1899 / 43 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 18 Feb 1899 18:00:01 GMT) scan diff

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Großhandels · Durchschuittspreise von Getreide für den Monat Januar 1899 nebst eutsprechenden Angaben für den Vormonat.

1000 kg in Mark. (Preise für prompte lLoko⸗ Waare, soweit nicht etwas Anderes bemerkt.)

—— ————

Monat Da. Januar gegen im

Vor⸗ 1899 monat

142,15 143,42 158, 19 158.35 128,109 128,08 125,07 125,27

137,30 137, 80 151,70 152,20 124.30 121,60

137,50 137,50 hei

m. Roggen, pfälzer, russischer, bulgarischer, mittel. 167,50 16470 Weizen, pfälzer, russischer, amerik., rumän., mittel 187,50 186,70 158,00 155,60 176,30 176,20

17100 171,00 192,00 189,50 139.99 150,00 186,00 186,00 182,00 182,00

146,89 149,89 188,809 189, 14 108, 64 109,29 150,70 150,57

136,90 140,42 174,92 176,12

99,82 99360 130,38 130,69

116,80 11402 147,53 144,11 114,48 115,04

10471 101,13 118,50 115,72

112,73 110,05

Königsberg. Roggen, guter, gesunder, 14 g per l ö guter, bunter, 770 bis 775 g per 1 8 guter, gesunder, 447 g per 1 erste, Brenn⸗ 647 bis 6527 g per 1 Breslau. Roggen, Mittelqualitãt

afer, badischer, württembergischer, mittel.... erste, badische, pfälzer, mittel München. Wen bayerischer, gut mittel.... Weijen, ' ö Hafer, . . ö Gerst ungarische, mährische, mitte erste J bayerische, gut mittel Wien. Roggen, Pester Boden Welzen, Theiß⸗ ; 8 ungarischer, prima erste, slovakische ... . Budavest.

Roggen, Mittelqualitãt Weizen,

8 erste, Malz⸗

Roggen, 71 bis 72 kg ver hl Weizen, Ulka, 75 bis 76 kg per hl Riga. Roggen, 71 bis 72 kg per hl.. Welzen, 75 bis 76 kg ver hl 135,42 128, 18

Paris. 116,56 118,A20 lieferbare Waare des laufenden Monats 17457 167,72 136,54 140,49 141,89 139, 85

142,45 137,11

Roggen Weljen fer erste (Halle au blò)

Antwerpen.

Donau⸗, mittel .. Weizen Ama, 74 bis 76 kg 137,76 131,55 Californier, mittel.... 141,56 139, 28 4A 125,31 126,39

, . z f Roggen St. Peleraburger?? ** 6751 13573 Wehen Sdessa · . 131,43 136608 d amerikanischer Winter... 139,34 136,04

Lon don. t . engl. wei ; ; Weizen . Mark Lane) 12773 1365 1

145,57 145,18

126,285 127,00 122,89 123,10 157,60 160,02

138 91 18. o 183 35 14s 5, 140413 135 3 134, o 14s 33 133 134, 33 134. 3

roth Californier an der Küste (Baltic). b. Gazette avsrages.

3. englisches Getreide, erste Mittelpreis aus 196 Marktorten

Liverpool.

Weizen 9 Chicago Spring... Northern Duluth rd Kansag Nr. 3... urrachee, weiß, ordinaͤr 134,86 136,20 Hafer engl. weißer 124,07 118,55 ; lber .. w . ö 101, Gerste . 1 22 99,11 98,66 ; Chicago. Weizen, Lieferungs Waare per Mai.. 111,76 ö 118,20

. 3. New Jork. Weizen, Lieferungs⸗Waare per Mai

Bemerkungen.

1ẽ Tschetwert Weizen ist 163, 80, Roggen 147,4, Hafer 828 Kg angenommen; 1 Imperial Quarter ist für die Weliennoth an der Londoner Produktenbörse 504 Pfd. engl. gerechnet; für die Gazette averages, d. h. die aus den Umsätzen an 196 Marktorten des Königreichs ermittelten Durchschnittspreise für einheimisches Ge⸗ treide, ist 1 Imperial Quarter Weizen 480, Hafer 312, Gerste 400 Pfd. engl. ang zt 1Bushel Weijen 60 Pfd. engl.; 1 Pfd. engl. 453,6 g; 1 Last Roggen 2100. Weizen 2400 Eg.

Bel der Umrechnung der Preise in Reichgroãhrung sind die aus den einzelnen Tages⸗Notierungen im Deutschen Reichs⸗ und Staatg⸗ Anzeiger“ ermittelten monatlichen Durchschnitts. Wechselkurse an der Berliner Börse zu Grunde gelegt, und zwar für Wien und Budapest die Kurse auf Wien, für London und Liverpool die Kurse auf Londen, für Chicago und New Jork die Kurse auf New Jock, für St. er, Odessa und Riga die Kurse auf St. Ge rar für Paris,

ntwerven und Amfterdam die Kurse auf diese Plätze.

Deutscher Reichstag. 35. Sitzung vom 17. Februar 1899, 1 Uhr.

Ueber den Anfang der Sitzung wurde in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet.

Die Besprechung der Interpellation der Abgg. Johannsen (6. 6. F) und Genossen, betreffend die Aus—⸗ weisungen in Nyrdschleswig, wird fortgesetzt.

Abg. Dr. Hänel (fr. Vgg) gebt zunächst auf die staatsrecht⸗ lichen Ausführungen des Reichskanzlers ein und behauptet, derselbe babe die Bedeutung des Antroges Michaelis falsch ver⸗ standen. Durch die Ueberweisung der Fremdenpolizei an das Reich sollte verhindert werden, daß die Einzelstaaten in die Beziehungen des Reichs zu den fremden Staaten eingreifen. Gewiß, fährt der Redner fort, ist die Ausweisung ein Souyeraͤnitätsrecht, ebenso wie die anderen Souyerãnitãätsrechte, die den Einzelstaaten . sind, z. B. das Recht der Ernennung von Gesandten 2c. Aber es bandelt sich hier⸗ bei um ein Recht, durch dessen Ausübung das Verhältniß des Deutschen Reichs zu den fremden Staaten berührt wird. Was bedeutet die nort schleswigsche Frage? Ein Landsteich hat sich mit Preußen, mit Deutschland noch nicht verschmolzen. Wenn das eine Gefahr der Ab⸗

