nicht eine übermäßige Belastung bringt. Aber wir müssen solche vor⸗ läufig unerreichbaren Wünsche n Tm nen! Es giebt der Ziele noch viel, die wir nicht unmittelbar zu erreichen vermögen. Vom vraktischen Standpunkt aus muß man alle Phantasmagokien bei Seite lafsen. Das Gesetz muß fertiggestellt werden, weil die Notblage einzelner Anstalien dringend Hilfe erfordert. Noth⸗ wendig war die Organisation der örtlichen Rentenstellen nicht; die Reglerung hat das Gesetz damit bedenklich belastet. Die An⸗= stalten für Sstpreußen und Niederbayern befinden 16 vor dem Defizit. Die Altersgruppierung, die allein schuld daran ist, hat man nicht vorherseben können. Die Quittungekartenguszählung hat gezeigt, daß die Abwanderung die jüngeren Altersklassen viel mehr ergriffen hat als die älteren. Eine Ausgleichung ist nothwendig; ob das Verhältniß von 23 zu 3/3 richtig ist, mag dahingestellt bleiben. Der jetzige Vorschlag sst acceptabler als alle vorher gemachten Vorschläge, denn die einheitliche Verwaltung deg Vermögens wird dadurch gesichert. Die Einschränkung der Versicherungspflicht, der eschiß der Landwirthschaft von derselben wird von den Kon⸗ servativen nicht gewünscht; da einmal die Versicherungspflicht für die landwirtbhschaftlichen Arbelter besteht, muß sie aufrechterhalten werden trotz aller Schwierigkeiten, welche die Unständigkeit der Arbeiter mit sich bringt. Redner spricht seine Befriedigung über die Ginbeziehung der Lehrer und Lehrerinnen in die Versicherung aus. Die Vorlage sei für eine kommissarische Berathung sehr wohl geeignet; mit redlichem Willen werde aus dem Entwurf ein segensreiches Gesetz werden. Abg. Molkenbuhr (So) führt aus: die Vorlage beabsichtige, neben der Verbesserung der Invalidenversicherung auch einen anderen Zweck zu erreichen, nämlich eine Versöbnung der arbeitenden Klassen mit den gegenwärtigen Zuständen. Eine Verhesserung sei es allerdings, daß die Krankheitsfürsorge schon nach 26 Krankheltswochen eintreten folle; aber man hätte dann die Krankenversicherung dahin abändern müssen, daß die Krankenkassen die Fürsorge für 26 Wochen statt für 13 übernehmen müßten. Redner bemängelt die Herabsetzung der Altersrente auf den Grundbetrag der Invalidenrente und die Verminderung der Invalidenrenten durch Herabsetzung der Steigerungssätze. Die Herab⸗ setzung der Beiträge für die eiste und zweite Lohnklasse treffe gerade die Versicherungsanstalten, die ein Defizit haben. Bei Ostpreußen werde dadurch ein Einnahmeausfall von 10060 entstehen. Die Rentenstellen seien nicht richtig konstruiert; es sollten nur die Krankenkassenvorstände wählen, warum lasse man nicht die Wahlen ebenfo stattfinden wie bei den Schiedsgerichten? Eine Härte sei es, daß die Rente versagt werden solle, wenn die Arbeiter sich nicht der Unterbringung in eine alan r ! unterwerfen wollten. Die vorübergehende Auf⸗ besserung der finanziellen Verhältnisse der ostpreußischen Anstalt wolle man nicht als genügend anseben, weil nicht nur die Beitrags ermäßi— gung diese Ansialt noch schlechter stelle als bisher, sondern auch weil die Versicherungspflicht gerade für diese. Anstalt erheblich ein— geschränkt werden solle bezüglich der unständigen ausländischen Ar⸗ beiter, wodurch allerdings das Kleben erheblich erleichtert werde. Die höhere Invalidität auf dem Lande liege daran, daß die Leute bei eintretender Krankheit nicht richtig behandelt würden. Die Rheder hätten auch eine Liebesgabe erhalten, sie brauchten die auf ihren Schiffen beschäftigten Ausländer nicht mehr zu versichern. Einen nothwendigen Ausgleich wollten die So ial⸗ demokraten nicht verhindern, aber eine besondere Begünstigung der Landwirthschaft wollten sie nicht dulden. —
Um 54, Uhr wird die weitere Berathung bis Dienstag
1 Uhr vertagt.
Preuszischer Landtag. Haus der Abgeordneten.
18. Sitzung vom 13. Februar 1899.
Ueber den Beginn der Sitzung ist schon berichtet worden. Das Haus setzt die zweite Berathung des Sta ats⸗ haushalts-Etats für 1899 beim Etat des Ministeriums
des Innern fort.
it dem Kapitel der dauernden Ausgaben, und zwar dem Titel „Gehalt des Minist ers“ gelangt folgender An⸗ trag der Abgg. Dr. Wiemer (fr. Volksp.) und Genossen zur Haar diut ; ; ;
Die in dem Erlaß des Ministeriums des Innern über den Waffengebrauch der Polizeibeamten vom 22. Juni 1898 entbaltene Vorschrift, wonach, falls zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung zum Gebrauch der Waffen geschritten werden muß, unter allen Umständen nur scharf eingebauen oder scharf geschossen werden darf, ist ebenso sachlich ungerechtfertigt, wie sie den Ueber⸗ lieferungen der preußischen Gesetzgebung über den Waffengebrauch der Militärpersenen und Zivilbeamten widerspricht. ;
Abg. Dr. von Jajdzewski (Pole) geht auf die Politik der Regierung gegenüber 2 von den ersten Anfängen an näher ein. Die Regierung habe ibre Verpflichtungen gegen die Polen nicht gehalten und sie Schritt für Schritt zu germanisteren gesucht. Die Mittel, die sie zu diesem Zwecke anwende, seien vollkommen verfehlt und die Vorwürfe, die man den Polen gemacht habe, unbegründet. Die Zahl der polnischen Vereine babe sich seit 1895 nicht vermehrt, wohl aber die der deutschen. Der H. K. T. Verein sei ein Kampfverein, denn er habe sich auf den Boden der Rede des
ürsten Bismarck gestellt, die dieser an die Westpreußen gehalten habe. Im Zusammenhang damit stehe das taktlose Vorgehen der unteren Behörden, die dem Ministerium selbst Schwierigkeiten bereiteten.
