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14.60 1460 14,90 13, S0 14,00 1440 1450 15,00 15,00 1400 14,40 1440 1210 12.30 12,50
Bemerkungen. Die verkaufte Menge wird auf volle Doppelzentner und der Verkaufswerth auf volle Mark abgerundet mitgetheilt.
Der Durchschnitteyrcie wird aug den unabgerundeten
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blen berecchact.
Ein liegender Strich (— in den Spalten für Preise hat die Bedeutung, daß der betreffende Preiz nicht vorgekommen ist, ein Punkt (.) in den letzten sechs Spalten, daß entsprechender Bericht feblt.
Deutscher Reichstag. 33. Sitzung vom 15. Februar 1899, 1 Uhr.
Die erste Berathung des Entwurfs eines Invaliden⸗ versicherungsgesetzes wird fortgesetzt.
Abg. Payer (d. Volksp.): Für die Lösung der Streitfrage bezüglich des finanziellen Ausgleichs haben sich nur die Vertreter der Rechten ausgesprochen, alle anderen Parteien haben lebhaften Widerspruch erhoben. Allerdings waren die anderen Parteien unter sich nicht einig; da waren so viele Sinne wie Köpfe. Eine Uebereinstimmung bat sich nur in der Weise bekundet. daß der Nothstand der ostyreußischen Anstalt nicht ganz unverschuldet zu stande gekommen ist. Der Staats sekretär hat selbst zugegeben, daß tbeils durch Unkenntniß, theils durch die edle Absicht, das Gesetz einzufübren, viel gesündigt worden ist. Auch Herr Gamp hat von einem Wohlwollen bei der Rentenbewilligung ge⸗ sprochen. Mag der Nothstand ein mehr oder weniger verschuldeter sein, er muß beseitigt werden. Aber sehr verschieden sind die dazu gemachten Vorschläge. Mit dem Aywarten allein kann nicht
ebolfen werden, obgleich sich die Verhältnisss von Jahr zu ger verschieben. Durch eine Verschiebung des Reichszuschusses zu helfen, hat etwas Bestechendes, weil dabei jede Konfiskation der angesammelten Gelder unterbleiben kann. In der Kommission können die Vorschläge besser erörtert werden, auch der Vorschlag, für den ich mich aussprechen möchte, durch eine baare Auszahlung zu helfen, durch eine einmalige Unterstützung der Nothleidenden, weil wir damit auf einmal fertig werden. Allerdings wird es sich dabei um einige Millionen handeln, die aber die anderen Anstalten zahlen könnten aus dem Ueber⸗ schuß, den sie über ihre eigenen Deckungskapitalien baben. Dann sind wir frei von dem Vorwurf der Zwangstheilung, des Eingriffs in be—⸗ stehende Vermögensrechte und von dem Vorwurf, daß alle anderen leicht und schnell gezimmerten Vorschläge schließlich auf die Mediatisierung der einzelnen Anstalten hinauslaufen. Maßgebende Erfahrungen konnten noch nicht gemacht werden, weil sich die Grundlagen von Jahr zu Jahr verschieben. Redner wendet sich gegen die ört⸗ lichen Rentenstellen, die von dem Bestreben aus vorgeschlagen seien, die Lasten von den kleineren auf die größeren Verbände abzuwälzen, und fährt dann fort: aber durch eine solche Abwälzung verschwindet doch die Last an sich nicht aus der Welt. Schließlich würden die Rentenstellen nur den Er— folg haben, daß die Schiedegerichte mehr in Anspruch genommen werden und daß sebr viele Nachprüfungen statifinden müssen. Sollen die Rentenstellen die ihnen weiter zugedachten Aufgaben außer der Rentenfeststellung übernehmen, dann müssen sie für sebr kleine Bezirke geschaffen werden, um die beabsichtigten versöhnlichen Wirkungen zu erzielen. Die Rentenstellen wachsen nicht organisch aus dem Gesetze heraus, sondern sind willkürliche Schöpfungen, mögen die Vorstände Landräthe oder pensionierte Offiziere sein; beide werden nicht als Organe der Versicherungsanstalten sich be—⸗ trachten, und schließlich wird das Schreibwerk nur vermehrt werden, ohne daß Ersparnisse eintreten. Selbst wenn die Widerwärtigkeit des finanziellen Ausgleichs aus der Vorlage beseitigt werden könnte, bleiben immer noch zahlreiche Punkte, die einen Eingriff in die Selbstoerwal.« tung darstellen. Redner bespricht die einzelnen Punkte: die Genehmi⸗ gung des Etats der Versicherungsanstalten u. s. w. Die Selbstver⸗ waltung müsse aufrecht erhalten werden, denn sie habe alles das ge⸗ schaff en, was in der letzten Zeit an gediegenen Leistungen hervorgetreten sei, namentlich auf dem Gebiet der Inralidenversicherung. Deshalb müsse die Vorlage so gestaltet werden, daß die Selbstoerwaltung er⸗ halten bleibe.
