1898 / 104 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 03 May 1898 18:00:01 GMT) scan diff

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deugen, daß die Gesichtspunkte, die von dem Herrn Abg. Stadthagen hier hervorgehoben worden sind, in diesem Falle nicht durchgreifen. (Sehr richtig) Deshalb, meine Herren, lasse ich mich auf die nähere Digkussion nicht ein. Ich kann es um so weniger thun, als mir die Anträge gedruckt noch garnicht einmal vorliegen. Ich stelle mich auf den prinzipiellen Standpunkt und ich möchte das hohe Haus im Interesse der Sache bitten, diesen Standpunkt ebenfalls einzu⸗ nehmen: Fragen, die in der Kommission nicht diskutiert worden sind auf diesem Gebiete, eignen sich zur Annahme im Plenum nicht, und deshalb bitte ich das hohe Haus, die Wünsche des Hern Abg. Stadthagen nach beiden Richtungen hin abzulehnen. (Bravo)

Abg. Dr. Rinte len (Sentr.) erklärt sich gegen alle über die Vorlgge und die Kommissiongbeschlüffe hinausgehenden .

Abg. Stadthagen führt aus: wenn die Tendenzen so offen zn Tage träten, augländische Arbeiter zuzulassen und die Zuchthãuser und Korrigendenanstalten zu zffnen, um den freien Arbeitern die Er— ringung besserer Lohnbedingungen zu erschweren, wenn man von der Einschränkung des Koalitiongrechtß und der Freizügigkeit spreche, dann liege die Gefahr nahe, daß die Reichsgesetze durch Landesgesetze lahm gelegt würden. Dagegen müsse eine Garantie geschaffen werben.

Die Anträge werden abgelehnt.

Abg. Stadthagen beantragt im § 71 des Gerichts- verfassungsgesetzes, bei den Landgerichten als Berufungsinstanz für die Gewerbegerichte zwei Beisitzer des Gewerbegerichts, einen Arbeiter und einen Arbeitgeber, hinzuzuziehen; denn die , . hätten die sehr sachgemäßen Urtheile der Gewerbegerichte meist aus lediglich formalen Grunden aufgehoben. Ter in der Kommission gemachte Versuch, die Sache durch die Landesgesetzgebung regeln zu lassen, sei nicht annehmbar.

Auch dieser Antrag wird gegen die Stimmen der Sozial⸗ demokraten abgelehnt.

Abg. Stadthagen beantragt ferner, in den 8 179 und 180 des Gerichts verfaffungsgesetzes die Ordnungsstrafe nicht nur gin Parteien, Beschuldigte, Sach verständige, Zeugen a echtsanwalte, sondern auch gegen Staatsänwalte zu⸗ zulassen. . .

Der Antrag wird gegen die Stimmen der Sozialdemokraten ebenfalls abgelehnt. .

Nach dem neu eingeschalteten 8 49a der Zivilprozeß⸗ n, , kann auch ein nicht rechtsfähiger Verein verklagt werden.

Abg. Beckh sfr. Volksp.) beantragt, einen nicht rechtsfähigen Berein als parteifähig anzuerkennen, und zwar nicht nur als Be— klagter, sondern auch als Kläger.

Staatssekretär des Reichs⸗Justizamts Dr. Nieberding:

Es ist richtig, daß es sich bei dem vorliegenden Antrage nur um einen Theil der gesammten Rechtsfähigkeit handelt, um die Partei⸗ fähigkeit. Es ist auch richtig, daß, solange dieser Antrag nicht in das Gesetz übergegangen ist, in der Praxis mannig2 fache Schwierigkeiten den Vereinen in der Rechtsverfolgung er- wachsen. Das erkennen die verbündeten Regierungen an. In diesen Schwierigkeiten soll aber für die Vereine gerade auch die Ber⸗ anlassung liegen, den Weg zu beschreiten, den das Bürgerliche Gesetz⸗ buch gegeben hat, um die Rechtsfähigkeit zu erlangen. Sobald die Vereine anf dem Wege, den das Bürgerliche Gesetzbuch gewährt, die Rechtsfähigkeit erhalten haben, fallen die von dem Herrn Antrag—⸗ steller dargelegten Schwierigkeiten vollständig weg.

Run hat dieser bestritten, daß in dem Sinne, wie Ihre Kom⸗ mission beschlofsen habe, ein Kompromiß zu stande gekommen sei bei der sehr schwierigen und verwickelten Diskussion, die in der Kom mission für das Bürgerliche Gesetzbuch, betreffs der Rechtstellung der Vereine, stattgefunden hat. Ich muß da das, was der Kommissionsbericht zutreffend sagt, auch meinerseits bestimmt ver⸗ treten. Was wir dem Hause in der Vorlage bringen, entspricht völlig dem, wag Kompromiß zwischen Kommission und Regierung war und als solches vom Reichstage anerkannt wurde, dahin gehend, daß, weil man nicht alle Vereine zur Rechtsfähigkeit auf dem Wege, den das Bürgerliche Gesetzbuch vorgesehen hat, zulassen könne, man gleichwohl den davon auggeschlossenen Vereinen eine gewisse Vertretungsfähigkeit innerhalb des Prozesses gewähren wolle. Weiter aber als bis zu dem Maß von Parteifähigkeit, welches die Vorlage vorsieht, wollten die Regierungen nicht gehen, und wollte auch die Kommission die Regierungen nicht zwingen zu gehen. Wenn die Regierungen nun völlig loyal das in den Entwurf eingeführt haben, was zwischen Kommission und Regierungsvertretern früher vereinbart worden ist, so war es ebenso loyal, wenn die Kommission sich einfach

dem Regierungsvorschlage anschloß. Ich kann Sie daher nur bitten, dem Vorschlage der Kommission

beizutreten und nicht neue und große Schwierigkeiten zu schaffen durch ein Eingehen auf diesen Antrag.

Der Antrag wird abgelehnt. -

Zu S 99 hat die Kommission einen Zusatz beschlossen, wonach sich das Gericht bei der Sen ung der Kosten der Hilfe des Gerichtsschreibers bedienen dürfe.

Abg. Beckh hatte beantragt, diesen Zusatz zu streichen, zieht seinen Antrag aber zurück. . .

Geheimer Regierungs⸗Rath im Reichs⸗Justizamt Grzywaez er⸗ klärt das Einverständniß der Regierung mit dem Beschlusse der Kom mission in der Einschränkung, wie dies in der Kommission geschehen sei.

