w. der Gefangenen nach Möglichkeit berüclsichtigt werden sollen. Das geschieht schon jetzt in den preußischen Gefängnissen, soweit meine Erfahrung reicht. Wenn hier und da Mißgriffe vorkommen, so glaube ich, die Verantwortlichkeit hierfür nicht überall übernehmen zu können. Vielfach liegt ja die Vollstreckung des Strafvollzugs in der Hand von unter · geordneten Beamten, und es ist dabei nicht ausgeschlossen, daß hier und da die aus den Vorschriften des Strafgesetzbuchs und aus den Anweisungen der höheren Behörden sich ergebenden Grundsätze nicht genau innegehalten werden. Ich habe, nachdem dieser Bundesraths⸗ beschluß gefaßt war, die Gefängnißverwaltungen angewlesen, darnach schon jetzt und schon vor der beabsichtigten Neugestaltung des Ge⸗ fängnißreglements zu verfahren. Im übrigen befindet sich eine Um⸗ arbeitung des Gefängnißreglements in Vorbereitung, und es wird damit nach Möglichkeit diesem Gesichtspunkt Rechnung getragen werden. Schließlich glaube ich, hervorheben zu dürfen, daß die Mit- theilungen über ungeeignete Behandlung von Strafgefangenen doch nicht immer begründet sind. Ich erinnere mich z. B., daß vor einiger Zeit durch die Blätter, namentlich durch die sozialdemokratischen, eine Mittheilung ging, es sei in einem oberschlesischen Gefängnisse ein Gefangener, der auch, glaube ich, wegen eines Preß oder eines Hausier⸗ vergehens mit Druckschriften bestraft worden war, dort an die Kette gelegt, und es sind sogar Photographien verbreitet, die diesen Gefan⸗ genen in seiner Gefängnißzelle angekettet darstellen. Es hat sich nachher herausgestellt, daß diese ganze Sache auf Erfindung beruht. Der Mann hat sich allerdings, nachdem er aus der Haft entlassen war, dazu hergegeben, sich in einem der Gefängnißkleidung äbnlichen Kostüm unter Anbringung von Ketten photographieren zu lassen (Heiterkeit) und dieses Bild ist demnächst in alle Welt verbreitet, und namentlich von sozialdemokratischer Seite ins Ausland geschickt, um dort die an⸗ gebliche Barbarei in den preußischen Gefängnissen zu illustrieren. Der Mann, der sich dazu hergegeben hat, ist nachher unter Anklage gestellt wegen groben Unfugs; er ist bestraft und hat bei der Ver⸗ handlung erklärt, er habe keinen Grund gehabt, sich über die Art der Behandlung im Gefängniß zu beklagen.

Was dann den von Herrn Dr. Friedberg speziell erwähnten Fall betrifft bezüglich der Strafvollstreckung an dem Erzbischof Melchers in Köln, so ist in der Sitzung des Reichstages vom 1. Februar von einem der Herren, als der Strafvollzug zur Sprache kam, folgende

Behauptung aufgestellt worden:

„In der Zeit des Kulturkampfes ist man so weit gegangen, entgegen der Bestimmung des § 16 unseres Reichs⸗Strafgesetzbuchs, wonach die zu Gefängnißstrafe Berurtheilten in einer Gefangenen⸗ anstalt in einer ihren Fähigkeiten und Verhältnissen angemessenen Weise beschäftigt werden können und auf ihr Verlangen in dieser Weise zu beschäftigen sind entgegen dieser klaren Bestimmung 3. B. den damaligen Herrn Erjbischof von Köln mit Strohflechten zu beschäftigen. ‚Paulus Melchers Strohflechter“ ist in allen katholischen Herzen in Deutschland und über die deutschen Grenzen hinaus mit so unauslöschlicher Schrift eingeprägt, daß alle Ver⸗ herrlichung und aller Tadel wegen hochgesteigerter Humanität unserer Strafvollftreckung diese Schrift in Ewigkeit nicht austilgen werden.“

Meine Herren, diese Anführung eines hochangesehenen Mitgliedes des Reichstages hat mich in solchem Maße frappiert, daß ich es für meine Pflicht gehalten habe, das, was ihr thatsächlich zu Grunde

liegt, aufzuklären. Ich habe deshalb darüber Bericht gefordert und

die Akten einziehen lassen. Ich glaube dem Herrn, der diese Be— hauptueng aufgestellt hat, selbst den besten Dienst zu thun, wenn ich den wirklichen Sachverhalt hier zur Kenntniß gebe. Auf Grund der mir vorgelegten Akten kann ich konstatieren, daß der Erzbischof von Köln, der in der Strafanstalt von Köln vom 31. März bis zum 9. Oltober 1874 eine Strafhaft verbüßt hat wegen Uebertretung der Kulturkampfgesetze, während dieser ganzen Zeit von Anstalts wegen überhaupt nicht beschäftigt worden ist. Dieser Herr ist, seiner Stellung und seiner Persoöͤnlichkeit entsprechend, mit größt⸗ möglicher Rücksicht während der Verbüßung der Strafe behandelt worden. Aus den mir vorgelegten Akten geht hervor, daß dem Herrn zunächst bei Antritt seiner Strafe drei Stuben im Mittelgebäude zugewiesen wurden, die bis dahin zu Verwaltungs⸗ hwecken der Direktion zur Verfügung gestanden hatten. Da diese Zimmer dauernd nicht entbehrt werden konnten, sind im Monat Mai, also nachdem der Erzbischof sich etwa vier Wochen in diesen Zimmern befunden hatte, ihm im Mittelgebäude zwei Zimmer angewiesen worden, durchelnandergehende Zimmer, für die eine Verbindung her⸗ gestellt war, und die lediglich für diesen Zweck mit neuen Möbeln ausgerüstet waren, Zimmer, von denen jedes 6,8 m lang, 4m breit und 3,4 m hoch, und von denen jedes mit zwei Fenstern ausgestattet war. Diese Zimmer haben also dem Herrn Erzbischof während seiner ganzen Strafhaft gedient, das eine als Wohn, Arbeits und Studier⸗ zimmer, das andere als Schlafzimmer. Es ist dem GErjbischof die Benutzung des eigenen Bettes gestattet worden, ebenso die eigene Beköstigung, und jwar in den ersten acht Tagen durch den Lieferanten, der solche Beköstigung besorgt, von da ab aus seiner eigenen Küche, aus der ihm dreimal täglich die Speisen gebracht worden sind. Der Herr Erjbischof hat sich während dieser ganzen Zeit ausschließlich mit Studien und Gebet beschäftigt. Es sind ihm möglichste Freiheiten gewährt worden. Er hat dabei täglich zweimal einen Spaziergang machen können, Vor. und Nachmittage je eine Stunde lang, unter möglichster Schonung und Vermeldung

jeder Berührung mit den anderen Gefangenen.