1899 / 57 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 07 Mar 1899 18:00:01 GMT) scan diff

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ich entsinne mich allerdings nicht, ob der Herr Referent es Ihnen eben vorgetragen hat —: was im Gesetz von 1895 geschaffen ist, das bat der Reichstag von jeher nur als eine Abschlagszahlung betrachtet. Meine Herren, davon ist mir aus den Vexhandlungen von 1895 nichts bekannt. Der Reichstag hat das Gesetz so, wie es steht, gut geheißen; sollen die verbündeten Regierungen, wenn kaum ein Gesetz ver⸗ abschiedet worden ist, sofort nach Mitteln und Wegen sinnen, die Zwecke des Gesetzes noch zu erweitern?

Nun, meine Herren, hat sich des weiteren gezeigt, daß, wenn die gegenwärtig bewilligten Veteranenbeihilfen zu Kapital gerechnet werden, sie allerdings die Zinsen dieses Bilanzrestes von 69 Millionen nicht unerheblich übersteigen, daß sie aber das ganze Kapital noch nicht aufzehren. Nach Berechnungen, die hierüber im vorigen Jahre angestellt sind, würde bei allmählicher Aufzehrung dieses Bilanzrestes ein letzter Rest von rund 16 Millionen Mark bleiben. Es ist jetzt für die verbündeten Regierungen ein Gesetz in Vorbereitung, welches auch diesen Aktivrest in allmählicher Aufzehrung für verschiedene, dem Invalidenfonds zugewiesene Zwecke verwenden will. Die Einzelheiten dieses in Vorbereitung befindlichen Gesetzes kann ich noch nicht eingehend darlegen, weil das Gesetz den Bundesrath noch nicht passiert hat. Ich kann aber erwähnen, daß ein wesentlicher Theil dieses Gesetzes die Fürsorge für die Kriegs— wittwen sein wird.

Nun, meine Herren, wenn ich sonach den Vorwurf entkräftet habe, daß die Regierung weniger gethan hätte, als das Gesetz von 1895 seinem tiefsten Sinne nach gewollt hat, so komme ich jetzt zu dem zweiten Verwurf, nämlich dem Vorwurf der Kleinlichkeit. Dieser Vorwurf ist seitens des Herrn Referenten, wenn ich nicht irre, hier auch ausgesprochen worden, jedenfalls seitens des Grafen Oriola. Es wurde gesagt: 20 000 Veteranen erhalten die Beihilfe, 6000 erhalten sie nicht, diese 6000 erfordern einen Jahresbeitrag von 720 000 M6, und diese kleine Summe sollte doch leicht hergegeben werden können! Meine Herren, bierin liegt ein fundamentaler Irrthum: es handelt sich nicht um 6000 6000 war die Ziffer vom Dezember 1896 —, die Ziffer vom Dezember 1898 ist 15 000. Es ist also die Gesammt⸗ zahl der als Anwärter anerkannten Veteranen, die im Dezember 1896 26145 Köpfe betrug, bis zum Dezember 1898 trotz der inzwischen erfolgten Abgänge, die immerhin einige Tausend betragen haben werden, auf 35268 Köpfe gestiegen. Es würde sich also für jetzt nicht um die 720 000 Æ handeln, sondern um rund 1800000

Das Durchschnittsalter dieser Veteranen ist aktenmäßig nicht genau bekannt, weil es keine Zentralstelle giebt, bei der die einzelnen Anmeldungen eingetragen und gesichtet worden sind. Es läßt sich aber mit ziemlicher Sicherheit ermessen aus dem in der Verwaltung des Reichs ⸗Invalidenfonds bekannten Durchschnittsalter der Pensionäre. Es muß angenommen werden, daß die jetzigen Veteranen während der Feldzüge durchschnittlich in demselben Alter gestanden haben wie die seiner Zeit verwundeten; dieses Alter, schätzungsweise, aber wabrscheinlich ziemlich genau geschätzt, beträgt 55 Jahre. Das ist das Lebensjahr, wo erfahrungsgemäß die Arbeitsunfähigkeit mit jedem kommenden Jahr einen größeren Prozent⸗ satz ergreift. Wenn wir also von 1896 bis 1898 eine Steigerung von 26 000 bis 35 000 gehabt haben, so läßt sich mit Sicherheit vor⸗ aussetzen, daß für die nächsten 10 Jahre jedes Jahr trotz aller Ab⸗ gänge, trotz aller Heimfälle eine weitere Steigerung von mehreren Tausenden zeigen wird, sodaß, wenn auch die Ziffer von 50 Millionen an Veteranenbeihilfen, die übrigens in der Kommission nie als eine bestimmte Zahl angegeben worden ist der Herr Graf Oriola hat entweder in der Kommission falsch verstanden, oder er hat in un⸗ deutlicher Weise hier wiedergegeben, was in der Kommisston gesagt worden war —, wenn auch die Ziffer von 50 Millionen Mark nicht erreicht werden wird, so würde ich doch sicher sein, daß mit der letzt⸗ genannten Summe von nahezu zwei Millionen es nicht entfernt abgethan sein wird, daß die Summe von Jahr zu Jahr steigen wird, etwa nech 10 bis 12 Jahre, um sich dann noch einige Jahre auf dem Niveau zu halten.

Meine Herren, Mitleid ist nicht die Eigenschaft einer Korporation oder Bebörde, sondern die Eigenschaft eines Menschen. Daß nun seitens sämmtlicher Personen, die am Werke der verbündeten Regie⸗ rungen mitarbeiten, den Veteranen aus den glorreichen Kriegen eine warme Theilnahme entgegengebracht wird, das, meine Herren, dürfen und werden Sie nicht bezweifeln. Ganz anders stellt sich aber die Frage, wenn sie auf das Terrain hinübergespielt wird, auf welches der Herr Vorredner des weiteren einging. Der Herr Vorredner sagte, nach seiner Ansicht hätten die Veteranen überhaupt nie auf den In—⸗ validenfonds übernommen werden dürfen, sie hätten von vornherein ihre Ansprüche aus allgemeinen Reichsmitteln befriedigt sehen sollen. Das ist ein gänzlich anderes Terrain, das ist kein Invalidenfondt mehr, sondern das ist allgemein menschliche Fürsorge. Ich kann Ihnen heute nicht sagen, ob bei dieser gänzlich veränderten Sachlage die verbündeten Regierungen gewillt sein werden, diesen Weg zu betreten und in den Etat ein gänzlich neues Kapitel einzufügen denn es würde ein neues Kapitel sein, es ist weder ein Pensiong« fonds, nech ein Invalidenfonds, es ist ein ganz neuer Fonds für Veteranenfürsorge. Ich kann Ihnen nur sagen, meine Herren, daß bei der Königlich preußischen Regierung eine Geneigtheit dazu nicht besteht.