Abg. Schm idt. Warburg (Zentr.) spricht seine Befriedigung über 2 n Zusatz aus.

Abg. Dr. von Dziem bows ki⸗Pomian beantragt zum §z 102, von Ausländern keine ö, für die Prozeßkosten u fordern, wenn es sich um Klagen auf Arbeitslohn handele; ebenso olle den Ausländern das Armenrecht nach 5 106 gegeben werden, wenn es 9 um Lohnforderungen handle, soweit die Gegenseitigkeit verbürgt sei.

32 Ober ⸗Regierungs · Kath im Reichs. Justizamt Freiherr von Seckendorff weist darauf hin, daß die Ausdrücke Arbeits lohn, Lohnforderungen“ keine genügend er ie, seien. Es fehle auch an jedem praktischen Grunde für solche Anträge, da über diese Dinge bereits ein internationaler Vertrag abgeschlossen sei.

Der n wird abgelehnt. ;

Nach 5 143 der Regierungsvorlage können Rechtsagenten, Nechtskonsulenten seitens der , zugelassen werden.

Abg. Dr. von Dzjiembowzski⸗Pomian beantragt, diese Aenderung zu streichen.

Abg. . beantragt, vorzuschreiben, daß das Gericht Be⸗ voll i lijgf⸗ und Beistände, welche das mündliche Verfahren vor Gericht geschäftsmäßig betreiben, zurückweisen könne. Gegen die Zurückwessung solle Beschwerde zulässig sein.

Abg. Schmidt- Warburg beantragt, die Zulassung solcher Rechtobeistände nur dann zu gestatten, wenn wegen Mangels einer

enügenden Anzahl von Rechtsanwalten an dem Orte des Gerichts ein . vorliege.

Abg. 6 (Rp.) beantragt, in diesem letzten Antrage das Wort nur zu strelchen.

1 Beckh hält es für unrichtig, einzelne Personen zuzulassen. Dabei könnten allerlei persnliche oder polltische Räcksichten maß— gebend sein. Man solle die Ausschließung von Fall zu Fall statt⸗

lassen und den einzelnen Konsulenten dag Recht der Be⸗ chwerde geben.

Abg. Träger (fr. Volksp.) erklärt, der Vorredner habe nur seine eigene Meinung ausgesprochen; er stehe mit seinen Freunden vollständig auf dem Standpunkte der Kommissionsbeschlüsse. Er habe die Agitation seiner Kollegen vom Rechtsanwaltsstande nicht recht ver⸗ standen; die Anwalte sollten zu vornehm sein, um in dieser Beziehung von einer Konkurrenz zu sprechen.

Abg. Dr. Steph an (Zentr.) hält die Bestimmung der Vorlage doch für bedenklich. ö. die Rechtskonsulenten werde dadurch keine größere Sicherheit geschaffen; denn ihre Zulassung sei jeden Augenblick wider⸗ ruflich, und die Rechtsanwalte hätten doch mehrfach Bedenken gegen die Zulafsung der Konsulenten geäußert. Ein verständiger Amtsrichter würde geeignete Persönlichkeiten immer als Rechtsbeistände zulassen. Redner empfiehlt die Streichung der Bestimmung.

Abg. Dr. bon Dziem bowski⸗Pomian schließt sich diesen Aus⸗ führungen an.

Abg. Schmidt, Warburg empfiehlt seinen Antrag, der das Bedenken beseitige, daß die Rechtsbeiflände auch dort zugelassen werden könnten, wo genügend Anwalte vorhanden seien.

Abg. Gamp: Wenn die Rechtsanwalte sich an den kleinen Amtsgerichten nicht niederlassen, dann kann man es den Ein wohnern, namentlich auf dem platten Lande, nicht verdenken, wenn sie sich an die Rechtskonsulenten wenden, welche jedenfalls geschäfts⸗ gewandter sind als die Landleute. Die Regierungsvorlage ist das Mindeste, was im Interesse des Publikums angenommen werden muß.

Staatssekretär des Reichs⸗-Justizamts Dr. Nieberding:

Meine Herren! Ich möchte am liebsten den Weg des Herrn Abg. Träger gehen: statt aller weiteren Repliken auf die Ausführungen, die soeben hier gemacht worden sind, mich berufen auf den Bericht des Herrn Berichterstatters der Kommission. Denn auch ich muß an— erkennen, daß, wie dieser Bericht sich im allgemeinen durch Gründlich⸗ keit, Unparteilichkeit und Klarheit in seltener Weise auszeichnet (sehr richtig), er auch in dieser Frage die Verhandlungen der Kommission in so klarer und nach meiner Meinung überzeugender Weise darlegt, daß kein Vortrag hier im Hause im stande sein möchte von dem Für und Wider der verschiedenen Vorschläge ein besseres Bild zu verschaffen. Meine Herren, der Bericht des Herrn Bericht erstatters hat auch darin sein besonderes Ver dienst, daß er klar legt, mit welcher Gründlichkeit die Kommission in zwei Lesungen all die verschiedenen Vorschläge, die in Abänderung der Regierungsvorlage versucht wurden, geprüft hat, auch diejenigen Vorschläge, die heute wiederholt werden, und wie man sich nach zweimaliger Berathung doch hat überzeugen müssen, daß dasjenige, was die Regierungsvor⸗ lage bringt, ich will nicht sagen die meisten Gründe für, aber die wenigsten Grüde gegen sich hat (sehr richtigh.