Abg. von Loebell (d. kons.): Wir stellen uns auf den Boden der Vorlage, die manches Gute für die Arbeiter enthält, namentlich die. Verkürzung der Wartezeit, die Ausdebnung der Versicherungs⸗ pflicht und die freiwillige Bersicherung. Der finanzielle Ausgleich, wie er vorgeschlagen ist, ist der einzig gangbare. Ein Vergleich der Ausgleichung mit einer sozialistischen Theilung ist durchaus unzulässig. Es handelt sich in gewisser Beziehung um Arbeiter⸗ vermögen, aber nicht um Vermögen der Arbeiter einzelner Betirke; denn das würde der fh s fei widersprechen. Die Einrichtung der örtlichen Rentenstellen ist in gewisser Be— ziehung zu billigen; denn jetzt findet eigentlich kein mündliches Ver⸗ fahren, keine Augenscheinnahme statt. Der Gemeindevorstand nimmt die . des Anspruchs entgegen und beschafft die erste Unterlage; das Landrathe amt sucht die feblenden Unterlagen zu beschaffen. Entscheidungen erfolgen dann rein bureaukratisch von der Versicherungeanstalt; die Dauptsache bleibt immer das ärztliche Attest. Die Versicherungsanstalten sind nicht bureaukratisch verfahren, denn 930, aller Berufungen sind als unbegründet anerkannt worden und nur 3,1600 ihrer Ent- scheidungen sind von den Schiedsgerichten abgeändert worden. Durch Auskunftsertheilungen lönnten die Rentenstellen dem Arbeiter näber treten, aber damit würde ibre Thätigkeit nicht ausgefüllt werden; für diese Thätigkeit giebt es auch andere Staats behörden. Wird die Rentenstelle mit der Kontrole betraut, so wird ihre Thätigkeit der großen Mehrjahl der Bevölkerung sehr bald unangenehm empfind⸗ bar werden Das Experiment würde sehr kostspielig werden, und Experimente soll man auf dem Gebiete der Sozial⸗ politik am allerwenigsten machen. Man lasse es also beim bis- herigen Verfahren. Entschließt man sich ju einer Verschmelzung der Invaliden und Krankenversicherung, dann wird der Moment zur Schaffung solcher örtlichen Stellen gekommen sein. Die kon servatide Partei ist bereit, an der Weiterausgestaltung der Arbeiter⸗= versicherung und des Arbeiterschutzes mitzuarbeiten; aber wir danken der Regierung, daß sie ein langsames Tempo beibeßbalien will. Wir wünschen, daß billige Rücksicht genommen wird auf die Arbeitgeber, insbesondere auf den Mittelstand, auf die Handwerker und kleinen Land wirthe. Wir müssen Sezialpolitik treiben für den Mittelstand. Dieser werden meine Freunde sich immer anschließen. Der Hand⸗
werker muß für den Lohn seiner Arbeiter sorgen und für
seine Familie; die Vensicherungsgesetzgebung hat ihm in dieser Beziehung schwere Lasten auferlegt. Eine versöhnende Wirkung der Sozialpolitik wird nicht eher eintreten können, als bis man mit der nöthigen Umsicht der Agitation entgegentritt, welche in Stadt und Land die Sozialpolitik beeinträchtigt. Es wird alles versucht, um die guten Wirkungen der Sozialpolitik in den Schatten zu stellen. Herr Molkenbuhr sprach von dem sogenannten Wohlwollen gegen die Arbeiter, von dem Zuchthauskurs gegen die Arbeiter. Die Soꝛialdemokraten dürfen niemals mit einer Maßregel der Regierung zufrieden sein, obne ihre Selbstberechtigung zu verlieren. Nicht jeder Arbeiter ist Sozialdemokrat; vor dieser Beschuldigung müssen wir den Arbeiterstand energisch beschüͤtzen. Selbst wenn der Arbeiter sozial⸗ demokratisch stimmt infolge der Agitation, ist er noch lange nicht Sozialdemokrat. Herr Molkenbuhr bat von der Prägelstrafe als Strafe für den Kontraktbruch gesprochen; es war aber schon längst die Berichtigung ergangen, daß die Prügelstrafe für Rohbheits⸗ verbrechen angewendet sein sollte. Ich enthalte mich jeder Bezeichnung einer solchen Handlungsweise; jedenfalls ist es nicht hübsch, in solcher Weise Agitation zu treiben. Ich billige die Ausführungen des Herrn von Korn durchaus und werde sie vor meinen Wählern vertreten. Mit jeder sozialpolitischen Maßnahme sollte die Regierung eine energische Bekämpfung der Sozialdemokratie und ihrer maßlosen Agitation im Lande verbinden. Dabei wird die ganze Be- völkerung auf seiten der Regierung stehen. Eher werden wir nicht zur Versöhnung und zum Frieden im Lande kommen.
Staatssekretär des Innern, Staats-Minister Dr. Graf von Posadowsky-⸗Wehner:
Ich muß im Anschluß an die Ausführungen vom gestrigen Tage auf eine Anzahl von Einzelheiten, welche von den Herren Vorrednern gegen die. VoVrlage eingewendet sind, zurückkommen. Der Herr Abg. Roesicke hat behauptet, die ganze Frage des Ausgleichs stütze sich lediglich auf die Berhältnisse in Ostpreußen. Ich gestatte mir dem⸗ gegenüber auf die Motive Bezug zu nehmen, in denen ausdrücklich 4 landwirthschaftliche Anstalten: Ostpreußen, Pommern, Posen und Niederbayern, 4 vorwiegend industrielle Anstalten: Westfalen, Rhein⸗ provinz, Mittelfranken und Königreich Sachsen, und 2 fast ausschließ⸗ lich gewerbliche Anstalten: Berlin und die Hansastädte in die Unter⸗ suchung einbezogen sind; es ergiebt sich für diese einzelnen Bezirke nach den neusten Erfahrungen, das heißt für die Zeit vom 1. Oktober 1897 bis 1. Oktober 1398, daß bei ihnen die relative Anzahl der Rentenbewilligungen genau dieselben Abweichungen in diesen drei Gruppen zeigte wie in den entsprechenden Berufszweigen im ge— sammten Umfange des Reichs.
