32. Sitzung vom 14. Februar 1899, 1 Uhr.
Tagesordnung: Fortsetzung der ersten Berathung des Ent
wurfs eines Invalidenversicherungsgesetzes. Abg. Hofmann⸗Dillenburg (nl): Der Staatssekretär habe gestern don der Nothwendigkeit der Dezentralisation gesprochen, die nothwendig sei, wenn man zu einer Vereinheitlichung der gesammten Versicherungsgesetzzebung kommen wolle. Auf welchem Wege das Ilan solle, darüber gingen die Meinungen noch sehr auseinander. ber man werde schließlich zu einer solchen Zusammenfassung kommen müssen. Es werde dazu freilich nothwendig sein, das gesammte Perfonal, welches der Invalidenversicherung unterworfen sei, auch der Kranken⸗ versicherung zu unterwerfen. Redner erklärt sich für die anderweitige Definition der Erwerbsunfähigkeit, die eine starke Vermehrung der Invalidenrenten mit sich bringen werde, spricht sich aber dagegen aus, daß denjenigen, welche sich einem Heilverfahren nicht unterwerfen wollten, die Rente ganz entzogen werden solle. Bezüglich der örtlichen Rentenstellen bemerkt der Redner, daß er sich von der Leitung derfelben durch einen Beamten im Nebenamt nichts verspreche; das Nebenamt habe alle Nachtheile der Bureaukratie ohne deren Vortheile. Für Preußen würden die Rentenstellen für den Kreis eingerichtet werden. Solle nun der Arbeiter seine Rentenansprüche vor dem Vorsitzenden der Rentenstellen in den Kreisstädten vertreten? Oder solle der Vorsigende dorthin geben, wo der Arbeiter wohne, um mit ihm die Sache mündlich ; führen? Meistens werde also auch bei Einrichtung der Renten- tellen eine direkte mündliche Verhandlung geführt werden. Nach der Rentenstelle entscheide der Anstaltsvorstand, das Schiedsgericht und schließlich noch das Reichs ⸗Versicherungsamt. Die Zuzlehung des zaienelements sei nur dann zweckmäßig, wenn die Laien die persön— lichen und örtlichen Verhältnisse genau kennen. Zur finanziellen Aus— . führt der Redner aus, daß eine dauernde Einrichtung der heilung in ein Gemein. und Sondervermögen nicht möglich fei. Wenn vorübergehende Schwierigkeiten bestehen, so könne durch eine einmalige Maßregel sehr wohl geholfen werden, und wenn sich nach einigen Jahren berausstellen sollte, daß die Maßregel nicht ausreiche, so könne man immer noch weitere Schritte thun; man werde dann aber wiederum einige Erfahrungen gemacht haben. Die Ausführungen der Begründung und der besonderen Denk schrift über die Prägravation der landwirthschaftlichen Ver— sicherungsanstalten beffreitet Redner; wenn auch zugegeben werden könne, daß die Zahl der Altersrenten bei diesen viermal, der Invdalidenrenten zweimal so groß sei als bei den industriellen An= stalten, so müsse man doch 4 bedenken, daß von den Versicherungs⸗ pflichtigen der Landwirthschaft die meisten während ihrer ganzen Lebenszeit versicherunge pflichtig bleiben, während bei der Industrie sehr viele Versicherungspflichtige ausscheiden, sodaß die Zahl der Renten sich nachher auf eine kleinere Anzahl von Versicherungepflich⸗ tigen vertheile. Ein Vermögensausgleich müsse allerdings gesucht werden; aber wenn man gleichzeitig die Beiträge der untersten Klassen von 14 und 20 auf 12 und 18 3 ermäßige, so heiße das nichts Anderes, als das Loch, welches man zu⸗ stopfen wolle, vorher erst noch weiter aufreißen. Denn die noth— leidenden Anstalten hätten ire Haupteinnahme aus Der ersten und zweiten Klasse. Wenn für Ostpreußen die niedrigeren Beiträge von Anfang an bestanden hätten, so würde das Defizit fur Ostpreußen sich um 3 Millionen Mark höber stellen. Die Cinnabmen, würden eschmälert durch die Ausschließung der Versicherungspflicht für die usländer. Wenn man nun auch sage, die ganze Versiche⸗ rung hätte durch eine Reichsanstalt durchgeführt werden können, bei welcher nur ein allgemeines Vermögen vorhanden gewesen wäre e werde. man doch niemals erwarten können, daß die industriellen Arbeiter sich zu diesem Gedanken aufschwingen. Sie würden immer das Gefühl haben, daß ibnen etwas entzogen werde, um den landwirthschaftlichen Arbeitern etwas zuzuwenden. Man könnte das Deimathẽprinzip einführen, wonach alle Angehörigen einer Provinz von Anfang bis zu Ende immer derselben Versicherungsanstalt an⸗ ehören sollten. Die einzelnen Versicherungsanstalten könnten eine ückversicherung nebmen; es würde nichts dem entgegenstehen, daß men die Rückversicherung obligatorisch machte, indem ein bestimmter Prolentsatz der Bruttoeinnahmen in einen Ausgleichsfonds eingezahlt würde, bis das nöthige Deckungskapital vorhanden wäre. Wenn der Beharrungszustand erreicht fein werde, dann würden die Beiträge zur Dedung der Ausgaben vollauf genügen. Endlich könnte man auch den Reichszuschuß abstufen und nicht für jede Rente einen gleichen Zuschuß von 50 M zahlen. Es seien ja auch noch andere Vorschläge Jemacht worden. Wenn man sie eingehend prüfe, dann werde man schließlich zu einem Ergebniß kommen, welches die Selbständigkeit der einzelnen Anstalten und die Sicherheit ihrer Vermögenzbestände nicht antaste. Abg. Roesicke⸗Dessau (b. k. F.): Auch ich bin damit einver⸗ standen, daß die verbündeten Regierungen sich darauf beschränkt haben, im Rahmen der bestehenden Organisationen Verbesserungen vorzu⸗ schlagen, daß sie nicht auf eine Vereinheitlichung der ganzen Ver sicherungsgesetzgebung eingegangen sind. Ich freue mich, daß nicht wieder ein Antrag wie der des Abg. von Ploetz eingebracht ist, welcher nicht dem Grundsatz von Leistung und Gegenleistung entsprach. Ich bedauere nur, daß die verbündeten Regierungen uns nicht schon früher diesen Gesetzentwurf vorgelegt bezw. den ersten Gesetzentwurf, der dem Bundesrath vorgelegt worden ist, veröffentlicht haben, weil die Prüfung durch ein ganzes Labyrinth von Zahlen erschwert wird; ich bedauere ferner, daß die eigentlichen Trager der Versicherung, die Versicherungsanstalten, nicht früher gehört worden