1899 / 48 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 24 Feb 1899 18:00:01 GMT) scan diff

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Terrorigmus gegen ihre Kollegen, um die Aufrechterhaltung gewisser Verkaufsbedingungen ꝛc. zu erjwingen? Die Gewerkschaften hinderten die Ausschreitungen, aber die Störung der Organisation durch die Unternehmerverbände reize dazu.

Staatssekretär des Reichs⸗Justizamts Dr. Nieberding:

Meine Herren! Was die Zulässigkeit der Beurtheilung gesetz licher Bestimmungen bezüglich ihres Sinnes und ihrer Tragweite in der Anwendung auf einen bestimmten Fall der Rechtspflege betrifft, so stehe ich ungefähr auf dem Standpunkt, den der Herr Abg. Roeren hier vorhin dargelegt hat. Ich halte es für zulässig, daß der Reichstag aus Anlaß eines bestimmten Falles den Sinn und die Tragweite einzelner gesetzlicher Bestimmungen diskutiert, nicht in dem Sinne, wie es gestern der Herr Abg. Heine anzudeuten schien, damit die Richter dann auf die Stimme des Reichstages, was in diesem Falle wohl heißen soll auf die Stimme einzelner Abgeordneten, die da meinen, im Namen des Reichstages zu sprechen, hören; im Gegentheil, meine Herren, was hier bei solcher Gelegenheit gesprochen wird, kann den Richter nicht bestimmen, ist für den Richter gleich⸗ gültig. Der Richter hat in solchen Fällen auf das Votum des Reichstages, oder vielmehr auf die Reden einzelner Mitglieder des Reichstages, ebensowenig zu hören, wie auf die Stimmen einzelner Mitglieder der Regierung oder einzelner Behörden. Der Richter urtheilt un⸗ abhängig von der Regierung, aber auch vom Reichstag, einfach nach Maßgabe des Gesetzes und nach seinem Gewissen. (Bewegung und Zurufe links.)

Aber, meine Herren, es kann immerhin unbedenklich und sogar nützlich sein, wenn ein Fall Anlaß giebt, das be— stehende Gesetz auf seine praktische Bedeutung und Brauch⸗ barkeit zu prüfen; denn das ist unter Umständen werthvoll für die Gesetzgebung und für die Fortbildung unseres Rechts. In diesem Sinne stimme ich dem zu, was der Herr Abg. Roeren gesagt hat, und ich glaube auch nicht, daß die Auffassung meines sächsischen Herrn Kollegen aus dem Bundesrath im wesentlichen eine andere ist. (Zuruf bei den Sozialdemokraten.) Wo⸗ gegen er sich wehren wollte, das war eine andere Auf— fassung; darauf komme ich jetzt, und, meine Herren, da muß ich doch sagen, die Art und Weise, wie hier versucht worden ist, die Rechtsprechung der Gerichte in Vergleich einzelner Fälle dem Hause vorzuführen, zu beurtheilen und zu verurtheilen, muß ich auf das entschiedenste zurückweisen. (Bravo! rechts) Meine Herren, wenn diese Art und Weise fortgeführt wird, so stehe ich nicht an, zu erklären, daß derartige Verhandlungen für jeden Mann, der die objektive Wahrheit ermittelt und festgestellt sehen will, ein fach unerträglich werden. (Sehr gut! rechts.) Ich verwahre im Namen der verbündeten Regierungen die Justiz davor, daß sie in solcher Weise vor das Forum des Reichstages, gewissermaßen als letztes Tribunal, gezogen wird. (Sehr richtig! rechts.)

Der Herr Vorredner hat Ihnen nicht nur einen, sondern mehrere Prozeßfälle vorgeführt, so wie er sie sich denkt, von seinem nach meiner Meinung einseitigen Parteistandpunkt aus. (Zuruf von den Sozialdemokraten.) Ich rede jetzt über den letzten Herrn Redner, überlassen Sie mir, zu befinden, wann ich mich zu Herrn von Stumm wenden will. Also der Herr Abgeordnete hat die einzelnen Vorgänge, die in den Gerichtsverhandlungen vorgekommen sind, Ihnen dar— gestellt, obwohl er sie zum theil, weil sie hinter verschlossenen Thüren sich abgespielt haben, garnicht kennt. Er hat Ihnen zugemuthet, nachträglich Kenntniß von einzelnen Gerichtsverhandlungen zu nehmen, die monatelang hinter uns liegen, die meines Wissens in der Presse keine große Rolle gespielt haben, die jetzt aber von der sozial⸗ demokratischen Presse wieder hervorgeholt worden sind, um Vergleiche mit dem Urtheil im Löbtauer Prozeß zu ziehen. Er charakterisiert Ihnen die Persönlichkeiten, die im Prozeß betheiligt gewesen sind, er beurtheilt die Richter, beurtheilt die Geschworenen, er ist derjenige, der über alle diese Dinge unbefangen zu urtheilen sich den Schein giebt, und von Ihnen, meine Herren, verlangt er, daß Sie auf Grund seiner Darstellung seinem Votum beitreten sollen. (Heiterkeit rechts.)

Wenn die Gerichte über einen Fall urtheilen, so thun sie das das hat der Herr Abg. Roeren schon angedeutet nach Maßgabe des Gesetzes in einer festgeschlossenen Verhandlung nach An— hörung des Angeklagten, unter dem unmittelbaren Ein⸗ druck seiner Persönlichkeit, nach mündlicher Vernehmung der Zeugen auf Grund richterlicher Gewissenpflicht. Hier, meine Herren, wird geurtheilt, ohne daß der Thatbestand klargestellt werden kann, ohne daß Sie die Persönlichkeiten der Angeklagten wie der Zeugen kennen; Ihnen ist der ganze lebens volle Vorgang, wie er sich vor dem Gericht entwickelt, unbekannt, und doch soll der Reichstag in die Lage versetzt werden, maßgebend für die öffentliche Meinung über den Gegenstand der gerichtlichen Verhandlung zu urtheilen und, was be⸗ deutungsboll ist, zu verurtheilen das Votum des Gerichts. (Sehr richtig! rechts) Meine Herren, darin liegt doch ein Widerspruch mit dem Gesetz und mit der Gerechtigkeit, wie er tiefer nicht gedacht werden kann.

Ich gehe natürlich auf die einzelnen der verschiedenen bier in Frage stehenden Prozesse nicht ein. Ich kann das garnicht, weil sie mir nicht so bekannt sind, wie sie anscheinend dem Herrn Vorredner bekannt geworden sind. Ich würde aber auch, wenn ich die Akten kennte, mich hier enthalten, ein Urtheil auszusprechen; denn ich kann es nicht in der Art thun, wie die Richter es konnten, die in Gegenwart der Betheiligten mündlich verhandelt haben. Jedes Urtheil aus den Akten ist nach dem Sinn unserer Gesetzgebung ein einseitiges und gefährliches. Es darf von den Gerichten nur auf Grund der mündlichen Verhandlung geurtheilt werden, und diese Herren wollen urtheilen ohne Akten, ohne Verhandlung. (Sehr richtig! rechts.)

