Großhandels Durchschuittspreise von Getreide an außerdeutschen Vörsen Plätzen
für die Woche vom 21. bis 26. Februar 1898
nebst entsprechenden Angaben für die Vorwoche.
1000 kg in Mark. (Preise für prompte (Loko⸗] Waare, soweit nicht etwas Anderes bemerkt.)
// — k — R . och e K Februar 1598 woche 162, 43 160,61 231,31 231,15 122, 446 121,52 ö 180,283 180. 16 Budapest.
Roggen, , 15108 149, 14 We 5 ; e afer, . J . .
erste, Mal. . 136 6ßz 135, 9? St. Petersburg.
Roggen. 5 . 101,17 96,77
Weljen, Saronka ? 15176 15175 . . 166 6 163. 36
10139 99.62 155,55 155,55
Wien. Roggen, Pester Boden.... bc, . Hoff ungarischer, prim.. rste, slopbakische ..
Ddessa. 1 O 1
Riga. . J n n Weizen.. . 1565,50 154,16
8
vᷣaris . Roggen lieferbare Waare des laufenden Monats 5
zen Antwerpen. ö ö 170,34 3
Donau⸗ . Weijen Reh Winter Nr. 2 Am sterdam.
Roggen ) Asow⸗ F geen s St. Petersburger. Weizen, poln. Odessa⸗ .... London. a. Produktenbérse (Mark Lane). zei engl. weiß k Weijen JJ b. Gazette averages.
wen, enghlisches Cettgze.. 9 R. Müttelpreis cus 196 Marktorten
erste .
Liverpool.
1 6 9 J 169 6a 189,23 ö 6413 Chicago Spring . 184,48 183, 36 Northern Huluh . , 186 89 18591 1 . , , engl. weißer J J .
Californ. Brau ⸗ .. ö 143,33 143, 19 Gerste Canadische 100,92 99,66
lcss, 15175 17974
11355, gt 11663 12,8 33 57 2
173, 2 169.58
166,24 128 75 154.50
Weizen
, 264 9h 3h Chicago. 1 (1
Weijen dieferungs. Waare des laufenden Monats. 16210 160,65
Mai . Lieferung. 1 6 158,18 ztew⸗HYork. 2
Weizen ⸗ Lieferungg· Waare des laufenden Monat. 160,2
Mirz Lief ung 162,88
1) Nur an zwei Tagen notiert. — ) Nur an drei Tagen noliert.
Bemerkungen.
1 Tschetwert Weizen ist — 163,89, Roggen — 147,42, Hafer — 98,5 kg angenommen; 1 Imperial Quarter ist für die Weizennotiz an der Londoner Produktenbörse — bo4 Pfd. engl. gerechnet; für die Gazette averages, d. h. die aus den Umsätzen an 196 Marktorten des Königreichs ermittelten Durchschnittspreise für einheimisches Ge— treide, ist 1 Imperial Quarter Weizen — 480, Hafer — 312, Gerste — 400 Pfd. engl. angesetzt. 1 Bushel Weizen — 50 Pfd. engl.; 1 Pfd. engl. — 463,6 g; 1 Last Roggen — 2100, Weizen — 2460 Kg
Bei der Umrechnung der Preise in Reichswährung sind die aus den einzelnen Tages⸗Notierungen im „Deutschen Reichs- und Staats⸗ Anzeiger“ ermittelten wöchentlichen Durchschnitts. Wechselkurse an der Berliner Börse zu Grunde gelegt, und zwar für Wien und Budapest die Kurse auf Wien, für London und Liverpool die Kurse auf London, für Chicago und New Jork die Kurse auf New⸗Jork, für St. n Odessa und Riga die Kurse auf St. Petersburg, für Paris,
ntwerpen und Amsterdam die Kurse auf diese Plätze.
Denutscher Reichstag. 52. Sitzung vom 1. März 1898, 2 Uhr.
Die zweite Berathung des Reichshaushalts-Etats für 1898 wird bei dem Etat des Reichs⸗Eisenbahnamts, und zwar beim Titel „Gehalt des Präsidenten“ fort⸗ gesetzt.
Abg. Dr. Ham macher (nl.): Trotz der Erklärung des Präsi⸗ denten des Reichs⸗Eisenbahnamts empfehle ich dem Hause die An— nahme des Antrages Pachnicke. Der Reichstag muß diese Gelegen⸗ beit benutzen, um die Thätigkeit des Reichs, Eisenbabnamts nach Möglichkest zu stützen und seine Stellung zu stärken. Das Reichs— Gisenbahnamt hat seine verfassungsmäßige Thätigkeit bisher sehr unvollkommen entwickeln können. Es ist ein Irrihum des Grafen Stolberg, daß die Vorbedingung der Schaffung des Reichs Eisenbahn⸗ amts der Gedanke der Reichs-Eisenbahnen gewesen sei. Als unser Kollege Elben den Antrag stellte, ein Reichs ⸗Eisenbahnamt einzurichten, bestanden in den beiden größten deutschen Einzelstaaten, in Preußen und in Bayern, neben den stagtlichen Eisenbahnen noch große, aus— gedehnte Privatbahnen. Sein Gedanke war, eine Zentralstelle für die Ueberwachung des Eisenhahnwesens zu schaffen und namentlich den Erlaß eines deutschen Eisenbahngesetzeß , , Erst später tauchte der Gedanke auf, die gesammten Eisenbahnen in die Hand des Reichs zu bringen. Das Gesetz, betreffend das Reichs-Cisen⸗ bahnamt, enthält viele Bestimmungen, welche, richtig angewendet, wohl dazu gecignet wären, in Bezug auf die Unfälle dem Publikum eine größere Beruhigung zu gewähren. Den Privatbabnen gegenüber sollte das Reichs- Eisenbahnamt dieselben Befugnisse haben wie die damaligen einzelstaatlichen EisenbahnKommissare, und die Staats bahnen sollten auf dem verfassungsmäßigen Wege, also durch den Bundegrath, zur Befolgung der Anordnungen des Reichs, Gisenbahn—⸗ amts veranlaßt werden können. Wenn es dem Reichs Eisenbahnamt an den nöthigen Kräften fehlt, um seine begufsichtigende Thätigkeit auszuüben, so wird der Reichstag die dazu nöthigen Mittel niemals versagen. Der Art. 43 der Reichsverfassung i snm, ausdrücklich, daß das Reich dafür Sorge zu tragen hat, daß die Fisenbahn⸗ berwaltungen die Bahnen zu jeder Zeit in einem die nöthige Sicherheit gewährenden baulichen Zustande erhalten und dieselben mit Betriebs material so ausrüsten, wie das Verkehrebedürfniß es erheischt. Dag bezieht sich nicht bloß auf die Bahnstrecke, sondern auch guf die Bahnhöfe, wie z. B. auf den Bahnhof in Vohwinkel. Den Bericht des preußischen Gisenbahn⸗Ministers an den Landtag kann kein Parlament der Welt kritisch beleuchten, wenn es sich nicht