sind, sodaß sie erst nachträglich in Eisenach sich mit einem lediglich referierenden Beschluß begnügen mußten. Die wichtigste Frage ist für die Re—⸗ ierungen die Ausgleichsfrage. Das hat der Staatssekretãr von zoetticher schon im Jahre 1897 offen erklärt; er hat damals die Absicht ausgesprochen, auf dem Verwaltungswege mit der Zusammenlegung der Anstalten vorzugehen. Ich hoffe, daß die preußische Regierung von diesem Vorschlage keinen Gebrauch machen wird; denn dadurch würde das ganze Gebäude zerstört werden. Nach der Kaiserlichen Botschaft sollte die Versicherung aufgebaut werden auf Grundlage korporativer Genossenschaften. Als eine solche Genossenschaft kann man aber eine preußische Anstalt nicht betrachten; dazu wäre sie zu zentralistisch. Die verbündeten Regierungen sind der Meinung, daß überall, wo die Landwirth— schaft überwiegt, die Verhältnisse sich so schlecht gestaltet baben und noch weiter so schlecht gestalten werden; ich habe diese Ueber⸗ zeugung nicht. Dafür spricht der Umstand, daß die Unfall versicherung für die Landwirthschaft weniger Lasten erfordert, als für die Industrie; erstere bringt jährlich 17, letztere 48 Millionen auf, d. h. auf den Kopf. des Arbeiters 1,50 6 Bezw 8 M Wenn sich jetzt gewisse Mißstände für die landwirthschaftlichen Anstalten heraus gestellt Een, so ist das die Folge davon, daß man die versicherungs⸗ technischen Grundsaätze nicht befolgt, daß man alle Beiträge gleich- mäßig bemessen hat, mögen sie in jungem oder späterem Älter genblt sein. Der Hauptgrund liegt aber in den Uebergangs⸗ kestimmungen, daß mit dem Tage der Geltung des Gefetzes 1. Aliersrenten bekommen haben, die überhaupt keinen fennig bejahlt hatten. 130 000 Personen haben vom erften Tage an eine dauernde Rente erhalten. Auch die Invalidenrente ist nach wenigen Jahren schon in einer Höhe geleistet worden, welche durchaus den Beiträgen nicht en tsprach. Je weiter wir kommen, desto mehr werden sich die Verhältnifse bessern. Gegen den Vorschlag des Ministers von Boetticher, die Rentenlast zur Hälfte auf die All. gemeinheit zu vertbeilen, wurde geltend gemacht, daß dadurch die Srarsamkeit der einzelnen Anstalten gefährdet würde. Jetzt will man weitergehen und eine Theilung des Vermögens esntreten lässen. Für die Vergangenheit kinn man solche Vorschläge nicht machen. Benn sie von den Sonialdemekraten gemacht worden wären, würde ich mich nicht wundern, aber ich wundere mich, daß die Konservatipen diesen Vorschlägen zustimmen. Herr Molkenbuhr hat durchaus nicht bestritten, daß hier eine sozialiftische Theilung vorliegt; wenn nicht
ung der Vermögen, son
la . Nicht nur d die Theil J urch die Glenn 263 Grundrent
auch teressen der Anstalten geschädigt; denn durch die Ab—
ufung der Grundrenten wird das Intereffe der Arbeiter am Markenkleben vermindert. Denn es kann sogar vorgekommen sein,
daß die Arbeiter, wenn sie Marken weiter kleben, sich in Ihrer Rent? verschlechtern. Ein Mann der fünften Lohnklasse bat nach vier Jahren Markenkleben Anspruch auf eine Rente von 242 M0 Klebt er dann, durch
mindert sich seine Rente fortwährend, weil die Grundrente nach dem Durchschnitt der Wochenbeiträge berechnet wird, der sich dadurch ver⸗ schlechtert, daß er später in niedrigerer Lohnklasse klebt, als zu Aafang. Er klebt sich dann gewissermaßen langsam herunter. Die ganze Beweiß⸗ führung der Vorlage stützt sich auf die Verhältniffe in Sstpreußen. Deshalb hat sie gar keine Bedeutung zur Begründung einer anz allge⸗ meinen Maßregel. Es muß auffallen, daß in Dstpreußen fo viele Alters. renten bewilligt sind, obgleich doch in Ostpreußen die Zahl der un⸗ ständigen Arbeiter so groß ist. In Ostpreußen haben 19 oo der Bevölkerung Altersrenten erhalten, in Westpreußen nur 10 oo, ob- wohl es doch ziemlich dieselben Verhältnisse hat. Man kann alfo nicht umhin, anzunehmen, daß die vorgesetzliche Wartezeit dort sehr abweichend vom Gesetze berechnet ist; 141 Wochen versicherungs⸗ de, r. Arbeitszeit müßten nachgewiesen werden; aber nach den
rbeitsverhältnissen in Ostyreußen könnte man höchstens 75 Arbeits. wochen annehmen. Es ist also dort sehr wohlwollend verfahren worden. Man spricht immer von einem Defizit. Es handelt sich aber nur um ein rechnungsmäßiges Defizit. Wenn man den Grund— satz ‚Leistung gegen Leistung“' anwendet, dann kann man nicht die Vermögen einfach anderweitig vertheilen. Will man die großen Ver= mögensansammlungen verhindern, dann kann man die Beiträge der höheren Lohnklasse herabsetzen, aber überall. Die Regierungsvorlage seßzt aber die Beiträge der unteren Lohnklasse herab und ver— schlechtert damit die Lage der ungünstig gestellten Änstalten. Man könnte auch die Leistungen erhöhen, z. B. die Kranken fürsorge schon von der dreizehnten Woche ab auf die Versicherungsanstalten über⸗ tragen oder die Invalidität ausdehnen auf die Folge von Gewerbe— krankheiten. Dann könnte man die Seeleute aus der Invaliden⸗ versicherung ausscheiden und durch die Seeschiffahrts⸗ Berufsgenossen schaften eine Wittwen, und Waisenfürsorge für sie einführen. Vaß die Landes⸗Versicherungeanstalten sich mit den örtlichen Rentenstellen nicht befreunden können, ist begreiflich, denn jede Behörde will nichts von ihren Befugnissen abgeben, sondern lieber neue Befugnisse übernehmen. Aber die Vorlage schafft eine sehr große Verschiedenartigkeit, weil sie es in das Belieben der Landes⸗ Versicherungsanstalten stellt, ob sie Rentenstellen einrichten will oder nicht. Die Vorsitzenden der Rentenstellen müssen aber ebenso unabhängig sein wie die Versicherungsanstalten. Jedenfalls sollte man aber die volitischen Beamten, die Landräthe, von diefen Dingen fernhalten. Redner schließt mit dem Wunsche, daß das Gesetz so ge⸗ staltet werden möge, daß es den Wünschen der Arbeiter entspreche und dem Zwecke diene, fuͤr welchen es bestimmt worden fei.