Abg. von Staudy (kons): Das Tranrigste, was es für die polnischen Landestheile gäbe, wäre eine schwankende Politik. Wir auf dieser Seite und ich speziell haben immer nur das Wort genommen, nicht um die Polen anzugreifen, sondern um das Deutschthum zu ver⸗ theidigen. Graf Caprivi hielt die Polen für polnisch sprechende Preußen, und dieser uh sind wir auch. Freilich ist unter seiner Regierung in der Provinz Posen manches geschehen, worüber wir lieber schweigen sollen. Die polnischen Vereine sind zur Förderung des Polenthums gegründet worden auch in solchen Fällen, wo gemeinsame r, . der Landwirthschaft 2c. sehr wohl von Deutschen und Polen gemein- schaftlich vertreten werden konnten. Die Sokolvereine sind keine eigentlichen Turnvereine, sondern schon ee, ihrer Tracht polnische Nationalvereine. Auf polnischen Festlichkeiten ist die weiß ⸗rothe polnische 3 aufgerollt worden, und Vereinsmitglieder sind wegen gtoben Unfugs verurtheilt und ihre Vereine als der polnischen Agitation dienend erklart worden. Der H. K. T.⸗Verein ist kein Kampfverein, sondern ein Verein zur Abwehr. Der Abg. von Jazdzewski bat die unteren Behörden hart angegriffen. Der Abg. von Jagow, der zugleich Regierungs. Präͤsident von Posen ist, verzichtete darauf, in dieser Debatte jemals das Wort zu ergreifen. Er hat viel in polnischen Häusern verkehrt und ist über poinische Verhältnisse orientiert; er sowohl wie die Land- räthe stehen sich ausgezeichnet mit den Polen. Man sollte sich hüten, das gute Verhältniß zu stören.
Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums, Finanz⸗Minister Dr. von Miquel:
Meine hochverehrten Herren! Ich habe die Rede des Herrn Abg. von Jazdijewski nicht Cdanz gehört, es könnte daher sein, daß ich in einzelnen Punkten bei der Widerlegung, die übrigens sehr kurz sein wird, irrte. Der Herr Abg. von Jazdzeweki scheint anerkannt zu haben, daß der Erlaß des Staats. Ministeriums vom 12. April 1898 zwar den Zweck verfolgt, den preußischen Beamten in den polnischen Landen klar zu machen, daß sie besondere Aufgaben haben gegen⸗ über den Beamten in rein deutschen Landestheilen, daß sie mitwirken müssen an den Bestrebungen der Staatsregierung, dort das Deutsch⸗ thum zu kräftigen und den Frieden in der Bevölkerung nach allen Richtungen hin so viel als thunlich zu fördern. Es heißt ja auch in
diesem Erlaß ausdrücklich:
Jedes aggressive Vorgehen gegen die fremdsprachliche Bevölle⸗ rung zu vermeiden und den willigen Elementen derselben die Theil⸗ nahme an allen gemeinnützigen, wohlthätigen, religidsen Vereinen möglichft zu erleichtern. Neben der entschiedenen Abwehr deutsch⸗ feindlicher Bestrebungen muß ein versöhnlicher Geist, gerichtet auf die allmähliche Abschleifung der bestehenden Gegensätze, das Thun und Lassen der Beamten und Lehrer leiten.
Wie kann man da von einem feindseligen Vorgehen, von einer gewaltthãtigen Repression, von einem aggressiven Vorgehen gegen einen Theil der Bevölkerung sprechen?
Ich habe nun leider nicht gehört, welche Beweise Herr Abg. von Jazdzewski dafür vorgebracht hat, daß einzelne Beamte etwa in ein⸗ zelnen Fällen diesen Grundgedanken des Erlasses zuwidergehandelt haben. Es würde ja ein leichtes sein, wenn Herr von Jazdzewoski, falls er solche Beweise besitzt, sie mir persönlich mittheilte, dann würde die nöthige Korrektur — soweit sie angezeigt ist — von selbst erfolgen. Wir wollen etwaige Uebergriffe nach der bezeichneten Seite hin seitens der deutschen Beamten ebenso wenig, wie das die Deutschen in der Provinz wollen und wie es die Polen wünschen können. Aber wenn hier einzelne Fälle angeführt werden, die man nicht kontrolieren kann, wofür keine Beweise erbracht werden können, so kann man darauf nicht eingehen. Hätten die Herren von der polnischen Fraktion den guten Willen, nur die Abstellung etwaiger Mißgriffe herbeizu⸗ führen, so brauchten sie hier nicht große Reden, die nur aufreizend wirken können, im Abgeordnetenhause zu halten, sie können sicher sein, auf anderem Wege, den ich bezeichnet habe, in dieser Beziehung eine Korrektur zu erreichen. (Bravol rechts Meine Herren, ich habe so oft schon über die Politik, welche die Staatsregierung jetzt gegenüber der schwierigen Frage einer Provinz mit gemischtsprachlicher Bevölkerung in Zukunft zu befolgen gedenkt, mich ausgesprochen, daß ich kaum nöthig habe darauf noch weiter einzugehen. Ich will nur in Kürze mal Folgendes feststellen.