reißung bedeutet, trifft der Verluft nur Preußen? Trifft er nicht das Deutsche Reich? Ist die Frage deshalb nicht eine, die vor den Reichstag gehört? Die norddeutsche Verfassung hat Schleswig erst zu Beutschland gebracht. Der Vertrag mit Desterreich von 1878 wegen Aufhebung des Art. V des Pra zer Friedens ist lediglich dem Reichstage vorgelegt worden und nicht dem preußischen Abgeordneten haufe. Wir haben deshalb vollständig das Recht, kraft unserer eigenen Kompetenz die Frage in ihrem ganzen Umfange gründlich zu erörtern. Die augwärtigen Beriebungen zu den skandinavsschen Völkern inter essieren mich nicht. Aber wenn heute nach 35 Jahren der Zu⸗ gebörigkeit Schleswigs zu Preußen und zum Reich die er e Regierung noch behauptet, daß dort außerordentliche Maßregeln nothwendig sind, so ist das recht beschaͤmend, Für mich ist die Integrität der deutschen Herrschaft in Schleswig einfach ein Axiom. Ich bin Vertreter des gesammten deutschen Volkes, nicht etwa mit Ausschluß der 100 920 Dänen in Nordschleswig. Man sagt, wir stärken die Agitation durch unser Eintreten. Stärken wir die Agitation nicht viel mehr, wenn wir es zulassen, daß die Be⸗ hauptung richtig wird, daß die dänischen Angehörigen Deutschlands nirgends haben Gehör finden können, weder im Abgeordnetenhause, 86 im Reichstage? Der Kernpunkt der Frage ist verdeckt worden unter einer Summe von Phrasen und unnöthigem Lärm. Der Interpellant meinte, die dänische Agitation sei nicht so schlimm. Daß ist nicht wahr. Die dänische Agitation ist eine überaus scharfe, so humorvoll der Interpellant sie auch zu schildern verfucht hat. Die Dänen denken auch vielleicht in ihrem Innern, daß sie lieber Dänen sein möchten. Das kann man begreifen. Aber etwas Anderes ist es, ob man solche Gedanken zuspitzt zu bestimmten Sr wartungen, deren Erfüllung nur von Zufälligkeiten abhängig wäre, deren Eintreten aber die Betreffenden nicht herbeisehnen solÜlten, denn sie würden vielleicht dabei zuerst zu Grunde gehen. Daß die Agitatoren über diese Thatsache ihre Anhänger hinwegzutäuschen suchen, ist das Bedauerliche an der Agitation. Der Deutsche Verein in Nordschleswig hat sich immer mehr als ein Parteiverein berausgebildet, der den Krieg bis aufs Messer proklamiert unter dem Schlagwort: Hinaus mit den Vänen über die Königsau!“ Der Gedanke, daß für die Dänen ein Frieden ohne Aufgabe ihrer Nationalität möglich sei, kann jetzt garnicht mehr in Erwägung gezogen werden. Ich halte es mit der Stellung der Beamten, der richterlichen und der administrativen, unvereinbar, an den Agitationen dieses Vereins theilzunehmen, ohne Schädigung ihrer Autorität und Unparteilichkeit. Der Vergleich mit Irland kann nur ein Lächeln erwecken. Denn dort haben von Jahrzehnten zu Jahrzehnten Revolutionen stattgefunden, die mit großen Armeen niedergeschlagen verden mußten. In Nordschleswig haben aber keine anderen Beun⸗ ruhigungen stattgefunden als in jedem Landstriche mit einer starken sozialdemokratischen oder ultramontanen Agitation. Die Vernichtung oder Zurücksetzung der dänischen Nationalität können wir nicht fordern, sondern nur die Einbürgerung der Dänen. Der Interpellant behauptet allerdings, die Dänen würden zu Unrecht bei Deutschland zurück gehalten. Das ist ein schwerer historischer Irrthum. Es giebt keine Grenze, die so bistorisch beglaubigt wäre, wie die Königsau; es giebt keinen Grenzbezirt, der nach dem Prinzip der Nationalität so reinlich gebildet ist, wie der von Nordschleswig. Südijütland soll niemals mit Dänemark einen Herrn haben; das bat sich ebenso behauptet wie das: „Up ewig ungedeelt“. Die ganze Theilungsfrage der dänischen Bezirke ist eine französische Erfindung, wie auch der Artikel 7 des Prager Friedens nur der französischen Intervention seine Entstehung ver- dankt. Daß derselbe aufgehoben ist, liegt nur an der Unausführbar⸗ keit desselben. Denn die Abtretung der überwiegend dänischen Ge— meinden hätte für Dänemark keinen Werth gehabt, wenn nicht deutsche Bezirke, an denen wir ein großes Interesse haben, mit abgetreten würden. Dafür hätten wir aber Garantien zur Sicherheit der Deutschen, also auch Aufsichtsrechte verlangen müssen, die Dänemark nicht erfüllen konnte. Es mag ja früher von Dänemark aus die dänische Agitation bei uns unterstützt worden sein durch Demon strationen; aber so stark wie der französische Einfluß in . Lothringen war dieser niemals, und jetzt halten sich alle maß⸗ gebenden Elemente davon fern, und der Einfluß ist nicht stärker, als etwa der unsrige auf die Deutschen in Oesterreich. Kein Volt schickt so viele seiner Volksgenossen ins Ausland, wie Deutschland. Wir sind deshalb am meisten auf eine humane Handhabung der Fremdenpolizei angewiesen. Fremde Agitatoren auszuweisen, war nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht der Regierung. Aber die Landesverweisung richtete sich gegen die eigenen Staats angebõtigen, dag ist aeg den Buchstaben und gegen den Geist der Gesetze. Unschuldige tenstboten auszuweisen, widerspricht den Grundsätzen der Moral, auch wenn diese Ausweisungen benutzt werden, um sich zu rächen an dänischen Angehörigen des Deutschen Reichs. Was bedeutet die Androhung der Ausweisung, wenn der dänische Dienstbote den Dienst bei einem Dänen nicht aufgiebt, anders als die Aufforderung zum Kontraktbruch? Man will die Reichs angehörigen dänischer Nationalität zwingen, die ibnen verfassungs mäßig . . Rechte der Vereinigung und der Presse nicht zu ge— rauchen. Objektiv liegt darin der Mißbrauch der Amtsgewalt und widerrechtlichen Nöthigung. Eine solche Politik mit doppeltem Boden liegt jenseits von Gut und Böse und kann ihre Rechtfertigung nur in dem Erfolge haben. Aber ein Erfolg ist nicht erzielt worden; diejenigen Leute, welche sich dabei bequemt haben, die Ruthe zu küssen, sind von ihren Landsleuten als Verrätber gebrandmarkt worden. Und die Wahlen haben den Beweis geliefert, daß man eine durchgreifende Wirkung nicht erzielt hat. Die Utsache der Fortschritte der danischen Agitatoren liegt in der Behandlung der daäͤnischen Sprache seit der Sprach. verfügung von 1888, während man bei der Besetzung des Herzogthums so verfahren war, daß man dem dänischen Sprachzwang die deutsche Svprachfreiheit entgegenstellte. Die freisinnige Partei stebt seit zehn Jahren, seit der Polengesetzgebung, in Widerspruch mit der Politik der Regierung. Wir baben vorausgesagt, daß diese Politik schlimme Folgen haben würde. In Elsaß Lothringen gelten dieselben Sprachvorschriften noch heute, wie in Nordschleswig vor 1888. Schon im Jahre 1894 konnten die Geistlichen Nordschleswigs feststellen, daß durch die neue Sprachverordnung der Religionsunterricht verkümmert werde. Ich kann also einen großen Theil der Beschwerden unserer Mitbürger dänischer Zunge nur als kerechtigt anerkennen; sie müssen in vorurtheilslosester Weise geprüft werden. Tritt man auf den Boden der Doppelsprachigkeit, so ist eine Verständigung zu erzielen, bei der wir sehr gern mitarbeiten werden, ebenso wie wir jede greif⸗ bare Gefahr, die sich in Nordschleswig zeigen sollte, mit allen Mitteln bekämpfen werden.

