1898 / 52 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 01 Mar 1898 18:00:01 GMT) scan diff

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its Verhandlungen über eine Reform der Personentarife geschwebt ben, die nicht u eimer Verständigung führten. Nähere Mittheilungen zu

machen, wie es der Herr Vorredner wünschte, bin ich zu meinem Be—⸗

dauern nicht in der Lage. Ich gehe nun über zu dem Antrage des . Abg. Dr. Pachnicke, der unter Nr. 116 der Drucksachen vor⸗ tegt. Er betrifft in seinem ersten Theil die Eisenbahnunfälle. Es werden von Reichg wegen Maßregeln verlangt, um der Häufung von Gisenbahnunfällen, wie sie in der letzten Zeit vorgekommen sind, wirksam zu begegnen. Ich hoffe, dem hohen Hause nachwelsen zu können, daß, was in dieser Hinsicht von 94 des Reichs zur Zeit geschehen kann, bereits geschehen oder doch in die Wege geleitet ist. Vorah möchte ich indessen dem Herrn Abgeordneten eines bemerken: Er hat sich in seinem Vortrage besonders eingehend mit den Ver⸗ hältnissen der preußischen Staatseisenbahnverwaltung beschäftigt. Ich beabsichtige nicht, ihm hierin zu folgen (sehr richtig! rechts); ich beabstchtige nicht, auf die Verhältnisse in den einzelnen Bundesstaaten einzugehen, und kann das, speziell was Preußen anbelangt, um so eher unterlassen, als ja der Etat der preußischen Staatseisenbahnberwaltung in diesen Tagen im Abgeordnetenhause berathen wird und ich nicht daran jweife, daß die Verhältnisse dort auf das Gründlichste werden erörtert werden. Nun gestatten Sie mir, meine Herren, zunächst über die vorgekommenen Unfälle auch meinerseits einige vergleichende Zahlen ju geben: Die Unfallperiode begann mit dem Monat Jult v. J, und es wird deshalb von Interesse sein, das zweite Halbjahr 1897 mit früheren Zeiten zu vergleichen. Worauf es dabei ankommt, das sind die sogenannten Zugunfälle, d. h. die Zusammenstöße und Entgleisungen. Diese sind es gewesen, die die öffentliche Meinung in eine berechtigte Erregung versetzt haben, und in der That gewähren auch nur die Zugunfälle einen geeigneten Maßstab für die Beurtheilung der Sicherheit der Beförderung auf den Eisenbahnen. Der Herr Abg. Dr. Pachnicke hat vorhin sehr große Unfallszahlen genannt; er hat dabei alles das mitgezählt, was wir Eisenbahner sonstige Besilebzünfälle! nennen, also z. B. die Verletzungen beim Wagenkuppeln, das Ueberfahren eines Fuhr—⸗ werke, das Ueberfahren von Personen u. s. w.; das sind alles sehr bedauerliche Ereignisse, die ja leider viel zu oft vorkommen, aber für die eigentliche Sicherheit der Beförderung ist ihre Anzahl nicht maßgebend. Uebrigens ist sie auch im letzten Jahre nicht größer gewesen als früher. Was speziell die Zugunfälle betrifft, so hatte ich im vorigen Winter die Ehre, dem hohen Hause darzulegen, wie die Zusammenstöße und Entgleisungen seit den letzten fünfzehn Jahren auf den deutschen Eisenbahnen allmählich abgenommen haben. Auf 10 Millionen Zugkilometer entfielen durchschnittlich im ersten Jahrfünft 33 Zugunfälle, im zweiten 27, im dritten 22. Eine weitere Abnahme hat das Jahr 1896 gebracht mit 19. Nimmt man die zweiten Halbjahre, Jult bis Dezember, allein, so erhält man für 1895 die Verhältnißzahl 19,4, für 1896 18.2. Nun sollte man erwarten, daß sich für das zweite halbe Jahr 1897 eine sehr viel größere Zahl ergeben müßte, aber das ist nicht der Fall; das zweite Halbjahr 1897 hat auf 10 Millionen Zugkilometer nicht mehr als 18,6 Entgleisungen und Zusammienstöße aufzuweisen. Ich bin weit davon entfernt, irgend etwas beschönigen zu wollen, aber es verhält sich thatsächlich so. Die Anzahl der Zug- unfälle hat im zweiten Halbjahr 1897 selbstverständlich im Ver⸗ hältniß zum gestiegenen Verkehre, der Verkehr ist seit 1880/81 um mehr als das doppelte gewachsen also ich sage: die Anzahl der Zugunfälle hat im zweiten Halbjahre 1897 die älteren Durchschnitts⸗ zahlen bei weitem nicht erreicht, sie ist auch nur wenig größer gewesen als im zweiten Halbjahr 1396. Anders steht es allerdings mit der Anzahl der getödteten und verletzten Personen. Diese ist im zweiten Halbjahr 1897 leider beträchtlich höher gewesen als seit einer Reihe von Jahren. Es sind während der Monate Juli bis Dezember vorigen Jahres bei Zugunfällen zu Schaden gekommen im Jahre 1895 209. darunter 21 Todte, 1896 198, darunter 13 Todte, 1897 aber 298, darunter 18 Todte. Das ist die höchstbedauerliche Thatsache. Ich habe zwei kleine graphische Darstellungen anfertigen