Auf diese Weise kommt natürlich der Herr Vorredner dazu, daß er es unbegreiflich fißdet und mit harten Ausdrücken belegt, wenn die Geschworenen den Angeklagten in dem Löbtauer Prozesse mildernde Umstände nicht zugebilligt haben. Auf diese Weise kommt der Herr Abgeordnete dazu, sich das Urtheil der Richter nur so zu erklären, daß sie geurtheilt haben, weil sie Feinde der Klasse sind, der die An geklagten angebören. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, ich verwahre entschieden die Richter gegen den Vorwurf (lebhafte Zurufe bei den Sozialdemokraten), daß sie wider das Recht und gegen ihr eigenes Gewissen gehandelt haben. Sie sind nicht berechtigt, einen derartigen Vorwurf zu erheben. (Zurufe und Unruhe bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, die Sie nicht auf Seiten des Herrn Vorredners

stehen, ich brauche Ihnen nicht auseinanderzusetzen, welcher Gefahr

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des Irregehens Sie sich selbst und auch die öffentliche Meinung aus⸗ setzen, wenn Sie fortfahren wollten, wie es dort drüben geschehen, einzelne Prozesse hier zu diskutieren, sich ein Urthell über deren Aus« gang zu bilden und durch die Auffassungen, die Sie hier ausdrücken, die Meinung des Volkes zu beeinflussen. Wenn nicht mehr im einzelnen Falle für die öͤffentliche Meinung maßgebend ist das, was der Richter endgültig und rechtskräftig ausgesprochen hat, wenn es möglich ist, daß hier im Reichstage unter Irreführung der öffentlichen Meinung eine andere Ansicht als die des Richters Ausdruck und Oberhand gewinnt, dann ist unsere Rechts- pflege verloren. (Sehr richtig! rechts; Zurufe und Unruhe bei den Sozialdemokraten.) Ja, die Gefahr ist bei solchen Debatten vor handen, das werden Sie nicht leugnen können. (Zurufe.)

Meine Herren, ich hoffe, in der Weise werden die übrigen Parteien sich an der Beurtheilung von Vorgängen, die in einzelnen Prozessen vorgekommen sind, nicht betheiligen; in der Weise hat sich der Herr Abg. Freiherr von Stumm an der Beurtheilung auch nicht betheiligt. (Sehr richtig! rechts.) Hätte er es gethan, so würde ich ihm in derselben Weise erwidert haben, wie ich Ihnen erwidere. (Zurufe bei den Sozial⸗ demokraten.)

Sie, meine Herren, bitte ich: Helfen Sie nicht dazu, daß in solcher Art und Weise die Urtheile der Gerichte hier erörtert und kritisiert werden, Sie würden nur helfen, die öffentliche Meinung bezüglich der Bedeutung der Richtersprüche und der Autorität der Rechtspflege zu verwirren. Wir, die Vertreter der verbündeten Re⸗ gierungen, werden nicht mitthun. Wir wollen nicht mit Schuld tragen, daß die Autorität der Gerichte, dieses fundamentum regni, erschüttert wird. (Bravo! rechts und bei den Nationalliberalen.)

Abg. Freiherr von Stumm (Rp): Meine Ausführungen sind nur hervorgerufen durch die Auslassungen des Abg. Singer über die sächsische Rechtepflege. Es versteht sich wohl ganz von selbst, daß ich nicht auf alle Einzelheiten der Stadthagen'schen Ausführungen ein⸗ gehe. Er hat von einer großen Verbrecherbande von Arbeitgebern außerhalb des Hauses gesprochen. Der Terrorigmus der Arbeiter erfordert solche Defensivvereinigungen., der Arbeitgeber. Man möge diese Organisation der Arbeitgeber noch so scharf tadeln, aber als Verbrecherbanden kann man sie nicht bezeichnen. Der Abg. Stadthagen hat die Freikenserpativen als die Auf⸗ wiegler bezeichnet. Ich muß das zurückweisen, daß in der Post“ gestanden haben soll, daß streikende Arbeiter mit Knüppeln niedergeschlagen werden sollen. Mit welchem Giertanz darf man ia nicht sagen mit welcher Geschicklichkeit hat Herr Gradnauer die Löbtauer Excedenten verteidigt. Sie werden also wohl nächstens in der Ehrentafel der Sozialdemokratie erscheinen. Herr Lenzmann hat auch das Urtheil als nicht übertrieben bezeichnet. Ein härteres Urtheil habe ich nicht verlangt Die Todesstrafe habe ich für die Sozialdemokraten nicht verlangt, sondern nur die Aus— weisung der Agitatoren und die Entziehung des aktiven und passiven Wahlrechts für die notorischen Sozialdemokraten. Bis zu dem Moment, wo der Mann in die Bude zurück= gedrängt wurde, kann man von Tobtschlag reden; bis dahin will ich auch mildernde Umstände gelten lassen; aber von da an fängt der Mordversuch an. Der Eislebener Fall, den ich nicht kenne, ist weiter nichts als dasselbe, was sonst in reichstreuen Versammlungen vor⸗ kommt, in welche die Sozialdemokraten eindringen. Eine Analogie mit den Löbtauer Bestialitäten liegt durchaus nicht vor. Ein Todt schlag oder Mordpersuch lag dabei nicht vor, während es in Löbtau nur ein reiner Zufall, war, daß der Klemm nicht todtgeschlagen worden ist. Ich will Herrn Klemm nicht vertheidigen, der mir weder als Parteigenosse noch persönlich nahesteht. Mich hat nur mein menschliches Gefübl geleitet. Herr Fink ist keineswegs mein Protégé. Als Herr Bebel mir Dinge aus der amerikanischen Presse vorlegte, die verdächtig waren, habe ich jeden Verkehr mit Herrn Fink abgebrochen. Aber ein gerichtliches Urtheil liegt nicht gegen ihn vor. Er ist allerdings nach Ost⸗Asien abgereist. Die Vertheidigung der Organisation der Bauhandwerker als einer ganz harmlosen ist Herrn Gradnauer doch nicht gelungen. Die Quittungskarten der Gewerk- schaften finden ihr Pendant nicht in den Organisationen der Arbeit⸗ geber, sondern in der Bestimmung der Gewerbeordnung, welche den Arbeitgebern verbietet, auf die Arbeitskarten der Arbeiter irgendwelche Kennzeichen zu machen.

