1899 / 32 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 06 Feb 1899 18:00:01 GMT) scan diff

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Staatssekretãr des Reichs⸗Postamts von Podbielski:

Ich möchte dem Herrn Abg. Stöcker betreffs des Sonntags dienftes dieselbe Antwort geben, die ich dem Herrn Abg. Lingens auf seine Anregung gegeben habe. Ich habe im vorigen Jahre bereits erklärt, es liegt mir sehr am Herzen, die Sonntags ruhe ür meine Beamten immer welter auszudehnen, ihnen möglichst einen freien Sonntag zu verschaffen. Nach dieser Richtung it auch eine Verfügung erlassen, die bereits im „Amtsblatt“ im Druck ist und voraussichtlich heute Abend erscheinen wird. Konform den An⸗ regungen des Herrn Vorredners ist darin bestimmt, daß der Schalter⸗ dienst der Regel nach am Sonntag spätestens iwischen 12 bis 2 Hhr sein Ende findet. Ich kann nicht un⸗ bedingt für alle, einbeitlich sagen, es soll kein Nach= mittagedienst am Sonntag sein, weil wir auch mit den überseeischen Posten zu thun haben; die Schiffe sind eben nicht in der Weise regelmäßig und treffen nicht so regelmäßig ein und gehen auch nicht so regelmäßig hinaus, das bängt von Fluth und Ebbe ab. Ich kann also nicht unter allen Umständen absolut für das gesammte Deutsche Reich sagen: es ist von 12 bis 2 der letzte Dienst am Sonntag am Schalter. Gbenso ift die Beftimmung ergangen, daß über 12 Uhr hinaus Sonntags Packete nicht besorgt werden sollen. Wir werden vielleicht auch in der Folge eine weitere Einschränkung nach dieser Richtung bin vornehmen können. .

Ablehnen aber muß ich die Anregung des Herrn Abg. Stöcker, daß wir am Sonntag Zuschlag nehmen. Es ist dies nach verschiedenen Richtungen hin in der Budgetkommission erörtert worden. Der Zuschlag würde lediglich eine Begünstigung der Reichen und eine Be⸗ nachtheiligung der Armen sein. Die Postverwaltung hat aber der Allgemeinheit zu dienen.

Abg. Dr. Lieber (3entr): Wir wünschen nicht, daß die Post⸗ beamten' gegen die vorgesetzte Bebörde agitieren, wir wünschen aber auch nicht, daß sie für die Bebörde agitieren. Die Postbeamten, wie die Beamten überhaupt, abgesehben von den leitenden politischen Beamten, follten sich 'der volitischen Agitation enthalten, um volle Unyarieilichkeit wahren ju können. Aber wir können unmöglich damit einverstanden fein, daß die Gesinnung des Beamten zum Maßstabe gemacht wird. Die Gesinnung des Beamten ist sein staats, und reichs bürgerliches Menschenrecht, in welches sich die Regierung nicht einzumischen hat. so lange der Beamte nicht agitatorisch hervortritt. Wo kämen wir mit einer derartigen Gesinnungsriecherei hin! Wir im Zentrum haben es am eigenen Leibe erfahren, was es beißt, auf der schwarzen Liste geführt zu werden. Es kommen dabei oft Leute auf die Tiste, die lediglich das Opfer gemeinster Denunziation sind. Es ift sebr schwer, dem Antrag:. Müller: Sagan bei⸗ zutreten; denn wir würden damit in die Disziplin einzreifen. Aber wir können mit allem Nachdruck dem Staatssekretär unsere Meinung sagen, und ich sage daher bezüglich des Postboten', man macht rur Reklame sür ihn, wenn man ihn verbietet. Auch der jweste Theil des Antrages ist bedenklich wegen seiner Allgemeinbeit. Ginverstanden kin ich mit dem Antrag Bassermann wegen der Berück⸗ sichtigung der Ansprüche der Militäranwärter, der aber nach den Er klaärungen des Staatesekretärs nicht einmal, nöthig ist. Wir wollen die Disziplin halten, aber wir wollen auch die menschlichen und bürger⸗ lichen Rechte der Beamten wahren.

Abg. Bebel (Soz) führt aus, daß die Post, Eisenbabn. und Telegraphenbeamten in anderen Staaten ihre Drganisationen bildeten, ohne daß man darin etwas Staategefäbrliches erblicke. Die Be⸗ amten wollten ibre staatsbürgerlichen Recht; wahren und das Organ halten und lesen, welches sie mit ibrem Gelde bezablen. In dem