Abg. Gamp (Rp.): Ich bedauere, daß der Vorredner sich nicht enthalten hat, in seiner sonst sehr objektiven Rede die Angriffe auf die Verwaltung der Landes Versicherungsanstalt Ostpreußen zu wieder. holen. Im vorigen Jahre behauptete der Vorredner, daß die Ärbeit⸗ geber betrogen hätten. (Widerspruch des Abg. Roesicke) Slese Angriffe haben Sie jetzt nicht wiederholt; Sie haben sie also fallen lassen, weil keine Spur von Begründung dafür zu finden ist. Das beweist die Begründung der Vorlage ganz deutlich. Ob in den ersten Jahren nicht bei den Arbeit gebern, sondern bei den Gemeindevorstehern ein größeres Wohl wollen geherrscht hat, lasse ich dahingestellt. Der e, . hatte ja selbst den Rechtestandpunkt verlassen, indem er sogar Leuten Renten bewilligte, die gar nichts geiahlt hatten. Es besteht gar kein Gegen— satz zwischen Landwirthschaft und Industrie in dieser Beziehung; denn einzelne Anstalten in landwirthschaftlichen Bezirken, J. B. Hessen. Nassau stehen ganz gut da und an der Aufrechterhaltung der ost⸗ preußischen Anstalten haben die Arbeiter datselbe ebenfo große Inter. esse wie die Arbeitgeber. Die Bedenken gegen das Markenkleben will ich nicht wiederholen; es sind in der Vorlage einige Erleichterungen vorgeschlagen, die die Bedenken abschwãchen. Die Rentenstellen sind auf allen Seiten einer gewissen Sympathie. begegnet; ich halte diesen Gedanken chenfalls für berechtigt, aber man müßte dann die Schiedsgerichte ganz be⸗ seitigen. Die Wittwen⸗ und Waisenfürsorge ist für die Landwirth⸗ schaft viel wichtiger als die Altersversicherung. Da man die Alters- bersicherung nicht beseitigen kann, wird man auf die Wittwen. und Waisenfürsorge verzichten müssen. Die Art und Weife, wie Herr Hitze dieselbe einführen will, könnte ich nicht billigen. Mit solchen Ausgaben können wir die Zukunft nicht belasten, weil wir nicht wissen, ob die Zukunft, insbesondere die Landwirthschaft, die Lasten tragen kann. Setzen Sie die Landwirthschaft in eine bessere Lage, dann wird sie solche Lasten gerne tragen. Aber dag Zentrum hat durch die Bewilligung der Handels. derträge die schlechte Lage der Landwirthschaft mit verschuldet. Für die hochgelohnten Arbeiter wird gesorgt, aber für die klelnen Arbeit geber nicht. (Zuruf: Wer soll das bejahlen) Die Gesammtheit soll es bejahlen, wie der Reichszuschuß für die Arbeiter gewährt wird. (Zuruf; Stebt ja in der Vorlage!) Ja, es soll erst geschaffen werden; aber mit der Selbstyersichtrung ist es nicht gethan, denn da werden nur dieienigen, die sich krank füblen, in die Versicherunng eintreten. Die Krankenfürsorge für die landwirthschaftlichen Arbeiter braucht nicht in die Vorlage hineingearbeitet zu werden, denn diese haben schon jetzt mehr Krankenfürsorge als die industriellen Arbeiter. Sie ste en im Jahresdienst und beziehen auch während einer Frankheit ibren Lohn und ihre sonstigen Kompetenzen fort. Die Leute wandern nicht aus dem Osten fort, weil sie schlechter bezahlt sind. Rechnen Sie 12001 Milch à 290 3 — 240 ½, die Wohnung, eine zweifenstrige und eine einfenstrige Stube, kostet in der Stadt mindestens 1809 *; der Arbeiter bekommt Kartoffeln, eine Kuh zc. Bei mäßiger Schätzung kommt er auf 9090 6 (Zuruf: Da muß man wohl in ker vierten Lohnklasse kleben! Das nun nicht. Denn das Einkommen wird nicht nach den Berliner Preisen berechnet. Herr Molkenbuhr bat, behauptet, daß Herr von Torn im bgeordnetenhaufe die Prügelstrafe gegen den Kontraktbruch verlangt habe; er hat aber nur von der Prügelstrafe gegen die Minderjährigen wegen der Rohheitsvergshen und ⸗Verbrechen gesprochen. Etwas Aehnliches han ja auch Serr gũtgenau gesagt (Zuruf: Er ist hinaus« geflogen ), so haben Sie ihn hinausgeworfen? Das freut mich! Daß die Altersrenten gemeinsam getragen werden könnten, ist von verschie denen Seiten anerkannt worden. Es wäre möglich, einen Ausgleich zu schaffen durch Verwendung des Reichszuschusseg. Man müßte prüfen, welche Lasten den nothleidenden Anstalten zu Unrecht aufgebürdet sind; dafür müßten sie eine Ent— schädigung für die Vergangenheit erhalten, und für die Zukunft könnte dann nach der Vorlage verfahren werden. Wenn mir nicht einen Ausgleich schaffen, dann müssen wir schließlich in Preußen zur einheitlichen Versicherungsanstalt kommen, die durchaus nicht der Kaiserlichen Botschaft vom 17. November 1881 widerspricht. Wir werden wohl mit Dank anerkennen, daß das Reichs amt des Innern mit , . Liebe an der Vorlage gearbeitet hat. Ich weiß aus eigener Anschauung, wie in dem Reichzamt des Innern dis zur Ge— faͤhrdung der eigenen Gesundheit gearbeitet wird. Ich denke, wir werden zu einem gedeihlichen Abschluß unserer Berathungen gelangen. Abg. Raab (Reformp. ); Wenn der Staats sekretar Graf Posadowgky bei der Einleitung der Berathung meinte, daß der Staat sich mehr als bieher mit dem Wohl und Wehe der Arbeiter beschäftigen müsse, so bat mich das umsomehr erfreut, als man draußen im Lande der Meinung war, daß nach dem Strike⸗ erlaß des Staatesekretärs eher das Gegentheil der Fall fein würde. Redner empfiehlt die Einrichtung der örtlichen Rentenstellen, verlangt aber deren vollständige Unabhängigkeit von irgend welchen staatlichen Behörden. Den Landes sersicherungsanstalten würde dann nur noch die Verwaltung des Vermögens bleiben. Wir haben, fährt Redner
6 * die induftriellen Arbeiter darunter leiden würden, so wäörden ie Sozialdemokraten sich gern einen solchen Präzedenzfall gefallen
en werden die
Krankheit 2c. gejwungen, eine Zeit lang in der ersten Klaffe, fo ver⸗
t, wie nothw vo erwobnungen ist. e will keine , . e. n
