1899 / 37 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 11 Feb 1899 18:00:01 GMT) scan diff

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handlungen und das bin ich auch beauftragt, hier zu erklären scheint mir hervorzugehen, daß man schließlich da eine negative Stellung nehmen muß. (Abg. Szmula: Na!)

Meine Herren, das Staats. Ministerium wünscht aber, um sich vollstãndig von dem Grade und der Verbreitung der Noth in den ver⸗ schiedenen Bezirken zu überzeugen, in dieser Beziehung noch genauere Er⸗ mittlungen einziehen zu lassen. Es könnte ja sein, daß man für einzelne Bezirke, namentlich in der Nähe der Grenzen, einige Er⸗ leichterungen in dieser Beziehung wenigstens versuchsweise eintreten ließe. Daher sollen nach dieser Richtung noch nähere Ermittelungen stattfinden.

Man hat früher wohl vorgeschlagen, an den Grenzen einen festen Gürtel zu ziehen etwa von zwei Meilen und in demselben solche Personen zuzulassen. Dieser Vorschlag ist gegenwärtig aber von der Staatsregierung als ungerecht und auch in sich unhaltbar befunden, und man wird darauf nicht zurückkommen. Man wird bei der Frage auch erwägen müssen, für welche Provinzen, ob nur für einzelne öftliche Provinzen oder für welche anderen Provinzen namentlich auch im mittleren Theil von Preußen und selbst im Westen; denn, meine Herren, diese Noth an einheimischen Arbeitern ist überall, ich gebe jedoch zu: im Osten am stärksten, und zwar auch deswegen, weil die Land⸗ wirthschaft im Osten zwar die Nachtheile des Abziehens der ländlichen Arbeiter und deren Verwandlung in Industriearbeiter zu ertragen hat, aber nicht alle die Vortheile von der unmittelbaren Nähe der In⸗ dustrie (sehr richtig! rechts und im Zentrum), welche die westliche Landwirthschaft genießt. Uebrigens wird im Westen in ganz ähnlicher Weise über Mangel an Arbeitern geklagt als im Osten. Noch vor kurzem sagte mir ein westfälischer Landwirth: am schlimmsten sind jetzt bei uns die Frauen auf den Bauernhöfen dran (sehr richtig), sie müssen ihre mütterlichen Pflichten erfüllen, sie en die allgemeinen Pflichten einer Hausfrau erfüllen und zuglei re eigene Magd sein. (Sehr richtig! rechts und im Zentrum.) Hier ist ein Vorschlag gemacht, der von dem Gedanken ausgeht: da, wo nicht eine gemischtsprachige Bevölkerung existiert, also die Bevölkerung rein deutsch ist, ist die Sache am ungefährlichsten und das kann man ja auch durchaus anerkennen.

Meine Herren, wenn ich nun übergehe zu einigen kurzen Aeuße⸗ rungen über die Vorschläge der Herren von der konservativen und der freikonservativen Partei, so will ich zuvörderst bemerken, daß der erste Wunsch, die Einführung der Konzessionspflicht für Gesindemakler, Arbeitsvermittler u. s. w., bereits erfüllt ist. Denn nach der der Be⸗ rathung des Bundesraths unterliegenden Vorlage an den Reichstag wegen Aenderung einiger Bestimmungen der Gewerbeordnung soll auf Antrag Preußens diese Konzessionspflicht eingeführt werden. (Sehr gut! rechts. Zuruf.) Der Bundesrath wird boffentlich in einigen Wochen die Frage erledigen; es ift kaum eine Frage

von Wochen. Natürlich haben wir das Interesse, sie zu be⸗

schleunigen, und sie wird jedenfalls in dieser Session im Reichstage noch zur Erledigung kommen. (Bravo! rechts.) Allerdings glaube ich mich zu erinnern, daß das Verbot des Betriebs dieser Gewerbe im Umherziehen noch nicht in die Vorlage aufgenommen ist; ich werde aber in Erwägung nehmen, ob man nicht in den Berathungen des Bundesraths auch dieser Frage näher treten soll. (Bravo! rechts.) Uebrigens würde ja Herr Abg. Gamp auch in der Lage sein, im

Reichstage selbst derartige Vorschläge zu machen.

Was die übrigen Geschäftsvorschriften, die diesen zukünftig konzessionierten Gesindemaklern zu ertheilen sind, betrifft, so haben wir das ja hier in der Hand. Wenn sie konzessionspflichtig sind, müssen sie sich auch den Konzessionsbedingungen, z. B. in Bezug auf die Buchführung und sonstige Geschäftsformen unterwerfen.

Ueber die Frage der Erschwerung oder der kriminellen Bestrafung des Kontraktbruches möchte ich mich hier nicht äußern, weil es eine rein subjektive Meinung sein würde, ich vom Staats. Ministerium keine Ermächtigung habe, und die ganze Frage vor die Reichs kompetenz gehört. Wie Preußen sich in dieser Beziehung stellen würde, darüber kann ich eben, wie gesagt, bei dem Mangel der Berathung dieser Frage im Staate⸗Ministerium mich nicht erklären. Ich will aber doch daran erinnern, daß, während in England keineswegs, was ich persõnlich auch für unmöglich halte, jeder Kontraktbruch kriminell be⸗ straft wird, doch allerdings die englische Gesetzgebung dazu über gegangen ist, den Bruch des Kontraktes in solchen einzelnen Fällen kriminell zu behandeln, wo der Kontraktbruch zugleich eine öffentlich allgemeine Kalamität hervorruft, beispielsweise bei Gasarbeitern. Es sind ja auch schon manche auf die Idee gekommen ich will das hier aber nur referierend sagen, meine eigene Meinung vorbehaltlich —, daß allerdings unter gewissen Umständen der Bruch des Vertrages während der Ernte eine öffentliche Kalamität werden kann. (Sehr richtig! rechts.)

Meine Herren, was die Schulzeit betrifft, so wird darüber der Herr Vertreter des Kultus. Ministeriums, der heute anwesend ist, sich näher äußern. Im großen Ganzen glaube ich doch, daß die Schul⸗ verwaltung, namentlich in den letzten Jahren, mehr und mehr dem Bedũrfniß an Sommerarbeit entgegengekommen ist. (Widerspruch rechts und im Zentrum. Abg. Sänger: Das wäre auch schlimm genug!)