Abg. von Tiedemann (Rp. bestreitet, daß das Reich zur Be⸗ aufsichtigung der Fremdenpolilsei in dem Umfange berechtigt sei, wie der Vorredner ausgeführt habe. Der Berathung wolle sich seine Partei nicht entziehen, weil sie sich vor einer solchen nicht fürchte. Er danke dem Vor⸗ redner für die Charakterisierung der dänischen Agitation. Wenn dieses Treiben der Agitation im mer noch eine so große Ausdehnung babe, so liege das an einer gewissen Schwäche der preußischen Regierung. Als geborener Schleswiger stelle er (Redner) fest, daß in den fünfziger Jahren Versuche gemacht worden seien, die dänische Sprache einzuführen bis in die Gegend Südschleswigs hinein. Die Berufung auß die Geiftlichea sei nicht zutreffend gewesen, denn der Kultus. Minister habe im Abgeordneten= hause erklart, daß die Geistlichen selbst zugegeben hätten, daß die Kinder dem deutschen Konfirmationsunterricht ** wohl folgen könnten. Der Abg. Johannsen, fährt der Redner fort, machte gestern den Ein⸗ druck des harmlosen Biederchanns, der niemals ein Waͤsserchen getrübt hat. Er ist aber in Nordschleswig ein ganz anderer. Wir sind alte Bekannte aus der Zeit, als ich die Polisei in Fleneburg leitete und er eine Zeitung dort gegtündet hatte. Ihm gebührt das Verdienst, die Gemüther wieder langsam in Erregung gebracht zu haben. Fäden einer weitverzweigten Agitation, die bis nach Kopen kbagen und bis in das Augustenburgische Lager reichten. Unter der Herrschast der dänischen Gesetze war er sehr vorsichtig; als die preu⸗ ßischen Gesetze in Kraft traten, wagte er sich mehr hervor, aber es war schwer, ihn zu eien Im Gegensatz zur polnischen Presse wird die dänische Presse sehr versteckt geleitet. Die polnische greift scharf an,

Er vereinte in seiner . die

aber offen, die dänische hält sich immer eine Hinterthür offen. Die alten Kalender sind nicht harmlos, denn darin wird der dänische Köni als der Landesherr gefeiert, was doch nahe an Landesverrath streift. Redner weist jür die Art der dänischen Agitation auf einzelne Stellen aus Flensborg Avis hin. Vas Lied „Schleswig- Solstein meerumschlungen werde darin als das Schandlied der Meineidigen bezeichnet; es werde so dargestellt, als wenn Gambetta, König Ludwig von Bayern, Kronprinz Rudolf von Oesterreich als

Gegner Bismarck's durch Meuchelmord geendet hätten. Redner

erinnert 2 an die gerichtliche Vernehmung des dänischen Abg. Hanssen, die im Abgeordnetenhause bereits vorgebracht sei. Herr Hanssen habe in der Besorgniß, daß er mit seinem Ver- sassungeeid in Widerspruch kommen könnte, erklärt, daß er die damals ausgesprochene Meinung nicht mehr hege. Die dänische Sprache Nordschleswigs, führt der Redner weiter aus, ist für den eigentlichen Dänen nicht verständlich; die Königsau bildete in früherer Zeit nicht bloß für den Handelsverkehr eine Grenze, sondern auch eine fremde Münze galt jenseits der Königsau. Die dänische Bewegung in Nordschleswig ist durchaus künstlich gezüchtet. In der ersten schleswigschen Ständeversammlung wurde der Antrag jweier Dänen, dänisch sprechen zu dürfen, gegen ihre Stimmen abgelehnt. Als die Vanisierungsversuche zur Erhebung Schleswig Holsteins ge—⸗ führt hatten, entstand auch erst eine eigentlich dänische Partei, welche daz Dänenthum nach Süden zu bringen trachtete. Die Führer der deutschen Bewegung wurden drangsaliert und auch harm⸗ lose Persönlichkeiten, die nur ihr Nationale nicht wechseln wollten, wie man ein Hemd wechselt. Nach der Annexion wurde eine richtige dänische Agitation ins Werk gesetzt, die auch von außen unterstützt wird; ich erinnere an die Bemonstrationsfahrten, bei denen sich dänische Beamte und Offiziere beiheiligten. Man hat zu lange ver⸗ säumt, die Frage der Optanten zu regeln. Man bat darauf gehofft, ihre Herzen zu gewinnen, und hat mit den Dänen etwas kokettiert, aber vergeblich. Nur dadurch konnte die Agitation solche Kraft ge⸗ winnen und die deutsche Bevölkerung beunruhigen. Venn die Agi⸗ tation geht im letzten Ziel auf die Losreißung Nordschleswigs von Deutschland hinaus. Deshalb glaubte ich es hier aussprechen zu müssen, daß die Ausweisungen gerechtfertigt waren und dem Interesse des Deutschen Reichs entsprechen. .

Abg. Liebknecht (Soz.) behauptet, die ganze Frage gehöre in den Reichetag und nicht in den Landtag. Es handele sich um eine Machtfrage, die nicht geändert werden könne, es müßte denn ein großer europätscher Konflikt kommen, wobei Nordschleswig keine große Rolle spielen würde. In den 385 Jahren sei keine Annäherung erfolgt, sondern die Entfremdung sei infolge der Polizeiherrschaft eine immer größere geworden. Die Ursache der akuten Maßnahmen sei nicht etwa in der starken Einwanderung von Dänen zu sehen, sondern hauptsächlich darin, daß die Kinder nach der Einsegnung auf die dänischen Hochschulen geschickt würden. Mit den Aus aeisungen hätte es in Nordschleswig seine Schwierigkeiten gehabt, weil diejenigen, die man fassen wollte, durch den Vertrag verschanzt gewesen seien; man sei darauf auf den Ausweg verfallen, ihre Dienstboten zu belastigen. Darin liege eine wirthschaftliche Schädigung. Der Leutenoth wegen lasse man polnische Einwanderer über die Ostgrenzen ein, weise aber in Schleswig germanische Elemente aus.