Aber, meine Herren, ich muß mir doch einige Bemerkungen er⸗ lauben mit Rücksicht auf die unzweifelhafte Bewegung, die gerade im Anwaltsstand der Vorschlag der Regierung hervorgerufen hat, eine Bewegung, die ja auch hier ihren Widerhall gefunden hat in einzelnen

Reden aus dem Hause selbst. Meine Herren, ich habe mir diese Besorgnisse, die aus den Anwaltskreisen laut geworden sind, nie erklären können; denn weder der Wortlaut der Re⸗ gierungsvorlage, noch die Begründung, die ihr beigegeben ist, noch alles das, was in der Kommission verhandelt wurde, ist geeignet, diese Besorgnisse zu unterstützen. Aber, meine Herren, ich bin heute doch durch einzelne Bemerkungen, die hier im Hause gefallen sind, darüber wenigstens aufgeklärt, wie leicht es ist, an die einfachsten Vorschläge der Regierung, wenn man nun einmal der Regierung das Vertrauen nicht schénken will, Zweifel und Bedenken weittragender Art anzuknüpfen. Meine Herren, wenn der Herr Abg. von Dziem⸗ bowski Anlaß zu haben glaubte, als Grund gegen die Vorlage und gegen die Beschlüsse Ihrer Kommission unter anderem die Möglichkeit anzuführen, daß doch einmal die Zeit kommen könnte, wo die Justizverwaltung sich bewogen finden würde, um den einen Anwalt an einem Gerichtsorte zu wie Herr von Dziembows ki sich ausdrückte ruinieren, mehrere Konsulenten dort zum Geschäfts⸗ betriebe zuzulassen, wenn man dazu kommen kann, ein Vorgehen so unwürdiger Art auf seiten der Regierung in Aussicht zu nehmen, dann begreife ich allerdings alle anderen Gründe auch. Ich bin aber der Meinung: derartige Ginwände brauche ich nicht zu widerlegen; die widerlegen sich durch den gesunden Sinn dieses Hauses ohne weiteres. (Zustimmung.)

Dann, meine Herren, hat einer der Herren Abgeordneten gemeint: weniger sachliche Gründe als Rücksichten auf die Ehre des Standes seien es, die so viele Anwalte veranlaßt hätten, gegen den Vorschlag des Entwurfs Stellung zu nehmen. Meine Herren, das ist mir absolut unverständlich. (Sehr richtig!)

Ich verstehe nicht, wie ein Mann, wenn er auch Anwalt ist, Bedenken tragen kann, mit einem anderen anständigen Mann, der aber eine geringere gesellschaftliche Position hat, vor Gericht oder vor sonstigen öffentlichen Schranken in geschäftliche Berührung zu kommen. (Sehr richtig!)

Der Herr Abg. Gamp hat dasselbe bereits ausgeführt und hat dar⸗ gelegt, daß es zahlreiche Gelegenheiten im offentlichen Leben giebt, wo der Anwalt gar keinen Anstand nimmt, und wo wir alle, die wir im Beamtenleben stehen, gar keine Bedenken tragen, mit Leuten zu verhandeln, die vielleicht in einer geringeren geschäftlichen oder sozialen Position sich befinden. Niemand mit gesundem Sinn wird daraus Veranlassung nehmen zu besorgen, daß der Stand, dem er angehört, dadurch beeinträchtigt werde. (Sehr richtig!)

Meine Herren, darin finde ich eine so ungesunde Anschauung, daß ich wünschen möchte, derartige Stimmen sollten aus den Kreisen des Anwaltstandes niemals laut werden. (Sehr richtig h

Dann hat ich glaube, es war Herr Dr. Stephan aus geführt, die Konsulenten seien ja überhaupt nicht befähigt, die Ver⸗

tretung der Parteien vor den Gerichten zu führen. Darin liegt nach meiner Meinung zunächst eine Uebertreibung, denn thatsächlich führen sie das ist gar nicht zu bestreiten in großem Umfange die Ver⸗ tretung von Parteien, und auch zur Befriedigung der Parteien; und wie man da sagen kann, alle diese Leute seien nicht befähigt, vor Gericht die Geschäfte der Parteien zu führen, verstehe ich nicht.

Aber, meine Herren, was bewiese das auch gegen die Vorlage der Regierung? Die Regierung will ja durchaus nicht allen diesen Leuten

eine gewisse Garantie des Auftretens vor Gericht gewähren. Auch der Herr Abg. Dr. Stephan, hoffe ich, wird das Vertrauen zur Regierung haben, daß, wenn sie in die Lage kommt, von dieser Be⸗ stimmung Gebrauch zu machen, sie nicht gerade diejenigen Personen heranziehen wird, die das Vertrauen des Publikums nicht genießen und nicht die Befähigung besitzen, die Vertretung zu übernehmen. Also dag, meine Herren, beweist nach meiner Meinung garnichts.

Ebenso, glaube ich, war es der Herr Abgeordnete Dr. Stephan, der mit einem gewissen Nachdruck aussprach, es sei richtiger, daß die

Konsulenten unter der Willkür des Amtsrichters, wie er sich aus.

drückte, statt unter der Willkür der Justiz verwaltung stehen. Ja, meine Herren, indem wir Ihnen unseren Vorschlag unterbreitet haben, haben wir das Ziel verfolgt, diese Leute überhaupt nicht unter willkürliches Ermessen zu stellen, sondern ein gleichartiges, billiges, obfektives Ermessen in allen hier einschlagenden Fällen bei der Be⸗ urtheilung der Thätigkeit der Konsulenten walten zu lassen. Das ist das einzige, was wir erzielen wollen, und wenn sich das auf unserm Wege erreichen läßt, so meine ich, ist der Vorschlag doch wohl be— achtenswerth; denn die Erklärung des verehrten Herrn Abgeordneten, daß der betreffende Konsulent besser unter der Willkür des Amts⸗ richters stehe, ist nicht gerade geeignet, weder den Gerichten, noch der Justizverwaltung das Zutrauen der Bevölkerung zu sichern, und darauf lege ich doch in allererster Stelle Werth.

