wie sie seit dem Jahre 1879 beftebt, andern, sondern aut;
dem Rechtszustande gegenüber Aenderungen herbeiführen, wie er in einem großen Theil Deutschlands bereits vor Erlaß der Reichs⸗« prozeßgesetze bestanden hat, und ich glaube, das hohe Haus hat doch Veranlassung, sich die Frage vorzulegen, ob in der That dazu ein dringender Anlaß geboten ist. Meine Herren, ich muß dies verneinen; ich muß dies namentlich in Rücksicht darauf verneinen, daß die Formel des Eides, wie sie durch unsere Prozeßgesetze festgestellt ist, wonach diese Formel endet mit den Worten: so wahr mir Gott helfe!“, der⸗ jenigen Eidesform entspricht, welche in allen Zeiten der christlichen Aera in allen Konfessionen unter allen Verhältnissen immer als die maßgebende und entscheidende angesehen worden ist, und man kann in Wahrheit sagen, daß dasjenige, waz unser jetziges Prozeßrecht vorschreibt, vollständig in Uebereinstimmung steht nicht nur mit dem gemeinen Recht, sondern auch mit dem kirchlichen Rechte der ältesten Zeiten bis in die Gegenwart hinein, in Uebereinstimmung steht mit der Auffassung sämmtlicher christlicher Glaubensgemeinschaften. Denn das ist in der christlichen Kirche stets anerkannt worden, namentlich von den Kirchen⸗ vätern wiederholt und nachdrücklich betont worden, daß für die Gültigkeit des christlichen Eides es lediglich darauf ankomme, daß der Eid die Worte enthalte: so wahr mir Gott helfe!“, daß alle weiteren Zusätze unerheblich, subjektiver Natur sind, daß ein Werth auf sie vom Standpunkt der Gültigkeit des Eides nicht zu legen ist. Dieser Standpunkt, meine Herren, ist in den kanonischen Schriften der katholischen Kirche hervorgehoben und unbestritten geblieben bis heute; in der evangelischen Kirche ist er mit besonderem Nachdruck von Luther betont worden. Es ist zweifellose Thatsache: der Auf⸗ fassung aller christlichen Konfesstonen entsprach immer und entspricht noch heute die Eidesformel, wie unsere Prozeßgesetze sie enthalten. Nun, meine Herren, frage ich: was kann denn eine Veraulassung geben, nach dieser Richtung hin in unserer Gesetzgebung eine Aende⸗ rung eintreten zu lassen? Von seiten der kirchlichen Behörden ist niemals nach dieser Richtung hin eine Anregung gegeben worden. In der Praxis der Gerichte sind — ich wiederhole das — niemals Schwierigkeiten nach dieser Richtung hervorgetreten. Die Praxis ge⸗ stattet ja auch dem einzelnen, wenn er den Wunsch hat, einen Zusatz zu machen; aber eine solche Praxis, die ein gewisses Ermessen des Richters bestehen läßt, ist doch etwas ganz Anderes, als eine gesetzliche Ermächtigung, die der einzelnen Partei einen Anspruch verleiht, einen ihrem Glaubensbekenntnisse nach ihrer Meinung oder der Meinung des Richters entsprechenden Zusatz an die Eidesformel anzuhängen. —
Da möchte ich den Herrn Antragsteller doch bitten, mir zu sagen,
worin denn die dem Glaubensbekenntniß des einzelnen entsprechende Formel bestehen darf, wie denn darüber entschieden werden soll, ob der Zusatz, welchen der Schwurpflichtige im einzelnen Fall machen will, in der That auch seinem Glaubensbekenntniß entspricht, ob dies denn ganz dem subjektiven Ermessen des einzelnen Schwurpflichtigen überlassen bleiben soll und ob der Richter, der den Eid abzunehmen hat, sich willenlos demjenigen fügen soll, was der Schwurpflichtige der gesetzlichen Eidesformel hinzugefügt zu sehen wünscht. Wäre letzteres der Fall, so würde hier in den Akt der Eidesleistung ein subjektives Ermessen des einzelnen Schwurpflichtigen hineingetragen werden, das unter Umständen aus unlauteren, ja aus böswilligen Motiven in recht unangenehmer Weise mißbraucht werden könnte — nicht zum Vortheil der Heiligkeit des Eides. Ich brauche das nicht weiter auszuführen, es liegt das auf der Hand.
Wollen Sie, meine Herren, diese Gefahr vermeiden, dann bleibt nur zweierlei übrig. Entweder müssen Sie die Zusätze, die der Richter zu dulden verpflichtet ist, im Gesetze ausdrücklich feststellen, oder aber, wenn Sie das nicht wollen, müssen Sie dem Richter die Ermächtigung einräumen, in jedem einzelnen Fall zu prüfen, ob ein solcher Zusatz auch dem Glaubensbekenntniß des Schwurpflichtigen wirklich entspricht.
Meine Herren, daß der erstere Weg ausgeschlossen ist, brauche ich Ihnen nicht darzulegen; daß Sie aber bei dem zweiten Wege, wenn Sie dem Richter eine solche Prüfung zuweisen — und nach meiner Meinung wird sie durch die Faffung des Antrages ohne weiteres dem Richter zugewiesen; denn es ist unmöͤg⸗ lich, daß das Gericht sich den Zusatz ganz beliebiger Formeln, von denen der Schwurpflichtige erklärt, daß sie nach seiner Auf⸗ fassung seinem Glaubensbekenntnisse entsprächen, gefallen lassen soll —, daß Sie damit nur unerwünschten Auseinandersetzungen jwischen Richter und Zeugen den Weg öffnen, liegt auf der Hand. Es bleibt aber nichts Anderes übrig — und ich kann die Bestimmung, die von dem Herrn Antragsteller vorgeschlagen ist, nicht anders auffassen — als daß in jedem einzelnen Falle der Richter zu prüfen haben würde, ob ein bestimmter, von dem Eidespflichtigen gewünschter Zusatz in der That gestattet werden kann. Meine Herren, welche Gefahr störender, unangenehmer Mißhelligkeiten zwischen Richter und Schwurpflichtigen tragen Sie damit in den Akt der Eidesleistung hinein, die wir durch dieses Gesetz gerade mit einer höheren Würde und Heiligkeit umgeben wollen! (Sehr richtig) Wenn Sie auf solche Weise zwischen dem Schwurpflichtigen und dem Richter die Möglich⸗ keit leidenschaftlicher Auseinandersetzungen schaffen und unter Umständen für den Richter die Pflicht begründen, solche Auseinandersetzungen herbeizuführen, so wird nach meiner Meinung weder der äußere Akt der Eidesleistung eine besondere Weihe erhalten, noch wird für das Gefühl der Parteien die Heilighaltung des Eides gesteigert, im Gegentheil, sie wird abgeschwächt werden, und Sie werden durch diesen Zusatz dasjenige fördern, dem die Vorlage gerade entgegenwirken will, Sie werden den Akt der Eidesleistung herunterziehen und nicht heben.