Abg. von Kardorff (Rp.): Die Parlamente sellten nicht die Ausgaben ihrerseits erhöhen. Vielleicht wären wir bei den alten

arlamentarischen Grundsätzen geblieben, wenn seitens der verbündeten

egierungen eine energischerẽ Stellungnahme erfolgt wäre. Jetzt bat sich ezeigt, daß von allen Seiten des r ng, Anforderungen nach der her ng gestellt werden, für die Veteranen Fürsorge zu treffen. Es war vielleicht ein Febler, den besonderen Reichs Invalidenfonds zu schaffen. Wenn derselbe jetzt nicht mehr ausreicht, den an ihn gestellten Forderungen gerecht zu werden, dann können wir ihn vielleicht durch eine Änleihe auf die entsprechende Höhe bringen. Eine bedenkliche Seite hat der Antrag der Komnission; es handelt sich dabei um eine Entlastung der Armenverbände, die man nicht ohne weitereg herbeiführen sollte. Bei Feststellung der In= validität ist man nicht immer gleichmäßig verfahren; manche Behörden sind dabei sehr mildherzig verfahren. Ich stimme mit dem überein, was Graf Oriola vorgetragen hat, und kann ebenfalls nur um An nahme der Resolution bitten, wenn sie auch nicht ganz so erfüllt wird, wie wir es wünschen.

Abg. Graf von Roon (d. kons.) erklärt sich namens seiner . auch für die vorgelegten Resolutionen und schließt sich den us führungen des Grafen Oriola im Allgemeinen an. Das Reich sollte den von ihm angestellten Invaliden ihre Pension nicht entziehen; es schädige sich selbst dadurch, wenn die besseren Elemente der In⸗ validen sich an die Kommunen wenden müßten, um ihre Pension zu

behalten. Der Invalidenfonds hätte nur für die Invaliden reserviert werden sollen; es sei ein Febler gewesen, die Veteranen auf diesen Fonds anzuweisen. Seine Partei sei bereit, aus anderweitigen Reichs mitteln den hilfsbedürftigen und erwerbsunfähigen Veteranen Unter- , zu gewähren.

Abg. Werner (Reformp.): Alle Parteien sind damit einver⸗ standen, daß für die Veteranen gesorgt werden muß. Alljährlich werden neue Ausgaben für das Milstär beantragt, aber für die Veteranen hat man kein Geld. Hätte die Militärverwaltung die Sache allein zu ordnen, so wäre sie wahrscheinlich schon längst damit fertig geworden. Wir wissen recht wohl, daß der Finanz⸗Minister von Miquel dafür nicht zu haben ist. Ob 1 800 006 0 oder 3 00 000 A erforderlich sind, kommt bei diesem Zweck garnicht in Betracht, denn es handest sich um die Abtragung einer Ehrenschuld, deren Nichterfüllung des Deutschen Reichs unwürdig wäre. Das Vorgehen gegen den Leipziger Veteranenverein halte ich nicht für gerechtfertigt.

Abg. Dr. Schädler (Zentr) erklärt, er halte es für dringend nothwendig, das ganze Invalidenwesen auf eine neue gesetzliche Grund. lage zu stellen, wie es die Resolutionen beantragen. Die Berechtigung der Ansprüche der Veteranen werde anerkannt, aber zur Erfüllung 53 fehle es an den nöthigen Mitteln, während es für andere Dinge niemals an Mitteln mangele.

Abg. von Staudy (d. kons.) bestreitet, daß die Zabl der Veteranen, die Anspruch auf Unterstützung erheben, sich in den nächsten Jahren noch erbeblich vergrößern uͤnd daß die preußische Regierung für eine solche Ausgabe nicht zu haben sein werde.

Abg. Sin ger (So) führt aus, seine Partei habe bereits im Jahre 1895 so weit gehen wollen, wie die Resolution jetzt vorschlage; sie habe nicht nur den Reichs⸗Invalidenfonds, sondern weitere Mittel des Reichs in Anspruch nehmen wollen.

Abg. Dr. St ockm ann (Rp. erklärt, er schließe sich in allen Punkten den Vorrednern an, welche die Resolution so warm empfohlen hätten. Redner weist auf die Allerhöchste Botsckaft vom 22. März 1897 hin, ö davon die Rede sei, daß für die Veteranen gesorgt werden müsse.

Abg. Schrempf (d. kons.) tritt ebenfalls für die Resolution ein und bedauert, daß die Regierung sich in dieser Frage so sehr drängen lasse.

Abg. Prinz zu Schönaich Carolath (nl): Ich will keine Vor⸗ würfe erheben. Es ist aber zu hoffen, daß die hier herrschenden, veralteten Anschauungen schließlich überwunden werden, nachdem der Reichstag so energisch nochmals seine Wünsche ausgedrückt hat. Den Leuten, welchen es gleich nach Beendigung des Krieges schwer war, Kriegsbeschädigungen nachzuweisen, ist es heute noch viel schwerer. Man sollte in dieser Be⸗ ziehung eine größere Lat tüde lassen und die Unterstützung gewähren, aus welchem Fonds, ist gleichgültig; die Mittel dafür müsfen beschafft werden, damit die Streiter in einem zukünftigen Kriege die Sicherheit vor Augen sehen, daß für ihre Hinterbliebenen hinreichend gesorgt wird. 6 empfiehlt schließlich auch eine bessere Fürsorge für die bei Landwehrübungen invalide werdenden Militärpflichtigen.

Abg. Beck h- Coburg (fr. Volkep.) erklärt sich namens seiner Fraktion für die Resolution und schließt sich ausdrücklich den Aus. führungen aller Vorredner an.

Der Etat wird bewilligt und die Resolution unter Beifall des Hauses einstimmig angenommen. .