Man hat gesazt, die Verhältnisse in Ostpreußen beruhten einer⸗ seits darauf, daß man zu leichtfertig Renten bewilligt hat, und andererseits wurzelten sie in den natürlichen Verhältnifsen der Ueber⸗ gangsperiode. Man hat sich in erster Linie hierbei sogar auf mein Zeugniß berufen. Wenn die Herren die Güte haben wollen, wein Stenogramm nachzulesen, so werden Sie sinden, daß ich nur gesagt habe, man habe gewünscht, daß man in der Uebergangkperiode nicht zu engherzig mit der Bewilligung von Renten sei, daß man nicht zu ängstlich in der Uebergangs zeit, wo es für die Rentensucher schwer war, alle Atteste, alle Nachweise zu beschaffen, bei der Entscheidung sein sollte, und daß dabei vielleicht manche Rente bewilligt wurde — und ich meine, zum Besten der Sache —, die nach dem strictum jus nicht bewilligt worden wäre. Das ist aber ein Koeffizient, der nicht nur in Ostpreußen gewirkt hat, sondern der meines Erachtens in den Bezirken aller Versicherungsanstalten gewirkt hat. (Sehr richtig! rechts) Man wollte sofort der breiten Masse der Versicherten klar machen, daß es sich hier wirklich um einen großen Schritt staatlicher Fürsorge handle. Und nun bitte ich, doch zu eiwägen, daß in den Jahren 1893 bis 1896 auch in Ostpreußen die Uebergangesperiode fast überwunden war, daß die Bewilligung der Renten schon auf Beitrags—⸗ zahlungen sich gründete und nicht auf Atteste. Trotzdem entfallen von 100 Versicherten auf Ostpreußen 1,B76, auf Pommern 1,24, auf Schleswig ⸗Holstein 125 und auf Niederbayern 1529mal so viel wie im Reichs durchschnitt, während Berlin mit 0,40, die Hansestädte mit 0,43 und Mittelfranken mit O,66 erheblich unter dem Reiche⸗ durchschnitt verbleiben.
Man bat infolge dieser Zustände, deren Kalamität ja eigentlich von allen Seiten anerkannt ist, schwere Vorwürfe gegen diejenigen erhoben, die die mathematischen Grundlagen des Gesetzes von 1889 beschafft haben; aber vergegenwärtigen Sie sich doch einmal, vor welcher vollkommen ftemden Materie wir damals standen, und daß wir damals über das ganze statistische Material, über das wir jetzt seit 19 Jahren verfügen, nicht verfügten! (Sehr richtig! rechts.) Da⸗ mals mußten wit annehmen, daß der Reichsdurchschnitt der Verhält- nisse auch für alle Theile Deutschlands maßgebend wäre; das war, wie wir nunmehr genau wissen — aber wir kommen jetzt vom Rath⸗ haus herunter — (Heiterkeit), allerdings ein error in calculo. Aber sagen Sie mir doch, auf welchem Rechtszebiet macht denn ein error in calculo definitives Recht? Und darauf beruht meines Erachteng die innere sittliche Begründung des Anspruchs der verbündeten Regie⸗
rungen, einen Ausgleich zwischen den Anstalten, die Ueberdeckuag, und den Anftalten, die Unterdeckung haben, zu fordern, daß diese Verhaͤlt⸗ nisse nur die Folge einer irrt hümlichen Auffassung von zahlen⸗ mäßigen Verhältnissen sind. Außerdem sind die Zustände, die jur Unterbilanz von einzelnen Anstalten gefübrt haben, zum thbeil erst nachträglich entstanden. Diese Massenabwanderung der jungen Leute nach den industriellen Zentren hängt erst mit dem erheblichen Aufschwung zusammen, den die deutsche Industrie genommen hat. (Sehr richtig! rechts) Es sind also Ursachen, die erst später entstanden sind und die damals die Mathematiker unmöglich prophetisch voraussehen konnten. (Sehr wahr! rechts,. Wir befinden uns in einer absoluten Nothlage; denn nach den Bestimmungen des Gesetzes muß durch die Beiträge jeder Versicherungsanstalt das vorgeschriebene Deckungskapital auf⸗ gebracht sein, und da wir jetzt unmittelbar vor der neuen Beitrage⸗ periode stehen, so müssen die Anstalten, die Unterbilanz haben, ihre Beiträge verdoppeln, ja vielleicht vervierfachen, während die Anstalten, die Ueberdeckung haben, in der Lage sind, ihre Beiträge wesentlich zu ermäßigen oder ganz zu erlassen, und das, meine Herren, kann ich sagen, ist ein Zustand, der für die verbündeten Regierungen absolut unannehmbar ist aus Gründen der allgemeinen Staatsraison. (Sehr richtig! rechts.)
Auf die Einwendungen, daß unser Verfahren einen sozialistischen Charakter trägt, gehe ich nicht ein; das sind nur Dekorationen einer Rede; ich glaube, keiner der Herren ist innerlich so recht davon durch⸗ drungen, daß wir hier sozialistische Experimente machen wollen, wir stehen vielmehr auf dem Standpunkt, es handelt sich nicht um Vermögen der Anstalten, nicht um Vermögen der Ver sicherten, sondern um Verwaltungestellen, die diese Fonds zu einem allgemeinen Reichszweck angesammelt haben, und diese Fonds müssen insoweit zur Verfügung stehen, daß dieser Reiche zweck e in⸗ heitlich durchgeführt werden kann. (Sehr richtig! rechts) Wenn wir uns von dieser Idee entfernen, so zerstören wir die Institution, die in einer großen Zeit geschaffen wurde.
Es ist uns nun vorgeschlagen worden, man erkenne ja die Kalamität und die Nothwendigkeit ihrer Beseitigung an, aber die Sache ließe sich vielleicht mit einer einmaligen Zahlung, mit einem Pauschquantum machen. Man befindet sich in einem Irrthum; die ungleiche Altersgruppierung ist ein fortwirkender Uebelstand, und nach unseren Berechnungen erhöht sich in Ostpreußen das Defijit in jedem Jahre um 900 000 M, so daß also mit einer einmaligen Regelung der Fehlbetrag nicht beglichen werden könnte.
