1899 / 39 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 14 Feb 1899 18:00:01 GMT) scan diff

. Schritt weiter. Sie will den Landesregierungen auch das Recht über ˖

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daß er garnicht in der Lage ist, dort seinen Anspruch selbst geltend zu machen, tritt dieser sozialpolitische Zweck vollkommen in den Hinter grund. (Sehr richtig) Wenn man manche Aeußerungen in den Zeitungen über die Wirksamkeit der sozalpolitischen Gesetzgebung und insbesondere des Invaliditätsgesetzes ltest, hat man eigentlich den Gin druck: es ist alles in schönster Ordnung, es braucht nichts geändert zu werden. Das ist allerdings eine recht bequeme Theorie, und wenn man auf diesem Standpunkt auf anderen Gebieten stände, so würde allerdings jeder sittliche und kulturelle Fortschritt der Welt aufhören, wir würden in bureaukratische Verknöcherung versinken. Ich habe 1. B. den Einwand gelesen, wenn man die Rentenfestsetzung oder oder auch nur die Begutachtung der Anträge auf die Rentenstellen übertrüge, so würden die Versicherungsanstalten nur noch eine Zahl stelle sein. Es ist dies nicht richtig; den Versicherungsanstalten bleiben vielmehr noch sehr wichtige Befugnisse. Aber ich meine auch, bei jeder großen Organisation muß man sich fragen: wie wird der Zweck am besten und vollkommensten erreicht? Die Behörden sind da, um ihrem Zweck zu dienen, und der Zweck darf sich nicht der Organisation der Behörden unterordnen. (Sehr richtig h

Wie soll nun jetzt die Sache gestaltet werden? Der Grundsatz des Gesetzes ist, daß die örtliche Rentenstelle, die unter dem Vorsitz eines vom Staate ernannten Beamten fungiert, unter Zuziehung eines Mitgliedes aus dem Stande der Arbeitgeber und der Arbeit⸗ nehmer, ein Gutachten über den Rentenanspruch abgiebt, das heißt, thatsächlich wird sich das Gutachten immer nur darauf beschränken: ist der Rentensucher wirklich in dem Maße in seiner Erwerbsthätigkeit beschränkt, daß er einen An— spruch auf Rente mit Recht erheben kann, oder ist er in der Lage, mit seiner ihm verbliebenen Arbeitskraft sich noch einen Broterwerb, wie er seiner bisherigen Beschäftigung ungefähr entspricht, zu be— schaffen? Wenn es aber irgend eine Frage giebt, die meines Er⸗ achtens in einer ortlichen Instanz zu entscheiden ist, so dürfte es diese Frage sein. (Sehr richtig) Und wenn es eine Frage giebt, die man nicht ven einer Zentralstelle aus, von einer Landes— oder einer Provinzialhauptstadt aus entscheiden kann, so ist es ebenfalls diese Frage. (Sehr richtig) Und dann tritt eben bei dem jetzigen Verfahren die Folge ein, daß die Grundlage für die Renten. festsetzung eigentlich nur das Attest des Arztes bildet. Mir stehen auf diesem Gebiete eigene Erfahrungen zur Seite; ich bin mehrere Jahre Vorsitzender eines Schiedsgerichts auf dem Gebiete der Unfallversiche⸗ rung gewesen, und ich gestehe es ohne Scheu, daß ich mit sehr häufig ein Urtheil auf Grund der Akten gebildet hatte, was ich aufgeben mußte, sobald ich mit dem Rentensucher versönlich verhandelt und die Sachlage im mündlichen Verfahren erörtert hatte. (Hört, hörth Meine Herren, man hat von manchen Seiten ich habe das zu meinem Erstaunen gelesen geradezu die Auffassung: nur nicht ört⸗ liche Instanzen hören! Die Gemeindebehörden sind schon gefährlich; aber nun gar die Rentenstellen, wo ein Arbeitnehmer und ein Arbeitgeber sitzt und ein Staats beamter den Vorsitz führt, der nicht nach der Weisung der Anstalt zu verfahren bat, das ist das Allerschlimmste; dann wird man nicht mehr selbständig entscheiden können, weil schon eine gebundene Marschroute in den Akten vorliegt. Gewiß wird das Gutachten, was abgegeben wird von der Rentenstelle, eine große Schwerkraft haben; ich bin aber der Ansicht, daß diese Rentenstelle die Sache besser beurtheilen wird nach beiden Seiten hin, als sie jetzt von der Versicherungsanstalt beurtheilt werden kann. Sie wird da, wo Rentenschwindelei getrieben wird und der Fall kommt vor —, wo die Gemeinden fahrlässige Gutachten abgeben, Remedur schaffen können, sie wird aber auch auf Grund der persönlichen Ein— drücke und der mündlichen Verhandlungen, auf Grund Anhörung eines beamteten Arztes, auf Grund einer ärztlichen Verhörung oder Untersuchung des Rentensuchers in Gegenwart der Mitglieder der Rentenstelle den Thatbestand mit größerer objektiver Sicherheit fest⸗ stellen können; sie wird auch Widersprüche zwischen verschiedenen ärzt⸗

lichen Attesten aufklären können. Solche mündliche Verhandlungen, solche Anhörung des Mannes, der eine Rente nachsucht, die schließlich die Grundlage seiner kommenden Existenz bildet, wird ganz anders belebend und versöhnend wirken auf das Verhältniß zwischen den Organen der Versicherungsanstalt und den Arbeitern, sie wird den Staatsbeamten, der den Vorsitz führt, in lebendigere Be— ziehungen bringen ju der Arbeiterwelt, als das bis jetzt geschiebt und geschehen kann bei dem aktenmäßigen schriftlichen Verfahren.