vorher eines technischen Beiraths, versichert hätte; vielleicht müßte sogar vorher eine parlamentarische Untersuchung erfolgen. Ich will nicht behaupten, daß jemals die preußische Fingnjwerwaltung datan denken könnte, die für die Sicherheit des Betriebes nöthigen Autzzaben zu verwelgern. Aber die Verquickung der Finanzen mit der Gisenbahnperwaltung führt dazu, daß der Blick getrübt wird. Der Minister müßte ein Gott sein, wenn er sich ganz von den figkalischen Interessen frei machen könnte. Es muß eine vollständige Trennung der Cifenbahnen von den Finanzen durchgeführt werden. In Baden bestehen auch Staatsbahnen, aber man behandelt die Bahnen dort nichi wie in Preußen. Es scheintz fast, daß der Rückblick auf die Verstaatlichung in Preußen getrübt wird durch die Ansprüche der Fingnzen. Als die Verstaatlichung beschloffen wurde, rechnete, man zunächst auf ein schlechtes Geschäft. Man pries damals die Eisen⸗ bahnpverwaltung des Stagts als eine uneigennützige, man stellte sie gegenüber der Begehrlichkeit der Aktionäre. Bor eintgtn Jahren wurde jede Reform der Tarife aus finanziellen Gründen zurückgewiesen. Damals habe ich gesagt, das Staatsbahnensystem wäre auf einen todten Strang gekommen. Den Ausdruck, daß es Bankerott gemacht hätte, habe ich nicht gebraucht; hätte ich ihn aber gebraucht, so würde er nur den Thatsachen entsprechen. Seitdem der gegenwärtige Eisenbahn⸗Minister sein Amt angetreten hat, ist für die Ver— stärkung der einmaligen Ausgaben mehr als früher geschehen. Daß der Minister Thielen eine Meer las. erleidet wegen der Häufung der Unfälle, dagegen lehnt sich mein Gerechtigkeitsgefühl auf. Die Frage der Nipeaukreuzungen spielt eine große Rolle. In England passlert keine Parlamentsakte über Eisenbahnen, in welcher nicht dar— über Bestimmungen getroffen wären. Wir büßen jetzt die Sünden, die früher begangen sind. Die Trennung des Personen- von dem Güterverkehr ist eines der wichtigsten Mittel, um Unfällen zu be⸗ gegnen. Einer der größten Mängel unseres Eisenbahndienstes ist die bedenkliche Zurückstellung des technischen Elements. Wir haben eine durchaus ungenügende Vorbereitung für die Beamten, insbesondere die höheren technischen und Verwaltungsbeamten durchlaufen keinen Weg der Vorbildung, der sie praktisch fähig macht. Die Instruktionen, welche die Unterbeamten erhalten, sind viel zu weitläufig und un— verständlich. Die Instruktionen verbreiten sich über alles Denkbare und Undenkbare; ein Examen würden die Beamten in denselben kaum bestehen können; sie überzeugen sich aber in der Praxis sehr bald, daß sehr viel nutzlose Dinge darin stehen. Ein Unglück kommt selten allein; eine große Rolle spielt aber bei den Unfällen zweifellos der Zufall. Durch einen Unfall wird nicht nur das Publikum auf— geregt, sondern auch die Beamten, die für ihren Dienst die größte Nüchternheit und Unbefangenheit brauchen. Daß die Eisenbahnen mit dem genügenden Betriebsmaterial ausgerüstet sein müssen, sagt die Verfassung uneingeschränkt. Damit ist die Aufgabe des Relchs⸗Eisenbahnamts gegeben. Ich will nicht ver⸗ langen, daß die Eisenbahnen unter allen Umständen genügendes Material haben müssen, denn es giebt gewisse Konjunkturen, auf welche die Eisenbahnverwalturg sich nicht unter allen Um⸗ ständen einrichten kann. Graf Kanitz hat nach den Verhandlungen mit England gefragt. Er hat wohl kaum eine Antwort darauf erwartet, aber er hat wohl einen anderen Zweck gehabt. Er wollte wohl zagegen Verwahrung einlegen, daß besonders wohlfeile Einfuhr— oder Ausfuhrtarife eingerichtet werden. Die Beschwerde des Abg. von Kardorff über die Beförderung von Stückgütern ist berechtigt. Diese Güter werden viel zu langsam befördert. Der Präsident des Reichs Eisenbahnamts sollte dieser Frage seine Aufmerksamkelt zu— wenden. Die ganze Debatte hat einen unmittelbaren praktischen Nutzen nicht. Aber wenn sie den Vortheil bringt, daß die Stärkung der Kontrole über die deutschen Eisenbahnen als ein dringendes Be— dürfniß anerkannt wird, so ist das mit Freude zu begrüßen.