Dann hat der Herr Abg. von Dziembowski, glaube ich, aus⸗ geführt, daß, wenn man den Vorschlag der verbündeten Regierungen annehme, es dahin kommen würde, daß in den kleinen Orten sich überhaupt Anwalte nicht mehr niederlassen. Herr Abg. Gamp hat darauf, nach meiner Meinung aus richtiger Kenntniß der Verhältnisse, schon erwidert: das thun sie jetzt auch schon nicht. Es ist der lebhafte Wunsch der Justizverwaltung, namentlich auch der Justizverwaltung Preußens, die Anwalte zu bestimmen, daß sie sich mehr, wie es bisher ge⸗ schehen ist, auch den kleineren Städten zuwenden möchten. Alles, was nach dieser Richtung hin in dem Vermögen der preußischen Justizverwaltung steht, ist wiederholt aufgeboten worden. Die Versuche sind regel⸗ mäßig gescheitert oder wenn sie zunächst glückten, haben sie sich doch nach einiger Zeit gleichwohl als erfolglos erwiesen. Da, meine Herren, wollen Sie uns mit dem Einwand kommen, die Anwalte würden verhindert, in die kleinen Städte zu ziehen? Dann sollte doch erst einmal dargethan werden, daß der Anwaltstand in der That die Neigung bekunden will, in kleineren Orten sich niederzulassen. (Sehr richtig! rechts.) Dann hat der Herr Abg. Dr. Stephan die Frage aufgeworfen und damit komme ich auf die Begründung unseres Vorschlages —, was denn in aller Welt passiert sei, um eine Maßregel, wie sie vor⸗ geschlagen ist, zu rechtfertigen. Ja, meine Herren, ich glaube, ich habe bereits in der ersten Lesung dem hohen Hause gegenüber die Ehre gehabt, die Erwägungen, die für uns bestimmend gewesen sind, anzudeuten. Ich kann nicht hier über Andeutungen hinausgehen, weil ich der Meinung bin, daß es nicht dem Ansehen der Justiz förderlich ist, wenn allerlei Schäden, die unleugbar zu Tage getreten sind, an das Licht der Welt gezogen und kritisch beleuchtet werden. Es ist besser, meine Herren, wir beseitigen die Schäden so rasch wie möglich. Das muß ich aber dech sagen: wenn es vorkommen konnte, daß die gerichtliche Thätigkeit eines durchaus einwandsfreien Kon⸗ sulenten von einem Richter, der an die Stelle eines früheren Richters trat, beanstandet wurde, bloß weil der neue Richter prinzipiell andere Anschauungen über die Zulaͤssigkeit des Konsulentengewerbes hatte als sein Vorgänger, wenn die Folge dieser Anschauung des jangen, eben in die Richterpraxis eingetretenen Mannes war, daß der durchaus anständige, sein Gewerbe einwandsfrei betreibende Konsulent nun sich auf die Straße gesetzt sieht, so, meine Herren, ist das wohl eine Thatsache, die vom Standpunkte der Gerechtigkeit und Billigkeit Beachtung verdient. Gegen derartige Vorgänge Abhilfe zu fchaffen im Wege der Gesetzgebung, scheint mir doch eine wichtige Aufgabe zu sein. (Sehr richtig) Denn, meine Herren, wenn derartige Dinge vorkommen, die den einzelnen davon schwer betroffenen Mann er— bittern und die das Volk nicht versteht, so öffnen sich Wege, die in gefährlicher Weise dahin führen, das Vertrauen in die Justiz zu er⸗ schüttern. Unsere erste Aufgabe soll es sein, derartige Wege zu verbauen.

Meine Herren, ich muß nun zu meiner Genugthuung, darf ich sagen, konstatieren, daß die eingehenden Berathungen, die in der Kommission stattgefunden haben, schließlich der Kommission die Ueberzeugung beigebracht haben: der Weg, den wir zur Abhilfe einschlagen wollen, ist der räthlichste. Ich muß das hier behaupten gegenüber den beiden Anträgen positiver Art, die in Abänderung des Vorschlags der Kommission gestellt worden sind, und ich darf mich zur Kritik dieser Anträge auf wenige Bemerkungen beschränken.

Meine Herren, der Herr Abg. Beckh hat beantragt, dem Uebel⸗ stand, den auch er anerkennt, dadurch Abhilfe zu schaffen, daß ein Beschwerderecht eingeführt wird, wie ich annehme es wurde vorhin die Frage aufgeworfen, wer sich beschweren solle ein Beschwerde⸗ recht des von der richterlichen Maßregel betroffenen Konsulenten. Wir würden uns sehr gern mit einem solchen Vorschlag abgefunden haben, wenn er in der That praktikabel wäre und zu einem Ziele führen würde. Aber der Vorschlag ist deshalb nicht brauchbar, weil die Beschwerde gegen den Beschluß des Richters an die landgerichtliche Instanz, an die Kammer des Landgerichts gehen muß und weil das Urtheil darüber, ob ein Konsulent geeignet ist, zur Vertretung an den Gerichten zugelassen zu werden oder nicht, eine Frage wesentlich disziplinarer Art ist, die vor das Forum der Justizverwaltung, aber nicht vor dag Richterkollegtum gehört, und die verbündeten Regierungen können nicht damit einverstanden sein, daß die berechtigten Grenzen zwischen Justiz⸗ verwaltung und Rechtsprechung in der Weise verschoben werden, wie der Antrag Beckh es in sich schließen würde.

Der Antrag ist aber auch deshalb nicht durchführbar, weil, wenn das Gericht zweiter Instanz die Aufgabe erhält, zu erwägen, ob der Amtsrichter richtig gehandelt hat oder nicht, alle Unterlagen für diese Erwägung fehlen. Denn der Amtsrichter ist ja nicht verpflichtet, seine Maßnahme zu begründen. Das Gericht hat nichts vor sich als den einfachen Beschluß; was soll es mit dem Beschluß anfangen?

Außerdem, meine Herren, kommt aber in Betracht, daß die Maßregel für den einzelnen Fall absolut wirkungslos bleibt, denn der Projeß kann nicht darauf warten, daß die Vor⸗ entscheidung über die Zulässigkeit der Vertretung durch den Rechts⸗ konsulenten zunächst getroffen wird; der Prozeß geht seinen Gang und wenn die Entscheidung kommt, daß die amtzrichterliche Verfügung unzulässig gewesen sei, dann ist der Konsulent nicht mehr in der Lage, von dieser Entscheidung ju seinen Gunsten Gebrauch zu machen. Wenn in einem zweiten Prozeß dann dieselbe Maßnahme des Amts-⸗ richters ergeht denn die einmalige, ablehnende Entscheidung der zweiten Instanz bindet den Amtgrichter doch nicht für immer dann geht das Procedere in derselben Weise vor sich, ohne jeden Ge⸗ winn für den Konsulenten.