Abg. Br. von Levetz ow (8. kons.): Wir stehen bezüglich der Kompetenzfrage genau auf dem Standpunkt, den ein Mitglied der Nachbarfraktion vertreten hat. Die Ausübung eines Hohbeitsrechts gehört vor den Landtag. Sollte sie aber auch vor den Reichstag ge—⸗ hören, so brauchen wir uns damit nicht zu beschäftigen, weil die Frage in ausreichender Weise im preußischen Abgeordneten hause erledigt ist. Deutsche Reichsangehörige sind nicht ausgewiesen; die Ausweisung der Fremden ist unbestritten berechtigt. Herr Hänel führt das An wachsen der dänischen Stimmen in den letzten zehn Jahren auf die Politik zurück. Die Politik war zu schwach, während man jetzt zu strengeren . greift. Ausweisungen müssen prompt ge⸗ schehen, ehe der Staat erst angegriffen ist. Daß das aber der Fall ist, können Sie nicht leugnen nach dem, was wir hier gehört haben,

auch von Herrn Hänel, Es mag einem dortigen Einwohner schwer ankommen, daß ihm seine dänischen Dienstboten ausgewiesen werden;

aber er muß es sich im Staatsinteresse gefallen lassen, wie ein anderer Arbeitgeber es sich gefallen lassen muß, daß ihm seine polni- schen Arbeiter nicht belassen werden. Die deutsche Bevölkerung ist mit den Maßregeln der Regierung sehr zufrieden; das beweist ihr Verhalten dem Ober⸗Präsidenten gegenüber. Der Begründer der Interpellation hat davon gesprochen, daß der Glaube eine Zuversicht dessen ist, was man hofft. Was er aber hofft, hat er nicht gesagt. Wenn die Dänen die Hoffnung haben, zu Vänemark zurückzukommen, wäre es dann nicht nothwendig, sie auszuweisen? Den ausgewiesenen und noch auszuweisenden Dänen hat Herr Johannsen mit seiner Interpellation wahrlich keinen Gefallen gethan. z

Abg. Tönnies (nl): Von einer Leutenoth ist keine Rede; wohl aber ist betannt geworden, daß es dem deutschen Gesinde nicht leicht wird, Dienst zu finden, namentlich nicht bei dänischen Arbeitgebern. Deshalb war die Freude über die kräftigen Maßnahmen der Re⸗ gierung allgemein. Daß ein n . Eingreifen nothwendig war, be⸗ weist auch die Haltung derjenigen Dänen, die der deutschen Sprache mächtig sind, aber trotzdem sich derselben nicht bedienen wollen. Der preußische Abg. Hanssen hat die Abtrennung Nord. schleswigs von Preußen auch durch Gewalt als sein Ziel hingestellt. Von dieser Tendenz ging die ganze Agitation aus, sie juchte die Bevölkerung mit Abneigung gegen alles Deutsche zu er⸗ füllen und die nationalen Gegensätze zu schärfen (Rufe: Nicht vor- lesen) Das ist doch meine Sache; da brauche ich doch Sie nicht zu fragen. (Präsident Graf von Ballest rem; Ich möchte den Redner doch darauf aufmerksam machen, daß das Vorlesen längerer Reden nicht gestattet ist! Redner liest weiter und weist auf die Veröffent. lichung des daͤnischen Sprachvereins hin, dessen Leiter die Herren Johannsen und Hanssen seien. (Präsident Graf von Ballestrem macht den Redner nochmals auf § 45 der Geschäftsordnung auf merksam: Mitgliedern des Reichstags ist das Vorlesen schristlich ab⸗ gefaßter Reden nus dann gestattet, wenn sie der deutschen Sprache nicht mächtig sind.) Auf diese Unterbrechung war ich nicht gefaßt. (Redner verlaßt die Tribune.) . J

Abg. Dr. C ieber Zentr. : Ich schließe mich den staats rechtlichen Aus ˖ führungen des Abg. Hänel an; eine ähnliche Auslegung, wie der Reichs ˖ kanzler, wollte man schon früher, im Jahre 1874, der zerfassungsbestim ˖ mung geben in Bezug auf eine Elsässerausweisung; jedoch erhob da— mals der perstorbene Abg. Windthorst so nachdrücklich Widerspruch, daß man wenige Jahre später, 1878, garnicht mehr den Versuch machte, die Kompetenz des Reichstages zu bestreiten. Es wurde auf einen im Reichstage gestellten Antrag von seiten der Regierung eingegangen ohne jede Bestreitung der Kompetenz. Es wäre ein Rückschritt, den wir nicht verantworten könnten, wenn wir uns hinter 1874, ja hinter 1367 zurückdrängen lassen wollten. Wir könnten durch Ausweisungen eines Einzelstaats in gefährliche Verwickelungen gestürst werden, und demgegenüber wäre es, selbst wenn in der Verfassung kein Wort davon stände, ein Naturrecht des Reichetages, sich dagegen zu wehren, damit nicht nur Deutsche des betreffenden Bundeestaats, sondern auch andere Bundesstaaten unter den Repressalien nicht zu leiden haben. Es war wohl ein Mißgriff, als die verbündeten Regierungen sich zu der gestern abgegebenen Erklãrung ver; standen. Durch die Vorgänge der neuesten Zeit wird das Heilige Römische Reich deutscher Ration doch in ein eiwas günstigeres Licht gerückt als früher. Das alte Deutsche Reich verstand, die Grenzposten zu besetzen und das Deutschthum hinauszutragen. Es ist noch nicht lauge her, daß man gelernt hat, nur deutsch vor allen Dingen zu sein; früher waren wir Preußen, Bayern, Hessen, Nassauer ꝛc. Es ist die Schuld der gegen Kaiser und Reich kaͤmpfenden Fürstenthümer, daß daß nationale Bewußtsein in den Hintergrund trat. Ich crinnere mich noch sehr deutlich der Zeit, als der erste Kanzler des Reichs es aussprach, daß ker aus dem allgemeinen Wahlsystem hervor= gegangene Reichstag die sicherste Grundlage des Reschs sei. Sind die ergriffenen Maßregeln geeignet, dem deutschen Gedanken in den Grenzdistrikten zu dienen? Ich behaupte mit Herrn Hänel: Sie

erreichen das Gegentheil. Man treibt die ritterlichen Deutschen, die

des Schwächeren annehmen, in die Arme der Opposition. Im preußtichen Abgeordnetenhause ift die Frage durchaus nicht ausreichend besprochen worden. Herr von Tiedemann hat uns allerlei vorgelesen, und der letzte Redner, der zu meinem Bedauern unterbrochen wurde, batte uns etwas Aehnliches zugedacht. Wofür haben wir denn den Staatsanwalt und das Strafgesetzbuch, wenn sie nicht gegen solch' Dinge angewendet werden? Die Erhaltung der Muttersprache können wir den Dänen in Nordschleswig nicht ver⸗ sagen; das ist ihr Naturrecht. Widerrechtlich ist daz Eingreifen in das Erziehungsrecht der Eltern, die keine Ausländer sind. Gegen ein solches Vorgeben preußischer Richter müssen wir Einsprach erheben und die Erwartung aussprechen, daß in dieser Beziehung nach Recht und Gesetz verfahren wird. ; .