lassen; auf der einen ist die Anzahl der seit 1880/81 vorgekommenen Ent⸗ gleisungen und Zusammenstöße auf 10 Millionen Zugkilometer angegeben, auf der andern die Anzahl der bei Zugunfällen auf 10 Millionen Personenzug Kilometer getödteten und verletzten Reisenden. Vielleicht interessiert es einige Mitglieder dieses hohen Hauses, davon Einsicht zu nehmen; sie sind übersichtlich gezeichnet und geben ein an— schauliches Bild. Meine Herren, ich möchte ausdrücklich hervorheben: nicht in der Anzahl der Unfälle an sich liegt der Schwerpunkt, sondern darin, daß im letzten Halbjahre eine Reihe von Zugunfällen von besonders schweren Folgen begleitet gewesen ist. Wenn es umgekehrt wäre, wenn wirklich die Anzahl der Zugunfälle so gestiegen wäre, wie vielfach angenommen ist, fo würde das auf den Betrieb der Eisenbahnen ein sehr ungünstiges Licht werfen. Die Folgen einer Ent⸗ gleisung oder eines Zusammenstoßes sind meist mehr oder weniger unab⸗ hängig don menschlicher Einwirkung, und so hat man auch bisher vergeblich versucht, für die auffällige Häufung schwerer Unfälle eine Erklärung zu finden. Aber desto nachdrücklicher mahnt die große Anzahl der ge⸗ tödteten und verletzten Personen, alles aufzubieten, um eine Ver— minderung der Anzahl der Zugunfälle herbeizuführen. Die Eisen⸗ bahnverwaltungen und die Aussichtsbehörde sind in dieser Beziehung auf das eifrigste bemüht. Wag das Reichs- Eisenbahnamt betrifft, so bat es jeden einzelnen schweren Unfall eingehend untersucht, und zwar möglichst durch Entsendung eines Kommissars an Ort und Stelle. Wo wir Mängel fanden, haben wir sie verfolgt und, soweit das noch nöthig war, durch Benehmen mit den zuständigen Behörden auf Abhilfe hingewirkt. Außerdem ist das Amt hestrebt gewesen, die gewonnenen Erfahrungen weiter zu verwerthen. Es hat geprüft, ob nicht die vom Bundesrath für das Eisenbahn— wesen erlassenen allgemeinen Ordnungen, insbesondere die Be⸗ triebsordnung, in verschiedenen Punkten zweckmäßig zu er änzen und abzuändern seien. Wir haben entsprechende Vor⸗ . ausgearbeitet und haben sie mit Vertretern der meistbetheiligten Bundesregierungen mündlich berathen. Einige Regierungen haben auch ihrerseits Anregungen gegeben, und die Verhandlungen haben ein günstiges Ergebniß gehabt. Vor allem das möchte ich be— tonen ist die vollste Bereitwilligkeit zu Tage getreten, Maßregeln, von denen eine Erhöhung der Betriebssicherheit erwartet werden kann, ohne Rücksichten auf den Kostenpunkt ins Leben zu rufen. Mit überwiegend technischen Einzelnheiten darf ich die Zeit des hohen Hauses nicht in Anspruch nehmen; aber ich möchte mir dech gestatten, einige der wichtigsten Maßregeln, über die eine Verständigung erzielt ist, kurz hervorzuheben. Zunächst sind es Ergänzungen der Signal. einrichtungen. Es wurde die Bestimmung verabredet, daß alle Ein fahrtsignale mit Vorsignalen verbunden sein sollen. Ferner ist auf allen mit Kreuzungen und Ueberholungsgeleisen ver⸗ sehenen Bahnhöfen die Aufstellung von Ausfahrtsignalen in Auesicht genemmen. Dann wird für alle Bahnlinien mit dichter Zugfolge die Einführung der sogegannten Streckenblockierung beabsichtigt. Alle diese Signaleinrichtungen bestehen schon vielfach und haben sich bewährt; sie sollen jetzt aber durch die Betriebsordnung allgemein vor— eschrieben werden. Außerdem ist noch die Einführung eines auch am . nach vorn sichtbaren Zugschlußsignals in Aussicht geazͤommen. Von großer Bedeutung sind die von dem Herrn Abg. Pachnicke be⸗ reits erwähnten Bestimmungen über die größte zulässige Stärke der Züge. Bisher betrug die höchste zulässige Achsenzahl bei einem lang— sam fahrenden Güterzuge 150, bei einem Personenzuge, ohne Rücksicht auf seine Geschwindigkeit, 100. Künftig soll ein Güterzug in der Regel nicht mehr als 1290 Achsen führen; die Stärke der Personen⸗ züge soll von ihrer Geschwindigkeit abhängig sein und soll fallen bon 80 Achsen bei langsamer Fahrt bis auf 40 Achsen hei einer Geschwindigzkeit von mehr als 75 km in der Stunde. Von dieser Verminderung der Zugstärke ist eine Abnahme des Zerreißens der Kuppelungen zu hoffen. Eg ist ferner zu erwarten, daß sie die Bewegung mit den Zügen auf den Stationen erleichtern und daß überhaupt eine größere Regelmäßigkeit des Betriebes dadurch erreicht werden wird. Sie bedingt aber die Doppel⸗ ührung zahlreicher Züge, namentlich auch vieler Schnellzüge. Wichtig st endlich die angestrebte Verstärkung der Zugapparate an den Loko—