Postbotenꝰ seien außerdem keine sozialdemokratischen Grundsäͤtze ent⸗

Falten. Wenn die Sozialdemokraten von allen Aemtern und von aller Arbeit ausgeschlossen werden sollten, dann müßte wan auch konsequent fein und sie von allen Steuern und staatlichen Pflichten entbinden. Daß jemand eine Gesinnung haben, aber sie nicht betbätigen dürfe, sei eine sonderbare Sache. Die Betbätigung der Gesinnung sei das Lesen eines Blattes. Keinerlei Agitation im Dienst: damit sei auch er (Redner) ein verstanden. Aus den großen Reichs⸗ und Staate berrichen könne man die sozialdemokratischen Arbeiter nicht ent- fernen: das zeige die Stimmenzahl in den betreffenden Ortschaften. Die Senaldem okiaten wollten den Staat nicht umstürzen, sie eien aber der Meinung, daß der beutige kapmalistische Staat sich natur, nothwendig zum Sozialismus entwickeln müsse. uuf: Post· Etat ) dine maßlose rerublikanische Agitation trieben sie nicht, weder im Reichstage noch außerhalb desselben. Auch sei von der Inter nationalität der Arbeiter keine Rede. . Abg. von Kardorff (Rp): Die gestrigen Worte des Staats- sekretärs lassen uns heffen, daß die Regierung von der unseligen Schwäche, die sie bieher den Solialdemoktaten gegenüber beobachtet Fat, aut mehr mit der Zeit loskommen wird. Der Abg. Bebel sagte, die Sozialdemokratie spiele dieselbe Rolle wie das Cbristenthum in der erften Zeit. Das Christentbum ist die Religion der Liebe, Sie (zu den So sial zem okraten) sind die Religion des Hasses gegen jeden, der mehr den zt cls Sie. Das Christenthum schärft jet em, der ein christliches Leben fabren will, ein, daß er gewisse Pflichten zu erfüllen hat; Sie wissen nichts von diesen Pflichten, Sie sagen den Arbeitern: Du haft die und die Rechte zu vertreten, Pflichten hast Du gegen niemand, gegen Gett nickt, denn den giebüs nicht, und gegen den Nebenmenschen nicht, denn das sind Deine Bedrücker. Wie wollen Sie sich mit den ersten Chriften vergleichen? Sie leiden wirklich an der Großmannksucht. Sie glauben, weil Sie 565 Sitze erobert baben, wären Sie Tie allmächtigen Herren im Deutschen Reich; seweit ind nir, Gott sei Dank, noch nickt. Die konservativen Par⸗ rejen jusammen stellen noch mehr Abgeordnete für den Reichstag als Sie, und nicht mit so schlechten Mitteln wie Sie. Der Abg. Bebel sagt ferner, in allen anderen Staanen genießen die Beamten in der Kritik ibrer Vorges'tzten eine größere Freibeit, und er bat dabei auf die Schweizexemplisiziert. Dat er denn aicht in der Zeüung gelesen, daß kürzlich der Bundesrath ausdrücklich verfägt bat, daß Petit onen an ibn erst den Instanjenweg durchmachen müsfen? Diese Lehre batten ansere Regierungen schon längst deberzigen sfellen Die Agitation, die sich det Gehalisaufbesserung der Beamien bewächtigt bat, bat die Beamten geradem demoralssiert. In vielen ländlicken Kreisen ist man der Meinung, daß die Beamten gerade genug betommen baben. Die kleinen ländlichen Besißer befiagen sich in einer viel ungünstigeren Lare als ein großer Theil der Beamten. Glauben Sie ewa nicht, daß diese kleinen Leute im Glend sind? Daun seben Sie sich dech einmal die Subbastationen der letzten Jahre an. Nan meint der Abg. Stöcker, man musse glimpflich verfahren mit den Beamt n, ibnen Vertrauen schenken, Fann wärde alles aufs beste gehen. Nach diesem Reiept haben die verbündeten Regierungen seit dem Fortgang des Fürsten Biemanck die So al! demokratie bebandelt, und die Folge war, daß die Sozialdemolratie aaf 2 Millionen Stimmen angewachsen ist, troßz det Tangteit des Verrn Sicecter, dessen Anbänger in Berlin, wie mir erzänlt worden ift, fast sammtlich zur Sozialdemokratie übergegangen sind. Ich bin auch

waltung angriffe, so würden seine Mitglieder schleunigst in der Besse⸗ rungs ko 6 . Die Sozialdemokraten Jollen sich also garnicht beklagen, wenn sie mit ihren eigenen Waffen geschlagen werden. Das einzige, was uns weiterbringen kann, ist die Wieder⸗ erweckung des seiner Zeit durch einen Zufall oder ein Versehen ab⸗ gelebnten Sozialistengesetzes. Daß wir es bekommen werden ist meine feste Ueberzjeugung. Entweder Sie (ju den Sozialdemokraten) behalten die Oberhand oder wir bebalten sie; aber ich glaube, daß wir si⸗ behalten werden. Wie es in der sozialdemokratischen Presse aus sieht, dafür will ich Ihnen aus der heutigen Nummer des Vorwärtg⸗ etwas mittheilen; da heißt es in einem Bericht über die gestrige Sitzung: „Herr von Podbielski war überaus schwach, er schien das Bewußtsein seiner Schwäche zu haben, und in diesem Bewußtsein sich etwas zu viel gestärkt zu haben. Das ist doch eine so schamlose Verdächtigung, wie sie mir überhaupt noch kaum vorgekommen ist. Jedermann, der um die Dinge Bescheid weiß, weiß, daß der Staats sekresär von Podbielski seit Wochen schwer an der Gicht leidet und sich gestern hat hierher schleppen müssen, um den Etat zu vertreten, und jetzt wird diefe Infulte ibm entgegengehalten. So lange wir eine solche Presse besttzen, werden wir nicht umbin können, das So zialistengesetz wieder herzuͤftellen. Der Staate sekretär von Podbielski wird mit seinen Maßnahmen den Kampf gegen die Sozialdemokratie nicht durchführen können, ehe dieses Gesetz nicht wieder in Kraft tritt.

Abg. Graf von Klinckowstroem (d. kons): Herr Bebel hat für die Beamten gesprochen. Haben wir nicht dasselbe warme Herz für die Beamten wie die Sozialdemokraten? Dadurch, daß Sie sich zur Vertretung der Beamten vordrängen, schaden Sie den Beamten am meisten. Redner verliest ein Gedicht aus dem sozialdemokratischen

Witzblatt Der wahre Jakob“. ; dan Dr. Müller. Sagan lfr. Volksp.): Der Staatssekretär

babe gestern gesagt, daß gegen die Veröffentlichung des Dienst⸗ stundenplans nicht? einzuwenden sei, heute bezeichne er den Dienststundenplan als geheimes Schrifistück Die betreffenden Be— amten in Saalfeld hätten sich zunächst erfolglos beschwert und seien dann erst zur Veröffentlichung geschritten. Der Staatasekretär wolle erfahren haben, was die Poffassistenten hinter verschlossenen Thüren verhandelt hätten. Wie wolle er das wissen, wenn er nicht Spitzel unterhalte?

Staatssekretär des Reichs⸗Postamis von Podbielski: Meine Herren! Der Herr Abg. Dr. Müller, der so warm als Anwalt für die betreffenden Herren eintritt, ist jweifellos ebenso wenig wie ich in Saalfeld gewesen. Er kann sich nur auf Material berufen, was ihm zugegangen ist; ich kann mich auf das Material der Untersuchung stützen. Sie, Herr Abgeordneter, glauben alles, was ge= druckt ist; ich habe als Beamter zunächst unbedingt an dem festzuhalten, was durch die Untersuchung festgestellt ist. Jedenfalls können Sie mir nicht den Vorwurf machen, daß ich etwa falsches Material zu Grunde lege, wenn ich mich des Aktenmaterials bediene.

Weiter, meine Herren, ich habe gestern erklärt und wiederhole es heute, ich babe gegen die Veröffentlichung des Dienststundenplanes an sich keine Bedenken. Anders liegt es mit der Frage: war der betreffende Beamte berechtigt, das Material an die Zeitung zu senden, ohne sich vorher der Zustimmung seines Vorgesetzten zu vergewissern! Darin liegt der Schwerpunkt. Ich habe Ihnen nun bereits vorher nach gewiesen, daß die Beamten nach Maßgabe der von ihnen ausgestellten Erklärung ohne Genehmigung nichts Amtliches ver⸗ öffentlichen dürfen. In diesem Falle haben die Beamten nicht so gehandelt; infolgedessen habe ich mich verpflichtet gefühlt, einzugreifen. Ich möchte nun noch aus dem Aktenmaterial ganz kurz anführen:

Es ist festgestellt, daß die ‚Verbandszeitung“ behufs Veröffent- lichung um Einsendung besonders ungünstiger Stundenpläne ersucht hat. (Zuruf links.)