Die Polen, die sich immer als die verfolgten Lämmer darstellen sehr richtig! bei den Polen; Lachen rechts), haben in diesen Landen alle verfassungsmäßigen und sonstigen Freiheiten, die der deutschen Bevölkerung zustehen. (Sehr richtig! rechts.) Sie haben eine freie Presse, sie haben Versammlungsrecht, sie haben freie Vereinsbildung genau so wie die Deutschen und machen davon einen sehr reichlichen Gebrauch; sie zahlen dieselben Steuern wie die Deutschen, die kulturellen Ausgaben in diesen Provinzen kommen ihnen ebenso zu gut wie den Deutschen. Wie kann man nun bei einem solchen Bilde von vornherein den einen Theil der Bevöllerung als die Unterdrückten und Verfolgten darstellen? Alles Wesentliche, was ein Unterthan an Rechten haben kann, besitzen sie, alle Vortheile von der Angehörigkeit an ein Staatswesen, die ein Theil und alle Unterthanen genießen können, besitzen sie. Worüber ist nun eigentlich die Klage und der Streit? Meine Herren, die Schule! Aber Herr von Jazdzeweki selbst hat hier mehrfach anerkannt, daß es die größte Wohlthat sei, daß die Polen deutsch lernen; sie brauchen für ihr Fortkommen die Kenntniß dieser Sprache unbedingt, das giebt er zu. Wenn also unsere Schulen darauf gerichtet sind, daß die Polen, die in ihren Familien nicht deutsch sprechen, von Kindheit auf nicht deutsch lernen, zwiesprachig werden, wenn das nur zu ihrem Vortheil gereicht, so sehe ich nicht, woher die Klagen kommen. Für die religiöse Erziehung der Kinder ist durch das Zugeständniß des Religionsunterrichts in den ersten Tagen der Kindbeit gesorgt.
Woher kommt nun der ganze Streit? Man muß sich doch einmal fragen: sind es nun die Deutschen, die in dieser Beziehung ein aggressives Vorgehen begonnen haben? Gehen sie darauf aus, die Polen auszurotten, ihre Muttersprache, wie sie oft in anderen Ländern zu gebrauchen verboten ist, zu verbieten, sie ihnen zu rauben? — durchaus nicht! Das kann von keiner Seite behauptet werden. Thut die Staatsregierung Derartiges? Woher ist also der ganze Streit gekommen? Es giebt Dinge, die notorisch sind, die braucht man nicht zu erörtern und zu beweisen, sie erzählt einem jeder unbefangene Mann, der aus diesen Provinzen kommt, jeder Beamte, noch so unbefangen, noch so milde und gütig, erzählt einem immer dasselbe: der aggressive Theil sind die Polen. Und in einem Theil wenigstens steckt doch der Hintergedanke, es könnte einmal gelegentlich anders werden (sehr richtig! rechts), und wir müssen uns darauf vorbereiten. Herr von Jazdzewski hat uns bezeugt, daß die Polen nicht an so etwas denken; ich traue ihm zu, daß er persönlich nicht daran denkt, aber wenn er einen Glaubenseid schwören sollte (Heiterkeit rechte), ob er sicher wäre, daß auch nicht Anddre in Polen daran denken, und zwar in ziemlich verbreitetem Umfange, so bin ich überzeugt, er würde gewissenhaft genug sein, den Eid zu verweigern.
Meine Herren, woher kommt das Streben der Isolierung in allen Beziehungen seitens einer polnischen — Partei, will ich nur sagen? Alles soll getrennt sein, zwei Rassen sollen nebeneinander unvermittelt dastehen, kein gemeinsames, doch thatsächlich vorhandenes Interesse soll genügen, um diesen immer breiter werdenden Grenj⸗ graben zu überbrücken. In landwirthschaftlicher Beziehung beispiels⸗ weise haben doch zweifellos die Polen genau dasselbe Interesse wie die Deutschen, und sie müssen sich doch sagen: viribus unitis werden wir mehr erreichen, und es können beide Stämme in dieser Beziehung von einander lernen. Wer hat die Vereinigung der landwirthschaftlichen Vereine verhindert? Das haben die Polen gethan. (Sehr richtig! rechts.) Ich habe mich selbst schon vor Jahren aufs lebhafteste bemüht, alle Personen, die sich mit mir darüber unterhielten, Deutsche sowohl wie Polen, zu ermahnen, in dieser Beziehung eine Vereinigung zu erzielen. Die polnischen Sparkassen, alle politischen, wirthschaftlichen und kon⸗ fessionellen Vereine werden streng getrennt. Was soll das bedeuten? Muß man da nicht einen Hintergedanken vermuthen? (Sehr richtig! rechts.)
Meine Herren, zum theil sind diese Vereine, und gerade die Sokolvereine, doch auch direkt deutschfeindlich. Sie gehen darauf aus, daz Bewußtsein der Polen als Nation in einem Deutschland und Preußen feindlichen Sinne zu beleben und zu entwickeln. Ich habe hier ein gerichtliches Erkenntniß, wo es über die Sokolvereine
heißt — es wird da die Thätigkeit, das ganze Verhalten der Sokol vereine in diesem Erkenntniß geschildert —:
Diese ganze Thätigkeit der Sokolvereine kennzeichnet sie zur Genüge
als das, was sie sind, nicht als Turnvereine, nicht als Vereine zur
Pflege der Geselligkeit und was als Maske sonst immer gewählt
werden möge, sondern als Vereinigungen, die der grohßpolnischen
Gegensatz zum Deutschthum
(Hört, Hört! rechts)
Agitation dienen, die befstrebt find, das Polenthum in bewußten
und iht. Mitglieder in bewußten Gegensatz in ihren dentzsaen
Mitbürgern nichtpolnischer Zunge zu bringen, Vereine, die also
bewußt auf Aenderung unserer staatlichen Zustände und Ein⸗ richtungen der Verwaltung hinarbeiten und sich mit An⸗ gelegenheiten beschäftigen, die die Gesammtheit des Gemeinwesens und das gesammte öffentliche Interesse berühren müssen, mithin Vereine, die alle öffentlichen, speziell politischen Angelegenheiten behandeln und als politische Vereine anzusehen sind. ö Hört, hört! rechts) Wenn Sie nun das Bild der Tracht dieser Vereine, das ja vielleicht den Herren zugänglich gemacht werden kann, sich mal ansehen, so möchte ich wirklich einmal fragen, wie man nun behaupten kann, daß das Vereine der Jugend sind, die sich in löblicher Weise zu körperlichen Uebungen zusammenthun, und die nichts weiter beabsichtigen als dieses und nur eine fröhliche, jugendliche Geselligkeit pflegen.