motiven und Wagen. Immer größere Anforderungen werden ing⸗!

besondere an die Kuphpelungen gestellt; sie sind gestiegen mit dem Eigengewicht der Wagen, mit dem Ladegewicht der Wagen, mit der Zugkraft der Lokomotiven, auch mit Einführung der Luftdruck⸗ bremsen. Eine Verstärkung der Kuppelungen ist daher nothwendig, aber sie bietet große Schwierigkeiten, weil die neuen Einrichtungen so getroffen werden müssen, daß sie mit den alten vorhandenen verbunden werden können. Außerdem wird zugleich auf die Einführung einer selbst⸗ thätigen Kuppelungsvorrichtung hingearbeitet, damit die zahlreichen Un⸗ glücksfälle vermieden werden, die alljährlich beim Kuppeln der Wagen mit der Hand eintreten. Hierbei sind ganz außerordentliche technische Schwie⸗ rigkeiten zu überwinden, indeß ist nach den Versicherungen technischer Autoritäten zu hoffen, daß neueste Versuche zum Ziele führen werden. Soviel, meine Herren, von den Ergebnissen der Kon- ferenz. Eine Vorlage an den Bundesrath ist fertig und wird ihm in diesen Tagen zu gehen. In einem gewissen Zusammenhange. mit der Verhütung von Unfällen steht die Frage der Dienstdauer der Betriebsbeamten und hiermit wieder die Anzahl der Beamten. Meine Herren, die Vorwürfe, die man in dieser Beziehung den Eisenbahn⸗ verwaltungen gemacht hat, gehen nach meiner Ueberzeugung viel zu weit. Das Reichs -Eisenbahnamt hat allerdings bei seinen Untersuchungen bier und da auch in Bezug auf die Anzahl des Personals und in Bezug auf die Dienstdauer Mängel gefunden. Diese Mängel waren aber überwiegend darauf zurückzuführen, daß die ausführenden Behörden die über die Dienstdauer bestehenden Vorschriften nicht richtig an—⸗ gewendet hatten. Immerhin bedürfen auch diese Vorschriften der weiteren Fortbildung, und es ist deshalb eine Revision der darüber aufgestellten Grundsätze im Werke. Schließlich möchte ich noch erwähnen, daß das Reichs⸗Eisenbahnamt in verschiedenen Fällen, wo es die mittelbare Veranlassung zu einem Eisenbahnunfall in einer Unzulänglichkeit von Bahnhofsanlagen fand, die betreffenden Eisenbahnverwaltungen zu einer beschleunigten Erweiterung dieser Bahnhöfe aufgefordert hat. Es ist ja anzuerkennen, daß die deutschen⸗ Eisenbahnverwaltungen in dieser Beziehung schon seither große Summen verwendet haben, aber es wird doch im In⸗ teresse der Betriebssicherheit nothwendig sein, hier und da damit in einem noch etwas schnelleren Tempo vor— zugehen und die vorhandenen Bahnanlagen dem beträchtlich geftiegenen Verkehr anzupassen. Zugleich würde damit ein hauptsächlicher Grund zahlreicher Zugverspätungen beseitigt werden. Jede Zugverspätung ist eine Unregelmäßigkeit und jede Unregelmäßigkeit eine Gefahrquelle. Das führt mich zu dem zweiten Theil des Antrages des Herrn Abg. Dr. Pachnicke, der darauf abzielt, daß Maßregeln getroffen werden sollen, um die Leistungsfäbigkeit der Eisenbahnen dem steigenden Verkehr entsprechend zu erhöhen. Wenn auch dieser Theil des An⸗ trages auf den Artikel 43 der Reichsverfassung gestützt wird, so kann ich mich darin dem Herrn Abgeordneten nicht anschließen. Der Art. 43 spricht, was den baulichen Zustand betrifft, nur von der nöthigen Sicherheit. Es heißt im Art. 43: Das Reich hat dafür Sorge zu tragen, daß die Eisenbahnverwaltungen die Bahnen jederzeit in einem die nöthige Sicherheit gewährenden baulichen Zustande er— halten. Nun betrachte ich es zwar nicht als die Aufgabe des Reichs⸗ Gisenbahnamts, die Bestimmungen des vom Eisenbahnwesen handeln— den Abschnitts der Reichsverfassung eng auszulegen. Aber es ist dem Reichs ⸗CGisenbahnamt doch bisher richtig erschienen, sich an den Wort⸗ laut des Art. 43 zu halten, und auf Grund dessen den Ausbau eines Bahnhofes von der betreffenden Verwaltung nur dann zu verlangen, wenn es die Ueberzeugung gewonnen hatte, daß der Bahn⸗ hof nicht mehr die nöthige Sicherheit gewährte. Uebrigens, meine Herren, würde das Reichs⸗Eisenbahnamt in seiner gegenwärtigen Organisation garnicht in der Lage sein, eine gründliche, in das Einzelne gehende Revision der deutschen Eisenbahnen nach der Richtung vorzunehmen, ob ihr baulicher Zustand überall dem Verkehrs⸗ bedürfniß entspricht. Meine Herren, um sich über die Betriebssicher⸗ heit eines einzigen größeren Bahnhofs ein abschließendes Urtheil bilden zu können, hat sich kürzlich ein Mitglied des Reichs⸗Eisenbahnamts mehrere Tage dort aufgehalten und hat nach seiner Rückkehr noch gründliche Studien über die Inanspruchnahme der Geleisanlagen an der Hand der Frequenz und des Fahrplans machen müssen. Wenn dem Reichs⸗Eisenbahnamt jetzt die Aufgabe gestellt würde, gründlich zu prüfen, cb die Bahnanlagen in Deutschland den Verkehrsbedürfnissen durchweg entsprechen und was etwa zur Er— höhung ihrer Leistungsfähigkeit im einzelnen zu gescheben hätte, so müßte ich, auch abgesehen von der Zuständigkeitsfrage, das unter den gegenwärtigen Verhältnissen als nicht ausführbar bezeichnen. Das Amt hat nur drei administrative und vier technische Mitglieder, und diese sind schon jetzt vollauf in Anspruch genommen. Wir werden aber sortfahren, in jedem Falle, wo die Betriebssicherheit durch Un—⸗ zulänglichkeit der Bahnanlagen gefährdet erscheint, auf Abhilfe zu dringen. Anders liegt die Frage der Zuständigkeit des Eisen— bahnamts in Leipzig auf die Ausrüstung der Eisenbahnen mit Betriebsmaterial. Da heißt es in der Verfassung: „Das Reich hat dafür Sorge zu tragen, daß die CFisenbahnverwal⸗ tungen die Bahnen mit Betriehsmaterial so aukrüsten, wie es das Verkehrsbedürfniß erheischt. Dieser Pflicht gemäß hat das Reichg⸗ Eisenbahnamt seither, wenn nach seiner Ansicht eine Verwaltung mit Einwirkung schon deshalb mit Schwierigkeiten verknüpft ist, weil es sich dabei stets auch um die Beurtheilung der künftigen Verkehrsentwickelung handelt. Das ist ein unsicherer Boden. Man kann darüber sehr verschie dener Meinung sein. In neuerer Zeit aber davon hat das Amt sich überzeugt sind auch etwas zurückgebliebene Verwaltungen energisch bestrebt, ihr Betriebsmaterial so viel als nur angängig zu ver⸗ mehren. Gegenwärtig insbesondere sind so viele Wagen in Bestellung gegeben, wie die Wagenbau⸗Anstalten überhaupt zu liefern im stande sind. Außerdem ist bekannt, wie sehr große Summen die Etats der verschiedenen Eisenbahnperwaltungen gegenwärtig für die Vermehrung des Betriebsmaterials aufweisen. Die Vermehrung des Betriebs⸗ materials allein das hat auch der Herr Abg. Dr. Pachnicke bereits erwähnt thut es freilich nicht, sondern es gehört dazu die möglichste Beschleunigung des Umlaufs der Wagen. Auch in dieser Beziehung haben wir uns überzeugt, daß die Eisenbahnverwaltungen energisch bestrebt sind, Abhilfe zu schaffen durch Ausgeftaltung des Güterzugfahrplanes, durch Einrichtung direkter Güterzüge u. s. w. Meine Herren, ich hoffe Ihnen dargelegt zu haben, daß das Reichs⸗Gisenbahnamt pflichtgemäß bestrebt ist, auch in den Fragen, auf die sich der Antrag des Herrn Abg. Dr. Pachnicke bezieht, alles zu thun, wozu die Bestimmungen der Verfassung und des Gesetzes von 1873 ihm eine Handhabe ge⸗ währen. (Bravo!)

Abg. Graf von Kanitz (d. kons.): Es bestehen Ausnahmetarife in großer Zahl, bei denen die finanzpolitischen Erwägungen zurücktreten, bei denen es sich um wirthschaftliche Rücksichten handelt. In England giebt es nur Privateisenbahnen, welche in Bezug auf die Tarife unab- hängig sind. Die Frage der Ausnahmetarife so hat der englische Handels. Minister ausgesprochen wird bei dem Abschluß eines Handels vertcages mit England eine große Rolle spielen. Ich glaube, es wird sich dabei namentlich um die Ausnahmetarife für Steinkohlen handeln. Die rheinisch⸗westfälische Kohle hat dadurch einen Fracht⸗ vorsprung vor der englischen Kohle um 3 pro Tonne. Es wird schwer sein, diese Dinge als ein Internum des 6 zu behandeln. Haben darüber schon Verhandlungen stattgefunden? Ich würde mich bescheiden, wenn der Präsldent des Reichs- Eisenbahnamts sich darüber nicht auslassen kann. Aber die Zeit, drängt, da in wenigen Monaten ein neuer Handelsvertrag geschlossen sein muß, weil sonst ein vertrags⸗ loser Zustand eintreten würde.