Meine Herren, um sich das klar zu machen, muß man sich ver gegenwärtigen, was denn in Deutschland an Zusätzen dieser Art
bisher schon üblich gewesen ist. Ich wiederhole: Zusätze kirchlichen Ursprungs haben wir überhaupt nicht. Keine Kirche, weder die katholische noch die evangelische, hat sich jemals dazu verstanden, be⸗ stimmte Zusätze zu formulieren, die nach ihrer Ansicht dem Schwur pflichtigen empfohlen sein sollen. Zusätze kirchlichen Ursprungs haben wir nicht. Alle Zusätze, die unsere Praxis kennt, beruhen auf der Initiative der weltlichen Gesetzgebung, vornehmlich des deutschen Patrikularrechts. Damit erklärt es sich, wenn diese Zusätze in den verschiedenen Landestheilen und Ländern Deutschlands so ver— schleden sich gestaltet haben. Es wäre ein Irrthum, wenn Sie an nehmen wollten, daß zwischen den katholischen und evangelischen Formeln ein Unterschied bestände; in einem großen Theile Deutschlands decken sie sich, in manchen Theilen Deutschlands ist dasjenige katholische Formel, was in anderen Gegenden evangelische Formel ist; in wieder anderen Gegenden Deutschlands findet sich für die Konfessionen an⸗ aähernd dieselbe Formel. In Preußen beruhten die gebräuchlichen
Formeln ebenfalls auf der weltlichen Gesetzgebung, nicht auf Grund irgend einer kirchlichen Initiative, und jwar bis zu den dentschen Prozeßgesetzen auf den Bestimmungen der Gerichtsordnung. Danach hatten die Evangelischen den Zusatz zu machen: So wahr mir Gott helfe durch Jesum Christum zur Seligkeit. Dagegen hatten die Katholiken den Zusatz zu machen: So wahr mir Gott helfe, die Jungfrau und Mutter Gottes Maria sammt allen lieben Heiligen“. Dieser Zusatz für die Katholiken wurde im Jahre 1835 dahin ge⸗ ändert: So wahr mir Gott helfe und sein helliges Evangelium “Y. Diese Regelung bestand aber nur im Osten Preußens. In den Rhein⸗ landen bestand schon damals auf Grund der landesgesetzlichen Vorschriften die Regel, daß beide Konfessionen gleichmäßig den Schwur leisteten mit der Formel: So wahr mir Gott helfe und sein heiliges Evan⸗ gelium ;. In Mecklenburg und Braunschweig bestand wieder eine andere Form: „So wahr mir Gott helfe und sein heiliges Wort“. Dieselbe Form fand sich auch in einigen Theilen Süddeutschlands. In anderen Theilen Süddeutschlands sagt man nicht „und sein heiliges Wort“ sondern „durch sein heiliges Wort“. In Bayern hat man in früheren Jahren wieder eine andere Formel gebraucht: „So wahr mir Gott helfe und seine Heiligen“, in Sachsen hat man ebenfalls für beide Konfessionen, bis zum Erlaß der Reichsgesetze schwören müssen „durch Jesum Christum und sein heiliges Wort“, also eine aus andern Formeln gemischte Formel.
Meine Herren, wenn Sie sich diese Anzahl, man kann sagen Un⸗ zahl von verschiedenen Formen zulässiger Zusätze zum christ⸗ lichen Eide vergegenwärtigen, wenn Sie jedem gestatten wollen, diese Formen nach seiner Wahl auch in be⸗ liebiger Kombination zur Anwendung zu bringen, dann werden Sie den Richter in Verlegenheit setzen und den Akt der Eidesleistung erschweren nicht zum Vortheil der Interessen, die wir hier verfolgen, nicht mit der Wirkung, daß die Heiligkeit des Eides gesteigert werde. Wenn wir aber dies Ziel im Auge behalten wollen, dann kann ich Sie nur dringend bitten: lassen Sie es bei dem bestehenden Zustand, der allen Rücksichten gerecht wird, und lehnen Sie den Antrag des Herrn Dr. Rintelen ab. (Bravo!)
Abg. von Salisch: Durch die Ablehnung des Antrages Rintelen könnte der bisherige Rechtsstand geändert werden; deshalb werde ich für den Antrag stimmen.
Staatssekretär des Reichs⸗Justizamts Dr. Nieberding:
Der Herr Abg. von Salisch hat der Meinung Ausdruck gegeben, daß, wenn heute der Antrag Rintelen abgelehnt werden sollte, ein neuer Boden geschaffen würde, von dem aus man zweifelhaft darüber sein könnte, ob die bisherige Praxis noch weiter aufrecht erhalten werden könne, wonach dem Richter gestattet ist, Zusätze der fraglichen Art zuzulassen. Demgegenüber möchte ich aber doch konstatieren, daß, wenn der Antrag Rintelen abgelehnt wird, dadurch in der Rechtslage durchaus nichts geändert wird, daß also die bisherige Praxis unbeanstandet in Zukunft beibehalten werden kann. Ich hebe das ausdrücklich hervor, um das Bedenken des Herrn von Salisch zu beseitigen. Aus diesem Umstande kann in der That ein Grund gegen die Ablehnung des Antrages Rintelen unmöglich entnommen werden.