Ich glaube, ich brauche auf die Sache nicht weiter einzugehen. Die Dinge sind hier so vielfach besprochen, und ich freue mich nur, daß Herr Dr. von Jazdzewski vorsichtiger und offener Weise erklärt hat, für seine polnische Presse wolle er nicht einstehen; da käme vieles vor, was er selbst beklage. Ja, aber diese Presse hat doch einen sehr großen Leserkreis unter den Polen. (Sehr richtig! rechts) Daß Herr von Jazdzewski sie nicht liest oder sie nicht mag und ihr Verhalten nicht billigt, das ist ja sehr erfreulich. (Heiterkeit rechts) Aber damit können wir uns nicht beruhigen für die Einwirkung dieser Presse auf die gesammte polnische Bevölkerung. Das geht ia so weit, daß, als der Fürst Ferdinand Radziwill in einer Erklärung der Fraktion, die er unter⸗ schrieben hatte, den Ausdruck gebraucht hatte:
Da sie — nämlich die praktische Bedeutung — den in jedem Verfassungsstaat geübten Grundsätzen des öffentlichen Rechts zuwiderlaufe, der Goniec“ und die ‚Gazeta Pol. Danska“ darauf antwortete: Was das erstere Argument — d. h. die in konstitutionellen Staaten üblichen Grundsätze — betrifft, so gestehen wir, daß wir es lieber gesehen hätten, wenn die Fraktion diesen Beweisgrund nicht angewendet hätte, da wir Polen sowohl der preußischen als der deutschen Verfassung, relativ ge⸗ nommen, wenig Gewicht beilegen. (Hört, hört! rechts) Das wird erläutert durch eine andere Stelle, welche die ‚Gazeta Pol. Danska“ gegen die „Germania“ schreibt — und ich bitte die Herren vom Zentrum, auf diesen Satz doch ein wenig zu achten. Es heißt da:
J ]
Es zeigt sich schon oft, daß es für uns das Beste ist, wenn wir
die Preußen meiden wie die Seuche, wie die Pest. (Hört, hört! rechts) Dann schreibt sie, als die Germania“ die Polen als preußische Polen bezeichnete:
Möge die Germania“ wissen, daß dies für den Polen die
größte Beleidigung ift, wenn ihn jemand einen Preußen nennt. (Hört, hört! rechts)
Wir sind Polen und nur Polen und höchstens noch Unter⸗
thanen des Königs von Preußen, aber keine Preußen. (Hört, hört! rechts) Ja, meine Herren, das sind doch verbreitete Blätter, und ich lese ja alle Woche die Zusammenstellung der deutschen Uebersetzungen aus den polnischen Blättern. Wenn ich nicht überzeugt wäre, daß es die Herren gewaltig langweilen würde, so könnte ich Ihnen eine Blüthenlese von derartigen Aeußerungen nach allen Richtungen geben. Oppositionsparteien haben wir doch in Deutschland auch genug; aber wenn in irgend einem deutschen Landestheil irgend ein Blatt derartiges schriebe, so würde sein Leserkreis bald verschwinden. Daß das in Polen bezüglich solcher Preßäußerungen der Fall ist, davon habe ich noch keine Kenntniß nehmen können.
Meine Heiren, ich glaube also: die Politik der Staatsregierung ist leider durch solche Stellung eines — ich will mich vorsichtig aus⸗ sprechen — großen Theiles der Polen eine Staatsnothwendigkeit ge⸗ worden. Wir können von dieser Politik nicht abweichen. Worin besteht sie aber? Die dortigen Gegensätze haben zu Zeiten dabin geführt, daß man seitens der Staatsregierung es mal mit vollem Gehenlassen, mit absoluter Milde, mit Gleichgültigkeit gegen diese nationalen Kämpfe versuchte. Das führte, nachdem die Politik von vorher, von Grolmann und Flottwell, beseitigt war, unter Friedrich Wil⸗ helm IV. schließlich zu dem Aufstande von 1863. Nachher ist eine ähnliche Entwickelung wiedergekommen. Wir haben aber gefunden, daß die Agitation durch die milde oder schwache Behandlung nicht abgemildert, verringert, sondern bedeutend verschärft wurde. (Sehr richtig! rechts.)
Wozu sind wir nun übergegangen, meine Herren? Keineswegs zu einer Repressivpolitik. Keine der Freiheiten, die die Polen genießen, und der allgemeinen Befugnisse der Staatsbürger ist ihnen genommen. Im Gegentheil; wir haben uns darauf beschränkt, das ins Wanken und in Muthlosigkeit gerathene Deutschthum wieder zu kräftigen, positiv einzuwirken. Wenn man Geschichte versteht, dann wird man milde. Diese Gegensätze hat kein Einzelner verursacht; sie sind aus der gesammthistorischen Entwickelung her · vorgegangen, und al solche muß man sie bebandeln. Eine bloße polizeiliche Repression nützt da nichts. Man muß allerdings gegen Ueberschreitungen die staatliche Ordnang fest sichern; aber im übrigen sich einjubilden, daß solche historisch uns überkommene Gegensätze von heute auf morgen durch polizeiliche Maßnahmen beseitigt werden könnten, das wäre ein ganz gewaltiger Irrthum. Beiderseits müssen wir den historischen Spruch, der mal über das alte Polen gefällt ist, aner⸗ kennen, auf diesen Boden uns stellen und uns nun im Interesse beider Theile, beider Bevölkerungsschichten zu verständigen und zu vereinigen suchen. Das ist die Politik, die hier in diesem Erlaß ausgesprochen ist, und nach dieser Politik muß verfahren werden.
Wenn wir beispielsweise jetzt in Posen das Deutschthum stärken, indem wir für kulturelle Ginrichtungen erhebliche Kosten aufwenden, so hoffe ich ganz aufrichtig, daß diese den Polen gerade so gut zu gute kommen, wie den Deutschen; ja, ich hoffe, daß daraus Vereinigungspunkte persoͤnlicher Art jzwischen den Polen und Deutschen entstehen werden. Wenn wir da ein Museum gründen, so wird das dem Kunftsinn der Polen genau so gut zu gute kommen, wie dem der Deutschen. Wenn wir eine Bibliothek gründen, so würde ich entfernt nicht daran denken, alle polnischen Bücher wissenschaftlicher Natur, die die Polen gern lesen — wenn sie nicht in dieser feindseligen Richtung sind — augzuschließen.
(Schluß in der Zweiten Beilage.)
M 39.
(Schluß aus der Ersten Beilage.)