Meine Herren, es ist das Beispiel von Schleswig⸗Holstein er⸗ wähnt worden. Ja, die schleswig ˖ holsteinsche Agrargesetzgebung aus dem vorigen Jahrhundert und Anfang dieses Jahrhunderts ist wobl eine der besten der damaligen Zeit. (Sehr richtig! rechts) Sie ist von sehr erleuchteten Männern, die damals entscheidenden Einfluß in Dänemark hatten, die dem holfteinschen Adel entstammten, durchgeführt und bat für das Land die segensreichften Wirkungen gehabt.

Nun ist die Frage aber, ob man diesem Beispiel folgen kann und die Schule obligatorisch machen bis jnm 16. Jahre, eine Frage, die wir aber jedenfalls gegenwärtig nicht lösen können; eine Einrichtung, die, wenn sie möglich wäre, die Wirkung hätte, die jungen Leute auf dem Lande länger festjuhalten, sie länger in der Schulzucht zu halten, und sie allmählich in die Landwirthschaft aus der Schule überzuführen. (Sehr richtig! rechts) Aber die Schwierigkeit liegt nicht bloß auf den Finanzgebiet: es würde das allerdings eine Sache von vielen Millionen sein, sondern auch auf anderen Gebieten. Ich gehe nicht näher darauf ein. Selbst die gewerblichen Fachschulen in den Städten, die hier und da obligatorisch werden, können diese Wirkung nicht haben, wie dieses holsteinsche System der Fort⸗ dauer deg regelmäßigen Volksschulbesuchs bis zum 16. Jahre. Außerdem würde die Konfirmation dann später stattfinden müssen, was auch seine Schwierigkeit hat. (Sehr richtig! rechts.)

Die Frähreife ist ein Uebelstand nach allen Richtungen in den

unteren Klassen nicht bloß, sondern auch in den höheren Klassen. (Sehr richtig! recht.) .

Damit identisch ist wohl die Frage der stetig zunehmenden Ver⸗ rohung der Minderjährigen; dagegen anzulämpfen, wird auch eine ge⸗ waltige Aufgabe sein, aber eine einzige Maßregel wird das nicht er⸗ reichen. Wir müssen die schon bewährten verschiedenen Maßregeln nach dieser Richtung hin möglichst kombinieren. (Sehr richtig! rechts.)

Endlich will der Antrag des Herrn Abg. Gamy die Armenpflege, die Wittwen⸗ und Waisenfürsorge auf den Staat übertragen; dagegen würde ich mich nun mit aller Entschiedenheit wenden (Heiterkeit), nicht deswegen, weil es ein neuer Griff auf den Staat ist und wir einer immer wachsenden Zentralisation dadurch noch viel näher ge⸗ führt würden, sondern auch aus dem Grunde, weil das im höchsten Grade unzweckmäßig für die Leute selber wäre, sie müssen in ihrer Heimath bleiben (sehr richtig! rechts), auf dem Lande mitarbeiten, so⸗ viel sie können; die Kinder müssen auf dem Lande erzogen werden, sie dürfen nicht in die Städte gebracht werden. Neuerdings haben sogar Versuche stattgefunden, 3. B. von der Stadt Frankfurt, ihre Waisen nach dem Osten zu bringen, sie dort auf den Ansiedelungsgütern erziehen zu lassen, wodurch den großen Städten im Westen eine be⸗ deutende Ersparniß erwachsen würde diese Versuche wären mir noch sympathischer, wenn man sie in großem Maßstabe ausführen könnte. Die Stadt Frankfurt bat sogar ihren alten Verpflegungssatz von 200 4 fort⸗ zahlen wollen, während im Osten der Verpflegungssatz vielleicht 100 beträgt, sodaß das Kind, wenn es aus der Schule kommt, noch ein kleines Kapital mit auf den Weg bekommen hätte.

Nun komme ich endlich zu den beiden Hauptpunkten nach meiner Anschauung und nach der Anschauung der Staatsregierung. Diesen Uebelständen gegenüber, die wir hier besprechen, und denen gegenüber wir im Ganzen, wenigstens was die Schnelligkeit der Abhilfe betrifft, ziemlich rathlos gegenüberstehen, halte ich die Vermehrung des kleinen

Fund Mittelbesitzes in den östlichen Provinzen für das Allerwichtigste

(lebhafte Zustimmung), wenn auch nicht von heute auf morgen wirkend. Wenn die Herren im Osten, die sich hier und da anfangen vor dieser Entwickelung zu fürchten, und namentlich der Rentengutsbildung nicht mehr so geneigt sind wie früher, und namentlich wie ihr früherer Führer Herr von Kleist⸗Retzow, mal nach dem Westen gehen und ein westliches Dorf sich ansehen wir wollen mal sagen in Braunschweig, so würden Sie finden, daß dort die kleinen Anbauer Beibauer, wie sie da heißen, die Kossäten doch immer für die größeren Bauern und die Güter überschüssige Arbeiter liefern (sehr richtig), daß die Sucht zur Auswanderung dort viel geringer ist, weil der junge Mensch in dem Dorfe, wo 10, 20 solche kleinen Besitzungen sind, immer die Hoffnung festhält, er kann sich einmal ein solch' kleines Gut erwerben oder erheirathen.