Man hat auch den Einwand erhoben: daß, wenn ein Arbeitgeber und ein Arbeitnehmer in der Rentenstelle sitzen, der Arbeitnehmer immer zu Gunsten des Arbeiters sprechen wird, da er unter dem Druck der Arbeiterbevölkerung steht; auch der Arbeitgeser würde viel⸗ leicht nicht den geraden Rücken haben, um der Wahrheit die Ehre zu geben, und schließlich dem gegenüber vielleicht auch der Vorsitzende sich nicht immer stark genug erweisen. Die Erfahrungen, die man in dieser Beziehung mit den Schiedsgerichten gemacht hat, bestãtigen diese Befürchtungen zunächst nicht. (Sehr richtig) Wenn ein Organ der Staatsverwaltung und wenn ein Arbeitgeber so den Boden ber— lieren könnten, daß sie sich von einem Arbeitnehmer, der an der Verhandlung Theil nimmt und eventuell ich will den Fall einmal annehmen unter dem Druck der übrigen Arbeiterbevölkerung steht, in ihrer Ueberzeugung beugen ließen, so muß ich sagen, wäre das ein trauriges Zeichen für den Standpunkt, auf dem bereits gegenüber den Arbeitermassen die bürgerliche Gesellschaft angelangt wäre ich halte das für ein künstliches Bild, für eine Fata morgana, die man vorgemalt hat, die aber den Thatsachen sicher nicht ent⸗ spricht. Ich glaube weder, daß der Staatsbeamte sich in seinem Urtheil beeinflussen lassen wird, noch der Arbeitgeber. Sollte aber einmal der Fall eintreten, daß wirklich diese Organe ihre Pflicht nicht scharf genug auffaßten, daß sie Renten befürworten, die sachlich nicht berechtigt wären, so hat der Vorstand der Versicherungsanstalt immer noch das Recht, wenn er Bedenken hat, die Rente abzulehnen und neue Erhebungen anzustellen. Hätte man wirklich die Befürch= tungen bei der Organisation örtlicher Rentenstellen, daß das Laien. element seine Pflicht in dieser Weise vernachlässigen würde, so müũßten wir die Schiedsgerichte auch abschaffen, denn die Schiedsgerichte haben eigentlich ganz dieselbe Kompetenz, ja sie entscheiden sogar endgültig über die materielle Frage in zweiter Instanz. Wird eine Rente von dem Vorstand abgelehnt, so hat jeder Rentensucher das Recht, an das Schiedsgericht zu gehen und alle Bedenken, die man gegen die örtlichen Rentenftellen geltend macht, müßte man gegen die kleinen Schiedsgerichte aus dem selben Gesichtspunkt geltend machen.

Nun, meine Herren, gebt ja die Fakultät des Gesetzes noch einen

Rentenftellen zu übertragen, nicht nur die Begutachtung. Ich bin der Ansicht und darauf beruht die Vorlage daß vielleicht in

Landgemeinde · Verwaltungen sind, eine solche Organisation nicht er- forderlich ist. Andererseitß aber glaube ich auch, daß in größeren Staaten, und namentlich in einem Staate wie Preußen mit seinen großen Gebieten der Versicherungsanstalten, es nützlich sein könnte, auch die Festsetzung der Renten den örtlichen Rentenstellen zu über tragen. Ob das geschieht, hängt natürlich von den Erwägungen der einzelnen Staatsverwaltungen selbst ab. Die Führung des Rechts streits würde sich dann in folgender Weise verschieben. Wo die Rentenftellen nur das Recht der Begutachtung haben und der Vor stand von dem Gutachten abweichen und die Gewährung der Rente ablehnen kann, ist der Rentensucher gezwungen, beim Schiedsgericht die Rolle des Klägers einzunehmen, währe nd umgekehrt, wenn die Rente von der Rentenstelle festgesetzt und nach der Auffassung des Vorstandes der Versicherungsanstalt diese Festsetzung zu Unrecht er— folgt ist, die Versicherungsanstalt, also die stärkere Partei in dem Streit, ihrer seits gezwungen ist, beim Schiedsgericht die Rolle des Klägers zu übernehmen.

Mit einer derartigen fakultativen Organisation dürften erhebliche Vortheile verbunden sein. Zunächst hören die ganz kleinen Schieds⸗ gerichte auf. Es würde, wenn ich an preußische Verhältnisse an= knüpfen darf, für jeden Regierungsbezirk etwa ein Schiedsgericht zu errichten sein. Diese Schiersgerichte, die auch Rechtsfragen zu ent— scheiden haben, würden dann natürlich nach der juristischen Seite hin viel wirksamer komponiert werden können, als das jetzt der Fall ist. (Sehr richtig! in der Mitte) Sie würden mehr den Charakter einer stän digen Behörde bekommen, die ganz anders die Tradition der Rechtsprechung aufrecht erhalten kann, wie das jetzt bei den kleinen Schiedsgerichten mit den wechselnden Vorsitzenden der Fall ist. (Sehr richtig h)

Aber außerdem würde ein erheblicher Vortheil für die Ver— sicherungsanstalten selbst erwachsen. Die Versicherungsanstalten selbst sind jetzt garnicht in der Lage, sich vertreten zu lassen bei den vielen kleinen Schiedsgerichten im Lande. (Sehr richtig) Würden nur Schiedsgerichte für jeden Regierungsbezirk errichtet werden, so könnten in allen zweifelhaften Fällen die Versicherungsanstalten ihre Rechte durch ihre eigenen höheren Beamten wahrnehmen und würden damit auf die Rechtsprechung der Schiedagerichte einen ganz anderen Einfluß gewinnen, wie das bisher möglich ist.

Man hat auch angeführt, daß diese Rentenstellen, soweit man ibnen fakultativ die Festsetzung der Rente überläßt, wahrscheinlich sehr ungünstig auf die Rechtsprechung einwirken würden, weil die Rechtsprechung dann vollkommen auseinanderfiele. Bei der Alterg⸗ versicherung handelt es sich im wesentlichen nur um Berechnung der Beitragsmarken und der Wartezeit; da können eigentlich große Zweifel nicht entstehen. Bei der Invaliden versicherung freilich kann man viel juristische Haarspalterei treiben; die Grundlage aber der Entscheidung ift doch: ist der Mann im Sinne des Gesetzes körperlich Invalide oder nicht? Und das wird die Rentenstelle, meines Erachtens, immer noch zutreffender beurthellen, als der Vorstand der Versicherungẽ⸗ anstalt. Hat man aber bei der Festsetzung der Renten Irrthümer be— gangen in der Anrechnung der Beitragsmarken, der Krankheitszeit, der Militärdienstzeit u. s. w. um alle diese kleineren Fragen dreht sich die Rechtsprechung zum theil —, so wird man im schiedsgerichtlichen Verfahren dem leicht abhelfen können; denn das sind ja Thatsachen, die sich aus den Akten, dem Kartenmaterial, den Zeugnissen poll kommen klar ergeben, da kann einer Auffassung des Borstandes der Versicherungtanstalt nie vorgegriffen werden, jeden Augenblick kann er auf Grund des Urkundenmaterials feststellen: liegen die formalen Voraussetzungen zur Rentenbewilligung in den Beziehungen, die ich angedeutet babe, vor oder nicht? Hatte der Mann wirklich schon so viele Karten bezahlt, die Wartezeit u. s. w. erfüllt, um formell anspruchsberechtigt zu sein?