Darauf wird um 6 Uhr die weitere Berathung bis Sonnabend, 1 Uhr, vertagt. (Außerdeni Aenderung der

Zivilprozeßordnung und Hypothekenbankengesetz)

Preuszischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

22. Sitzung vom 17. Februar 1899.

Die zweite Berathung des Etats des Minister iums des Innern wird bei den Ausgaben für land räthliche Behörden und Aemter fortgesetzt.

Ueber den Beginn der Debatte ist schon berichtet worden.

Minister des Innern Freiherr von der Recke:

Meine Herren! Ich kann die Ausführungen des Herrn Grafen zu Limburg ⸗Stirum über die Art des Vorgehens des Herrn Abg. Kopsch und auch seine letzten Bemerkungen in Betreff der Pflichten der politischen Beamten (Zuruf bei den Freisinnigen), über die Ab- sichten der Regierung, auch bei der Wahlbewegung Aufklärungen zu geben, nur in allen Punkten unterschreiben. (Hört, hört! bei den Freisinnigen; Bravo! rechts) Ich kann mich deshalb sehr kurz fassen. Der Herr Abg. Kopsch wird mir zugeben, daß es für mich unmöglich ift, zu den von ihm vorgebrachten Einzelheiten, die wirklich zum tbeil nur sehr unbedeutender Natur sind (sehr richtig! rechts; hört, hört! bei den Freisinnigen), hier sofort Stellung zu nehmen. Wenn es ihm wirklich darum zu thun gewesen wäre, meine Stellung zu diesen angeb⸗ lichen Vorkommnissen zu erfahren, dann wäre es ihm ein Leichtes gewesen, mich vorher von seiner Absicht, die Sache hier zur Sprache zu bringen, in Kenntniß zu setzen. Dann würde ich vielleicht in einem Theil der Fälle in der Lage gewesen sein, mich zu äußern; allerdings immer mit dem Vorbehalt, daß über diese Angelegenheiten schließlich die Wahl- prüfunge kommission zu entscheiden hat. Ich kann mich daher auch der Befürchtung nicht erwehren, daß diesen Ausführungen dieselbe Tendenz zu Grunde liegt, wie dem Antrage Wiemer. (Sehr richtig! rechts.)

Da bezüglich der erwähnten Angelegenheiten nach meiner Auffassung zunächst völlig einseitige Behauptungen vorliegen, halte ich es für meine Pflicht, denjenigen Unterstellungen, die gegen die Unparteilichkeit der Beamten, insbesondere der Landräthe, hier gemacht worden sind, energisch entgegenzutreten. (Bravo! rechts.) Ich babe nicht genau verstanden, ob der Herr Abg. Kopsch gesagt hat, daß die Unterstützungen, die anläßlich der Ueberschwemmungen im Kreise Kottbus gegeben worden sind, nach Maßgabe der politischen Richtung vertheilt seien. (Zuruf bei den Freisinnigen: Nein! ist nicht gesagt worden!) Sollte diese Behauptung aufgestellt sein, so würde ich eine derartige Insinuation mit Entrüstung zurückweisen müssen. (Zuruf bei den Freisinnigen: Man kann doch nicht etwas mit Entrüstung zurückweisen, was garnicht vor⸗ gefallen ist Ich habe ausdrücklich erklärt, ich hätte es nicht genau verstanden.

Im übrigen glaube ich, aus den Ausführungen des Herrn Abg. Kopsch zu meiner Befriedigung entnehmen zu können, daß auch seine Partei der Meinung ist, die letzten Wahlen hätten sich in der korrek⸗ testen Weise vollzogen; denn wenn das die ganzen Beschwerden sind, die gegen die Landräthe vorzubringen sind, so reduzieren sich dieselben doch auf ein Minimum.

Zum Schluß möchte ich mich noch gegen eine Bemerkung des Herrn Abg. Grafen zu Limburg⸗Stirum wenden, die sich auf den angeblichen Brief des Herrn Reichskanzlers bezog. Nach meiner Meinung bätte es sich empfohlen, diese Bemerkung (hört, hört! bei den Freisinnigen) nur in Anwesenheit des Herrn Reichskanzlers hier vorzubringen. Denn nur er allein kann über die erwähnte Angelegen⸗ heit authentische Auskunft geben.

Abg. Rickert (fr. Vxgg.): Graf Limburg wirft uns Mangel an Beweisen vor, stellt aber selbst unerwiesene Behauptungen auf. Hat Graf Limburg eine einzige Thatsache angeführt von freisinniger Wahl⸗ beeinflussung? Das waren alles haltlose Behauptungen, an die wir freilich beim Grafen Limburg gewöhnt sind. Ich habe im Reichstag eine ganze Reihe von Beschwerden angeführt, und nun meint Graf Limburg, es müsse nicht so schlimm sein, wenn wir nur so winzige . angeführt hätten. Wir werden im Reichstage in der Wahlprüfungskommission ein Bild aufrollen, wie namentlich in Hinterpommern die Amtsgewalt miß⸗ braucht wird. Wir werden weiter darüber sprechen, sobald die Wabl; vrüfungskommission gesprochen hat. Ich begreife nicht, wie Graf Limburg die demagogische Berhetzung des Grafen Pückler so leicht nehmen konnte. Sie (rechts) scheinen kein Gefühl für diese Dinge zu haben. Wir werden stets gegen solche Vorkommnisse protestieren.

Abg. Graf zu Limburg Stirum (kons): Ob die Behaup⸗ tungen über den Grafen Pückler wahr sind, weiß ich nicht. Wären sie aber wahr, so haben sie mit der Wablagitation nichts zu than und sind nicht geeignet, gegen einen ganzen Stand und gegen eine Partei ausgespielt zu werden. Wenn Herr Rickert sagt, wir förderten die Arbeit der Sozialdemokratie, so halte ich ihm das Wort des . Bismarck entgegen: Der Freisinn ist die Vorfrucht der

, Sie (links) werden uns gegen die Sozialdemokratie ni ützen.

Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch (fr. kons): Die heutige Debatte zeigt, daß bei den letzten Wablen im Großen und Ganzen von den Behörden korrekt verfahren worden ist. Die Frei⸗ sinnigen boykottieren diejenigen, die nicht freisinnig wählen. Im Kreis Pinneberg haben die Freisinnigen und Sozialdemokraten zu⸗ sammen gearbeitet; verlangen Sie, daß der Landrath mit den Sozial demokraten geht? Die letzten Wahlen haben bewiesen, daß die öffentliche Stimmenabgabe auch für den Reiche tag paßt. Gegen die Sozialdemokraten hilft die geheime Stimmenabgabe garnichts. Ost⸗ preußen war früher der Stammsitz der Freisinnigen. Es ist also kein Wunder, wenn jetzt die Sozialdemokraten an Boden gewinnen.

Abg. Rickert: Herr von Zedlitz thut so, als ob es eine That⸗ sache sei, daß bei den letzten Wahlen nichts Ungesetzliches von den Behörden gethan sei. Wir sollen die Vorfrucht der Sozialdemokratie sein, während doch im Kreise Königsberg ein Sozialdemokrat auf den

Konservativen folgte. Graf Dönhoff aber verdankt seinen Sieg nur den Liberalen.

Das Kapitel wird bewilligt.

Bei den Ausgaben für die Polizeiverwaltung in Berlin und Umgebung Charlottenburg, Schöneberg und Rixdorf) kommt

Abg. Kreit ling (fr. Voltsp.) auf die Verhaftung junger Damen in Berlin zurück. Entgegen den gesetzlichen Vorschriften sei ein junges Mädchen, das von einem jungen Mann belästigt worden sei,

trog der Versicherung ibrer Unschuld in Haft genommen. Der

Beamte sei allerdings rektifiziert und der Denunziant bestraft worden. Redner erinnert ferner an einen Fall in der Friedrichstraße, in dem eine Dame von der Polizei in ungeböriger Weise zur Verantwortung gezogen worden sei, und fährt dann fort: Die Berliner Stadtverordneten ⸗Versammlung hat über beide Fälle beim Volizei ˖ Präsidium Beschwerde geführt. Der wer , hat es abgelehnt, mit der Kommune Berlin darüber in Veihandlung ju treten. Auf die Presse haben Magistrat und Stadtverordneten Ver⸗ sammlung keinen Einfluß; auch liegt es ihnen fern, die öffentliche Meinung aufjurelzen. Nicht der Freisinn reizt auf, sondern die Konser⸗ vativen durch ihre Klagen über die Arbeiterngth u. s. w. Die Polizei- beamten gehen in der Hauptsache aus dem Unteroffizierstande hervor. Da ist, es kein Wunder, wenn solche Uebergriffe vorkommen. Die Polizeibeamten sind zum Schutz der Bürger da. Man könnte die Poltzei und die Feuerwehr ruhig der Berliner Kommunalverwaltung unterstellen; denn diese hat sich durchaus bewährt. Redner beschwert sich ferner über die vielen Absperrungen durch die Berliner Polizei; in der Propinz würde man sich so etwas kaum gefallen lassen. Der Minister sollte den Polijei⸗Präsidenten von Berlin anweisen, mit diesen Maßregeln sparsamer umzugehen.

Geheimer Ober Regierungs Rath Dr. Lindig: Die Polizeibeamten sind angewiesen worden, keine Frau auf die bloße Denunziation einer Privatperson hin zu sistieren. Sobald eine weibliche Person in der Lage ist, eine Wohnung nachjuweisen, selbst wenn sie sich ver⸗ dächtig gemacht hat, wird sie sofort entlassen. Solche Vor⸗ kommnisse, wie sie geschildert worden sind, werden sich nicht wiederholen. Zum ersten Mal eingelieferte weibliche Per⸗ sonen kommen mit anderen bestraften Perfonen nicht in Be— rührung, sie werden nicht im grünen Wagen, sondern mit der Droschke befördert. Die Schutzleute werden taglich informiert, wie sie sich zu verhalten haben, und Ueberschreitungen werden mit eiserner Strenge geahndet. Begnadigungen bestrafter Beamten sind in letzter Zeit fast garnicht vorgekommen. Der Polizei Präsident hat eine Verhandlung mit der Stadtverordneten ⸗Versammlung abge⸗ lehnt, weil die Polizei Staatsbehörde und allein berechtigt ist, die Sache zu prüfen. Dagegen hat er es nicht abgelehnt, Ver⸗ besserungen an dem ganzen Institut einzuführen. Gegen die Uebertragung eines Theiles der Wohlfahrtspolizen, namentlich der Baupolijei, baben wir nichts einzuwenden. Die städtische Verwaltung von Berlin kennt unsere Bedingungen und kann sich darüber schlüssig machen. Die Feuerwehr bleibt im Interesse der öffentlichen Sicher⸗ heit bei der Poligeiverwaltung. Von der Absperrung wird nur im äußersten Nothfalle und mit größter Schonung Gebrauch gemacht. Es wird dafür gesorgt, daß die Personen, die in dem abgesperrten Viertel wohnen, in ihren Berufsgängen nicht gestört werden.

Abg. Dr. Barth (fr. Vgg.) beschwerk sich über die Hand⸗ habung der Theaterzensur seitens des Berliner Polizei⸗Präsidiums und fübrt aus: Die Zensur, wie sie jetzt gehandhabt wird, bat geradem Gelächter erregt. Nach der Judikatur dürfen nur Aufführungen ver⸗ boten werden, denen Sicherheits, sittliche und gewerbepolizeiliche Be⸗ denken entgegensteben. Größtes Aufsehen erregte das Verbot der Aufführung von Sudermann's „Johannes“ im Interesse der „öffent⸗ lichen Ordnung“, weil es einen biblischen Stoff behandelt. Diese Auffassung des Berliner , . war eine sehr originelle. Inijwischen ist das Stück über eine Menge von Bühnen gegangen, ohne daß dadurch die öffentliche Ordnung gefährdet wurde. An dem reizendsten Stück der letzten 50 Jahre: „Cyrano de Bergerac“ wurde von dem Zensor ebenfalls eine Menge von Stellen beanstandet, z. B. die Stelle, wo es heißt:! „Dem Dachs gab man ein Klystier “. Der Ober⸗Präsident hat schließlich doch die Stelle stehen lassen. Vorher aber hatte das Deutsche Theater das Stück mit den anstößigen Stellen aufgefühat. Das Polizei ⸗Präsidium machte ihm bemerklich, daß es in Zukunft geschlossen werden würde, wenn es sich so etwas wieder zu schulden kommen lassen würde. Man muß auf den Gedanken kommen, daß man sich hier in Berlin einen Zensor aus Abdera verschrieben hat.