Wenn wir ein hygienisches Institut in Posen herstellen, kommt das nicht der Gesammtbevölkerung in allen Resultaten und den polnischen Aerzten ebenso gut zu gute wie den deutschen Aerzten? Wo ist also der Grund, besonders zu klagen und über Vergewaltigungen sich zu beschweren? .
Meine Herren, diese Art von Politik ist nicht die Politik des Gereizt⸗ und Getäuschtseins, und das ist nach meiner Meinung der Unterschied zwischen den politischen Schwankungen in der Vergangen⸗ heit. Wir betrachten diese Sache als eine Kulturaufgabe, Und wir wissen ganz genau: sie vollständig ju erreichen, wird sehr lange dauern. Aber die Hoffnung habe ich doch: wenn die Polen erst das Wesen dieser neuen Politik richtig auffassen, wenn sie auch die Früchte davon in ihrer eigenen Provinz und in ihrem eigenen Leben erkennen, wenn sie schließlich durch das Erstarken des Deutschthums jede illusorische Hoffnung auf eine völlige Umwälzung der Dinge auf⸗ geben, dann ist der Zeitpunkt gekommen, wo man manche Maßregeln dieser und jener Art wird aufgeben können.
Ihre Muttersprache geniert uns garnicht (na, na! bei den Polen), in keiner Weise, wenn diese Sprache nicht als ein Kriegsmittel gegen das Deutschthum gebraucht wird. Das ist der entscheidende Punkt, und zur Zeit ist das noch der Fall. Wenn an der holländischen Grenze noch holländisch gesprochen wird von den Preußen in Ost—⸗ friesland u. s. w, — wer verhindert das? Wer hätte nur das geringste Interesse dagegen, wenn in der Eifel noch französisch gesprochen wird? Meine Herren, niemand hat die Leute darin beschränkt; im Gegentheil, manche Deutschen bören es gern. Sie sind eben gute Preußen; es ist kein Staat dahinter, wie das auch in Nordschleswig der Fall ist, auf den ein solch antideutscher Gegensatz sich stützt; es sind nicht die illusorischen Hoffnungen vorhanden, die dahin treiben, krampfhaft und im Gegen⸗ satz zur deutschen Bildung an der Sprache festzuhalten. Es sind das alles wesentlich Gemüthsfragen im Volke, und deswegen bin ich auch immer der Meinung gewesen: man muß auch manches Ver— halten der Gegenseite von diesem Standpunkt aus betrachten.
Ein ganz allmähliches Zusammenschließen — darauf müssen wir unsere Hoffnung richten, und ich kann nur wiederholen, diese Politik ist geboten durch die gesammte deutsche Stellung des deutschen Staats Preußen. Wer einmal in diesem Staat wohnt, muß sich diesen Grundaufgaben des preußisch⸗deutschen Staats fügen lernen. (Sehr richtig! Bravo! rechts.) Deswegen wird diese Politik auch nicht wieder aufhören, von nun an ist sie eine dauernde Errungenschaft. (Lebhaftes Bravo rechts.)
Abg. Dr. Wiem er (fr. Volksp.): Der Erlaß des Ministers des Innern über den Waffengebrauch der Polizeibeamten ist in der ersten Etatsberathung nicht genügend klargestellt worden. Von einem Mitgliede der Rechten ist darauf hingewiesen worden, daß nur im äußerten i scharf geschossen werden solle, sonst aber blind. Dem widerspricht der Wortlaut des Erlasses. Gendarmen und Polizei- beamten haben danach in allen Fallen scharf zu schießen. Zu einer solchen Verfügung lag ein genügender Grund nicht vor. Sie widerspricht den Traditlonen der preußischen Gesetzgebung. Die Dienst⸗ instruktion an die Landgendarmen beruht auf der Verordnung vom Jahre 1820. Danach soll nur im Nothfalle und mit möglichster Schonung von der Schußwaffe Gebrauch gemacht werden. Der Er⸗ laß des Ministers widerspricht auch der Gesetzgebung über den Waffen gebrauch der Mititärpersonen, wo der Befehlshaber je nach Lage der Dinge zu entscheiden hat, in welcher Weise von der Waffe Gebrauch zu machen ist. Auch die Instruktionen für die Grenzaufseher und die Forstbeamten sind milder als der Ministerial⸗ Erlaß, sie enthalten nicht die Bestimmung, daß sofort mit e . Strenge vorgegangen werden soll. Es wäre zu erörtern, ob dieser Erlaß überhaupt zu Recht be⸗ steht. Der Minister hielt seinen Erlaß für rechtlich unanfechtbar. Die Regelung der Instruktion für die Gendarmerie ist zunächst ge⸗ c erfolgt, und ein Gesetz kann durch eine bloße Verordnung nicht aufgehoben werden. Eine gesetzliche Regelung für die Polizeibeamten befteht allerdings nicht. Ist aber die Frage vom gesetzlichen Stand⸗ punkt aus mindestens zweifelhaft, so muß man bel einem solchen Erlaß sehr vorsichtig sein und sich überlegen, ob er nothwendig und zweckmäßig ist. Rube und Ordnung muß sein, aber allzu scharf macht schartig. Bei Tumulten sollte man nicht Unschuldige treffen. Man denke an die weittragende Kraft unserer Geschosse! Der Zweck, der erreicht werden soll, kann auch mit milderen Mitteln erreicht werden, wie es seither geschehen ist. Der Minister hat gemeint, die äußerste Strenge sei daꝛe humanste Mittel. Mit demselben Rechte könnte man auch die Kolonisation in Afrika vertheidigen Der Erlaß ist auch politisch bedenklich. Durch diese Schärfe des Vor⸗ gehens ist eine gewisse Erbitterung in weiten Kreisen entstanden. Es ist nichts geschehen, was einen solchen Erlaß rechtfertigen könnte. Derselbe hat auch wieder zu einer Vermehrung der soztaldemokratischen Stimmen geführt. Wir bitten das Haus, sich unserer Anschauung anzuschließen und unseren Antrag anzunehmen. ;
Minister des Innern Freiherr von der Recke:
Meine Herren! Ich kann dem Herrn Abg. Wiemer versichern, daß ich aus seinen Ausführungen keinen Anlaß habe entnehmen können, diesen von ihm hier so scharf getadelten Erlaß auch nur in einem Punkte abzuändern (Bravo! rechts); an diesem Erlaß, meine Herren, wird auch nicht ein Titelchen geändert werden. (Bravo! rechts; hört, hört! bei den Freisinnigen.)