Sächsischer General⸗Staatsanwalt Dr. Rüger: Ich habe den Eindruck, als ob das hohe Haus der Erörterung des Löbtauer Falles, und zwar mit Recht eiwas müde wäre; ich werde mich mit diesem Gegenstand auch nicht weiter beschäftigen, sondern meine Worte sollen sich nur bezieben auf die Veröffentlichung im „Dresdner Journal“. Ich habe gestern gesagt: diese Veröffentlichung enthält Wort für Wort eine richtige Darstellung des Verlaufs des Prezesses; und ich habe alle diejenigen, welche es besser wissen könnten, aufgefordert, das zu beweisen. Bis zu dieser Stunde habe ich aber noch keinen Beweis bekommen, und ich behaupte nach wie vor, daß die Daistellung vollstaͤndig und erschöpfend und richtig ist. Ich bemerke das mit besonderem Nachdruck, weil die sozialdemo⸗ kratijchen Zeitungen, wie ich das schon gestern erwähnte, nachdem die Veröffentlichung erschienen war, sich darüber erregten und Vebaupteten, diese Darstellung wäre lediglich der Anklageschrift entnommen. habe das schon gestern richtig gestellt: die Darftellung ist unter Be—⸗ nutzung der Anklageschrift gegeben, wie das ja garnicht anders sein kann, und für diejenigen Herren, die einmal Akten gelesen haken, obne weiteres verständlich sein wird. Es handelt sich in diesem Fall um neun Angeschuldigte und im Ganzen um ungefähr 30 Delikte; da ist es ganz selbstverständlich, daß man für eine wahrheitsgemäße Darstellung eines so umfangreichen Prozesses er bat ja drei Tage in der Hauptverhandlung gedauert einen be— stimmten Anbalt an den Akten nimmt. Wenn also die sozial⸗ demokratischen Zeitungen behaupten, es wäre an sich falsch, die Anklage⸗ schrift zu benußen, so ist das ganz irrthümlich. Was macht man sich überhaupt von Anklageschriflen für eine Vorstellung? Für was halten Sie uns denn, uns, die wir die Anklageschrift machen? Glauben Sie, daß wir nur Lügen in die Anklageschrift schreiben? In einem Verfahren, wo eine Voruntersuchung war und das hatte ja in diesem Verfahren statigefunden wird der Anklagestoff vollständig erschöpft, und die Anklage⸗ schrift ist nichts als das, was die Voruntersuchung ergeben hat. Die Voruntersuchung wird geführt von einem Richter, keineswegs einseitig von der Anklagepartei. Ich kann Ihnen außerdem sagen, meine Herren, daß das Ergebniß der Beweisaufnahme in dem Prozeß und die Veruitheilung wesentlich beruhen auf den eigenen glaubhaften Geständnissen der Angeschuldigten. Wenn dem gegenüber noch jemand behaupten kann, daß die Darnellung unrichtig sei, so begreife ich das nicht. Bei der Gelegenheit hat der Herr Abg. Dr. Gradnauer sich auch gemüßigt gesehen, immer wieder die alten Angriffe auf die sächsische Regierung zu erneuern. Er hat gesagt, die säcksische Regierung sei be= strebt, das Reichs recht zu unterminieren. Ich möchte diese Bemerkung doch nicht ganz ohne Erwiderung lassen, obwohl sie in ihrer Allgemeinheit eigentlich keiner Widerlegung bedarf. Die sächsische Regierung bat, so lange das Reich bestebt, zum Reich gestanden, treu ihrer Pflicht in Gemäßbeit der geschlossenen Verträge, und ich wöchte denjenigen sehen, der mir beweisen könnte, daß die sächsische Regierung in einem Fall dieser Pflicht nicht treu gewesen wäre. Und was von der sächsischen Regierung im allgemeinen gilt, das gilt von den sachsischen Behörden. Zunächst stehen mir versönlich am meisten die nahe, diejenigen, deren Sand ich zur Zeit angehöre. Immer wieder wird die Behauptung aufgestellt, Polizei und Staatsanwalt sind bestrebt, ihre , . unnõthigerweise zu verfolgen; wenigstens wird sehr häufig versucht, diesen Eindruck hervorzurufen. In dem Sinne unserer Gesetze ift die Staatganwalt⸗

schaft allerdings in erster Reihe berufen, das Unrecht zu verfolgen; aber sie t unter dem allgemeinen Gesetz, das auch ihr obliegt: Erforschung der Wahrheit. Bas ist nicht nur der Sinn unserer Ge⸗ setze, sondern die Strafyrojzeßordnung ,. auch wiederholt Be⸗ stimmungen, die das deutlich zum Ausdruck bringen. Und nun möchte ich bitten, daß mir ein einzelner Fall vorgelegt, würde, mo die sächsischen Staatganwaltschaften diese ihre, Pflicht nicht in jedem einzelnen Punkte getreulich erfüllt hätten. Was aber von den Staattanwaltschaften gilt. das gilt in ebenso hohem Grade auch von den Richtern. Wenn behauptet wird, daß die sächsischen Richter nach Gunst entschieden, daß sie nicht nach ihrer freien Rechtsüberzeugung urtheilten, so wirft man unseren Richtern ein schweres Verbrechen vor, und ich bitte wiederum diejenigen Herren, die einzelne Fälle nachweisen können, mir diese vorzubringen. Dann werde ich Rede und Antwort stehen; aber für soche allgemeine Beschuldigungen ich wiederhole es habe ich nichts als kalte Sr e,