dieser g sehr viel en in Ausaglei J ffen werden. Daß dabei d i n, roschen von den gg un n Anspruch genommen würden, klan . durch die Rede des Herrn Hitze hindurch. Ich bin nicht der . denn ich kann nicht zugeben, daß die angesammelten Gelder der einzelnen Anstalten Cigen- tbum dieser Anstalten und ihrer Versicherten snd. Hier herrscht die Solidarität der Arbeiter; das können bei diesem Gegenstande au die Sotialdemokraten beweisen. Es ware mir sehr , wenn auc die Kapitalisten und die 3 Banquiers, die wenig Personal beschäftigen, zu den Kosten der Versicherung mehr herangezogen werden könnten. Sie haben das größte Interesse daran, daß nicht revolutionäre Be⸗ wegungen entstehen. Es wünschen jetzt viele Schichten der Bevöste⸗ rung, die nicht unter dag Gesetz fallen, demselben unterstellt zu werden, so die Lehrer und Lebrerinnen, die Werkmeister, die Handlungs⸗ gehilfen ꝛc. Die Wittwen . und Walsen versorgung wäre sehr erwũnscht; inshbesondere für die Seeleute, die von der Alterg. und Invaliben- dersicherung wenig haben. Bei der Wahl der Beisitzer der Renten= stellen könnte man ebenso verfahren, wie bei der Wahl der Beisitzer der Gewerbegerichte. In der praktischen Arbeit wird die soꝛial⸗ demokratische Gesinnung nicht zu Tage treten. Redner bemängelt derschiedene Bestimmungen über die Beitragserhöhung und spricht die Hoffnung aus, daß die Invalidenversicherung direkt an die Krankenversicherung anschließen möge. Die Aussichten der Vorlage schienen ja keine glänzenden zu sein; die Sozialdemskraten würden ja diese Vorlage verwerfen, wie alle für die Arbeiter bestimmten Vol— lagen; an einer Augrede ibren Wählern gegenüber habe es ihnen ja noch nie gefehlt. Sie pflegten dann zu sagen, wie das Baͤuerlein, das einen Topf zerbrechen zurückgegeben babe: Grstens habe“ ich den Topf nicht geliehen, zweitens war er schon zerbrochen und drittens habe ich ihn heil zurückgegeben.“ So sagten die Sozialdemokraten auch: Erstens habe man den Arbellern nichts gegeben, zweitens habe das, was man ihnen gegeben hat, nichts getaugt, und drittens müßte man sich bei den . demokraten bedanken, wenn die Arbeiter überhaupt etwas erbalten hätten. Die Regierung wolle die Verföhnung der Arbeiter mit der e n e fe e, mn Unter diesen Umständen halte er Redner) es für richtig, theoretische Bedenken zurückzustellen und die Regierung zu unterstützen.
Nach einigen persönlichen Bemerkungen wird um 5I e Uhr die weitere Debatte bis Mittwoch 1 . vertagt. (Auzur⸗
dem Interpellation Johannsen, betreffend die Ausweisung in Nordschleswig.)
Preußiischer Landtag. Haus der Abgeordneten.
19. Sitzung vom 14. Februar 1899.
Das Haus setzt die zweite Berathung des Staats— haushets-Etats für 1899 beim Etat des Ministeriums des Jnern, und zwar bei dem Ausgabetitel „Gehalt des Mini ers“ fort.
Ueber den Beginn der Debatte ist schon berichtet worden.
Abg. Dr. Porsch (Sentr.): Zur Frage der Bürgermeisterwahl in Berlin möchte ich erklären, daß meine Freunde im Großen und Ganzen sich auf den Boden des Abg. von Kardorff stellen. Handelt es sich bei der Polenfrage um die Erhaltung des preußischen Staats, so brauchen wir uns darüber garnicht aufzuregen. Die Intakterhaltung des preußischen Staats wünschen wir alle und, ich glaube, auch die Polen; denn polnische Preßäußerungen fallen nicht ins Gewicht, mit Preßäußerungen kann man alles beweifen. Wir bedauern, daß die Regierung zu Maßregeln gegriffen bat, die man in einsichtigen polnischen Kressen beklagt. Der Vize⸗Präfident des Staats. Ministeriums von Miquel hat gesagt: die polnische Sprache geniert uns nicht. Nur schade, daß diese Sprache nicht immer regierungsseitig geführt worden ift. In Oberschlesien wird dies sehr angenehm berühren. Der Wunsch nach einer konsessionellen Regelung der Friedhöfe am Rhein hat mit dem Kulturkampf und dergleichen absolut nichts zu thun. Wir beschweren uns nur darüber, daß die Friedhoffrage am Rhein nicht so geregelt ist, wie im übrigen Preußen, z. B. im Osten, wo die Evangelischen auch gesonderte Kirchhöfe haben und haben wollen. Der Ausfall des Abg. ban der Borght war also überflüssig. Daß mein Antrag auf gesonderte Behandlung des Antrages Wiemer berechtigt war, hat der Verlauf der Digskussion bewiesen. Bis jetzt ist über die Sache Klarheit nicht geschaffen. Auch ich bin der Meinung, daß gegen Störung der Ordnung scharf vorgegangen werden muß. Daraus folgt aber nicht, daß man den Erlaß des Ministers für korrekt und die Rechtslage für geklärt erachten kann. Es kommt nicht darauf an, wie der Minister seinen Erlaß auffaßt, sondern wie die untergeordneten Organe ihn auffassen Zwischen dem Erlaß des Ministers und den gesetzlichen Vorschriften für die Gendarmen bleibt ein un— löslicher. Widerspruch bestehen. Soll der Gendarm fortan scharf schießen oder nicht? Ich beantrage, den Antrag Wiemer an die Kommission zu verweisen. Dort kann der Minister auch das ver— sprochene Material geben. Uns ist nicht einmal der authentische Wortlaut des Erlasses bekannt; wir kennen nur Preßauszüge. Dag Logierhauswesen, namentlich im Gebirge, bedarf dringend einer schärferen Inspektion in der Richtung eines giößeren Schutzes von Leben und Gesundheit der Kurgäste gegen. Feuersgefahr. Hat die Zentralstelle dieser Frage schon ihre Aufmerksamkeit zugewendet? Die Breslauer Pollzei, deren guten Willen ich im übrigen anerkenne, hat bei der letzten Reichstagswahl in einigen Bezirken Plakgte konfisziert, welche die Vertrauensmänner zur Kennzeichnung ihrer Partei trugen, und es sind die Vertreter aller Parteien mit Ausnahme der Konserpativen angeklagt und verurteilt worden. Einige legten Berufung ein und wurden freigesprochen, weil das Ober⸗Landesgericht annahm, daß diese Plakate nicht Druck⸗ schriften im gewöhnlichen Sinne sind. Jedenfalls haben die Leute eine Menge von Scherereien gehabt, und außerdem weiß man nicht, ob die anderen Gerichte ebenso urtheilen und nicht in fünf Jahren das Oker Landesgericht anders entscheiden würde. Es wäre doch lächerlich, wenn man verlangte, daß auf dem Plakat „Zentrumg⸗ partei“ Verfasser und Drucker angegeben werden sollen. Bat Platat⸗ wesen bedarf dringend einer Revision, und ich möchte schon jetzt den Minifter auf diese Sache hinweisen. Es kann uns passieren, daß wir strafrechtlich verfolgt werden, wenn wir an unserer Thür eine Karte anbringen lassen; Mitglied des Vereins gegen Verarmung und Bettelei. Solche Maßregeln sind dem gesunden Menschenverstand unverständlich, sie verstärken nicht das Ansehen der Strafrechtspflege. Abg. von Czarlinski (Pole): Auf ungesetzlichem Wege ver— langen wir überhaupt nichts, wir verlangen Gleichberechtigung mit allen übrigen Staatsbürgern. Preßstimmen beweisen nichts; die pol nische Bevölkerung steht auf demselben Standpunkt wie wir, sonst würde sie uns nicht herschicken. Die Prozesse der früheren Jeit be— weisen, daß man uns mit Recht nichts hat vorwerfen können. In wirthschaftlichen Fragen verständigen wir ung gern.