Ich habe es sehr bedauert, daß in der Budgetkommission, wo, wenn ich nicht irre, auch der Herr Abg. Wiemer zugegen war, seiner⸗ seits keine Gelegenheit genommen worden ist, auf diese Sache zurückzukommen. Dort wäre der richtige Ort und die richtige Gelegenheit gewesen, ausführlich nachzuweisen, von welchen Irrthünern diejenigen Herren, welche diesen Erlaß bekämpfen, aus- gegangen sind und noch immer ausgehen. Meine Herren, hier im Plenum über eine derartige Frage eingehend zu diskutieren, ist meines Grachtens kaum möglich.
Im übrigen muß ich dem Herrn Abg. Wiemer bezeugen, daß er den Erlaß auch jetzt noch nicht verstanden hat (sehr richtig! rechts;
Lachen und Zurufe bei den Freisinnigen), und daß deswegen seine
ganzen Ausführungen, die er an den Erlaß geknüpft hat,
. 3meite Beilage zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗Anzeiger.
Berlin, Dienstag, den 14. Februar
Meine Herren, der Herr Abg. Dr. Wiemer behauptet noch immer, die Verfügung bedeute eine Aenderung derjenigen Be⸗ stimmungen über den Waffengebrauch, die in der Gendarmerie⸗ Instruktion enthalten wären. (Zuruf links.) Meine Herren, ich habe schon in der ersten Debatte hervorgehoben, daß dem nicht so ist. In dem Erlaß ist doch ausdrücklich bemerkt, daß diejenigen Bestimmungen, welche in der Gendarmerieordnung bezüglich des Waffengebrauchs getroffen sind, auch für die Polizeibeamten maßgebend sein sollen. Ich werde doch schließlich am besten wissen, wie der Erlaß aufzufassen ist. (Zuruf und Heiterkeit links.)
Ebenso, meine Herren, bestreite ich, daß der von mir bezüglich des Waffengebrauchs der Polizeibeamten gegebene Erlaß in Widerspruch steht mit denjenigen Bestimmungen, die bezüglich des Waffengebrauchs des Militärs erlassen sind. Der Herr Kriegs⸗Minister — und einen besseren Interpreten dieser Bestimmungen werden Sie nicht finden — hat im Reichstage ausdrücklich erklärt, daß die meinerseits bezüglich des Waffengebrauchs der Polizeibeamten jetzt gegebenen Bestimmungen, die für den Waffengebrauch der Gendarmen bereits bestanden haben, genau überein- stimmen mit denjenigen Vorschriften, die in Betreff des Waffengebrauchs des Militärs gegeben sind. (Sehr richtig! rechts.) Mit andern Worten, meine Herren, es ist absolut nichts geändert in Ansehung der Entschließungen der Befehlshaber bezw. der einzelnen Beamten, ob, wann und gegen wen eingeschritten werden soll; es ist nichts ge— ändert worden an der Bestimmung, die bereits in der Gendarmerie⸗ Instruktion steht, daß stets maßvoll eingeschritten werden soll; es ist nur den Gendarmen sowohl wie den Polizeibeamten ausdrücklich eingeschärft worden, daß, wenn sie überhaupt dazu übergehen, die Waffe zu gebrauchen, dann dieser Gebrauch nicht nur ein spielender, sondern ein ernster sein soll, daß also, meine Herren, dann — aber nur dann — nicht flach gehauen und nicht blind geschossen werden soll. (Bravo! rechts; Zurufe bei den Freisinnigen) Ich bestreite, daß hierin irgend eine Neuerung gegenüber den früheren Bestimmungen enthalten ist. (Widerspruch bei den Freisinnigen.) Ich habe mir bereits auszuführen erlaubt, daß die Veischärfung dieser Vorschrift eine Nothwendigkeit sei, und ich habe nicht minder hervorgehoben, daß ich diesen Erlaß für durchaus zweckmäßig halte. Ich habe keinerlei Veranlassung, von diesem Erlaß auch nur das Geringste zurückzunehmen. (Bravo! rechts.)
Abg. Dr. Kelch (fr. kons.) — auf der Journalistentribüne schwer verständlich — fragt an, ob an eine Verlegung der Regierung in Potsdam noch gedacht werde.
Minister des Innern Freiherr von der Recke:
Es ist richtig, meine Herren, daß anläßlich der Frage des Neu— baues eines Regierungsgebäudes in Potsdam auch die Frage der Ver⸗ legung der ganzen Regierung bezw. der Theilung des Regierungs⸗ beiirks Potsdam in Erwägung gezogen worden ist; ich bin aber nicht in der Lage, dem Herrn Abg. Kelch schon heute irgend eine bindende definitive Erklärung in dieser Beziehung abgeben zu können. Ich kann ihm nur versichern, daß aller Wahrscheinlichkeit nach von einer vollständigen Verlegung der Regierung Abstand genommen werden wird, und ich füge gern hinzu, daß die Staatsregierung bemüht sein wird, den ihr bekannten Verhältnissen der Stadt Potsdam thun— lichst Rechnung zu tragen. Die Angelegenheit ist in Fluß und wird, soweit es auf mich ankommt, thunlichst beschleunigt werden.
Abg. Dr. Langerhans (fr. Volksp.) kommt auf die bisher noch nicht erfolgte Bestätigung der Wahl, des Ober Bürgermeisters von Berlin zurück. Der jetzige Zustand widerspreche der bestebenden Gesetzgebung und der Staäpbteordnung. Die Selbst. verwaltung habe schon wenig Rechte, die bestehenden dürften aber nicht noch mehr verkürzt werden. Seine Majestät — (VijePräsident Dr. Krau se ersucht den Redner, gemäß der varlamentarischen Ge— pflogenheit die Person Seiner Majestat des Königs nicht in die Se—
batte zu ziehen. Die Verzögerung der Bestätigung fei eine Ver.
kürzung des Selbstverwaltungsrechts und schädige auch die Intereffen der Beamten.