Wat den Antrag Schmidt (Warburg) betrifft, so bin ich zu meinem Bedauern trotz der dringenden Bitte, die der Antragsteller

12 Uwhr vertagt.

die Güte hatte, an die verbündeten Regierungen zu richten, auch hier nicht in der Lage, zuzustimmen. Ich muß auch hier bitten, in Ueber⸗ einstimmung mit Ihrer Kommission den Antrag abzulehnen. Die Justiz⸗ verwaltungen können niemals wünschen, daß die prekäre Frage des Bedürf⸗ nisses in der Weise an sie herangebracht werde, wie das hier vorgeschlagen wird. Denn sie müssen voraussehen, daß das nur Anlaß geben wird zu immer neuen und niemals ganz abzuweisenden Anschuldigungen wegen des Ergebnisses der Bedürfnißprüfung. Die Justizberwaltung ist garnicht in der Lage, wenn sie in einzelnen Fällen das Bedürfniß anerkennen will, auch dem Publikum gegenüber, welches die gleiche Ansicht vielleicht nicht hat, ihre Stellungnahme überzeugend zu recht—⸗ fertigen. Und dann möchte ich doch auch fragen, ob dieser Vorschlag nicht zu ungerechtfertigten Härten führen kann. Ich lege Ihnen den Fall vor: An einem Ort sind bisher nur drei Rechtsanwalte thätig gewesen, neben diesen Rechtsanwalten hat ein Konsulent eine durchaus unbedenkliche Praxis ausgeübt. Nun läßt sich an dem Ort ein vierter Anwalt nieder. Wenn die thatsächliche Entwickelung der Dinge dazu führt, daß der Konsulent durch den Eintritt dieses Anwalts ohne Ein arff der Justiz seine bisherige Thätigkeit verloren geben muß, so ist das eine Schicksalsfügung, niemanden kann deshalb ein Vorwurf treffen. Aber wollen Sie namens der Justiz den Konsulenten nun deshalb, weil ein neuer Anwalt an dem Ort sich niedergelassen hat, von dem

vielleicht noch nicht einmal feststeht, daß er dauernd dort bleibt,

wollen Sie nun jenen Mann, von dem Gericht weggewiesen, auf die Straße gesetzt sehen das ist eine Härte, und dahin würde dieser Vorschlag führen.

Was dann den Abänderungsantrag des Herrn Abg. Gamp betrifft, so würde dieser Antrag die Justizverwaltung nöthigen, in allen Fällen, wo an einem Orte nicht die genügende Anzahl von Anwalten vor— handen iff, dafür zu sorgen, daß ein Konsulent sich dort nieder läßt, der dann die Zulassung seitens der Justizverwaltung be⸗ kommt. Ich bin zweifelhaft, ob der Herr Abg. Gamp das will; aber wie der Antrag jetzt lautet, würde er diese Folge haben. Viese Folge ist, ich brauche das kaum zu sagen, für die verbündeten Regierungen urannehmbar.

Meine Herren, ich glaube, Sie erweisen Ihrer Kommission ein berechtigtes Vertrauen, wenn Sie unter Ablehnung aller Anträge das annehmen, was die Kommission in Uebereinstimmung mit den ver— bündeten Regierungen Ihnen vorgeschlagen hat, und ich möchte glauben, Sie werden im Verein mit den verbündeten Regierungen die Ueberzeugung gewonnen haben, daß dasjenige, was dann beschlossen wird, weder die Ehre nech die Interessen des Anwaltstandes in irgend einer Weise zu beeinträchtigen geeignet ist. Den verbündeten Re— gierungen liegt es durchaus fern, dem Anwaltstande zu nahe zu treten;

ö im Gegentheil, sie erkennen die große Bedeutung eines wohlsituierten,

durch sein Ansehen getragenen Anwaltstandes nach allen Richtangen hin unbedingt an. (Beifall.)

Die Abgg. Stadthagen (Soz,) und Is kraut (Reformp.) sprechen sich fr die Vorlage aus.

Nachdem die Abgg. Beckh, Schmidt⸗Warburg und Gamp nochmals das Wort genommen haben, wird 143 nach dem Wortlaut der Regierungsvorlage angenommen.

Gegen 6 Uhr wird die weitere Berathung bis Dienstag

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

70. Sitzung vom 2. Mai 1898. Auf der Tagesordnung steht die zweite Berathung des

Gesetzentwurfs, betreffend die Dis ziplinarverhältniffe

der Privatdozenten an den Landes⸗Universitäten,

der Akademie zu Münster und dem Lyceum Hosianum

zu Braunsberg. ; Die Berathung beginnt auf Antrag des Abg. Dr. von Cuny (nl) mit dem Z 1. Alsdann soll über den von der

. Kommission neu vorgeschlagenen Z 5a digkutiert werden.

§z nach dem Kommissionsbeschluß lautet:

Ein Privatdozent an einer Landes ⸗UÜniversität, der Akademie zu Münster und dem Lyceum Hosianum zu Braungberg, welcher I) die Pflichten verletzt, die ihm seine Stellung als akabemischer Lehrer auferlegt, oder 2) sich durch sein Verhalten in und außer seinem Beruf der Achtung, des Ansebens oder des Vertrauens, die seine eng erfordert, unwürdig zeigt, unterliegt den Vorschriften dieses

esetzes.

Den 8 1 der Regierungsvorlage, nach welchem das Gesetz

. vom 21. Juli 1852, betreffend die Dienstvergehen der nicht— wgichterlichen Beamten, auf die Privatdozenten mit Ausnahme einiger

Bestimmungen und mit den in der Vorlage ent— haltenen besonderen Bestimmungen sinngemäße Anwendung finden soll, hat die Kommission als S 1a angefügt.

Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal⸗ Angelegenheiten PD. Br. Bosse:

Meine Herren! Ich möchte nur ganz kurz bemerken, daß die Königliche Staatsregierung in der Abänderung des 8 1 der ursprũng⸗ lichen Vorlage durch die sz 1 und Ja2, wie sie die Kommission be— schlossen hat, eine erhebliche redaktionelle Verbesserung der Vorlage erblickt, und daß sie diese nur dankbar acceptieren kann.

Abg. Kirsch (Zentr) beantragt, in 81 Ziffer 2 statt des Wortes und‘ das Wort oder“ zu setzen.

Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal⸗

Angelegenheiten Pr“ Boffe:

Ich stimme namens der Königlichen Staatsregierung der vor⸗

. geschlagenen Abänderung zu.