Abg. Freiherr von Zedli und Neu kirch (fr. kons.): Die Re⸗ ierung wird gut thun, an i rer jetzigen Polenpolitik festzuhalten. ie Begründung des Antrages Wiemer kann mich nicht reranlassen, nur einen Schritt von meiner bisherigen Auffasfung abfuweichen. Der Erlaß des Ministers und die Gendarmerie⸗Instruftion find vollkommen lonform. Es liegt auf der Hand, daß ber der Tragfähigkeit unserer Gewehre von einem Schießen über die Köpfe hinweg gar keine Rede mehr sem kann, weil man dann Unschuldige und nür Ünschusdige verletzt. Durch den Erlaß ist nicht ausgeschlossen, daß in Auänahme⸗ fällen auch von der flachen Klinge Gebrauch gemacht werden
fort, auf diesem Gebiete manches zu wünschen. In Schleswig ⸗ Holstein
kann. Dieser Auslegung hat die Regierung gestern nicht wider- sprochen, sie besteht also nach dem Grundsatz „qui tacet, consentirs
Die thein sche nen . . ,
das aber der Fall, so ftegt der Grlaß nicht
er . Gesetzen und der Tradition. Darum i
Widerlpruch . e Kommifsionsberathung überflüssig, und wir werden gegen e dh. , n, den Antrag Wiemer pure ablehnen. Die Beunruhigung deg Publikums rührt weniger von dem Erlaß selbst her, als von der Agitation der freisinnigen Partei im Bunde mit der G ic em bl Man hat nichts unversucht ge—⸗ lassen, um das Volk gegen die Regierung zu ver⸗ hetzen. Herr Wiemer mag die löbliche Absicht verfolgen, be= ruhigend zu wirken, aber sein Antrag trägt einen agitatorischen Charakter, weil er Uebertreibungen enthält. Aus Wiemer's Aug⸗ führungen müßte man schließen, daß der y vorschrlebe, es solle ofort geschossen werden. Das ist aber ein Irrthum. Der Freisinn 6 auch in diesem Falle den Sozialdemokraten Vorspanndienste ge⸗ leistet. Die lange Verzögerung der Bestätigung der Wahl des Ober- Bürgermelsters von Berlin ist von allen Seiten als unerwünscht für alle Theile bezeichnet worden. In der Auslegung der bejüglichen Ver⸗ faffungsbestimmungen stehe ich ganz auf dem Standpunkt der Abgg. Krause und Porsch. Die Anregung des Abg. Schmitz betreffs der Sonntagsruhe und der Maßregeln gegen die Verrohung der Jugend berührt mehr das Handelsreffort und den Antrag Gamp über die Arbeiterfrage, Die Breslauer . hat ein seltenes Beispiel von Ungeschicklichkeit gegeben; sie sollte den , . minima non curat praetor. In der Budgetkommisslon ist auch die Auswahl der Re⸗ glerungs ⸗ Referendare zur Sprache gebracht worden. Man hat geglaubt, daß dem Adel der Vorzug gegeben werde, Wäre das wirklich der Fall, so wäre das zu bedauern; eine solche Bevorzugung würde auch den Tradittonen des preußischen Staats durchaus widersprechen. Bei der Auswahl der höheren Beamten soll nur die Tüchtigkeit und die Chrenhaftigkeit des Charakters maßgebend sein. Es wäre auch ein schwerer Fehler, wenn nur die oberen Zehntausend berück— sichtigt würden; denn die Verwaltung muß Füblung behalten mit den breiten Schichten des Volkeg. Die Regierungs. Referendare sollten nicht mehr von dem Regierung Präsidenten, sondern von der Zentralstelle ausgewählt werden. In unserer praktischen Zeit reicht auch die ein⸗ feitig juristische Ausbildung nicht mehr aus. Der Kandidat muß eine ründliche ts en fe fin; und volkswirthschaftliche Vorbildung aben. Wie steht es in dieser Beziehung mit den Absichten der Regierung? Die bisherige juristisch⸗prattische Vorbildung bei den Gerichten ist Zeitverschwendung für die angehenden Regierungẽ⸗ Referendare. Dafür sollte die Vorbereitungszeit bei den Landräthen auf ein ganzes Jahr und damit auf den ganzen Geschäftsbereich der inneren Verwaltung ausgedehnt werden.
Minister des Innern Freiherr von der Recke:
Meine Herren! Die völkerrechtlichen und staatsrechtlichen Auf fassungen, von denen die Königliche Staatsregierung hinsichtlich der polnischen Frage geleitet wird, und die Ziele der Politik, welche sie hierbei zu verfolgen gedenkt, sind in diesem hohen Hause schon so oft vorgetragen worden, daß ich es nicht für richtig halten würde, namentlich angesichts der gestrigen ausgedehnten Polendebatte, heute noch einmal auf diese Sache zurückzukommen. Die Herren von der polnischen Partei sind über die Absichten der Königlichen Staats—⸗ regierung genau unterrichtet, und ich kann den Herren nur rathen, ihr Verhalten danach einzurichten.
Meine Herren, wenn ich mich jetzt zu den Ausführungen einiger der Herren Vorredner wende, so möchte ich zunächst einen Wunsch des Herrn Abg. van der Borght berühren, der nicht nur hier, sondern auch schon in der Budgetkommission betont hat, daß möglichst bald eine einheitliche Regelung des Fahrradwesens in der Monarchie eintreten möge. Ich habe schon früher die Zusicherung gegeben, daß ich es mir angelegen sein lassen würde, diese Angelegen⸗ heit zu fördern. Wenn ich Ihnen heute noch nicht mit der Antwort gegenübertreten kann, daß diese Angelezenheit vollständig geregelt ist, so kann ich Ihnen doch sagen, daß ihre Erledigung bevorsteht. Die Sache hat in der geschäftlichen Behandlung sehr viel mehr Schwierigkeiten aufzuweifen gehabt, als wir ursprünglich angenommen haben. Sie ist aber doch soweit gefördert, daß ein vollständiger Ent⸗ wurf hergestellt ist, der noch einer letzten Redaktion unterworfen werden soll.