Schluß: nach 5is. Uhr. Nächste Sitzung Dienstag

1 Uhr (Hypothekenbankgesetz, Gesetzentwurf, betreffend Aende⸗ rungen und Ergänzungen des Strafgesetzbuchs).

Prenszischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 36. Sitzung vom 6. März 1899. Eingegangen ist eine Denkschrift, betreffend die Errichtung einer Technischen Hochschule in Danzig. Das Haus setzt die zweite Berathung des Staats— haushalts-Etats für 1899 bei dem Etat der Handels-

und Gewerbeverwaltung fort. Bei dem Ausgabetitel Gehalt des Ministers“ bringt

Abg. Gamp lfr. kons) die Geschäftsfübrung der Hyvpo⸗ thekenbanken zur Sprache und führt aus: Die Hypothekenbanken, welche sich den preußischen Normativbestimmungen nicht unterwerfen wollten, haben ihren Sitz in andere Bundesstaaten verlegt und machen von dort aus in mehr oder minder großem Umfange Geschäfte. Seit 1895 und 1896 besteben solche Banken in Greiz, Strelitz und Dessau. Die Strelitzer Bank ist weiter nichts als ein Ableger der Pommerschen Hypothekenbank. Auf diese Weise ist dem Gesetz ein Schnippchen geschlagen worden. Daß dies auch an maßgebender Stelle gefühlt wird, geht daraus hervor, daß die Berliner Börse, die Zulassung dieser Banken abgelehnt hat. Formell ist die mecklenbärgische Bank iwar von der pommerschen etrennt, faktisch ist es aber beim Alten geblieben. Das neue Hypotheken- . ändert an diesen Verhältnissen wenig; denn es sollen diejenigen Staaten die Aufsicht führen, in deren Bezirk die Bank gelegen ist. Die Regierung sollte die Banken veranlassen, ihren Sitz dorthin zu legen, wo sie ibre Geschäfte machen, also nach Preußen. Der Handels ⸗Minister sollte sich in dieser Sache mit dem Landwirthschafts-Minister in Verbindung setzen, der sich bisher vergeblich nach dieser Richtung be⸗ müht hat. Vie Geld, und Kreditverhältnisse sind im letzten Jahre in Preußen sehr schwierig gewesen. Die Frage ist im Reichstage schon eroͤrtert worden, und der Reichsbank Präsident hat betont, der hohe Reichsbankdiskont känne nicht künstlich reguliert werden, er sei beeinflußt durch die gute Lage der Jadustrie. Ich meine, daß unsere Erwerbsthätigkeit durch den bohen Diekont geschädigt ist, namentlich die Landwirthschaft und die Industrie; insbesondere ist die Textil industrie in einer schwierigen Lage, und ihr ist es nicht gleichgültig, ob wir einen Diskont von 3 oder 6 „o baben. Manche Geschäfte müssen ibren Betrieb einschtänken, da sie keinen Kredit, bekommen. Es darf nicht mit Rücksicht auf die äußere Politik dem Auslande billiges Geld verschafft werden auf Koften unserer inländischen Gewerbe. Ich erinnere nur an die bulgarische und die chinesische Anleihe. Bei Abschluß derselben wurden Versprechungen gemacht, nach denen die deutsche Industrie einen Vortheil haben sollte. Man hat aber wenig von chinesischen Bestellungen in Deutschland gehört. Der Ziasfuß sür Realkredit beginnt schon jetzt jzu steigen zum Schaden der Land wirthschaft. Die süddeutschen Banken sind in der Lage, durch ihre Zeitelbanken billigeren Kredit zu geben, als die Reichsbank. Ich möchte den Minister bitten, eine engere Füblung mit der Reichsbank nach der Richtung zu suchen, daß ausländische Anleihen nur zugelassen werden, wenn eine Garantie dafür geboten ist, daß die Geldmittel im Inlande ausreichen. ö

Abg. Dr. Barth (fr. Vgg): Derartige Ausführungen gehören mehr in den Reichttag. Auch ich wünschte, daß der Reichs bankdiskont niedriger wäre. Der Vorredner hat uns aber auch nicht einen einzigen Weg gezeigt, auf welchem das Ziel einer Ermäßigung erreichbar wäre. Der hohe Diskont ist hewworgegangen aus der Nach- frage nach Geld von seiten der Industrie. Diese Entwickelung der Industrie künstlich zu gefährden, wäre im höchsten Grade be—⸗ denklich. Der hohe Zinsfuß wirkt einer Ueberproduktion. einer Ueberspekulation entgegen, und das ist ein ganz gesunder Zustand. Die Regierung würde nicht gut thun, wenn sie sich in die Zu⸗ lassung der ausländischen Anleihen mischen wollte. Ich erinnere an die Einmischun des Fürsten Bismarck in die Zulassung der russischen Wrklibe. Die deutschen Kapitalisten haben infolge dieser Einmischung ihre russischen Papiere abgestoßen und sich italienischen Papieren zugewendet. Dadurch gingen Hunderte von Millionen ver⸗ loren. Die Zulassung der argentiniscken Anleihe hat gleich falls gezeigt, daß die Regierung nicht im stande ist, einen wirklich guten Rath zu geben. Auch das Auswärtige Amt sollte sich nicht um solche Dinge bekümmern, auch nicht in Verbindung mit

dem Handels⸗ oder dem Landwirthschafts⸗Ministerium. Ob es sich

bieber schon te . en ic igt; jcwensallb wärze e ig,

genutzt haben. D warne ich die Regierung davor, in den asten

ebler zu verfallen. Wer würde ,. wenn wir die auslãndischen

nleihen von den Börsen fernhielten? Sie würden in anderen Staaten angelegt, und das deutsche Kapital könnte sich nach wie vor an diesen Anleihen ö Wie viele Hunderte von Millionen deutschen Kapitals sind nicht in amerikanischen Eisenbabnpapieren angelegt. Es wäre nicht gut, wenn die deutschen Emisstonsinftitute

ch von den ausländischen Anleihen zurückbielten. Diese großen Banken verstehen doch ihr Geschäft am beften, und sie würden keine Emission auflegen, wenn sie sich davon kein Geschäft ver⸗ sprächen. Redner bringt dann zur Berliner Buchdruckerinnung veranlaßt werden solle, ich in eine Zwangsinnung zu verwandeln, und führt aus: Die Geschäfteleute sind auf die betreffende Anordnung des Ober- Praͤsidenten nicht gefaßt gewesen. 223 Buchdrucker haben gegen. die Begründung einer Zwangsinnung beim Handels. Minister petitioniert. Die großen Betriebe, wie die WVossische Zeitung“, das Mosse'sche und Tas Scherl sche Unternehmen, sind gar keine Handwerksbetriebe, sondern Fabrikbetriebe, die den Bestimmungen der Gewerbeordnung über die Großbetriebe unter liegen. Nach dem Statutenentwurf der Zwangeinnungen können aber diese Betriebe nicht ausgeschlossen werden, wenn auch eine Aenderun der Statuten zu Gunften dieser Betriebe zu erwarten ist. Aber au die anderen Betriebe haben das größte Interesse daran, in diese Zwangg⸗ innung nicht hineinzukommen; denn es wird dadurch ihre Freiheit be⸗ schränkt, namentlich in Bezug auf den geschäftlichen Verkehr der Druckereien mit ihren Kunden. Die kleineren und mittleren Betriebe würden bon den großen Betrieben aufs Aeußerste geschädigt werden, wenn diese in der Innung die Geschäftsbedingungen vorschrieben. Die Verfügung des Ober Präsidenten oll schon im Mai in Wirksamkeit treten. Ich habe zum Handels⸗Minister das Vertrauen, daß er es dazu nicht kommen läßt. Es wäre eine Versündigung gegen die großen Buch— druckereien, wenn man diese zu kleinen handwerksmäßigen Betrieben herabdrücken wollte.

