Denutscher dꝛeichstag. 46. Sitzung vom 21. Februar 1898, 1 Uhr.
Tagesordnung: Fortsetzung der zweiten Berathung des Rei een n. tats für 1898 bei dem Eat des Reichsheeres und zwar beim Titel, Gehalt des Kriegs⸗
Ministers“. , . ö den Anfang der Sitzung wurde in der gestrigen
Nummer d. Bl. berichtet. Auf die Rede des Abg. Bebel (Soz), der im wesent⸗
lichen seine in der Sitzung vom 18. Februar aufgestellten Be⸗ hauptungen wiederholt, erwidert der
Kriegs⸗-Minister General-Lieutenant von Goßler:
Der Herr Abg. Bebel beschäftigte sich mit der Rede, die ich zuletzt gehalten habe. Wenn ich ihm mit derselben Ausführlichkeit antworten wollte, würden Rede und Gegenrede kein Ende finden. Ich will mich daher in Betreff der erhobenen Angriffe auf wenige kurze Aus führungen beschränken, behalte mir aber vor, auf einige andere Angelegenheiten noch ausführlicher zurückzukommen.
Was zunächst den Vorwurf betrifft, daß wir Sattlerarbeiten an Lieferanten vergäben, die eigene Fabriken nicht besäßen und infolge dessen die Arbeiter drückten und Zwischenverträge abschlössen, die für die Arbeiter ungünstig wären, so hat er meines Wissens aus meinem Geschäftsbereich derartige Fälle nicht angeführt. Im übrigen ist es auch Vorschrift, daß sich die Intendanturen über die Zuverlässigkeit der Lieferanten genau orientieren müssen. Gewiß ist es das Recht eines jeden Volksvertreters, Uebelstände zur Sprache zu bringen; das würde ich weder verschränken können, noch wollen. Es fragt sich nur, in welchem Sinne und in welcher Weise solche Sachen vorgetragen und welche Schlüsse daraus gezogen werden.
Der Abg. Bebel verfährt aber so, daß er hier die schwersten Beschuldigungen und zum theil Beleidigungen gegen Personen, die sich nicht vertheidigen können, vorbringt, und auch ich bin, wie ich das schon am Sonnabend autführte, da mir in der Regel der Thatbestand unbekannt ist, weil der Herr Abgeordnete nicht die Güte hat, mich vorher zu orientieren, nicht in der Lage, für diese Personen einzutreten und entsprechende Auskunft zu geben. (Zuruf) — Nein! Ich kann nur sagen, daß mir bie her kein Fall bekannt ist, in dem mir vorher mitgetheilt worden wäre, wer hier öffentlich an den Pranger gestellt werden soll, sodaß es mir niemals möglich war, mich auf derartige Angriffe vorzubereiten.
Der Herr Abg. Bebel hat dann von seiner Einwirkung auf die Armee gesprochen und gemeint, seine Reden wären auf die Armee ven bedeutendem Einfluß gewesen. Ich glaube, da irrt er sich doch ganz gewaltig; wenigstens liegen Erfahrungen, die in irgend einer Form diese Meinung des Herrn Abg. Bebel bestätigen könnten, nicht vor.
Wo er übrigens seine persönlichen Erfahrungen über Miß— handlungen gesammelt hat, namentlich ob er dabei auf die preußische Armee abzielt, geht aus seinen Ausführungen nicht hervor.
Die Anschauung, daß wir in der Armee jede Selbständigkeit unterdrückten, ist völlig falsch. Im Gegentheil, wir müssen die Leute mit Rücksicht auf ihre Verwendung im Kriege gerade zur Selbständigkeit erziehen. (Sehr richtig) Die Verhältnisse des modernen Krieges verlangen eben die Selbständigkeit auch des einzelnen Streiters. Was aber der Herr Abg. Bebel nicht versteht und begreift, das ist unsere persönliche unbedingte Hingabe an einen einzigen großen Zweck. Aufgabe der militärischen Erziehung muß es sein, diese ideale Hin gabe den Leuten anzuerziehen (Bravo!), und gelingt es uns auch im
allgemeinen, in den Leuten ein hohes Ehrgefühl zu wecken. Der An⸗
nahme des Herrn Bebel jedoch, daß, wenn in der neueren Zeit in der Bevölkerung das Ehrgefühl gewachsen sei, dieses das Verdienst der Sozialdemokratie wäre, kann ich nicht zustimmen.
Was ich bezüglich des Hinweises der Soldaten auf den Beschwerde⸗ weg gesagt habe, hat der Abg. Bebel durchaus mißverstanden. Ich habe dem Gedanken Ausdruck gegeben, daß die Lehren der Sozial demokratie darauf abzielten, das Vertrauen zu Vorgesetzten, zu Be⸗ hörden und zu jeder Autorität zu untergraben (sehr richtig), und daraus den Schluß gezogen, daß, wo das Vertrauen fehle, die Be⸗ schwerden auch nicht an die richtige Stelle kämen, sondern von den Leuten unterdrückt würden.
Auch die Behauptungen über folgenschwere Chikanierung solcher Soldaten, die den Beschwerdeweg beschritten, sind allgemeine An⸗ schuldigungen, so lange der Herr Abgeordnete den Beweis hierüber schuldig bleibt, ebenso wie die Annahme, daß Vorgesetzte die Be—⸗ schwerden nicht weiter gäben, weil sie fürchten könnten, daß dies an höherer Stelle Mißfallen erregen würde. Es wäre eines jeden Offiziers unwürdig, aus solcher Erwägung eine Beschwerde zu unterdrücken.
Die Behauptung, daß ein großer Theil unserer Leute an Schwachsinn litte, und daß die Militärärzte in dieser Hinsicht bei der Aushebung vorsichtiger sein müßten — (Zuruf). — Ich habe so verstanden. (Erneuter Zuruf.) — Nun, ich glaube, die Notizen, die ich mir gemacht habe, sind richtig. Die Militärärzte sollten, so habe ich verstanden, von mir veranlaßt werden, bei der Untersuchung der Leute sorgfältiger vorzugehen, weil sich bei den Mißhandlungen her⸗ ausgestellt habe, daß ein großer Theil der Leute an Schwachsinn leide. Herr Bebel nahm hierbei auf einen Zeitungsartikel, der auch mir bekannt ist, Bezug. Ich bin der Sache näher getreten; es ist aber festgestellt worden, daß die ermittelten Zahlen über die wegen Schwachsinn zur Entlassung kommenden Mannschaften — etwa 3 pro Jahr und Armee-Korps — nach der Statistik des Stabsarztes Herold
als recht günstige anzusehen sind.