Dann nahm Herr von Salisch in Aussicht, eine Anzahl bestimmter Formeln durch Gesetz festzulegen, welche den Schwurpflichtigen als Zusatz zu der gesetzlichen Eidesformel gestattet sein sollen. Ich kann im voraus sagen, daß dieser Versuch nicht gelingen wird — deshalb nicht, weil darin geradezu eine Beschrän—⸗ kung des Gewissens einzelner Schwupflichtigen liegen kann. Denken Sie den Fall, daß ein Schwunpflichtiger nach der Sitte seiner Heimath gewohnt ist, eine bestimmte Formel zu ge⸗ brauchen, die nun, wenn es gelingen sollte, das Gesetz nach dem Wunsch des Herrn von Salisch zu ergänzen, in das Gesetz nicht Auf⸗ nahme gefunden hat; dann würde der betreffende Schwurpflichtige nicht in der Lage sein, das zuzusetzen, was seinem Gewissen entspricht, sondern wäre genöthigt, entweder ganz von einem Zusatz abzusehen, oder einen seinem Gewissen nicht Genüge leistenden Zusatz zu machen. Meine Herren, greifen Sie nicht durch Gesetz in das Bereich des Gewissens ein! Das wäre ein verfehlter, ganz erfolgloser Versuch; Sie würden auf diesem Wege nur dazu beitragen, die Heiligkeit des Eides zu er⸗ schüttern. Gerade weil dieser Weg unmöglich ist, liegt für Herrn von Salisch auch durchaus kein Grund vor gegenwärtig, durch Annahme des Antrags Rintelen sich einen Boden für einen weiteren Versuch zu schaffen.
Ich kann nur empfehlen, der Anregung des Herrn von Salisch keine Folge zu geben, vielmehr es einfach, unter Ablehnung des An— trags Rintelen, bei den Kommissionsbeschlüssen zu belassen. (Bravoh
zh 417 Beckh (fr. Voöolksp.) erklärt sich gegen den Antrag Rintelen, währen
Abg. Graf von Bernstorsf. (Ry.) und nochmals der Antrag⸗ steller Abg. Dr. Rintelen denselben dringend empfehlen, letzterer' namentlich mit dem Hinweis darauf, daß die Ablehnung des Antrags den bestehenden Rechtszustand ändern würde.
Staatssekretär des Reichs⸗Justizamts Dr. Nieberding:
Meine Herren! Ich muß doch nochmals, um keine Irrungen und Mißverständnisse eintreten zu lassen, der Behauptung entschieden ent⸗ gegentreten, die von Herrn von Salisch aufgestellt und von Herrn Dr. Rintelen jetzt aufgenommen worden ist, als wenn in dem Fall, daß der Antrag Rintelen abgelehnt wird, in der Rechtslage für die Gerichte und für die Schwunpflichtigen eine Aenderung einträte. Herr Dr. Rintelen und Herr von Salisch mögen dieser Ansicht sein, ich lasse das dahingestellt, ich will mit ihnen nicht debattieren; aber ich halte mich für ermächtigt, namens der verbündeten Regierungen zu erklären, daß nach deren Auffassung im Falle der Ablehnung dieses Antrags keinerlei Aenderung in der Rechtslage eintreten wird, daß demgemäß die Gerichte nach wie vor in der Lage sein werden, gerade so zu verfahren, wie sie bisher gethan haben, also auch in Zukunft den Zusatz, den ein Schwurpflichtiger machen will, zu gestatten. In diesem Punkte wird in der That nichts geändert. Ich muß der wiederholten bestimmten Behauptung des Herrn Abg. Dr. Rintelen gegenüber das ausdrücklich konstatieren.
Wenn mir dann der Herr Abg. Dr. Rintelen den Vorwurf ge⸗ macht hat, daß ich meine Bedenken bei der zweiten Berathung der Militär⸗Strafprozeßordnung hätte vorbringen müssen, so habe ich darauf zu erwidern, daß ich dazu keine Veranlassung und auch keine Legitimation gehabt habe. Bei der Militär ⸗Strafprozeßordnung kommen Interessen zur Erwägung, die zu erwägen nicht meines Amtes ist, die auf dem Gebiete der Militärjustizverwaltung liegen, und da muß ich dem Herrn Abg. Dr. Spahn Recht geben: es ist vielleicht nicht erwünscht, es ift aber zulässig und auch erklärlich, wenn aus gewissen Rücksichten
in der Militär Strafprozeßordnung ausdrücklich die Ermãcht igun
einem solchen Zusatz gegeben wird, während eine Ermächtigung auch n licher Art in der bürgerlichen Gesetzgebung vermieden wird. Ich kann mir dag sehr wohl erklären und kann es namentlich damit motivieren, daß der Militärverwaltung schon der Fahneneid besteht, der überall ö.