Minister für Handel und Gewerbe Brefeld:

Meine Herren! Ich werde mir gestatten, zunächst auf den letzten von dem Herrn Vorredner berührten Punkt einzugehen. Es ist richtig, daß die hiesige Buchdrucker Innung beschlossen hat, sich in eine Zwangs⸗Innung umzuwandeln, und daß gegen diesen Beschluß Be— schwerde erhoben worden ist seitens der hiesigen Buchdrucker mit Rücksicht darauf, daß dieser Beschluß nicht ordnungsmäßig zu stande gekommen sei. Ich habe meinerseitsz von dem Ober Präsidenten Bericht erfordert darüber insbesondere, ob der Beschluß auf ordnungs⸗ mäßige Weise zu stande gekommen sei. Der Bericht ist noch nicht eingegangen, die Entscheidung also noch nicht ergangen. Aus diesem Grunde mrß ich mir auch jegliche Erklärung über diesen Punkt vor- behalten. Ich bin nicht in der Lage, jetzt schon meine Meinuag aus—⸗ zusprechen.

Was die Frage anbetrifft, die zwischen dem ersten Herrn Vor⸗ redner und dem Herrn Abg. Dr. Barth erörtert worden ist, so werden Sie wohl nicht von mir erwarten, daß ich bier in eine nähere Prüfung der Frage eintrete, worin denn die Ursachen unseres hohen Diskonts zu finden sind, und welche Bedeutung demselben beizumessen ist; ich überlasse es den beiden Herren Vorrednern, sich in der Be⸗ ziehung über ihre entgegenstehenden Auffassungen zu begleichen. Für mich kann es sich nur um die Frage handeln, die von Herrn Gamp angeregt ist, ob ein Anlaß vorliegt, in der dermaligen Stellung der Regierung zur Frage der Zulassung der Pfandbriefe und der aus- ländischen Papiere zum Verkehr an der Börse eine Aenderung ein⸗ treten zu lassen. Nun ist ja die Stellung der Regierung in dieser Frage festgelegt durch die Bestimmungen des § 36 des Börsengesetzes; da ist ausgesprochen worden, daß die Zulassungsstelle die Aufgabe und die Pflicht haben soll, Emissionen nicht zuzulassen, durch welche er⸗ hebliche allgemeine Interessen geschädigt werden, oder welche offenbar zu einer Uebervortheilung des Publikums führen. Diese Ver— pflichtung ist also der Zulassungsstelle auferlegt worden, und die Zulassungsstelle steht, wie überhaupt die ganze Börse, unter der Aufsicht des Handels Ministers. Thatsächlich ist also auch der Handels Minister berechtigt und befugt, darüber zu wachen, daß diese Verpflichtung von den Zulassungsstellen nicht außer acht gelassen wird. Dies könnte in doppelter Weise gescheben. Zunächst würde der Handels, Minister in der Lage sein, in der Börsen⸗ ordnung eine Vorschrift dahin zu treffen, daß gegen die Entscheidung der Zulassungsstelle die Berufung an den Handels Minister zulässig sei, Eine solche Vorschrift ist nicht getroffen, und zwar deshalb nicht. weil dadurch auf das Handels Ministerium eine Geschäftslast fallen würde und eine Verantwortung, für die es nicht geeignet wäre. Schlechterdings würde es für das Handels-Ministerium nicht möglich sein, die zahllosen Berufungen, die in solchem Falle mit Nothwendig⸗ keit eintreten würden, sobald irgend ein entgegenstehendes Interesse sich geltend macht, sämmtlich zu erledigen, es würde ihm auch an der nöthigen Kenntniß der Verhältnisse fehlen, um sachgemäßer und besser prüfen zu können als die Zulassungsstelle, und es hat des halb auch der Handels⸗Minister darauf verzichtet, in der Börsenordnung die Be⸗ rufungen an die obere Instanz zuzulassen, denn gegen die Ent- scheidung der Zulassungestelle findet nur eine Berufung an die Börsen⸗ aufsichtsbehörden, an die Aeltesten statt. Damit ist der Instanzen gang selbst erledigt. Außerdem aber würde der Handels,. Minister die Berechtigung haben, im einzelnen Falle einzutreten und seine Meinung der Zulassungsstelle dahin auszusprechen, daß und welche Bedenken der Zulassung im einzelnen Falle entgegenstehen. Das bleibt ihm ja natürlich vorbehalten, und davon wird auch der Handels. Minister ein⸗ tretenden Falls Gebrauch machen. Ich glaube aber, meine Herren, daß er von einer solchen Befugniß nur mit der äußersten Vorsicht Gebrauch machen darf, versteht sich von selbst; daß er namentlich, wenn es sich um die Zulassung von auswärtigen Anleihen handelt, niemals einschreiten würde, ohne sich vorher in dieser Beziehung in Verbindung zu setzen mit der Reichsbank, mit dem Aus- wärtigen Amt, das versteht sich ebenfalls von selbst; er würde ja eine schwere Verantwortung auf sich nehmen, wenn er im ein“ zelnen Falle eine Zulassung beanstanden würde, deren Ablehnung zu nachtheiligen Folgen, sei es in politischer, sei es in wirthschaftlicher Beziehung, führen könnte. Das ist also die Stellung, die ich bisher in dieser Frage eingenommen habe.

Nun möchte ich speziell eingehen auf die beiden Punkte, die von Herrn Gamw erörtert worden sind: zunächst die Zulassung der mecklen= burgisch strelitzschen Hypothekenpfandbriefe bejw. der nichtpreußischen Hypothekenpfandbriefe überhaupt.