Abg. Heine (So)) behauptet, der Staatssekretär habe seine (des Rednersj Ausführungen über die Beschäftigung politischer Gefangener nicht widerlegt. Der sozialdemokratische Redakteur Schulz in Erfurt solle desbalb nicht literarisch beschäftigt sein, weil er für einen sozial⸗ demokratischen Verlag habe thätig sein wollen. Daß die Beschäfti⸗ gung für einen sozialdemokrgtischen Verlag unzulässig sei, habe man ihm niemals mitgetheilt. Das Urtheil im Dresdner Journal! über den Töbtauer . entspreche nicht dem vollen Sachverhalt, es sei eine Irreführung der Deffentlichkeit. Der Artikel beginne mit dem Tenor, des Urtheils und fahre dann ohne erkennbare Zwischenbemerkung fort. Daß die Deffentlichkeit aus- geschlossen worden sei, um die Zeugen vor Beeinflussung zu schützen, sei eine Beleidigung des Gerichts. Das Gericht habe einen anderen als diesen garnicht gesetzmäßigen Grund angeführt, den der Gefãhr⸗ dung der öffentlichen Ordnung. Hinter der Mitiheilung des Aus⸗ schlusses der Oeffentlichkeit folge ein Theil der Anklageschrift. Man haͤtte die Ergebnisse der Beweisaufnahme niederschreiben können ; so liege aber eine systematische Täuschung vor. Die Begründung der Strafah⸗ messung täusche die Juristen nicht, wohl aber das Publikum, und diese Täuschung sei beabsichtigt gewesen. Von den Urtheilsgründen sei kein Wort ganz falsch, aber deshalb sei noch nicht das Ganze richtig; es gehörten die Bindeglieder und die entlastenden Momente dazu, und diese seien weggelassen. Die Bemerkung über den Ursprung des Ver⸗ brechens aus der sozialdemokratischen Bewegung habe sich der Arttkel⸗ schreiber aus den Fingern gesogen; der das EGrkenntniß begründende Richter habe kein Wort davon gesagt. Zuerst habe es sich um einen Streit von geringer Bedeutung gehandelt, der auf den Bauunternehmer Klemm selbst keinen großen Eindruck gemacht habe. Erst als der Bauunternehmer Klemm, ein durchaus gewalt⸗ thätiger Mensch, zum Revolver gegriffen, habe die Sache eine andere Gestalt angenommen; das verschweige der offiziöse Bericht. Von einem sozialdemokratischen e eder ster irn ug habe man in den Verhandlungen nichts gemerkt. Das Schießen habe Hunderte von Menschen versammelt, welche annabmen, daß Klemm einen Arbeiter erschossen hätte; daher die Zurufe: Schlagt ihn todt! Man könne sich nicht wundern, daß die betrunkenen Leute, die sich bedroht glaubten, wild um sich schlugen. Freiberr von Stumm verlange die Verurtheilung wegen versuchten Mordes; aber mit Ueberlegung sei die That nicht ausgeübt worden. Die Geschworenen hätten sich in bedenklicher Weise vergriffen, als sie die Frage des Todtschlages bejahten; sie hätten die mildernden Umstände verweigert, obwohl der Staatsanwalt selbst sie für die meisten der Angeklagten als vorhanden zugegeben habe und obwohl die meisten noch nicht vorher bestraft gewesen seien. Die Strafmaße näherten sich dem Maximum dessen, was zulässig sei. Herr Lenzmann habe ihm (Redner) sein Urtheil uber die Sache auch angegeben, es weiche aber ab von dem, was Freiherr von Stumm esagt habe. Redner kommt schließlich ebenfalls auf den Eislebener

all zu sprechen, wo es sich auch um Landfriedensbruch gehandelt, an

dem sich auch die Polizei betheiligt habe. Die Richter hätten ge⸗ handelt unter den Einflüssen, denen jeder Mensch unterworfen sei, gesellschaftlichen Vorurtheilen ꝛc.

Sächsischer General. Staatsanwalt Dr. ger: Meine Herren, ich begreife nicht, wie der Herr Vorredner auf den Gedanken kommen kann, daß der . Abg. Freiherr von Stumm den Gegenstand auf meine Veranlassung hier zur Sprache gebracht habe. Bei der Stellung, die ich zu der gi. inwieweit es zulässig sei, ein richter⸗ liches Urtheil hier im Reichstage zu besprechen, eingenommen und wiederholt bekundet habe, würde es doch ein ganz sonderbarer Wider⸗ svruch sein, wenn ich eine Aufforderung an den Herrn Abgeordneten hätte richten wollen, auf diese Sache einzugehen. Es ist also durchaus unbegründet, daß Herr Freiherr von Stumm ju seinem Vorgehen von mir veranlaßt worden sei. Im übrigen tommt auf diese Sache sehr wenig an. Sie zeigt nur, wie die Herren von jener Seite immer geneigt sind, anders. wo die Gründe zu fuchen, als wo sie sich wirklich befinden. Aber es ist gefagt worden, der Bericht im „Dresdner Journal. wäre falsch, und das ist eigentlich der Grund, weshalb ich mir das Wort erbitten muß. (Zurufe von den Sozialdemokraten) Ich werde es Ihnen gleich sagen. Zunächst möchte ich um die Erlaubniß bitten, Ihnen den Bericht des Dresdner Journals“ zu stizzieren, ich glaube, die wenigften von Ihnen sind in der Lage gewesen, ihn zu lesen. Der Artikel lautet:! Die Löbtauer Landfriedensbrecher. Darauf folgt die Veröffentlichung des Urtheils in extenso, und dann folgt ein Abschnitt, der folgendermaßen anfängt es sind etwa 10 Zeilen „Wie schon aus dem Wortlaut dieses Urtheils ersichtlich ist, haben sich die Angeklagten der schwersten Ver—⸗ brechen schuldig gemacht, die unser Strafgesetzbuch kennt. Dennoch hat sich die er r n erh Presse nicht gescheut, die Handlungs weise ihrer Genossen als eine in der Hitze eines Richtfestes ent⸗ standene gewöhnliche Schlägerei darzustellen, welche diese fürchterlichen Folgen gezeitigt habe. Sie bat ich lese die Sätze nur halb vor dieses Urtheil als Handbabe zur Aufreizung der Arbeiter benutzt u. s. w. Auch ein Theil der bürgerlichen Presse hat, durch die sozialdemokratischen Hetzartikel veranlaßt, zu dem Urtheil Stellung genommen u. s. w. Meine Herren, wer dies unbefangen liest, kann der der Meinung sein, daß die soeben verlesenen Sätze im Urtheil gestanden haben? Ich möchte den auffordern, sich zu melden, der das geglaubt baben kann angesichts der That ache, daß von Vorgängen die Rede ist, die sich erst k. Grlaß des ÜUrtheils zugetragen haben. Für so dumm dürfen Sie do unfer Publikam nicht halten. Wenn es Leute geglaubt haben, so sind sie zu dieser falschen Annahme erst durch die sozialdemokratischen eitungen gebracht worden. Es heißt dann weiter im Journal‘: Die auptverhandlung, der sechs Vertheidiger darunter ein bekannter sozial⸗ demokratischer Reichstags. Abgeordneter aus Berlin beiwohnten, nahm drei Tage in Anspruch, sie ergab ein r,, Bild der Vergewaltigungen der Organisierten gegen die Nichtorganisierten. Der Thatoestand 1 im wesentlichen folgender. (Zurufe von Sozial⸗ demokraten. Dieser Thatbestand ist ermittelt worden, wie ich den Herren sagen kann, auf Grund der pflichtgetreuen Angaben, welche übereinstimmend von dem Vorsitzenden des Schwurgericht und dem Vertreter der Staatsanwaltschaft gemacht worden sind. Es gab ja gar keine andere Quelle, um die Wahrheit ju ermitteln, und an wen sollte man sich wenden? Ich bleibe dabei, daß diese Darstellung richtig ist, und daß es dem Herrn Vorredner nicht gelungen ist, auch nur ein Titelchen davon als unrichtig nachzuweisen. Was hat er denn gegen die Richtigkeit vorgebracht? Er hat gesagt, es ist unerwähnt geblieben daß die Angreifer beschimpft worden selen. Ich muß annehmen, da diefer Umstand nicht erwiesen sei; wäre er aber wahr, so würde dies an der ganzen Sachlage gar nichts ändern. Es ist dann gesagt worden, es wäre unerwähnt geblieben, daß der Verletzte, Klemm, kein ganz moralischer oder, wenn ich recht gehört habe, kein beliebter Mann ge⸗ wesen ist. Ja, meine Herren, das mag sein, ich will es zugeben, obwohl ich es nicht weiß; aber der Umstand, daß der Mann nicht beliebt gewesen