Der Herr Abg. van der Borght hat bei dieser Gelegenheit noch das Verhalten der das Fahrradwesen beaufsichtigenden Polizeibeamten und Gendarmen berührt und den Wunsch ausgesprochen, es möchten die Polizeiorgane dahin angewiesen werden, bei Kontraventionen, die ja leicht vorkommen könnten, nicht gleich mit Bestrafungen vorzugehen, sondern erst Warnungen eintreten zu lassen. Darauf erlaube ich mir zu erwidern, wie ich annehme, daß jeder ver⸗ ständige Polizeibeamte in diesem Sinne verfahren wird, ohne daß er noch einer besonderen Instruktion nach dieser Richtung hin meiner⸗ seits bedarf. t
Wenn der Herr Abgeordnete dann hervorgehoben hat, im Publikum sei die Meinung verbreitet, daß die Polizeibeamten und Gendarmen für Anzeigen von Fahrradkontraventionen Denunzianten⸗ antheile erhielten, so freue ich mich, daß er selbst schon ausgeführt hat, er könne diese Auffassung unmöglich für zutreffend halten. Meine Herren, eine derartige Einrichtung würde den preußischen Grund—⸗ sätzen so wenig entsprechen, daß ich meinerseits erkläre, ich halte es eigentlich für unmöglich, daß diese Meinung im Publikum Verbreitung ge— funden haben kann. Ich will aber nicht verfehlen, hier ausdrücklich noch zu konstatieren, daß selbstverständlich von einer derartigen Ein⸗ richtung keine Rede ist.
Der Herr Abg. Lotichius hat sodann hier eine interessante An= gelegenheit zur Sprache gebracht, die von der Thatsache ausgeht, daß das Unterstützungswohnsitzgesetz bis jetzt weder in Elsaß⸗Lothringen noch in Bayern eingeführt worden ist. Er hat geglaubt, auf manche Uebelstände aufmerksam machen zu sollen, die sich hieraus er⸗ geben. Soweit mir bekannt ist, haben sich mit Bayern big jetzt keine besonderen Schwierigkeiten ergeben, sodaß wir also noch nicht in die Lage gekommen sind, auf Abhilfmaßregeln Bayern gegenüber Bedacht zu nehmen. Dagegen muß ich zugeben, daß sich gewisse Uebelstände auf diesem Gebiete Elsaß Lothringen gegenüber herausgestellt haben, und ich freue mich, dem Herin Abg. Lotichius mittheilen zu können, daß wir uns jetzt mit dem Ministerium in Elsaß⸗Lothringen in Verhandlungen befinden, welche darauf ab⸗ zielen, durch ein Uebereinkommen Abhilfe zu schaffen. Ich glaube, daß in nicht zu ferner Zeit auch zwischen Preußen und Elsaß. Lothringen bezüglich der Unterstũtzung bedürftiger Elsaß⸗Lothringer bezw. Preußen ein ähnliches Abkommen abgeschlossen werden wird, wie das schon vor einem Jahre zwischen Baden und Elsaß ⸗Lothringen geschehen ist.
Wenn ich mich dann jum Herrn Abg. Dr. Porsch wende, so möchte ich zunächst noch auf eine Angelegenheit kommen, die gestern schon vom Herrn Abg. Pleß berührt worden ist; das ist die Frage der Einrichtung konfessioneller Kirchhöfe in Rhein—⸗ land. Ich brauche wohl nicht ausdrücklich zu betonen, daß die Königliche Staatsregierung den konfessionellen Kirchhöfen an sich in keiner Weise feindlich gegenübersteht. Es ist das schon in
*
Ausdruck gekommen. Wenn den im vorigen Jahre von dem Herrn
Kultus · Minifter abgegebenen Erklärungen zufolge davon abgesehen worden
ist, schon jetzt eine Regelung der Sache in der Rheinprovinz und der
Provinz Hessen⸗Nassau, die dann gleichmäßig zu behandeln gewesen
sein würden, in dem Sinne des Antrages des Zentrums eintreten zu
lassen, so ist das dadurch veranlaßt worden, daß die Behörden, von
denen unsererseits Aeußerungen erfordert worden waren, einstimmig erklärt
haben, sie wären der Meinung, daß die augenblicklichen Verhältnisse
in der Rheinprovinz und in Hessen⸗Nassau es nicht gerathen erscheinen
ließen, die Regelung schon jetzt vorzunehmen.
Der Herr Abg. Dr. Porsch hat meine Aufmerksamkeit sodann auf den
bekannten Brand in Flinsberg gelenkt und schon seinerseits hervor⸗
gehoben, daß von dem Regierungs⸗Praͤsidenten in Liegnitz die
erforderlichen Maßnahmen getroffen seien, um wenigstens für seinen
Bezirk die Sache in der wünschenswerthen Weise anderweit zu regeln. Er hat aber auch an mich die Frage gerichtet, oh meinerseits Ver⸗
anlassung genommen sei, einer besseren Beaufsichtigung der Hötels in Ansehung der Brandsicherheit im allgemeinen näher zu treten.
Darauf habe ich Herrn Dr. Porsch zu erwidern, daß diese An⸗ gelegenheit in erster Linie das Ministerium der öffentlichen Arbeiten berührt, daß ich aber sehr gern Veranlassung nehmen werde, mich danach zu erkundigen, ob man dort schon die gewünschten Maßregeln in Aussicht genommen hat.
Der Herr Abg. Dr. Porsch ist dann, und zwar in ziemlicher Aus⸗ führlichkeit, auf Breslauer Vorgänge gekommen, die sich gelegentlich
der letzten Reichstagswablen auf dem Gebiete des Plakatwesens ab⸗ gespielt haben. Ich nehme keinen Anstand, zu erklären, daß auch nach meiner Auffassung das polizeiliche Eingreifen besser unterblieben wäre, namentlich schon aus dem Grunde, weil infolge der Einschränkung der Maßregel auf einen Polizeibezirk und gegenüber der Thatsache, daß diese Plakate meines Wissens früher unbeanstandet geblieben sind, durch das polizeiliche Eingreifen zu mancherlei mißverständlichen Auf⸗ fassungen Anlaß gegeben werden mußte.
Ueber die rechtliche Seite der Frage will ich mich hier nicht näher aussprechen; es steht ja noch das letzte Erkenntniß aus. Daß die Rechtsfrage nicht ganz unzweifelhaft ist, ergiebt sich schon daraus, daß die gerichtlichen Instanzen verschieden erkannt haben. Aber das ist für mich kein Grund, meine Meinung, die ich vorhin ausgesprochen habe, irgendwie zu modifizieren: meines Erachtens wäre die Sache sehr viel besser unterblieben. Ich habe auch Veranlassung genommen, den betreffenden Behörden diese meine Anschauung zum Ausdruck zu bringen.