Wenn der Herr Abg. Bebel wieder auf die Instruktionsstunde in
Neu⸗Breisach zurückkommt, so glaube ich, er kann vom Kriegs Minister nicht verlangen, daß er allen Instrultionsstunden beiwohnt. (Heiter⸗ keit) Die von neuem hierbei gegen einen Offizier zum Ausdruck ge—⸗ brachte Beleidigung halte ich für vollständig unberechtigt und da mir das bezügliche Material nicht zur Disposition steht und ich somit auch nicht wissen kann, ob der Abg. Bebel Wahres berichtet hat, so finde ich diesen Angriff bedauerlich; dem Offizier gereicht er meines Er— achtens zur Ehre. (Sehr gut! rechts.)
Ich komme nun zu der Broschüre, die mir der Heir Abg. Bebel am Sonnabend hat zusenden lassen. Ich habe zwei Exemplare er⸗ halten (Heiterkeit rechts5 und muß allerdings bekennen, daß ich nach Durchsicht der Broschüre außerordentlich enttäuscht bin. (Heiterkeit rechts.) Ich habe nach den Andeutungen, die Herr Bebel früher ge⸗ macht hatte, erwartet, hier eingehende Berechnungen zu finden und
eingehende Vorschläge. Das ist durchaus nicht der Fall. Es ist eine!
Sammlung von Zitaten verschiedenster Männer aus den verschiedensten Zeiten (Heiterkeit rechts), und diese Zitate sind verbunden durch allge— mein bekannte sozialdemokratische politische Ausführungen. Für mein Ressort finde ich ganz außerordentlich wenig. Man gewinnt den Eindruck, daß die Broschüre nur dem einen Zweck dienen soll, im höchsten Grade aufzureizen und die Verhältnisse, wie sie liegen, zu entstellen.
Ich gehe auf den Inhalt derselben, die den Titel ‚August Bebel. Nicht stehendes Heer, sondern Volkswehr“ trägt, nunmehr näher ein. Schon dieser Titel fiel mir auf; er fängt mit einer Negation an und klingt einigermaßen geschraubt. Vielleicht ist er gewählt worden, weil im Jahre 1896 eine Broschüre: „Stehendes Heer oder Miliz— Armee?“ — von Cdmund Müller geschrieben — erschienen ist, und wunderbarer Weise findet sich auch in der Bebel'schen Broschüre Herr Müller als Autorität auf Seite 73 genannt (Heiterkeit rechts, Zuruf links), obwohl derselbe in der eben erwähnten Broschüre von 1896 Folgendes sagt: — Ich gestatte mir, die Stelle vorzulesen:
„Den Beweis aber sind die Vorkämpfer des Milizsystems für alle ihre Behauptungen stets nech schuldig geblieben, Glauben haben sie freilich nichtsdestoweniger mehr als wünschenswerth gefunden. Wir stellen den umgekehrten Satz auf, aber wir bringen in der Folge auch den Beweis für dessen Richtigkeit.“
Ich würde also rathen, daß die Herren, die die Broschüre Bebel's lesen, auch die von Müller zur Vergleichung heranziehen.
Nimmt man die Broschüre des Herrn August Bebel zur Hand, so finden wir zunächst in der Einleitung die Grundsätze, welche für den Herrn Verfasser maßgebend sind. Betreffs seiner militärischen Anschauungen ist darin ausgesprochen:
„Es wird unausgesetzt an die brutalsten und menschenfeind⸗ lichsten Instinkte appelliert; diese werden nach Kräften genährt, damit sie im gegebenen Augenblick in entsprechende Thaten umgesetzt werden können.“
Die Armee soll einen „Klassencharakter' haben, der Militärdienst wird ‚Frohndienst“ genannt. Die ganze Organisation beruhe auf nationalem Banausenthum und begünstige die bornierten nationalen Aspirationen und ziehe sie groß. Der Zweck der Armee sei, die Voll⸗ kommenheit für den Massenmord zu erreichen.
Dann werden die neuen Gewehre und Geschütze einer Kritik unterzogen und die Verwendung derartiger Waffen als eine bisher noch nie dagewesene Grausamkeit bezeichnet. Daß die Kavallerie keine Bedeutung hat, versteht sich von selbst. (Heiterkeit) Die Manöver sind ‚Prunkmanöver“, die Art der Ausbildung wird aufs schärfste getadelt. Eine Erfindung, die ich bis dahin noch nicht kannte, ein in Amerika konstruierter Lufttorpedo, der nach der Beschreibung des Verfassers allerdings schrecklicher als alle unsere sämmtlichen Waffen sein muß, wird eingehend besprochen.
Sieht man sich die Einleitung näher an, so fällt auf den ersten Blick der Mangel an Logik auf. Denn wenn man die Armee, so wie es geschieht, angreift, und so alle Waffen verabscheut, dann giebt es nur einen Schluß, nämlich den: man darf keinen Krieg mehr führen, das Volk muß entwaffnet werden. Nieder mit den Waffen!“ Der⸗ artige Erwägungen sind ja auch auf dem Kongreß in London angestellt worden. Einem vorurtheilsfreien Mann, welcher bei dieser Gelegen⸗ heit einwendete, daß, wenn man gegen den Krieg wäre, doch das Volk ohne Waffen und in friedlicher Beschäftigung leben lassen sollte, wurde hierauf erwidert, ‚das ginge nicht, man könne das Volk nicht der Bourgeoisie wehrlos ausliefern. Der Zweck der künftigen Armee bekommt dadurch allerdings eine ganz eigenthümliche Färbung.
Der zweite Abschnitt der Broschüre behandelt unsere Organisation und wie sie sich entwickelt hat. Zu meinem Erstaunen wird hierbei anerkannt, daß mit der früheren preußischen Heeresorganisation An griffskriege schwer durchzuführen gewesen wären. Das ist richtig, und darum haben wir ja eben unsere Organisation geändert. (Zuruf links.) Daß die Flotte als überflüssig bezeichnet wird, versteht sich ebenfalls von selbst, auch sie ist der Gegenstand der schwersten An— griffe. Eine Menge von Zitaten, namentlich auch Aussprüche ver— schiedener Generale sollen zur Begründung dieser Angriffe dienen, und auch auf die Kriege, die wir geführt haben, wird hingewiesen. Ich habe keine Veranlassung, in dieser Hinsicht etwa für den Nutzen
einer Flotte einzutreten. Das wird von berufenerer Stelle und in
beredterer Weise geschehen. Nur darin möchte ich dem Herrn Ver— fasser August Bebel doch entgegentreten, als ob wir den Mangel einer Flotte niemals empfunden hätten. Wenn wir an die Feldzüge zurückdenken, die in diesem Jahrhundert geführt worden sind, so will ich zunächst nur darauf hinweisen, daß Napoleon J. wesentlich daran zu Grunde gegangen ist, weil er keine Flotte besaß; Frankreich ver⸗ blutete sich in Spanien, da es unmöglich war, das Land, dessen Widerstand durch die freie Einfuhr von Truppen und Material — wie Napoleon selbst sagte — auf das äußerste gesteigert wurde, niederzuwerfen —, was dem Kaiser und seiner Armee ohne weiteres gelungen wäre —, wenn eine Flotte die Küsten hätte blockieren und Truppen dahin hätte befördern können, wohin es nach Lage der Operationen nothwendig war.