Ich glaube, daß, wenn erst einmal solche örtlichen Rentenstellen eingerichtet sind, für die Arbeiter daraus eine Quelle des Vertrauens gegenüber der großen sozialpolitischen Einrichtung der In ralidenversiche⸗ rung überhaupt entstehen wird. Die Rentenstellen werden nicht nur einen Vorsitzenden haben, sondern mindestens auch eines Bureaubeamten bedürfen, der sich in die Materie vollkommen einarbeitet und die laufende Verwaltung führt. (Zuruf) Gewiß, Herr Abg. Gamp, ein Byꝛreau⸗ beamter muß dabei sein; denn die Rentenstellen werden recht erhebliche Geschäfte zu besorgen haben. Die Arbeiter werden in den Renten stellen naturgemäß den Ort finden, wo sie sich über die Fragen der Alters, und Invaliditäteversicherung jeder Zeit Raths holen können. Und selbst wenn man den Bezirk der Rentenstellen so groß abgrenzt wie einen preußischen Kreisbezirk, so sind heut zu Tage unsere Verbin.« dungen doch der Art, daß jeder Arbeiter, wenn er an die Rentenstelle gelangen will, auch wirklich ohne große Kosten dorthin gelangen kann. Ich meine aber auch, daß die Kartenkontrole durch die Rentenstellen wirksamer bewirkt werden kann als jetzt. Die Versicherungẽanstalten baben ja meines Wissens allerdings zum theil bereits ständige Kontrol— beamte, die im Lande wohnen, oder sie schicken fliegende Beamte in ihrem Bezirk herum; der Uebelstand liegt aber darin, daß namentlich letztere Beamte doch immer nur einen sehr geringen Theil der zur Marken⸗ entrichtung verpflichteten Personen revidieren können. Demnächst kom⸗ men die Karten zu einem bestimmten Zeitpunkt des Jahres zu Han dert tausenden in den Versicherungeanstalten zusammengeströmt. Gegen⸗ über diesem umfassenden Material ist es ganz unmöglich, die Revision so schnell vorzunehmen, daß man da, wo die schuldigen Marken nicht geklebt sind, die Zahlungepflicht nicht erfüllt ist, mit der nöthigen Schnelligkeit hinterhergreifen könnte. Aber vor allem fehlt den Ver⸗ sicherungsanstalten ein Vergleichungs objekt. Sie wissen nicht, wie viel Arbeiter eine Fabrik, wie viel ungefähr ein Gut beschãftigt, und können deshalb, selbst wenn sie die Karten eines Ortt, die in einem Jahre eingehen, zusammenlegen, sich doch kein Bild davon machen, ob auch nur für einen Theil der Arbeiter, die dort beschäftigt werden, die Zablungepflicht wirklich erfüllt ist. Das wird bei den örtlichen Rentenstellen ganz anders werden. Wenn die örtliche Rentenstelle auch begrenzt ist auf das Gebiet eines preußischen Kreises, wird doch die laufende Kontrolinstanz den Zahlungepflichtigen so nahe sein, daß der Rentenschreiber ungefähr ermessen kann: ist aus der Gemeinde, dem Gutsbezirk die entsprechende Anzahl von Karten entsprechend der

Anzahl der Arbeiter eingegangen oder haben in größerem Maße De⸗

lassen, versuchsweise die Festsetzung der Renten den örtlichen

kleineren Staaten, selbst in Mittelstaaten, wo die Gebiete der Ver sicherungganstalten viel enger begrenzt sind, wo größere geordnete

Ort und Stelle eine speilelle Nachkontrole auf Grund der Bevöl- kerungslisten vornehmen können; es wird so einer Defraudation gan anders nachgegangen werden können, als es bisher möglich ist.

Auch für die Kartenkontrole liegt also ein erheblicher Fortschritt in den örtlichen Rentenstellen .

Man hat auch von den Kosten gesprochen, und man hat diese wohl absichtlich etwas übertrieben dargestellt. Schaffen Sie örtliche Rentenstellen, bel denen zunächst die Karten eingehen, die im Gtohen und Ganzen die Kartenrevifionen vornehmen, die die Renten begut⸗ achten und eventuell, wenn die Landesregierungen es für nützlich halten, die Renten selbst feststellen, so ist es unzweifelhaft, daß ein erheblicher Theil des Personals bei den Vorständen der Versicherungsanstalten frei wird. Außerdem wird ein weiterer erheblicher Theil des Personals frei werden, wenn Sie entsprechend den Vorschlägen des Gesetzes eine Vermögensausgleichung zwischen den verschiedenen Versicherungtg⸗ anstalten vornehmen. Diese freiwerdenden Beamten wird man meines Erachtens praktischerweise zu Beamten der Rentenstellen machen.