Abg. Gerisch (Son) bemängelt die Denkschtift der preußischen Eisenbahnverwaltung über die Betriebtsicherheit der Eisenbahnen und führt aus: solange die Streckenbeamten zu 460 10—12, zu 12/9 12 —13 und zu 110, 13—2 4 Stunden Dienst hätten, werde keine Besserung eintreten, es müßte denn sein, daß auch die Passagiere der D⸗Züge ihr Lehen gefährdet fühlten; dann würden sie schon den genügenden Druck auf die Verwaltung ausüben. Es werde nicht eher besser werden, bis mit dem ganzen System gebrochen sei.

Geheimer Regierungs⸗Rath von Misani: Der Herr Vorredner

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hat eine größere Anzahl von Vorkommnissen im preußischen Eisen⸗

bahnbetrieb besprochen. Ich möchte mir erlauben, nur auf zwel Punkte mit einigen Worten zu erwidern. Der erste ist der Unfall bei Eschede. Ich bin selbst an Ort und Stelle gewesen und habe den Oberbau gründlich unterfucht. Ich kann auf Grund meiner Wahrnehmungen konstgtieren, baß der Oberbau an der Unfallstelle in ganz gutem Zustande sich be⸗ kunden und daß er namentlich kräftige Schienen von einem gus—= gejeichneten Material aufzuweisen hatte. Ich habe sodann die Ver- btegung der Schiene, von der der Herr Vorredner gesprochen hat, ebenfalls angesehen, und ich bin damals zu der Ueberzeugung gekommen und habe diese Ueberieugung heute noch, daß diese Verbiegung ganz un= möglich eine Folge der Entgleisung gewefen sein kann, daß sie viel⸗ mehr die Ursache der Entgleisung war; die Verbiegung erklärt sich sehr einfach durch das Herabfallen des Kuppelbaumg, das ja nachgewiesenermaßen vorgekommen ist. Zweitens möchte ich ein paar Worte zu dem Unfall bei Gerolstein sprechen. Ver Militärzug war mit durchgehender Hremse ausgerüstet, wurde aber nicht damit gefahren, weil die Direktion die Anordnung getroffen hatte, die Bremfe mit Rücksicht auf die Lange des Zuges auszuschalten. Die Erfahrung hat nämlich gezeigt, daß das Anlegen der durchgehenden Bremse bei längeren Zügen nur zu leicht zu Zugtrennungen Anlaß giebt. Gine solche Bestimmung besteht aber noch nicht allgemein, weshalb vorgefehen ist, bei den Ergänzungen der Betriebsordnung, von der schon der Herr Abg. Dr. Pachnicke sowie mein Herr Chef gesprochen haben, vorzuschreiben, daß ein Zug, auch wenn er mit durchgehender Bremse ausgerüstet ist, nicht damit gefahren werden darf, sofern er mehr als 65 Achsen hat. Der Zug bei Gerolstein hatte 81 Achsen. Wenn die Vorschrift der Eisenbahndirektion eingehalten worden wäre und der Zug, auf seiner ganzen Länge die Bremse ausgeschaltet gehabt hätte, so wäre der Unfall wahrscheinlich ohne alle Folgen verlaufen. So aber hat ein Bremser, der bei dem Unfall sein Leben verloren hat, die 13 ersten Wagen eingeschaltet. Die Zugtrennung, die die nächste Ursache des Unfalls war, hat gerade jwischen dem 13. und 14 Wagen stattgefunder Der Vordertheil des Zuges wurde später mit der durchgehenden Bremse zum Stehen gebracht, sodaß der hintere Zugstheil auf ihn aufgefahren ist.

Abg. von Kardorff (Rp.): Es widersteht mir, auf die Unfälle einzugehen, da der preußische Cisenbahn⸗Minister schwer erkrankt ist. Sächstsche Fabrikanten führen Beschwerde darüber, daß sie keine be⸗ schleunigten billigen Frachten nach den Häfen Belgiens und Hollands erbalten können. Sie können deshalb nicht nach England exportieren, wo die Besteller kurze Lieferfristen stellen, die pünktlich innegehalten werden müssen. Das Reichs ⸗Eisenbahnamt sollte hier helfend ein⸗ greifen, damit nicht etwa dieser Eyport verloren geht.

Präsident des Reichs- Eisenbahnamts Dr. Schulz: Mir ist von den Wünschen und Beschwerden der Chemnitzer Fabrikanten bisher nichts hekannt gewesen, aber ich bin gern bereit, der Sache nachzugehen. Abg. Freiherr von Stumm (Rp.) beantragt, in dem Antrage Pachnicke unter a die Worte „wie sie in letzter Zeit“ und „vorgekommen ist“ zu streichen.

Abg. Dr. Graf zu Stolberg⸗Wernigerode (d. kons.): Das Reichs Eisenbahnamt bat sehr geringe Kompetenz gegenüber den Einzelstaaten. Als es geschaffen wurde, bestand das Projekt des Uebergangs der Eisenbahnen in die Hand des Reichs. Die Rede des Abg. Pachnicke gehörte in das Abgeordnetenhaus. Im allgemeinen hat bisher eine Minderung der Betriebsunfälle stattgefunden; die jetzt stattgehabten Vermehrungen bedauern wir lebhaft. Daß neue Hauptbahnen seit der Verstaatlichung nicht mehr gebaut sind, ist selbstverständlich, denn sie waren gebaut, und es handelte sich eben nur noch um den Ausbau der Nebenbahnen. Durch die Verstaatlichung der Eisenbahnen ist die Möglichkeit einer Tarifreform überhaupt erst gegeben worden. Ich halte für das einzig Richtige bezüglich der Gütertarife den allgemeinen Uebergang zu Staffeltarifen. Bezüglich der Kanäle erkläre ich für meine Person, daß ich kein aus⸗ gesprochener Gegner derselben bin. Aber, daß durch die Kanäle eine solche Entlastung der Eisenbahnen herbeigeführt werden würde, daß die Unfälle sich vermindern, glaube ich nicht. Denn die Entlastung der Eisenbahnen würde nur in den Sommermonaten stattfinden; die Eisenbahnen würden im Winter den Verkehr noch schlechter bewerk⸗ stelligen können.

Um H/ Uhr wird die weitere Berathung bis Dienstag 2 Uhr vertagt.

Prenßischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 34. Sitzung vom 28. Februar 1898.

Die zweite Berathung des Staatshaushalts⸗ Etats sür 1898,99 wird beim Etat der Staatsarchive fort⸗ gesetzt.

Abg. Kir sch (Zentr.) macht darauf aufmerksam, daß in rheinischen Kreisen das Gerücht Beuuruhigung hervorgerufen habe, das Staats archiv in Düsseldorf solle nach Bonn verlegt werden, und fragt an, ob diefes Gerücht begründet sei.

Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums, Finanz⸗Minister Dr. von Miquel:

Meine Herren! Die von dem Herrn Vorredner berührte Frage war allerdings angeregt worden durch die Universität Bonn, welche zur Förderung der historischen und gelehrten Studien dieses sehr bedeutende und wichtige Archiv gern nach Bonn verlegt haben wollte. Nun haben darüber Verhandlungen stattgefunden dle Justizverwaltung wollte das jetzige Gebäude des Archios in Düsseldorf gern für ihre eigenen Zwecke zur Erweiterung des Landgerichtsgebäudes benutzen —, unter welchen Modalitäten eine Belassung des Archivs in Düsseldorf stattfinden könnte. Die Stadt Düsseldorf hatte sich bereit erklärt, für den etwaigen Neubau eines Archivgebäudes in Düsseldorf einen geeigneten Platz zur Disposition zu stellen. Ueber diesen Platz haben technische Ermittelungen stattgefunden, und man hat sich schließlich dech überzeugt, daß der zuerst seitens der Stadt Düsseldorf zur Digeposition gestellte Platz nicht geeignet sei mit Rücksicht auf die Bodenbeschaffenheit. Die Verhandlungen gehen aber weiter, und ich zweifle nicht, daß eine Einigung mit der Stadt Düsseldorf erfolgen und uns ein anderer Platz oder ein anderes Auskunftsmittel erreichbar sein wird.

Ausschlaggebend ist allerdings von vornberein bei mir als Finanz⸗ Minister sowohl, als auch als Chef der Archipvverwaltung, daß ich mich nur schwer entschlossen haben würde, ein derartiges Archiv von dem Orte und den Gegenden wegzulegen, wo die Ereignisse, auf welche sich die Urkunden beziehen, sich zugetragen haben, wo das ganze lokale Interesse für die Benutzung des Archivs auf einmal verschwinden würde, wenn man ein solches Archiv lediglich den gelehrten Studien in Bonn zur Verfügung stellte. (Bravo) Meine Herren, ich bin überhaupt ein Gegner einer solchen Konzentration der einzelnen Archive. Namentlich, wo daß historische Studium, das historische Interesse lebendig ist, wo sich starke historische Vereine gebildet haben, die sich für die Ge⸗ schichte ihrer Heimath interessieren, da kann ich mir keinen besseren Nutzen für das Archi denken, als daß es da bleibt, wo es ursprünglich hingehört, und ich glaube, ich kann den Herrn Vorredner dahin durchaus beruhigen. Die Sache wird sich jedenfalls so gestalten, daß das fragliche Archigs für welches sich in einer mir höchst erfreulichen Weise das allergrößte Interesse in der ganzen

dortigen Bevölkerung gezent hat, aus welchem ich herleite, welcher historische Sinn in der Bevölkerung lebt auch in Zukunaft in Düsseldorf, als der alten Hauptstadt der Bergischen Lande, seinen Sitz behalten wird. (Bravo)

Der Etat der Staats⸗Archive wird bewilligt.

Beim Etat der Lotterie⸗Verwaltung beklagt

Abg. Dr. Arendt (fr. kons.), daß in der letzten Zeit viele Hunderte von Bestrafungen von Spielern in auswärtigen Lotterien stattgefun⸗ den haben. Viele dieser Leute, führt er aus, wissen sicherlich nicht, warum sie bestraft werden; sie können nicht einsehen, daß Lotterien eines deutschen Staates verboten sein sollen. Allerdings ist das Lot⸗ terieverbot an sich gerechtfertigt im Interesse des preußischen Staats, aber auf die Dauer lassen sich die Dinge nicht so aufrecht erhalten, wie sie sind. Auch die Verdoppelung der preußischen Lotterieloose hat das Spielen in auswärtigen Lotterien nicht beseitigt. Wir haben deshalb wiederholt eine reichsgesetzliche Regelung des Lotterie—⸗ wesens angeregt. Die Verhandlungen darüber innerhalb der Regie⸗ rungen haben leider noch keinen Erfolg ergeben, und es ist nun sogar eine Verschlechterung des Zustandes eingetreten, da sich noch neue kleinstaatliche Lotterien gebildet haben. Das Beispiel der Unter⸗ sagung der Privat⸗Notenbanken sollte man hier befolgen und die Errichtung weiterer einzelstaatlicher Lotterien von Reichswegen ver⸗ bieten. Den Einzelstaaten, welche sich nicht fügen, müßte von Reichs⸗ wegen der Vertrieb der Loose in allen anderen Staaten Deutschlands verboten werden. Nach dem Vorgang der Eisenbahnpolitik könnte Preußen auch die Lotterien anderer Staaten durch Pacht an sich bringen oder eine Lotterie gemeinschaftlich mit den anderen Staaten herbeiführen. Der jetzige Zustand könnte einen zum Gegner staat⸗ licher Lotterien überhaupt machen, aber wir können die Einnahmen aus der Letterie nicht entbehren. Auch in anderen Staaten wird das Spielen in auswärtigen Lotterien bestraft, in Sachsen⸗Coburg⸗Gotha unter Umständen sogar mit Zuchthaus. Mit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs werden die jetzigen Lotteriezustände noch un⸗ haltbarer werden; dann besteht überall Rechtseinheit, nur nicht in Bezug auf das Lotteriewesen. Nach Gutachten von Juristen haben die landesgesetzlichen Lotterie Strafgesetze dann keine Geltung mehr. Deshalb muß die reichsgesetzliche Regelung des Lotteriewesens so schnell wie möglich erfolgen. Das private Lotteriewesen wird jetzt, seitdem Herr von Miguel Finanz⸗Minister ist, viel besser kontroliert als früher, aber noch immer nicht in ge⸗ nügendem Maße. Die Lotteriehändler verstehen es, sich auf Umwegen Lotteriekonzesstonen zu verschaffen. Die Lotterien von Kunstgegen ständen ꝛc., die allo teine Geldgewinne haben, unterliegen nicht der Konzession des Finanz⸗ Ministeriums, sondern des Ministeriums des Innern. Nun arrangiert man wohl Lotterien mit Kunstgegenständen ꝛc., garantiert aber die Auszahlung der Gewinne in baar und umgeht somit die scharfe Kon trole des Finanz Ministeriums. Der bayerische Finanz ⸗Minister hat unsere preußische Lotterie⸗Verwaltung angegriffen, wir können aber über diese süddeutschen Angriffe hinweggehen; denn unsere Lotterie— Verwaltung verwaltet das Lotteriewesen aufs beste. Hoffentlich kann aber unser Finanz ⸗Minister Wandel schaffen durch reichsgesetzliche Regelung.

Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums, Finanz⸗Minister Dr. von Miquel:

Meine Herren! Es ist nicht zu leugnen, daß einen wunden Punkt in dieser Frage berührt hat. daß der gegenwärtige Zustand des Lotteriewesens in jedenfalls, worum es sich im wesentlichen handelt, des Geldlotterie⸗ wesens vielfache Mißstände im Gefolge hat, und daß es wünschens⸗ werth wäre, wenn man in dieser Richtung zu einer durchgreifenden Reform kommen würde.