Meine Herren, daher ist ein solcher Mann geneigter, weniger in die Weite zu schweifen, sondern in seiner Heimath zu bleiben. So ein Dorf besteht aus diesen kleinen Stellen, wo die Wohnung die Hauptsache ist, Gartenland dazu einige Morgen. Dann kommen größere Anbauer, und dann kommen die Voll⸗ stellen, wo kein großes Gut ist, mit der vollen Hufe. Die letzteren brauchen fremde Arbeiter. Sie haben aber wenig Knechte, sondern in der Ernte helfen die kleinen Leute ihnen und haben dadurch für sich genügenden Nebenverdienst. (Zuruf. )

Nun, meine Herren, hier im Osten kann ja garnicht die Rede davon sein, den Zweck zu verfolgen, die großen Güter überhaupt auf⸗ zulösen. Einmal würde man das nicht erreichen und zweitens würde es ein großer Kulturrückschritt sein. (Sehr richtig! rechts) Die Gutsbesitzer, deren Vorfahren dieses Land dem Deutschthum gewonnen haben, sind nach meiner Ueberzeugung noch heute die nothwendigen Kulturträger in diesem Lande. (Sehr richtig! rechts) Alfo abgesehen von anderen Rücksichten staatlicher und gesellschaftlicher Natur; darauf will ich nicht weiter eingehen. Aber eine solche Gefahr liegt auch garnicht vor. Wir haben doch viele Gegenden im Osten, wo das Uebermaß des Groß⸗ grundbesitzes zweifellos besteht, wo es dringend nothwendig ist, neben dem Großgrundbesitz Mittel und Kleinbesitz herzustellen, welche nach meiner Meinung bei richtiger Behandlung und vernünftiger Art der Ansiedlung auch dem Großgrundbesitz nur nützlich sein können.

Nun sind wir auch hier durch die Einführung des Rentenprinzips und der Intervention des Staats mittels der Rentenbanken und der Bildung der Ansiedelungskommission mit vollem Erfolge vorgegangen und in Posen und Westpreußen floriert diese Kulturthätigkeit. Wir werden beispielsweise seitens der Ansiedelungskommission in diesem einen Jahre nahezu zwanzig Dörfer mit sehr wohlsituierten, zum Theil mit Kapital ausgerüsteten, von Westen und Süden bher— kommenden Ansiedlern besetzen. (Hört! hört! Da zeigt sich, daß die Scheu gegen den Osten doch nicht so start ist, wenn man die Sache nur richtig anfängt, und daß, Gott sei Dank, heutzutage noch in unserem Volk die größte Sehnsucht besteht, eine eigene freie Scholle zu besitzen. (Sehr richtig) Das halte ich für eine der wichtigsten Eigenschaften und nützlichsten und trostreichsten, möchte ich sagen, für unsere ganze ländliche Zukunft. Es wird nach meiner Meinung das ist aber nur eine ganz persönliche Ansicht von mir in Zukunft die Erwägung uns nahe treten, ob wir diese Art der Beförderung der Ansiedlungen unter Stärkung von Mittel⸗ und Kleinbesitz auf diese jetzigen beiden Provinzen beschränken sollen, ob es nicht rationell wäre, in dieser Beziehung auch andere Provinzen zu bedenken und die ganze Ansiedlungsthätigkeit dort nicht ausschließlich in private Hände gelangen ju lassen. Zuruf rechts.) Darüber habe ich nicht zu disponieren; aber ich bin allerdings der Meinung, die Frage wird nach und nach dringlicher. (Sehr richtig! rechts.) Auch verschiedene Ober⸗Präsidenten haben sich uns gegenüber ganz in diesem Sinne geäußert.

Alle solche Dinge aber kann man nicht überstürzen, das müssen wir uns klar machen; wir müssen geeignetes Ansiedelungsmaterial haben. Das kann man nicht in Massen heranziehen, wie man Rekruten in die Regimenter steckt, das kann nur nach und nach heranwachsen, und allerdings, wenn die Sache gelingt, wenn die Briefe aus Posen nach Westfalen, nach Hannover u. s. w. den Leuten immer mehr klar machen: wie es in den Ansiedelungsprovinzen geht! ähnlich wie das früher bei der Auswanderung nach Amerika der Fall war —, dann wird das vielleicht allmählich in immer schärferem Tempo vorwärts gehen. Andererseits denken wir doch, daß der preußische Staat, die preußische Landwirthschaft sich ewig erhalten wird, und daher können wir uns nicht mit bloßen momentanen Autz⸗ kunftsmitteln begnügen, wir müssen mit der ganzen langen Zukunft rechnen.

Das zweite Mittel, welches ich für sehr wesentlich halte, ist die Ver. beflerung der Lage der Landwirthschaft überhaupt. ( Sebr richtig i recht) Ich theile ganz die Meinung, daß, wenn es dem Arbeitgeber in Deutsch. land und namentlich auf dem Lande besser geht, er über mehr freie Mittel dieponiert, der Reinertrag seines Betrieb wäaͤchst dies von selbst eine wohlthätige Rückwirkung auf die Arbeiter haben wird. (Sebr richtig! rechts) Unter den schwierigen Verhältnissen hat die deutsche Landwirthschaft doch keinezwegs den Muth verloren. Wenn man der Sache nachgeht, so ist ja auch, wie alle Sachverständigen anerkennen, die Intelligenz, die Intensivität, die eigene Fürsorge des Besitzers für den Gang deg landwirthschaftlichen Betriebes in der letzten Zeit gewachsen. Ich

möchte aber noch einen Punkt hervorheben. In der Industrie be. kämpft man die Arbeiternoth dadurch, daß man Arbeit spart, daß

man Maschinen soviel als möglich an die Stelle der Handarbeit setzt. Diese Entwickelung beginnt ja in der Landwirthschaft; aber die Schwierigkeit der Lage erschwert diesen Prozeß, und das verstärkt auch die Leutenoth. Ich glaube, man könnte bei vorhandenen genügenden Mitteln und Verständniß allerdings durch Anwendung, wie das in Amerika doch in großem Stile geschieht, der Maschine an Stelle der Handarbeit noch sehr viele Arbeitskräfte ersparen. Wenn die Land⸗ wirthschaft fortfährt, die Produktionskosten möglichst zu ver—⸗ ringern, die wissenschaftlichen Errungenschaften der Landwirth⸗ schaft anzuwenden nach allen Richtungen, wenn sie zugleich in Zukunft einen stärkeren Schutz gegen das billiger pro— duzierende Ausland erhält (Bravo! rechts), dann wird daz Verhältniß zwischen Produktionskosten und den Preisen der Produke sich wieder bessern. Und das ist ja das, woran wir gegenwärtig in der Landwirthschaft kranken. Ihre Preise hängen wesentlich von der Konkurrenz des Auslandes ab, und die Höhe der Produktionskosten hängt von der kulturellen Entwickelung in Deutschland ab; das ist die Schwierigkeit, unter der wir gegenwärtig leiden. Ich meine, wenn wir alle diese Mittel schießlich ins Auge fassen, so kann doch auch die Landwirthschaft mit Vertrauen in die Zukunft sehen. Und diesegs Vertrauen ist schließlich das Entscheidende; wenn die Land- wirthschaft durch eigene Arbeit, eigene Intelligenz, eigene Wirthschaftlichkeit sich selbst hilft, ist das besser als alle künstliche staatliche Hilfe. (Zuruf.) Hier können gewiß keine Zölle gemacht werden! Aber wenn die Ueber⸗ zeugung von der Nothwendigkeit der Aenderung auf diesem Gebiet in allen Kreisen durchdringt, wenn sie selbst von den gewerblichen Kreisen anerkannt wird, wenn ein verständiges Zusammengehen in dieser Be⸗ ziehung zwischen Industrie und Landwirthschaft aufrechterhalten oder hergestellt wird, dann hat das allerdings eine sehr große Bedeutung. Wenn Herr von Pappenheim mir andere, schnell wirkende Radikal. mittel sagen könnte, so bin ich gern bereit, sie zu erwägen und sie im Staats⸗Ministerium zur Erörterung zu bringen. (Bravol rechts.)