Ferner wird daran zunächst nicht gedacht werden können, daß man

zum Vorsitzenden der Rentenstelle einen Beamten im Hauptamt macht. Ich glaube, das wäre verfrüht; sondern man muß erst sehen, ob diese Rentenstellen einen Krystallisationspunkt bilden kännen fur weitere Aufgaben auf dem Gebiete der sozialpolitischen Gesetzgebang über⸗ haupt. Ich glaube, daß man da einen so weiten Rahmen hat, daß man in absehbarer Zeit allerdings dahin kommen kann, aus dem Beamten im Nebenamt einen Beamten im Hauptamt zu machen. Ich will hier nur eine persönliche Ueberzeugung aussprechen, nicht die Auffassung der verbündeten Regierungen. Ich glaube, meine Herren, wie die wirthschaftlichen Fragen in unserem öffentlichen Leben einen immer breiteren Raum einnehmen, werden es auch die sozialpolitischen Fragen (sehr richtig!), und je mehr wir von Amts. und Staatswegen diese sozialpolitischen Fragen in die Hand nebmen, je mehr wir Staatsorgane im Lande schaffen, die die sozꝛial⸗ politischen Aufgaben verfolgen, die den Arbeitern plastisch nahe bringen, daß Vertreter der Staats rerwaltung für ihre be⸗ rechtigten Wünsche, für ihre heilbaren Leiden ein Herz haben, daß sie sie hören, daß sie ihre Interessen verfolgen, desto mehr werden wir die Bestrebungen des Umsturzes untergraben und desto mehr wird die Staatsverwaltung in Konkurrenz treten bei den Arbeitern mit den umstürzlerischen Bestrebungen von Parteien. (Sehr richtig) Wir müssen von Staatswegen noch ganz anders die sozialpolitischen Fragen verfolgen, wie bisher. Wir müssen uns in ganz anderem Maße um die Lebensbedingungen der Arbeiter, die Arbeitsverhältnisse, die Ursachen von Aussperrungen und Arbeiter- ausständen bekümmern, wie es bisher geschehen ist. (Sehr richtig h Wir können nicht mit einer lässigen Handbewegung diese Fragen, die an uns Tag für Tag herantreten, bei Seite schieben mit dem Motto: noli turbars circulos meos. Wir müssen in die Fragen hineinsteigen, denn sonst werden Andere das Terrain und den Einfluß gewinnen, den die Staats. verwaltung und ihre Organe gegenüber den Arbeitern haben müssen. In diesem Sinne meine ich, daß örtliche Verwaltungs stellen für die sozialpolitische Gesetzgebung einen sehr wesentlichen Faktor auf dem Gebiete soßialpolitischen Fortschritts und für die Stellung der Staatsverwaltung überhaupt gegenüber den Massen der Arbeiter bilden können. Die große Masse der Arbeiter ist zur Zeit kaum in der Lage, mit den Organen der Staate verwaltung in unmittel- bare Beziehung auf diesem Gebiete zu treten, weil die Aus— führung der sozialpolitischen Gesetzgebung gar nicht in das Ressort der staatlichen Behörden fällt. Es ist wor kurzem in dieser Beziehung ein beachtenswerther Artikel durch die Zeitungen gegangen; ich nehme nach den Ausführungen an, es hat ihn ein preußischer Landrath geschrieben. Es wird da ausgeführt: die lokalen Verwaltungsbehörden haben jetzt nicht den Einfluß, den sie auf sozialpolitischem Gebiet haben sollen, well sie nur ganz mechanische Vermittler von Anträgen sind und infolge dessen kaum das Interesse haben können, was eigentlich die Sache erfordert. Und so wie es mit den Kreisbehörden liegt, ist es ähnlich mit den Gemeindebehörden. Wir müssen der halb entweder neue Organe schaffen, oder den bestehenden Organen gewisse Aufgaben durch das Gesetz überweisen, und ich glaube, daß durch eine sölche Organisation nicht den Bestrebungen der Sozialdemokratie Vorschub geleistet, son dern daß dadurch wesentlich die Autorität und der Einfluß der staatlichen Beamten gestärkt werden wird. Aber, wie gesagt, es kann sich zunächst meines Erachtens nur um die Thätigkeit von Beamten im Nebenamt handeln. Man muß erst sehen, wie sich die Organisation entwickelt. Die Organisation muß mit ihren Aufgaben selbst allmählich wachsen.

Ich komme jetzt auf einen zweiten Punkt, das ist die Frage des Vermögensausgleichs. Ich bin in dieser Beziehung vielfach einer geradezu privatrechtlichen Auffassung der Sache begegnet. Wenn wir nicht einen Vermögensausaleich in dieser oder jener Form herbei⸗ führen, so ist doch die Konsequenz die, daß eine Anzahl von An— stalten in absehbarer Zeit ihre Beittäge verdoppeln oder vervier⸗ fachen muß, während andere Anstalten ihre Beiträge auf ein Minimum ermäßigen oder ganz aufheben werden. Das würde aber dem Sinne, in dem das Reichsgesetz erlassen ist, strikte widersprechen. Man hatte ja zuerst den Gedanken, eine große Reichsanstalt zu be⸗ gründen; man ist wesentlich deshalb von dem Gedanken ab— gegangen, weil man sich sagte, eine Reichsanstalt würde ein solch kolossaler Apparat sein, den kein Mensch mehr übersehen und leiten könnte. So ist man zur Dezentralisation in Landes- und Provinzialanstalten übergegangen und hat damals den Schritt gegenüber den Provinzen und Einzelstaaten gemacht, den wir jetzt mit den Rentenstellen gegenüber den Kreisen und anderen kleinen Verwaltungebezirken machen wollen. Bei dieser Konftruktion der Sache, bei dieser Einrichtung, die auf dem allgemeinen Reichs— gesetz beruht, hat man doch aber nie daran denken können, daß die Beiträge, die von einzelnen Verwaltungsstellen an⸗ gesammelt werden und die provinziellen Versicherungt⸗ anstalten, die Landesanstalten sind nichts als Verwaltungsstellen dieser großen Reichtzeinrichtung Vermögen der einzelnen Versicherungt⸗ anstalten der einzelnen Staaten oder sogar Vermögen der einzelnen Versicherten werden, die zufällig in diesen örtlichen Bezirken wohnen. Die Vermögen, welche die Versicherungzanstalten angesammelt haben, sind weder Landesvermögen, noch Vermögen der einzelnen Versiche⸗ rungsanstalten, sondern es sind Rücklagen, die auf Grund eines Reicht gesetzes für einen Reichszweck angesammelt sind, der in Deutschland

fraudationen stattgefunden? Eventuell wird der Rentenbeamte an

einheitlich erfüllt werden muß. Verläßt man diese Grundlage, so

giebt man meines Grachtens der ganzen Organlsation den Todesstoß. (Sehr richtigl rechte) a.

Und, meine Herren, warum wollen wir denn den Vermögengaug⸗ gleich? Die Forderung, die wir stellen, daß die Versicherungtanstalten eine gemeinschaftliche Rückversicherung bilden, ist doch nichts als das Korrelat der allgemeinen Freizügigkeit. (Sehr wahr! rechts.) Es würde ein allgemeiner Widerspruch darin liegen, wenn wir die Frei⸗ zügigkeit mit allen ihren Folgen aufrecht erhielten und diejenigen Landestheile, die unter der Freizügigkeit leiden und unter der ungünstigen Altersgruppieruag der Arbeiter, sodaß ihnen nur die alten Leute bleiben und ein Leutemangel eintritt, der vielleicht eine viel größere Kalamität bildet als die niedrigen Getreidepreise, dadurch strafen wollten, daß wir den Versicherten und den Arbeitgebern dort noch größere Beiträge auferlegten und das Uebel so noch vermehrten. (Sehr wahr! rechts) Denn das ist doch selbstverständlich: sobald Sie in diesen Landestheilen die Versicherungsbeiträge für die Arbeitgeber und Arbeitnehmer noch erhöhen, so werden die letzteren noch mehr aus diesen Landestheilen fortgehen, und Sie werden die Verhältnisse dort noch verschärfen.