eben (stũrmische Unterbrechung bei den Sozialdemokraten. locke des Präsidenten solche Naivetäten an dem armen Ver⸗

ist, konnte er den sozaldemokratischen Arbeitern die Veranlassung

letzten auszuüben sie sind nämlich als Ngivetãten ! geschildert 16 2. daß der Mann beinahe todtgeschlagen, daß er * halbe Stunde lang verfolgt worden ist. Dafür haben ja die Herren soꝛial · demokratischen Abgeordneten natürlich kein Verständniß. Also die Behauptung, daß das „Dresdner Journal. den Leuten etwas Un, wahres vorgetragen habe, ist durchaus aug der Luft gegriffen. Jetzt erst begreife ich, warum die soʒialdemokratischen n . behauptet haben, daß die Darstellung der Anklageschrift entnommen sei; fie haben damit sagen wollen, daß nur die einseitige Darstellung ber Staatzanwaltschaft darin zum Ausdrucke gekommen sei, und nicht auch die Ergebnisse der Beweisaufnahme im Haupt verfahren. Ja wer hat es aber anders auffassen können, wenn im BDretzdner Journal! steht: Die Ergebnisse der Hauptverhandlun waren folgende; ? belanntlich folgt die Hauptverhandlung erst na der Anklageschrift sodaß das Ergebnißh der Hauptverhandlung nicht schon in der Anklageschrift stehen kann. Worüber ich mich aber haupt⸗ . zu beschweren habe, und worüber sich die öffentliche Meinung eschwerte, ist die Art und Weise, wie die soꝛialdemokratische Presse diesen Fall ausgenutzt hat. Unter den Vertheidigern war ein soꝛial. demokratischer Abgeordneter, er hat soeben hier das Wort gehabt, er ist von dem Sachstande ganz genau unterrichtet; als er die Artikel im Vor wärt“ laß, die mit gröhter Emphase behaupteten; hier liegt wieder einmal eine Fälschung des Thatbestandes vor, eine Tänschung der öffentlichen Meinung —, da wäre es melnes Erachtens seine Pflicht gewesen ich glaube, der Weg dieses Herrn zu dem Redatteur des „Vorwärts“ ist nicht zu weit —, zu diesem zu geben und zu fagen: Lieber Freund., Du bast an einem falschen Punkte angesetzt, Du kannst Dich vielleicht beschweren darüber, daß die Oeffentlichkeit ausgeschlossen ist darüber läßt sich = abgesehen von den Verhãält. niffen des konkreten Falles theoretisch strelten. Du 1 daß die Strafen zu hart ind auch darüber läßt sich vom men chlichen Standpunkt aus ein Wort reden aber, wenn Du sagst, daß die Dar- stellung, die da gegeben ist, falsch sei, so wiederholst Du eine grobe Lüge, die Dir aufgebunden worden ist; ich muß es besser wissen, denn ich bin dabei gewesen. Aber dieser Herr hat das nicht für noth⸗ wendig erachtet, er hat die Lägen in die Luft flackern lassen, ohne sie zu widerlegen. Gestatten Sie mir, nur noch das Eine hervorzuheben, ein Zeichen der Zuberlässigkeit der Behauptungen des Herrn Abg. 56 Er hat soeben gesagt, es wären täglich in den Dresdener Blattern ulletins über das Befinden des verletzten Klemm veröffentlicht worden. Davon welß ich nichts. Ich lese doch auch die Dres dener Zeitungen; ich bin ganz erstaunt, das ist das Erste, was ich höre. Das ist, sopiel ich wenigstens aus meiner eigenen Lektüre beurtheilen kann, die volle Un⸗ wahrheit. Nun noch ein Wort. Das, was die Herren da an dem Ürtheil erschreckt, ist, daß der Thatbestand, welcher wahrheitsgetreu veröffentlicht worden ist, ein erschreckendes Schlaglicht auf die Zu⸗ stände wirft, die sich unter der Herrschaft der sozialdemokratischen Verhetzung herausgebildet haben. .

Vize Präsident Schm idt⸗Elberfeld bittet um Ruhe und ersucht die Mitglieder, ihre Plätze einzunebmen. (Zuruf des Abg. Frobme fSoßn j: Frechbeit! Vile Präsident Schmidt ruft den Abg. Frohme wegen dieses Rufes zur Ordnung. (Abg. Fro bmg: Dabti bleibt es.) Vize Präsident Schmidt: Wenn es dabei bleibt, dann werde ich weitere Maßregeln ergreifen. ; ;

Sächstscher Genkral. Staatsanwalt Dr. Rüger. (sortfahrend): Ich war noch nicht ganz fertig., werde aber gleich fertig sein. Und daz, was Ihnen solche Furcht einflößt, ist der Umstand, daß die armen Verfsihrten nun sehen müssen, wie der Einfluß ihrer Verhetzer sie zwar auf Jahre ins Zuchthaus bringen kann, daß aber ihr Einfluß nicht so weit reicht, ibnen die Thüren des Zuchthauses auch nur um eine Viertelstunde eher zu öffnen, als es von Rechts wegen zu geschehen hat. . ö

Äbg. Dr. Oertel. Sachsen (3. kons.). Ob die Kritik richterlicher Urtheile zulässig ist oder nicht, lasse ich dahingestellt. Wir sind in der Kritik begriffen. Ob sie eine Wirkung hat, ist eine andere Frage. Wir können die Urtheilse nicht abändern, wir können auch auf die Richter nicht abschreckend wirken. (Unruhe links, Präsident Graf von Bällest rem bittet um Ruhe.) Die Richter sollen von der sich ändernden Volks meinung nicht abhängig sein. Solche kalten Zurückweisungen wie seitens des Herrn General Staatsanwalts Rüger würden wir öfter von anderen Stellen wünschen. Daß die Sozlaldemokraten vor den sächsischen Gerichten nur Bürger zweiter Klasse sind, wird behauptet. Dagegen muß ich den sãchsischen Richterstand in Schutz nehmen. Ich hätte solche Vorwürfe im Reichstage nicht erwartet. enn die Sosialdemokraten anders be⸗ handelt werden, so liegt das nur an den Sozialdemokraten selbst, die die Grundlage der monarchischen Verfassung nicht anerkennen und sich damit außerhalb der Verfaffung stellen. (Unruhe bei den Sozial demokraten. Präsident Graf von Ballestrem bittet abermals um Ruhe) Früber haben allerdings viele Soꝛialdemoltaten in der . sachsischen Kammer den Eid auf die Verfassung geschworen.