einer bestimmten Zusatzformel versehen ist, auf den eine gewisse n,
sicht natürlich genommen werden muß. Eine nothwendige Konsequen im Falle, daß der Antrag Rintelen fällt, die Militẽr. Strafproneßordan zu ändern, besteht nicht. ö
Dann hat der Herr Abg. Dr. Rintelen — das muß ich auch noch erwähnen, um kein Mißverständniß aufkommen zu lassen unter Bezugnahme auf ein Erkenntniß des Reichsgerichts behauptet daß, wenn der Antrag angenommen würde, den Richtern, die den Ed abzunehmen haben, nicht das Recht zustehen würde, eine Prüfun betreff der Zulässigkeit der von dem Schwurpflichtigen gewünschten Zusatzformel eintreten zu lassen. Meine Herren, ich nehme formel
für die Richter die Berechtigung zu einer solchen Prüfung in Anspruch
und ich muß das thun schon mit Rücksicht auf die Fassung, die der Herr Abgeordnete seinem Antrag gegeben Der Antrag lautet dahin,
daß die Ermächtigung für den Schwurpflichtigen bestehen soll, eine;
seinem Glaubensbekenntnisse entsprechenden Zusatz zu machen. Da Schwurpflichtige ist also nicht berechtigt, einen Zusatz zu machen, der seinem Glaubensbekenntniß nicht entspricht. Der Richter erfüllt nur seine richterliche Pflicht, wenn er prüft, ob der Zusatz, den der Einzelne macht, auch in der That dem Glaubensbekenntniß entspricht, und gerade bei der Erfüllung dieser Pflicht können sich die Unbequemlichkeiten und Unzuträglich, keiten ergeben, die aus der Vielgestaltigkeit der früher üblich ge wesenen Formeln unvermeidlich hervorgehen. Aber, meine Herren, ich bin auch der Meinung, das Reichsgericht hat so etwas garnicht ausgesprochen und auch garnicht aussprechen können. Wäre es der Fall — in welche Lage käme dann der Richter, dann müßte er sich jeden frivolen Zusatz der Schwurpflichtigen gefallen lassen und das würde geradezu zu der Entheiligung des Eides führen. nehme ich, wenn der Antrag angenommen wird, das Recht für den Richter in Anspruch, daß er prüfen kann, ob der Zusatz, den der Schwmpflichtige machen will, seinem Glaubensbekenntniß entspiicht Die Konsequenzen, meine Herren, die sonst daraus entstehen, werden Sie zu tragen haben, falls Sie den Antrag annehmen.
Nachdem noch der Abg. Stadthagen (Soz. e den 5 heasch⸗ ,, . 36 e r 9 rathung vertagt.
Schluß 5 Uhr. Nächste Sitzung Donnerstag 1 Uhr. Weltpostvertrag; Gesetz über die Handelsbeziehungen zu
ngland; Erledigung der zurückgestellten Resolutionen zum Etat; Fortsetzung der obigen Berathung.)
Preußischer Landtag. Herrenhaus. 11. Sitzung vom N. April 1898.
Neu eingetreten in das Haus ist Riedesel Freiherr zu Eisenb ach.
Das Haus beginnt die Berathung des Staats haus— halts⸗Etats für 189899.
SGeneralberichterstatter Graf von Königsmarck berichtet M nächst über die Verhandlungen in der Finanzkommission und über den günstigen Stand der Finanzlage, welche namentlich eine weitere Erhöhung des Dispofitionsfonds der Eisenbahnverwaltung ermögliche. Die Ueberschüsse der Eisenbahnverwaltung deckten zur Zeit mehr alt die Hälfte aller Staatsausgaben. Das jeige, daß man nicht sagen könne, die Eisenbahnen müßten lediglich dem Verkehr dienen. Woher sollten denn die Mittel für die Staatsausgaben kommen, wenn die Eisenbahnen keine Ueberschüsse lieferten? Der Redner geht dam auf den Vermerk im Etat der Eisenbahnverwaltung über, wonach der Ueberschuß der Eisenbahnen, soweit er nicht zur Deckung eines Etatsdefizits erforderlich ist, in erster Linie bis zur Höhe von 50 Millionen Mark zur Bildung eines außeretatsmäßigen Die⸗ positionsfonds zur Vermehrung der Betriebsmittel und Erweiterung der Bahnanlagen verwendet werden soll. Das Abgeordnetenhan habe in einer Resolution den Minister aufgefordert, im Wege der Ueberschreitung des aus den rechnungsmäßigen Ueberschüssen de Etats für 1897/88 für Zwecke der Eisenbahnverwaltun zu bildenden außeretatsmäßigen Dispositionsfonds von 20 M= lionen weitere etwaige Ueberschüsse bis zur Höhe von 30 All⸗ lionen Mark zur Vermehrung der Betriebsmittel sowie zur Erweih⸗ rung der Bahnanlagen und zu Grunderwerbungen behufs Vorbereitung derartiger Erweiterungen im Falle eines durch Verkehrssteigerungen hervorgerufenen, nicht vorherzusehenden Bedürfnisses der Staatsbahnen zu verwenden. Die Kommission des Herrenhauses habe dieses Ver— fahren nicht als etatsrechtlich richtig anerkennen können, habe aber schließlich der Resolution des anderen Hauses zugestimmt, um nicht den ganzen Etat ablehnen zu müssen. Unter Wahrung des prinzwiellen Standpunktes empfehle er die Annahme der Resolution auch in diesem
Hause.
Ohne Debatte beschließt das Haus demgemäß.
In der Generaldiskussion über den ganzen Etat kommt,
Graf Udo zu Stolberg⸗ Wernigerode auf die neulich im Abgeordnetenhause behandelte Frage des Mangels an lãndlichen Arbeitern zurück und meint, daß dieser Nothstand keineswegs nur ein vorübergehender sei. Von der Verschärfung der Bestimmungen üher das Gesindevermiethungswesen verspreche er sich nichts; denn wirth⸗ schaftliche Kalamitäten könnten nur durch wirthschaftliche Reformen, nicht durch Polizeimaßregeln beseitigt werden. Der Arbeiter ⸗ mangel sei am stärksten da, wo es der Landwirthschaft am schlecz testen gehe und sie die Löhne nicht erhöhen könne. Enn gutes Mittel zur Abhilfe und Hebung der Landwirthschaft l die Abänderung des Gesetzes über den Unterstützungswohnsitz. y,, , nn,. zu wollen, sei ein erfolgloses Beginnen; der Unkerstützungsbedürftige müsse da unterstützt werden, wo 4 gearbeitet habe. Eg sei ungerecht, einen Arbeiter, der vom Osten nach dem Westen gegangen sei, noch hom Often unterstützen zu lassen. Ein ferneres Mittes sei die Abänderung des Invaliditättzversicherungz⸗ gesetzes, auf dessen Einzelheiten er jedoch nicht eingehen wolle. Wenn der Arbeitermangel nicht durch Reformen befeitigt werde, bleibe leider nichtws Andereg übrig, als troß der Gefahr der Polonisierung polnische Arbeiter aus Rußland zuzulassen.