Abg. Roesicke (b. k. F): Ob der Antrag Pachnicke Erfolg haben wird oder nicht, wir werden uns nicht abhalten lassen, denselben zu verfechten. Von der andern Seite sieht man ja auch nicht auf den Erfolg, z. B. bei dem Antrag des Grafen Kanitz. Der Linken wurden mehrfach Vorwürfe gemacht, daß sie die Interessen des Auslandes fördere, wenn sie vor einem Zollkriege warnte. Graf Kanitz glaub aber, das Ausland darauf aufmerksam machen zu müssen, daß es be⸗ rechtigt sei, gegen unsere Ausnahmetarife Stellung zu nehmen. Das Reichs⸗Eisenbahnamt hat das Recht und die Pflicht, sich um die Sicherheit und Leistungsfähigleit der Eisenbahnen zu kümmern; des— wegen haben auch wir das Recht, unsere Beschwerden und Wünsche hier geltend zu machen. Daß diese Beschwerde sich hauptsächlich gegen Preußen richtet, ist begreiflich bei der Ausdehnung des preußischen Eisenbahnnetzes. Daß die Klagen über den Mangel an Wagen nur zu gewissen wen auftreten, macht sie nicht unberechtigt. Denn in Preußen ist von 1886 bis 1896 der Verkehr um 60 oo gestiegen, während die Zahl der Wagen nur um 40 Oe sich vermehrt hat. Ein Einschreiten des Reichs Eisenbahnamts wäre also durch⸗ aus berechtigt. Wenn jetzt die Zahl der Güterwagen vermehrt wird, so wäre es den Industelellen wohl lieber gewesen, sie hätten diese Bestellungen in der Zeit bekommen, als sie weniger Arbeit hatten als jetzt. Redner weist auf die Denkschrift des Kali⸗Syneikats in Staßfurt, zu welchem auch staatliche Werke gehörten, hin und fährt dann fort: der Wagenmangel wird darin ebenfalls bedauert, und es wird fest—⸗ gestellt, daß derselbe 1397 sehr viel empfindlicher gewesen sei als früher, sodaß man kaum die Hoffnung haben könne, daß die Staats— bahnberwaltung den Mangel ganz beseinsigen konne. In ein— zelnen Monaten wurden 23 06, an einzelnen Tagen S800 der geforderten Wagen nicht gestellt. Dadurch werden auch die Land— wirthe geschädizt, welche die bestellten Kaltsalze nicht rechtzeitig be— kommen. Der Finanz Minister von Miquel meint, er hätte den Versprechungen bezüglich der verstaatlichten Bahnen, wenn sie ihm ge⸗ macht wären, nicht geglaubt. Alle diejenigen, welche nicht Preußen, aber auf die preußischen Staatsbahnen angewiesen sind, haben aber daran geglaubt, und sie sehen garnicht ein, weswegen sie auf ihre Kosten die preußischen Staatskassen füllen sollen. Die Eisenbahnen müssen wie jeder Geschäftsmann und Gewerbetreibende auch besondere Gin— richtungen für die Saison treffen. Abhilse soll aber nicht etwa ge— schaffen werden dadurch, daß man die Akladefristen verkürzt. Herr von Kardorff bezeichnete die Kanalfrage als nicht zur Sache gehörig. Aber er hat wohl übersehen, daß der Eisenbahn⸗Minister Thielen eine Kanglporlage angekündigt hat. Es wird freilich den verbündeten Regierungen nicht möglich sein, gegenüber den Agrariern ihre Kanal⸗ pläne durchzusetzen. Umsomehr müssen wir die Mängel unseres Eisen⸗ bahnsystems zu beseitigen suchen. Gelingt es nicht, die Eisenbahnen zu verbessern, so wüssen wir im Interesse der Industrie und der wachsenden Bepölkerung Kanäle bauen, wenn wir nicht Bankerott machen wollen.
Abg. Freiherr van Stumm (Rp.) begründet seinen gestern bereits mitgetheilten Antrag; wenn in dem Antrage Pachnicke von einer Häufung der Unfälle in der letzten Zeit gesprochen werde, so sei das nicht richtig, denn die Zahl der Unfälle fei herabgegangen und sei immer noch niedriger als in Frankreich und England. Der Reichstag habe gar keine Veranlassung, die Beunruhigung, weiche sich des Publikumtz bemächtigt habe, künstlich ju vermehren. Die Eisenbahnbeamten seien auch schon so nervös geworden, daß man eine Vermehrung der Nerposität verhindern müsse. Bedauerlich ist, fährt der Redner fort, daß Herrn Hammacher heute nicht die ihm sonst eigene Objer⸗· tivität zur Seite, gestanden hat. Wenn er meinte, daß die preußische Staatseisenbahn⸗Berwaltung abgewirthschaftet hat, so ist das eine Uebertreibung und Unrichtigkeit. Daß so und so viele Wagen, die verlangt worden sind, nicht gestellt werden, beweist gar— nichls. Denn zur Zeit des Wagenmangels verlangen schon die Interessenten das Doppelte und Dreisache dessen, was sie überhaupt brauchen. Das große Eisenbabnunglück in Steglitz wäre nicht passiert, wenn das Abgeordnetenhaus die Mittel zun Umbau des dortigen Bahnhofs bewilligt hätte. Ein Widerspruch ist es, wenn auf der einen Seite geklagt wird über die Vermehrung der Unfälle und auf der anderen Seite durch Herabsetzung der Personentarife künstlich eine Vermehrung des Verkehrs angestrebt wird. Gegen die Tarisermãßigungen wehren sich am meisten die einzelnen Interessenten. Im Lande Eisenbahnrath bilden sich da gewöhnlich zwei Parteien: der Osten stimmt gegen den Westen, oder die mittleren Provinzen
gegen den Osten und Westen. Am meisten zeigt sich der Wider—
spruch bei den Staffeltarifen. Die Staffeltarife werden haupt-
sächlich den — Industriezentren zu gute kommen, und das wüäre
wirthschaftlich sehr bedenklich. Es sind also nicht nur fiskalische Snteressen, welche die Tarifermäßigungen hintertreiben. Die Kante können die Eisenbahnen nicht entlasten; denn die Eisenbahn kann keinerlei Einrichtungen treffen, um den Verkehr während der Zeit, in der die Kanäle zugefroren sind, ganz auf sich zu nehinen. Stellt man das nothwendige Persongl während des ganzen Jahres ein, dann ver— bummelt es, denn es hat nichts zu thun. Oder man stellt es nach Bedarf ein, dann bekemmt man nur ungelernte Arbeiter und die Zaht der Unfälle wird sich dann erst recht vermehren. Es ist sehr viel leichter fritisieren als besser machen. Trotzdem bin ich aber dafür, daß der Antrag Pachnicke mit der von mir beantragten Einschränkung angenommen wird.
Abg. Dr. Pachnicke (fr. Vgg.) verzichtet auf die von dem Vor— redner beanstandeten Worte, sodaß sein Antrag nunmehr lautet: a. einer Häufung von Unfällen auf deuischen Eisenbahnen wirksam zu begegnen, b. die Leistungs fähigkeit der Bahnen, dem steigenden Verkehr entsprechend, zu erhöhen.