Was die meckllenburgischen Pfandbriefe betrifft, so ist in dieser Beziehung an mich der Antrag herangetreten, sie vom Prospekt zu befreien. Das habe ich meinerseits abgelehnt, weil die Mecklenbur⸗ gische Hypothekenbank sich den preußischen Normativbestimmungen nicht unterworfen hat und deshalb nicht diejenige Garantie für die Sicher⸗

Sprache, de die

beit der Pfandbriefe gegeben ist, wie bei uns. Eine andere Frage ist

natürlich die der Zulassung; in der Beziehung lag die Gntscheidung bei der Zulassungsstelle. Sie lehnte ab. Die mecklenburgische Re⸗ gierung bat sich infolge dessen an mich gewandt und darauf hin⸗ gewiesen, daß ja, wenn auch diese Hypothekenbank nicht den Normativ⸗ bestimmungen, wie sie in Preußen bestehen, sich unterworfen habe, doch thatsächlich eine sehr gründliche Aufsicht und Kontrole durch die meck⸗ lenburgische Regierung ausgeübt werde. Ich habe deshalb nicht umhin gekonnt, diese Mittheilung der mecklenburgischen Regierung der Zu—⸗ lassungsstelle zugänglich zu machen, um zu prüfen, oh sie etwa darin einen Anlaß finden könnte, ihre Entscheidung zu ändern. Das hat die Zalassungsstelle aber nicht gethan, sie ist bei ihrer Ansicht ge= blieben, und erst später hat sie aus eigener Entschließung dennoch die Zulassung ausgesprochen. Weshalb sie das gethan hat, ist mir nicht bekannt geworden; ob sie die Ueberzeugung gewonnen hat, daß die Kontrole der mecklenburgischen Regierung zureichend sei, weiß ich nicht.

Was nun die Frage der Zulassung der Hypothekenpfandbriefe der nichtpreußischen Anstalten überhaupt betrifft, so meint der Herr Abg. Gamp, es würde vielleicht angängig sein, einen Druck auf diese Hypothekenbanken dahin auszuüben, daß sie ihren Sitz nach Preußen verlegen, wenn man sie nicht zulassen würde zum Handel an der Börse, sofern sie sich nicht den preußischen Normalvorschriften unter⸗ werfen würden. Ja, ich möchte doch glauben, daß ich, wenn ich mich auf diesen Standpunkt stellen und die Zulassungsstelle dazu nöthigen wollte, eine solche Praxis ju beobachten, denn doch über den Rahmen der Befugnisse hinausgehen würde, die mir im Börsengesetz beigelegt sind. Ich würde dabei doch namentlich auch darauf Räcksicht zu nehmen haben, daß voraussichtlich diejenigen Bundesstaaten, in denen bedeutende Hypothekenbank · Institute existieren, es sehr unangenehm empfinden würden, wenn ich indirekt durch die Verweigerung der Zu⸗ lassung ihrer Pfandbriefe an der Börse sie nöthigen wollte, ihren Sitz nach Preußen zu verlegen. Ich glaube, das wäre ein Akt, der wenig bundesfreundlicher Natur wäre, daß ich mich dazu nicht gut würde entschließen können.

Ich meine aber auch, daß, wenn man von der Voraussetzung aus— geht, daß die Einwirkung des Handels,Ministers auf die Zulassungs— stelle doch immer nur ausnahmsweise eintreten kann, daß er damit eine große Verantwortung übernimmt, ein solcher allgemeiner Grund- satz doch vielen Bedenken unterliegen würde.

Nun, meine Herren, komme ich zu den ausländischen Anleihen. Hier muß ich nun zunächst erklären, daß in vielen Fällen das Aus—⸗ wärtige Amt sich direkt an mich gewendet hat, wenn es den Wunsch gebabt hat, besondere Informationen der Zulassungssielle zugänglich zu machen, die für die Entscheidung der Zulassungestelle von Werth waren; es ist mir aber nicht bekannt, daß das Auswärtige Amt in irgend einem Fall sich in direkte Verbindung mit der Zulassungestelle gesetzt hat, ohne meine Vermittelung. Wenn der Herr Abg. Gamp der Meinung ist, daß das der Fall gewesen sein sollte, so müßte ich es ihm überlassen, das zu vertreten; mir ist es thatsächlich nicht bekannt. Ich glaube auch nicht, annehmen zu können, daß man mich dabei übergehen würde. (Zuruf) Ich habe dies aus Ihrer Aeußerung entnommen. Wenn es sich aber nur darum handeln sollte, daß das Auswärtige Amt einzelnen Emissionshäusern Informationen habe zugehen lassen, die diese Emissionshäuser von dem Auswärtigen Amt erbeten haben, so würde ich darin in der That nichts Unregelmäßiges finden; denn die Vorbereitung der Emissionen setzt ja die sorgfältigste Information voraus, gerade wenn es sich um ausländische Anleihen handelt, und um diese Informatisnen zu gewinnen, ist doch der natürliche Weg der, daß diese Emissionshäuser sich an das Auswärtige Amt wenden, weil dieses die erforderlichen Informationen besitzt. Mich in diese Privaterkundigungen einzudrängen und meine Vermittelung da— zwischen schieben zu wollen, dazu fehlt mir nach meiner Ansicht die Berechtigung.

Ich würde also meinerseits glauben, daß bezüglich der Zulassung der auswärtigen Anleihen kein Grund vorliegt, in der Stellung, die ich bisher eingenommen habe, eine Aenderung eintreten zu lassen. Dabei muß ich bemerken, daß die Zulassung der argentiniscken An— leihe, die der Herr Abgeordnete erwähnt hat, nicht unter das Börsen= gesetz fällt, sondern in die Zeit vor dem Börsengesetz. Die Zulassung der chinesischen Anleihe fällt ich meine, es sind drei Serien, die zugelassen sind bezüglich der ersten Serien auch in die Zeit vor dem Börsengesetz, und nur die letzte Serie ist wirklich in die Zeit, wo bereits das Börsengesetz galt, gefallen. In dieser Beziehung sind mir aber von keiner Seite irgend welche Mittheilungen zugegangen, die mich in die Lage gesetzt hätten, die Zulassung der chinesischen An— leihe zu beanstanden. Ich muß aber auch bemerken, daß das Haupt- bedenken, was ja der Herr Abg. Gamp gegen die Zulassung solcher Anleihen anführt, nämlich der hohe Diskontsatz, damals noch nicht vorhanden war. Ich habe also thatsächlich meinerseits keinen Anlaß gehabt, einzuschreiten, und ich glaube also auch, bis jetzt meinen Ver⸗ pflichtungen in jeder Beziehung vollkommen Genüge geleistet zu haben.