Abg. Dr. Becker (Zentr.) führt aus, daß der Arbeitermangel nur durch Erhöhung der Rentabilität der Produktion, d. h. durch höhere Getreidepreise beseitigt werden könne. Mit dem Fortschreiten der Industrie und der staatlichen Kanalbauten werde der Arbeiter⸗ mangel immer akuter werden. Der Nothfstand werde all, anerkannt, und eine Enquöte sei darum üÜberflüssig. Daß die Staatsregierung ihn anerkenne und auf Abhilfe bedacht sei, sei sehr erfreulich. Warnen möchte er aber vor einer Be— schränkung der Freizügigkeit. Ein solches Mittel würde Unzufrieden heit erregen und die Schaaren der Sozialdemokratie vermehren. Richtiger wäre die Regelung des Maklerwesens oder besser Makler⸗ unwesens. Der Agent sehe in der Regel in dem Gesinde eine Waare; darum durften nur moralisch unbescholtene Agenten die Ronzession erhalten. In Bezug auf die Löhne möchte er doch be zweifeln, daß im Osten ebenso hohe Löhne bezahlt werden, wie im Westen. In der Erleichterung des Schulbesuchs bezw. der Digpensation vom Schulbesuch kämen die Schulbehörden der Landwirthschaft nicht immer in erwünschter Weise entgegen. Die Regierungen sollten entsprechend instruiert werden. Reife Schüler könnten schon mit dreizebn Jahren aus der Schule ff werden. Weitere Mittel zur Beseitigung des Arbeitermangels seien die Beurlaubung von Soldaten und die Ueberlassung von Korrigenden und Sträßflingen für die Saisonarbeiten der Landwirthschaft. Die Arbeiternachweisungs⸗ bureaux müßten vervollkommnet werden. Wegen Kontraktbruchs müßten die Arbeitgeber ebenso bestraft werden wie die Arbeiter. Um diese seßhaft zu machen, empfehle sich die Sorge für bessere Arbeiter wohnungen mit Hilfe von Baugenossenschaften.

Ministerial⸗ Direktor Dr. Kuegler erklärt im Namen des er- krankten Ministers der geistlichen, Unterrichts und Medinnal- Angelegenheiten, daß der auf die Schule bezügliche Theil des Antrages Gamp nur ausgeführt werden könnte unter Wahrung des jetzigen Bildungsniveaus des Volks. Im allgemeinen sei die Igler n! tung der Landwirthschaft schon entgegengekommen. Ueber die Verlegung der Schulzeit für die Kinder auf dem Lande ließen sich keine bestimmten Normen aufstellen. Die Verhältnisse seien in den einzelnen Bezirken verschieden. Die Entfernung von der Schule, die Bedürfnisse der Kirche u. s. w. müßten berücksichtigt werden. Die Schul verwaltung sei gern bereit, an der Beseitigung des Arbeitermangels so weit mit⸗ zuaibeiten, als es die Bedürfnisse der Schule irgend gestatteten.

Abg. Vor ter (fr. kons.) stellt als Industrieller fest, daß auch in der Inde fn und in den großen Städten Arbeitermangel berrsche. Die Arbeitslust und die Arbeiteleistung seien allgemein ee, Es sei Pflicht der sozialen Gesetzgebung, der zunehmenden Genußsucht durch Beschneidung oder Abschaffung überflässiger öffentlicher Lastbar⸗ keiten wie der Kirmessen ꝛc. und dem Drange der Arbeiter nach den großen Städten entgegenzuwirken.

ñ Minister für Landwirthschaft ꝛ. Freiherr von Hammer⸗ tein:

Meine Herren! Im großen Ganzen glaube ich, sind alle Fragen, die zu erörtern waren, mehr oder weniger durch die Diskussion er⸗ schöpft, und nicht um noch viel Neues vorzubringen, habe ich das Wort ergriffen, sondern aus zwei Gesichtspunkten, um meinen Stand⸗ punkt darzulegen.

Zunächst hat der Herr Vize⸗Präsident des Staats. Ministeriums die Stellung der Staatsregierung zu den hier vorliegenden Fragen dar⸗ gelegt, aber auch eine ganze Reihe persönlicher Anschauungen zum Ausdrucke gebracht und dabei namentlich darauf hingewiesen, daß er die Zustimmung des Staats Ministeriums zu allen seinen Ausführungen noch nicht besitze. Ich halte mich für berechtigt und verpflichtet, zu allen diesen Darlegungen, die die persönlichen Anschauungen des Herrn Vize⸗Präsidenten über die agrarischen Fragen betreffen, meinerseits aus⸗ zusprechen, daß meine Anschauungen sich vollständig mit den seinigen

decken. (Bravo! rechts) Und ich kann das um so mehr thun, als

ich glaube, bei früheren Gelegenheiten, namentlich im vorigen Jahre, als ich über eine ganze Reihe dieser Fragen mich zu äußern genöthigt sah, dieselben Anschauungen dargelegt zu haben, die der Heir Vize Präsident heute hier ausgeführt hat.