Abg. Lenzm ann (fr. Volksp.): Ich hätte nichts dagegen einzuwenden gehabt, wenn die auf Wunsch des Freiherrn von Stumm gestrichenen Worte aufrecht erhalten würden; denn der Grund des Antrages ist darin angedeutet; ohne die Häufung der Unfälle wäre der Antrag garnicht gestellt worden. Daß in England und Amerika die Unfälle zahlreicher sind, ist Sache der Engländer und Amerikaner; eg ist dort auch eine viel größere Geschwindigkeit der Eisenbahnzüge üblich als bei uns. Gerade die Gerichts verhandlungen ergeben, daß die Anklagen gegen die Beamten wegen Gefährdung eines ECisenbahnzuges sehr wohl vorbereitet werden, nicht nur von dem Staatsanwalt, sondern auch von den technischen Eisenbahn— beamten, daß trotzdem aber sehr viel Freisprechungen vorkommen, weil die Zeugenvernehmungen die Ursachen wo anders zeigen, nämlich bei der Verwaltung, während immer das Strecken oder Zug, oder Stationspersonal angeklagt wird. Ich kann dabei auf meine eigenen Erfahrungen bei Eisenbahnprozessen hinweisen. Neun Zehntel aller
Unfälle ereignen sich nicht auf der Strecke, sondern auf den Bahn⸗
höfen, und die Hälfte davon ist auf die Mangelhaftigkeit der Babn— höfe zurückzuführen. Die schönen Stationsgebäude können über die mangelhaften Bahnhöfe nicht trösten. Die Kurzsichtigkeit der Eisenbahnpverwaltungen zeigt sich darin, daß sie das Terrain zur
Erweiterung der Bahnhöfe sich meist entgehen lassen und nachher um so höhere Summen dafür anlegen mössen. Es sollten be— sondere Rangiergeleise angelegt und jede Niveaukreuzung ver— mieden werden. Die Sicherheitsporrichtungen auf den Bahnhöfen sind aus Sparsamkeit nicht immer ausreichend. Bezüglich des Bahn— hofes Vohwinkel ist gerichtlich festgestellt, daß die Verbindung der beiden Signale ,‚Ausfahrt“ und Einfahrt“ gefehlt hat. Die Sparsamkeit rächt sich, namentlich auch beim Personal. Ein Theil der Unfälle ist darauf zurück uführen, daß das zu schlecht besoldete Personal mit an—= strengenden Arbeiten zu sehr überhäuft ist. Es ist eine Jagdgesell⸗ schaft überfahren worden, weil der Schrankenwärter die Barrtäre nicht geschlossen hatte. Die Eisenbahnverwaltung hat erklärt, daß der Wärter erst 35 Stunden thätig war, nachdem er 12 Stunden Ruhe gehabt hatte. Der Wärter hatte aber nur einen Tage— lohn von 2,10 M und mußte sich seinen weiteren Unterhalt als Schuhmacher verdienen; er hatte also nicht 12 Stunden geruht, sondern während dieser Zeit gearbeitet. Die Lokomolioführer erhalten ihr Gehalt erst, nachdem sie das Heizer, und Lokomotivfübrerexamen gemacht haben und nachdem sie eine Zeit lang, vier bis fünf Jahre als Lokomotivführer Dienste geleistet haben, aber nur als Heizer bezahlt worden sind. Das Höchstgehalt erreichen die meisten Lokomotivführer überhaupt nicht. Und dabei haben diese Leute 12 — 14 Stunden Dienst. Saͤmmtliche Stationsbeamten sind Abends froh, wenn ipnerhalb 24 Stunden auf ihren St tienen kein Unfall vorgekommen ist. Die Eisenbahnverwaltung reglementiert zu viel, sodaß die Beamten garnicht mehr wissen, was sie alles thun sollen. In den Direktionen der Eisenbahnen sind viel zu viel Juristen, und sie schaden dort viel mehr als anderswo. Kaufleute und praktische Techniker müßten in der Verwaltung sitzen. Ein besonderes Eisenbahnfachstudium sollte man einrichten. Ueber den Wagenmangel klagen die Fabrikanten und auch die Konsumenten mit Recht, und es ist verwunderlich, daß Freiherr von Stumm, der doch mitten im ge— werblichen Leben steht, diese Klagen nicht als berechtigt anerkennt. Der Widerspruch gegen die Kanäle ist unberechtigt. Die Gisenbahnen brauchen die Leistungen derselben im Winter nicht zu ergänzen; denn die vorsichtigen und verständigen Kaufleute und Industriellen werden sich auf den Wasserst!aaßen im Sommer mit Kohlen u. s. w. ver⸗ sorgen und werden sich von vornherein darauf einrichten, daß die Kanäle im Winter gefroren sind. Den Kanälen im Westen und dem Mittelland Kanal werden nothgedrungen die Kanäle im Osten folgen. Der Minister Thielen ist für die gerügten Mißstände nicht verant- wortlich zu machen, sondern vielmehr das preußische Finanz Ministerium.
Abg. Graf zu Lim burg⸗Stirum (d. kons ): Die Verfassung giebt das Recht, über Verkehrssicherheit und Wagenmangel zu sprechen. Ich freue mich eigentlich, daß man die Sachen auch hier zur Dis— kussion gebracht hat, denn ich erkenne an, daß mit der Einführung des Staatshahnsystems die größte öffentliche Diskassion in den Par— lamenten und in den Kommisstonen nützlich ist, weil die Parlamente heute das sind, was früher die Generalversammlungen bei den Privatbahnen waren. Aber die Schäden konnten nicht leicht beseitigt werden, denn die Eisenbahnen hatten damals mächtige Vertreter Der Wagenmangel kann nicht aus den einseitigen Mittheilungen der Interessenten beurtheilt werden, man muß auch die Erkläcungen der Verwaltung hören. Es ist eine Thatsache, daß manche Leute viel mehr Wagen fordern, als sie überhaupt brauchen. Soviel Wagen, um jeden Verkehr bewältigen zu können, kann die Eisenbahnverwaltung garnicht anschaffen. Der Eisenbahn-Minister hat die Betheiligten zusammenberufen, und keiner hat die steigende Welle des Verkehrs voraussehen können. Prinzipiell stehen wir den Kanälen nicht feindlich gegenüber; sie haben für die Landwirth⸗ schaft keinen oder einen sehr geringen Nutzen; sie machen sich nicht selbst bezahlt, sondern können nur à fonds perdu gebaut werden und nützen nur dem Handel und der Industrie. Die Kanäle dürfen nicht Ginbruchsstellen sein zur Schädigung der Landwirthschaft, ehe wir nicht die nöthigen Schutzmittel für die Landwirthschaft haben. Herr Hammacher meinte, die Zusicherungen, die bei der Verstaat. lichung gegeben wären, seien nscht gehalten worden. Gesagt worden ist: wenn die Eisenbahnen eine angemessene Rente geben würden, würden die Mehreinnahmen zur Verbesserung der Eisenbahnen verwendet werden; 6Y½ sind bei den schwankenden Einnahmen der Eisenbahnen keine übermäßige Rente. Die Lokalbahnen hätten die Privatbahngesellschaften nicht gebaut; der Staat hat aber 7000 km derartige Bahnen gebaut. Eine Herabsetzung gewisser Tarife hat bereits stattgefunden; im ubrigen liegt die Unmöglichkeit der Tarifermäßigungen in dem Widerstreit der wirthschaftlichen Interessen. Daß in gewissen Gegenden elwas mehr für die Bahnhöfe und die Geleisanlagen gethan werde, ist eine berechtigte Forderung. Die Angriffe auf den preußischen Finanz Minsster sind durchaus unberechtigt; derselbe hat den Anforderungen der Eisenbahnverwaltung in den letzten Jahren nie widersprochen.