Abg. Graf von Kanitz (kons.): Auch das Geld ist eine Waare, deren Preis im Diekontsatz zum Ausdruck kommt. Jeder produktive Stand hat ein Interesse daran, daß der Preis der Waare ein mög— lichst hoher ist. Ich beklage den Goldabfluß nach dem Auslande. Frankreich und England sind reicher als wir und haben einen niedri⸗

ren Diekont. Wir können doch nicht die Banquiers der ganzen elt sein. Der Minister sollte das Publikum davor warnen, sein Geld im Auslande anzulegen. Hängt die Zulassung der chinesischen Anleihe mit Kiautschou zusammen, so ist uns die Erwerbung von Kiautschou zu theuer geworden. Wir haben keine Verpflichtung, unsere chinesischen Freunde finanziell zu stärken. 1897 sind von der Berliner und Frankfurter Börse kolossale Summen deutschen Geldes nach dem Auslande abgeflossen. Schmoller berechnet, daß das deutsche Publikum 1391 700 Millionen an das Ausland verloren hat. Der Handels⸗ Minister hat vor fünf Wochen die Aeltesten der Berliner Kauf mannschaft über den Umfang der Anleihen befragt. Gewiß ist es für die Regierung schwer, das Publikum zu warnen und damit eine Verantwortung zu übernehmen. Aber ich glaube, daß eine zweck⸗ mäßige Belehrung durch die Staatsbehörden sehr wohl möglich ist. Es cbt viele kleine, unerfahrene Kapitalisten, die ibr Geld in zweifel⸗ haften ausländischen Papieren anlegen. Bei der Emission ausländi= scher Anleihen follten politische Rücsichten für oder gegen ihre Zu—⸗ lassung nicht mitwirken, sondern die Kreditsicherheit des betreffenden

ausländischen Staatg. Ein Diekontsatz in der jetzigen Höhe schaͤdigt nicht nur die Landwirthschaft, sondern auch jedes kleinere Gewerbe.

Abg. Dr. Sattler (nl): Die Wünsche des kleineren und mittleren Mittel und Kaufmanntzstandes sind hier schon häufig zur Sprache gebracht worden. Die großen Konsumpereine in den großen Städten machen den Kaufleuten und Handwerkern große Kon kurreni. Diese Konsumbereine werden namentlich von Geist⸗ lichen, Lehrern und Staatgbeamten unterstützt. In Bretzlau,

nnover und anderen Otten werden die Geschäfte von

eamten geführt, und damit sind die Gewerbetreibenden

mit Recht unzufrieden; denn diese Beamten werden auf Kosten der Steuerjahler besoldet. Die Zugehörigkeit der Beamten zum Vorstand von . 6 r an , . ß

g. allbrecht (ul.) bemerkt, daß zur Förderung des Nittelftan des noch sehr viel mehr geschehen konne, und äußert einige Wünsche hinsichtlich der. Ausbildung der mittleren Eisenbahntechniker, 7 Errichtung von Meisterkursen und der Besoldung der technischen ehrer.

Abg. Dr. Hirsch (ir. Volksp.): Man hat behauptet, daß mein Antrag zum Eisenbabn⸗Etat mit großer Majorität abgelehnt worden ist. Biese Behauptung ist falsch. (Präͤsident von röcher: Wir sind beim Handels. Etat und nicht beim Eisenbahn⸗Etat) Ich will von der Gewerbe ⸗Inspektion sprechen. In der Kommifston hat man vor zu weitgehenden Anforderungen an die Fabrik. Infpeition gewarnt. Im allgemeinen sind aber die Strafen für Versündigung gegen die Unfallverbütungsvorschriften sehr gelinde ausgefallen, und manche Betriebe werden kaum einmal besichtigt. Nothwendig ist die Anstellung weiblicher Aufsichtsbeamten, wie sch dies bei einem anderen Titel beantragen werde. Die männlichen Aussichtsbeamten sollen nicht vermindert, sondern im Gegentheil noch vermehrt werden. Die große Zahl der weiblichen Arbeiter bedarf eines befonders wirk— samen und eigenartigen Schutzes, weil ihre körperlichen und geistigen Bedürfnisse eine andere Behandlung verdienen als die der Männer, und weil sie bis jetzt zur Vertretung dieser Interessen eine Organifation nicht haben. Dieser Schutz kann nicht besser gewahrt werden als durch Frauen, die ihre Verhältnisse versteben. Es handelt sich bier um ein Verlangen, das allmählich zur Anstellung von Aerztinnen geführt bat. Daß hier keine parteipolitischen Räcksichten mitspielen, beweist die Thatsache, daß andere Staaten, wie Amerika. Frankreich und auch einige deutsche Staaten weibliche Gewerbe⸗Inspektoren schon besitzen und damit bisher recht gute Erfahrungen gemacht baben. Sollte nicht endlich die Zeit gekommen sein, wo Preußen ebenfalls einen Verfuch machen sollte? Der Minister hat in der Kommission eine Vermehrun der GewerbeInspektoren in Aussicht gestellt, wenn die Industrie si noch weiter entwickele. Bei dieser Gelegenheit könnten duch die weib- lichen Inspektoren eingeführt werden. Das Urtheil einiger Fabrik. Inspektoren gegen diese Maßregel fällt nicht ins Gewicht, zumal wir nur einen Versuch wünschen. Selbst Freiherr Heyl von Herrngbeim bat auf Grund seiner Erfahrungen in Baden im Reichstage die Ein- führung der weiblichen Inspektoren in anderen Staaten 'empfohlen. Am Ende des 19. Jahrhunderts sind wir wohl über die alte Meinung binaus, daß die Männer den Verstand und die Frauen nur Gefühl besitzen. Die Frauen eignen sich sogar besser zu einer folchen Aufsicht als die Männer, wie es denn im Auslande Thronfolgerinnen giebt, die das Regieren gut besorgen. Die Maßregel wird auch von den Arbeitern befürwortet. Man spricht soviel von der Verrohung der Jugend. Ist dieser Vorwurf berechtigt, was ich in dieser Aus⸗ debnung bestreite, wer könnte dann so versittlichend und veredelnd auf die Arbeiterinnen einwirken wie die Frauen? Ich kann Ihnen des halb die Annahme meines Antrages nur warm ans Herz legen.

Abg. Schmitz ⸗Düsseldorf (Zentr ): Die Soantagsruhe bat neben ihren Lichiseiten auch ihre Schattenseiten. Ich empfeble die Einführung der sogenannten freien Sonntage auf dem Lande für die Zeit der Saatbestellung und der Ernte. Wird dieser freie Sonntag nicht eingeführt, so wird das Landvolk mehr und mehr dem nicht immer lauteren Hausierhandel in die Arme getrieben. Die Polizei⸗ verordnung über das Verhängen der Schaufenster wirkt belaͤstigend und ungerecht, namentlich wenn man bedenkt, daß während derselben Zeit die Wirtbshäuser offen stehen. Diese veraltete Verordnung sollte aufgehoben werden. .