Also, meine Herren, die Einsendung des Stundenplans ist nicht aus freiem Entschluß hervorgegangen, sondern infolge Aufforderung geschehen und keiner der beiden Beamten hat weder die Genehmi⸗ gung seiner Vorgesetzten zur Einsendung des Stundenplanes nach— gesucht, noch ist er zuvor zur rechten Zeilt und in erschöpfender Wei se beschwerdeführend an seine vorgesetzten Behörden herangetreten. Zwar hat der eine aber erst nach Absendung des Stunden planes seinen Poftdirektor um Erleichterung des Senatags— dienstes gebeten; außerdem hat er sich bei dem erhaltenen ab- schlägigen Bescheide begnügt. Das hätte er nicht thun sollen. Ich gehe noch gar nicht so weit, daß ich sage, er hätte müssen an die Ober⸗Postdirektion geben. Sie wissen, meine Herren, daß die Ober⸗ Postdircktionen revidieren lassen und bei der Gelegenheit lönnen die nachgeordneten Beamten ihre Angelegenheiten bei dem Bezirks⸗ Aufsichtsbeamten anbringen. Also auch an den Postinspektor, der oft in Saalfeld ist, hätte er sich wenden können. Der andere hat weder hier noch bei seinem Postdirektor irgend eine Beschwerde geführt. Wenn also eine Unrechtmäßigkeit, die ich zugebe, oder Un⸗ billigkeit vorlag, so waren beide Beamten verxflichtet.; zunächst ihrer vorgesetzten Behörde Kenntniß davon zu geben. Das haben sie nicht gethan, sondern es ist der Nachweis durch die Untersuchung erbracht worden, daß es sich bier um eine Beeinflussung durch außerhalb der Verwaltung stehende Organe handelt, und in solchein Falle halte ich mich verpflichtet, im Interesse des Ganzen einzuschreiten.

Meine Herren, es ist mir seitens des Herrn Abg. Bebel vor⸗ geworfen, ich wäre so nervös gewesen. Die Erklärung hierfür ist schon gegeben. Ich kann veirsichern, es ist mir nicht mal möglich ge⸗ wesen, stehend zu sprechen. Ich bin krank und bin nur gekommen, weil ich mich verpflichtet gefühlt habe, mein Ressort selbst zu vertreten, aber nicht mich mit Krankheit zu entschuldigen und Veranlassung zu geben, daß man sage: der verantwortliche Leiter hat gefeblt. Wenn man leidend ist, kann man nervös sein. Aber an und für sich kann ich dem Herrn Abg. Bebel nur die Versicherung geben: der liebe Gott hat mich mit einem gut Theil Nerven ausgerüstet, die Nerven haben mich noch nicht verlassen, die Nerven werden mich auch nicht verlassen, und ich bin auch bereit, dem Herrn Abg. Bebel zu

antworten. Wenn der Herr Abgeordnete vorher zurief: wollen Sie ein Tänzchen mit mir wagen“, so antworte ich ihm: ich bin bereit! Wenn der Zeithunkt kommt, Sie werden mich sicher auf der Stelle finden, wo ich Ihnen Rede und Antwort stehe, vielleicht aber auch Sie mir! Und da möchte ich immer nur darauf hinweisen: Sie berufen sich immer auf das große Sittlichkeitsmoment, und tretzdem, Herr Abg. Bebel, sprechen

nichl der Meinung des Herin Stoecker, daß ein Beamter nur daan von semem Dostin entfeint werden solle, wenn er für die Sojialeemotratie agitiert. Wr eine jonaldemekrati che Gesinnung dokamentiert, sezt sich ö Widerspruch mit dem Diensteid und int as der Ve waltung zu entfernen. l l

werden, wenn berbaupt nech Ordnun, im Deutschen Reiche erhalten werden soll. Das blode Agi ieren wird selten vorkommen. Der Staat hat aber ra Nechl uad die Pfl cht, den Beamtenna d von der Sozialdem okratie darchaus u sãubern, wo er es rend vermag. Ist denn das Ver ahren gegen die Beamten watlich so auß ero dentlich hart? Würde der sozial⸗ demokratijch⸗ Zakan ttestaat verwirklicht, und es bildete sich ein Verein mit monarchischer G sinnung, der die leitenden Führer der Poftver⸗

An diesem Grundsatz muß sestgebalten

Sie heute nur von einem Lokal, in dem das Begegnen passiert sei, während es sich, wie der Herr Arg. Singer, hinter Ihnen, der gestern das Erkenntniß der Diswziplinarkammer be—⸗ züglich dieses Beamten in der Hand batte, angeführt bat, nicht um ein einfaches Lokal“, sondern um Vergehen und Verstöße im Wahllokal handelte. Dadurch bekommt die Sache ein ganz anderes Bild, als das ist, was Sie uns vorgeführt haben. (Zurufe bei den Sozialdemokraten) Es handelt sich um ein Wahl lokal. (Wiederholte Zurufe bei den Sozialdemoltaten)