Zu meiner Freude hat auch der Heir Redner der süddeutschen Volkspartei erkannt, daß der Weg ungangbar sei, die Beiträge zu differenzieren. Gestern aber ist ausgeführt worden, man brauche sich vor der Differenzierung der Beiträge gar nicht zu scheuen, viel schlimmer sei die Differenzierung der Renten. Ja, worauf beruht denn die Verschiedenheit der Renten? Doch auf der verschiedenen Höbe der Löhne. Wer in Ostpreußen einen höberen Lohn bekommt, bekommt dort natürlich auch eine entsprechend höhere Rente; aber es sind eben Landestheile in Deutschland, wo die Löhne allgemein riel höher sind als in anderen Landestheilen. Dieser Umstand ist schon die innere Ursache dafür, daß in besorgnißerregender Weise die Abwanderung von gewissen Theilen Deutschlands nach industriellen Zentren erfolgt. Wir haben doch bei diesen Verhältnissen unmöglich Grund, nachdem schon die höheren Löhne und eventuell höheren Renten eine derartige elementare Versckiebung der Bevölkerung innerhalb Deutschlands herbeiführen, diese Ursachen noch eventuell dadurch zu verstärken, daß wir auch verschiedene Beiträge bei den ver⸗ schiedenen Versicherungsanstalten zulassen. Wir würden zu zwei Ursachen noch eine dritte sebr bedenkliche für die Verschiebung der Bevölkerung herbeifübren.
Es ist auch der Vorschlag gemacht, man solle doch den Ver sicherungswerth der Beitragsleistung an Stelle des thatsächlichen Bei⸗ trags der Vertheilung zu Grunde legen, ein Grundsatz, der sich ja bekanntlich bereits in dem Gesetzentwurf von 1888 befand. Wenn
man aber den Versicherungswerth der Beitragsleistung anstatt des
thatsächlichen Beitrages der Vertheilung zu Grunde legte, so wärde auch die Einzelrente nach der Beitragsleistung des Empfängers ver⸗ theilt werden müssen. Wenn Sie die Motive nachlesen, werden Sie meines Erachtens den schlüssigen Nachweis finden, daß dieses Verfahren technisch unausführbar ist, und selbst wenn man es durchführen könnte, dadurch ein Ausgleich nicht herbeigeführt würde.
Man hat auch das Spstem der Novelle angegriffen, welchts die Grundrenten erhöht und die Steigerungsbeträge ermäßigt. Durch die jetzige Methode der Beiträge und der Rentensteigerung wird erreicht, daß die Grundbeträge und die Rentensteigerungssätze in den einzelnen Lohnklassen in genau demselben Verhältniß stehen wie die Beiträge.
Eg wird ferner dadurch erreicht, und das war unser Zweck, daß boch= gelöhnte Arbeiter, die in gefährlichen, gesundheitsschãdlichen Betrieben arbeiten und infolge dessen eine kurze Akftivitätsdauer haben, schneller in den Befltz einer höheren Rente kommen wie bisher; ich glaube, das ist ein Prinzip, das man vom humanitären Standpunkt aut durchaus anerkennen muß; denn je größer die Betriebsgefahr, je ge⸗ sundheltaschädlicher die Wirkungen eines Betriebes, desto kürzer die Aktivitäts dauer und desto mehr ist dem Manne, wenn er invalide wird, zu wünschen, daß er schnell zu einer verhältnißmäßig hohen Rente gelangt, weil er sein Kapital an köwerlicher Arbeitskraft schneller verbraucht hat, wie ein anderer Arbeiter, der unter gesunderen Verhältnissen lebt. Es hat aber diese Konstruktion der Sache nech einen anderen Vortheil, nämlich den, daß die Kapitalien in der Gegenwart schneller aufgebraucht werden, daß die Zukunft weniger belastet wird und infolge dessen auch vermieden wird, daß einzelne Anstalten so große müßige Ueberschüsse ansammeln, die sie nicht recht verwenden können. Ich glaube, es ist gerechtfertigt, diese Ueberschüsse zu Gunsten der Arbeiter schneller zu mobilisieren.
Der Herr Abg. Roesicke bat allerdings gegenüber dieser Kon struktion einzelne Fälle angefübrt, die man in der Steuerverwal- tung als Zollkuriosa bezeichnet. (Widerspruch) Er hat nachgewiesen, daß in gewissen Fällen, die er sich konstruiert hat, jemand dadurch, daß er Marken klebt, eine geringere Rente bekommen kann als die⸗ jenige, auf die er bereits früher Anspruch erheben konnte. Aber diese Berechnungen stellen wirklich gegenüber dem Gros der Fälle ganz außerordentlich seltene Ausnahmefälle vor; es ist hierbei davon ausgegangen, daß jemand aus der 5. Klasse in die 1. Klasse gelangt. Ein solcher plötzlicher Uebergang von der höchsten in die niedrtigste Klasse wird wohl selten stattfinden; umgekehrt ist doch die Regel die, daß jemand mit der niedrigeren Klasse anfängt und sich in eine höbere Klasse hinaufarbeitet. Außerdem darf aber auch nicht überfehen werden bei diesen Beispielen, daß bei längerer Beitrags« dauer stets die 600 Marken der höchsten Lohnklassen für die Berech⸗ nung des durchschnittlichen Grundbetrages der Invalidenrente in An- satz kommen. Außerdem liegt der Berechnung des Herrn Abg. Roesicke, die ja natürlich sehr frappant war, die Fiktion zu Grunde, daß schon Invaliditätsfälle nach 200 und 400 Beitragswochen eintreten; aber auch diese Fälle werden, nachdem jetzt bereits seit 10 Jahren das Gesetz in Geltung ist, jedenfalls eine unendlich seltene Ausnahme bilden. Ich behalte mir vor, auf diese Fälle im Einzelnen zahlen mäßig in der Kommission zurückzukommen.