Daß auch natürlich in seinem Feldzug gegen Rußland das Nicht— vorhandensein einer Flotte Napoleon die schwersten Hemmnisse bereitete, ist ganz zweifelloß: er würde eine ganz andere Operationsrichtung haben wählen können, wenn ihm nicht die Zufuhr zur See verschlossen gewesen wäre.
Was unsere Feldzüge anbelangt, so ist es nicht erforderlich, näher auseinanderzusetzen, wie wir 1864 eine Flotte schwer entbehrt haben. Wenn wir in der Lage gewesen wären, den Krieg durch Uebergang nach den Inseln rascher zu beendigen, so würde nicht nur Zeit und Geld, sendern vor allen Dingen sehr viel Blut erspart worden sein. (Sehr richtig!)
Im Jahre 1866 ist ja der Mangel einer Flotte weniger hervor— getreten. Die Gegner berührten sich in diesem Kriege in einer großen Ausdehnung in ihren Landesgrenzen; man ist aber wohl berechtigt, in Rechnung zu ziehen, daß, wenn es möglich gewesen wäre, die italienische Flotte durch eine preußische Escadre zu pverstärken, unter Umständen die Schlacht von Lissa nicht verloren gegangen wäre. Man hätte dann das Adriatische Meer beherrscht, die österreichischen Kräfte in Italien festgehalten, und es wäre die Heranziehung der Südarmee nach dem Norden vereitelt.
Ganz besonders empfindlich bemerkbar hat sich unsere Schwäche zur See in den Jahren 1870,71 gemacht, und man kann behaupten, daß der Widerstand Frankreichs niemals zu dieser Dauer erwachsen
wäre, hätte die Zufuhr, die von außerhalb kam, durch eine Flotte; verhindert werden können. Ich war veipflichtet, das zu sagen, damit
mein Schweigen gegenüber den Aeußerungen der Broschüre in dieser Beziehung nicht etwa als Zustimmung aufgefaßt wird.
Dann geht der Herr Verfasser auf die Führung Deutschlands, namentlich in kriegerischer Hinsicht, über, die er mit der Schneidig⸗ keit eines Reserve-Lieutenants vergleicht. Als besonders mustergültig wird uns die Militärorganisation der Vereinigten Staaten von Amerika empfohlen und gesagt, daß dieselben, die eine Friedensarmee von nur 25 000 Mann unter den Waffen hielten, über Nacht die stärksten Armeen und eine riesige Flotte aufstellen könnten. (Heiterkeit rechts) Ich glaube, das führt zu Märchen von „1001 Nacht“. (Heiterkeit rechts) Hätte der Abg. Bebel sich die Mühe gemacht, die Kosten zu berechnen, die Amerika für diese Armee aufbringt — es sind im Ganzen einschließlich der Offiziere gegen 28 000 Köpfe —, dann würde er sich vielleicht doch gewundert haben, welche Zahlen herauskommen und wie wir billig wirthschasten. Amerika wendet für seine Armee an dauernden Ausgaben etwa 130 Mil⸗ lionen Mark jährlich auf. Der Pensionsfonds beträgt rund 600 Millionen; giebt zusammen rund 730 Millionen jährlich, ohne etwaige einmalige Bedürfnisse. Vergegenwärtigt man sich nun, daß unser Heer etwa die 21fache Stärke des amerikanischen er⸗ reicht, so würden bei einer Vervielfältigung des amerikanischen Aus⸗ gabe⸗Etats mit 21 sich die Beträge ergeben, die unter gleichen Ver⸗ hältnissen Deutschland aufjzuwenden hätte. Das ergiebt allein an dauernden Ausgaben und ohne Berücksichtigung des Pensionsfonds einen Betrag von 2730 Millionen jährlich.
In einem weiteren Theil der Broschüre werden die Kosten der Ausrüstung behandelt. Ich habe die Details zwar nicht kontrolieren können, glaube aber, daß die Zahlen im allgemeinen den Etats der verschiedenen Länder entsprechen. Auffallend ist, daß Amerika aus—⸗ gelassen wird; der Grund scheint nach Vorstehendem auf der Hand zu liegen. (Heiterkeit rechts) Der Zweck der allgemeinen Volls⸗ bewaffnung soll die Vertheidigung des heimathlichen Bodens im Falle eines frivolen Angriffs sein. Nun, ich habe nicht gefunden, daß die Zwecke, welche der allgemeinen Volksbewaffnung hier zu Grunde gelegt werden, wesentlich von den Zwecken verschieden sind, zu denen unsere heutige Armee bestimmt ist; nur glaube ich vielmehr, daß in unseren Gesetzen dieser Zweck der Armee viel besser präzisiert ist, als in der Broschüre Bebel's. Die Volkswehr wird dann näher auteinandergesetzt, selbstverständlich unter dem Gesichtspunkt, daß natürlich alle früheren Versuche einer Vollswehr — Bürgerwehren, Nationalgarden — als Spielereien zu bezeichnen seien. Die Bourgeoisie muß wieder herhalten, indem von ihr behauptet wird, sie brauche die stehende Armee gegen die moderne Arbeiterklasse. Hieran schließen sich einzelne Rathschläge für die Heeresperwaltung, so unter anderem auch der, es möge der Garnisonswachtdienst beschränkt werden. In Bezug hierauf würde ich den Herrn Abg. Bebel wie auch die übrigen Herren nur bitten, meine gleichen Absichten zu unterstützen, denn diese Maßnahme liegt durch⸗ aus im Interesse der Militärverwaltung und hat sich nur deshalb noch nicht verwirklichen lassen, weil den Zivilbehörden nicht das ge—⸗ nügende Wärrterpersonal zur Verfügung steht und die Etats der ein⸗ zelnen Staaten in dieser Hinsicht nicht genügende Mittel bieten. Dieser Rath ist mir also nicht neu. Vom Wachtdienst kommt der Herr Ver fasser dann auf die Uniformierung, an der nichts Gutes gelassen wird. Die Gardetruppen werden aufgehoben, weil sie besonders kost⸗ spielig seien; die Kavallerie wird auf das äußerste beschränkt und die Lanze wird abgeschafft. In Betreff der Bekleidung geht die Kritik dahin, daß sie ein Hohn auf die einfachsten Grundsätze der Hygiene und Zweckmäßigkeit sei. Ich weiß nicht recht, welche Vorschläge in dieser Hinsicht zu machen sein würden. Ich habe geglaubt, daß, wenn man einen anschließenden Reck hat, einen Kragen, der den Hals be⸗ schützt, weite Beinkleider und hohe Stiefel, daß diese Bekleidung den Anforderungen und namentlich auch den Witterungsverhältnissen wohl entspricht.