handelte es sich nicht. . Dem Herrn Abg. Lieber gebe ich vollständig Recht: ich habe keine Gesinnungsriecherei getrieben und werde si⸗ nicht treiben; ich bin ein Mann und erwarte, daß mir auch in der Verwaltung Männer gegen. übertreten. Nun kommt der Herr Abg. Bebel jedesmal daher und sagt: wag ihr thut, ist Wasser auf unsere Müble! Ich glaube nicht daran; denn, wenn ich bequemes fremdes Wasser bekommen und dafür eigene Arbeit sparen kann, dann sage ich es gewöhnlich nicht gern. Würde man mit ruhiger, fester, aber, meine Herren, auch unbedingt gerechter Hand Ihnen gegenüber aufgetreten, Sie säßen lange nicht mehr da. Die Erfolge, die Sie haben, liegen eben nur in den Fehlern der bürgerlichen Gesellschaft, die manchmal vor IhUnen erschreckt zurückgewichen ist. An dem Tage, wo die bürgerliche Gesell⸗ schaft sich wieder auf sich besinnt, wo man Ihnen gerecht und offen gegenübertritt, an dem Tage werden jwar noch Vertreter aus Ihren Kreisen und ich balte das auch für berechtigt erscheinen, aber die werden sich nicht wieder rühmen können: es kann der Tag des Sieges nicht mehr fern sein! Nein, meine Herren, der Tag ist nicht fern, wo Sie wieder wie jede andere Partei im als eine solche angesehen werden, die mit zum Wohle des Vaterlandes arbeitet, oder aber von den übrigen als eine quantitè négligeable zurückgewiesen wird. (dachen und Zurufe bei den Sozial ; demekraten.) Weiter hat der Herr Abg. Bebel immer versucht, mir unterzu— schieben, ich ginge gegen ein von den Unterbeamten geschaffenes Organ vor, es wäre ein Verbandsorgan. Ich habe gestern darauf hin⸗ gewiesen, daß in den Generalversammlungen der Beamten der Beschluß gefaßt ist, es solle nicht ihr Verbandsorgan sein. Das Blatt ist nur der Ausfluß der Meinung eines entlassenen Poft⸗ Assistenten. (qurufe bei den Sozialdemokraten So liegen die Ver⸗ hältnisse, und ich möchte dem Herrn Abg. Bebel empfehlen, die Dinge so darzustellen, wie sie thatsächlich sind, und wie ich sie offen und ehrlich dem Reichstage bereits bei der gestrigen Verhandlung dargelegt habe. Es ist so häufig und mit Recht gesagt worden: die Poft ist des Publi⸗ kums wegen da. Gewiß, meine Herren, aber die gesammte Beamtenschaft kommt durch diese Art der Aufreizung sehr leicht in die Lage, zu sagen: der Staat ist der Beamten wegen da. Das ist doch nicht die richtige Position. Der Staat ist die Summe aller Parteien und aller Einwohner, und wir haben alle daran theil, die Beamten zu bejahlen. Infolge dessen dürfen wir uns auch nicht zu Wächtern und Hütern nur einer bestimmten Klasse von Beamten aufspielen und dadurch ich kann es nicht anders be—⸗ zeichnen Stimmenhascherei für die Wahlen treiben. Ich kann offen sagen: ginge es nach meinem ehrlichen Herzen, würden die Post⸗ beamten nicht an den Wahlen theilnehmen. Darin stimme ich voll⸗ ständig mit dem Herrn Abg. Dr. Lieber überein. Ich weiß, daß man auf irgend einen gebeimen Erlaß bei den Wahlen von mir gewartet hat, aber ich habe die Hoff nung getäuscht, weil ich auf dem ehrlichen legalen Standpunkt stehe, daß ich mich nicht in die Politik zu mischen habe. Ich habe das ja auch in dem Falle mit dem Grafen Pourtalos in Insterburg bewiesen, daß ich bier nicht scheide zwischen Freund und Feind, sondetrn immer den Standpunkt vertreten habe: die Postver⸗ waltung hat mit der Politik nichts zu thun. Auf der andern Seite aber, davon können Sie überzeugt sein, wenn ich einen Beamten als un— geeignet für den Kaiserlichen Dienst ansehe und ihn, so schwer es mir auch gefallen ist, entlassen habe, so trete ich auch mit meiner Person voll dafür ein. (Beifall rechte.) Abg. von Staudy (d. kons): Es ist mir unerfindlich, wie Herr Müller dazu kommen kann, von einem Herunter wirt hschafte der Postoerwaltung durch den gegenwartigen Staatssekretär In sprechen. Der Staatssekrelär kann mit hoher Befriedigung auf die Bebatte zuräckosscken. Die Verwaltung ist eine das Vaterland be— friedigende; es sind nur unwesentliche Dinge geltend gemacht worden. Ich habe einen Theil der Ausführungen des Herrn Lie ber garnicht verstanden und daher nicht für Von Sesinnungeriecherei will der Staatssekretär nichts 63 Ich hoffe auch, daß Gefinnungsriecherei und schwarze Listen für immer verschwunden sein mögen. Die Bethätigung einer soztal⸗ demotranischen Gesinnung hat der Staatssekretär als mit einem Amte nicht vereinbar bejeichnet, und darüber habe ich mich mit Herrn Licher, wenn er anderer Meinung ist, niemals verständigen können. Die vorgefübrten Disziplinarfälle sind von sozialdemokigtischer und freisinniger Seite fehr aufgebauscht worden, in einer Weise, die man nicht versteben könnte, wenn nicht ein politischer Hintergrund vor handen wäre. Die Oppositiön wollte damit Stimmenfang freiben. (Präsident Giaf von Ballestrem; Sie meinen doch nicht. Mitglieder dieses Hauses?) Gott bewahre! Wie können sich die Sozialdemokraten mit den ersten Chriften vergleichen? Das Christenthum beruht auf Wahrheit. Be⸗ ruht die Sozialdemokratie auf Wahrbeit? (Zuruf links: Jah Lesen Sie die Flugblätter, die auf dem Lande verheilt sind und voller Heuchelei die Ziele der Sozialdemokratie verheimlichen. Aeußhßern Sie sich doch einmal über den Zukunftsftaat. Den 2. Krieg mit den Sozialdemokraten füichten wir nicht. Wir sind ihre unver söhnlichen Gegner; für uns hat niemals ein Sozialdemolrat geftimmt. Die Energie in den Worten des Grafen Klinckowstroem war Jonen unbequem. Diese Energie lebt, in uns allen, und wäte man in der Regierung ebenso energisch gewesen, s wäre mit den Sozialdemoktaten niemals soweit , Die Reso⸗ lution Bassermann halten wir nicht mehr für erforderlich, aber wit haben kein Bedenken, ihr zujuftimmen. Dagegen müssen wir uns aus sachlichen und formellen Gründen gegen die Anträge der Abg. Müller erkiäten. Von einer Verletzung des Brlefgeheimnifses ist gar keine Rede; dafür ist nicht das Geringste vorgebracht worden. Wenn die Tendenzen des Poftboten! Unzufriedenheit in die Kreise der Unterbeamten verbreiten, dann wird dadurch der Betrieb der Postverwaltung bedroht, und der Leiter der. selben befindet sich im Recht, wenn er das Lesen eines solchen Blatt⸗ verbietet. Das sollte Herr Müller der Gerechtigkeit wegen auch an⸗ erlennen. Formell ist der Antrag auch unzulä sig, denn er überschreitet die Befugnisse des Reichstages. Der Reichskanzler wird über die einzelnen Fälle uns jedenfalls Auskunft geben; aber in die Einzel heiten . a a m ,,,, Postoerwaltung einzugreifen, dazu at der Reichstag kein Recht. . ;

z Abg. Dr. 1 Ich balte die Bethätigung einer politischen Gesinnung bei einem Beamten nicht für unzulässig. Als der Bürger. meister von Bonn gefragt wurde, ob er die Maigesrtze ausführen wolle, antwortete er: Ja. Man fragte weiter, ob er das gern thäte, darauf bethätigte er seine ultramontane Gesinnung und sagte; Ne Er wurte nicht bestätigt. Ungerechtigkeit.