Abg. Dr. Virchow (fr. Volksp.): Weder die Kommission noch

. die Staa regierung ist bei dieser Frage mit der Sprache heraug— gekommen. Welcher Anlaß lag zu diesem Gesetze vor? Es ist sonder⸗

kbar? daß man eine Sache, die seit Jahren zu keinen An— ständen Anlaß gegeben hat, mit einem Male zum Gegen. stand der Gesetzgebung macht. Es sst kein Zweifel, daß durch dieses Gesetz die Stellung der Privalbozenten verschlechter werden wird. Wir haben es mit einem , ,, zu thun. Ein Beweig dafür ist, daß man einen einzelnen Fall zum us. gang puntt genommen hat, und die Preffe hat denn auch dieses Gesetz eine lex Arong genannt. Auf diefen Fall will ich nicht eingehen, er ker jedenfalls keine ausreichende Veranlassung zu diesem Gesetz.

egen seiner politifchen Meinung sst bisher kein Universitats lehrer angefaßt worden,

ondern nur wegen verbrecherischer, mit dem Gese in Wider spruch ftehender an e und etwas Derartiges hat 3

r. Aron soviel ich weiß, nicht ju Schulden kommen fa fsen. Gz hat kein Iichterlicher Angriff gegen ihn stattgefunden, und deshalb hält man es ir nöthig, gegen einen solchen Mann mit n Gesetz vorzugehen.

ie flimmt dies mit der , n,. Das Belieben und die Willkür 6 en Lehrer soll hler legallfiert werden. Cin solches Gesetz yö. ein

lechtes Gesez, Herr Ärong liest über Physt! er dabel über

die Grenzen hinaus sich etwas hat zu Schulden kommen lassen, ist mir nicht bekannt geworden. Nur außerhalb feineg Berufs hat er 'iwag fen, was der Regierung nicht gefallen hat. Wohin soll es aber ühren, wenn die Freiheit bes Bürgers in seinem Privat- leben in dieser Weise gefährdet wird? Man wirft Arons vor, daß er ein Sozialdemokrat fei, Liegt darin denn wirklich etwas so Gefähr⸗ liches? Man müßte doch erst definieren, was Sozial demokratie ist und was Schlimmes in ihr ist. Dieses Gesetz ist nur eine Konzession an die konservative Presse und Partei. Ver Kultus⸗Minister hat

von ihnen mit, Schrecken und Hesorgniß erfüllen lassen. Dem Richter wird keine richtige Definition gegeben, worin denn eigentlich die zu bestrafende Ueberschreitung liegt, damit ist nur der Willkür Thür und Thor geöffnet. Big jetzt hat man übrigens den Professoren nichts anhaben können, und der Fall Arons war somit für die Regierung ein Glücksfall. Die weiteren Ausführungen des Redners bleiben bei der großen Unruhe des Hauses fast unverständlich. Er scheint auszuführen, daß die Sozialdemokratie seit Jahren ihren gefährlichen Charakter verloren habe. Sozialdemokrafen säßen im Reichstage und in den Stadtverordneten Versammlungen und be⸗ theiligten sich dort an der Arbeit. Selbst die „Kreuzzeitung“ bezeichne diese Leute nicht mehr als Verbrecher. Dieses Gesetz sei überflüssig und schädlich.

Ministerial . Direktor Dr. Althoff: Der Vorredner hat eine Art Generaldebatte hervorgerufen, und ich muß deshalb Einiges sagen. Ich lege dagegen Verwahrung ein, daß es sich hler um eine Verlegen⸗ heitsvorlage handle. Die Verantwortung . lediglich mein hoch⸗ berehrter Chef, allerdings hat er das Staats⸗Ministerium hinter sich. Ebenso falsch ist die Meinung, daß nur der Fall Arong dies Gesetz veranlaßt habe. Eg wundert mich, daß der Abg. Virchow nicht weiß, daß diese Frage schon seit 20 Jahren erwogen wird, und zwar angeregt durch die philosophische Fakultät von Berlin aus Anlaß des Falles Dühring. Die Fakultät hatte damals einen Gesetzentwurf vorgeschlagen, der im wesentlichen wörtlich mit der Vorlage Übereinstimmt; auch ihre Be⸗ gründung hätten wir bloß abzuschreiben brauchen. Ich hatte den Dank des Abg. Virchow erwartet, daß endlich nach 5 Jahren der Wunsch der Universttät Berlin erfüllt ist, (Redner verliest verschiedene Stellen des Berichts der philosophischen Fakultät, worin für die k dieselbe Sicherheit ihrer Stellung verlangt wird wie ür die Staatsbeamten. und zwar gerade im Interesse der Freiheit der Wissenschaft; Wenn man nun die gegenwärtigen. An⸗ griffe hört, so fällt einem unwillkürlich der Satz ein: difficile est; satiram non sgribers. Es ist luce clarius, daß der Privatdozent so gesichert werden soll, wie es noch nie da—⸗ ewesen ist. Sie können jetzt viel schwerer removiert werden als rüher. Hat ein Extraordinarius oder ein Ordinarius seine neue Stellung bisher etwa nicht angenommen, weil er sich weniger sicher fühlte denn als ,, Kein Mensch ist so unvernünftig, die 5 der Wissenschaft antasten zu wollen. Durch die Allerhöchste Botschaft an die Universität Halle zu ihrem Jubiläum im Jahre 1894 ist die Lehrfreiheit als ein unantastbares Gemeingut der deutschen Universitäten bezeichnet worden. Wenn man fortgesetzt in dieser Weise sein Haus schlecht macht ich finde nicht den richtigen Aus— druck so muß das zwar nicht im Inland, wohl aber im Ausland einen sehr schlechten Eindruck hervorrufen. .