Der Herr Abg. Dr. Hitze hat gestern einen Gedanken angeregt, der uns allen gewiß sehr sympathisch ist, nämlich den Gedanken, daß man die Invaliditätsversicherung verbinden solle mit einer Wittwen⸗ und Waisenversicherung. Wenn wir das unserer Industrie, unserer Landwirthschaft und auch unseren Arbeitern durch Erhöhung der Bei—⸗ träge zumuthen könnten, wäre es gewiß die Erreichung eines edlen und verständigen Zveckes. Ich gestatte mir aber Folgendes zu be— merken: Wenn man nur die Hälfte der Invalidenrente ohne Reichs⸗ zuschuß als Wittwenrente und ein Sechstel der Invalidenrente als Waisenrente gewähren wollte, so würde die Grundrente für die Wittwen 50 M 97 3 betragen und sich jährlich um 80 3 steigern, die Grundrente für die Waisen würde jährlich 17 4 betragen und jährlich um 27 3 steigen. Um aber diese doch minimalen Renten zu beschaffen, müßte durchschnittlich der Beitrag pro Kopf der männ⸗ lichen Versicherten um 9 M 60 3 pro Jahr gesteigert werden, während jetzt im Durchschnitt die ganze Belastung nur 9 6 30 3 beträgt. Es wäre also eine Verdoppelung der bisherigen Beträge erforderlich.
Noch dringender vielleicht, wenn man's finanziell leisten könnte, wie die Wittwen⸗ und Waisenversicherung wäre es meines Er⸗ achtens, wenn man die gefährliche Lücke, die zwischen dem Aufhören der Krankenversicherung und dem Beginn der Invaliditätsversicherung liegt, diese ls Wochen, die dahin führen, daß ein Mann, der nicht gebeilt ift, der nicht erwerbsfähig ist, doch die 13 Wochen ohne ge— ordnete Subsistenzmittel sich und seine Familie durchbringen muß — ich sage, wenn man diese gefährliche Läcke durch die Gesetzgebung aus füllen könnte; denn darin liegt auch eine große Gefahr für die Familie des Invaliden, die in diesen 13 Wochen mit ihrem ganzen Haushalt unter Uæständen berunterkommen kann. eines Erachtens ist dieser Zweck noch wichtiger als die Wittwen⸗ und Waisenversorgung. (Sehr richtig! in der Mitte.) .
Es ist auch bemängelt worden, daß man eine gewisse Saison— arbeit, d. h. Arbeiter, die nicht länger als 12 Wochen ständig arbeiten und im übrigen selbständig sind, von der Versicherungspflicht ganz frei lassen will; ich meine, diese Bestimmung ist doch eine absolut logische, da bei den Vorschriften der Wartezeit und bei den Vor⸗ schriften über das Erlöschen der Anwartschaft diese Personen nie in den Besitz einer Rente kommen könnten, obgleich sie Beiträge be—⸗ zablen müssen. Außerdem haben ja alle diese Personen das Recht der freiwilligen Versichetung, und wenn sie von diesem Rechte Gebrauch machen, muß der Arbeitgeber auch seinen Antheil zu dieser Ver⸗ sicherung beitragen. Aehnlich ist es mit den unständigen Arbeitern. Es handelt sich da um Arbeiter, die namentlich Accordarbeit ver⸗ richten, deren Zeitdauer und deren Zeitpunkt ihnen überlassen ist. Da will man zur Erleichterung des ganzen Markenverkehrs diesen unständigen Arbeitern die Verpflichtung auferlegen, sich ihrerseits zu versichern; aber sie haben das Recht auf Heranziehung des Unternehmers, und der Unternehmer hat die Pflicht, seinen Beitrag zu bejahlen, und wennjsie sich nicht veisichern, fallen sie selbstverständlich auch unter die Straf⸗ bestimmung des Gesetzes.
Es ist dann zum Schluß auch heute wieder auf die Rentenstelle eingegangen worden. Ich bitte doch über die kleinen Einwendungen im einzelnen, die sich gegen diese Rentenstellen erheben lassen, den einen Gedanken nicht zu vergessen: die opinio publica in Deutschland unter allen praktischen Leuten, möchte ich fast sagen, geht dahin, wenn die Parlamente und wenn die Presse überhaupt ein Bild unseres öffentlichen Lebens sind, die drei großen Versicherungs⸗ anstalten zu vereinigen. Auf einmal kann das aber keine Menschenkraft leisten. Ich möchte das Funktionieren dieser drei großen Versicherunggzanstallen vergleichen mit dem Arbeiten einer großen komplizierten Maschine, die man im Interesse des Betriebes nicht stillstehen lassen kann. Da ist man gejwungen, wenn man eine solche Maschine reparieren oder verbessern will, vorsichtig einen Theil nach dem anderen auszuwechseln, um nicht den ganzen Betrieb zu stören. Ganz ebenso liegt es mit den Versicherungsgesellschaften. Wir können nicht mit einem Schlage, mit einem Zauberstabe diese drei großen Einrichtungen mit einander verbinden, wir müssen schrittweise
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und vorsichtig damit vorgehen. Wer aber dies will, muß an irgend einer Stelle einen Anfang mit der Dezentralisation machen, und man muß auf diesem Wege allmählich versuchen, zu einheitlichen Organen zu kommen. Wer das nicht will, muß sich auch klar machen, daß seine Wäünsche auf Vereinigung und Vereinfachung der großen Ver⸗ sicherungsanstalten nicht erreicht werden können, daß der status quo erhalten bleiben muß.
Gegenüber dem Herrn Vorredner möchte ich erwähnen, daß nie⸗ mand mehr als ich überzeugt sein kann von dem vorzüglichen Funktionieren der Selbstverwaltung in Preußen, besonders der pro⸗ vinziellen Selbstverwaltung und der Versicherungsanstalten. Ich selbst habe diese Verwaltung in einer Provinz organisiert, ich bin aus ihr hervorgegangen. Es liegt mir fern, das nicht offen anzuerkennen, und ich habe auch in meiner Einführungsrede betent, daß das, was auf dem Gebiete der sozialpolitifchen Gesetzgebung geleistet worden ist, nur von der freier dastehenden Selbstverwaltung überhaupt ge— leistet werden konnte.