(Schluß in der Zweiten Beilage.)
(Sehr richtig! links.) Unter allen Umständen
Zweite Beilage
zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗Anzeiger.
100.
M
Berlin, Donnerstag, den 28. April
w
1898.
(Schluß aus der Ersten Beilage.)
Herr von Koscielski weist auf den jüngsten Erlaß über die flichten der Staatsbeamten in den gemischt⸗sprachlichen Provinzen in, der insofern mit Freude zu begrüßen sei, als er in bisher dunkle
Verhältnisse Licht gebracht habe; aber der Erlaß ändere die Stellung der Beamten, er mache sie zu Privatagenten der privaten Vereinigung zur Förderung des Deutschthums. Ob das ihrer Autorität förderlich fei, sei doch zweifelhaft. Die Beamten müßten sich zur Nationalitäten- frage völlig objektid verhalten. Ein solcher Erlaß trage aber zur Zerrüttung der Verhältnisse im Osten bei und diene nicht dem Deutsch⸗ ihum. Nachdem jedoch dieser Erlaß ergangen sei, bleibe nur zu konstatieren, daß nicht die preußischen Polen daran schuld seien, fondern die Regierung selbst verkündet habe, daß die preußischen Polen ein Fremdkörper im Staate seien. Schon am Arbeiter⸗ mangel auf dem Lande scheitere die ganze Politik. Ohne die unge⸗ funde Verschiebung der Verhältnisse durch diese Politik würde kein Mensch danach fragen, ob ausländische Arbeiter beschäftigt werden, wenn fie nur billige Arbeitskräfte darstellten. Diese Politik habe auf beiden Seiten eine Clique geschaffen, welche nur durch die Hetze lebe.
Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums, Finanz⸗Minister Dr. von Miquel:
Meine Herren! Sie werden es mir wohl nachfühlen, und ich glaube, es wird auch Ihren Wünschen entsprechen, wenn ich nicht auf diese Bemerkungen des Herrn Vorredners tiefer eingehe und eine große Polendebatte, die doch kein Resultat und keine Wirkung haben kann, zu inaugurieren mich hüte. Ich will nur einige wenige, kurze Bemerkungen machen. Der Erlaß des Staats⸗Ministeriums ist — man kann sagen durchgängig, mit geringen Ausnahmen — in der öffent⸗ lichen Meinung Deutschlands als ein durchaus milder, gemäßigter, jede Aggressi on gegen die Polen ausschließender, die Beamten nur an die naturgemäßen Pflichten jedes preußischen Beamten erinnernder Erlaß anerkannt worden. (Sehr richtig!)
Lesen Sie dagegen, wie dieser Erlaß in der polnischen Presse behandelt wird, sowohl unseres Inlandes als, wenn ich so sagen darf, des polrischen Auslandes, wo beispielsweise der galizische „Cæaas“, eines der größten Blätter des polnischen Volkes, dem Staats. Ministerium jedes Schimpfwort an den Kopf wirft, welches eine erfindungsreiche Feder erfunden hat, und sich sogar soweit zu gehen nicht scheut, dem Staats Ministerium moral insanit) vorzuwerfen, und diesen ganzen Erlaß als einen ver brecherischen zu bezeichnen. Die polnische Presse im Inlande muß sich ja natürlich etwas mehr Schréäken auflegen. Aber wenn die Herren sie lesen könnten, wie ich sie in der Uebersetzung jede Woche lesen muß, so würden Sie finden, daß der Geist ungefähr derselbe ist.
Meine Herren, wenn nun aber Herr von Kotsielski sich erlaubt, das preußische Staats Ministerium als eine Agentur des H.-K.- L. Vereins zu bezeichnen, so weiß ich nicht, ob ein solcher Ausdruck selbst geschäftsordnungsmäßig zulässig war. Jedenfalls weise ich ihn mit Entschieden heit und Entrüstung ab. (Bravo)
Meine Herren, wenn der Herr Vorredner behauptet, wir be— handelten die Polen als einen fremden Körper im Staat, so sagt der Erlaß in jeder Zeile das gerade Gegentheil. (Sehr richtig) Er stellt als schließliches Ziel der Thätigkeit der deutschen und preußischen Beamten in diesen Provinzen hin: die Abschleifung und Versöhnung der zu unserem Bedauern leider noch vorhandenen Gegensätze. Wer diese Gegensätze ursprünglich hervorgerufen hat? In dieser Beziehung appelliere ich an ihre eigene Wissenschaft und Kenntniß. Ich will darauf garnicht weiter zurückkommen.
Meine Herren, der Herr Borredner sagt, das Bestreben der Staats⸗ regierung, das Deutschthum in diesen Provinzen zu kräftigen, sei über⸗ haupt ein ganz verkehrtes; es genügt, wenn das preußische Staats— bewußtsein gekrästigt wird. Ja, meine Herren, hier liegt die Differenz. Wir müssen der Ueberzeugung sein, und mit uns ganz Deutschland, daß in einer Kräftigung des Deutschthums in diesen gemischt-sprachlichen Bezirken zugleich eine Kräftigung des preußischen Staates liegt. Wir haben seit 50 Jahren ge— sehen, daß das fortwährende Erstarken des, wie der Herr Vor⸗ redner sehr bezeichnend sagt, polnischen Nationalgedankent, nicht dazu führt, das preußische Staatsbewußtsein zu fördern. (Sehr richtigh
Meine Herren, ich will auf die Sache nicht weiter eingehen; ich hoffe, es wird doch mal eine Zeit kommen, wo Herr von Koksieleki sich überjeugt, daß nicht wir, sondern er in einem Grundirrthum dersiert.