Damit schließt die Diskussion. . 6

Das Gehalt des Staatssekreiärs wird bewilligt, ebenso die übrigen ,,. 3. das Reichs⸗Postamt und die Ausgaben für die Ober⸗Postdirektionen.

Um Fis Uhr wird die weitere Berathung bis Montag

berechtigt gehalten.

Ganz gewiß, aber der Herr Abg. Bebel sagte, die Leute seien ganz

1 Uhr vertagt.

uufallig in ein Lakal gekommen, wo Sozialdemokraten waren. Darum

Lande

Ich verstehe nun nicht, wie die

Bas halten wir für eine himmelschreiende

nichtg andereg bewirkt haben, als daß

die Pfuscher unter ben Aerjten

1

zum Deutschen Reichs-

n 32.

Preußzischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 12. Sitzung vom 4 Februar 1899.

Auf der Tagesordnung steht die erste Berathung des , , . betreffend die ärztlichen Ehren⸗ gerichte, das Umlagerecht und dit Kassen der Aerztekam mern.

Abg. Dr. Virchow (fr. Volksp.): Die Regierung beruft sich für diese Vorlage gewissermaßen auf den consensus omnium. Das Volk hat aber viel weniger Interesse daran als die Aerzte; es handelt sich um ein Gesetz, welches wesentlich im Standesinteresse erlassen wird. Ich verkenne nicht, daß die Aerzte viel Grund haben, sich zu beklagen, und daß man ihnen wünschen kann, aus dem gegenwärtigen Zustande herauszukommen. Wenn man indessen dieses sehr sor fältig und weitläufig ausgearbeitete Gesetz ansiebt, so sollte man wirklich fast meinen, man hätte eine höchst gefährliche Klasse von Leuten vor sich, auf die mit aller Vorsicht gefahndet werden muß, die inan auf der anderen Seite auch mit allerlei Kautelen für ihre persõnliche Sicherheit versehen möchte. Aus den Motiven erfahren wir, daß im Lause von 10 Jahren im Ganzen 265 Fälle vorgekommen sind, die zum Einschreiten Veranlassung gegeben haben Auf die 12 Aerztekammern in Preußen kommen im Ganzen 26.5 Fälle auf das Jahr, und wenn Sie das nochmals durch 12 dividieren, dann bleiben 2 Fälle übrig, die auf die einzelnen Provinzen fallen würden. Diese Zablen an sich genügen nicht, um zu bestätigen, daß den Aerzten gegen⸗ über ein Gesetz gegeben werden mußte, welches sier in der Weise be—⸗ drobt, wie das gegenwärtig vorliegende. Ich würde das auch kaum anerkennen können, wenn beweiskräftigere Zahlen vorlägen, als in der gegenwärtigen Vorlage, die doch in der That eine Erniedrigung des äritlichen Standes im Ganzen bedeutet. Von den 265 Fällen sind 160 Fälle durch Ablehnung der betreffenden Kammern entschieden worden Es bleiben also in 10 Jahren in 12 verschiedenen Kammern 105 Fälle übrig. Die Regierung bat mit keinen! Wort angedeutet was eigentlich der nächste Grund für das Gesetz war. Die erste Aufgabe der Kommission müßte sein, die Regierung um ihr weiteres Material zu bitten, um sich ein Urtheil darüber zu bilden. Die Definition, die in dem 5 14 über die ‚Berufepflichten⸗ des Arztes gegeben wird, genügt nicht. Die Regierung hat denn auch selbst in den Motiven gesagt: „Die Fassung des § 14 soll zwar die Möglichkeit offen lassen, einen Arzt, der sich durch sein außerberuf⸗ liches Verhalten der Achtung und des Vertrauens unwürdig macht, welche der ärztliche Beruf erfordert., zur ehrengerichtlichen Bestrafung zu ziehen; sie soll aber zugleich durch die ausdrückliche Be⸗ grenzung, welche dem Begriffe der ärztlichen Standesehre ge⸗ gegeben ist, die Annahme beseitigen, daß die ehrengerichtliche Bestrafung eines Arztes wegen seiner politischen, wissenschaftlichen oder religläsen Ansichten oder Handlungen angängig sei. Da⸗ gegen wird dann gesagt: „Die Feustellung des Begriffs der ärztlichen Standesehre und der beruflichen Pflichten des Arztes durch eine ins Einzelne gehende Standesordnung erscheint gegenwärtig nicht aus— führbar. Dieser Zwischensatz verdunkelt doch ein wenig den Sinn der früheren Warte. Wenn man die Wahrheit herausschalt, fo heißt es doch nur: „Die Feststellung des Begriffs der ärzilichen Standes ehre und der beruflichen Pflichten des Arjtes ist nicht ausführbar.“ ; Regierung der Meinung sein kann, daß ein Gericht obne solche Defiaition in der Lage sein würde, Recht zu sprechen. Es wird sagen; Ich kann nicht sagen, was damit ausgedrückt ist. Wenn man nicht Finger⸗ jeige giebt, dann überläßt man das alles der Willkür. Nun wird man aber sagen: Das ist ja ein Gericht aus Standesgenossen! Ich will das nicht ganz verkennen. Wir haben erfahren, daß unter 7 Richtern min destens 4 wirkliche Aerzte sein sollen, aber immer noch dre, die keine Standesgenessen sind. Diese drei, die durch die Staats- regierung getragen werden, können schon stark ins Gewicht fallen; einer davon ist boher Beamter, die beiten anderen werden spejiell für den Zweck von der Regierung ernannt. Daß ein solches Gericht eine etwas schwächliche Konstitution hat, liegt auf der Hand. Wenn von den 4 Standesgenossen auch nur einer wackelig wird, dann ist die Sache schon verloren; dann wird jedesmal im Sinne der Regierung entschieden. Der Ober ⸗Präsident soll be— rechtigt sein, sich entweder persönlich oder durch einen Vertreter an der Verhandlung zu betheiligen. Die ganze wirkliche Verhandlung stebt ganz wesentlich unter dem Druck des Ober ⸗Präsidenten oder seines Vertreters. Ein solches Gericht wird nicht dazu beitragen, die Sicherheit zu mehren, die man von ihm erwartet. Die höchsten Gerichtshöfe haben in Bejug auf die Frage, wer eigentlich Arzt ist, die widersprechendsten Ürtheile gefällt. Die Definition, die nach dem Neschsgesetz gegeben werden muß, daß sich niemand Arzt nennen darf, der nicht ordnungsmäßig die Prüfung gemacht bat und nicht ordnungä mäßig approbiert ist, ist auf die mannigfachste Weise abgeschwãcht worden, sodaß an einzelnen Stellen die Anklage gegen Pfuscher zurückgewiesen worden ist. Für die Aerzte ist dieses Nachgeben um so empfindlicher, als historisch der gegenwärtige Zustand wesentlich auf Anregungen entstanden ist, welche aus dem Kreise der Aerzte selbst hervorgegangen sind, speziell aus dem Kreise der blestgen Medizinischen Gesellschaft. Die alte preußische Medizinal⸗ verfassung legte dem Arzt eine Reihe von Pflichten auf, welche sehr unbequem waren. Er war verpflichtet, allen Requisitionen bis zum Aeußersten zu entsprechen, und andererseits war er durch die allgemeinen Bestimmungen über das Honorarwesen so sehr be⸗ schränkt, daß er selbst bei großen Opfern nur ein sehr geringes Ent gelt bekommen konnte. Diese beiden Mängel wünschte die hiesige Medizinische Gesellschaft zunächst beseitigt ju sehen und richtete eine Petition an den ö Der Reichstag ist in voller Würdigung der Gründe auf die Sache eingegangen. Man hat alle die verschiedenen Beschränkungen, die dem Arzte auferlegt waren, zu mildern versucht. Auf der anderen Seite hat man die Bestimmungen, welche in Bezug auf den Schutz der ärzt⸗ lichen Praxis bestanden, aufgehoben, sodaß eine gewisse Frei—⸗ beit im Pfuschereiwesen entstanden ist. Sie können nicht er— staunt sein, wenn man die Schuld für diese Veränderungen sowohl bei den Aerzten, wie auch im Publikum auf die Reichsgesetzgebung geworfen hat. Ich glaube aber nicht, daß eine wesentliche Aenderung möglich ist. Es hat mich gefreut, daß in den neuesten Verhand— Ungen der Aerztekammer für die Provinz Brandenburg und den Stadtkreis Herti offen anerkannt worden ist, daß, wie man sich auch drehen und wenden möge, eine bessere Fassung, als gegenwärtig im Reichsgesetz besteht, nicht gefunden werden konnte. Es ist eine ganze Reike von anderen Anträgen gestellt und erörtert worden. Ich möchte daher auch glauben, daß dieseg Haus nicht etwa von vornherein mit ungünstigen Urtheilen vor⸗ geht und denkt, man müsse durch irgend welche Kunst mittel, Gewalt. maßregeln mit einem Mal die Pfuscherei unterdrücken. Wit Aelteren, e wir noch unter der Herrschaft der alten Pfuschereigesetze gelebt haben, wissen, daß diese Gesetze, so guten Willen sie auch verriethen, sie die Aufmertsamkeit auf Hrisse Pfuscher hinlenkten und das Publikum in größeren Strömen nen zuführten. Der verurtheilte Pfuscher hatte die Auesicht,