Minister des Innern Freiherr von der Recke:

Meine Herren! Ich gönne dem Herrn Abg. Barth das unschuldige Vergnügen, sein Müthchen an einem Zensor zu küblen, der sich nicht vertheidigen kann, und den ich auch nicht vertheidigen kann (Oho! links, sehr gut! rechts, weil mir die Details nicht bekannt sind. Im übrigen habe ich die feste Ueberzeugung, daß der Herr Abg. Dr. Barth, wenn er was ihm ein gütiges Geschick ersparen möge zufälliger Weise in die Lage kommen sollte, einmal die Stelle des Zensors beim Polizei⸗Präsidium auszuüben, dann wabrscheinlich mindestens ebensoviel Fehlgriffe ausüben würde, als sie ja, wie ich zugeben muß, bier und da vorgekommen sind. Warum soll nicht auch in der Zensfur einmal Menschliches sich ereignen? Ich habe selbst die Empfindung, daß hier und da bei der Zensur Fehlgriffe geschehen sind, und glaube insbesendere, daß man nach einer gewissen Seite hin wohl die Zügel etwas schärfer anziehen könnte, nämlich was die Zensur der in Spezialitãten⸗ Theatern vorkommenden Stücke betrifft. (Sehr richtig! rechts) Ich bin deshalb auch schon mit dem Herrn Polizei⸗Prä—⸗ sidenten in Erörterungen eingetreten. (Bravo! rechts) Nur eine Bemerkung möchte ich noch hinzufügen. Wenn der Herr Abg. Dr. Barth im Eingang seiner Ausführungen mit einem etwas verächtlichen Ton von der sogenannten alten Scharteke der Zensur und dem alten Zopf spricht, den er, wie ich annehme, sehr gern beseitigt sehen möchte, so befindet er sich nach meinen Informationen vollständig im Gegensatz zu dem Wunsch aller Theaterunternehmer. Es giebt eine gane Reihe von Schriften über die Theaterzensur, die mir vor noch nicht langer Zeit durch die Hände gegangen sind. Ich entsinne mich besonders einiger Ausführungen von Gottschall und LArronge. Von diesen ist ausdrücklich hervorgehoben, daß sie die Theaterzensur für nothwendig und für eine durchaus zweckmäßige Einrichtung halten, nicht aber für einen Zopf, den sie abgeschnitten wissen möchten. (Bravo! rechts.)

Abg. von Eynern (ul.) weist auf die Ungerechtigkeit hin, daß 21 größere Städte die Kosten für ihre Polizeiverwaltung aus öffent⸗ lichen Staatsfonds gedegt erhielten, während die übrigen dafür selbst aufkommen müßten. Das Anwachsen dieser Kosten sei durch das neue Polizeikostengesetz nicht verhindert worden. Es müsse entweder für alle Städte die Königliche Polizeiperwaltung eingeführt werden, oder es müßten sämmtliche Königlichen Polizei⸗Direktionen aufgehoben und die kommunale 36 . werden, die mit den Gefühlen der Bevölkerung mehr im Einklang stehe als die soldatische Polizei- verwaltung. ;

Abg. Dr. Langerhans (fr. Vp, auf der Journalistentribüne schwer verständlich) bemängelt das Verhalten des Berliner Polizei. präsidiums gegenüber der Berliner Stadtverwaltung und weist darauf hin, daß Berlin die harten Bedingungen, welche an die Uebertragung der Wohlfahrtspolizei auf die Kommunalverwaltung geknüpft seien, unmöglich erfüllen könne. Die Uebertragung der Feuerwehr auf die Stadt sei immer pure abgelehnt werden, obwohl Berlin die finan⸗ zellen Lasten zu tragen habe. Die Stadt Berlin habe bereits gine Menge von Wohlfahrtseinrichtungen getroffen, j. B. durch den Bau der Krankenbäuser; sie würde noch mehr leisten können, wenn ibr nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte in dieser Beziehung über tragen würden. ;

Geheimer Ober. Regierungt⸗Rath Dr. Lindig beftreitet, daß die Bedingungen der Staatsregierung! zu hart seien.

1 Schall (k.) tritt den Ausführrngen des Abg. Barth ent

gegen. Die Theaterjensur habe nützlich und segensreich gewirkt, es sei

dadurch verhütet worden, daß noch mehr Schund auf die Berliner Bübnen gekommen sei. Gin Theater, das sich das Deutsche nenne, sollte im Sinne unserer Dichterheroen eine Schule der Er⸗ hebung und nicht der Unsittlichkeit sein. Die leichtfertigen französischen Stücke, die die Seele des Volkes 44 ge⸗ bören nicht in das Theater. Deswegen, weil Berlin die Laften für die Feuerwehr trage, könne es keinen Anspruch auf die Verwaltung erbeben; mit demselben Rechte könne es auch einen Theil der Armee Verwaltung für sich beanspruchen. Die muster⸗ gültige Berliner Feuerwehr sei in den Händen der Polizei gut auf= gehoben. Die öffentlichen Dirnen sollten nicht von Männern unter⸗ sucht werden, sondern von Matronen, unter Heranziehung von Dlakonissinnen beider Konfessionen. Im Interesse der öffentlichen Sicherheit wäre es erwünscht, daß auch in Spandau die staatliche Poltzei eingeführt würde, zumal da auch die staatlichen Gewehrfabriken zu schützen seien. Daß die Schutzleute aut den Kasernen hervor⸗ gegangen seien, mache sie für den Sicherheitsdienst besonders geeignet. Sle hätten beim Militär gelernt, sich selbst zu beherrschen. Nur das

Radaupublikum in Berlin könne mit diesen Beamten nicht verkehren.

Geheimer Ober⸗Regierungs⸗Rath Dr. Lin dig: Der Minister hat

die Anstellung einer Aerztin beim Polijei⸗Präsidium in Aussicht genommen und sich zu diesem Zweck mit dem Kultus ⸗Minister in Verbindung gesetzt. Ein Antrag auf Umwandlung der Spandauer städtischen Poltzei in eine staatliche ist bisher von der zuständigen Stelle an das Ministerium nicht gelangt. Doch ist anzuerkennen, daß eine Reihe von Bedingungen für diese Umwandlung vorhanden ist, Abg. Dr. Barth: Was Millionen Leser jäglich ertragen können, werden doch auch ein paar Tausend Hörer ertragen können, ohne daß der Staat zusammenbricht. Schiller und Goethe, auf die Herr Schall sich zu berufen scheint, würden über die heutige Zensur, in Berlin die Hände über dem Kopf zusammenschlagen Würde etwa der Faust vor dem Zensor Gnade gefunden haben? Schon das Vorspiel nicht, geschweige denn das, was hinterher kommt. Der Minister hat es nicht schön gefunden, daß ich einen abwesenden Zensor angegriffen habe. Der Minister weiß doch seit drei Tagen, daß ich den Zensor angreifen wollte, er konnte also den Inkulpaten zur Stelle schaffen. Wenn ich wirklich einmal Zensor würde, so wird mir der Minister nicht eine solche Menge von Menschlichkeiten zu⸗ trauen, wie sie thatsächlich vorgekommen sind. Der Minister verwies auf die Spezialitäten Theater. Das ist ja gerade das Erstaunliche, daß der Zensor die elenden Possen ungefährdet passieren läßt.