Es ist vollkommen zutreffend, daß heutzutage jeder einzelne deutsche Staat eine Lotterie errichten und fremde Loose verbieten kann, und daß eine Reihe von Staaten, ob sie nun eigene Lotterien haben oder nicht, derartige Verbote erlassen haben; es ist auch richtig, daß die Meinungen der Juristen über die Rechtsgültigkeit der durch die Landesgesetzgebung eingeführten Verbote auseinandergehen, obwohl ich persönlich namentlich der Ansicht des Professors von Endemann, welche Herr Dr. Arendt zitiert hat, nicht beistimme. Aber die Frage ist allerdings kontrovers.

Es ist auch richtig, meine Herren, daß eine Reihe von kleineren staat⸗ lichen Lotterien neuerdings in Deutschland neu begründet ist, von denen wir in Preußen befürchten müssen, daß ein erheblicher Theil derLoose über die preußische Landesgrenze kommt. Es ist auch richtig, daß dies früher schon bisher auf Grund der bestehenden älteren staatlichen Lotterien der Fall war; ich nenne in dieser Beziehung nur die hamburgische, die braunschweigische und die mecklenburg ⸗strelitzsche Lotterien. Neuer⸗ dings ist, wie gesagt, dieser Uebelstand noch vermehrt worden durch den Zutritt neuer Konzessionen für staatliche Lotterien.

Nun ist daneben aber und diese Dinge kennt Herr Dr. Arendt vielleicht nicht in dem Maße als ich ein großer Uebelstand ju erblicken in dem Ueberhandnehmen, dem kolossalen Hindrängen auf Bewilligung von Privatlotterien für alle denk— baren Zwecke. Meine Herren, ich bin, wie ich wohl sagen kann, in einem permanenten Kampf gegen dies Andrängen, und nicht immer mit Erfolg; denn bisweilen sind doch die übrigen Ressorts, die ja die Uebelstände nicht so genau kennen wie wir im Finanz⸗ Ministerium, wenn es sich um einen wirklich guten Zweck handelt, für welchen die Lotterie ausgegeben werden soll, geneigter, für gemein⸗ nützige, mildthätige Zwecke auf eine Konzession einzugehen. Da ich nicht allein zu entscheiden habe, sondern neben dem Herrn Mnnister des Innern äußerstenfalls das Staats-Ministerium entscheidet, bin ich nicht immer sicher, ob ich mit Erfolg einem solchen Andrängen mich widersetzen kann. Sie glauben nicht, wie leicht man im Publikum glaubt sich einfach durch eine Lotterie helfen zu können. Wohl⸗ thätige Frauen begründen ein schönes, wohlthätiges Institut ohne jede genügende wirthschaftliche Grundlage (sehr richtig!, und wenn die Sache dann nicht geht, dann heißt es: wir verlangen einfach eine Lotterie, dann kommen wir aus dem Mangel leicht heraus. Oder, meine Herren, es wünscht jemand, ein Denkmal zu errichten; er legt die Sache aber so großartig an, daß er schließlich die Mittel nicht hat: wenden wir uns an den Finanz ⸗Minister, mag er uns eine Lotterie bewilligen! (Heiterkeit; Oder eine reiche Provinz möchte eine Naturschönheit erhalten, die sonst gefährdet wäre; sie selbst will kein Geld sdafür aufwenden: fordern wir doch eine Lotterie! (Heiterkeit. )

Früher, meine Herren, war es festes Prinzip, daß man Geld— lotterien nur bewilligte für die Wiederherstellung alter Dome und hervorragender Kunstbauwerke. Darüber sind wir allerdings schon vielfach hinausgekommen. Es mag sein, daß man bei einzelnen großen nationalen Aufgaben, die ein großes, allgemeines, ich möchte sagen, deutsches Interesse haben, welches ich z. B. bei der Rothen Kreuz Lotterie anerkanntihabe, solche Lotterien verantworten kann; aber für einen rein lolalen Zweck, für ein Krankenhaus und derartige Dinge, ist es um deswillen wenigstens möglichst einzuschränken, weil alle diese Kon zessionen zu den größten Berufungen in tausend anderen Fällen führen.

Herr Dr. Arendt Ich erkenne an,

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Memts. 4 Veut chland 3

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Wenn ich an einer Stelle eine solche Lotterie zulasse, so kann ich mich!

nicht ablehnend verhalten gegen ebenso begründete und vielleicht noch begründetere Forderungen von einer anderen Stelle. Diese ganze Sache ist eine wahre erux für die Verwaltungen, und ich kann nur sagen: es ist mir einer der unangenehmsten Verwaltungszweige, mit dem ich betraut bin.

Es kommt noch hinzu, daß, wie Sie alle wissen, der Vertrieb derartiger Privatlotterien sich, möchte ich sagen, naturgemäß monopo⸗ lisiert und schließlich in die Hand einer einzelnen Firma kommt, die ihre Organisation durch die ganze Monarchie hat und in der Lage ist, sehr hohe Provisionen zu verlangen, sodaß die Kommissionäre im Ganzen verhältnißmäßig nur wenig Erträgniß von der Lotterie haben. (Sehr richtig) Wir haben daran gedacht, wie wir das ändern können. In Frankreich hat einmal eine Organisation bestanden, eine Art Zentral⸗Comité, welches unter flaatlicher Kontrole, ohne selbst eigentlich Vortheile von der Sache zu haben, solche Privat⸗ lotterie unterbrachte, und wir sind mit dem Herrn Minister des Innern in Verbindung getreten, ob man bei uns nicht etwas Aehnliches einführen könne. Eg wird aber sehr schwierig sein, das sehe ich schon jetzt ein. Wir haben uns mit dem Herrn Minister des Innern in Verbindung gesetzt, ob man nicht wenigstens die Privatlotterien auf ein jedes Jahr kontingentieren könnte, so daß in einem bestimmten Jahre nicht mehr Privatlotterien auf den Markt gebracht werden dürften, als bis zu einer bestimmten Höhe. Diese Verhandlungen schweben. Das wäre schon ein großer Gewinn, meine Herren, das würde das Ueberfluthen des Landes mit dlesen Privat⸗ lotterien doch sehr erheblich vermindern. Mit einem Wort, Sie sehen, daß wir suchen, auf irgend einem Wege die vorliegenden Schwierigkeiten möglichst zu vermindern.