Meine Herren, nun möchte ich noch zwei Worte sagen auf die Bemerkungen des Herrn Grafen von Stolberg. Er sagte selbst: die Freizügigkeit können wir nicht mehr aufheben. Ich gehe noch weiter: ich sage, die Landwirthschaft kann die Freizügigkeit bei der heutigen Art der landwirtbschaftlichen Produktion in ihrem eigenen Interesse auch nicht entbehren. Aber sei dem, wie ihm wolle, ich unterschreibe wollständig, wenn der Herr Vorredner sagt: die Freizügigkeit ist da, sie kann nicht mehr beseitigt werden, und ich bemerke, daß auch der Herr Landwirthschafts⸗Minister, wenn er von den Auswüchsen der Freiügigkeit gesprochen hat, ausdrücklich dabei betont hat, daß es nicht die Absicht der Staatsregierung sei, die Freizügigkeit wieder aufzuheben.
Nun meinte Herr Graf von Stolberg, man könne dem Arbeiter mangel in den öͤstlichen Provinzen abhelfen durch eine Reform des Unterstützungswohnsitzgesetzes. Meine Herren, ob eine Reform des Unterstützungswohnsitzgesetzes nothwendig ist, gerecht und möglich, das will ich vorläufig dahingestellt sein lassen; ich glaube aber, daß der Rothstand an Arbeitern durch die Reform oder Aenderung des Unterstützungswohnsitzgesetzes nicht wesentlich berührt würde. Denn diese Frage hat doch nur die Bedeutung, welche Ge⸗ meinde verantwortlich ist für die Hilfe, welche einem Kranken, Arbeitgunfähigen u. s. w. gewährt wird, und berührt die Folgen der Frehzägigkeit in Bezug auf den dadurch entstehenden Arbeitermangel in gewissen Bezirken nach meiner Meinung nicht. Herr Graf von Stolberg bat vollständig Recht, wenn er sagt: derartige große wirth⸗ schaftliche Erscheinungen kann man nicht durch polizeiliche Mittel be⸗ seitigen; da muß man erst die Ursachen, aus denen sie hervorgehen, beseitigen. Und ich theile seine Meinung, daß eine der Hauptursachen
des so gewaltigen Ueberhandnehmens des Auswanderns aus den östlichen ländlichen Bezirken in die Städte und Industriebezirke in der ungünstigen Lage der Landwirthschaft liegt. (Sehr richtig!) Kämen wir wieder einmal dahin, was wir gewiß wünschen, die Maß⸗ regeln ergreifen zu können, die uns mehr wieder auf diesen Weg führen, so wird in dieser Beziehung die Landwirthschaft in der Lage sein, für die Arbeiterschaft auf dem Lande mehr zu thun, und wird so eine Hauptursache hinwegfallen. Es kommen aber auch noch andere Ursachen hinzu: die bequemere Arbeit in den Städten, die Ungebundenheit, die Vergnügungen u. s. w. (Sehr richtig) Die Gewohnheit an das städtische Leben, die selbst durch die Armee entsteht, — derartige Dinge kommen dazu; sie sind wenigstens sekundär mitwirkend. Meine Herren, wenn man die gesammten wirthschaftlichen und Arbeitsverhältnisse in Deutschland überschaut, kann man fast zu der Ansicht kommen, daß für das gesammte Arbeits quantum, welches gegenwärtig geleistet werden soll, kaum die Menschen in genügender Zahl vorhanden sind. Einmal haben wir ein außer⸗ ordentlich starkes Arbeitsbedürfniß in der Industrie und Gewerbe — das wird mir jeder zugeben — dann aber auch in der Landwirth— schaft. Die gesammten Verhältnisse unserer Landwirthschaft haben eine immer intensivere Bewirthschaftung nothwendig gemacht und je intensiver die Wirthschaft ist, um so mehr Arbeitskräfte werden gebraucht. Vergleichen Sie einzelne Güter: als die extensive Wirthschaft noch bestand und die Schafzucht noch vorherrschte, und die heutige Art der Wirthschaft, wo das Hauptgewicht auf Großviehzucht gelegt wird, mit gewerblichen Betrieben u. s. w, so muß man zugeben, daß gegenwärtig gegen früher auch die Landwirthschaft mehr Kräfte gebraucht, sie aber auch um so schwerer entbehrt, wenn diese Kräfte nicht vorhanden sind. (Sehr richtig h
Dann, meine Herren, dürfen wir ein Drittes nicht vergessen: daß kaum jemals zu irgend einer Zeit so viel Arbeitskräfte für öffentliche Zwecke gebraucht worden sind, für die großartigen Bauten, die wir auf allen Gebieten machen. (Sehr richtig) Die rapide Ausdehnung des Eisenbahnwesens, die Erbauung von 7 bis 8000 km Tertiärbahnen in ganz kurzer Zeit, der Umbau der Bahnhöfe, die gewaltigen Mittel, die wir auf unsere Flüsse, Kanäle u. s. w. verwenden, — alles das führt dahin, daß diese Kräfte — und das sind meist Erdarbeiter — der Landwirthschaft ent- zogen werden. Wenn hier mein verehrter Herr Kollege — wenn ich die Zahl recht verstanden habe — an regelmäßigen Streckenarbeitern 100 600 Mann gebraucht, so zeigt sich, was das für eine Bedeutung hat. Aber Sie werden vergeblich predigen, wenn Sie sagen: dann wollen wir doch ein wenig langsamer damit vorgehen. Im Gegen⸗ theil, eine Milliarde könnte der Finanz ⸗Minister vielleicht bewilligt bekommen, wenn er sie für den Bau neuer Eisenbahnen forderte. Wir brauchen in dieser Beziehung nur die Verhandlungen des Ab— geordnetenhauses der letzten Tage zu lesen. (Heiterkeit)
Nun bin ich aber nicht der Meinung, daß dieser Zustand dauernd sein wird. Ich glaube kaum, daß dauernd die Industrie Arbeiter in dieser Zahl, wie das gegenwärtig der Fall ist, braucht. Es wird auch hier einmal eine ruhigere Zeit kommen, und ein großer Theil der Arbeiter wird zurückwandern. (Sehr richtig) Jedenfalls ist das eine sehr schwierige Frage. Wenn es ohne Gefahr nationalen Schadens einzurichten möglich ist, aus den benachbarten Ländern, von Italien z. B. und aus anderen Ländern, Arbeitskräfte nach Deutschland zu ziehen, so wird man eine solche Gelegenheit nicht vorübergehen lassen dürfen. Auch die Landwirthschaftskammern könnten sich zu ihrem Nutzen mit dieser letzteren Frage beschäftigen.