Meine Herren, ich will einen Punkt vorwegnehmen. Es besteht ja anscheinend eine Meinungsverschiedenheit sowohl im Hause, viel⸗ leicht auch mit dem Herrn Vize⸗Präsidenten des Staats⸗Minifteriums und mir darüber, ob es zweckmäßig und nützlich ist, rüäcksichtlich der

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tier vorliegenden Fragen noch eine eingehende Enquste eintreten zu

lassen. Soll sie grundsätzlich veranstaltet werden, so erfordert sie außerordentlich viel Zeit und verursacht auch recht erheb-

liche Kosten; wird sie oberflächlich gemacht, hat sie keinen Werth. Nun beabsichtigen die Herren ja anscheinend, die Fragen, die noch einer weiteren Erörterung bedürfen, in eine Kommission zu ver

weisen, und ich bin vollftändig damit einverstanden, daß dort auch die

Frage erörtert wird, ob es sich empfiehlt, eine größere Enquste über die Entwickelung unserer Arbeits verhältnisse nach den allerverschledensten

Gesichtspunkten, unserer Lohnverhältnisse, der Entwicklung unserer

Wohlfahrtseinrichtungen auf dem Lande u. s. w. eintreten zu lassen,

und daß, wenn diese Erhebungen gründlich gemacht werden, daraus

vielleicht außerordentlich viele schätzenswerthe Winke für das weitere Vorgehen auf diesem außerordentlich schwierigen Gebiete gewonnen werden können. Ich bin also bereit, auch in dieser Beziehung mich den Anschauungen, die durch die Kommissionsberathung hervortreten, zu fügen.

Meine Herren, dann bin ich aber doch genöthigt, auf einzelne Darlegungen einzugehen, die gestern und heute hier vorgebracht sind. Meine Herren, Sie wissen genau, daß ich und den Standpunkt habe ich jetzt im fünften Jahre im Hause vertreten der An⸗ schauung bin, daß eins der wichtigsten Mittel zur Förderung der Landwirthschaft, zur Bekämpfung des Nothstandes die Hebung und Verbesserung der Verkehrsverhältnisse ist, und daß diese Anschauung auch von den Herren, die vielleicht nicht in allen Dingen mit mir übereinstimmen, getheilt wird, geht auch daraus hervor, daß gerade von Mitgliedern der rechten Seite des Hauses in dem Landes⸗ Eisenbabnrath Anträge auf Tarifermäßigungen, Vermehrung des rollenden Materials, Vergrößerung des Eisenbahnnetzes u. s. w. ge⸗ stellt waren. Anscheinend weichen wir nur ab rücksichtlich der Kanal⸗ frage. (Sehr richtig! rechts.) r

Ich bin stets der Ansicht gewesen, daß zu den vielen

Verkehrsverbesserungen, die durch befestigte Wege, Eisen—⸗ bahnen u. s. w. getroffen sind und getroffen werden müssen, auch die Frage der Verbilligung und der Verbesserung des Verkehrs durch den Bau von Kanälen gehört, und daß diese Frage mitgelöst werden muß. Run hat Herr von Mendel erneut,

ebenso wie Herr von Erffa bei früheren Anlässen, darauf hingewiesen,

daß jetzt, wo die ganze Landwirthschaft, vielleicht auch die Industrie, an Arbeitermangel likte, der ungeeignetste Moment sei, den Bau von Wasserstraßen in Angriff zu nehmen. (Sehr richtig! rechts) Wir werden uns ja, meine Herren, über alle diese Fragen, wenn die Vorlage hier eingebracht ist, näher unterhalten, und wir werden bei der Gelegenheit auch die Frage mit erwägen müssen, ob der Zeitpunkt, wo die Vorlage eingebracht ist, mit Rücksicht auf die Arbeiterfrage, vielleicht auch noch auf andere Gesichtspunkte, ein zweckmäßiger oder unzweckmäßiger ist. ;

Meine Herren, in einer Beziehung halte ich mich doch für ver⸗ pflichtet, die Anschauungen, die Herr von Mendel darlegte, in etwas zu berichtigen.

Dat wissen Sie doch Alle, meine Herren: größere Eisenbahn⸗

bauten, größere Wasserstraßenbauten, selbst größere Wegebauten werden

in gegenwärtiger Zeit fast immer von Unternehmern in großen Loosen in die Hand genommen, und zwar ist das ein durchaus zweckmäßiges Vorgehen, denn bei der Ausführung dieser Arbeit hat die Maschinen technik eine ganz große Bedeutung erlangt. Wenn Sie sich einmal angesehen hätten, wie der Nord⸗Ostsee⸗Kanal gebaut wurde, in welchem Umfange dort Maschinen thätig waren, welche Bedeutung die Maschinenthätigkeit gegenüber der reinen Handarbeit einnahm, dann würden Sie doch Ihre Verwunderung darüber aus— sprechen, wie weit die Technik vorgeschritten ist und die Handarbeit zu ersetzen im stande ist. Also alle diese größeren Bauten werden von Unternehmern ausgeführt, die einmal im Besitz eines umfangreichen Maschinenmaterials sind und andererseits über eine gewisse Menge von ständigen Arbeitern verfügen, die von ihnen bei allen Unterneh— mungen, sowohl bei Kanalbauten wie bei Eisenbahnbauten und Wege⸗ bauten dauernd beschäftigt werden, und eine Ausnahme ist es, wenn solche Unternehmer neben ihren ständigen Arbeitern aus den Ort' schaften, in deren Nähe sie arbeiten, noch ansässige ländliche Arbeiter heranziehen. Ich bin ja im Westen ansässig, wo in den letzten Jahren die Provinz große Arbeiten ausgeführt hat, wo der Kanal nach den Emshäfen gebaut ist; ich habe seit Jahren die Arbeiten verfolgt, die zur Kanalisierung der ostfriesischen und der Moore im Hummling unternommen wurden, und ich glaube, ich habe wirklich einen Einblick in die einschlägigen Verhältnisse. Fast alle diese Arbeiten sind nicht von ansässigen Arbeitern, sondern von Unternehmern unter Verwen⸗ dung meiftens auswärtiger Arbeitskräfte ausgeführt. (Sehr richtig!) So liegen die Verhältnisse, und ich glaube, es ist doch zu viel ge— sagt, wenn jetzt schon die Behauptung aufgestellt wird: die Arbeiter- neth wird dadurch, wenn jetzt auch die Kanalfrage in Angriff genom⸗ men wird, noch gesteigert werden, die landwirthschaftliche Noth wird noch größer. Und, meine Herren, es liegt keine volle Konsequenz darin. Wollen Sie die Kanalarbeiten beseitigen, dann müßten auch die Eisenbahnbauten und Wegebauten sistiert werden, und das würde nach meiner Auffassung der Landwirthschaft in der gegenwärtigen schwierigen Lage ganz besonders nachtheilig sein.

