1899 / 60 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 10 Mar 1899 18:00:01 GMT) scan diff

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Anlage zu Nr. I. Nebersetzung. Proklamation.

Infolge der Ereignisse der letzten Tage und, der dringenden Noth⸗ wendigkeit, eine starke provisorisch Regierung für Samoa zu errichten erklären wir, die unterjeichneten konsularif en Vertreter der bre Vertragsregierungen, was folgt:

1. Die Mataasgpartei, vertreten „urch den Oberhäuptling Mataafa und die nachsteben den dreizehn Häuptlinge, Leman, Moe faauo, Lauali. Toelupe, Molioo. Fue, Laufa, Autasavaja, Asiata, Leiataus, Tufuga, Leiato, Suatele.! voelche letzthin im Namen! der besagten Partei auftraten und welche gegenwärtig im thatfächlichen (do facto) Sesitz der samoanischen Negierung sind, werden anerkannt Als propisorische Regierung von Samoa bis zum Eingang von Instruktionen der drei Bertragsmächte.

2) Der Präsident soll der oberste Exekutivbeamte der besagten provisortschen Regierung sein.

3) Diese Proklamation soll nicht dahin ausgelegt werden, daß dadurch die Rechte und Privilegien der drei Vertra . smächte in Samea, sei es einer jeden einzelnen derselben, oder in ihrer Gefammt⸗ beit, oder ibrer konsularischen Vertreter, in ihrem gegenwärtigen Bestonde abgeändert oder aufgehoben würden.

Gegeben Apia, den 4. Januar 1899.

(Unterschriften der drei Konsuln.)

II

Bericht des Kaiserlichen General-Konsuls zu Apia vom 24. Januar 1899 über die Vorgänge vom 4 bis 9. Januar 1899.

Die provisorische Regierung ließ es sich angelegen sein, die Ordnung baldthunlichst wiederherzustellen. In einer Be⸗ kanntmachung vom 6. Januar, namens der Häuptlinge, die die Regierung vertreten, wurde vor Foitsetzung des Plünderns und Stehlens, insbesondere vor allen Ausschreitungen gegen das Eigenthum der Weißen gewarnt. Um gleichen Tage machte Präsident Raffel öffentlich bekannt, daß die provisorische Regierung Schritte gethan hätte, um Frieden und Ordnung in Samoa wiederherzustellen, und erbat hierfür die Unterstützung aller Einwohner. Rasch wurde das . er⸗ reicht. Die großen Massen der Krieger der Mataafapartei wurden in ihre Heimath zurückgesandt. Den Trupps, die sich Beute machend umhertrieben, wurde entgegengetreten, Wachen ., an vielen Stellen ausgesetzt, um Ausschreitungen zu euern.

Sorge verursachte der provisorischen Regierung die Be— stimmung des Schicksals der kriegsgefangenen Tanuanhänger.

In einem Brief, den der Oberrichter am 4. Januar von Bord des englischen Kriegsschiffs an den kriegsgefangenen Dolmetscher des Obergerichts Auange, einen der einflußreichsten Anhänger der Tanupartei, geschrieben hatte, war die Ansicht ausgesprochen, daß seine Entscheidung, betreffend die Königs⸗ wahl, von den drei Vertragsmächten aufrecht erhalten werden würde. Unter diesen Umständen erschien es der provisorischen Regierung als ein Gebot der Selbsterhaltung, die Leute der Vaimauga (des Bezirks um Apia), die durch ihre nahen Be⸗ ziehungen zu verschiedenen Fremden Umtriebe gegen die neue Einrichtung angezettelt hätten, von der Rückkehr in ihre Wohn⸗ . abzuhalten. Einige sechzig kriegsgefar gene 8 ind nach Tutuila verschickt, die gemeinen Leute der aimauga nach den Inseln Manono und Apelima Allen übrigen Kriegs⸗ gefangenen ist die Rückkehr in ihre Heimath gegen die Ver⸗ ai er ns. ein Lösegeld von 2 Dollar fuͤr den Kopf zu erlegen, gestattet.

Am 5. Januar ließ Herr Chambers einen Anschlag an die Thür des Obergerichts heften, wonach:

auf Anordnung des Oberrichters Chambers die

Thätigkeit des Obergerichts bis auf weitere Bestimmung

vertagt sei.“

Dem gegenüber vertrat Dr. Raffel den Standpunkt, daß eine Wahrnchmung des Oberrichterpostens durch Mr. Chambers für die Dauer des Bestehens der entgegen der Entscheidung vom 31. Dejember v. J. entstandenen Regierung rechtlich aus⸗ geschlossen se Dr. Raffel erließ daraufhin die abschriftlich beigefügte Bekanntmachung vom 6. Januar, durch welche das Obergericht bis auf weitere Anordnung der provisorischen Re⸗ gierung geschlossen wurde. (Anlage 1.) Gugel wurde von dem Gebäude Besitz genommen und eine Wache von Kriegern der peovisorischen Regierung um dasselbe postiert.