Die Organisation der Volkswehr wird auf die körperliche Aus⸗ bildung, von früher Jugend an beginnend, basiert und soll sich die⸗ selbe mit Rücksicht auf den militärischen Zweck, auch auf das weib⸗ liche Geschlecht erstrecken. (Heiterkeit) In allen Gemeinden sollen ausreichende Turn und Uebungeplätze und bedeckte Hallen er— richtet werden, Turn⸗, Exerzier⸗ und Marschübungen sollen sich ab⸗ lösen, Schwimmübungen und Uebungen des Eizssports nicht zu vergessen, und zwar das alles vom vollendeten 10. Lebenkjahr ab. (Heiterkeit) Vom 11. oder 12. Lebensjahr an werden Uebungen mit nachgebildeten Waffen eingeführt, Rekognoszierungsmärsche und Felddienstübungen in das Programm aufgenommen. (Heiterkeit) Als Leiter dieser Uebungen werden gediente Unteroffiziere angestellt. Hieraus ergiebt sich, daß der Herr Verfasser schon den Kindern einen kriegerischen Instinkt einzuimpfen gedenkt, diesen Instinkt, den er bisher immer sa grausam fand. Im übrigen soll die ganze Sache gesetzlich geregelt werden. Ich glaube, daß die erforderlichen Bestimmungen über Strafen, Kontrole u. s. w. recht schwer zu fassen sein würden. Jedenfalls würde diese Einrichtung eine grenzenlose Qual für die ge⸗ sammte Bevölkerung in sich schließen, wie sie schlimmer kaum gedacht werden kann. Die aktive Dienstzeit beträgt nur wenige Monate, die Kavallerie und Artillerie darf etwas länger dienen. Die Kosten dieses Vollsheeres sind sehr einfach errechnet. Der Herr Verfasser hat sich auch gar keine Mühe gegeben, irgend welche Formationen dafür auszusuchen, er hat einfach das Schweizer Budget genommen, mit 179 multipliziert und das Ergebniß auf Deutschland übertragen. Wir werden also künftig nach dieser Heeregorganisation einen Auezug von 23 Mil⸗ lionen, eine Landwehr von 16 Million, einen bewaffneten Landstarm von 1 Million und einen unbewaffneten von 34 Millionen, Summa Summarum 8 Millionen Streiter besitzen. (Heiterkeit. Das wird 324 8600 000 S kosten. In dem Militär⸗Etat erscheinen 2 3650 000 Knaben im Alter von 10 bis 14 Jahren, 3 200 000 Knaben im Alter von 15 bis 20 Jahren — zusammen 5 550 000 Knaben, denen 12000 Gxerzierlehrer, gediente Unteroffiziere, zugetheilt werden sollen. Für diese 12 000 Lehrer sind vorläufig ausgeworfen 21 600 000 (Heiterkeit; Das ganze Budget soll 385 200 000 M betragen und eine Anleihe von zunächst 100 Milllonen soll den Gemeinden die Mittel zur Einrichtung der Hallen, Plätze u. s. w. bieten. Am Schlusse dieses Abschnitts — der Abschnitt ist im Ganzen sehr kurz — sind die bedeutungsvollen Worte groß gedruckt: Zahlen beweisen.“ (Heiterkeit rechts.) Ich glaube aber doch, daß diese Zahlen sehr an⸗ greifbar sind. Ich habe mir die Rechnungen etwas näher ange— sehen und gefunden, daß der Herr Verfasser ganz zufällig dassenige Jahr herausgegriffen hat — nämlich 1897 — das sich für die
Schweiz sehr günstig, für Deutschland aber verhältnißmäßig ungünstig
gestaltet. Der Ausgabedurchschnitt, den ich᷑ für die Jahre 1890 biz
1897 errechnet habe, beträgt für die Schweiz 26 831 000 Franken, gleich 21 455 000 S, oder um den Betrag auf deutsche Verhältnisse zu übertragen x 175 — 375 638 000. Der Durchschnitt der Ausgaben für den gleichen Zeitraum in Deutschland, abzüglich der Artillerieforderung — im Jahre 1897 von rund 44‚4 Millionen und ohne Pensionsfonds — beziffert sich auf 546 600 000, sodaß sich gegenüber der Schweiz eine Mehrauggabe von 170 962 000 MS ergiebt. Daß der Pensiont⸗ fonds nicht ia Betracht gezozen werden kann, liegt auf der Hand, da ein Vergleich nicht möglich ist, und auch der Herr Verfasser nimmt Anstand, die sämmtlichen Pensionen zu streichen. Ich glaube, er würde bei den Volkekreisen, auf die er einwirken will, damit auch keinen Beifall erzielen. (Sehr richtig! rechts) Zieht man nun von dem Budget, das wir durch den Herrn Abg. Bebel bekommen sollen, die von ihm für die Jugenderziehung vorgesehenen 60 660 000 M ab, so würden sich unsere Mehrausgaben nach dem jetzigen System jährlich auf rund 110 362 040 AM belaufen. Ich muß sagen, ich bin geradezu überrascht gewesen über dieses für uns so günstige Ergebniß; denn was wir mit dieser Summe im Laufe der Jahre geleistet haben, ist meines Er— achtens großartig. Man muß sich nur klar darüber sein, was an Vor—⸗ räthen alles niedergelegt ist, was an Landesvertheidigunge mitteln bereit gestellt, was für unsere Festungen und deren Ausrüstung ꝛc. geschehen ist, wie wir die Eisenbahnen ausgebaut haben, was an Kasernen und senstigen Gebäulichkeiten errichtet, an Uebungsplätzen, Grundstücken aller Art u. s. w. geschaffen worden ist. In diesem Besitze ist noch ein Werth repräsentiert, der auch, abgesehen von der spezifisch—⸗ militärischen Zweckbestimmung, das Vermögen des Reiches ganz wesentlich vermehrt. (Sehr richtig! rechts Dem Abschnitt über die Kosten folgt der über die Thaten des Volksheeres in der neueren Geschichte, in dem behauptet wird, wie es eine geschichtliche Thatsache sei, daß immer erst zerschmetternde Niederlagen die Regierungen und die herrschenden Klassen zu Reformen bewogen hätten. Da muß der Herr Verfasser die neue Zeit nicht mitgemacht haben, sonst würde er wissen, daß speziell