Meine Herren, dann ist ein Gesichtspunkt von dem Herrn Vize Präsidenten des Staats- Ministeriums nicht weiter berührt worden, der aber nach meiner Meinung eine ganz große Bedeutung hat und der auch unter Ziffer 6 des Antrages der Herren Konservativen aus drücklich hier erwähnt ist, d. h. die Einschränkung des bis—« herigen Verfahrens, den Arbeitsmarkt durch Gewährung von

Extrazügen und besonderen Tarifverbilligungen zu Gunsten der

Großstädte und Industriezentten auf weite Entfernungen und zum Nachtheil der Landwirthschaft künstlich zu verschieben. Die Ausführungen des Herrn v. Mendel halte ich in dieser Beziehung persönlich für durchaus zutreffend. Die dadurch eintretende willkür⸗ liche Verschlebung des Arbeitemarktes und die damit eintretende Förderung des Zuzuges nach den großen Städten halte ich für in hohem Grade bedenklich. Ich persönlich habe stets den Standpunkt vertreten und werde das auch ferner thun, daß derartige Maßnahmen sehr sorgfältig geprüft und erwogen werden müssen.

Bei der Gelegenheit möchte ich noch einen von dem Herrn Abg. Becker zur Sprache gebrachten Punkt berühren. Herr Abg. Becker verlangt billige Fahrpreise für auswärtige Arbeiter. Erstensmal glaube ich mich zu erinnern, daß für die Beförderung von Saison⸗ arbeitern vom Osten nach dem Westen solche billigen Tarife bereits

gewährt werden. (Ruf: Lelder) Mir liegen eine ganze Reihe von

Beschwerden gerade aus dem Osten darüber vor, daß man um Gottes⸗ willen das Abwandern der Arbeiter aus dem Osten, der Saison⸗ arbeiter, nicht noch dadurch verstärken solle, daß man Jeden, der aus dem Osten nach dem Westen wandern und dort Arbeit suchen will, sei es in der Industrie, sei es in der Landwirthschaft, durch die Er⸗ mäßlgung der Fahrtarife noch begünstigt. Meine Herren, Sie er⸗ sehen daraus, wie zweischneidig solche Anträge sind und wie sorgfältig das doch immer erwogen werden muß. Es klingt ganz außerordentlich gut, wenn man sagt: wir sind genöthigt, Arbeiter von außen, von Italien u. s. w. heranzuziehen, verlangen für die aber billige Eisenbahntarife. Mit der Gewährung solcher billigeren Tarife sind manchmal große Unzuträglichkeiten verbunden, und ich glaube, daß man im allgemeinen, wie der Wunsch schon ausgedrückt ist, doch Bedenken tragen muß, dem Wunsche des Herrn Abg. Becker Rechnung zu tragen.

Herr Abg. Gamp hat dann darauf hingewiesen, daß die Aus

führung von Forstarbeiten in größerem Umfange während der Ernte in hohem Grade bedenklich sei. Zunächst richte ich an Herrn Gamp die Bitte und er wird wahrscheinlich einen speziellen Fall vor Augen haben —, mir ihn mitzutheilen, damit ich der Sache weiter nachgehen kann. Im übrigen erwidere ich auf diese Darlegungen: Die gesammten Arbeiten in den königlichen Forften beschränken sich auf die Winters⸗ und Frühjahrszeit; während des Sommers, also während der Ernte, kommen höchstens einige vorbereitenden Kulturarbeiten in Frage, wie Wegebesserung u. s. w. Also im allgemeinen ist es schon kaum denkbar, daß die Forstverwaltung gerade in der Zeit der Ernte die sonst in der Forst beschäftigten Arbeiter von den Ernte⸗ arbeiten abziebt. Aber ich kann hier mittheilen, daß ich jetzt schon überall die Weisung gegeben habe, daß in den Königlichen Forsten, namentlich auch im Frühjahr, wo die Bepflanzungsarbeiten einen größeren Umfang annehmen, immer Rücksicht genommen werden soll auf das gleichzeitig vorhandene Bedürfniß landwirthschaftlicher Arbeiter. Sollte dem gegenüber anders verfahren sein in den Königlichen Forsten und mir nachgewiesen werden, daß in einzelnen Fällen dieser Vor⸗ schrift nicht Folge geleistet ist, so bin ich gern bereit, dafür Sorge zu tragen, daß in dieser Beziehung auf die Landwirthschaft jede Rücklicht genommen werden soll. Im Sommer kommen hin und wieder wohl einige Wegeverbesserungsarbeiten u. s. w. vor, die in der Regel, soweit es sich um leichtere Arbeiten handelt, von alten Leuten besorgt werden. Der Herr Abg. Gamp hat ferner den Wunsch geäußert, bei dem Verkaufe von Streuparzellen auf den Königlichen Forsten darauf Be⸗ dacht zu nehmen, daß solche Parzellen möglichst zur Ansiedelung kleiner Arbeiterstellen benutzt werden. In großem Umfange meine Herren, ich habe heute Morgen noch mich nach den Verhältnissen genau er— kundigt werden jährlich Streuparzellen überhaupt nicht verkauft, weil wir in der Forstverwaltung diese kleineren Parzellen fast regel⸗ mäßig benutzen, um Austauschungen, Arrondierungen des größeren Forstbesitzes herbeizuführen. Trotzdem kommen wir aber dem Wunsche des Herrn Abg. Gamp, Forstparzellen, abgeholzte Flächen zur An siedelung von Arbeitern zu verwenden, vielfach nach. Wo geeignete Flächen gerodet werden, die sich zur landwirthschaftlichen Benutzung für kleine Leute eignen, geben wir diese ihnen entweder in Pacht auf 26, ja auf 30 bis 50 Jahre gegen den Grundsteuerreinertrag und ge⸗ währen ihnen auch noch die Mittel, wenn es irgend mög lich ist, daß sie sich kleine Häuser darauf bauen können oder vielfach verkaufen wir sie auch, und zwar, wie Herr Gamp gewünscht hat, gegen Rente. Wir kommen in der Beziehung also nach allen Richtungen dem nach, was Herr Gamp als wünschens⸗ werth dargestellt hat.