Abg. Dr. Porsch (Zentr. : Eine einheitliche Regelung der Stellung der Privatdozenten im Interesse ihrer rechtlichen Sicherstellung ist durchaus nöthig. Dieses Gesetz ist kein Gefetz gegen die Privat⸗ Dotenten, sondern ein solches zu ihrem Schutze. Ueber die Art, wie in Berlin ein Privatdozent removiert werden kann, ist in den Universitãts· statuten nichts bestimmt, darüber herrscht die reine Willkür des Ministers. Die Freiheit der Lehre steht allerdings in der Berfassung, aber praktisch durchgeführt ist sie nicht, wenigstens nicht für die katholischen Dozenten, die von manchen Fakultäten nicht zugelassen worden sind. Soll aber der Privatdozent wegen der Freiheit der Wissenschaft thun und treiben können, was er will? Das will auch Herr Virchow nicht. Die venig legendi hat ihre Grenzen. Auch die Rechtsanwalte sind doch recht strengen Digziplinargesetzen unterworfen, und doch hat kein Mensch sie davon befreien wollen, obwohl auch sie frei dastehen müssen. Auf den Fall Arons ist dies Gesetz, wenigstens soweit es sich um die Thätigkeit des Hauses handelt, nicht zugeschnitten. Darum war es auch nicht nöthig, bestimmt zu formultleren, in welchen Fällen ein Privatdozent wegen seiner polltischen Thätigkeit gepackt werden kann. Wir haben uns auf einen ganz allgemeinen Standpunkt gestellt. Wegen der bloßen Bethätigung einer politischen Meinung will ich einen Privatdozenten nicht removiert 66 Der Dozent soll nur nicht mit seinem Lehramt in politischem Interesse Mißbrauch treiben. Die freisinnige Presse hat meine frühere Aeußerung über diese Frage vollständig verdreht. Ich bedauere, daß man die Fakultäten der Universitäten vor Einbringung des Gesetzentwurfs nicht gehört hat. Es ist aber gegen die Vorlage nur eine Eingabe von der Berliner Universität eingereicht worden, wonach vor 20 Jahren die philosophische Fakultät eine solche Vorlage gewünscht dat. Der akademische Senat in Breslau hat nun eine anderweitige Regelung der zweiten Instanz gewünscht. Man denkt also in akademischen Kreisen viel kühler, als man glaubt. Meine Bedenken gegen die Vorlage sind geschwunden, nachdem die Kommission Tie Dozenten nicht als Beamte, sondern als akademische Lehrer behandelt bat, wie die Professoren. Die Bestimmungen des Gesetzes sind allerdings etwag allgemein, aber in einem Disziplinargesetz ist es nicht möglich, jeden einzelnen Fall anzuführen. Für die Rechtsanwalte bestehen auch keine genaueren Bestimmungen.

Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Meine Herren! Ich kann die Ausführungen des Herrn Dr. Porsch nur sehr dankbar acceptieren, und ich möchte ihnen dem Herrn Abg. Dr. Virchow gegenüber nur noch ein Wort hinzufügen.

Ich habe mit gespanntester Aufmerksamkeit seinen Ausführungen zu folgen gesucht, habe aber bei der leisen Stimme, mit der er sie vortrug, doch nicht alles verstanden. Das habe ich genau verstanden, daß er sagte, ich hätte mich vor der Einbringung des Gesetzentwurft in einer Verlegenheit befunden und suchte nun die Hilfe des Landtages, um aus dieser Verlegenheit mich zu befreien.

Meine Herren, diese Legende beruht vollständig auf Irrthum. Ich habe mich in keiner Verlegenheit befunden und befinde mich auch jetzt in keiner Verlegenheit. Nicht eine solche Verlegenheit ist es ge⸗ wesen, die mich bewogen hat, den Gesetzentwurf ausarbeiten zu lassen und einzubringen, sondern etwas ganz Anderes: nämlich das Bedürfniß, der Pflicht zu genügen, daß endlich eine Lücke ausgefüllt werde, die schon vor 20 Jahren und noch länger hier zur Sprache gebracht ist, und die wir immer als eine solche empfunden haben, und nicht bloß wir, meine Herren, sondern auch die Gesinnungsgenossen des Herrn Abg. Dr. Virchow. Ich halte es gar nicht für ausgeschlossen, daß, wenn wir den Gesetz⸗ entwurf nicht eingebracht hätten, die freisinnige Partei, die Partei des Herrn Dr. Virchow ihn in dieser oder etwas anderer Form eingebracht haben würde. (Widerspruch links.) Dann häͤtte es natürlich geheißen: Ja, Bauer, das ist ganz was Anderes! Nein, so liegt die Sache nicht.

Dann möchte ich noch zu dem 1 und zu dem, wat der Herr Abg. Dr. Porsch zutreffend über unsere Absichten bemerkt hat, hinzufügen, daß ich von vornherein davon ausgegangen bin: bei so wichtigen Ent⸗ scheidungen, wie die ist, ob ein Privatdozent removiert werden soll oder nicht, bei Entscheidungen, die für das Wohl und Wehe eines Mannes, für seine ganze Zukunft von entscheidender Wichtigkeit werden können, entspricht es unserem heutigen Rechtsbewußtsein, und zwar dem Rechtsbewußtsein aller Parteien, nicht, daß solche Ent- scheidungen von einem einzelnen Manne getroffen werden, von dem Minister allein, auch wenn er noch so verantwortlich ist.

Es entspricht unserem Rechts bewußtsein, daß da ein georbneteg ge= setzliches Verfahren vorhanden sein muß, welches dem Angeschuldigten gewisse Rechtsgarantien gewährt. Das ist meine Ueberzeugung gewesen, sie ist es heute noch, und das ist der Grund gewesen, weshalb ich die Vorlage eingebracht habe.

Abg. Broem el (fr. Vxzg.): Von freisinniger Seite würde ein solches ö. nicht oder, wenn noch größere Mißstände sich eri hätten, wenigstens in anderer Form eingebracht werden. In owest der Gesetzentwurf für die Dozenten eine Grundlage schaffen will, ist er in der That als Fortschritt anzuerkennen; aber er will außerdem den neuen Stiefel über den alten Leisten des 6 von 18652 schlagen, das einen reaktionären Beigeschmack hat. enn wir in der Kom⸗ mission vertreten gewesen wären, so hätten wir es vielleicht nicht nöthig gehabt, im Plenum Anträge zu stellen.

Abg. Dr. Irmer (kons.): Die Privatdozenten sind doch eine Vorstufe zu den Professoren, und es liegt deshalb nahe, sie so zu be⸗ handeln wie die Professoren, die sich bisher über das Disziplinargesetz nicht beklagt haben. Man wird nicht von Dicʒiplinaruntersuchungen gegen Dozenten in einem Jahre, sondern höchftens in einem Ja e hundert sprechen können, und darum brauchen wir auch nicht eine Kasuistit für jeden einzelnen Fall zu geben. Wir schaffen hier eine bestimmte Rechtsnorm und stellen die Dojenten sicherer, als es durch das Uni⸗ versttätsstatut geschehen kann. Als Verbrecher wollen wir sie ebenso⸗ wenig behandeln, wie dies bei den Beamten geschieht. Auch hier sitzen manche Herren, die irgend einmal einem Dis ziplinarverfahren unterworfen waren, ohne darum an Achtung verloren zu haben. Dies Gesetz ist eine Art Verbeugung vor der philosophischen Fakultät von 1878. Weil wir diese Fakultät hochhalten, darum stimmen wir für dieses Gesetz.