Dem Herrn Abg. Dr. Porsch kann ich auch darin beipflichten, daß aus praktischen Gründen vielleicht zu erwägen sein möchte, eine Zusammenstellung der Grundsätze über das Plakatwesen eintreten zu lassen. Die Materie ist bekanntlich in verschiedenen Gesetzen zer⸗ streut; im Reichspreßgesetz hat man zu Gunsten landesrechtlicher Be⸗ stimmungen über das Plakatwesen einen Vorbehalt gemacht; in Gel⸗ tung befinden sich daher noch die alten Bestimmungen des preußischen Preßgesetzes von 1851; außerdem sind noch einige Bestimmungen der Reichs ⸗ Gewerbeordnung, namentlich der § 43 derselben, zu berück— sichtigen. Doch kann ich dem Herrn Abg. Dr. Porsch in der Aus⸗ legung dieser letzteren Bestimmung ohne weiteres nicht überall bei⸗ stimmen.
Wende ich mich nun zu dem Herrn Abg. Freiherrn von Zedlitz, so kann ich manchen, ja vielen Ausführungen, die er bezüglich des sogenannten Waffenerlasses hier gemacht hat, meinerseits ohne weiteres beipflichten. Ich halte mich aber doch für verpflichtet, um einer Mißdeutung meiner früheren Ausführungen vorzubeugen, noch aus⸗— drücklich darauf hinzuweisen, daß meines Erachtens der Gebrauch der Waffen zum Zweck des Flachschlagens und des Blindschießens kein Gebrauch, sondern ein Mißbrauch ist (hört! hört! links), und daß, wenn also bei Dämpfung von Tumulten — darauf bezieht sich ja der erwähnte Erlaß — seitens der berechtigten Persönlichkeiten der Befehl zum Waffengebrauch gegeben wird, dann unter keinen Um⸗ ständen den einzelnen Leuten gestattet sein darf, flach zu schlagen oder blind zu schießen. Wenn einmal der Befehl zum Waffengebrauch gegeben ist, dann, meine Herren, muß zur Unterdrückung des Tumultes scharf zugehauen und scharf geschossen werden, und nicht über die Köpfe der Tumultuanten hinweg. (Sehr richtig! rechts) Das schließt ja selbstverständlich nicht aus — ich will das nochmals wiederholen —, daß seitens des Befehlshabers, der die Aktion zu leiten hat, auf das gewissenhafteste geprüft wird, in welcher Weise einzuschreiten ist. Er wird also z. B., wenn er einen derartigen Gebrauch der Waffe für ausreichend hält, sagen können: jetzt wird nur mit der Hiebwaffe eingeschritten — dann aber natürlich auch scharf; oder er wird, in der Ueberzeugung, daß ein Einschreiten mit der Hiebwaffe nicht zum Ziele führen würde, gleich anordnen können: jetzt wird zur Schußwaffe gegriffen; in diesem Falle muß selbstverständlich auch scharf geschossen werden. Ich kann mir aber sehr wohl auch den Fall denken, daß der Befehls⸗ haber sagt: wir sind zwar genöthigt, mit der Schießwaffe einzu⸗ schreiten, ich wünsche aber, daß hierbei maßvoll und mit Schonung vorgegangen wird, und daß er beispielsweise anordnet, tief zu halten und nur auf die unteren Extremitäten zu schießen. (Heiterkeit.) Aber auch in diesem Falle muß unter allen Umständen scharf geschossen werden.
Der Herr Abg. Freiherr von Zedlitz ist dann von diesem Thema auf ein sehr viel zivileres übergegangen. Er sagte: wenn es wahr wäre, daß in der Verwaltung der Adel bevorzugt würde, würde er das für sehr bedauerlich halten; er hat also, wie ich annehme, sich dem Vorurtheil, daß in der Verwaltung der Adel bevorzugt würde, nicht anschließen wollen. Vollständig mit Recht. Denn ich kann ihm versichern, daß derjenigen Verwaltung, der ich vorzustehen die Ehre habe, eine derartige Bevorzugung vollständig fern liegt. Ich kann nur wiederholen, was ich hier schon öfter erklart habe, daß die preußische Verwaltung ihre Leute lediglich nach der Tüchtigkeit aussucht, nicht nach der Konfesston und auch nicht nach dem Kriterium, ob sie adlig sind oder nicht. Das gilt insbesondere auch von der ersten Aufnahme in den Verwaltungk—⸗ dienst. Es ist ja richtig, daß in der letzten Zeit die Zahl dertenigen Herren, die sich zum Verwaltungsdienst melden, und die vom Adel sind, ziemlich zugenommen hat. Aber wenn man daraus den Vor— wurf erheben wollte, daß diese Vermehrung auf Maßregeln der Verwaltung zurückzuführen sei, dann müßte man doch erst den Beweis führen, daß andere nichtadlige Persönlichkeiten seitens der Verwaltungs⸗ behörden zu Unrecht zurückgewiesen worden sind. Dieser Beweis ist von keiner Seite versucht oder erbracht worden und kann meiner Ansicht nach auch überhaupt nicht geführt werden. Die Gründe, aus
natürlich nur vermuthen. Meiner Meinung nach spielt dabei
die Tradition eine große Rolle. Es ist seit langen Zeiten immer der Wunsch der Herren aus den adligen Familien ge⸗ wesen, gerade in die Verwaltung einzutreten, wahrscheinlich auch des⸗ wegen, weil sie glauben, daß sie darin eine ganze Reihe Verwandter, Bekannter und Standesgenossen finden; vielleicht wird schon aus diesen Gründen die Verwaltung ihrerseits vor der Jurisprudenz bevorzugt. Es ist auch möglich, daß folgende Erwägung mit aus⸗ schlaggebend ist. Sie wissen ja, meine Herren, daß wir bei der Besetzung der Landrathsämter zunächst einen Vorschlag der Kreise zu erfordern haben, und es richtet sich der Wunsch der Kreise, was ich ganz begreiflich finde, in den allermeisten Fällen auf solche Persön⸗ lichkeiten, von denen sie annehmen, daß sie mit den Verhältnissen des betreffenden Kreises vertraut sind, und daß sie auch durch Grund⸗ besitz eine gewisse Garantie bieten, daß sie den Kreis so bald nicht verlassen werden, sondern ihm möglichst lange er⸗ halten bleiben. Nun ist aber der Grundbesitz, wenigstens in sehr vielen Fallen, noch in den Händen adliger Familien, und es kann sehr wohl sein, daß diejenigen jungen Leute, die vor der Frage stehen: sollst du in die Verwaltung eintreten oder sollst du bei der Justiz bleiben —, sich durch die Aussicht, später einmal auf Vor⸗ schlag des Kreises in ein derartiges Landrathsamt berufen zu werden, zum Uebergang in die Verwaltung bestimmen lassen.
Der Herr Abg. Freiherr von Zedlitz hat sich dann über die Frage verbreitet, ob die jetzige Vorbildung der Verwaltungsbeamten aus reichend scheine, um auch für die Zukunft ein ordentliches tüchtiges Verwaltungspersonal zu sichern. Der Herr Abg. Freiherr von Zedlitz weiß sehr genau, da er der betreffenden Kommission selbst angehört hat und noch angehört, daß die Königliche Staatsregierung es für nöthig befunden hat, eingehende Ermittelungen darüber anzustellen, ob die jetzigen Vorschriften über die Vorbereitung der Verwaltungs⸗
beamten zureichend sind oder nicht.