Minister des Innern Freiherr von der Recke:
Meine Herren! Ich habe in der Sache selbst mich lediglich auf diejenige Erklärung zu beziehen, die ich vor einigen Tagen — (Rufe links: Tage? Wochen) in der Diskussion bei der ersten Lesung des Etats hier abgegeben habe. Ich habe nur hinzuzufügen, wie ich es meiner— seits in hohem Maße bedaure, daß der Abg. Dr. Langerhans bei dieser Gelegenheit die Person Seiner Majestät in die Diskussion gezogen hat. (Oh, oh! links.) Der Herr Präsident hat schon die Gewogenheit gehabt, das hier zu rügen. Wenden Sie sich, meine Herren, in dieser Angelegenheit an mich, der ich dafür die Verantwortung trage. Auch dafür übernehme ich die Verantwortung, daß kein Unglück entsteht, wenn die Entscheidung dieser Angelegenheit noch auf einige Zeit aus- gesetzt bleibt. (Rufe links: Das ist alles?)
Abg. von Kardorff (fr. kons.): Wir haben schon früher durch den Mund des Herrn von Zedlitz erklären lassen, daß das Be—⸗ stätigungsrecht zum Gegenstand der Diskussion gemacht werden kann. Wir können doch auch einmal ein liberales Regiment haben. Die Kronrechte wollen wir nicht abbröckeln lassen, aber auch an unseren konstitutionellen Rechten nicht rütteln lassen. Es wäre richt iger ewesen, die Bestätigung sofort zu geben oder zu versagen. Regieren
eißt Entschluß fassen, und die Verzögerung hat eine große Miß⸗ stimmung hervorgerufen. Abg. Wiemer hat den Erlaß des Ministers zu sehr aufgebauscht. In der Kommission könnten wir uns über den 2 Wiemer ja ruhig unterhalten.
g. Pleß (entr.) erörtert die Frage der konfessionellen Fried⸗ höfe am Rhein.
Abg. Dr. von Heydebrand und der Lasa (kons.): Auch uns wäre es lieb, wenn in der Ober⸗Bürgermeisterfrage bald eine Entscheidung fiele, sonst könnte im Lande die Meinung enistehen, daß wir nicht eine so starke und feste Reglerung haben wie es nothwendig ist. Auch ich stehe auf dem Boden der Ver⸗ fassung und glaube, . das Parlament über die Bestätigung prechen kann. Eine andere Frage aber ist es, ob der Minister dem Parlament gegenüber eine Verantwortung für die Bestätigung trägt; denn Verantwortung ist er nur und dem König e r, Wag den r . Wiemer betrifft, so muß ich geflehen, daß die Polizei nicht überall Vertrauen findet. Der Antrag ist aber nicht annehmbar, weil der Ministerialerlaß falsch ausgelegt worden ist. Es giebt Fälle genug, in denen von der Waffe überhaupt kein Ge— brauch gemacht werden kann. Bei Konflikten zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung aber ist es nothwendig, daß die Beamten
1899.
genau wissen, was sie zu thun haben. Wird die Verordnung mit Klauseln und Ausnahmen versehen, so werden die Beamten unsicher. Sie müssen allgemeine Grundsätze zur Richtschnur haben. Finden Unruhen statt, so mögen die Neugierigen davon fern bleiben, da sie wissen, daß ernsthaft eingeschritten wird.
Abg. Dr. Krause (nl): Ich kann mich der Auffassung des Abg. von Kardorff nur anschließen. Die Verantwortung. welche der Minister sich und dem König schuldet, bestand schon vor Einführung der Kon— stitution. Er hat nach derselben dem Parlament Rede und Antwort zu stehen für das, was er kraft seines Amtes zu thun hat, und wenn ich den Minister recht verstanden habe, so hat er seine Stellung auch nicht anders aufgefaßt. An dem Kronrecht hat hier Niemand ge—⸗ rüttelt. Der Berliner Fall hat . und berechtigtes Aufsehen erregt. Es ist unmöglich, eine so gro e Verwaltung wie die Berliner zu führen, wenn man nicht weiß, ob der Bürgermeister bestätigt wird oder nicht. Es läge auch im Interesse einer energischen Führung der Staatsgeschäfte, wenn endlich eine Entscheidung fiele. Was den Waffengebrauch betrifft, so bin ich der Meinung, daß nach den Erklärungen des Ministers nicht jeder Polizei— beamte ohne jede Ausnahme scharf schießen und scharf einhauen wird. Denn der Erlaß für die Gendarmen soll den Polizeibeamten nur als Richtschnur! dienen. Ausnahmen i also nicht ausgeschlossen. Insofern geht der Antrag Wiemer wohl von falschen Voraussetzungen aus. Der Autorität des Gesetzes, des Staates und seiner Beamken muß unter allen Umständen und mit Strenge Achtung verschafft werden. Wir sollten Alle einig sein in der Abwehr der Willkür der Beamten und in der Wahrung der Autorität des Staats.
Abg. Schmitz ⸗Düsseldorf (Zentr.) bedauert, daß der Abg. Wiemer seinen Antrag nicht als selbständigen Antrag eingebracht hat. Zur Zeit könne er namens des Zentrums noch nicht Stellung dazu nehmen, weil es darüber noch nicht berathen habe. Daß es Fälle geben könne, wo scharf geschossen werden müsse, unterliege keinem Zweifel. Die Zahl der Sicherheitabeamten sollte nicht nach der Zahl der Bevöllerung, sondern nach dem Bedürfniß der einzelnen Orte vermehrt werden. Redner hält eine Aenderung der Vorschriften für die Heiligbaltung des Sonntags und zur Verhütung der Seuchen fuͤr nothwendig; auch der Berl hin der Nahrungsmittel solle energisch entgegengetreten werden. Endlich beschwert sich der Redner über die am Rhein geltenden . über die Jagdverpachtung der Gemeinden und verlangt Vorschriften zur Zügelung der Genußfucht der jungen Leute. Die vielen Vereins⸗ seste gefährdeten den Sparsamkeitssinn und daz Familienleben. Seine Partei wolle das Vereinsrecht nicht in Frage stellen, aber solchen Ver—⸗ einen, die nur der Vergnügungssucht Vorschub leisten und die . übliche Polizeistunde umgehen, müsse entschieden entgegengetreten werden.