Meine Herren, dann ist angeregt, daß es erwünscht sei, die All⸗ menden möglichst, wo sie noch bestehen, zu erhalten, und bei Neu⸗ anlegung von Kolonien u. s. w. möglichst neu zu beschaffen. Ich kann mittheilen, daß sämmtlichen Generalkommissionen die strikte An⸗ weisung ertheilt ist, wo neue Rentengüter, Kolonien, errichtet werden darauf Bedacht zu nehmen, in den neuen Gemeinden solche Allmenden herzustellen. In gleicher Weise verfährt die Ansiedelungskommission. Die Generalkommissionen sind ferner angewiesen, da, wo einmal der Antrag an sie gelangt, noch vorhandene Allmenden zu theilen, mit aller Energie dem entgegenzutreten. Ich stimme vollständig überein mit den Darlegungen, die es als einen großen Fehler bezeichnen, daß alle diese Gemeindegrundstücke, die nicht bloß den ansässigen Grund⸗ besitzern zum Nutzen dienten, sondern die hauptsächlich den nicht⸗ ansässigen Gemeindemitgliedern die Möglichkeit gaben, Vieh zu halten u. s. w., daß diese verschwunden sind.

Dann, meine Herren, darf ich noch auf einen Punkt eingehen, der nach meiner Meinung in den östlichen Provinzen bisher noch lange nicht genug in den Vordergrund getreten ist. Wenn Sie sich einmal mit den sozialen Verhältnissen der kleinen Leute im Westen be- schäftigen, so finden Sie, daß fast keine Arbeiterfamilie da ist, die nicht Hausarbeit treibt, und zwar als Nebenbeschäftigung. Sie finden z. B. in meiner engeren Heimath keinen Heuerling, der nicht seine Hobelbank hätte, der nicht Holzschuhe, Pantinen oder ähnliche Dinge anfertigte, der nicht webte, wo die Kinder, Frauen und Männer nicht strickten u. s. w. Und, meine Herren, das ist einer weisen Fürsorge zu verdanken. Ich erinnere mich noch aus früherer Zeit mein verehrter Nachbar zur Linken, der Herr Finanzminister, wird mir das bestätigen —ů daß z. B. in der Provinz Hannover auf die Beförderung der Hausindustrie der allergrößte Werth seitens der Staatsregierung gelegt wurde, daß die Staatsregierung sich alljährlich aus der ganzen jetzigen Provinz Hannover Berichte erstatten ließ, ob in der Be— ziehung ein Fortschritt oder ein Rückgang stattfände, und daß, wenn einzelne Arten dieser Arbeiten in der Beziehung ausschieden, von Staatswegen dafür Vorsorge getroffen wurde, daß etwas Aehnliches an ihre Stelle trat.

Meine Herren, wie ist das im Osten? Ich bin in Masuren ge⸗ wesen, wo eine Masse von Leuten sich selbst auf kleinen Grundstücken angestedelt hat. Daß sie das Haus selbst zimmern, daß sie die Schindeln, womit sie das Haus decken wollen, selbst machen, fällt ihnen nicht ein; sie kaufen die Sachen von russischen Händlern, welche die Sachen nach Heydekrug allwöchentlich auf den Markt bringen. Die Thüren und Fenster selbst herzustellen, verstehen sie ebenfalls nicht sie kaufen auch diese Sachen, wie gesagt, von russischen Hand⸗ werkern. Wenn bei uns ein kleiner Mann sein Haus baut, hilft die ganze Familie mit. Einen großen Theil der Tischler⸗ und Zimmererarbeiten machen die Leute selbst, natürlich mit Hülfe eines geschickteren Bausachverständigen, der die Oberleitung in der Hand

hat. Das bat die große Bedeutung, daß, wenn beispielsweise auf meinem Gute eine Dampfmaschine aufgeftellt wurde, ich in der glücklichen Lage gewesen bin, aus meinen ständigen Arbeitern sofort die Arbeitskräfte zu gewinnen, welche zur Bedienung dieses Maschinen⸗ betriebes vollständig geeignet und geschickt waren, nachdem sie während der Montierung und bei der Aufstellung mitgewirkt hatten. Das hat ein großes bildendes Moment und bringt den Leuten einen großen Vortheil rücksichtlich des Erwerbes. Sie stellen eine Masse von Sachen, Kleidungsstücke u. s. w. durch häusliche Thätigkeit her, die sonft für Geld gekauft werden müssen, und sie kommen nicht auf Thorheiten.

Wie ist das dagegen in vielen östlichen Landegtheilen? Beispiels⸗ weise ist mir von durchaus unterrichteter Seite gesagt, daß in der Kassubei die Arbeiter, wenn sie von der Sommerarbeit zurückkehren, sich fast den ganzen Tag und die Nacht über im Bett befinden, daß sie die Kartoffeln, die sie geerntet haben, nach Köpfen vertheilen, ebenso das Sauerkraut und ein großes Faß Hering, und daß es keinem Menschen einfällt, den ganzen Winter über eine Hand zu rühren, weder auf Innen⸗ noch auf Außenarbeit.

Ich kann den Herren mittheilen, daß die Forstverwaltung viel⸗ leicht der günstigste Pionier in diesen Gebieten gewesen ist, und daß es gelungen ist, einen großen Theil der kassubischen Arbeiter dauernd dort zu erhalten und sie zu veranlassen, daß sie unter Leitung der Forst⸗ beamten ihr Haus sachgemäß einrichten und ausbauen, daß sie ihre kleinen Gärten pflegen und ihre Ländereien unter Verwendung von Kunst⸗ dünger zweckmäßig bestellen, daß sie jahrein jahraus in die Forst gehen und gegen einen angemessenen Tagelohn dort arbeiten und somit ihr gutes Einkommen haben. Meine Herren, wenn man durch ein kassubisches Dorf fährt, so will ich Ihnen schon von weitem im voraus sagen, das ist ein Waldarbeiter, und das ist ein gewöhnlicher Kassube. Man sieht das den Leuten an und der ganzen Familie. Die Wald⸗ arbeiter haben eine ordentlich gefütterte Kuh, sie haben fette Schweine, und die ganze innere und äußere Ausstattung sowohl des Menschen wie des Haushalts ist eine total andere.