Was nun die staatlichen Lotterien betrifft, so sind wir früher auf Grund eineg Anttages des Herrn Abg. Dr. Arendt, dem das hohe Haus beigetreten war, daß man die Landeslotterien gänzlich verbieten oder einschränken und an deren Stelle eine Reichslotterie gründen sollte, der Sache näher getreten, aber der damalige Reichskanzler lehnte die weitere Verfolgung dieser Sache ab, und ich muß sagen, nicht ohne gute Gründe. Ob der Weg, den der Herr Vorredner jetzt vorgeschlagen hat, gangbar ist, ist aller⸗ dings sehr zu erwägen; man könnte vielleicht in etwas anderer Gestalt, als er vorgeschlagen hat, zum Ziele kommen, indem man sagt: es wird schwer sein, daß diejenigen Staaten, die noch keine Lotterie haben, zu Gunsten derjenigen Staaten, welche bereits eine Lotterie besitzen, auf ewige Zeiten auf das Recht, eine Lotterie einzurichten verzichten, um so mehr, als damit der Vortheil für die mit Lotterien versehenen Staaten nur wachsen würde. Ich glaube kaum, daß ein solcher Eingriff eine Erweiterung der Reichskompetenzen könnte sogar darin gefunden werden in die Rechte der Einzel⸗ staaten sich durchführen ließe. Andererseits könnte vielleicht die Sache so geregelt werden, daß wenigstens neue Lotterien kontingentiert würden auf eine bestimmte Höhe, etwa nach dem Erfahrungssatz in Preußen. ann wäre ein großer Theil der Gefahr, wenigstens für Preußen verhütet, dann müßten die Staaten, welche neue Lotterien haben wollen, je nur nach der Kopfzahl ihrer Bewohner eine bestimmte Anzahl von Loosen ausgeben. Lübeck z. B. würde nur diejenigen Loose vertreiben dürfen, welche der Einwohnerzahl von Lübeck entsprächen. So lange das aber keine Reichssache ist, sondern eine Landessache, hat jeder einzelne Staat das Recht, sich wegen der Ueberfluthung mit den Loosen anderer Staaten möglichst zu wehren. Mit einem Worte, es ist eine sehr schwierige Frage; sie berührt sehr viele einzelstaatliche Interessen. Ich zweifle daran, ob es möglich und rathsam sein wird, das Lotteriewesen auf das Reich zu übertragen, aber ich glaube auch, daß man bei allseitigem guten Willen doch wohl

zu einer wesentlichen Verbesserung kommen kann, und ich kann den

Herren zusagen, daß wir diese Frage weiter verfolgen werden.

Meine Herren, der Herr Abg. Dr. Arendt hat noch auf die aus—⸗ gedehnte Verbreitung dieser fremden Loose, ohne daß wesentliche Be⸗ strafungen eintreten, hingewiesen. Das ist vollkommen zutreffend, obwohl dieser Handel mit fremden Loosen doch in einer sehr verbreiteten, und ich möchte sagen, fast offenkundigen Weise stattfindet; man braucht hier bloß in einen Zigarrenladen zu gehen, dann hat man das vor sich, und obwohl man häufig bedenkliche Mittel anwendet, diese Loose unterzubringen im Gegensatz zur preußischen Staatslotterie, die ja keine solchen Mittel duldet, ist die Zahl der Bestrafungen doch immer sehr gering. Ich habe mich mehrfach mit den Polizeibehörden in dieser Beziehung in Verbindung gesetzt, und ich hoffe, daß wohl Wandel eintreten wird, daß man diese Dinge schärfer verfolgt. Etwas Wahres liegt allerdings in dem Gedanken, den der Herr Vorredner ausgesprochen hat, daß man eigentlich im Publikum kein großes Unrecht darin erblickt, und daher ist es einigermaßen natürlich, daß es schwierig ist, hinter die fremden Lotterien zu kommen.

Endlich hat der Herr Abg. Dr. Arendt darauf hingewiesen, daß man jetzt unter vielen anderen Manövern, die der erfinderische Geist ausdenkt, neuerdings auf die Methode gekommen ist, wenn eine Geld⸗ lotterie nicht bewilligt wird, eine Sachlotterie ins Leben zu rufen und dann das Verbot der Geldlotterie dadurch umgeht, daß man von vornherein sich verpflichtet, diese Gegenstände zu einem bestimmten Geldwerth zu lübernehmen. Wahrscheinlich macht der Unternehmer auch bei dieser Taxierung des Gegenstandes in Geld noch ein gutes Geschäft. Meine Herren, das ist meines Wissens nur in einem einzigen Fall vorgekommen, und ich weiß, daß man im Ministerium des Innern durch diesen Fall auf die Sache aufmerksam geworden ist, und man wird zweifellos, wie ich glaube, in Zukunft ein derartiges Vorgehen bei der Ertheilung der Konzession für Sachlotterien verhindern. Man wird in den Konzessionsbedingungen solche Vorschriften machen können, daß das in Zukunft ausgeschlossen sein wird.

Wie Sie sehen, meine Herren, im allgemeinen gebe ich zu, es sind auf diesem Gebiete Mißstände vorhanden, und dies Gebiet muß noch weiler gesetzlich geordnet und geregelt werden. Aber die Schwierigkeiten, die in der Sache liegen, werden die verehrten Herren auch nicht verkennen, und ich bin selbst noch mehr dabei interessiert als die Allgemeinheit, weil mir die Behandlung dieser Frage direkt obliegt. Sie können sicher sein, daß wir die Sache nicht aus dem Auge verlieren, und wir wollen hoffen, daß es schließlich gelingt, wie auf so vielen anderen Gebieten so auch hier die richtige Ordnung herbeizuführen. (Bravo!)

Abg. Graf zu Limburg Stirum (kons): Wer Zeitungen liest, weiß, daß das Spielen in auswärtigen Lotterien verboten ist, und die Leute wissen, daß sie unrecht thun. Mit solchen Leuten kann ich kein Mitleid haben. Die einfachste Lösung wäre eine Reichs⸗

lotterie, es ist aber fraglich, ob der Reichstag zustimmen würde. Man soll die Reichskompetenz nur ausdehnen auf Gebieten, wo es dringend nolhwendig ist. Die Lotterie ist eine Art von indirekter Besteuerung. Auf die Kontingentierung werden Lie kleinen Staaten schwerlich ein⸗ gehen. Die Privat ⸗Lotterien bieten den Spielern sehr geringe Chancen, denn die Gewinnwerthe sind sehr gering im Verhältniß zu den Ein⸗ nahmen dieser Lotterien. Darum sollte der Finanz⸗Minister bei diesen Lotterien ganz scharf zugreifen; das Haus wird ihm darin keine Schwierigkeiten machen.

Abg. Dr. Sattler (nl. : Alle diese Reden sind sebr schön, führen aber nicht zum Ziel, so lange man nicht selbst mit der Auf⸗ hebung der preußischen Lotterie vorgehen will. Da das Haus seiner Zeit bereiiwilligst der Verdoppelung der preußischen Lotterieloose zugestimmt hat, hat es jetzt keinen Zweck, sich hier über die Dinge zu unterhalten.

Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums, Finan- Minister Dr. von Miquel:

Meine Herren! Diese Rede erinnert mich an das alte Sprich⸗ wort: man soll das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Eine Staatslotterie unter staatlicher Kontrole, in mäßiger Höhe, ohne jede Reklame ist absolut mit den Mißständen bei Privatlotterien nicht zu vergleichen. Im Gegentheil, man kann wohl mit Recht den Satz aufstellen: wenn wir nicht in dieser vorsichtigen Weise vorgehen, wie das bei der Staatslotterie geschieht, wo der Spieler ein einzelnes Loos lauft und Monate liegen läßt, wo die Spielleidenschaft in keiner Weise angespornt wird, wenn wir dem Publikum in seinem nun einmal bis zu gewissen Grenzen vorhandenen Spielbedürfniß, seinem Spieltrieb nicht entgegenkommen, daß dann viel gefährlichere Formen des Spieles sich bilden würden wie die, die wir bekämpfen. (Sehr richtig) Das habe ich nur sagen wollen.