X wird angenommen.

Die Diskussion wendet sich dann dem S Ha zu, der be⸗ stimmt, daß die im Gesetz von 1852 vorgesehene mündliche Verhandlung stattfinden muß, sofern der An eschuldigte darauf anträgt. In derselben ist ein von dem akademischen Senat zu bezeichnendes Mitglied der Universität zu hören; dem An⸗ geschuldigten steht es frei, sich bei der mün lichen Verhand⸗ lung des Beistandes eines Rechtsanwalts als Vertheidigers zu

bedienen.

Abg. Dr. von Cuny (nl) beantragt, folgenden ha anzu⸗ nehmen: „Gegen die Entscheidung der Fakultät steht sowohl dem Beamten der Stgatsanwaltschaft, als dem Angeschuldigten die Be⸗ rufung an das Ober-Verwaltungs gericht offen. Man hat, führt er aus, mit der Möglichkeit zu rechnen, daß in absehbarer Zeit eine der Lehrfreiheit ungünstige Regierung an das Ruder kommt, und dann ist zu besorgen, daß man auf Grund des Gesetzes von 1852 die Privatdozenten wegen ihrer religissen, philosophischen und anderen Meinung diszipliniert. Das will ich durch die Instanz des Ober. Verwaltungsgerichts vermeiden. Dieses hat sich als ein Hüter des öffentlichen Rechts erwiesen. Das Gesetz von 1862 ist so reform⸗ bedürftig, daß ich nicht dazu beitragen möchte, seinen Wirkungskreis zu erweitern.

Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Meine Herren! Der Punkt, um den es sich hier handelt, und den der Herr Abg. Broemel auch schon vorhin in seinen Ausführungen berührt hat, ist in der That der Angelpunkt für das Zustandekommen des ganzen Gesetzes; das muß ich vollkommen anerkennen. Ich glaube deshalb, daß es nützlich ist, wenn ich mich hier über die Stellung der Königlichen Staatsregierung zu dieser Frage schon jetzt mit voller Deutlichkeit äußere.

Meine Herren, ich bin ganz mit dem Herrn Abg. Broerael einverstanden, daß es darauf ankommt, dies Gesetz, wenn es überhaupt ju stande kommen soll, möglichst richtig und zweckmäßig zu gestalten. Aber darin gehen unsere Auf⸗ fafssungen auseinander, daß ich im allgemeinen die Kom⸗ missionsbeschlüsse für eine sehr richtige und sehr zweckmäßige Ge— staltung der Vorlage ansehe, während der Herr Abg. Broemel in den allerwichtigsten Punkten diese Kommissionsbeschlüsse umzugestalten wünscht, und zwar in demselben Sinne, wie es der verehrte Herr Abg. Dr. von Cuny sseben ausgeführt hat. Darin bin ich mit dem Herrn Abg. von Cuny ganz einverstanden, daß auch? ich das Gesetz für verhältnißmäßig nicht so wichtig ansehe, wie ez vielfach, in der Presse namentlich, aufgebauscht worden ist.

Aber, meine Herren, in der Kritik des Dis ʒiplinargesetzes von 1862 für die nicht richterlichen Beamten bezüglich der Gestaltung der Berufung instanz kann ich dem Herrn Abg. von Cuny nicht beitreten. Ich will ihm gern zugeben, wenn man jetzt vor der Frage stände, ob man dat Verfahren in Disziplinarsachen ganz neu zu ordnen hätte, daß man dann manches an dem Gesetz garnicht anders machen würde als im Jahre 1852. Aber ich darf doch auch nicht verschweigen, meine Herren, daß sich inzwischen eine ganz konstante und feste Praxis ge⸗ bildet hat, die die Mängel und namentlich die Läcken, die im Gesetz von 1852 vorhanden sind, im allgemeinen in zweckmäßigster Weise ausgefüllt hat, und vor allen Dingen in dem Beamtenstande durch aus als autoritativ anerkannt ist, ja, daß das Staats. Ministerium alg Berufungsinstanz im Beamtenstande ein ganz besonderes Vertrauen genießt. Ich will damit nicht behaupten, daß nicht auch da Mißgriffe und Fehler vorkommen könnten; die sind in allen menschlichen In= stitutionen möglich, da mögen Sie einen Gerichtshof einsetzen, welchen Sie wollen. Aber, meine Herren, in Bezug auf Unbeftechlichkeit im weitesten Sinne, auf objektive Beurtheilung und Sachlichkeit kann es, glaube ich, das Staats⸗Ministerium als richterliches Kollegium nach den Erfahrungen, die wir während einer fünfzigsährigen Praxis als Disziplinarinstanz gemacht haben, mit jedem Kollegium des preußischen Staats aufnehmen.

Meine Herren, das Ober-Verwaltungsgericht ist für das Staats Ministerium keine annehmbare Berufungsinstanz schon gegenüber der Thatsache, daß das Staats. Ministerium nach dem bestehenden Gesetz allen andern Beamten gegenüber die Berufungssachen in Dis ziplinar sachen erledigt. Durch diese Thatsache würde ja das Staats. Ministerium in die Lage kommen, wenn es anerkennen wollte, daß das Ober Verwaltungsgericht eine geeignetere Instanz wäre, sich selbst ein Miß- trauensbotum zu geben, und das kann dem Staats-Ministerium un—⸗ möglich zugemuthet werden. Dazu liegt nicht der geringste Grund vor. Daß man überhaupt in den Dieziplinarsachen der Kommunalbeamten das Ober⸗Verwaltungsgericht als Berufung instanz bestellt hat, ist geschehen, well das Ober .⸗Verwaltungsgericht in dem sachlichen Aufgabenkreise dieser Beamten und insbesondere als die den Bezirksausschüssen übergeordnete Instanz zu entscheiden hat, daß es daher mit diesen Dingen vertraut ist, daß diese Dinge für seine Zuständigkeit besonders geeignet waren. Bei den Privatdozenten ist das nicht der Fall. Mit den Privatdozenten hat das Ober- Verwaltungsgericht auch nicht den Schatten einer Fühlung.

Nun ist ja eingewendet, der Disziplinarhof habe ja auch keine Fühlung mit den Privatdozenten. Richtig, der Disziplinarhof, der sein Votum abgiebt, gewiß nicht, aber dat Staats. Ministerium hat

eine sehr starke Fühlung mit den Privatdozenten, und zwar