Der englische Konsul erblickte in diefem Vorgehen der provisorischen Regierung eine Beleidigung der britischen Flagge. Herr Maxse hatte am 22. Dezember v. J. die i . Flagge über der Privatwohnung des Obertichters gehißt und durch Proklamation erklärt, diese laggenhissung s das Zeichen dafür, daß der Oberrichter, seine Familie, eine Privatwohnung und das Obergericht unter den Schutz der britischen Flagge gestellt seien. Die gehißte Flagge war indessen während der Unruhen am 1. Januat woeder einge⸗ zogen.

Am 7. Januar, 8 / Uhr Vormittags, erhielt ich die ab⸗ schriftlich anliegenden Schreiben des Sberrichters und des englischen Konsuls, aus denen ich ersah, daß Herr Chambers an diesem Tage Mittags eine Sitzung zur Wiedereröffnung des Obergerichts abhalten würde, unter Zurückweisung etwa 6e Widerstandes durch bewaffnete Macht des englischen Kriegs⸗ chiffs. (Anlagen 2, 3. 4) Zugleich drohte der englische Konsul schriftlich mit der Eröffnüng von Feuer von J. M. S. Porpoise/, was im Einstfall eine Brandgefahr für die ganze Stadt Apiag bedeutet haben würde. Milder gefaßt war die anliegende Bekanntmachung des englischen Kriegsschiffs-Kom⸗ mandanten. (Anlage 5) Infolge der Androhung des Herrn ,, ich unter den Deutschen folgende Bekanntmachung erbreiten:

„Nach einer amtlichen Mittheilung des englischen Kon⸗ suls Ernest G. B. Maxse kann kr gr . um 14 Uhr. 30 Minuten Vormittags Feuer von J. M. S. „Porpoise“ auf Apia eröffnet wird.

Apia, den 7. Januar 1899.

Der Kaiserliche General⸗-Konsul.

(gez) Rose.“

Kurz nach 12 Uhr wurden der amerikanische General— Konsul in einem, der englische Konsul mit dem Oberrichter in einem anderen Boot von J. M. S. „Porpoise“ an Land gesetz. Außerdem wurden 24 bewaffnete englische Matrosen unter Führung eines Offtiziers bereitgehalten, um jeden Augen⸗ blick an das Obergericht heranzurücken, in *. Nähe ich, Korvetten⸗Kapitän Schönfelder und Dr. Raff'l standen.

Der englische Konsul erklärte Herrn Raffel die Wieder— erõffnung als den Zweck seines Kommens. Dr. Raffel erwiderte

unter Ausführung der Gedanken englischen Konful gerichteten, abschristlich beigefügten Schreiben niedergelegt sind. (Anlage 6) Ich schloß mich Raffes 's Aus⸗ führungen an. Als Raffel erklärt hatte, daß er den Schlüssel zum Obergerichtshause nicht herausgeben, sondern nur der Ge— walt weichen werde, erw derte der englische Konsul, daß er Gewalt anwenden werde. Hierauf wurde von dem Gerichtsschreiber des Obergerichts die Thür zum Sitzungszimmer des Ober— gerichts erbrochen. Die militärische Abthei ung war inzwischen, obgleich nirgends Bewaff ete zu sehen waren, herangezogen, und zwar, nachdem ich namens meiner Regierung gegen die , militärischer Maßnahmen Verwahrung eingelegt

atte.

Korvetten⸗Kapitän Schönfelder, Mr. Raffel und ich gingen fort, während Chambers mit den beiden andern Konsuln das Obergericht betrat.

Kurze Zeit darauf fand sich anliegende Erklärung von Herrn Chambers am Obergericht angeheftet. (Anlage 7.)

Mit einer Frist von drei Stunden war die Beschießung der Stadt angedroht; zur Zeit der Eröffnung des Obergerichts waren die Geschüͤtze des englischen Kriegsschiffs „Porpoise“ auf das Qbergerichtsgebäude gericht t.