Ich glaube also, unsere Forderung ist eine sachlich durchaus be⸗ gründete, sobald man die privatrechtliche Auffassung von einem be⸗ sondeten Vermögen der Versicherungsanstalten oder Landesanstalten oder von einem Vermögen der Versicherten, die sich zufällig in den dortigen Landestheilen aufhalten, verläßt und von der Ansicht aus geht: es handelt sich um zu Reichszwecken gebildete Fonds, um die Reichsversicherung einheitlich durchzuführen.

Gelöst muß diese Frage werden. Die Gefahr liegt ja nicht nur darin, daß die ärmeren Versicherungsanstalten ihre Beiträge erhöhen müßten, sondern auch darin, daß die reichen Versicherungs⸗ anstalten ihre Beiträge ermäßigen oder fallen lassen könnten. (Sehr richtig! rechts] Würde man also jetzt diese Aufgabe nicht lösen, so würde die Konsequenz eintreten, daß die reichen Versicherungs⸗ anstalten, die nicht wissen, was sie mit dem Gelde machen sollen, ihre Beiträge ermäßigten und daß die übrigen Anstalten, um das Deckungskapital entsprechend dem Gesetz zu schaffen, ihre Beiträge wesentlich erhöhen müßten, oder der andere Fall wenn ihnen das gesetzlich erreichbar wäre —, daß reiche An⸗ stalten zwar dieselben Beiträge erheben, aber ihre Leistungen ganz

außerordentlich erhöhen man könnte ja denken, daß man diesen gesetzlichen Weg zu gehen versuchte —, oder daß die armen Ver⸗ sicherungsanstalten ihre Beiträge beibehalten und ihre Leistungen wesentlich reduzieren. Wenn man innerhalb einer Reichsinstitution, die doch von einem großen nationalen Gedanken getragen ist, eine solche Differenzierung eintreten ließe, so würde das für die Bewegung unserer Bevölkerung verhängnißvolle Folgen haben.

Meine Herren, man hat gesagt, Ostpreußen habe seine Ver⸗ pflichtungen in Bezug auf die Markenkontrole nicht erfüllt. Ich habe die Organisation des Gesetzes selbst mit durchgeführt und kenne die Verhältnisse ich versichere Sie ganz genau. Wie war denn die Sache bei Einführung des Gesetzes? Uns wurde die Aufgabe in den Provinzen gestellt, diese selten schwierige Organisation innerhalb einer sehr kurzen Zeit durchzuführen, eine vollkommen fremde Einrichtung, die noch kein Staat probiert hatte. Es ist bewundernswerth, und ich behaupte, nur die freiere Selbstverwaltung konnte diese Aufgabe lösen, daß man diese Organisation in Form von Provinzanstalten in dieser kurzen Zeit geschaffen hat. (Sehr wahr! rechts.) Zuerst, und das las man in allen offiziellen Zeitungen, wünschte man, daß mit der Bewilligung der Rente nicht ängstlich bureaukratisch vorgegangen würde, um das Gesetz populär zu machen, um den Betheiligten das Gefühl zu geben, es werde eine große staatliche Wohlthat ihnen er— wiesen. Ich gestehe zu, daß in der ersten Zeit theils aus diesem Gesichtspunkte heraus, theils infolge Unkenntniß der Bestimmungen seitenß der Gemeindebehörden den Rentenempfängern manche Renten bewilligt wurden, die nach dem strietum jus vielleicht nicht bewilligt werden sollten. Es war das in jener Zeit aus diesen Gründen kein besonderes Unglück. Ich glaube aber auch durch das Zahlenmaterial, das ich Ihnen bier unterbreitet habe, in schlüssiger Weise nachgewiesen jzu haben, daß davon gar keine Rede sein kann, daß etwa in Ostpreußen 5. Millionen dadurch defektiert worden sind, daß die Marken nicht in vorschriftsmäßiger Weise geklebt sind. Es kann sich immer nur um eine verhältnißmäßig geringe Summe handeln; jene Summe von 5 Millionen ist absolut unzutreffend, dafür ist, glaube ich, der Beweis mathematisch erbracht.

Will man also die Folgen, die ich hier bezeichnet habe, nicht berbeiführen, so muß ein Vermögensausgleich erfolgen. Nun ge⸗ statten Sie mir, mit ein paar Worten auf die anderen Folgen zu kommen. Wird der Vermögensausgleich nicht gemacht, tritt eine Differenzierung der Beiträge ein, dann ist es ja klar, daß die Arbeiter in den (stlichen Landestheilen oder überhaupt in denjenigen, wo höhere Beiträge erhoben werden, darin geradezu einen Anreiz sehen werden, nach dem Landestheil hinzu⸗ gehen, wo die Beiträge niedriger sind oder vielleicht garnicht erhoben werden. Das ist aber eine absolute nationale Gefahr. Wünschens⸗ werth ist es doch nicht, daß fortgesetzt über unsere Grenzen fremde Arbeitermassen strömen, die nicht durch unsere Schulen gegangen sind, unsere Sprache nicht verstehen, die jeden Augenblick in die Lage kommen können, wieder nach ihrer Heimath zurückgehen zu müssen. Wir müssen doch wünschen, daß der Arbeitsmarkt, den unser Baterland bietet, grundsätzlich auch unseren Arbeitern erbalten bleibt. (Sehr richtig! in der Mitte) Und wenn wir es jetzt gestatten müssen, daß große Massen fremder Arbeiter über unsere Grenzen kommen, so thun wir das doch nur der Noth gehorchend, der absoluten landwirthschaftlichen Noth. Schaffen wir aber den Ausgleich nicht, so wärde in einer Reihe von Landestheilen die un— zweifelhafte Konsequenz eintreten, daß der Abzug von Atbeitern in noch stärkerem Maße stattfindet wie bisher, und daß wir in noch höherem Grade auf Heranziehung von Arbeitern außerhalb unserer Grenzen angewiesen sind. Ich glaube, ein wünschenswerther Zustand ist das nicht, und man kann vielleicht sogar in vielen Beziehungen einen bedenklichen Zuftand darin finden.