Aber andererseits schließt das nicht aus, daß man von einer guten Organisation zu einer besseren übergeht.
Ueberdem ist ja die Sache nichts Neues. In der vorigen Vor lage stand bereits auf Grund der Anregungen, die in diesem hohen Hause selbst gegeben waren, daß man die Versicherungsanstalten auch in Sektionen theilen könne, und in den Motiven werden Sie finden, daß vorgesehen war, diesen Sektionen auch die Festsetzung der Renten zu übertragen. In der Vorlage ist auch ausdrücklich dem Staate die Fakultät hierzu ein⸗ geräumt. Dadurch, glaube ich, erledigt sich das Monitum des Herrn Vorredners, daß Inftanzen, an denen das Laienelement betheiligt ist, schließlich auch die Entscheidung überlassen werden muß. Der Herr Vorredner hat freilich ausgeführt, daß der Vorstand die Frage der Invalidität besser beurtheilen könne. Das ist zwischen uns eben die Differenz der Auffassung. Ich bin der Ansicht, daß die Frage — und das ist das Eatscheidende somwohl gegenüber demjenigen, der einen berechtigten Anspruch hat, wie gegenüber demjenigen, der eine Rente erschleichen will — daß die Frage, ob jemand erwerbsfähig ist, unter den lokalen Verhältnissen, um die es sich handelt, auch von einer lokalen Stelle besser beurtheilt wird als von einer Provinzialanstalt oder Landes ⸗Versicherungsanstalt, die in der entfernten Hauptstadt ihren Sit hat.
Der Herr Vorredner hat mit Recht gesagt: entscheidend ist das Attest des Arztes. Es handelt sich aber in den Versicherungsanstalten leider nicht immer um ein Attest, sondern häufig um viele sich widersprechende Atteste, und die Versicherungsanstalt muß sich entscheiden, wel chem Attest sie glauben will. Daß das für eine Instanz, die den Rentensucher nie geseben bat, eine sebr schwierige, ja unter Umständen geradezu eine zufällige Entscheidang darstellt, das, glaube ich, brauche ich nicht nachjuweisen. Eine bessere Garantie wird jedenfalls da vorliegen, wo durch den beamteten Arzt vor der Renten⸗ stelle eine körperliche Untersuchung des Rentensucheis vorgenommen und der Mann felbst gehört werden kann. Eine solche Entscheidung hat größere Wahrscheinlichkeit der Gerechtigkeit für sich als eine Ent scheidung, die man in einer großen Zentralstelle trifft, wo über An sprüche von Menschen entschieden wird, die man nie gesehen hat, mit denen man nie selbst verhandelt hat. Wenn der Herr Vorredner sich auf einen Artikel der Kölnischen Ztg.“ über die Invalidenversicherung bezogen hat, so bin ich mit diesem Artikel vollkommen einverstanden; aber der Artikel plaidiert nicht gegen die Rentenstellen, sondern im Gegentheil für die Errichtung von Rentenstellen.
Außerdem gestatten Sie mir, noch zwei Beispiele anzuführen. Auf dem Gebiete der landwirthschaftlichen Unfallversicherung, die meines Erachtens ganz vorzüglich wirkt, hat man doch die Dezentrali-= sation bereits eingeführt. Da entscheidet nicht der Voistand der Berufsgenossenschaft, sondern die Sektion in den einzelnen Kreisen. Auf dem Gebiete der Armenpflege, wo es sich um Festsetzung der Entschädigungen für Landarme handelt, entscheidet nicht der Landeg⸗ hauptmann, der Landesdirektor als Vorsitzender des Landarmen⸗ verbandes, sondern der an Ort und Stelle zuständige Landrath ent— scheidet darüber, ob ein Mann erwerbsunfähig ist und welche Ent schädigung er bekommen muß. Wenn dem Landarmenverband diese Entscheidung nicht recht ist, hat er lediglich das Recht der Klage. Ganz ebenso würde sich hier eventuell das Verhältniß bei den Renten stellen gestalten.
Man vergißt auch vollkommen — und ich habe das auch bereits ausgeführt —, daß alle Einwände, die gegen die Konstruktion der Rentenstellen erhoben werden, in viel höherem Grade zu erheben sind gegen die Konstrultion der Schiedsgerichte, und die Schiedsgerichte machen doch endgültiges Recht auf materiellem Gebiete, während die Rentenstellen nur vorläufiges Recht machen und noch in einer weiteren Instanz ihre Entscheidungen angegriffen werden können.
Daß selbstverständlich die Kontrole der Karten kein angenehmes Amt ist, ist klar. Aber gerade die ganze Frage des Ausgleichs hängt auch mit der Kontrole der Marken zusammen. Gerade, wenn wir einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Versicherungsanstalten schaffen, muß die Kontrole eine bedeutend wirksamere, eine bedeutend schärfere werden, damit nicht die Anstalten mit Ueberdeckung das Gefühl haben, daß sie für das Defizit anderer Anstalten zu bezahlen haben, die angeblich keine genügende Kontrole haben.
Meine Herren, ich halte an der Auffassung fest, daß ohne den vorgeschlagenen finanziellen Ausgleich die Gesundung derjenigen An—= stalten, die an Unterbilanz leiden aus Ursachen, die sie nicht aus eigener Kraft beseitigen können, vollkommen unausführbar ist, und ich halte auch ferner daran fest, entgegen allen Einwänden, daß die Renten stellen eine wesentliche Verbesserung des bisherigen Verfahrens sein, und einen Krystallisations punkt bilden würden zu einer weitergehenden, ystematischen Reform der gesammten sozialpolitischen Gesetzgebung.