Ich selbst hatte dem. naheliegenden Gedanken, den Kommandanten? S. M. S „Falken um Gestellung bewaffneter Macht zum Schutz des Präsidenten Dr. Raff zu ersuchen, von vornherein keinen Raum gegeben; denn ich wollte nicht dazu beitragen, daß der Fall des feindlichen Gegenüberstehens bewaffneter Abtheilungen zweier befreundeter Staaten aus so minimer Veranlassung einträͤte.

Am 7. Januar erhielt ich von mein n Kollegen Proteste gegen die Warnung, die ich an die Deuischen hierfeibst wegen der vom englischen Konful angedrohten Beschießung ge⸗ richtet hatte. Ich habe diese in zwei Schreiben, unter Hinweis auf das oben angeschlossene Schreiben des englischen Konsuls (Anlage 3), als nicht gerechtfertigt bezeichnet.

Durch eine zweite Proklamation vom 7. Januar erklärte der Oberichter Chambers unter Zustimmung der beiden Kon— suln, daß die Einrichtung des Sbergerichts unabhängig sei von dem Bestehen irgend einer zeitweiligen oder provisorischen Regierung.

Zugleich mit dieser Proklamation erschien eine gemeinsame Kundgebung des englischen und amerikanischen Konsuls, die Chambers für den einzigen rechtmäßigen Oberrichter erklärte, auch während des Bestehens der probisorischen Regierung, mit der Begründung, bei der Errichtung der provisorischen Regierun sei von allen Bethe iligten ausdrücklich vereinbart worden, 16 der Akt in keiner Weise die Anwendung irgend einer Vorschrift des Berliner Vertrages aufheben, aussetzen oder einschränten sollte. In einer am 3. Januar stattgehabten Berathung der drei Konsuln, des Präsisenten und der beiden Kriegsschifftz⸗ Kommandanten wurde auf Vorschlag des Prãäsidenten allseitig ß 1

1) Matgafa und die dreizehn Häuptlinge seiner Partei als provisorische Regierung bis zum Eintreffen . J, der Vertragsmächte anerkannt würden,

2 der Präsident an der Spitze der vollziehenden Gewalt dieser Regierung stehen solle.

Englischer Kommandant und Konsul standen damals unter dem Eindruck eines großen Dienstes, den am Morgen des 3. Januar der englischen Wache in der Mission durch das energische Eingreifen Raffel's geleistet war, überschütteten ihn mit Lobeserhebungen und waren zu jedem Entgegenkommen bereit. Wegen dringender dienstlicher Inanspruchnahme des Präsidenten wurde die Zeichnung der Proklamation auf den folgenden Tag verschoben. An diesem war die günstige Stimmung des englischen Konsuls gewichen. Er bestand, als der Präsident einen nach der Verabredung vom vorhergehen⸗ den Tage aufgestellten Proklamationsentwurf zur Zeichnung vorlegte, auf Hinzufügung folgenden Vermerks:

„Nichts, was hierin enthalten ist, soll ausgelegt werden als eine von den Vertretern der drei Vertragsmächte dahin getroffene Vereinbarung, daß die Berliner Generalakte oder ein Theil derselben aufgehoben würde.“

Der Präsi ent erwigerte, daß in der Vereinbarung vom Tage vorher eine solche Bestimmung nicht vereinbart worden sei, was Herr Maxse zugestand. Darauf der Präsident: Dann haben Sie Ihre Meinung geändert“, folgend die Antwort Maxse s: „Ich habe meine Meinung geändert, bestehe aber auf, Hinzufügung des Zusotzes“. Der Präsient, dem die Schwierigkeiten, die ihm in seiner lediglich berathenden Stellung unter der Berliner Generalakte bereitet worden waren, noch allzu gegenwärtig sind, erklärte mit aller Be— stimmtheit, daß er unter einer Proklamation mit dem Maxse⸗ schen Zusatz unter keinen Umständen amtlich thätig sein würde, es vielmehr dann vorzöge, ohne Proklamation weiter zu wirken, wie in der Zeit seit dem 31. Dezember v. J. Daraufhin schlug der amerikanische General⸗Konsul vor, daß in die Proklamation eine Bestimmung aufgenommen würde, daß die Vorschriften des Berliner Vertrages „soweit als möglich“ während der Dauer der provisorischen Regierung beachtet werden sollten. Aus dieser Anregung entstand die fn die die Nummer 3 der Proklamation erhalten

J

durch keine Bestimmung der Proklamation die Rechte und Privilegien der Vertragsmächte in Samoa oder ihrer Ver⸗ treter abgeändert oder aufgehoben würden.“

Es war meines Erachtens eine Verkehrung des Sinns dieser Worte, zu behaupten, daß des Oberrichters Chambers Stellung auf Grund der Proklamation von der Umwälzung der jüngsten Vergangenheit unberührt geblieben fei.