Man hat gegen den Vorschlag des Gesetzes auch eingewandt, man wäre ja selbst von dem strengen Prinzip abgegangen, daß die Reichs leistung eine einheitliche sein muß, indem man, auf Antrag der Ver⸗ sicherungganstalten und mit Zustimmung des Bundesrathz, nachgelassen habe, daß unter Umftänden auch Nebenleistungen von den Anstalten ge⸗ währt werden können. Meine Herren, diese Bestimmung trägt ja selbftver⸗

ich darin nicht erlennen; denn es wird festgehalten, daß die gesetzlichen Lelstungen aus Gemeinvermögen und Sondervermögen im ganzen Relch die gleichen sein müfsfen und Nebenleistungen, z. B. die Errichtung von Heilanstalten, vlelleicht die volle Rückerstattung der Beiträge im Falle der Verheirathung u. s. w., bessere Gewährung

der Fürsorge bei der Krankenpflege, nur da gestattet werden,

wo es das Sondervermögen der einzelnen Anstalten zuläßt.

Man ist allerdings damit den Anstalten, die über größere Fonds

verfügen, bis zu einem gewissen Grade entgegengekommen, aber ich

meine, auch mit einer gewissen Berechtigung; denn die Anstalten, die

solche großen Fonds angesammelt haben, sind belegen in Landes

theilen, wo in der Regel nicht nur die Arbeitslöhne höher sind,

sondern auch die Lebenshaltung eine theurere ist. Daß man in diesen

Fällen den Anstalten erlaubt, aus ihrem Sondervermögen gewisse

Nebenleistungen zu gewähren neben den gesetzlichen Leistungen, scheint

mir ein Verlassen des allgemeinen Prinzips nicht zu sein.

Meine Herren, ich will nun noch auf die dritte große Frage mit

einigen Worten eingehen, das ist die Markenfrage. Wem von uns

klänge es denn nicht wohlthuend in den Ohren, wenn man sagt, daz

Markenkleben soll abgeschafft werden? Aber ich habe bis jetzt aus den

zahllosen Vorschlägen, die mir gedruckt und geschrieben zugegangen

sind, noch nicht einen Vorschlag herausgefunden, der die Frage der

Beitragerhebung praktischer und billiger regulieren könnte, wie es jetzt durch

das Kleben der Marken geschieht. Der Hauptvorschlag ist ja der, allgemein

das Einziehungsverfahren durchzuführen. Das Einziehungsverfahren

aber setzt die Aufstellung von Listen voraus. Run stellen Sie

sich einmal vor, auch nur bei ständigen Arbeitern Listen aufzustellen, so schnell, daß, wenn die Einziehung der Beiträge auf Grund der Listen erfolgt, der Arbeiter immer noch an seiner Stelle ist und

nicht irgendwo im Lande gesucht werden muß wegen seines Beitrags. Wie wird aber die Einziehung auf Grund von Listen dort erfolgen, wo eine große Zahl von unständigen Arbeitern arbeitet? Und leider führen ja die Verhältnisse immer mehr dahin, daß die Landwirthe mit großen Massen unständiger Arkeiter arbeiten müssen, daß die Sachsengängerei immer mehr zu— nimmt. Wie soll es nun möglich sein, bei der großen Masse un⸗— ständiger Arbeiter denken Sie einmal an große Fabriken, die häufig mit ikren Arbeitern für rein mechanische Handreichungen wechseln, denken Sie an Güter, die einen großen Kartoffelbau, einen großen Rübenbau treiben! wie soll es möglich sein, für diese wechselnde Arbeiterbevölkerung fortgesetzt korrekte Listen aufzustellen und auf Grund derselben mit solcher Schnelligkeit die Einziehung zu bewirken, daß der Arbeiter auch noch an Ort und Stelle ist, wenn die Erhebung des Beitrags auf Grund seiner Listen erfolgt? Wir würden dann in einen ähnlichen Zustand gerathen wie bei der alten preußischen Klassensteuergesetzgebung. Da hat man bekanntlich die unteren Steuerstufen deswegen aufgehoben, weil bei der Einhebung dieser kleinen Steuerbeträge die Kosten, die dadurch entstanden, in gar keinem Verhältniß mehr zu dem zu erhebenden Betrage standen. Würden wir zu einer Erhebung der Invaliditätsbeiträge auf Grund einer derartigen Listenführung kommen, so würde sich ganz derselbe Vor— gang vollziehen, wir würden die Arbeiter, die seit Aufstellung der Listen Gott weiß wohin in das Land gegangen sind, schriftlich ver folgen müssen, wir würden ein Maß von Schreibwerk bekommen, dem gegenüber die jetzige Einklebung von Marken noch ein vereinfachtes und erleichtertes Verfahren ist.

Und in der That, meine Herren, ist das Markenkleben ein erleichtertes Verfahren, denn beim Marlenkleben fallen die beiden entscheidenden Handlungen zusammen: Festftellung der Verpflichtung und Erhebung des festgestellten Beitrages, während beim Einziehung verfahren diese beiden Handlungen auseinanderfallen. Man könnte ja sagen, die Einziehung des ganzen Beitrages erfolgt nicht vom Arbeiter, sondern vom Arbeitgeber, und es bleibt Sache des Arbeitgebers, die Beitragshälfte des Arbeiters sich selbst einzuniehen. Da erreicht man gerade das, was man vermeiden will, was (bei dem Marken⸗ kleben lästig empfunden wird, daß nämlich der Arbeitgeber der Er⸗ heber für die Versicherungsanstalt sein soll, und, meine Herren, es bleibt der Zustand, daß der Arbeitgeber gleichzeitig den Theil für den Arbeiter mit zu erheben hat, indem er die Marken zu kleben hat. Da ist es doch viel einfacher, daß man nicht erst den Arbeitgeber zwingt, eine Liste aufzustellen, und auf Grund der Liste ein Ein— ziehungsverfahren in Bewegung setzt, sondern daß der Arbeitgeber selbst die Einziehung bewirkt, indem er die Marken klebt und den Beitrag des Arbeiters leistet.