Abg. Herrmann (Zentt.) vertheidigt die Versicherungsanstalt Ostpreußen, die hauptsächlich unter der ungünstigen Aitersgruppierung und der starken Abwanderung zu leiden habe; wenn kein Ausgleich geschaffen werde, würden die Verhältnisse, die nicht Ostyreußen ver ⸗ schuldet habe, sondern die Reichsgesetzgebung, sich noch viel mehr ver⸗ schlechtern. Die Invaliditätsversicherung habe die Begehrlichkeit der Arbeiter gesteigert und ihre Abwanderung vermehrt.
Abg. Wurm (Sor) weist auf die Jahrbücher für Verwaltung und Statistik / hin, welche die Erleichterung der Armenpflege durch die Invalidenversicherung konstatierten. Zu dieser Entlastung der Armenpflege hätten die Arbeiter beitragen müssen. Wenn trotzdem die Armenlasten noch gestiegen seien, fo liege das daran, daß die Renten noch nicht ausreichten, daß die Armenpflege noch nachhelfen müsse, namentlich in den Städten. Mit der Freizügigkeit habe die Veisicherung nichts zu thun. Sogzialistisch sei der Vermögens
ausgleich nicht. Hätte man früher die Anträge der Sonial⸗ demokraten angenommen, so wäre der ganze Mißftand nicht entftanden. Sie hätten beantragt, die Sache als Gemeinlast jn betrachten und die Einkommen über 3000 S vrogressiv dazu heran⸗ zuziehen. (Zuruf: Antrag Ploetz) Dieser habe den Antrag nur abge⸗ schrieben und verschlechtert, indem er auf die Steuergrenze von 600 Æ bätte herabgehen wollen, wobei die Arbeiter auch noch belastet worden wären. Habe die Landwirthschaft mebr Altersrenten und Invaliden renten, so müsse sie sie tragen, sie habe dafür eine geringe Unfall = versicherungslast. Redner geht sodann auf die Einzelheiten der Vorlage ein. Die neue Begrenzung der Erwerbsunfähigkeit reiche nicht aus; man müsse die Verminderung der Erwerbsfähigkeit um die Hälfte als Invalidität bejeichnen und die Invaliden⸗ rente nach der 13. Woche der Krankheit beginnen lassen. Redner wendet sich ferner gegen die zwangsweise Unterbringung der Arbeiter in die mit Recht als ‚Rentenquetschen“ bezeichneten Heil⸗ anstalten. Die ganze Arbeiterversicherung, mit Ausnahme der auf der Haftpflicht beruhenden Unfallversicherung, sei nur eine Ausgestaltung der Armenpflege. Die Rentenstellen könnten eine Bedeutung nur er⸗ langen, wenn man die Arbeiter ordentlich dazu heranziehen wollte, namentlich auch die Frauen. Von der Versöhnung durch diese Vor⸗
lage sei nicht allzuviel zu erwarten. Die Vorlage habe im Ganzen
wenig Freunde. Er (Redner) hoffe aber, daß sie der Kommission überwiesen würde. Seine Partei würde dann beweisen, daß auf dem Boden der heutigen Gesellschaftsordnung dieselbe noch ganz gut aus— gestaltet werden könne.
Abg. Hilbck (al): Die Vorlage wird als eine rein agrarische bejeichnet. Ich weiß aber, daß die Konservativen auf eine agrarische Seite der Vorlage, nämlich auf die Ermäßigung der Bei⸗ träge der untersten Lohnklassen verzichten wollen. Der Nachweis, daß die Abwanderung an der Nothlage der ostpreußischen Anstalt schuld ist, ist durchaus nicht gelungen, wie aus der Begründung selbst direkt hervorgeht. Die Nothlage wird hauptsächlich dadurch hervorgerufen, daß die Leute bis zu einem höheren Lebensalter versicherungepflichtig bleiben und mehr Altersrenten beanspruchen. Bei den induftriellen Betrieben und bei den Knappschaften konnte man die Versicherungs⸗ pflichtigen leichter ermitteln vom ersten Tage an als unter den weit- läufigen Verbältnissen des platten Landes. Es kann durch ein vorüber= gebendes Mittel geholfen werden; ein Ausgleichsfonds von 10 bis 12 Millionen Mark würde gegenüber den 770 Millionen auf⸗ gesammelten Kapitals verschwindend klein sein. Die Vorschläge der Borlage sind, nach der Anschauung der Arbeiter im Westen, Raub an ihrem Eigenthum. Die Knappschaftskafsen haben mehr ju leisten als die Invalidenversicherung. Was auf Grund des In- validenversicherungsgesetzes geleistet wird, ist nur der jehnte Theil dessen, was die Knappschaftskassen überhaupt leisten. Deshalb kann man den Kassen nichts von ihrem angesammelten Vermögen nehmen, umsomehr als die Knappschaftskassen zim theil keine neuen Mitglieder mehr aufnehmen, da der Berabau zurückgeht, so z. B. im Königreich Sachsen. Um der 10 Millionen Mark willen würde man den sozialen Frieden zweier Provinzen gefährden und den nach dem englischen wichtigsten Bergbau der Welt schädigen. ö