Die preußische Eisenbahnverwaltung ist immer noch die beste, die es
giebt. Die Angriffe von Ibrer Seite (links) entspringen nur der Abneigung gegen die starke, selbstbewußte preußische Regierung. Wenn die Resolution nicht angenommen würde, so würden die Sachen auch so bleiben, wie sie sind; das wesentliche ist, daß die Dinge öffent⸗ lich diskutiert werden, und daß aus der öffentlichen Diekusston bei der Regierung diejenigen Sachen herausgenommen werden, welche von den gemachten Autführungen brauchbar sind.
Abg. Iskrgut (Reformp.) wendet sich gegen die für den Prä— sidenten des Reichs, Eisenbahnamts beantragte Gehaltserhöhung. Für den Nothstand der Landwirthschaft, der Handwerker c. hätten die Re. gierungen nur schöne Worte gehabt; für die höheren Beamten habe man auch Geld. Vas sel geradezu antisozial. Denn Dreiviertel der ge⸗ sammten Berliner Berölkerung habe nicht einmal so viel Einkommen, wie der Präsident Zulage erhalten solle. Den Unterbeamten des Reicht Gisenbahnamts dagegen würden mehr als 000 M von den Gehältern
ejogen. Direkte Ursachen der Eisenbahnunfälle würden sich schwer er⸗
. lassen, wohl aber indirekte; eine Steigerung der Unfälle, bei denen ja der Zufall eine große Rolle spiele, fei in der leßten Zeit eingetreten., Das komme von den schwerfälligen, unverständlichen und ungusführbaren Reglements, die vom grünen Tisch ausgingen; die ZJuristen kämen ohne jede technische Vorbildung in ihre Stellen, und Daraus entstehe eine große Unzufriedenheit unter den ihnen unterstellten Beamten. (Präsident Freiherr von Buol fordert den Redner auf, bei der Sache: Gehalt des Präsidenten“, zu bleiben Die Juristen könnten ja in die Direktionen von Aktiengesellschaften geschickt werden; fie könnten als Landräthe verwendet und schließlich auch in die Kirchen⸗ verwaltung gebracht werden.
Geheimer Ober Regierung? ⸗Rath im Reichs Schgtzamt Lieber stellt fest, daß die Erhöhung des Gehaltes für den Piäsidenten des Reichs⸗Eisenbahnamts eine Folge der Erhöhung der Gehälter der ihm bisher gleichstehenden preußischen Beamten, der Unter⸗Staats— sekretäre, sei. ⸗
Nach kurzen persönlichen Bemerkungen der Abgg. Dr. Hammacher, Graf zu Limburg-Stirum und Frei⸗ herr von Stumm wird nach 6 Uhr die weitere Berathung bis Donnerstag 2 Uhr vertagt. (Außerdem erste Berathung des Gesetzentwurfs über Aenderungen des Postwesens.)
Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.
35. Sitzung vom 1. März 1898.
Die zweite Berathung des Staatshaushalts— Etats für 1898,99 wird beim Etat der direkten Steuern fortgesetzt.
Die Einnahme aus der Einkommensteuer ist mit 133 Millionen Mark veranschlagt, das sind 8 Millionen Mark mehr als im Vorjahre.
Berichterstatter Abg. von Brockhausen berichtet über die ver gleichende Uebersicht der Ergebniss⸗ der Ginkommensteuerveranlagung in den Jahren 1896 97 und 1897198.
Abg. Christophersen (fr. kozs.) bemängelt, daß bei der Ver—⸗ anlagung der Einkommensteuer nicht die Beträge der Amortisatione« renten bei Rentengütern vom Einkommen abgezogen werden, wie es bei den Lebensversicherungsprämien bis zu 600 „ der Fall sei. Dieses Verfahren beruhe auf einer unrichtigen Auslegung des Gesetzes.
Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums, Finanz⸗Minister Dr. von Miquel:
Meine Herren! Die Frage der Amortisationsrente ist schon so oft hier verhandelt worden, sie ist eine reine Frage der Auslegung des Gesetzes, eine reine Rechtsfrage. Rechtlich kann ich überhaupt nicht darauf einwirken, schließlich wird im gewöhnlichen Rechtsmittel verfahren die Sache an das Ober⸗Verwaltungsgericht gelangen, und die Entscheidung des Ober⸗Verwaltungegerichts wird auch für den Finanz⸗Minister gültig sein. Aber ich kann nicht aneikennen, daß die Nichtberücksichtigung einer Amor⸗ tisation, der Nichtabzug einer Rente, soweit sie eine Amortisation enthält, unrichtig sei; im Gegentheil, dies stimmt im allgemeinen mit dem Steuergesetz vollkommen überein. Jede Amortisation ist Schuldentilgung — also eine Vermögensverbesserung; und aus dem Einkommen wird das Vermögen verbessert; denn bekanntlich verbessert
man sein Vermögen, wenn man seine Schulden tilgt. Die Frage
könnte also nur sein, ob, wenn man einmal an eine Revision der Ein— tommensteuer geht, man speziell für Fälle dieser Art eine besondere Aug⸗
nahme statuierte, wie ich ja anerkenne, daß wir eine solche
Ausnahme statuiert haben in den Fällen der Lebensversicherung, wo allerdings der Abzug von 600 „M mit den allgemeinen Grundsätzen dieses Gesetzes auch nicht in Einklang zu bringen ist. Wir haben es damals gethan mit Rücksicht auf die möglichste Förderung der Lebens
versicherungen, aber wir waren uns bewußt, daß es eine Ausnahme
war, die nicht ad consequentias gezogen werden sollte. Ob man nun aber, wenn es sich um solche Renten handelt, wo namentlich die
Betheiligten in der Regel nicht unterscheiden, daß die Rente sich
2.
jusammensetzt aus der Verzinsung einer Schuld und einem
allmählichen Abtragen der Schuld, vielleicht, wenn wir mal
an eine Revision gehen, selbst eine Ausnahme zulassen will, das
wird ein Gegenstand späterer Etwägungen sein. Gegenwärtig innerhalb
unseres Einkommensteuergesetzes glaube ich allerdings, daß die Be— hörden diese Frage richtig behandelt haben, und daß auch das Ober- Verwaltungsgericht, wenn eine solche spezielle Frage an dasselbe heranträte, wahrscheinlich in diesem Sinne entscheiden würde. Jeden⸗ falls bin ich als Finanz. Minister, dem ja die Entscheidung solcher Fragen, die auftauchen bei den Veranlagungen der Einkommensteuer, durch das hohe Haus vollständig entzogen ist, nicht im stande, eine Korrektur zu veranlassen.