Auf die Frage des Unterstützungswohnsitzes gehe ich nicht näh er ein, weil ich glaube, sie hängt mit dieser Frage des Arbeitermangels nicht wesentlich zusammen. Ich möchte nur daran erinnern, daß jetzt gegen das ursprüngliche Unterstützungswohnsitzgesetz doch schon eine bedeutende Besserung eingetreten ist. Ursprünglich konnte der Unter⸗ stützungswohnsitz in zwei Jahren erst nach dem vierundzwanzigsten Lebensjahre erworben werden, heute schon nach dem achtzehnten. Ferner haben die sozialpolitischen Gesetze die Folgen des Unter⸗ stützungswohnsitzgesetzis auch sehr gemildert, wobei ich die Frage ganz dahingestellt sein lasse, ob das Invaliditätegesetz nicht zu ändern ist, namentlich bezüglich einer gerechteren Vertheilung der Lasten auf die Städte und das Land, weil ich der Meinung bin, daß gegenwärtig die rein ländlichen Bezirke zu kurz kommen und in dieser Beziehung eine Aenderung wird eintreten müssen. (Sehr richtig) Ob man je so weit gehen kann, zu bestimmen, die Last trägt die Gemeinde, wo die Ursache der Belastung eintritt, ohne Rück= griff auf andere Gemeinden, das ist eine Frage sehr schwieriger Art, die man nicht so leicht entscheiden kann. Wenn die Herren sich darüber instruieren wollen, so bitte ich sie, sich einmal in Holland zu erkundigen. Nach langen Erfahrungen und Schwan kungen hat man in Holland diesen Schritt gethan. (Hört! hört h Jede Gemeinde muß alle Kosten tragen, die aus einer Ursache her rühren, die in der Gemeinde entsteht. Also wenn jemand in der Gemeinde erkrankt, muß die Gemeinde, in der die Erkrankung erfolgt, für die gesäammten Kosten aufkommen. Es ist gewiß wünschenswerth festzustellen, wie sich das in Holland bewährt hat. Aber ich glaube kaum, daß sich das ohne weiteres auf Deutschland wird übertragen lassen. In Deutschland besteht eine größere Differenz zwischen Stadt und Land, während in Holland eine große Stadt neben der anderen liegt. Jedenfalls wird man mit großer Vorsicht an die Realisierung einer solchen Reform herantreten müssen. Kebhaftes Bravo h
Präsident Fürst zu Wie d: Wenn Herr von Kogcielski gesagt hätte, daß die Regierung eine Agentur des H. K. T. Vereins sei, so hätte ich ihn jzur Ordnung gerufen; aber er hat gesagt, daß die Beamten Privatagenten des Vereins seien.
Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums, Finanz⸗Minister Dr. von Miquel:
Et wird mir ja sehr erwünscht sein, wenn nicht mehr gesagt worden wäre, als der Herr Präsident verstanden bat. Dann bedauere ich, die Worte mißverstanden zu haben; aber ich muß doch sagen: wenn beharptet wird, daß durch einen Erlaß des Staats Ministeriums
unsere Beamten Privatagenten eines H. K. RT. Vereins geworden
seien — viel besser ist das auch nicht. (3ustimmung. Heiterkeit.)
Präsident Fürst zu Wied verliest den Wortlaut des Steno⸗ ö Herr von Koscielski nur von den Beamten ge— pröchen hat. .
Herr von Koseielski erklärt, daß er sich sofort bei der Be⸗ merkung des Ministers gemeldet habe, um die Auffassung desselben zu berichtigen. Zur thatsächlichen Berichtigung müsse er ferner be⸗ merken, daß er fich nicht zu den Anschauungen des Ministers bekehren
werde. . Fürst zu Wied: Daß ist nicht mehr thatsächliche Be⸗ richtigung.
Graf von Hutten-Czapski spricht sein lebhaftes Bedauern darüber aus, daß auch in diesem Jahre wieder der Etat so spät aus dem anderen Hause gekommen sei, daß er nicht rechtzeitig vor dem 1. April habe fertiggestellt werden können. Eine Schuld der Regie⸗ rung sei dies nicht; denn sie könne den Etat nicht früher vorlegen, als es geschehen sei. Das Herrenhauß könne den Etat rechtzeitig nur erledigen, wenn er bis Mitte März an das Haus gelange. Die Finanzlage sei gegenwärtig eine so günstige, dank den Reformen det Finanz Ministers, die in fo kurzer Zelt einen so großen Erfelg erzielt hätten. Dag Vorgehen des Reichstages in Bezug auf die Frage der Deckung der Ausgaben für die Flotte grelfe in die Finanzboheit der Einzel⸗ staaten ein. Die Ernennung des Finanz ⸗Ministers zum Vize⸗Präsidenten des Staats. Ministeriums sichere dem Finanz ⸗Minister einen an⸗ gemessenen Einfluß auf die übrigen Ressorts. Angesichts der Annahme des Flottengesetzes könne man mit Befriedigung auf die politische Lage blicken. Für die bevorstehenden Wahlen hätten sich die Partei⸗ derhältnisse wesentlich verschoben; nicht mehr die alten politischen Parteien seien maßgebend, sondern die Zusammenfassung der pro⸗ duktiven Stände. Ein bloßes Programm für die Sammlung der produktiven Stände nütze aber nichts, es müsse auch durchgeführt werden. Die Regierung habe die Grenze zu bestimmen, innerhalb welcher eine Sammlung der produktiven Stände erwünscht sei. Die Beamten, welche die Politik der Regierung nicht unterstützten, müßten aus ihrem Amt scheiden.