Birektor im Reichsamt des Innern Dr, von Woedtke: * einen guten Rath sind die verbündeten Regierungen jeder Zeit empfänglich und sie sind gern jeder Zeit bereit, einen guten Rath zu befolgen, soweit nämlich der Rath thatsächlich gut ist. In dem vor- liegenden Falle ist aber der Rath, den der Herr Abgeordnete uns ge⸗ geben bat, nicht ein solcher gewesen., daß man ihn hätte befolgen können. Denn was die Versicherungsanstalten über den Entwurf zu sagen ge⸗ habt hätten, das haben wir vorher gewußt, und was wir sonst hätten erfahren können, haben wir ebenfalls vorher gewußt, bat sich doch neuerdings bereits herausgestellt, daß die Versicherungsanstalten im Großen und Ganzen auf dem Standpunkte des Entwurfs stehen mit Ausnahme derjenigen Bestimmungen, die voraussichtlich doch ein- gestellt worden wären, auch wenn die Anstalten vorher gefragt worden wären und abgerathen hätten. Wenn sodann der Herr Vorredner mit großer Emphase gesagt hat, wegen der ‚Lapralie“ von 10 Millionen, die einer Anstalt fehlen, schaffe man jetzt ein Werk, welches geeignet sei, den sozialen Frieden in zwei Provinzen zu gefährden, so muß ich doch sagen, daß er mit einer solchen Behauptung zu weit geht. 10 Millionen balte ich nicht für eine Lappalie; der Herr Vorredner mag anderer Meinung sein. Außerdem handelt es sich aber gar nicht einmal blos um 15 Millionen, sondern um ein fortwährend und andauernd steigendes Defizit für längere Zeit. Der Herr Abgenrdnete hat zutreffend darauf hingewiesen, daß 10 Millionen derjenige Betrag sei, der der Versicherungsanstalt Ostpreußen gegen⸗ wärtig feblt. Andererseits ist aber bereits darauf hingewiesen, daß auch dann, wenn dieser Betrag bezahlt und nicht zuglelch ein weiterer Ausgleich geschaffen würde, trotzdem von Jahr zu Jahr ein neues Defizit von je rund 8 bis 9 mal hunderttausend Mark anwachsen werde. Wenn man ka von Lappalien sprechen kann, so sind allerdings die Begriffe über dasjenige, was eine Lappalie ist, zwischen uns beiden verschleden. Nun hat der Herr Abgeordnete in lebhafter Weise für Kasseneinrichtungen, die ihm besonders nahe stehen, plädiert und sich dahin ausgesprochen, daß es seiner Meinung nach nicht be— rechtigt sei, diese Kasseneinrichtungen in den allgemeinen Ausgleich mit einzubeziehen, den unsere Vorlage bezweckt. Viese Ausführung halte ich nicht für richtig. Wie liegt die Sache? Die Bergindustrie, die Knapypschaftsindustrie ist keineswegs allgemein, sondern nur zum theil in diese besondeten Kasseneinrichtungen zusammengethan. Auf Grund der Ss§ 5, 6 und 7 des Invaliditätsgesetzes haben einzelne Knapp schaftskassen von der Befugniß Gebrauch gemacht, neben die allge⸗ meinen Versicherungsanstalten sich zu stellen und neben diesen die Invaliditäts, und Altersversicherung auf eigene Rechnung durchzu⸗ führen. Das geschah hauvtsächlich aus zwei Gründen: einmal, um ihre eigene Organisation beizubehalten und nicht gleichzeitig neben der Kasse noch der örtlich zuständigen allgemeinen territorialen Versiche⸗ tungsanstalt anzugehören; sodann aber wesentlich aus dem Grunde, um thunlichst die nicht immer günstigen Vermögensverhältnisse — ich will mich einmal sehr zurückhaltend ausdtücken —, unter denen die Knappschaftekassen meist wirthschaftlich gearbeitet baben und arbeiten, zu verbessern, und letzteres ist zum theil auch gelungen. Der Herr Vorredner hat von einem Küuttner'schen Gutachten ge⸗ sprochen, welches sich der Bochumer Allgemeine Knappschaftsverein im Jabre 1892 habe geben lassen, ein Gutachten, welches damit abge⸗ schlofsen hat, daß der Knappschaftsverein Bochum damals ein Defizit von rund 12,0 Millionen gehabt habe. Wir haben nicht einmal so viel ausgerechnet, sondern das Defizit etwas weniger hoch ermittelt. Immerhin ist solches Defizit sehr erheblich. Wenn aber der Herr Abgeordnete meint, daß inzwischen dieses Defizit ver⸗ ringert worden sei, so stehe ich auf einem andern Standpunkt: nach den Rechnungen, die wir haben aufmachen lassen, ist das Defizit seither nicht geringer, sondern im Gegentheil größer geworden. Dieses Defizit, meine Herren, bezieht sich nun aber keineswegs auf die reichs—⸗ gesetzlichen Leistungen, die der Knappschaftsverein übernommen hat, sondern lediglich auf die bergrechtlichen Leistungen, die nebenher gehen, und das bitte ich im Auge zu behalten. Die Kassen, von denen der Herr Vorredner sprach, haben nämlich in zwei besonderen Abtheilungen einmal die bergrechtlichen Leistungen und sodann die reichsgesetzlichen Leistungen zu erfüllen; für beide Abtheilungen werden Beiträge nnd Leistungen besonders berechnet. Die bergrechtlichen gehen sehr viel weiter als die reichsgesetzlichen. Bei den bergrechtlichen Leistungen hat man zwar keine Altergsfürsorge, wohl aber eine Invaliditätsfürsorge, und zwar nicht bloß für die ab⸗ strakte allgemeine Invalidität, die nach dem Reichsgesetz berücksichtigt wird, sondern weitergehend für die besondere Beruftinvalidität als Bergmann; und nebenher geht noch manche andere Leistung, wie Wittwen ⸗ und Waisenfürsorge, Schulgeld und eine Reihe anderer schöner und anerkennenswerther Wohlfahrtseinrichtungen. Diese berg⸗ rechtlichen Leistungen sind vollkommen unberührt geblieben davon, daß die Inbaliditäts⸗ und Altersversicherung in reichsgesetzlicher Beziehung auf die Knappschaftskasse übernommen worden ist und hier in besonderer Kassenabtheilung durchgeführt wird. Die beiden Abtheilungen für die berg⸗ rechtliche Versicherung einerseits und für die Alters und Invaliditätsver⸗ sicherung nach Reichrecht andererseits sind in der Sache voͤllig selbständige