Damit kann man, glaube ich, viel erreichen, wenn man aus diesen Winken, die ich hier gegeben habe, auch einmal für den Osten lernt, und dafür sorgt, daß der Hausfleiß gefördert wird, daß möglichst das habe ich schon im vorigen Jahre ausgeführt die Arbeiten so eingerichtet werden, daß auch für den ständigen Arbeiter die augreichende Winterarbeit vorhanden ist, und daß, wo die Außenarbeit fehlt, durch Arbeit im Hause Ersatz geschaffen wird. Und auch dafür ist die Forstverwaltung ergiebig und eingehend thätig. Da, wo wir die geeigneten Materialien im Walde haben, haben wir gerade im Osten, und zwar in Westpreußen, schon jetzt eine ganz hübsch blühende, kleine Holjindustrie ins Leben gerufen, die den Leuten einen ausgiebigen Erwerb bringt und ihnen weiter hilft.

Meine Herren, ich darf dann anknüpfen an den wohlthuenden Eindruck, den gestern die Ausführungen des Herrn Abg. Langer auf mich gemacht haben; sie erinnerten mich an eine Zeit, wo ich noch auf dem Lande lebte, mitten in dem landwirthschaftlichen Betriebe und in den ländlichen Verhältnissen stand, und Sie werden es mir nicht ver⸗ übeln, wenn ich mal ein ganz kurzes Bild von den damaligen Zeiten Ihnen mittheile.

In keinem Theile der preußischen Monarchie ist, glaube ich, das landwirthschaftliche Vereinswesen so umfangreich ent- wickelt gewesen, wie, vielleicht abgesehen von der Rhein⸗ provinz, in der Provinz Hannnober. In jedem Kirchspiel bestand ein landwirthschaftlicher Verein, in dem man all⸗ wöchentlich oder alle vierzehn Tage mal zusammenkam, landwirtbh⸗ schaftliche Fragen besprach, auch eine Reihe sozialpolitischer Fragen erörterte. Wenn ich daran denke, wer eigentlich die Träger des geistigen Lebens in diesen Vereinen waren, so waren es neben den größeren Gutsbesitzern vor allem die Herren Lehrer und die Geist⸗ lichen, protestantische und katholische in trautem Verein zusammen. Meine Herren, wenn ich mich jetzt umsehe? Damals war der Lehrer Sekretär des landwirthschaftlichen Vereins; er hielt Vorträge über das, was er die Woche über seinerseits sich angesehen hatte; er be⸗ theiligte sich selbst am landwirthschaftlichen Betriebe. Die Herren Geistlichen waren die Pioniere für den Fortschritt im Obstbau, für den Fortschritt auf dem Gebiete der Viehhaltung; sie hielten sich selbst Kühe u. s. w. Der Lehrer grub und arbeitete selbst, kurzum, er stand mitten in dem praktischen Leben.

Meine Herren, wenn Sie sich jetzt umsehen: in der ganzen Provinz Hannover finden Sie kaum noch einen Lehrer, der sich an dem landwirthschaftlichen Vereinswesen betheiligt. Dazu will er sich jetzt nicht mebr verstehen, er legt mehr Gewicht auf die wissenschaftliche Seite seines Berufs (sehr richtig! rechts) und sieht seine Aufgaben weniger auf dem Gebiete des prak⸗ tischen Lebens! Während früher die Lehrer bei mir zu Hause keinen Anstand nahmen, mit ihrem Vieh unter einem Dache zu leben, wie es der westfälische Bauer, selbst größere Grundbesitzer allgemein thun, verlangt der Lehrer von der Schulgemeinde es jetzt anders. Dieser Ent⸗ fremdung von den praktischen und wirthschaftlichen Interessen entsprechend sind aber auch die Anschauungen, die der Lehrer in der Schule vertritt, sodaß viele Kinder den Begriff dafür verlieren, wofür der liebe Gott sie auf das Land gesetzt hat, daß sie dort ihr Unterkommen finden sollen. (Sehr richtig! rechts und im Zentrum.)

Und was die Handarbeiten betrifft, meine Herren, da, wo früher eine Frau aus der Ortschaft selbst sie darin unterwies, daß sie Flicken, Strümpfe stopfen und solche Sachen lernten, die sie selbst auf dem Lande gebrauchen, da lehren die Handarbeitslehrerinnen jetzt die kleinen Mädchen Stickereien, Häkeleien u. s. w. (sehr richtig! rechts und im Zentrum) und bringen sie von vornherein auf den Gedanken, daß es unter ihrer Würde ist, auf dem Lande ju bleiben und dort ländliche Arbeit zu treiben, während früher die Lehrer und die Geistlichen keinen Anstand nahmen, selbst Viehzucht zu treiben, mit dem größten Interesse sich an diesen Dingen zu betheiligen und infolge dessen dahin zu wirken Erziehung, meine Herren, macht alles; durch Erziehung wird der Mensch das, was er wird —, daß die Kinder in dem Glauben groß werden, daß es nöthig ist, auf dem Lande zu arbeiten, daß es eine hochwichtige Thätigkeit ist, noch Vieh vernünftig zu warten, die Kühe zu melken, daß es viel ehrenwerther ist, dem Berufe treu zu bleiben, in dem die Eltern gestanden haben (Bravo! rechts) als in die Stadt, in die Fabrik zu gehen. Das wird aber den Kindern von den heutigen Lehrern, die selbst eine ganz andere An—⸗ schauung haben, nicht mehr beigebracht. (Sehr richtig! rechts.)

Ebenso, meine Herren, ist es auch sehr wohl möglich, durch den technischen Unterricht in der Schule die Kinder für ihren praktischen Beruf auf dem Lande vorzubereiten. Ja, meine Herren, wenn ich