Ich antwortete am 9. Januar mit der anliegenden Pro— klamation, in der ich meinen Standpunkt dahin präzisierte, daß ich eine Wahrnehmung des Oberrichterpostens durch Chambers während des Bestehens der provisorischen Regierung für rechtlich ausgeschlossen hielt und das Vorhandensein einer , ., Vakanz, in der der Munizipal⸗Präsident an Stelle es Oberrichters träte, annahme. (Anlage 8.)

(gez.) Rose. Anlagen zu Nr. II.

Anlage J. Uebersetzung.

Oeffentliche Bekanntmachung.

Es wird hierdurch bekannt gemacht, daß das Obergericht geschlo ist und nicht wieder eröffnet werden wird fi auf 83 Be . von seiten der gra , ie Provisorische Regierung von S ö Apia, den 6. in. 1899. z k— 4

die in seinem an den

Anlage 2. nebersetzung. ? Obergericht . 6a = dia, Samoa, 7. Januar 1899 An Bord J. M. S. . ise ' ; (An die drei Konsuln Dei lan nz oro ö, Ich ber . kö.

kehre mich, Sie zu benachrichtigen, daß d ĩ

des Obergerichts von Samona mir n n ,,,

gierung in Mulinuu habe das Gericht für suspendiert erklärt, bewaffnete

Eingeborene seien auf die Veranda gekommen und hätten i ů sie seien auf Befebl des Präsidenten e, , rl bn f.

der Anschlag, betreffend Vertagung, der auf meinen Befehl an der

Gerichtsthũr befestigt gewesen, sei heruntergeriffen worden; drei waff nete Leute seien seitdem auf dem Platz zurückgeblieben, binter . bewaffneten Eingeborenen sei Herr Marquardt gekommen und habe erklärt, von der provisorischen Regierung gesandt zu sein; Gerichte. hreiber Denvers habe Marquardt benachrichtigt, daß er Befehle mit Bezug auf das Gericht nur von dem Oberrichter entgegennehmen werde; dann habe er die Thür abgeschlossen und sei zum Ehn ge⸗ n r tent . * erstatten.

ö bitte re Aufmerkiamkeit auf die Thatsache lenken dürfen, daß ich, da ich der Oberrichter des een r ell . 1 bin, indem ich dies ehrenvolle Amt auf Grund des Ber⸗ liner Vertrages innehabe und öffentliche Geschãste wahrzunehmen habe,

welche meine Anwesenheit im Gerichtsgebäude erforderlich machen,

dazu schreiten werde, das Gerichtsgebäude heute um 13 Ühr Mir zu eröffnen. Ich ersuche ergebenst um folchen S ĩ 2 den Sie sich in der Lage . 9 . 1 k rgeben (gez) W. L. Chambers, Oberrichter von Samoa.

Anlage 3. Uebersetzung. J. B. M. Konsulat, Apia, 7. Januar 1899. ga bebe an nen i ens Saraibens anunlie rift eine reibens anzuschließen, wel ich heute an den obersten Cxekutivbeamten der provisorischen . von Samoa gerichtet habe, und zu erklären, daß ich unter normalen Verhältnifsen natürlich um eine Zusammenkunft der Konfuln und ge— mein lame Entschli⸗ßung derselben ersucht haben würde, daß ich indessen angesichts der Stellung, die Sie einnehmen zu sollen geglaubt haben, und angesichts Ihrer neuerlichen Amtshandlungen nicht in der Lage bin, im Hinblick auf den Meiner Souveränin Flagge durch die Handlungs. weise der vrovisorischen Regierung bezüglich des Obergerichts ange thanen Schimpf mich auf irgend welche Erörterung in der Sache mit 2 . 61 ie endgült'ge Erledigung muß unseren Regierungen überlassen werden, welche sicherlich den wahren Sachverhalt . igen . wicklungen auf Samoa und deren Gründe zu würdigen wissen werden.

Ich habe die Ehre u. s. w. . Herrn g. Rose (gez.) Ernest G. B. Marse. Kaiserlich e, n. General ⸗Konsul pia.

Anlage 4 (Unteranlage zu Anlage 3. Uebersetzung. J B. M. Konsulat, Apia, 7. Januar 1893.