Abg. Dr. Hitze (Zentr) schließt sich diesen Ausführungen an und geht dann auf den Antrag Hirsch ein. Dieser Antrag, führt er aus, ist sehr vorsichtig und zurückbaltend. Auch ich bin dafür, daß dieser Versuch gemacht werden soll, unter der Voraussetzung, daß die weiblichen Aufsichtsbeamten unter und nach Anleitung des Fabrik Inspektors ihre Thätigkeit ausüben in Betrieben, wo weibliche Arbeiter in größerer Zahl vorkommen. Ich denke dabei namentlich an die Hausindustris. Im allgemeinen muß ich sagen, daß mir für die eigentliche Revistonsthätigkeit ein tüchtiger männlicher Beamter höher steht als ein weiblicher. Die weiblichen Aussichtsbeamten sollen weniger Inspektoren als Beschützerinnen sein.

Minister für Handel und Gewerbe Brefeld:

Meine Herten! Wenn ich mir gestatten darf, auf die Aeuße— rungen der verschiedenen Herren Vorredner in rückwärtiger Folge ein⸗ zugeben, so möchte ich zunächst die Frage der Sonntagsruhe und die in dieser Hinsicht von den Herren Abgg. Schmitz und Dr. Hitze aus gesprochenen Wünsche berühren.

Was den ersten Punkt betrifft, daß in der Erntezeit an Sonn tagen der Verkauf von Waaren aller Art in offenen Verkaufk— stellen zugelassen werden möchte, damit die Landleute, die während der Erntezeit nur an Sonntagen in die Städte und Ortschaften kommen können, Gelegenheit haben, ihre nothwendigen Einkäufe zu machen, so kann ich erklären, daß ich keinerlei Bedenken dagegen habe. Ich glaube, es wird schon jetzt angängig sein, in dem Rahmen der Verordnung vom Juni 1892, die von den betheiligten Ministerien über die Sonntagsruhe im Handelsgewerbe erlassen ist, den Wünschen Rechnung zu tragen, weil dort ausdrücklich vorgesehen ist, daß an be—⸗ stimmten Sonntagen es sind sechs aufgefübrt weitergehende Ausnahmen von der Regel der fünfstündigen freien Zeit gemacht werden dürfen. Sollten diese sechs Tage aber nicht ausreichen, so würde ich kein Bedenken finden, die Zahl dieser Tage noch zu erweitern. (Bravo!)

Was den zweiten Punkt betrifft, die in den Polizeiverordnungen, betreffend die äußere Heilighaltung der Sonn. und Feiertage, ent= haltenen Bestimmungen über das Verhängen der Schau fenster möchten beseitigt werden und die Anbringung eines Plakates: Geschlossenꝰ als ausreichend erachtet werden, so kann ich nur sagen, daß die Verwaltungsbehörden die volle Befugniß haben, schon jetzt dem Rechnung zu tragen. Sie können ohne weiteres den An— trägen, die in dieser Richtung an sie gerichtet werden, entsprechen, und ich selbst würde auch glauben, wenn nicht örtliche Verhältnisse zu einem anderen Ergebniß führen, daß große Bedenken, den Wünschen Rechnung zu tragen, nicht entgegenstehen.

Was die Frage der weiblichen Gewerbe ⸗Aufsichtsbeamten bezw. die Assistentinnen der Gewerbe⸗Aufsichtsbeamten betrifft, so ist diese Frage schon seit längerer Zeit seitens der Zentralstelle in sehr ein—⸗ gehender Weise geprüft worden. Es ist bereits ein Beamter nach England geschickt vor mehreren Jahren, um sich über die Einrichtung dort zu informiren. Die Einrichtung weiblicher Gewerbe⸗Aufsichts- beamten besteht bekanntlich in England, Nord⸗Amerika und Frankreich. Nun hat man in England in dieser Beziehung bisher günstige Er fahrungen gemacht, wie das von seiten des Herrn Abg. Hirsch näher dargelegt worden ist. Dagegen hat man in Frankreich und Nord⸗ Amerika nach den uns gewordenen Mittheilungen bisher keine günstigen, sondern ungünstige Erfahrungen gemacht, so daß wir thatsächlich bisher wohl Anlaß gehabt haben, dieser Frage zunächst noch nicht näher zu treten, um so mehr, als bei einer Berathung der sämmt⸗ lichen Regierungs⸗Gewerberäthe unseres Landes einstimmig die Ansicht dahin ging: alles das, was die weiblichen Gewerbe⸗Inspektoren bezw. die Gehilfinnen der Gewerbe⸗Inspektoren leisten könnten, das könnten ebenso gut die Gewerbe⸗Inspektoren selbst leisten; eine Ersparniß in ihrer Arbeitsthätigkeit würde dadurch nicht herbeigeführt werden,

nützen würden sie nichts. Das war die Ansicht dieser Herren, die ich mich verpflichtet halte, Ibnen mitzutbeilen, ohne mich ohne weiteres damit zu identifizieren.

Ich muß hinzufügen, daß, wenn in England die Frage bisher günstig beurtbeilt ist, man dabei auch dem Umstande Rechnung tragen muß, daß in England gerade die Frauenbewegung hauptsächlich ihren Boden und ihre Vertretung findet, und daß man gerade dort geneigt ist, allen Vorschlägen nach dieser Richtung thunlichst das Wort zu reden, und daß nirgendwo die Zahl der Frauen im Verhältniß zu der Zahl der Männer größer sein soll als gerade in England, also das Bedürfniß sich geltend macht einer ausgiebigeren Verwendung der Frauen auf wirthschaftlichem und staatlichem Gebiete.

Im übrigen bin ich durchaus nicht der Meinung, daß man die Frage einer weiblichen Gewerbe ⸗Inspektion ganz von der Hand weisen soll. Ich erkenne durchaus an, daß gerade bei der Verwendung weib- licher Arbeitskräfte im Gewerbe und sie werden ja sehr zahlreich verwendet es eine große Reihe von Fragen giebt, bezüglich deren die besondere Berücksichtigung des weiblichen Geschlechts nothwendig ist und nicht in der gleichen Weise stattfinden kann durch männliche Gewerbe ⸗Inspektoren als durch die Vermittelung weiblicher Personen. Manche Fragen sind so delikater Natur, daß die Frauen Bedenken tragen, sie einem Manne vorzutragen, während sie kein Bedenken haben, sie einer Frau vorzutragen. Gerade in solchen Fragen ist die Einschaltung des weiblichen Elements in die Gewerbe⸗Inspektion angezeigt. (Abg. Dr. Hirsch: Sehr richtig) Vorzugsweise Ver⸗ wendung würde sie erlangen nicht sowohl in den Großbetrieben als in den Hausbetrieben und in den Werkstätten.