die Reorganisation der preußischen Armee im tiefsten Frieden, ohne jede Niederlage vor sich gegangen ist, und daß wir, gerade weil wir so handelten, die folgenden Kriege gewonnen haben. Er bezieht sich allerdings auf fernerliegende Vorgänge, so führt er auch das Heer unter Cromwell an. Hierauf näher einzugehen, darf ich mir wohl versagen. Vielfach wird auch der Name Scharnhorst vom Herrn Ver— fasser im Gegensatz zu unserer jetzigen Heeresorgnanisation gebracht. Im Gegentheil, gerade auf Scharnhoist's Ansichten, Plänen und Vorarbeiten beruht ja unsere ganze Heeres verfassung. Auch den Sezessionskrieg in Amerika — und die darüber von einzelnen Schriftstellern gemachten Bemerkungen führt Herr Bebel als Beweis für seine Auffassung an. Meines Erachtens müssen dieselben aber in ganz anderem Sinne aufgefaßt werden. Hätten die Vereinigten Staaten eine auch nur kleine, aber festgefügte, schlagfertige Operationsarmee gehabt, so wäre es zum Kriege vorauksichtlich überhaupt nicht gekommen. Daß auch Gambetta zitiert wird, wird niemanden wundern, doch glaube ich, daß die Erfolge der Gambetta'schen Armeen nicht dazu beitragen können, derartige Formationen nachzumachen. (Sehr wahr! rechts.) Ich muß uns übrigens in dieser Hinsicht noch vor einem gewissen Vorwurf schützen, der aus einigen Aeußerungen, die hier vorgetragen worden sind, gefolgert werden könnte. Wer nämlich glaubt, daß die dentsche Kraft im Jahre 1870671 erschöpft war, der irrt sich. Wir haben dem Volk gar nicht zugemuthet, den Landsturm auf— zustellen, wir haben die Ersatztruppen, die jüngeren Jahrgänge in den neuen Provinzen ganz in der Heimath gelassen. Wäre der Land sturm aufgeboten worden, und hätte man die Bewachung der Hundert⸗ tausende von Gefangenen diesem übertragen, so hätte man mit Lelchtigkeit noch eine Armee von vielleicht 400 000 Mann nachziehen können. Man hat es nicht gethan, weil man dem Volk diese neuen Opfer nicht auferlegen wollte. Hätte es die Noth erfordert, so wäre es aber eine Kleinigkeit gewesen, eine noch viel größere Armee als Gambetta aufzustellen.
Die Broschüre schließt nit den Schlußfolgerungen. Sie im ein⸗ zelnen durchzugehen, möchte ich mir versagen. Nur einen Hauptpunkt, der gewissermaßen die ganze Broschüre charakterisiert, einen einzigen Satz, möchte ich besonders hervorheben. Er lautet:
„Der Reaktion tritt ihr Gegenpol, die Revolution, d. h. die
Umgestaltung von Grund aus, gegenüber.“
Nun, meine Herren, damit ist ja der Zweck dieser Volkswehr voll⸗ ständig erreicht, und wenn der Herr Abg. Bebel meint, auf militärischem Gebiet könnten wir uns vielleicht einigen, auf dem politischen jedoch nicht, so bedaure ich, mich mit ihm auf keinem Gebiet einigen zu können. (Sehr gui! rechts.) Der Herr Abg. Bebel, oder vielmehr der Ver—⸗ fasser August Bebel, hat aber einen Kardinalpunkt in seinen Aus— führungen ganz außer Acht gelassen, des ist der eigentliche Zweck unserer beutigen Armee. Es ist der, den Frieden zu erhalten, und wenn wir diese unsere Armee nicht gehabt, wenn nicht das deutsche Volk die er forderlichen Opfer gebracht hätte, diese Armee aufzustellen und zu unterhalten, so hätten wir nicht einen 26 jährigen Frieden hinter uns. (Sehr richtig! rechts) Wenn aber unter dem Schutz der Armee der Nationalreichthum diesen Aufschwung genommen hat, und wenn wir der Zukunft ruhig und getrost entgegensehen können, dann, meine ich, ist kein Grund vorhanden, dieses System zu wechseln, das sich in den schwersten Zeiten so glänzend bewährt hat, wollen wir im Gegentheil hoffen, daß es auch sich weiter entwickelt und reiche Früchte trägt. (Bravo! rechts.)
Der Drohung mit der Revolution sehe ich mit der größten Ruhe entgegen. Drohungen machen keinen Eindruck. Der Herr Abg. Bebel hat bemängelt, daß überhaupt von einem inneren Feind die Rede wäre. Nun, ich meine, ein Gegner, der mit der Revolution droht, ist doch ein innerer Feind. Wir würden es auf das tiefste be⸗ dauern, wenn es jemals dazu käme. Wir tragen durchaus nicht einen solchen Haß in uns, um Feindschaft zwischen unseren Mitbürgern zu erregen. Wenn aber jemals diese Partei zu dieser Entscheidung schreiten sollte, dann würden wir ehne jeden Haß, ohne jede Ueberstürzung mit derjenigen Ruhe und Kaltblütigkeit, mit der wir unsere Feldzüge geführt haben, diesem Feinde gegenüber vorgehen. (Sehr gut! rechtß.) Wir würden unsere Operationen so einrichten, wie wir das im Kriege gewohnt sind, und die Entscheidung suchen. Der Zweck jeder militärischen Operation ist die Vernichtung des Gegners, und wenn der Verfasser dieser Broschüre, August Bebel, uns als Generalissimus gegenüberstehen sollte, so kann ich von meinem Standpunkt aus seine Truppen nur bedauern. (Heiterkeit.)
Abg. Sin ger (Soz) behauptet, daß ein Vorgang beim Proviant amt in Hannover, den sein Freund Meister in der Budgetfommi sion vorgebracht hahe, sich als richtig geschiltert erwiesen habe. Daran habe der Abg. Mester die Behaupfung geknüpft, daß ein won der Liefe—⸗ rung ausgeschlossener Lieferant durch Vorschiebung seines früheren Lagerhalters wieder zu Lieferungen zugelassen worden fein solle. Der Kriegs⸗Minister hätte der Sache nachgehen können.