In Süddeutschland, wohl auch in Sachsen, hat sich freilich das Einziehungsverfahren bewährt, aber ich glaube, soweit ich mir die Verhältnisse habe darstellen lassen, doch vorzugsweise nur gegenüber ständigen Arbeitern bei einer viel dichteren Bevölkerung, bei der man auch mehr geeignete Personen findet, solche Einziehungsstellen zu leiten. Ich glaube, gegenüber einer häufig wechselnden unständigen Bevölkerung ftellte sich auch in Süddeutschland die Sache ebenso schwer, wie sie sich bei uns ftellen würde; in Süd- deutschland hat man aber nicht die großen wechselnden Arbeitermassen, mit denen namentlich unsere Großgrundbesitzer im Osten zu rechnen haben. Ich will keineswegs sagen, daß man nicht bei einer fort⸗ schreitenden Organisation auch einmal dahin kommen wird, die Marken fortfallen zu lassen. Das würde aber eine Dezentralisation der ganzen Verwaltung voraussetzen, die weit über die Dezentralisation hinausginge, die wir in der Form von Rentenstellen vorgeschlagen haben.

Meine Herren, ich will weiter nicht auf Einzelheiten eingehen. Ich möchte nur mit den Worten schließen, daß wir glauben, bei der Ausarbeitung dieser Novelle den Weg eingeschlagen zu haben, den Fürst Bismarck seinerseits einst für die sozialpolitische Gesetzgebung vorgezeichnet hat, d. h. durch die sozialpolitische Gesetzgebung die Existenz des Arbeiters zu sichern, in der Form, daß er die Wohlthaten und die christliche Hilfsbereitschaft der Staatsgewalt für sich und seine Interessen spürt, und in dem Sinne, daß dabei die Macht des Staats⸗ gedankens wächst! (Bravo! rechts und in der Mitte.)

Abg. Schmidt Elberfeld (fr. Volksp.): Die Vorlage, die dritte ihrer Art, nachdem eine erste nicht zu unserer Kenntniß ge—⸗ kommen, eine zweite nicht von uns erledigt worden ist, bringt wiederum wie die zweite Vorlage den finanziellen Ausgleich und den neuen Gedanken der örtlichen Rentenstellen. Die 5 sollen jeden⸗

falls wiederum als Vorspann dienen für den anderen Punkt der Vor— lage, den sogenannten Vermögengausgleich. Jede Versicherung muß

Das ift erfreulich. Die Berechnungen d damals nur im Ganzen ausgeführt worden nach den Absterbeordnungen, aber nach dem Durchschnitt im ganzen Reich, während die Verhältnisse in den einzelnen Bezirken sehr verschieden sein können. Es hat sich er⸗ geben, daß die einzelnen Lohnklassen verschiedenartig belastet sind. ire ein finanzieller Ausgleich statt, dann verläßt man den Ver⸗

ungsstandpyunkt und geht davon aus, daß der Starke dem en n elfen muß. Die Vermögensinsuffizienz einzelner An⸗ stalten wird in der Begründung allein auf die ungünstige Alters⸗ gruppierung zurückgeführt. Es giebt aber auch andere wichtige Ursachen, die auf die Ausgabe von Einfluß sind. Für die Gemeinlast der Grundrenten soll ein Gemeinvermögen gebildet werden, für die Ver- waltungskosten und die sonstigen Leistungen soll ein Sondervermögen ebildet werden. Man könnte höchsteng die späteren Beiträge als emeinvermögen betrachten, aber eine Art Kommunismus einzurlchten. eine Art Konfiskation vorzunehmen, ist nicht berechtigt. Es handelt sich im wesentlichen nur um Ostpreußen. (Zuruf: Niederbayern.) Wenn man ganz Bayern zusammenfaßt, so würde das Defizit dort verschwinden. Eine so folgenschwere Aenderung wie dieser Vorschlag, der die Selbstverwaltung in Frage stellt, darf nicht dauernd festgelegt werden, wenn nicht der zwingende Beweis dafür erbracht wird. Dieser Beweis ist trotz alles Zahlenmaterials nicht erbracht worden. Die Zahlen von 1895, 1897 und die jötzt vorliegenden Zahlen weisen große Verschiedenartigkeiten nach, sodaß die Grundlagen noch sehr unsicher sind und auch noch mehrere Dezennien unsicher bleiben werden. Die Aenderungen bezüglich der Grundrenten werden auch einen tiefen Einfluß ausüben. Es geht jetzt schon aus den Zahlen bervor, daß die Beiträge in den oberen Lohnklassen zu boch, in den unteren zu niedrig sind; es ist auch durchaus noch nicht festgestellt, daß die Arbeiter in Ostpreußen auch alle in der richtigen Lohnklasse beitragen. Die im Jahre 1888 aufgemachte Berechnung paßte nicht für Ostpreußen mit seinen 60 0ᷣ0. Versicherten der ersten Lohn⸗ klasse und mit seiner viel größeren Invaliditätsgefahr. Es sind in Ostpreußen dreimal so viel Leute in der ersten Lohnklasse als im Durchschnitt des Reichs. (Zuruf des Abg. Gamp (Rp.): Das ist bedauerlich) Es ist doch aber merkwürdig, ß in den benachbarten Provinzen Wesipreußen, Posen und Pommern die Zustände nicht so schlimm sind. Es zeigt sich aus den Zahlen; je größer die Zahl der Versicherten erster und zweiter Klasse, um so weniger Vermögengansammlung; je größer die Zabl der Ver sicherten der dritten und vierten Lohnklasse, um so größer die Ver⸗ mögensansammlung. Also die letzteren zahlen zu viel, die ersteren zu wenig. 1892 kamen in Ostpreußen auf eine Invaliden rente 3 Altersrenten, in der Rheinprovinz 2; jetzt kommt in Ostpreußen auf 4 Invalidenrenten erst eine Altersrente, und im Rheinland ist das Verhältniß ebenso. Die Zahl der Invalidenrenten steigt mehr als die Zahl der Altersrenten. Ostpreußen leidet daran, daß 1891 12000 Altersrenten bewilligt wurden, dreimal so viel als sonst nach dem Verhältniß der Bevölkerung. Welchen Einfluß die Altersgruppierung ausübt, läßt sich nicht feststellen, da es an einer Statistik derselben nach den einzelnen Lohnklassen fehlt. Es empfiehlt sich also, vorübergehend Abhilfe zu schaffen für Ostpreußen und einige andere Anstalten. Die örtlichen Rentenstellen verdienen Beach⸗ tung wegen der mündlichen Verhandlung. Aber bedenklich ist die Art, wie die Vorlage die Rentenstellen konstruieren will. Wenn der Anstaltsvorstand eine Art zweite Instanz bilden soll, dann könnte man die Schiedsgerichte ganz aufheben. Bedenklich ist die Einrich⸗ tung der Rentenanstalten als staatliche Veranstaltungen im Kreise, die sich doch wieder der Gemeindebehörden bedienen müssen und schließlich auch aus den Akten entscheiden. Der Landesrath Meyer hat sich deshalb gegen diese Einrichtung in der „Kreuzzeitung“ aus— gesprochen. Es fehlt schon jetzt nicht an Reibereien zwischen den Staatskommissarien und den Schiedsgerichtsvorsitzenden einerseits und den Vorstandsmitgliedern andererseits. Bei den Rentenstellen werden die Reibereien sich vermehren, oder die Leiter derselben müßten reine Beamten der Versicherungsanstalt werden. Fakultativ kann die Ein richtung nicht getroffen werden, und zwar im Interesse der Einheit lichkeit der Ausführungen des Gesetzes. Eine Zusammenlegung aller Versicherungsarten ist nicht gut durchführbar; wohl aber wäre eine Zusammenlegung der Kranken⸗ und Invalidenversicherung möglich. Die Ausscheidung derjenigen Personen aus der Invalidenversicherung, welche jetzt nicht gegen Krankheit versichert sind, würde sehr schwer sein. Es wird sich fragen, ob die Krankenkassen so geordnet werden können, daß sie als ausführende Organe der Invalidenversicherung dienen können. Berechtigt ist das Bestreben, den Invaliditäts- versicherungsanstalten möglichst zeitig einen Einfluß auf die Kranken behandlung zu gewähren. Es wird wohl erwogen werden müssen, ob nicht die vorgeschlagene Erhöhung der Grund renten die Vermögensansammlung und ob nicht die Ver⸗ ringerung der Wochenbeiträge der unteren beiden Lohnklassen die Leistungsfäbigkeit der Anstalten gefährdet. Die Scheidung zwischen dem Gemeinvermögen und dem Sondervermögen gefährdet auch die Aufgaben der Anstalten, namentlich der industriellen Bezirke. Die gesunde frische Luft, die die ländlichen Arbeiter gesunder macht, soll durch die Einrichtungen der industriellen Anstalten, durch die Ge⸗ nesungshäuser ꝛc. den Industriearbeitern zugeführt werden. Ich hoffe, daß man in der Kommission eine gute Lösung finden wird. Allerdings wird dadurch ein großes Entgegenkommen der verbündeten Regierungen nothwendig sein. Redner beantragt schließlich die Ueberweisung der Vorlage an eine Kommission von 28 Mitgliedern.