Abg. von Arnim (kons.) bedauert, daß auch die Tilgungs—⸗ beiträge für angesammelte Amortisationsfonds bei Landschaften nicht abzugsfähig sind. Diese Fonds bildeten ein der Verfügung des belasteten Grundbesitzers völlig entzogenes Kapital. Bei der Revision des Einkommen⸗ steuergesetzes, welche über kurz oder lang doch eintreten müsse, wünschten seine Freunde, daß diese Beiträge abzugsfähig gemacht würden. Redner befürwortet ferner, daß die Mitglieder der Voreinschätzunge kommission Gebühren erhalten, da die kleinen Landwirthe diese Aufgabe sonst nicht übernehmen könnten. Dadurch werde der Zweck, den die Re— gierung verfolge, die Mitwirkung von Laien bei der Steuerperanlagung besser erreicht werden können.
Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums, Finanz⸗Minister Dr. von Miquel:
Meine Herren! Auch die Frage wegen Behandlung der Amor“ tisationsfonds bei landwirthschaftlichen Darlehen ist hier so oft be⸗ handelt, daß ich darauf nicht näher eingehen will, un so mehr, als Herr von Arnim sich ja selbst nicht beklagt über eine falsche Anwen⸗ dung des Gesetzes nach Maßgabe der Entscheidung des Ober⸗Ver⸗ waltungsgerichts, sondern nur den Wunsch äußert, bei einer Revision diesen Punkt besonders ins Auge zu fassen. Das wird zweifellos geschehen. Man wird in dieser Beziehung bei den vielen Aeußerungen, die alle Jahre im Landtage gefallen sind, die Frage bei einer Revision aufs neue eingehend erwägen; mehr kann ich aber nicht zusagen. Ich will nur bemerken, daß allerdings möglicherweise in einzelnen Fällen dieser Amortisationsfonds für Dritte haftet; aber daß in dem Augenblick, wo eine solche Verhaftung reell wird, der Amortisations⸗ fonds sich verkleinerte, natürlich es selbstverständlich war, daß sich in demselben Maße die Steuer verringern würde, daß also eine bloße Gefahr, daß ein Vermögen für Dritte in Anspruch ge⸗ nommen werden kann, allein nicht dahin führen könne, die Ansamm⸗ lung eines solchen Vermögens nicht als Einkommen zu betrachten. Aber, wie gesagt, ich will auf diese Frage nicht tiefer eingehen. Wir werden ja namentlich auch nach der Seite der Konsequenzen, die dies hat beispielsweise bei Sparkasseneinlagen, diese Frage eingehend prüfen müssen, sowie wir an eine Revision des Einkommensteuer⸗ gesetzes herantreten.
Was die beiden anderen Punkte betrifft, so ist Beschwerde einmal erhoben wegen der Gebührenfestsetzungen. In dieser Beziehung irrt sich Herr von Arnim. Die Ober -Rechnungskammer, die die ganze Frage der Gebühren angeregt hat, war der Meinung, daß in vielen Fällen derartige Entschädigungen für die Mitwirkung in den Veranlagungs« und Berufungekommissionen ertheilt seien, wo das nicht berechtigt sei. Schließlich haben wir uns mit der Ober- Rechnungskammer dahin geeinigt, daß ein Unterschied zwischen den Grundbesitzern und den anderen Berufsklassen überhaupt nicht mehr sta4ttfindet. Mehr kaan man auch nicht ver— langen. Die Bescheinigung aber, die dem Herrn Vorredner von Arnim Bedenken erregt hat, ist keine Bescheinigung, die der Grundbesitzer selbst liefern soll, sondern bloß eine Bescheinigung der Behörde für die Ober⸗Rechnungskammer, aber die Bescheinigung soll nicht bloß in dem Falle, wo es sich um einen Grundbesitzer handelt, sondern überhaupt gegeben werden bei Industriellen, Gewerbetreibenden u. s. w. ebenso. Das ist bloß eine formale Bestimmung. um der Ober ⸗Rechnungök kammer das Material zu etwaigem Monitum zu beschaffen. Ich glaube, damit ist die Beschwerde wohl erledigt.
Was nun die Zahl der Mitglieder der Berufungekommission anbetrifft, so drängen wir nicht auf eine allzu große Zahl. Im Gegentheil, wir sind der Meinung, daß man unter keinen Umständen in die Berufungskommission mehr Mitglieder nehmen soll, als zur Erledigung der Geschäfte unbedingt nothwendig ist. Es kann sein, daß hier und da noch die Zahl der Mitglieder zu groß ist; das will ich durchaus nicht bestreiten, und wir werden besonders darauf achten. Wir haben in mehreren Fällen selbst vom Ministerium auß die Behörden angewiesen, die Mitgliederzahl nicht zu zahlreich festzusetzen, und ich werde gern der Anregung folgen, die Zusammensetzung noch einmal generell zu revidieren; aber so weit ju gehen, daß etwa bloß 4 Mitglieder die Kommission bilden, scheint mir doch bedenklich. Damit würde doch ein großer Vortheil verloren gehen in Bezug auf die Sachkenntniß des Laienelements, in Betreff der wirthschaftlichen und sozialen Verhältnisse sowie in Betreff der Personen. Das Wesentliche der Mitwirkung der Laienschaft würde er⸗ heblich vermindert werden. Man wird in dieser Bezlehung sich an einen vorsichtigen Mittelweg halten müssen.