8a be . . f

eebre mich, Sie ju benachrichtigen, daß Herr Oberrichter Chambers mich amtlich unterrichtet hat kund im e chf ist, die 6 anderen konsularischen Vertreter in gleicher Weise zu unterrichten), daß die Provispgrische Regierung von Samoa seinen Gerichtshof für geschlossen erklärt, eine Bekanntmachung des Oberrichters herunter gerissen, eine bewaffnete Wache vor das Gericht gelegt und bon n , n,, Herrn Denvers die Schlüssel zum Gericht ver⸗ angt hat.

Ich gestatte mir, Sie daran zu erinnern, daß Herr Oberrichter Chambers der alleinige richterliche Beamte der ga er e, 533 akte und das Haupt der wichtigsten von dieser Alte geschaffenen Ein. richtung ist, und daß er als solcher unter dem Schutz meiner Regierung nicht allein in deren Eigenschaft als einer der drei Vertragtregie⸗ rungen in Samoa, die dort gleiche Rechte und Privilegien haben, sich befindet, sondern noch ganz belonderg infolge meiner Proklamatlon vom 22. Dezember, von der ich Ihnen bereits Abschriit übersandt habe, ua ee . 6 der K seine Familie, sondern au eine Privatwohnung und sein Gerichtshof unter Britischen Schutz gestellt worden sind. a . a

ch gestatte mir, Ihnen mitzutheilen, daß Herr Oberrichter Chembers sein Gericht heute um 12 Uhr eröffnen wird und daß jede Behinderung seiner Person oder seines Gerichts als offene Heraus- forderung der Bꝛitischen Flagge angesehen und von den bewaffneten Streitkrãften der Britischen Krone zurückgewiesen werden wird.

Ich möchte Sie bitten, die Europäischen Bewohner von Apia smit Ausnahme der Britischen Staatsangehsrigen) zu warnen, daß heute jederzeit nach 11 Uhr z0 Minuten Vormittags zum gedachten Zweck Feuer don J. M. S. Porpoise“ eröffnet werden kann, falls irgend einem Widerstande begegnet werden sellte.

Ich beehre mich ferner, Sie zu benachrichtigen, daß, falls irgend Jemand von Denen, die gegenwärtig dabes sind, in der Mun izipa Eigenthum zu zerstören, oder sonst Jemand dabei erblickt wird wenn er es unternimmt, in das Obergericht einzudringen, nachdem der Dber⸗ richter dasselbe beute vertagt haben wird, auf den Betreffenden von 3 4 S. (. geren, wer n .

emmandant Sturdee bittet mich, Sie zu benachrichti en, daß er dazu räth, die Eingeborenen⸗Wache zurückzuziehen, ,, keit, auf dieselbe Feuer zu geben, vorzubeugen

Abschrift dieses Schreibens ist dem Deuischen General. Konsul uber · sandt worden.

Ich beehre mich u. s w.

(ge.) Ernest G. B. Maxse, J. Br. M. Konsul.

Anlage H. Uebersetzung. An Bord J. M. S. . Porpoifer. Apia, 7. Januar 1899.

Nachdem das. Sbergericht, welches sich gegenwärtig unter dem Schutz der Vereinigten Staaten und Großbritanniens befindet vgl. Proklamation vom 22. Dezember ungesetzlicher Weise von der Provisorischen Regierung geschlossen worden ist, und die Befehle des Oberrichters, welche am Gerichte gebẽude angeschlagen waren, durch bewaffnete Trupps der gedachten Regierung herunkergerissen worden sind, wird der Oberrichter, unterstftzt von dem Amerikanischen General ⸗Konsul und dem Konsul Ihrer Britischen Majestät, unter dem Schutze bewaffneter Streitkräft: J M. S. „Porpoise heate Mittag eine Gerichtssitzung abhalten. Falls auf Widerstand gestoßen wird was hoffentlich nicht der Fall sein wird —, so wird Feuer erõffnet werden, um die Rechte dieser beiden Großmächte zu schützen. In Anbetracht möglicher Ereignisse werden deshalb Britische wie Amerifa⸗ fe rte fa, ersucht, falls sie dies wünschen, an Bord der Porpoife⸗

uflucht zu suchen. (gej.) F. C. D. Sturd ee, Kommandant, Aeltester Offizier der N. O. Dhision.

Anlage 6. ,, 213 pia, den 7. Januar 1899.