Kriegs⸗Minister General-Lieutenant von Goßler:
Ich bin überzeugt, daß ich mich mit dem Herrn Abg. Singer niemals einigen werde, und auch die Auffassungen über die Vorgänge in der Kommission können ja verschiedener Art sein. Ich erkläre mich bereit, eine Untersuchung anzuordnen, wenn ich irgend einen Anlaß dazu habe, wenn mir entweder Schriftstücke gegeben oder Zeugen genannt werden. Das ist in diesem Falle nicht geschehen. (Sehr richtig Es ist einfach ein Mann angeklagt worden, gegen den ich so ohne weiteres keinen Anlaß hatte, einzuschreiten. Man hat behauptet, daß der betreffende Lieferant Mehl gefälscht habe, und es wurde hinzugefügt, das Mehl hätte so gestunken, daß den Arbeitern übel geworden sei. Ehe ich derartige Anklagepunkte dem Manne vorlegen kann, habe ich doch die Veipflichtung, mich zu orientieren, ob diese Anklagen auch berechtigt sind. (Sehr richtig) Wenn der Herr Ab— geordnete, der das zur Sprache gebracht hat, sich mit seinem Namen mir gegenüber verbürgt und gesagt hätte: jawohl, die Anklagen sind richtig, und auf meinen Namen hin kann die Anklage erhoben werden', so würde ich entsprechende Schritte ge— than haben. Wenn der Betreffende aber sagt: ich kann es nicht ver bürgen, — und auch kein weiteres Material zur Begründung der An⸗ klage giebt, darn weiß ich nicht, wie ich als Verwaltungechef in der Lage sein sollte, einen solchen Mann des Betruges zu beschuldigen. Das ist in meinen Augen unzulässig. (Sehr richtig! Ich will das nicht auf diesen Fall beziehen — es sind meine persönlichen allgemeinen Auffassungen; aber, wenn man jemandem Uebles nachsagt und keinen Beweis dafür erbringt“, so nenne ich das im gewöhnlichen Leben Klatsch. (Sehr richtig! rechts.)
Abg. von Kar dorff (Rp.): Ich habe doch einen anderen Ein⸗ druck von dem Vorgange in der Budgetkommission. Herr Meister behauptete, daß aus schlechtem Mehl gesundheitsgefährdendes Brot ge⸗ backen und an die Truppen geliefert sei. Die Militärverwaltung muß Mehl in Säcken aufbewahren. In Säcken wird aber Mehl leicht dumpfig; das macht das Mehl aber noch nicht gesundheitsschädlich. Es wurde ein aus diesem Mehl hergestelltes Brot vorgezeigt; es war ganz vortrefflich. Den Beweis, daß schlechtes Brot geliesert sei, ist Herr Meister schuldig geblieben.
Abg. Sing er erklärt, die beiden Vorredner hätten zwei Dinge miteinander vermengt. Die Sache mit dem verdorbenen Mehl sei festgestellt worden. Es handele sich um Lie anderweitige Mittheilung des Abg. Meister.
Abe. von Kardorff: Herr Meister hat keinerlei Zeugen für seine Behauptungen genannt.
Vize⸗Präsident Br. Spahn: Herr Singer hat dem Kriegs Minister vorgeworfen, daß er über die Vorgänge nicht die Wahrheit berichtet habe. Ich wollte selbst erst hören, was in der Kommission vorgegangen sei. Nachdem ich das von beiden Seiten gehört habe, muß ich den Ausdruck als unzulässig bezeichnen.
Abg. Kunert (Soz) kommt auf seine schon früher auf⸗— gestellte Behauptung zuruͤck, daß in sächsischen Festungsgefäng⸗ nissen die Gefangenen zur Uebertretung der Bestimmungen über die Sonntagsruhe gezwungen worden seien, und zwar mehrere Jahre lang etwa an 34 Sonntagen im Jahre. Redner sührt ferner Beschwerde darüber, daß die Mannschaften am Sonntag trotz aller höheren Verordnungen mit allerlei Dienst und Beschäftigungen behelligt würden, und polemisiert gegen den Minister, der die Behauptungen des Vorwärts“ über die Verhältnisse in den Spandauer Werlstätten als unwahr bezeichnet hahe. Der Kriege⸗ Minister sei völlig ungenügend darüber informiert. Redner geht des näheren darauf ein; er iadelt die allzu lange Beschäftigung der Säurearbeiter, die mehrfach vorgenommenen Lohnrezuktionen, den Mangel an Waschgelegenheit sowie die übermäßige Arbeitszeit im all—⸗ gemeinen und die Üeberstunden im besenderen.
Sächsischer Bevollmächtigter zum Bundesrath Graf Vitzthum von Gcstädt: Meine Herren! Ich will mich nicht mit den letzten Ausblicken des Herrn Vorredners beschäftigen, sondern bloß mit den Sachen, die die sächsische Militärverwaltung berühren. Ich bedaure, daß er meinem Ersuchen, auf diese Sachen nicht wieder zurück zu kommen, nicht stattgegeben hat. Er würde mich dadurch nicht in die Nothwendigkeit versetzt haben, Dinge, die ich Ihnen bereits ein⸗ mal vorzutrogen die Ehre hatte, wiederholen zu müssen. Ich könnte mir das ja eigentlich ganz ersparen, denn er hat gesagt, daß seine Aussünrungen sich nicht so sehr gegen die sächsische Militärverwaltung richteten, als gegen den Militarismus überhaupt. Darüber fühle ich mich nicht berufen, mit ihm zu streiten. Aber dennoch bin ich der Würde dieses Hauses und der sächsischen Militärverwältung es schuldig, daß ich einige ungeheuerliche Anschuldigungen, welche der Herr Abge— ordnete hier ausgesprochen hat, auf das energischste zurückweise. Er hat daron gesprochen, daß der Vorstand des Tresdner Festungsgefäng⸗ nisses veranlaßt worden ist, einen Thatbestand einzureichen. Er sagte: Dieser reichte natürlich einen falschen Thatbestand ein. — Er bat weiter ausgeführt, daß Vorgesetzte dieses Festungsgesängnisses Meineid auf Meineid hätten häufen lassen. Ja, meine Herren, da ist doch wirklich die Grenze der parlamentarischen Immunität erreicht. (Lebhafter Beifall.. Wenn man sich das sagen lassen soll, ich weiß nicht, wo dann die Würde dieses Fauses noch bleiben soll. (Sehr richtig) Was nun die Thatsache betrifft, die ich dem Hause mittheilen will, und der Würde des Hauses mitzutheilen schuldig bin, so habe ich bereits einmal gesagt, daß es sich um eine Sache handelt, die ror 2 oder 3 Jahren sich abgesplelt hat. Es haben drei gerichtliche Unter⸗ suchungen stattgefunden, die Sache ist auf das eingehendste untersucht worden, die Schuldigen sind zur Verantwortung gezogen, wie ich schon gesagt babe, und die Uebelstände sind abgeschafft. Mehr habe ich nicht hinzuzufügen. (Bravo!)