Unter: Staatssekretär Braunbehrens: Die Anregungen, die der Herr Vorredner in so reicher Zahl gegeben hat, werden saͤmmtlich wohlwollend in Erwägung gejogen werden im Ministerium des Innern, soweit sie dessen Ressort betreffen. Allerdings ist bei einer ganjen Reihe von den Wünschen des Herrn Abgeordneten mir nicht klar geworden, inwiefern sie mit dem Ressort des Ministeriums des Innern zusammenhängen, nament- lich auf dem Gebiet der Landwirthschaft, der Obslproduktion, der Bienenzucht, des Honighandels und ähnlichen Dingen. Am Schluß seiner Ausführungen ist der Herr Abgesrdnete auf die Vergnügungssucht der Bevölkerung gekommen, und ich glaube ihm in dieser Beziehung versichern zu konnen, daß seine Ausführungen beim Ministerium des Innern einen dankbaren Boden finden. Es wird von dieser Stelle aus darauf gesehen und häufig in Erinnerung gebracht, daß die Zahl der Vergnügungen, soweit die Polizei darauf einen Einfluß hat, soweit sie in Schenken stattfinden und öffent— lichen Tanzlustbarkeiten ihren Ausdruck finden, nicht überhand nehmen. Der Herr Abgeordnete hat weiter an vorletzter Stelle besonders von einem Mißbrauch gesprochen, wonach die Jagdpachtgelder in gewissen Gemeinden in die Gemein dekasse fließen und dort zu Gemeindezwecken verwendet werden. Es ist ganz zweifellos, daß die Jagdpachtgelder kein Gemeindevermögen, sondern Interessentenvermögen sind, also lediglich den Grunzstücksbesitzern zu gute kommen müssen. Es wird vielleicht in vielen Gemeinden so gebalten, daß mit einer — zum mindesten stillschweigenden — Zustimmung der Grundstücksbesitzer diese Jagdpachtgelder in die Gemeindekasse einklassiert und dann zu Zwecken, die den Grundbesitzern zu gute kommen, verwendet werden. Gegen ein solches Verfahren wird wobl kaum etwas einzuwenden sein. Sollte die Gemeinde oder die Interessentenschaft beabsichtigen, diese Gelder zu Zwecken zu verwenden, welche nicht lediglich den Grund besitzern zu gute kommen, so würde — darauf muß allerdings ein⸗ gewirkt werden — erst die ausdrückliche Zustimmung sämmtlicher Interessenten an der Gemeindejagd eingeholt werden müssen. Der Herr Vorredner hat ferner daz Gebiet der Poltzeiverordnungen berührt. Es ist ihm gewiß darin beizutreten, daß nicht allein in seiner Gegend, sondern an vielen anderen Orten eine gewisse Hypertrophie an Poltzeiverordnungen vorliegen mag, daß deren zu viele sind, daß auch manche davon veraltet sind. Es muß aber, wo die örtlich zu⸗ ständigen Behörden nicht aus eigener Initiative vorgehen, den Betheiligten überlassen werden, diejenigen Wege zu beschreiten, die sie von solchen veralteten oder nicht mehr zweckmäßigen Polizeiverordnungen de⸗ barrassieren können. Dieser Wege giebt es ja drei: sie können sich an die untere Stelle wenden, die zum Erlaß von Pollzeiverordnungen zuftändig ist, und um die Aufhebung der Polizeiverordnung oder den Erlaß einer neuen Polizeiverordnung bitten; oder sie können sich an die obere Stelle wenden, an den Regierungs-⸗Präsidenten und an den Bezirks. Ausschuß, dahin wirkend, daß für einen größeren Bezirk eine erschöpfende Polizeiperordnung erlassen werde, die den Gegenstand besser regelt, wodurch also die Polizeiverordnung der niederen Instanz ihre Erledigung finden würde; oder sie hätten sich, wenn diese Mittel nicht verschlagen an den Regierungs . Prãsidenten oder den Herrn Minister des Innern zu wenden und doit einfach die ausdrückliche Au erkraftsetzung der Pelizeiverordnung zu beantragen. Endlich hat im Eingang seiner Ausführungen der Herr Vorredner eine Verfügung des rrn Ministers zur Sprache gebracht, die vor einiger Zeit ergangen ist und aus der er eiff Besorgnisse hergeleitet * es betrifft die Zahl der Polizeikräfte in den einzelnen Polizeidistrikten. Es ist eine Anregung lediglich in, der Richtung ergangen, daß die Herren Regierungs: Präsidenten veranlaßt worden sind, zu e 2b denn in allen Gemeinden ihres Bezirks die vorhandenen
olize kräfte genügen. Die Derren Regierungz. Präsidenten haben diese Prüfung eintreten lassen, und es ist sehr möglich, daß sie be—⸗ züglich verschiedener Gemeinden zu dem Ergebniß gekommen sind, daß die vorhandenen Polizeikräfte nicht genügen; in diesen Fällen werden sie ganz mit Grund und zum Wohl der Gemeinde und des Staats- wesens eine Anordnung getroffen haben, daß die Polizelkräfte zu berstärken sind. Indessen der Erlaß des Herrn Ministers ist keineswegs von vornherein so ju verstehen gewesen, daß nun aller Orten eine Vermehrung dieser Kräfte einzutreten habe. Es ist eine Prufung angeordnet; dies war nothwendig und hat auch zu einem erwünschten Resultgt gefübrt. denn an diesen Orzen, wo eben die Kräfte nicht ausreichten, hat dieselbe Anregung dahin geführt, daß auf eine Ver⸗ mehrung der Polizeikräfte hingewirkt worden ist. Eine Besorgniß, wie sie der Herr Abgeordnete zu empfinden scheint, ist aber aus diesem Erlaß jedenfalls in keiner Richtung herzuleiten gewefen. Abg. Lr. von Jazdzewski!? Dle polnischen Vereine beruhen
auf Verfassung und Gesetz. Vergehen sie fich gegen die Ge—⸗
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