Es ist auch weiter nicht zutreffend, wenn Herr Dr. Sattler meinte, man könnte die Mißstände überhaupt nicht beseitigen ohne Aufhebung der Staatslotterien. Es giebt viele Dinge, deren üble Folgen man nicht vollständig beseitigen kann; aber wir haben doch hier Wege gefunden, welche mindestens eine erhebliche Verminderung der Mißstände herbeiführen werden.

Außerdem müßten jedenfalls, wenn die Lotterie aufgehoben würde, alle andern Staaten ebenso verfahren. Es müßte ein dahin gehender Beschluß des Reiches stattfinden unter Ausdehnung seiner Kompetenz, was schon an sich sehr schwierig wäre. Dann aber, meine Herren, müßten auch Herr Abg. Sattler und das hohe Haus bereit sein, die verlorenen 9 Millionen durch Erhöhung der Einkommensteuer einzu⸗ bringen (Heiterkeit), dann würde ich vielleicht mit mir sprechen lassen.

Abg. Dr. Arendt: Es ist nicht richtig, daß die Leute sämmtlich wissen, daß die Lotterien, in denen sie spielen, verboten sind. Die Kollekteure wenden alle möglichen Kniffe an bei der Vertreibung der Loose, drucken darauf: „Mit Allerhöchster Genehmigung“ ꝛc., und der kleine Mann macht dann keinen Unterschied, von wem diese Genehmigung ausgegangen ist. Die Privat⸗Lotterien schaden am meisten dadurch, daß sie einige große Hauptgewinne, aber sonst verhältnißmäßig wenig Gewinne haben. Es sollte keine Genehmigung einer Privat ⸗Lotterie ohne Bekanntmachung des ganzen Lotterie⸗ planes stattfinden, damit sich jeder die Chancen überschlagen kann.

Die Reicht⸗-Lotterie ist eine gesunde Idee, und ich hoffe, daß sie sich doch Bahn brechen wird. Gewiß hat die Lotterie den Charakter einer indirekten Steuer, die sehr bequem ist, weil sie nur diejenigen trifft, welche sie freiwillig übernehmen. Herr Sattler würde Mühe haben, diese Einnahmen durch andere Steuern aufzubringen. Ich danke dem Finanz⸗Minister für seine Ausführung; er ist eifrig bemüht, die Miß-⸗ stände zu beseitigen.

Abg. Dr. Sattler: Ich habe nicht die Aufhebung der Staats— Lotterie gefordert, also auch nicht für den Einnahmegusfall zu sorgen. Ich habe nur gesagt, die Reden haben hier keinen Zweck, wenn man sich nicht auf den Standpunkt der Aufhebung der Lotterie stellen will. Die Kontingentierung würde keine Abhilfe schaffen, weil man den kleinen Staaten es nicht verdenken kann, wenn sie auch eine Einnahme aus ihrer Lotterie haben wollen. Es bliebe nichts Anderes übrig, als die Aufhebung der Lotterie, indessen scheint mir die Sache nicht so wichtig, um weitere Ausführungen zu machen,

Der Etat der Lotterie⸗Verwaltung wird bewilligt.

Ohne Debatte werden folgende Etatstheile bewilligt: Rente, des Kronfideikommißfonds, Zuschuß zur Rente bes Kronfideilommißfonds. Kriegs⸗Ministerium, Landesvermessung, Bureau des Staats⸗Ministeriums, Generalordenskommission, Geheimes Zivilkabinet, Ober⸗Rechnungskammer, Prüfungs— kommission für höhere Verwaltungsbeamte, Disziplinarhof, Gerichtshof zur Enischeidung der Kompetenzkonflikte, Gesetz⸗ sammlungsamt in Berlin, „Deutscher Reichs⸗ und Preußischer Staats⸗Anzeiger“, Herrenhaus, Haus der Abgeordneten, See⸗ handlungsinstitut und Münzverwaltung.

Schluß An Uhr. Nächste Sitzung Dienstag 11 Uhr. (Etats der direkten und der indirekten Steuern.)

Sandel und Gewerbe.

Tägliche Wagengestellung für Kohlen und Koks an der Ruhr und in Oberschlesien. An der Ruhr sind am 28. v. M. gestellt 12 912, nicht recht. zeitig gestellt keine Wagen. In Oberschlesien sind am 28. v. M. gestellt 4815, nicht recht- zeitig gestellt keine Wagen.

Zwangs ⸗Versteigerungen. Beim Königlichen Amtsgericht 1 Berlin standen am 25. Februar die nachbezeichneten Grundstücke zur Versteigerung:

Auf Antrag des Amtegerichts Sekretärs Wilhelm Hild ebrandt, jetzt zu Charlottenburg, als Nachlaßpfleger der am 33 Februar 1896 hierselbst verstorbenen Witt we Scheele,. F. C. geb. Foige, verwistwet gewesenen Hildebrandt, stand das zum Nachlasse der letzteren gehörige, Schönhguser Allee 42 belegene Grundstück zur Verstelgerung; Fläche 12,25 a; Nutzung werth 2120 M; das Mindestgebot sollte 145 080 betragen; es wurden jedoch nur Gebote bis 127 50 4 abgegeben; deshalb wurde das Berfahren eingestellt. Seestraße 37, der Frau M. Neuber gehörig; Fläche 53537 a; Nutzungswerth 3720 ; Meistbietende blieb die Fürst liche Sparkasseè zu Gera mit dem 83 von r. 9 6 wurde das . der ö ersteigerung des Grundstücks Weiden weg bl und Lie bigstraße R, dem Weinhändler Alb. Krause gehörig. ere,

Berlin, 28. Februar. (Bericht der ständigen Deputation der Woll · Interessenten Über den Wollhan del im Monat ö 1898.) Im abgelaufenen Monat stellte sich weiterer Bedarf für deutsche Wollen ein, die Nachfrage blieb bei unveränderten, aber sessen Preisen regelmäßig, sodaß im Vergleich zu den geringen 2 die Umsätze von wesentlicher Bedeutung waren. Gs wurden etwa 000 Ztr. Rücken wäschen und etwa 2205 Itr. ungewaschene Wollen verkauft. Hauptkläufer blieben inländische ö auch zu Kammzwecken ging wiederum Verschiedenes in Rückenwäschen auß dem Markte. Kolonial Wol len. Die im Januar gemeldete Nach ⸗· frage übertrug sich auch auf diesen Monat, und die msätze beliefen sich auf etwa 4090 Ballen, davon J Kap⸗ und australische und

Buenos Aires-Wollen. Die Preise verfolgten stelgende Richtung.