Preußischer Bevollmächtigter zum Bundesrath, General. Major von der Boeck: Meine Herren! Der Herr Abg. Kunert, dem ich übrigens in seiner Tonart, in der er vorhin geredet hat, nicht folgen werde (lebhafter Beifall) — sondern ich will mich in möglichst sachlichen Ausdrücken bewegen —, hat es zunächst als irrthümlich bezeichnet, wenn sowohl der Herr Kriegs— Minister in der Sitzung am Freitag, wie auch ich die bejüglichen Ausführungen des „Vorwärts als unrichtig bezeichnet haben. Ich muß auch heute nach den Ausführungen des Herrn Abg. Kunert die Behauptung aufrecht erhalten, daß die verschiedenen Klagen, die er über die Verhältnisse der Spandauer militärtechnischen Institute vorgebracht hat, im wesentlichen nicht zutreffend sind. Ich nehme selbstverständlich an, daß er sie in gutem Glauben als richtig vorgebracht hat; aber er muß doch in vielen Beziehungen von seinen Gewährtleuten nicht richtig orientiert worden sein. Er hat zunächft die von verschiedenen Arbeitern eingereichten und abgewiesenen Petitionen erwähnt. Ez handelt sich hier im Ganzen, soweit ich
o ientiert bin, um drei Fälle von Petitionen. Einmal in der Munitiongz.
fabrik, dann in der Pulverfabrik und ferner in der Geschüßgießerei. Aus der Geschützgießerei ist in der letzten Zeit eine Petition auf Lohnerhöung eingegangen, die von einer großen Zahl von Awbeitern unterschrieben ist. Die Luute sind mit 50 Strafe belegt worden, weil sie den Instanzenweg nicht eingehalten haben. Vie Behauptung, die heute nicht wiederholt worden ist., aber am Freitag gemacht war, daß die beiden Leute, welche diese Petition nicht unterschrieben haben, höbere Lohne erhalten hätten, die anderen aber nicht, ist nach den stattgehabten Erhebungen nicht zutreffend. Bei der zweiten Petitions ⸗
sache handelt es sich um vier Arbeiter der Munitionsfabrik, die eben⸗ falls wegen Umgehung des durch die Arbeit vorgeschriebenen Instanzen⸗ weges bestraft worden sind. Diese vier Arbeiter wandten sich in einem Gefuch an den Insxekteur der technischen Institute, um wieder eine Er⸗ höhung der für ire Lobnklasse herabgesetzten Stücklöhne herbeizu⸗ sühren. Die Bittsteller sind ebenfalls, und zwar in diesem Falle mit 1,50 Æ bestraft worden wegen Umgehung des vorgeschriebenen In⸗ stönzenweges. Vas Gesuch um Lohnerhöhung wurde abgelehnt, weil der thatsächliche Verdienst den Höchstverdienst der betreffenden Lohn klasse überschritten hatte. Der festgesetzte Höchstlohn betrug 450 0 bezw. 5,00 S für den zehnstündigen Arbeitstag; der thatsächliche Verdienst der Arbeiter 5, o5 bis 5,225 bezw. 5,76 S½ς Die Angaben des Vorwärts‘, daß sämmtliche Arbeiter bis auf zwei zufriedene Seelen die Petition unterschrieben hätten, ist nicht zutreffend Die dritte Petition der Lohnarbeiter eben⸗ falls um Lohnerhöhung wurde von 50 Säurearbeitern der — 2 fabrik Spandau eingereicht, und zwar im August 1897, ebenfalls direkt, ohne Kenntniß der Direktion. Sie ging beim Keiegs⸗ Ministerium ein, und es lag auch hier wieder ein Verstoß gegen die Arbeitsordnung vor; daher Bestrafung von seiten des Direktors mit b0 3. Es haben 47 Säurearbeiter einen Lohn erhalten von 3,50 bis 4,20 M pro Tag, einschließlich der Säurezulage; 96 Arbeiter einen solchen von 4,30 bis H M pro Tag auch einschließlich der Säure;ulage. Außerdem erhalten die Säurearbeiter die Arbeitefleider, einschließlich Schuhe. Das ist der P⸗unkt der Petitionen, der hier besprochen worden war. Ich komme nun noch einmal auf die Säurearbeiter zurück. Der Herr Abg. Kunert hat gesagt, ich hätte am Freitag behauptet, diese Arbeit sei nicht zu schwer. Ich habe aber hinzugefügt., daß jeder, der einen solchen Betrieb einmal gesehen hätte, zugeben müsse, daß er in gewisser Beziehung gesundbeitschädlich sei, daß die Heeresperwaltung ständig allet thue, um diese Gefahren für die Gesundheit der betreffenden Leute zu beseitigen. Die Säurearbeiter leiden in diesen gefährlichen Betrieben hauptsächlich an Zahnerkrankungen und Lungenerkrankungen durch Säuredämpfe und an kleinen Brandwunden durch berumspritzende Säure. Um sie dagegen zu schützen, bekommen diese Arbeiter die Kleider, die auf den Photographien, die Herr Kunert hier auf den Tisch des Hauses niedergelegt hat, abgebildet sind. Gerade diese Photographien, die als abschreckendes Beispiel hier vorgelegt wurden, sind aber ein Beweis der Fürsorge der Militärverwaltung, daß sie die Arbeiter so weit wie möglich zu schützen sucht. Außerdem finden in diesen Säurebetrieben eingehende und häufige ärztliche Untersuchungen statt. Arbeiter, die diesen Arbeiten nicht gewachsen sind, werden sofort in andere Betriebe eingestellt. Arbeiter, deren Respirationsorgane gut sind, ertragen diese Arbeit lange, und die gesundheitschädlichen Einflüsse machen sich durchaus nicht in dem Maße geltend, wie das hier hervorgehoben ist. Außerdem hat die Militär⸗ verwaltung durch wiederholten Umbau der betreffenden An⸗ lagen — ich will nur erwähnen, daß hierauf in der letzten Zeit etwa 100 000 S verwendet worden sind — die schädlichen Einflässe abzuschwächen versucht, außerdem bekommen diese Säurearbeiter einen höheren Lohn von 1 M täglich und ich kann nur noch einmal hervorheben, daß wir durchaus keinen Mangel an solchen Arbeitern haben, sondern daß im Gegentheil der Zudrang zu diesen Arbeiten ein durchaus augreichender ist, und zwar