er reichere Praxis bekam, und das Publikum wurde

3weite Beilage

Berlin, Montag, den 6. Februar

Aerzte dafür haben können, muß in ihren eigenen Assoziationen liegen, und zwar in Vereinen auf freier Grundlage, die unter ibrem eigenen Präͤsidenten stehen und sich nach ihren eigenen Gesetzen regieren. So ist es beispielsweise, wie ein mir eben zugegangener Brief besagt, in Nord-Amerika. Die Aerztekammer bezieht Strafgelder, die von den unglücklichen, durch die Ehrengerichte verurtheilten Personen eingezogen werden, und die auch in ganz ungebührlicher Höhe vorgeschrieben sind. Wegen leichter Vergehen kann jemand sofort mit einer Geldstrafe bis zu 3009) M belegt werden. Wenn diese Gelder nun nach F 50 für nothleidende Standesgenossen und deren Hinterbliebene verwandt werden, so ist das doch eine Form der Reliktenversorgung, die über das Maß dessen hinausgeht, was wir in den übrigen Gesetzen kennen geleint haben, und die nicht zu billigen ist. Ich habe wiederholt darauf bingewiesen, daß der Staat dem nothleidenden Aerztestand mehr beistehen müßte, als es jetzt der Fall ist. Bei allen Exidemien sterben Aerzte in ihrem Beruf, auf dem Felde der Ehre. Aber der Staat thut dann nichts dazu, den Hinterbliebenen zu helfen. Höchstens wird auf dem Gnadenwege etwas bewilligt, und diefe Bewilligungen sind nicht reich. Das Recht der Umlage, das den Aerzekammern zusteht, geht zu weit. Wenn die Festsetzung der Höhe des Beitrags der Ge. nehmigung des Ober . Präsidenten bedarf, so kann dieser auch einmal auf den Gedanken kommen, eine Erhöhung vorzuschreiben, denn nirgends ist ihm das verboten. Wenn Sie die Geschichte der Leiden durchfehen, welche die Aerste haben tragen müssen, namentlich durch die Judikatur des höchsten Gerichtehofs, fo werden Sie finden, daß alles möglich ist. Die preußische Regierung hat es sich nicht nehmen lassen, von allen deutschen Staaten die höchste Strafe gegen Aerzte vorzuschlagen. Ein armer Schlucker unter den Aerzten, der, in der Noth gezwungen, einen faus pas thut, kann durch eine so hohe Strafe geradezu ruiniert werden. Umgekebrt wird jemand, der ein hartgesottener Sünder ist, durch seine Pfuscherei auch so viel verdienen können, daß er die Geldstrafe ertragen kann. ch finde, daß man in der Be— urtbeilung, ob ein Arzt sich gegen die Würde seines Standes ver⸗ gangen hat oder nicht, dem Ehrengerichtshof eine zu große Voll— macht giebt. Ein solches Vorgehen muß ich absolut als eine Erniedrigung des ärztlichen Standes beklagen. Die Ebrenhaftigkeit des Standes wird dadurch am besten ge— wahrt werden, daß Sie die freie Assoziation begünstigen, und wird sich um so mehr befestigen, je mehr Sie die freie Diskussion in der Diffentlich eit gestatten. Die Oeffentlichkeit korrigiert unendlich viel. Ich kann hier vollgültiges Zeugniß ablegen. Wir haben in Berlin den größten medizinischen Verein, der einige Tausend Mitglieder hat. Wir haben Versammlungen, in welche 1820 Personen geben, sodaß der Saal sie kaum alle fassen kann. Wir haben eine große Rede⸗ und schriftstellerische Thätigkeit und Standesvereine, die auch eine große Aufmerksamkeit auf die Ehre der einzelnen Perfonen legen. Von den Aufnahmekommissionen, unserer Vereine wird jeder einzelne Arzt auf seine Ehrenhaftigkeit geprüft, alle Momente werden erwegen, welche nöthig sind, um die ÜUrantastbarkeit des Mannes festzustellen. Es ist ganz selten, daß das Urtheil der Aufnahmekommission durch spätere Thatsachen derschoben witd. Ueber Geldstrafen hinaus giebt es eigentlich keine Strafe mebr. Wird eine harte Geldstrafe auf erlegt, so weiß man, was man von dem Mann zu halten hat. Ich perm sse auch ein Charakteristikum für die Grundlagen, nach denen die Vergehen gegen die Standesehre beurtheilt werden sollen. Ich fürchte, diefe Ehrengerichtshöfe werden kaum unaafechtbare Urtheile geben, wenn ich auch nicht ihre Gutgläubigkeit bezweifeln will. Werden die angeregten Besserungen in dem Gesetz nicht vorgenommen, so muß ich mich gegen den Entwurf erklaren. Ich bin jedoch gern bereit, an der Besserung mitjuwirken.