enn die antimonarchischen Grundsätze jetzt deutlicher bervor= freten, fo muß man daraus die logischen Konsequenzen zieben. Die Prügelstrafe, die Herr Stadthagen als mittelalterlich bezeichnet, wollen wir nur für Rohheitsverbrechen. In Danemark und in Eng—= land herrscht die Prügelstrafe noch; die überwiegende Mehrheit des deutschen Volks würde bei viehischen Rohheitsverbrechen für die Prügelstrafe sein. Wenn Sie Jeden, der dieser Meinung ist, „lütgenauen“ wollten, würden Sie bald ziemlich allein stehen. Jeden Vergleich zwischen dem Löbtauer und dem Eislebener Fall muß ich zurückweisen, weil jede eigene Kenntniß beider Fälle dem Reichstage abgeht. Bei der Schwere der Strafthaten sind die Strafen nicht zu hoch bemessen; daß das Verfahren, richtig ver- jaufen ift, daß die Vertheidigung nicht eingeschränkt ist, wird Herr Heine bezeugen müssen. Wir empfinden Mitleid mit den Ver⸗ urtheilten, die durch die Verhetzung zu den Blutthaten aufgereizt sind. Die Thränen der Familien fallen auf diejenigen, die durch die Agitation solche Blutthaten veranlaßt haben. J

Abg. Schmidt⸗Warburg (Zentr.) wendet sich dagegen, daß eine Gatlastung des Reichsgerichts durch die Erhöhung der Revisions⸗ summe geschaffen werden solle.

Ab. Heine (Soß) erwidert auf die von dem sächsischen General- Staatsanwalt Dr. Rüger gegen ihn gerichteten Angriffe und erklärt, die Sozialdemokraten würden in ihrer Kritit fortfahren trotz der Schmähworte der Herren vom Bundesrath.

Präsident Graf von Ballestrem ruft den Redner wegen dieser letzten Worte zur Ordnung.

Mit einer persönlichen Bemerkung des Abg. Stadt— hagen (Soz) schließt darauf die Debatte. .

Das Gehalt des Staatssekretärs wird bewilligt; der Antrag der Abgg. Beckh⸗Coburg (fr. Volksp.) und Genossen wegen der Entschaͤdigung für unschuldig erlittene Untersuchungs⸗ haft wird gegen die Stimmen der Konservativen angenommen.

Um Hi /, Uhr wird die weitere Berathung des Etats bis Freitag 1 Uhr vertagt.

Preußziischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

27. Sitzung vom 238. Februar 1899.

Das Haus setzt die zweite Berathung des Staats⸗ haushalts⸗Etais für 1899 und zwar des Etats des Finanz-Ministeriums in Verbindung mit den Gehalts⸗

aäufbesserungen für die unteren und einzelne miitlere Beamte und den Stellenzulagen fort.

Ueber den Beginn der Debatte ist schon berichtet worden.

Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums, Finanz⸗Minister Dr. von Miquel:

Meine Herren! Die bisherigen Reden veranlassen mich nur zu einigen wenigen Bemerkungen.

Der Herr Abg. Dr. Hahn hat beklagt, daß man zuletzt ange⸗ fangen habe bei den Unterbeamten und deren Gehalts verbesseyung. Die Sache liegt aber gerade umgekehrt. (Sehr richtig ) Wir haben im Jahre 1890 mit den Unterbeamten begonnen, und es war die Ab⸗ sicht, mit den Aufbesserungen ununterbrochen fortzufahren durch die mittleren bis zu den höheren Beamten. Aber diese ununterbrochene Fortführung hat mit Rücksicht auf die Lage der Finanzen nicht stattfinden können; und erst im Jahre 1897 sind wir nun zu den mittleren Beamten übergegangen bezw. zu einem Theil der höheren Beamten. Also die Sache liegt vollständig um⸗ gekehrt, auch nach der Richtung, daß die Gesammterhöhungen, die im Jahre 1890 und jetzt den Unterbeamten zufallen, 2000 ihres bis⸗ herigen Gehalts betragen, während bei den mittleren und höheren Be⸗ amten diese Aufbesserungen nur 100j0 betrugen. Ich glaube, man muß daher doch wohl der Staatsregierung und dem Landtage das Zeugniß geben, daß sie ihre Fürsorge vorzugsweise den Unterbeamten zugewendet haben.

Verschiedentlich ist man auf die Frage der Dienst · wohnungen gekommen. Wie die Staatsregierung über diese Frage denkt, geht am besten aus der Vorlage hervor, welche nicht weniger als jwei Millionen für eine einzelne, allerdings besonders exponierte Beamtenklasse verwenden will nur dazu, um neue Dienstwohnungen herzustellen. Auch bisher sind namentlich für die Gendarmen auf dem Lande schon sehr bedeutende Summen nach und nach für die Verbesserung von Dienstwohnungen verwendet worden. Es ist dies gar nichts Neues, sondern fast jedes Jahr sind solche Dienstwohnungen gebaut. Ich persoönlich stehe ganz auf dem Standpunkt, daß, wenn die Mittel es irgend gestatten, man diese zur Herstellung von solchen Dienstwohnungen an den besonders dazu geeigneten Orten, wo besonderer Mangel an einigermaßen brauchbaren Wohnungen ist, oder die Wohnung sehr schlecht oder sehr theuer ist —, daß man da in einem etwas verstärkten Tempo ins⸗ besondere für die Gendarmen mit der Herstellung von solchen Wohnungen vorgehen muß. (Bravo) Und ich bleibe dabei: das ist eigentlich der wunde Punkt; wenn man ihn heilt, hat man mehr gethan, als wenn man 100 4 Zulage mehr oder weniger giebt. (Sehr richtig!)