hauptsächlich wegen der Zulage. Wenn der Herr Abg. Kunert behauptet hat, diese Leute trügen Atbestanzüge, so will ich darauf hinweisen, daß das vor längerer Zeit wohl der Fall war, jetzt tragen diese Arbeiter leicht wollene Anzüge. Die Asbestanzüge sind längst abgeschafft. Also auch in dieser Beziehung liegt ein Irrthum vor. Dann hat Herr Kunert bezüglich der Lohnverhältnisse behauptet, daß in den Königlichen Militärinstituten in Spandau eine Lohndräckerei ärgsten Grades stattfinde. Ich kann und will ihm auf diese einzelnen Behauptungen, die er mit Zahlen belegt hat, nicht im einzelnen folgen, sondern will nur hervorheben, daß der Tagelohn bei den Inftituten in Spandau für gewöhnliche Arbeiter bis 3 50 M täglich beträgt, bei besonders geschickten oder bei Arbeiten, welche besonderes Vertrauen erfordern, 4 „ und darüber, Handwerker erhalten Durch⸗ schnittestücklohn als Tagelohn. Diese Stücklöhne, also Accordlöhne, sind eingetheilt in Lohnklassen, gegen die Herr Kunert sich auch gewendet hat, sie betragen 3,50 bis 4,00 bis 4,50 und 5.50 S Eine Herabsetzung dieser Stücklöhne hat stattgefunden, wenn die Mehrzahl einer Klasse dauernd mehr als 10 9,9 und darüber verdienen würde. Ebenso hat aber auch eine Erhöhung dieser Stücklöhne statt⸗ gefunden, wenn die Mehrzahl der Klasse unter diesen ohengenannten Durchschnittesatz herunterging. Also es hat sowohl eine Herabsetzung als eine Heraufrückung der Löhne stattgefunden, und ich kann nicht zugeben, daß in unseren Königlichen Fabriken in Spandau, überhaupt in unseren militärtechnischen Instituten eine Lohndrückerei stattfindet. Im Gegentheil, unsere Arbeiter sind im großen Ganzen durchaus gut bezahlt, was schon daraus erhellt, daß wir fortgesetzt aus Privatkreisen die Aufforderung bekommen, nicht so hohe Löhne an unsere Arb iter zu zahlen. (Hört, hört) Herr Kunert ist dann auf die Arbeitszeit eingegangen und hat bemärgelt, daß außer der gewöhnlichen zehnstündigen, am Sonnabend achtstündigen Arbeitszeit noch zahlreiche Ueberstunden stattfinden. Natürlich finden unter Umständen solche Ueberstunden statt. Es kommen Zeiten vor, wo eine bestimmte Arbeit schneller erledigt werden muß, und solche Zeiten baben wir im vorigen Jahre gehabt, wo es sich um die erste Rate des neuen Feld Artilleriematerials handelte. Die Arbeiter bekommen aber diese Ueberstunden bezahlt, und bis jetzt sind Klagen hierüber noch nicht zur Kenntniß der Militär- verwaltung gekommen. Der Abg. Kunert it dann zerückgekommen auf die Reinigungsgelegenheiten in unseren militärtechnischen Instituten und hat behauptet, es wäre nur die erste Schicht in der Lage, sich mit reinem Wasser zu waschen. Ich muß dieser Behauptung unbedingt entgegentreten; ich bin wiederholt versönlich in unseren militärtechnischen Instituten gewesen und habe mich überzeugt, daß alle diese Einrichtungen fast durchweg fließendes Wasser haben. Ich wüßte nicht, daß derartiges Wasser — Herr Kunert gebraucht einen Ausdruck, den ich nicht wiederholen will — den Leuten dort geboten würde, um sich zu reinigen. Es mögen ja hin und wieder Mißstände hervor⸗ getreten sein, es kann sein, daß eine Reinigungsanstalt einmal in Reparatur war; im allgemeinen aber sind die Reinigungsanlagen in unseren Fabriken genügend, und ich kann nicht zugeben, daß der⸗ artige Verhältnisse in unseren militärtechnischen Instituten obwalten wie sie von Herrn Kunert zur Sprache gebracht worden sind. Auch Die Badeeinrichtungen sind durchweg ausreichend: wir haben zahlreiche Neubauten in letzterer Zeit in dieser Beziebung angenommen, um den Arbeitern die Möglichkeit zu geben — nicht bloß denen, die Pflichtbäder zu nehmen haben, sondern auch den anderen Leuten —, sich zu reinigen. Dann ist der Herr Abg. Kunert noch auf die Arbeiterausschüsse ge⸗ kommen und hat einen Fall erwähnt, daß überhaupt nur 25 Arbeiter gewählt hätten, und zwar einen Idioten, der nachher die Verwaltung abgelehnt bätte. Ich kann das nicht kontrolieren; der Fall ist mir nicht bekannt, ich kann nur sagen, daß die Arbeiterausschüsse fort- während funktionieren und daß durch sie die Wünsche der Arbeiter an die Direktionen gelangen. Auch über die Unzufriedenheit der Arbeiterinnen hat er sich ausgesprochen. Ich möchte ihm empfehlen, daß er sich einmal in Srrandau das Mädchenheim ansiebt, es ist das eine Musteranstalt, wie er sie wo anderz nicht sobald finden wird. Dann hat der Herr Abg. Kunert am Freitag einen Fall erwähnt, wo mehrere Arbeiter wegen Bethätigung ihrer früheren politischen Gesinnung entlassen worden seien. habe am vergangenen Freitag auf diesen Punkt nicht geantwortet, weil mir der Fall nicht erinnerlich war. (Zuruf von den Sozialdemokraten.) — Ich habe verstanden: „wegen Bethätigung ihrer volitischen Gesinnung“. (Erneuter Zuruf bei den Sozialdemokraten) — Es wird im Großen und Ganzen auf dasselbe herauskommen. — (Sehr richtig! rechts) Nachdem ich mich über diesen Fall orientiert babe, möchte ich auf diesen Punkt mit ein paar Worten eingehen. Es sind in den letzten Wechen 1hatsächlich einige Arbeiter, ich glaube drei — entlassen worden, weil sie in agitato ischer Weise eine po= litische G sinnung bethätigt haben, die für Arbeiter in einer König— lichen Fabrik nicht angebracht ist. (Sehr richtig! rechts.) Die Leute sind entlassen worden, soweit sie in einem Kuündigungsvertrag