Abg. Dr. Lotz (b. k. F.) führt aus, daß der ganze Apparat der Steuerperanlagung zu kompliziert sei und daß sämmtliche Mitwirkende: Veranlagungskommission, Berufungskommission ꝛc, zu sehr über⸗ lastet selen, zumal die Veranlagung möglichst schnell erfolgen solle. Infolge der Ueberlastung zögen sich die Entscheidungen aber so lange hin, daß der Steuerzabler bei seiner nächsten Deklaration noch nicht die Entscheidung der Revisionsinstanz habe, daher wieder falsch deklariere und wieder die Beanstandung erfahre. Herr von Eygern habe neulich eine dreijährige Veranlagung periode vorgeschlagen. Eine Ver—⸗ längerung der Veranlagungsperiode scheine auch ihm das einzige Mittel zur Abhilfe zu sein, indessen empfehle er lieber eine zwei— jährige Periode. Hoffentlich werde bei der Revision des Gesetzes dieser Vorschlag auch in Erwägung gezogen werden.
Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums, Finanz⸗Minister Dr. von Miquel:
Meine Herren! Der Herr Vorredner hat in der Betrachtung, die er an das Gesetz geknüpft hat, sich sehr wohlwollend, wie ich gern
anerkenne, ausgedrückt und die thatsächlichen Verhältnisse, wie er sie schildert, sind im wesentlichen richtig. Der Vorredner macht nun unter Verwerfung einer dreijährigen, den Vorschlag der Ein⸗
wirklich von der taktvollen Einsicht des Beamten ab. Und zu weit darf man darin auch nicht gehen; denn sonst kommen wir doch wieder zu einer gewissen laxen Behandlung und folglich zu einer Ungleich= mäßigkeit der Veranlagung. Da die richtige Grenze zu halten, ist wirklich schwierig. Dazu gehört auch eine längere Praxis des Be—⸗ amten. Es kommt hin u, daß die Landräthe ja vielfach nicht die genügende Zeit haben, sich um alle Details des Veranlagunggswerkes eingehend ju bekümmern, die Ober⸗Bürgermeister in den Städten vielleicht noch weniger, und daß sie daher genöthigt sind, namentlich wo sie eine Hilfe eines Assessors nicht besitzen, wesentlich auf die Subalternbeamten zu rekurrieren.
Aber noch weiter, meine Herren! In vielen Fällen gehen Be⸗ anstandungen, die vielleicht nicht unbedingt nothwendig waren, gerade von den Laten aus; es ist auch richtig, daß sie in manchen Fällen die Ver⸗ hältnisse genauer kennen als der Veranlagungskommissar selbst. Und endlich sind namentlich in den kleineren Gemeinden die Einschätzungs⸗ kommissionen sehr geneigt, darauf sehr stark zu achten, daß die Ge⸗ meinde nicht zu kurz kommt. (Sehr richtig) Und auf der Basis dieser Voreinschätzungskommissions⸗Veranlagung steht ja doch in vielen Beziehungen die Veranlagungskommission. Meine Herren, auch in dieser Beziehung muß man aber mit Maß urtheilen. Die Gemeinden haben das Interesse, zumal wo wenig reiche Leute in einer Gemeinde sind, wo der größte Theil der Gemeinde aus mäßig bemittelten Leuten besteht, sehr genau darauf zu achten, daß sie die breite Basis, die ihnen völlig unentbehrlich ist wegen ihrer Gemeindelasten, behalten. Der Staat braucht darauf nicht ein so großes Gewicht zu legen, wie wir ja in Preußen alle Einkommen unter g09 M freigelassen haben — weiter gehend als alle die übrigen Staaten. Da gleicht sich das aus durch das Vorhandensein großer, reicher, steuerkräftiger Zensiten. Für die einzelnen Gemeinden ist es etwas An⸗— deres. Da kann ich es den Gemeinde⸗Vorstehern garnicht verdenken, daß sie in dieser Beziehung so verfahren, vielleicht auch eine gewisse Tendenz haben, möglichst reichlich zuzugreifen. Alle diese Dinge wirken da zusammen. Meine Herren, wir können kein vollkommenes Gesetz machen, wenn man die Veranlagung der Staats⸗ lasten nach der Leistungsfähigkeit einmal will — und das ist doch die einzig gerechtfertigte —, so wird es nie gelingen, auch wenn wir später unsere Erfahrungen bei einer Novelle ausgiebig be⸗ nutzen, ju einem ganz volllommenen Zustand zu kommen. Keine Stener ist vollkommen. Wenn man ein Werk über Steuein liest, von welcher wohlwollenden Beurtheilung auch der Verfasser ausgeht, überall werden Bedenken gegen jede Steuer erhoben werden können. Ich bleibe aber immer dabei, daß doch gegen die Grundsätze unseres jetzigen Steuersystems die aller⸗ wenigsten Bedenken zu erheben sind.
Abg. Meyer⸗Riemsloh (Zentr.) macht auf die Auslegung der Bestimmung über die Abzugsfähigkeit der Lebensversicherungsprämien bis zum Betrage von 600 4 aufmerksam und bemerkt, es komme vor, daß L bensversicherungsgesellschaften die Prämienzahlung stundeten. Wenn dann bei der Nachzahlung die Prämien 600 M üÜberstiegen, würden sie nicht vom Einkommen abgezogen. Er bitte, darin die Aenderung vorzunehmen, daß dann nur der 600 M übersteigende Betrag nicht abgezogen werde.
ö Dr. von Korn (kons) beschwert sich darüber, daß die von kleinen Landwirthen in Schlesien auf Veranlassung der Winterschulen eingeführte Buchführung von den Veranlagungsy und Berufung kommissionen nicht anerkannt werde.
führung einer zweijährigen Veranlagung. Er meinte, et würde der größte Theil der Veranlagungskommissare und der
Präsidenten der Berufungskommissionen sich auf Anfrage dafür
enklären. Er wird sich vielleicht wundern, wenn ich mittheile, daß wir solche Anfragen schon früher an die Präsidenten der Berufungs⸗ kommissionen gerichtet haben, daß diese aber meistens die größten Bedenken geäußert haben. Ich möchte gegenwärtig darauf nicht näher eingehen. Bei einer etwaigen Revision würde die Frage allerdings Gegenstand eingehender Erörterung sein, daß gegenüber der Gerechtig⸗ keit der Veranlagung, der Gleichmäßigkeit der Steuer es unzulässig sein würde, die Einkommensteuer nur alle drei Jahre zu veranlagen; der Ansicht bin ich auch.
Eine Einführung gar von 5 jährigen Veranlagungsperioden scheint ganz unmöglich. Das sind Forderungen von Leuten, die die Verhältnisse nicht genügend übersehen, oder von Interessenten. Nun möchte ich aber doch darauf hinwelsen, daß die Zahl der Berufungen, somit die Geschäfte der Berufungskommissionen und die Zahl der Beschwerden doch in einer sehr starken Abnahme begriffen sind. — Beispielsweise hatten wir 12,8 . Berufungen im Jahre 1892,93 und heute 70/0, — doch eine sehr starke Abnahme.