Abg. Dr. Hitze (Zentr.): Wir waren seiner Zeit gegen eine Ein⸗ beziehung der landwirthschaftlichen Arbeiter in die Versicherung, weil sie im Westen nicht ein kleines Eigenthum besitzen, und wegen der großen Belastung der Arbeiter und der Arbeitgeber, ferner gegen die Einbeziehung der Handwerker, die doch einmal selbständig werden wollen, der Handlungsgehilfen und Dienstboten, weil auch diese in ab⸗ sehbarer Zeit aus der Versicherung ausscheiden. Die Landwirthschaft kann die Tasten nicht mehr tragen, deshalb der Vorschlag der finan— ziellen Ausgleichung. Man merkt die Absicht und man wird verstimmt. Aber eine Abhilfe muß geschaffen werden. Wenn Ostpreußen besonders unerträgliche Verhältnisse hat, dann könnte man zunächst daran denken, durch den Reichszuschuß einen Ausgleich herbeizuführen. Daß die Altersrente eine Begünstigung für die ländlichen Arbeiter war, hat man vorausgesehen, aber nicht vorausgesehen hat man, daß auch die Invalidenrente mehr den landwirthschaftlichen Arbeitern als den industriellen zu gute kommt. Die Ausgleichung wird auf dem

vorgeschlagenen Wege aber nicht möglich sein. Die Zusammenlegung des Gemeinvermögens kann nur für die Zukunft erfolgen; rück⸗ wirkend über die erworbenen Vermögen zu verfügen, würde eine

Verletzung des Eigenthums sein. Die Ausdehnung der Ver⸗ sicherung auf die Lehrer und Lehrerinnen, die Erleichterungen der Uebergangsbestimmungen, die Einführung von Marken für längere Zeiträume, die Annäherung der Invalidenversicherung an die Krankenversicherung sind sehr , , . Verbesserungen. Die Invaliden, welche frühzeitig die Rente erhalten, müßten, wenn sie unversorgte Kinder haben, eine . erhalten. Auch für die Arbeiterwohnungen müßte mehr gesorgt werden; es sind einzelne In⸗ validitätsanstalten in dieser Beziehung etwas störrisch geworden. Sollten die Rentenstellen Organe der Versicherungsanstalten sein, dann müssen diese letzteren den leitenden Beamten ernennen. Sollen die Rentenstellen aber sich ausgestalten, dann mau ein Staatsbeamter an der Spitze stehen. Ich lege mich bezüglich dieser Frage nicht einmal für meine Person fest. Sb die Rentenstellen mit den Krankenkassen Fühlung ge⸗ winnen können, lasse ich a e aber sie sind jedenfalls geeignet mit den Versicherten persönlich Fühlung zu gewinnen, namentlich wenn die Krankenbehandlung seitens der Versicherungsanstalten so er⸗ heblich ausgedehnt werden soll. Ein Wort möchte ich noch einlegen für die Einführung der Wittwen⸗ und Waisenversorgung. Eine Ab⸗ schlagszahlung liegt in der Beitragserstattung im Falle des Todes des Veisicherten. Diese Lösung ist sehr unbefriedigend. Die Wittwen⸗ und Waisenversicherung würde die Popularität des Gesetzes mebr fördern, als die Alters⸗ und Invaliditätsversicherung; jedenfalls ist sie viel dringender, als die , der Altersgrenze auf 665 Jahre.

ständlich den Stempel des Kompromlsses an der Stirn, aber eine Gefahr für die Einheitlichkeit der Sache und ein Verlassen des Prinzips kann

ibre Kosten in sich selbst decken. Jetzt zeigt sich, daß im Ganzen n, Beiträge ausreichen 1 Deckung der Renten.

Abg. Freiherr von Richthofen (d. konf.): Wir würden un freuen, ie Wittwen⸗ und Waisenversicherung einzurichten, wenn sie