Meine Herren, es wird aber doch in Bezug auf die Gendarmen die Sache etwas düster aufgefaßt, als wenn sie in der letzten Zeit besonders schlecht behandelt würden. Aber auch hier ist gerade das Gegentheil richtig. Die Gendarmen sind vom Jahre 1890 bis jetzt in ihren Bezügen um 333 0so aufgebessert worden. (Hört! hört! Das geht weit über die Aufbesserung aller übrigen Beamtenklassen in der Unterbeamtenschaft hinaus. Die Gen⸗ darmen haben im Jahre 1890 eine Gehaltsaufbesserung von 7 og, durch einen Nachtrags Etat in demselben Jahre noch weiter eine solche von 15 0/!0 erhalten, und jetzt erfahren sie wieder eine Auf⸗ besserung von 77 o,; das bedeutet also eine Gesammterhöhung von 333509. Nun sind aber die Gendarmen bei dem jetzigen Gebalts⸗ satz von 1200 bis 1600 4A keineswegs darauf allein angewiesen; es kommt da der Wohnungsgeldzuschuß hinzu, es kommen namentlich die bisher schon gewährten und in Zukunft noch weiter ju vermehrenden Stellenzulagen in Betracht. Jetzt beziehen schon 370 Gendarmen je 150 M als Stellenzulage, und in Zukunft werden die Gendarmen aus dem allgemeinen Stellenzulagefonds un⸗ zweifelhaft auch bedacht werden. Außerdem beziehen die berittenen Gendarmen ein Remontegeld von 150 6, und die im Bureau⸗ dienst arbeitenden Gendarmen erhalten eine Dienstaufwandsentschã · digung von 180 Also von einer schlechteren Stellung der Gendarmen im Vergleich zu den übrigen Beamten kann gar nicht die Rede sein. Auch der Herr Ressort . Minister, der Herr Minister des Innern, bat aus drücklich erklart, daß die in Zakunft gewährten Ge⸗ baltssätze in keiner Weise ein Herabgeben der Tüchtigkeit des Gendarmerie · Forps bedingen würden.

Meine Herren, wir alle ich glaube, das ganze Haus er—⸗ kennen wohl an, welche Bedeutung ein tüchtiges Gendarmerie⸗Korps für den Staat bat. Aber die Gründe, die ich entwickelt habe, daß eine einseitige weitere Erhöhung der Gendarmerie in dieser Vorlage ausgeschlossen sei, weil das eine Rückwirkung auf etwa 20 000 Beamte baben würde, die in ihren Bezügen den Gendarmen immer gleich gestanden baben, sind so durchschlagend, daß die Staats⸗ regierung gegenwärtig auf eine Aenderung der Gehalts sãtze der Gendarmen garnicht eingehen kann. Daz ganze Gehalts⸗ aufbesserungswerk ist ein Resultat gar lange dauernder, schwieriger Verhandlungen mit allen Ressorts des Staats. Die bisherige Be⸗ rathung hier im Hause hat auch bewiesen, daß im Großen und Ganzen das ganze System, das in vieler Beziehung eine künstliche Ineinander⸗ schachtelung der verschiedenartigsten Verhältnisse der Unterbeamten in den verschiedensten Ressorts darstellt, in wesentlichen Punkten nicht unter⸗ brochen werden kann, ohne das Ganze in Gefahr zu bringen. Wir würden, wenn wir an einer Stelle einseitig aus einer gewissen Vor⸗ liebe für eine Klasse aufbessern wollten, noch größere Unzufriedenheit in andere Klassen werfen, die dieser bevorzugten Klasse bisher gleich gestanden haben. Daraus folgt, daß man das Werk als ein Ganzes betrachten muß. Es würde auch, wenn gar keine Berathung mit dem Landtage stattfände, und wenn wir jetzt in der Regierungsinstanz wieder eine Aenderung vornehmen wollten, ebenso gut das Ganze in Frage stellen. Denn als die Frage wegen der Gendarmerie auftauchte, meldete sofort der Herr Minister der öffentlichen Arbelten für den Fall der Aufbesserung dieser Ge⸗ haltssätze Nachforderungen für etwa 14 000 Beamte an. Ich freue mich daher, daß die Herren gute Wünsche, die ich vollständig theile, für die Gendarmerle aussprechen, aber auf Anträge in dieser Beziehung verzichtet haben. (Heiterkeit Ich bin den verehrten Herren dafür sehr dankbar.

Der Hert Abg. Dr. Hahn hat gemeint, die Staatgzregierung müsse nicht bloß für Staatsbeamte, sondern auch für sonstige, namentlich Privatbeamte mehr thun, als bisher geschehen sei. Was die Kommunal⸗ beamten betrifft, so liegt jetzt ein Gesetz vor, welchetz die Lage dieser Beamtenklasse in viel höherem Maße sichert, als es bisher der Fall war, und namentlich auch die Regelung der Wittwen⸗ und Waisenpension und der Pension der Beamten selbst in gleicher Weise vornimmt, wie dies bereits bei den Staatsbeamten besteht. Was nun die Privatbeamten angeht, so meint Herr Dr. Hahn jedenfalls diejenigen Personen, die in großen Etablissements, sei es kaufmãnnischer oder produktiver Art, fungleren. Er war der Ansicht, daß für diese mehr geschehen müsse, weil die Reichs versicherungegesetze auf sie keine

Anwendung finden. Meine Herren, das ist eine Frage, die im Reich

gelöst werden muß und nicht in den Einzelstaaten gelöst werden kann. Ich erkenne aber das Bedürfniß für diese Klasse an, und ich würde es im höchsten Grade für erwünscht halten, wenn in dieser Be ziehung die sozialpolitische Gesetzgebung eine weitere Entwickelung finden könnte, die aber anderer Art sein müßte, wie ich glaube, das will ich nur beiläufig bemerken als für die bisherigen Kategorien, die unter die Versicherungsgesetze gestellt sind.

Das ist wohl alles, was wesentlich in Betracht kam, und ich kann nur wiederholen, daß sich die guten Wünsche, die hier jetzt schon wieder für einzelne Beamtenkategorien laut werden, wenn wir nun⸗ mehr zum Abschluß gekommen sind, nicht unaufhörlich jedes Jahr von der einen oder anderen wohlwollenden, milden und gütigen Gesinnung hier wieder vorgetragen werden. Denn Sie müssen immer bedenken, welche Rückwirkung solche Reden auf die betreffenden Beamten ge⸗ winnen. Das kann keiner besser beurtheilen als ich; denn ich bekomme keine Petition, mag sie noch so unbegründet sein, welche sich nicht beruft auf irgend eine Aeußerung eines Abgeordneten hier im hohen Hause, aus der man dann entnimmt, daß das ganze Haus dahinter steht und daß die Staatsregierung allein den betreffenden Beamten nicht gerecht werden wolle. Das ist ein sehr bedenklicher Zustand in der Gemüthestimmung der Beamten, der dadurch hervorgerufen wird. Abg. Dr. Hahn (B. d. L) meint, daß die Lage der Gendarmen nicht fo rosig seä, wie sie der Finanz Minister darstelle. Das beweise das häufige Ausscheiden der Gendarmen aus ihrer Stellung. Das Großkapital und die Privatindustrie seien durch die Gesetzgebung so bevorzugt, daß sie auch für ihre Beamten mehr thun könnten. Vize⸗Präsident des Staate⸗Ministeriums, Finanz⸗Minister Dr. von Miquel:

Ich möchte nur noch eine Frage des Herrn Dr. Hahn beant- worten. Er theilte uns mit, daß in der Gendarmerie darüber erheb⸗ liche Klagen beständen, daß die Gehaltsbezüge in den einzelnen Brigadebezirken so ungleich wären. Das ist vollkommen zutreffenn, und der Grund liegt darin, daß bisher das System der Dienstalterszulagen, das regelmäßige gleiche Aufrücken in der Monarchie bei den Gendarmen noch nicht durchgeführt ist. Bis dahin hat der Chef der Gendarmerie Bedenken dagegen getragen, aber ich höre, daß in dieser Beziehung neue Erwägungen ein— geleitet sind im Ministerium des Innern, und es ist sehr möglich, daß durch die Einführung des Dienstalterszulagensystems diese Ungleich⸗ heit, die früher in allen Ressorts und in allen Kategorien der Staats- beamten vorhanden war, auch bei der Gendarmerie sich von selbst erledigt.

Abg. Schmi dt-⸗Warburg (Zentr.): Wollten wir hier schweigen, so würde das auf die 111 000 Beamten eine sehr schlimme Wirkung haben. Die Beamten würden sagen: Das Abgeordnetenhaus hat für uns nicht dasfelbe Herz wie der Reichstag.

Abg. von Bornstedt (kons.) bemerkt, daß die Gendarmen sich nach der Eikläͤrung des Finanz⸗Ministers über die Dienstwohnungen einigermaßen zufrieden fühlen könnten.

Abg. Hausmann (nl) will auf einen besonderen Antrag zu Gunsten der Gendarmen verzichten, spricht aber die Erwartung aus, daß ihnen wenigstens ein Dienstzimmer zur Verfügung gestellt werde.

Nach einer weiteren re, , des Abg. Dr. Hahn wird die allgemeine Besprechung geschlossen.

In der Einzelerörterung werden zunächst dem Antrage der Kommission gemäß die Gehälter der Ob er⸗Wachtmeister der Landgendarmerie vom 1. April 1899 ab auf 16500 bis 2000 „S6, durchschnittlich 1750 S6, erhöht, nachdem der

Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums, Finanz⸗Minister Dr. von Miquel erklärt hat:

Meine Herren! Im muß anerkennen, daß eine Aenderung dieser Position, wodurch der Maximalgehalt in Zukunft nicht 1800 4 sondern 2000 M mit einem Durchschnitt von 1750 M sein soll, Konsequenzen auf andere Beamtenkategorien kaum haben wird. Das Hauptbedenken untern anderm war ja bei der Gendarmerie die Rück⸗ wirkung auf eine zahlreiche andere Beamtenschaft, und das tritt in diesem Falle wohl nicht ein. Andererseits kann die Staatsregierung auch nicht anerkennen, daß ihr Vorschlag ein ungenügender für die Verhältnisse der Ober ⸗Wachtmeister war. Letztere sind auch schon im Jahre 1890/‚91 um 10 0j aufgebessert worden und würden jetzt nun nach diesem Vorschlage um 6 Yo aufgebessert werden. Der Mehr bedarf, der durch die Annahme des Antrages entstehen würde, beträgt 42 000 4, ist also finanziell allerdings auch nicht von entscheidender Bedeutung. Wenn daher im hohen Hause sehr entschiedene Wünsche für diese beantragte Erhöhung vorhanden sein würden, so würde die Staatsregierung in dieser Beziehung keinen Widerstand leisten (Bravo h, weil, wie gesagt, Konsequenzen bedenklicher Art für die ganze Vorlage aus einer solchen Erhöhung nicht hervorgehen.

Meine Herren, ganz gelegen kommt mir der Antrag allerdings nicht, weil ich der Meinung bin, daß wir wohl zu einer nicht un erheblichen Erhöhung der Zahl der Ober ⸗Wachtmeister übergehen müssen. Die Bezirke sind jetzt recht groß, mannigfach nach meiner Meinung für die genügende Beaufsichtigung der Gen⸗ darmerie zu groß (sehr richtig! rechts), und es würde dadurch von selbst eine Verbesserung des Avancements eintreten. Aber, wie gesagt, von entscheidender Bedeutung ist die Sache nicht; ich will in dieser Beziehung abwarten, wie das hohe Haus sich zu dem Antrage stellt. Wird er angenommen, so wird dadurch die Vorlage selbst nicht ge⸗ fährdet werden. (Bravo

Bei den Gehaltsaufbesserungen für die Beamten der

Eisenbahnverwaltung will

Abg. Pleß (Zentr) eine Gehaltsaufbesserung für die Eisenbahn— Telegraphisten nach Lage der Verbältnisse nicht beantragen, falls auch die ubrigen Redner auf weitere Wünsche verzichten.

Abg. Reichardt (nl) empfiehlt der Regierung, den älteren gisen k ln: ier bisten Stellenzulagen zu gewähren.

Abg. von Knapp (nl.) bedauert, daß man die Eisenbahn—⸗ Telegraphisten nicht den Reichs. Telegraphisten gleichstellen wolle. Der e nn go eld n n für die Eisenbahn-Telegraphistinnen solle erhöht werden.

Abg. Freiherr von Eynatten (Zentr.) hätte gewünscht, daß man diese Beamten wenigstens in die zweite Subalternklasse versetzt hätte. Er werde sich der berechtigten Interessen der Telegraphisten auch in Zukunft annehmen.

Äbg. Pr. Lotichius (ul.) weist darauf hin, daß eg durch den Erlaß einer Eisenbahn. Direktion auch den qualifinierten Telegraphisten unmöglich gemacht worden sei, zum Subalierndienst zu gelangen.

Ei Regierungskommissar bemerkt, daß, wenn ein solcher Erlaß wirklich ergangen sei, er den bestehenden Dienstvorschriften widerspräche. Die Telegraphisten könnten sich jederzeit ohne Auf forderung zur Prüfung melden.

Abg. von Knapp erinnert daran, daß die Kölner Direktion die Telegraphisten geradezu abgeschreckt babe, sich zum Examen der Station ⸗Assistenten zu melden.

Ein Regierungtztommissar betont, daß in diesem Direktion.

bezirk ein Bedürfniß nach weiteren etatsmäͤßigen Stationtz / Assistenten