Minister der geistlichen, Unterrichts⸗ Angelegenheiten D. Dr. Bofse:

Meine Herren! Trotz meines nahen Platzes ist es mir doch nicht ganz gelungen, den Herrn Abg. Dr. Virchow vollständig zu ver— stehen. Aber soviel habe ich doch aus seinen Ausführungen entnehmen können, daß er gegen die Vorlage eingenommen ist, daß seine Ge⸗ danken und seine Ideale vielmehr nach der Seite der vollständig freien Assoliation der Aerzte gehen, daß er auch gegen die Organisation der Aerztekammer, die berelts bei uns gesetzlich auf Grund Königlicher Verordnung besteht, schwere Bedenken hat, die namentlich auch aus der Einwirkung der Staatsgewalt, des Ober⸗ Präsidenten, entspringen, und daß er in dem ganzen Entwurf doch eine gewisse politische Tendenz erblickl. Dieser Auffassung möchte ich gern entgegentreten. Meine Herren, Gepräge, namentlich gar kein garnicht daran gedacht, uns die Aerzte aneignen zu wollen. Wenn man diesen Gesetzentwurf vom politischen Gesichtspunkt aus betrachtet, meine Herren, dann könnten wir ihm kühl bis ans Herz hinan gegenüberstehen. Wir haben keine Interessen daran gehabt, sondern die Aerzte sind es ge⸗ wesen, die uns aufs dringendste gebeten haben, doch endlich diesen Weg zu beschreiten. Meine Herren, ich bin fest überzeugt und habe es vielfach erfahren, daß wir ja auch noch wichtigere Aufgaben haben. Aber wenn ein ehrenhafter freier Berufsstand in seiner großen Mehrbeit das Bedürfniß empfindet, sich vor dem Eindringen unehrenhafter Elemente za schützen und seine Gemeinschaft rein zu halten nach Kräften, sowelt das unter menschlichen und irdischen Verhältnissen möglich ist, so er⸗ scheint mir das als ein so gesunder Gedanke ehrenhafter Gesinnung und korporativen Gemeinschaftssinnes, daß schon deshalb auch die Staatsgewalt allen Grund hat, wenigstens ihre Hand zu bieten, um das zu erreichen. Daß bei einer solchen staatlichen Ordnung Rück⸗ sichten auf die Staatsgewalt nicht völlig aus dem Gesetzentwurf weg⸗ bleiben konnten, ergiebt sich schon daraus, daß die Aerste ja natürlich einen staatlichen Zwang zut Erreichung gewisser Ziele, die hier er⸗ teicht werden sollen, gebrauchen.

So erklärt sich das Zuftandekommen des Gesetzentwurfs. Der⸗ selbe hat eine ganze Reihe von Vorstadien durchgemacht, ehe er die Gestalt gewonnen hat, die er jetzt erhalten hat. Das kann ich aber sagen: wir sind von vornherein davon ausgegangen, ihn beruhen zu lassen auf dem Grundgedanken freier Selbstbestimmung der Aerzte, einer freien und staatlicherseits unbeeinflußten Selbst⸗ verwaltung der Berufsgenossen. Wer den Entwurf unbefangen liest, wird mir auch zugeben müssen, daß der Gedanke, daß wir bier eine staatliche Beeinflussung versuchten, absolut ausgeschlossen ist. Der Abg. Virchow hat zwar gesagt: Ja, man sieht doch, daß das kein judicium parium ist, daß namentlich der Ehrengerichtshof, wie er in dem Entwurfe vorgesehen wird, kein Gericht der Berufsgenossen ist. Denn da seien ja nur vier Aerzte, die frei gewählt sind, und drei, die nicht

und Medizinal⸗

der Entwurf hat absolut kein politisches parteipolitisches. Wir haben irgend eine Gewalt über

nicht abgeschreckt. Diefes Gesetz richtet wissermaßen nur gegen feißs 2 . n, 96 9

nzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗Anzeiger.

1IIS9G.

reines judicium parium , und kein Gerichtshof von bloßen Berufsgenossen. Ja, meine Herren, so steht aber die Sache gar nicht, sondern in dem Ehrengerichtshofe sind außer den vier von den Aerztekammern ge⸗ wählten Aerzten auch noch zwei Aerzte, die aktiv und passiv die Wähl⸗ barkeit haben müssen, und die sollen vom König ernannt werden. Die Majorität ist also ganz unbestritten und frei bei den Aerzten. Wie da eine Beeinflussung gefunden werden kann, ist mir unver⸗ ständlich; daß die staatliche Autorität dabei auch zum Ausdruck kommen muß, ist selbstverständlich, ist auch in keiner einzigen Aerztekam mer beanstandet.

Wenn wirklich die Dinge so lägen, wie der Herr Abg. Dr. Virchow anzunehmen scheint, so wäre es ganz undenkbar, daß zehn Aerzte⸗ kammern sich mit einer ganz überwiegenden Majorität dringend für den Entwurf, wie er ihnen jetzt vorgelegt ist, ausgesprochen haben. Die beiden anderen Aerztekammern, die sich nicht dafür ausgesprochen haben, haben mit einer ganz winzigen Majorität diesen ablehnenden Beschluß gefaßt und haben eine so starke Minorität für den Entwurf aufzuweisen gehabt, daß, wenn man die Minori⸗ täten dieser beiden ablehnenden Aerztekammern zusammen⸗ faßt und mit den anderen Aerztekammern vereinigt, man unbedingt sagen kann, daß unn aller preußischen Aerzte eifrig für die Annahme und das Zustandekom: nen des Entwurfs in seiner jetzigen Gestalt ein⸗ getreten sind. Das ist das einzige Moment, das für uns entscheidend gewesen ist. Wenn die Aerzte den Entwurf nicht wollen, wir können auch ohne ihn existieren; wenn sie ihn aber wollen, so scheint es mir ein so richtiger und so gesunder Gedanke zu sein, daß unmöglich die Staats- gewalt erklären konnte: ich will mit dem Gesetz nichts zu thun haben.