Ich kann mich mit vielen Ausführungen des Herrn Abg. Frei⸗ herrn von Zedlitz persönlich sehr wohl einverstanden erklären, muß es mir aber versagen, auf die Einzelheiten einzugehen, weil die An— gelegenheit augenblicklich zur Berathung des Königlichen Staats Ministeriums steht. Ich hoffe, daß die Berathungen dort in nicht ferner Zeit abgeschlossen sein werden.
Bei dieser Gelegenheit wird auch eine Reihe anderer Fragen, die der Herr Abg. Freiherr von Zedlitz hier angeschnitten hat, zur Er— örterung kommen, insbesondere auch die, ob es etwa wünschenswerth erscheint, behufs Erzielung größerer Garantien — wie der Herr Abg. Freiherr von Zedlitz — wenn ich nicht irre — sagte — die An nahme der Referendarien nicht den Regierungs⸗Präsidenten, sondern dem Ministerium zuzuweisen. Ich nehme keinen Anstand, meine Herren, zu erklären, daß ich diese Maßnahme doch für einiger⸗ maßen bedenklich halten würde. Ich glaube, man würde den Re⸗ gierungs⸗Präsidenten eine Art Mißtrauensvotum ertheilen, wenn man ihnen diese Annahme entzöge, und zwar auf Grund völlig unerwiesener Thatsachen und Behauptungen; mir ist wenigstens bis jetzt kein einziger Fall bekannt geworden, der auch nur zu dem Schein der Vermuthung führen könnte, daß sich die Herren Regierungs⸗Präsidenten bei der Aufnahme der Referendare von anderen Rücksichten leiten ließen, als von denen des Dienstes.
Meine Herren, auf diese Bemerkungen möchte ich mich vorläufig beschränken.
Abg. Dr. Wie mer (fr. Volksp.): Der Minister hat gemeint, ich hätte dessen Erlaß in der Budgetkommission vorbringen sollen. Er muß es uns überlassen, welches Kampffeld wir uns aussuchen wollen. Dafür halten wir einzig und allein das Licht der Oeffentlich⸗ keit für geeignet. Der Minister meinte weiter, ich hätte seinen Erlaß noch garnicht verstanden. Der Verlauf der Diskussion hat gezeigt, daß auch die anderen Parteien sich über den Erlaß nicht klar geworden sind. Herr Porsch hat darüber schon das Richtige gesagt. Kein Beamter wird nach diesen Verhandlungen wissen, was er zu thun hat. Die Erklärungen des Ministers haben uns eben mit dankenswerther Offenheit gezeigt, daß hier blutiger Ernst gemacht werden soll, daß wir den Minister richtig verstanden haben, und daß die Be⸗ unruhigung des Volkes vollständig begründet war. Soll das etwa eine Schonung sein, wenn auf die unteren Extremitäten geschossen wird? Das Mißtrauen gegen die Polizei zu schüren, liegt uns fern, wir wollen nur Klarheit schaffen. Ebenso fern liegen uns agitatorische Zwecke. Allerdings steht die Post“ auf dem Standpunkt des Herrn von Zedlitz, andere Zeitungen, wie die „National⸗Zeitung“, stehen auf unserer Seite. Der Vorwurf der Verhetzung und die Nebeneinander⸗ stellung mit der Sozialdemokratie lassen uns kalt. Wir haben die
flicht, gegen die konservative Mehrheit die liberalen Grundsätze zur nerkennung zu bringen. ;
Abg. Graf zu Limburg-⸗Stirum (kons.): In der Vorbildung der höheren Beamten stehe ich nicht ganz auf der Seite des Herrn von Zedlitz. Wann sollen denn die Referendare zum Assessor kommen, wenn sie allen diesen Anforderungen genügen? Wir können nur wünschen, daß die Herren nach dem Assessorexamen sich mit solchen Fragen be⸗ schäftigen. Meine Freude muß ich darüber ausdrücken, daß die Regierung in der Polenpolitik jetzt eine so maßvolle und stetige Haltung einnimmt. Auf die Stetigkeit legen wir das größte Gewicht. Man soll nicht gehässig, aber stetig vorgehen. Wir wünschen, mit den Polen in den besten Beziehungen zu stehen, denn die Herren sind liebenswürdig. Ich finde übrigens, daß die Polen sich unter dem preußischen Regiment recht wohl fühlen. Nur die polnische Presse verlangt Dinge, die nicht gewährt werden können. Auf völker— rechtliche Bestimmungen dürfen sie sich nicht berufen, sondern nur auf die Gesetze. In Bezug auf den Waffenerlaß hat der Vorredner bestritten, daß seine Partei aufregen und verhetzen wolle. Ihre Presse thut dies aber, und dann beschwert sie sich über Aufregung im Lande. Die Sache ist durch die Diskussion so geklärt, daß eine Kommissionsberathung vollständig überflüssig erscheint. Man hat behauptet, der Erlaß des Ministers stehe im Widerspruch mit der Gendarmerieverordnung, die eine Schonung vorsieht. Das flache Hauen ist kein richtiger Waffengebrauch; die möglichste Schonung liegt darin, daß man möglichst wenig von den Waffen Gebrauch macht, wenn es aber geschieht, mit Ernst und Strenge. Die Erfahrung zeigt, daß viel mehr Blut vergossen wird, wenn diese Regel außer Acht ge—⸗ lassen wird. Danach können wir uns nur auf den Standpunkt des Menisters stellen. Sein Erlaß ist kein Akt der Schneidigkeit. Ich hoffe, daß die Regierung sich durch den Widerspruch hier im Hause in ihren Bestrebungen nicht irre machen lassen wird.
Abg. Wamhoff (nat. lib. wünscht eine Revision der bau⸗ polizeilichen Vorschriften unter besonderem Hinweis auf die ländlichen Verhältnisse in der Provinz Hannover.
Geheimer Ober ⸗Regierungs⸗Rath Dr. Mau bach sagt eine wohl⸗ wollende Prüfung der Beschwerden zu.
Abg. Hornig Cen beschwert sich darüber, daß im Regierungs⸗ bezirk Liegnitz über Dienstboten verhängte Polizeistrafen in dem be— nachbarten Sachsen nicht vollstreckt würden. Dadurch werde der Kon. trakthruch befördert, während es doch angebracht wäre, daß die , n. Bundesstaaten in solchen Dingen einander die Hand reichten.
Abg. Motty (Pole): Man spricht immer so viel von einer polnischen Agitation, niemals aber von einer deutschen. Herr van der
den wiederholten Verhandlungen früherer Jahre sehr deutlich zum
denen die Herren vom Adel die Verwaltung bevorzugen, kann man
Borght, ein ganz junges Mitglied des Hauses, gab zu verstehen, daß
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