Euer Hochwohlgeboren beehre ich mich auf das gefällige Schreiben vom , . Tage, betreffend die Wiedereinsetzung des Oberrichterg Chambers in den Supreme Court, zu erwidern, wie folgt:

Euer Hochwohl geboren hatten am 27. Dejember v. J. die Britische Flagge über der Privatwohnung des Sberrichters ehißt und durch eine Proklamation vom selben Tage hierdurch die . des Chief Justice sowie auch den Supreme Court unter den Schutz der Britischen Flagge gestellt. Wie aus Guer Hochwohlgeboren Schreiben an den Deutschen General. Konsul vom heufigen Tage hervorgeht,

hen Euer Hochwohlgeboren in der gestrigen Verfügung der pro— . Regierung, kel fr nd ö des Supremes Court bis auf . eine Verletzung der Britischen et.

Namens der samoanischen Regierung protestiere ich hiermit nach= drücklichst gegen eine derartige n,. welche thatsãchlich und rechtlich unbaltbar ist. Die Britische Flagge wurde am 31. Dezember ein gezegen, und ö ir ern ifa hr gr nnd eine Verletzung derselben lossen, rechtlich und that ; ares gl ki Hochwohlgeboren bekannt, wurde das Urtheil des Ober richterß, welches Tinu zum König gemacht batte, durch die Gewalt der Thatsachen umgestürzt, und wurde nunmehr die facto Re⸗ gierung Mataafa'g durch die Proklamation der Vertreter der drei Ver⸗ sfragsmächte vom 4. Januar ausdrücklich als provisorische Re⸗ glerung anerkannt. Nach den Protokollen zum Berliner Vertrage Seite 45) unterliegt es keinem Zweifel, daß die Stellung des Ober- richters einer der wichtigsten Bestandtheile dec Samoanischen Verfassung sst (.... that these officers ( President and Chief Justice —— would virtually constitute the Samoan government).

Gz ist rechtlich und thaisä hlich ausgeschlossen, daß Oberrichter Chambers

noch einen verfassungsmäßigen Bestandtheil der gegen seine Entscheidung unter Zustimmung der drei Konsularvertreter zustande gekommenen provisortschen Regierung bilden kann. Nach dem Berliner Vertrage soll der Oberrichter von den drei Vertragsmächten gemeinschaftlich vorgeschlagen (named) und von der samoanischen Regierung ernannt appointed) werden. Es ist bei der gegenwärtigen politiscken und milstärischen La E ausgeschlossen, daß die previsorisch Regierung Herrn Ghambers zum Oberrichter ernennen kann. Dem Ocerrichter Chambers werden bis zum Eintreffen von Jastruktionen seuens der drei Ver⸗ tragöregierungen seine Kompetenzen fortaejahlt werden.

Rechtlich und thatsächlich ist eine Vakanz des Qberrichterpostens eingetreten, und sind daher die Befugnisse dieses Amtes von dem Průͤsidenten auszuüben. . z

Euer Hochwohlgeboren erkläre ich hiernach:

1) Ich protestiere namens der provisorischen Regierung, daß eine Verletzung der britischen Fla nge stattgefunden hat,

Y) die Schließung des Supreme Court durch die provisorische Regierung ist in rollster Uebereinstimmung mit den Grundsätzen des Völker und Staatsrechts erfolgt.

3) Euer Hochwoblgeboren begehen durch das Vorhaben, Herrn Cbambers durch Waffengewalt wieder in sein Amt einzuführen, einen Bruch der von Ihnen mitunterjeichneten Proklamation, betreffend An⸗ erkennung der propisorischen Regierung, ;

4) Ich protestiere biermit namens der provisorischen Regierung gegen die von Euer Hochwohlgeboren in dem heutigen Schreiben an“ gedrobten Maßnahmen, .

b) Ich protestiere, daß diese Maßnahmen und ihre sofortige Aus⸗ sührung angedroht sind, obne daß zuvor, wie dies na völkerrecht · lichen Grundsätzen unbedingt erforderlich ist, ein Einvernehmen zwischen den Beiheiligten auch nur versucht werden ist,

6) Euer Hochwohlgeboren schlage ich hiermit vor, Sich zu einer gemeinschaftlichen Konferenz der drei Konsuln und der beiden Kriegs⸗ chiffs · Kommandanten um 11.30 am Supreme Court einzufinden, wo⸗ selbst der völkerrechtlich unbedingt erforderliche Versuch eines fried⸗ lichen Einvernehmens zunächst zu machen ist, ö

7) Iniwischen treffe ich die erforderlichen militärischen Maß—= regeln, um Leben und Eigenthum von Weißen innerhalb der , . gegen etwaige Marodeure seitens der Eingebornen zu

schũtzen. itt: Empfang sofort durch Ueberbringer zu bestätigen. (gez.) Dr. Raffel. An ꝛc. Konsul Maxse, Apia.

Anlage 7. Uebersetzung.

Obergericht von Samoa.