Nun hat der Herr Abg. Dr. Virchow namentlich zuletzt hervor⸗

gehoben, es wären doch auch manche Mißgriffe in den Vorschlägen, die der Entwurf macht, enthalten, so z. B. der, daß die Ehrengerichte auf Geld⸗ strafe bis 3000 M erkennen sollten. Ja, wir haben das einfach der Rechts- anwaltsordnung nachgebildet, die uns überhaupt hierbei vorgeschwebt hat. Die Rechtsanwalte haben die Ehrengerichtsbarkeit, und sie wirkt nach der allgemeinen Ueberzeugung geradezu ausgezeichnet. Das ist ein Grund, weshalb auch viele Aerzte dazu gekommen sind, daß sie für ihren Beruf eine analoge Justitutlon gewünscht haben. Für uns ist es ebenfalls ein Grund gewesen, diese Bestrebungen zu fördern und uns ihnen nicht ablehnend gegenüberzustellen. Wenn die 3000 Mn für die Aerzte zu hoch sind, setzen Sie sie auf 2000, 1500, auf 1000 herab, uns ist das völlig gleich; das können Ste machen, wie Sie wollen. Wir sind da nur den Vorschlägen der Aerzte gefolgt; übrigens mache ich darauf auf— merksam: wie wird wohl ein Gericht aus Berufsgenossen in die Lage kommen, einen Arzt, der nicht in sehr glänzender Lage ist, von vornherein mit 3000 6 zu bestrafen, wenn es in der Lage ist, mit einer Mark anfangen zu können? Ehe solche Ungeheuerlichkeiten eintreten, müßte man ja das Zutrauen verlieren, daß die Leute, um deren Interesse es sich hier bandelt, die Sache doch auch am besten ver⸗ stehen und machen werden. Die Sache fordert volles Vertrauen zum ärztlichen Stande. Deshalb kann ich diese allgemeinen Ein⸗ wendungen des Herrn Dr. Virchow nicht für begründet halten; im Gegentheil, ich habe die Empfindung gehabt, hier ist ein gesundes Streben der Aerzte. Diesem gesunden Streben wollen wir die Hand nicht versagen, und so ist der Entwurf entstanden. Ich kann Ihnen nur empfehlen, ihn gründlich zu prüfen. Wir sind bereit, in allen Einzelheiten keine Schwierig⸗ keiten zu machen, sobald wir uns überzeugen, daß die Aerzte selbft etwa noch Aenderungen wollen, oder daß Aenderungen, die hier vor⸗ geschlagen werden, den ärztlichen Interessen entsprechen, in Gottes Namen, mag da an Einzelheiten geändert werden; wir haben kein Interesse, uns dem entgegenzusetzen. Wenn aber der Entwurf in der wesentlichen Gestalt, wie er jetzt vorgelegt ist, angenommen wird, so haben wir dem ärztlichen Stande davon bin ich überzeugt einen großen Dienst erwiesen. (Bravo!) Abg. Dietrich (kons.); Die Ausführungen des Abg. Virchow, dessen Autorität ich nicht bestreite, haben mich nicht überzeugt. Die Vertretung der Standesgenossen bei der Besetzung der Ehrengerichte ist genügend garantiert. Gegen die Zuziehung eines Juristen hatten wir allerdings Anfangs Bedenken, sind aber zu der Ueberzeugung gekommen, daß diese Bestimmung auch manche sachlichen und formellen Vortheile bat. Doch läßt sich darüber reden. Die Befürchtung, daß der Ober⸗ Präsident irgendeinen unheilvollen Einflaß ausüben könnte, ist unbe⸗ gründet. Herr Virchow verlangt eine genaue Definition des Begriffs der „Standespflicht“. Dieselbe Bestimmung besteht aber auch für die Rechtsanwaltskammern, ohne irgendwelche Schwierigkeiten der Beurtheilung der Berufsgenossen zu be⸗ reiten. Vielleicht könnte im Gesetzentwurf ausdrücklich bestimmt werden, daß wissenschaftliche, politische und religiöse Ansichten eines Arstes niemals Gegenstand eines ehrengerichtlichen Verfahrens werden können. Die Aerzte brauchen ein solches Gesetz nicht nur im Interesse ihrer Standesehre, sondern auch in ibrem Kampfe um die Existenz gegen unlautere Elemente. Ueber die Höhe der Strafe läßt sich reden. Die Ausschließung aus dem Aerztestande, also die schwerste Strafe, ist durch Reichsgesetz ausgeschlossen. Daß dieser Entwurf auch eine soziale Fürsorge für die Aerzte anbahnt, ist mit Freuden zu begrüßen. Ich beantrage namens meiner Freunde, die Vorlage einer Kommission von 14 Mitgliedern zu überweisen.

Abg. Dr. Langerhans frs. Vp): Ohne eine durchgreifende Medizinalreform ist ein solches kleines Gesetz völlig wirkungslos, ja es ist unnütz und schädlich. Wenn die Aerzte wirklich ihre Pflicht verletzen, so giebt es Strafbestimmungen genug gegen sie, es bedarf eines solchen Gesetzes nicht. Die Entziehung der ärztlichen Praxis ist ohnehin durch die Gewerbeordnung unmöglich gemacht. Ueberhaupt wäre es richtiger gewesen, die Regelung dieser ganzen Materie der Reichsgesetzgebung zu überlafsen, wie es mit der Bekämpfung der Viehseuchen ꝛc. geschehen ist. Die Aerztekammern beruhen überhaupt nicht auf Gesetz, sendern auf Verordnung. Ist denn ein' solches Gesetz gegen einen so ehrenhaften Stand nothwendig? Es wird zur Folge haben, daß eine Menge von Denunziationen von Privatpersonen gegen Aerjte erhoben werden, die mit ihnen nicht zufrieden sind. Eine besondere Standesehre für die Aerzte, die besonders geschützt werden müßte, giebt es gar nicht. Wozu also einen Ausnahmezustand für die Aerzte schaffen? Von den Aerztekammern haben sich zehn nur mit geringer Majorität für das Gesetz erklärt. Eine hat sich gegen dasselbe aut⸗

frei gewählt, sondern ernannt, darunter auch ein Jurist, folglich sei das kein

e, weil die beamteten Aerzte dem Ghrengericht nicht unter- iegen sollen. Und wen will man mit dem Gefetz eigentlich treffen?

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