Freiherr von Durant führt aus, daß der Nothstand der Land⸗ wirthschaft jetzt allgemein anerkannt werde. Aber in den letzten Jahren sei noch eine Verschärfung dieses Nothstands eingetreten. Nach der Einkommensteuer ⸗Statistik habe sich das Einkommen aus Grund⸗ vermögen auf dem platten Lande seit 1892393 um 30 Millionen Mark vermindert, während das Einkommen aus allen anderen Erwerbszweigen sich vermehrt habe. Das gesammte Vermögen rentlere sich mit 10 v. 3 Namentlich sei das Einkommen der Industrie durch den wirthschaft⸗ sichen Aufschwung gestiegen; die Landwirthschaft dagegen liege darnieder. Die Politik des Grafen Caprivi habe diese Gntwickelung herbei⸗ geführt. Es würde kein Segen sein, wenn der preußische Staat seinen alten historischen Charakter als Landwirthschaftsstaat aufgeben würde und Industriestaat werden sollte. Der Staat dürfe nicht die Erwerbszwelge noch mehr fördern, welche schon florierten, sondern müsse die nothleidenden heben. Die Industrie schade der Landwirth⸗ schaft durch Entziehung der Arbeitskräfte. Man sollte die Arbeit in der Industrie erschweren.
Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums, Finanz⸗Minister Dr. von Miquel:
Ich will auf die allgemeinen Fragen, die der Herr Freiherr von Durant erörtert hat, nicht eingehen. Ich will ihn nur darauf auf⸗ merksam machen, daß aus der Statistik, die er verlesen bat, über die Vertheilung des Einkommens auf die verschiedenen Einkommensquellen, nicht zu folgern ist, daß der gesammte Besitz in Preußen mit 100, rentiere. Das wäre ein höchst angenehmer und glücklicher Zustand. (Heiterkeit) Ich will das aufklären: In diesem Gesammteinkommen steckt das ganze Einkommen aus persönlicher Arbeit, und das wirft die gezogenen Folgerungen über den Haufen; das Einkommen aus Arbeit beträgt ja sehr große Summen und ist im Steigen begriffen. Wir leben in einer Entwickelungsperiode, wo der Ertrag der mensch⸗ lichen Arbeit in stärkerem Verhältniß wächst als das bloße Besitz⸗ einkommen, sei es aus Grund und Boden, sei es aus Kapital. (Sehr richtig h
Freiherr von Manteuffel wendet sich gegen den Versuch von polnischer Seite, eine Divergenz jwischen den deurschen und den preußischen Interessen in der Polenfrage zu konstruieren. Preußen sei der größte Staat im Reiche und habe die Ehrenpflicht, die deutschen Interessen zusammen mit seinen eigenen wahrzunehmen.
Graf Ude zu Stolberg spricht die Ueberzeugung aus, daß viele Leute wegen der Höhe der Kommunallasten, die auch durch daz Unterstützungswohnsitzgesetz beeinflußt werde, aus dem Osten weg⸗ zögen. Dag erforderliche Gesammtarbeitéquantum könne die Be— völkerung wohl leisten, nur seien die Arbeitskräfte nicht richtig ver⸗ theilt. Er bleibe dabei, daß die Abänderung des Unterstützungs⸗ wohnsitz. und des Javaliditaͤtsversicherungsgeseßzes ein Mittel zur Beseitigung des Arbeitermangels sei.
Ober Bürgermeister Braesicke⸗ Bromberg erwidert dem Herrn von Kosecielski, daß der Erlaß der Regierung sich innerhalb des Rahmens des nobile officium der Regierung halte, das Deutschthum zu schützen, und empfiehlt zur Beseitigung des Arbeitermangels die Seßhastmachung der ländlichen Arbeiter.
Damit schließt die Generaldiskussion.
In der Spezialdiskussion wird zunächst der Etat der Zentral⸗Genossenschaftskasse ohne Debatte bewilligt.
Beim Etat der Eisenb ahnverwaltung bemängelt
Graf von Mirbach die Einführung der Perronsperre, welche auf kleineren Stationen die größte Mißstimmung bhervorrufe. Wenn auch die Kontrole dadurch erleichtert werde, so lasse sich dieses Ziel wohl auch noch auf anderem Wege erreichen. Redner beschwert sich ferner über die hohen Anforderungen an die Kreise beim Erwerb des Grund und Bodens für Bahnbauten und namentlich über die a. träglichen Kostenrechnungen. Ein Kreis habe sogar dreimal Nach⸗ zahlungen leisten müssen.
Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:
Ich bin natürlich sehr gern bereit, die von dem Herrn Grafen von Mirbach gewünschte Prüfung eintreten zu lassen, nämlich dahin, erstens ob die Forderungen nothwendig sind, und mweitens, ob sie sich im Rahmen des Gesetzes bewegen. Wenn das letztere der Fall ist, so wird wohl ohne ein neues Gesetz der Kreis nicht entlastet werden können. Indessen ist das eine Frage, die erst in jweiter Linie zu entscheiden ist.
Was die Bahnsteigsperre anbetrifft, so bin ich kaum in der Lage, in dieser so oft ventilierten Frage neues Material bei- bringen zu können. Herr Graf von Mirbach ist aber im Irrthum, wenn er annimmt, daß lediglich die Erleichterung der Kontrole dies System zur Einführung gebracht hat. Die System besteht so ziemlich in allen Ländern. Wenn Sie
nach England, Frankreich, Desterreich, Holland, Belgien, Amerika