Vor Seiner Ehren dem Oberrichter Chambers. Den 7. Januar 1899.

In Erwägung, daß die Einfriedigungen dieses Gerichts von be— waffneten Kräften unterm Befehl der sogenannten pievisorischen Regierung von Samoa betreten sind, und DVauptwoit fehlt; zu ergänzen: „die bewaffneten Kräfte ?) gewaltsam das Gebäude besetzt gehalten haben gegen den Protest des Gerichtsschreibers, welcher zu⸗· gegen war, als 6 bewaffnete Gewalt eindrang; und in Er⸗ waägung, daß ein gewisser Marquardt, der sich als Beamter der soge ˖ nannten provisorischen Regierung aus gab, im Namen besagter Regierung dem besagten Gerichtsschreiber die Schlüssel zum Haufe abforderte; in Erwägung, daß die erwähnte Handlung unerlaubt, ungesetzlich und aufrührerisch gegen den Berliner Vertrag vom 14. Juni 1889 war, unter welchem dieser Gerichtshof steht; in Erwägung, daß die soge⸗ nannte provisorische Regierung keine Aufsichtebefugniß oder Kontrole über das Obergericht von Samoa oder den Oberrichter Sesselben hat, und jeder Versuch, den Gerichtsschreiber oder einen andern Gerichts. beamten zu behindern, nicht allein ungesetzlich und unverantwortlich ist, sondern auch ein Angriff auf die drei Vertragsmächte, welche den Vertrag mit der Regierung von Samoa geschlossen haben,

so wird befoblen, erkannt, entschieden und bestimmt, daß Jedweder, sei es für seine Person oder unter angeblicher amtlicher Ermaͤchtigung, irgend eine thatsächliche oder sogenannte Regierung irgend welcher Art vertretend, ausgenommen einen Beamten oder die Behörden der Re⸗ lerungen der Vereinigten Staaten von Amerika, England und Len hund bei gemeinschaftlichem Auftreten, dies auf seine Gefahr und gegen die Befehle dieses Gerichts thut. (Der Satz lautet im Englischen Text: It is ordered, adjudged, deersed and dirécted. that any person whether individually or under alleged official authority representing any actual or so called Government whatsoever except an Officer or the Authorities of the Governments of the United States of America, England or Germany acting in joint accord will be doing so at their peril and against the orders of this Court.)

Alle Bücher, Urkunden, Protokolle, desgleichen alle Papiere der Landkommission, Registerbücher, Landeigenthumsurkunden des Ober⸗ erichts und alle sonstigen Bücher, Papiere, Urkunden oder Inventarien- ir. des Obergerichts von Samoa und, was zu irgend einer Zeit unter der Kontrole und Bestimmung des Oberrichters von Samoa gewesen, sind weiter unter seiner Kontrole.

(gez) W. L. Chambers, Oberrichter von Samoa.

Anlage 8. Bekanntmachung.

Ich bringe hiermit zur allgemeinen Kenntniß:

I) Die durch Proklamation der drei Konsuln von 4. d. M. an⸗ erkannte provisorische Regierung ist zur Erfüllung aller Aufgaben eines Staats wesengs berufen. Eine Beschränkung ihrer Befugniffe auf die Ausübung polizeilichen Schutzes ist von den Betheiligten weder beab⸗

igt noch ausgesprochen.

Y Die provisorische Regierung ist hervorgegangen aus dem ge— waltsamen Umsturz der ga fh n des Oberrichlers Herrn Chambers in der Königsfrage, durch welche die Mataafapartei für regierungz⸗ unfähig erklart wurde. Eine Fortführung der oberrichterlichen Geschäfte durch den Sberrichter Herrn Chamber als Bestandtheil dieser gegen seine Entscheidung zu stande gekommenen Regierung ist hiernach rechtlich ausgeschlossen

3) Es ift somit eine zeitweilige Vakanz im Amt des Oberrichters eingetreten, für welchen Fall die Bestimmung in Artikel Iii Abschnitt 2 der Berliner Generalakie Anwendung finder:

Die Befugnisse des Oberrichters sollen im Fall, daß dieses Amt aus irgend einem Grunde unbesetzt ist, durch den Vor . des Munizipalraths ausgeübt werden.“

4) Hiernach können vor Eingang weiterer Instruktionen amtliche Akte, die der Sberrichter Herr Chambers vornehmen möchte, nicht aks rechtgperbindlich angefehen werden.

io, den 9. Januar 1899. Der RKaiserlich vers General⸗Konsul. ose.