Wag die Beschwerden betrifft, so betrugen sie im Jahre 1892/93 etwa 14 000, im laufenden Jahre 8600. Also auch hier haben wir jetzt eine starke Abnahme. Man muß immer bedenken, daß es doch ein sehr schweres Werk war, eine so ganz neue Gesetzgebung bei allen Behörden und im ganzen Lande durchzuführen, daß es naturgemäß ist, daß Behörden und Zensiten Erfahrungen sammeln mußten. Wir müssen die Hoffnung festhalten, daß diese Schwierigkeiten, über welche der Herr Vorredner sich geäußert hat, allmählich sich weiter verringern werden, wie sie thatsächlich schon in einer starken Abnahme begriffen sind. Es ist gewiß im höchsten Grade bedauerlich, daß namentlich in den ersten Jahren das Ober⸗Verwaltungsgericht mit der Er⸗ ledigung der Beschwerden so weit zurückblieb, und daß da— durch gerade bewirkt wurde, daß Beanstandungen fortliefen, während die Entscheidung beim Ober⸗Nerwaltungsgericht vielleicht zwel, drei Jahre rückständig war. Aber auch in dieser Beziehung sind wir sehr viel weiter gekommen; das Ober ⸗Verwaltungsgericht wird doch immer mehr kurrent, und wir werden sehr bald nahe daran sein, daß das Ober ⸗Verwaltungsgericht wirklich ganz kurrent ist Wir haben sowohl das Personal vermehrt, als auch sind, wie gesagt, die Beschwerden geringer geworden; das Ober- Verwaltungsgericht hat selbst bei sich im Verfahren große Er⸗ leichterungen eintreten lassen durch die Bildung der Kammern, wo dann in der Regel durch drei Personen die Entscheidung getroffen wird. In allen diesen Beziehungen sind wir im Fortschritt begriffen.
Meine Herren, ich habe ja schon oft ausgesprochen, daß ich auch nicht jede einzelne Handlung eines Veranlagungskommissars billige, daß ich persönlich in manchen Fällen es anders gemacht haben würde. Aber, meine Herren, wir sind Alle Menschen, und es wird nie gelingen, in dieser Beziehung eine vollkommene Handhabung in jedem einzelnen Fall zu ermöglichen. Derartige hier und da unnöthige Beanstandungen oder Mißgriffe anderer Art — ganz werden wir sie nicht los werden.
Es hängt auch hier der Satz: minima non eurat praetor —
Die Einnahme aus der Ergänzungssteuer ist zu ZI Millionen Mark veranschlagt, das find 400 000 6 mehr als im Vorjahre
Abg. Humann (Zentr.) führt Beschwerde darüber, daß bei der Berechnung des gemeinen Werths von landwirthschaftlichen Grund⸗ stücken nicht der Ertragswerth, sondern der Verkaufswerth zu Grunde gelegt werde.
Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums, Finanz⸗Minister Dr. von Miquel:
Meine Herren! Die Einschätzung des ländlichen Grund und Bodens zur Ergänzungssteuer war von vornherein wohl die aller schwerste Aufgabe, die seit dem Erlaß des Gesetzes zu lösen war, und ich darf sagen, daß ich immer den Eindruck gehabt habe, daß diese schwerste Aufgabe am allerbesten und zutreffendsten gelöst ist. Wie ist dabei verfahren? Wir haben, um Material zur Benutzung für die Ergänzungs« und Einschätzungskommissionen zu gewinnen, ein Doppeltes gethan. Wir haben den Verkaufswerth der betreffenden Besitzungen festzustellen gesucht und geschätzt, daneben aber die Ertragswerthe ermittelt durch Kapitalisierung der Pachtwerthe, welche wir für eine Strecke von mehr als 1060 Quadratmeilen er⸗ mittelt haben; dann haben wir diese beiden Werthselemente verglichen und haben uns immer gehütet, die Verkaufswerthe höher zu stellen als die kapitalisierten Ertragswerthe. Das ist eine Riesenarbeit ge⸗ wesen, und ich habe schon früher Gelegenheit genommen, meine volle Anerkennung den Behörden auszusprechen, welche diese Riesenarbeit bewältigt haben.
Was hat sich nun aber ergeben? Es hat sich ergeben, daß der Ertrag des eingeschätzten gemeinen Werths des Grund und Bodens durchschnittlich 3,8 é / beträgt. Wenn man früher durchschnittlich in der Monarchie beim Grundbesitz kaum eine Verzinsung von 3 9υ an⸗ nahm, so hat sich die Gesammtschätzung nach dieser Richtung hin also für den Grundbesitz als sehr günstig herausgestellt.
Meine Herren, man kann das auch aus folgender Rechnung ersehen. Wenn man das Einkommen, welches aus ländlichem Grund⸗ besitz deklariert wird und welches gegenwärtig 336 Millionen Mark beträgt, vergleicht mit dem zur Ergänzungssteuer eingesetzlen Werth des ländlichen Grundbesitzes selbst von 9846 Millionen Mark, so ergiebt sich eine Verzinsung von 3,4 . Hieraus geht — ich weiß nicht, ob ich mich deutlich genug ausgedrückt habe, sonst muß ich die Herren bitten, das im stenographischen Bericht nachzusehen — klar hervor, daß alle Elemente, aus welchen die Richtigkeit der Einschätzung des gemeinen Werthes gerade des ländlichen Besitzes zu ersehen ist, zu der Annahme führen, daß im Großen und Ganzen die Einschätzung durchaus zutreffend ist; natürlich können im einzelnen mal Fehlgriffe stattgefunden haben.
Meine Herren, Sie sehen also, wir haben keineswegs lediglich nach dem Verkaufswerth bei der ursprünglichen Einschätzung abgeschätzt. sondern wir haben immer den sogenannten Verkaufswerth am Ertragt⸗ werth kritisiert, und das Resultat ist, allein betrachtet nach dem kapitalisierten Ertragsverth, für den Grundbesitz günstig.
Nun ist das Ober ⸗Verwaltungsgericht in der Interpretation der einzelnen Bestimmungen dieses Gesetzes etwas weiter gegangen und hat im wesentlichen dahin konkludiert, daß der Verkaufswerth, der dauernde Werth, wie er sich aus Verkäufen ergiebt, der im Gesetz
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