Abg. Gothein (fr. Vgg.)z: Die Schutzleute notieren zu viel Polizeistrafen. Besser wäre eg, wenn sie die Leute vor Uebertretungen warnten und sie auf die bestehenden Vorschriften aufmerksam machten. Ich denke dabei namentlich an die Radfahrervorschriften. In Berlin kennt man die Radfahrernummern nicht, wohl aber in Breslau. Das Fahren mit Zweirad ist in verschiedenen Straßen verboten. Viemand weiß aber recht, welche Straßen eigentlich verboten sind. Im Grunewald sind Schutzleute in Zivil postiert, die zu wachen haben, daß die Fußwege nicht befahren werden. Das ist passend an verkehrsreichen Tagen, sonst aber kleinlich.

Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch: Die Kritik des Abg. Barth über die Berliner Theaterzensur unterschreibe ich in allen Punkten. Ernste künstlerische Darbietungen und Possen dürfen nicht mit jweierlei Maß gemessen werden. Eine solche ungleiche Be handlung muß die Achtung des Publikums vor der an sich nothwendigen Zensur herabsetzen. Der Vorschlag des Abg. von Eynern ist nicht wohl durchführbar. Wohl aber ist in manchen Städten die Einführung der staatlichen Polizei noth⸗ wendig, z. B. in Rixdorf. Der Polizei Präsident erläßt die Polizei vorschriften, er war also berechtigt, die Anregung der städtischen Be⸗ hörden von Berlin zurückzjuweisen. Das Wachsthum der Stadt Berlin verführt die Kommunalverwaltung, über die ihr durch die Städteordnung eingeräumten Befugnisse hinauszugehen. Hielite sie sich in ihren Grenzen, 5 würden solche Konflikte nicht vorkommen.

Das Kapitel wird bewilligt.

Bei dem Kapitel „Polizeiverwaltung in den . über das der Abg. von Arnim referiert, be⸗ merkt

Abg. Sänger (fr. Volksp.), daß trotz des hohen Beitrags der Stadt Frankfurt a. M. zu den Polizeikosten die Frankfurter Polizei auf den Verkehr hemmend eingewirkt habe. Namentlich werde das Fahrrad verbot im ganzen Innern der Stadt, auch auf der Zeil und anderen breiten Straßen, sehr schwer empfunden. Sogar das Dreirad habe man im Innern der Stadt verboten, obwohl es dem gewerblichen Verkehr diene. Der Minister solle Remedur schaffen. Die öffentliche Sicherheit in Frankfurt lasss zu wünschen übrig, weil die Prostitution auf einen engen Bezirk zusammengedrängt sei. Die Anwohner hätten sich vergeblich darüber beschwert. Der Hinweig auf die sittlichen Gefahren für die jene Gasse passierende Schuljugend habe auch keinen Erfolg gehabt. Der Minister solle doch bedenken, daß solche Zustände nicht zu einer Verrohung jübrten. Auf der anderen Seite, fährt Redner dann fort, geht die Polijei in Frankfurt viel zu schneidig vor. Bei sozialdemokratischen Begräbnissen darf kein Wort gesprochen werden, den anderen Par. teien ist es erlaubt. Am Geburtstage Seiner Majestät des Kaisers und Königs verhalten sich die berittenen Schußzleute auch nach dem Zeugniß eines farblosen Blattes in roher Weise. Diese Leute werden im Verhältniß zu den an sie gestellten An— forderungen zu schlecht bejahlt. Die Aufrückungszeit für die Frankfurter Kommissare ist doppelt so lang, wie die für die entsprechenden Berliner Polizeileutnants. Noch schlechter sind die Schutzleute daran, sie werden mißgestimmt, und das Publikum bat den Schaden davon. Die Arbeitervereinigungen werden bei uns bedrückt, ohne daß der Staat davon einen Vortheil hätte, was die letzten Reichttags wahlen beweisen. Die Frankfurter Polizei⸗ verwaltung ist zu nervög. Das Polizei⸗Präsidium hat die Fabrik. arbeiter; und »Arbeiterinnenvereine zu Frankfurt entgegen den Be—= stimmungen des Vereinsgesetzes in einer Weise chikaniert, die nicht geeignet sst, die Autorität der Regierung zu stärken, wohl aber 5 und Erbitterung zu erregen. Gerechtigkeit und Unparteilichkeit mu gegen alle Parteien geübt werden.

Unter ⸗Staatssekretär Braunbehrens: Der geehrte Herr Ab⸗ eordnete hat eine ganze Reihe von Beschwerden, die das Frankfurter Fefe nne en betreffen, vorgetragen und sie mit großer Emphase ver⸗ treten. Indessen glaube ich, wenn man die einzelnen Beschwerde⸗ punkte bei Lichte besieht, bleibt recht wenig Sachliches übrig von seinen Bemerkungen, an deren Schluß er es für gut befunden hat, eine Rede des Herrn Freiberrn von Berleysch heranzuziehen, die in dieser Beziehung gewiß nichts Neues gebracht hat; denn daß die Gleich- heit vor dem Gesetz und die Unparteilichkeit eine der Stützen des Staats ist, braucht nicht erst öffentlich verkündigt zu werden. Das ist ein alter Grundsatz, den die taats⸗ regierung immer befolgt hat und immer befolgen wird. Im einzelnen hat der Herr Abgeordnete das Treiben der Prostitution in Frankfurt berührt. Er hat hervorgehoben, daß sich die Prostitution in einer e . breit e in der auch Schulen, und jwar ganz in der Nähe, belegen sind. In dieser Beziehung, das muß ich zugeben, sind seine Ausführungen gewiß auf dankbaren Boden gefallen; sollte das 2 sein, so muß versucht werden, diese Ungeheuerlichkeit abzu⸗ stellen. odann ist er auf den Fahrradverkehr in der inneren Stadt Frankfurt gekommen. Dieser soll in viel zu weitem Maße verboten sein, und namentlich soll sich das Verbot selbst in den breiten Straßen auch auf die Dreiräder beniehen. Ich weiß nun nicht, ob die Frankfurter Interessenten in Bezug auf diese Bestimmungen schon bei dem Regierungs⸗Präsidenten in . baden vorstellig geworden sind, andererseits möchte ich doch rathen, erst zu versuchen, die Aufhebung oder die Einschränkung zu weitgehender Verbote bei der zuständigen Stelle zu beantragen. Der Herr Ab⸗ geordnete hat ferner das angeblich brutale Verhalten der Exekutiv. beamten gelegentlich des Königs Geburtstags in Frankfurt be⸗ mängelt und jur Uaterstützung die Artikel eines angeblich farblosen Blattes vorgelesen. Die Farblosigkeit dieses Blattes ist mir denn doch im höchsten Grade verdächtig, da