Nun stehen wir ja im Begriff, die Gewerbe Inspektion auch auszudehnen auf die Werkstätten, was ja in der Gewerbe⸗Ordnung vorbehalten ist, und auch auszudehnen auf die Hausindustrie. Bis jetzt kommt da nur das Konfektionsgewerbe in Betracht, und gerade da wird uns von neuem die Frage nahe gelegt werden, ob es jetzt an⸗ gemessen ist, das weibliche Element einzuschalten in die Gewerbe— Inspektion, und zwar in der Form der Gehilfinnen der Gewerbe⸗ Inspektoren, die selbst keine Anordnungen zu treffen haben, die nur die Wünsche und Beschwerden der weiblichen Arbeiter entgegenzunehmen baben. (Sehr richtig) Und da muß ich gestehen, insoweit stehe ich der Frage sehr günstig gegenüber. Ich bin durchaus nicht der Meinung, daß wir das ablehnen sollen. Ich habe mich indeß für verpflichtet gehalten, zurächst noch nähere Informationen einzuziehen über die Erfahrungen, die man inzwischen in den anderen Ländern ge⸗= macht hat. Seit den früher eingeholten Informationen sind mehrere Jahre verflossen. Wie sich die Sache weiter entwickelt hat, würde doch eine Frage sein, die nicht ganz unwichtig wäre. In Bayern und Hessen hat man neuerdings die weibliche Gewerbe⸗Inspektion in der Form solcher Assistentinnen eingeführt, und man ist mit der Ein— richtung dort zufrieden. Allerdings existiert sie erst zu kurze Zeit, als daß die Erfahrungen, die gemacht sind, bereits als genügende Grund⸗ lage betrachtet werden können. Ich behalte mir also vor, in eine Prüfung der Frage einzutreten, sobald das Informationsmaterial vollständig vorliegt, und daraufhin meine Entscheidung zu treffen.

Nun möchte ich noch eingehen auf einen Wunsch, den Herr Abg. Dr. Sattler bezüglich der Konsumwereine ausgesprochen bat. Herr Dr. Sattler hat darauf hingewiesen, daß die große Ausdehnung der Konsumvereine und ihrer Betriebe von dem Kleinhandel als eine große Beschwerde empfunden würde, daß die Kleinhändler Werth darauf legten, daß man staatsseitig diese Konsumvereine nicht unter⸗ stütze, und demgemäß es den Beamten, den Lehrern, den Geistlichen untersagen möchte, für diese Konsumvereine ihre Thätigkeit zur Ver—⸗ fügung zu stellen. Ein Antrag in diesem Sinne ist auch an das Königliche Staats-Ministerium gelangt. Bei der Erledigung dieses Antrags sind eine Reihe verschiedener Ressorts betheiligt, keineswegs bloß das meinige; ich bin also, wenn ich mich in dieser Frage aus—= spreche, nicht in der Lage, meinen übrigen Herren Kollegen präjudizieren zu können. Ich beschränke mich deshalb darauf, hervorzuheben, daß ich es doch bedenklich finden würde, so weit zu gehen, wie Herr Sattler zu gehen vorschlägt, nämlich einfach den Lehrern, den Beamten, den Geistlichen es jzu verbieten, die Thätigkeit für diese genossenschaft⸗= lichen Betriebe zu übernehmen. Thun wir das, so würden wir die ganze genossenschaftliche Bewegung, wie ich glaube, unterbinden; denn die Genossenschaften sind wesentlich darauf angewiesen, diese Funktio= näre für ibre Thätigkeit zu verwenden. Ich kann anführen, daß wir in der Bergverwaltung derartige Konsumvereine haben; wir baben sie eingeführt, gedrängt durch das allerentschiedenste und dringendste Bedürfniß. Auf einzelnen Gruben fand sich nur der eine oder andere Gewerbtreibende, um die Arbeiter mit ihren laufenden Lebensbedürfnissen, die sie während der Arbeits- zeit nöthig haben, zu versorgen. Die Versorgung war eine absolut schlechte, sie wurde zugleich benutzt für allerhand wucherische Zwecke, und es blieb gar nichts Anderes übrig, als daß man sich ins Mittel legte und nun einen Konsumverein einrichtete, um den Leuten die Möglichkeit zu schaffen, sich direkt mit den Produzenten in Verbindung zu setzen und sich mit guten und brauchbaren Waaren zu versorgen. Das durften wir nicht hindern, mußten es sogar begünstigen, und haben deshalb unseren Beamten gestattet, die Sache in die Hand zu nehmen und selbst dafür zu sorgen, daß sie in verständiger Weise ge—= handhabt wird. Damit waren die Arbeiter auch durchaus zufrieden. Ich glaube also, daß das absolut nothwendig ist und daß die Fälle häufig so liegen. Den Beamten ganz zu verbieten, solche Thätigkeit zu übernehmen, möchte ich nicht befürworten. Ich glaube, aus dem amtlichen Verhältniß kann ich ein solches Recht nicht herleiten; ich kann nicht den Beamten untersagen, einem Anderen freiwillig Dienste zu leisten, wenn es erstens mit ihrer amtlichen Stellung und zweitens mit ibrer amtlichen Thätigkeit vereinbar ist. Ich muß im einzelnen Falle prüfen, ob aus der amtlichen Stellung des Beamten, ob aus dem Maße seiner geschäftlichen Inanspruchnahme ein Bedenken her⸗ zuleiten ist, so daß man ihm sagen kann: Du darfst diese Stellung nicht übernehmen. Nur in dieser Beschränkung würde ich also der Auffassung des Herrn Dr. Sattler entgegenkommen können.

Was nun die Wünsche, welche Herr Abg. Wallbrecht aus- gesprochen hat bezüglich der Baugewerkschulen, anbetrifft, so glaube ich, daß sie theils erfüllt sind, theils ibrer Erfüllung entgegen- sehen. Was die feste Anstellung und namentlich die Fürsorge für die Hinterbliebenen der Lehrer an diesen Schulen betrifft, so ist ja im Etat unter Titel 0b ein Betrag als Staatszuschuß vorgesehen, welcher zu diesem Zweck geleistet wird, um diesen Desiderien zu entsprechen.

Bejüglich der Frage der Meisterkurse kann ich die Versicherung

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