Bericht des Kaiserlichen General⸗Konsuls zu Apia, vom 25. Januar 1899, betreffend den Fall Grevsmühl.

Der in der Matrikel des Konsulats eingetragene Ham⸗ burgische Staatsangehörige Kaufmann Emil Grevsmühl hat in stark angetrunkenem Zustande am 19. Januar die Scheiben in den Fenstern des Obergerichtsgebäudes zerschlagen. Grevs⸗ mühl ist ein gut situierter Geschaͤftsmann.

Die That wurde Vormittags zwischen 10 und 11 Uhr verübt, zu einer Zeit, zu welcher niemand sich im Gericht befand. Der Munizipal⸗Magistrat ordnete die Inhaftnahme Grevsmühl's wegen des Polizeivergehens „Trunkenheit und unordentlichen Betragens“ an. Nach der Verhaftung von Grevsmühl erschien im Obergericht der Oberrichter Chambers, begleitet von Konsul Maxse und einem Offizier des englischen Kriegsschiffs. Nachdem dieser die samoanische Flagge auf dem Mast vor dem Obergerichts⸗ gebäude hatte hifsen lassen, ordnete der Oberrichter an, daß Grevsmühl ihm vorgeführt würde. Er verurtheilte ihn zu einer Strafe von 100 Dollar und 100 Tagen Gefängniß und schritt, wie der anliegende Strafantrittsbefehl zeigt, sofort zur Vollstreckung der Freiheitsstrafe.

Als ich Nachmittags von diesem Vorfall Kenntniß erhielt, und Grevsmühl meine Hilfe erbat, nahm ich mit Dr. Raffel Rücksprache. Derselbe erklärte sich bereit, in seiner Eigenschaft als stell vertretender . die Vollstreckung der über Grevysmühl unzuständiger eise verhängten Freiheitsstrafe aufzuheben und ihn dem Kaiserlich deutschen Konsulat als allein zuständiger Gerichtsbehörde zuzuführen. Abends 11 Uhr befand sich Grevysmühl im Konsulat, wo er sich noch jetzt aufhält.

Am 20. Januar wurde von mir das Strafverfahren gegen Greysmuüͤhl wegen Sachbeschädigung (5 305 R⸗Str.⸗ G.⸗B.) eröffnet. .

An demselben Tage hatte ich in der Meinung, daß ein Eingriff in die Gerichtsbarkeit eines Konsuls seitens des Sber—⸗ richters als eine Sache, die sämmtliche Konsuln interessiere, zu betrachten sei, meine Kollegen zu einer gemeinsamen Berathung eingeladen. Die Antwort lautete ablehnend.

Das konsulargerichtliche Urtheil gegen Greysmühl erging am 21. Januar und lautete in Anbetracht der schweren Um⸗ stände seiner Vergehung auf 600 6 Geldstrafe. Grevsmühl verzichtete auf Berufung und leistete noch am Tage des

Urtheils Zahlung. (gez) Rose

Anlage zu Nr. III.

Nebersetzung. Obergericht von Samoa. Strafgerichts barkeit,

in Sachen einer Anklage gegen E. A. Grevsmühl aus Apia, Samoa,

deutschen Unterthan.

Apia, 19. Januar 1899. . Vor Oberrichter Chambers.

Der oben genannte E A. Grersmübl, welcher der Ausführung eines g⸗waltsamen Angriffs auf das Obergerichts gebäude und der vorsätz⸗ lichen Zerstörung eines Theils des Gebäudes, sowie ins besondere des Zerschlagens der Glasfenster beschuldigt worden war, ist in öffentlicher Sitzung unter Anklage gestellt und nach Beweis der That durch drei Zeugen und das Geständniß des Angeklagten, zu einer Geldstrafe von 190 5, und da er sich bei besagtem Angriff und Unfug, wie auch bei der Verhandlung der Sache der Mißachtung des Gerichts schuldig gemacht hat, ift derselbe zu 100 Tagen Gefängniß, im Munizipalgefängniß, verurtheilt worden.

Ihnen wird hierdurch jetzt befohlen, die Person des besagten C A Gresmühl an den Polizemmeister und n n . Wärter zu überliefern, um in diesem Gefängniß einhundert Tage lang vom heutigen Tage ab gefangen gehalten zu werden.

An den Gerichts marschall . Herrn J. H. Den vers. (gej.) J. H. Den vers, Gerichtsschreiber. Obigen Gefangenen Für richtige Abschrift eingeliefert erhalten J. H. Denvpers, Der Gefängnißwärter. Gerichtsmarschall.

Dentscher Reichstag. 52 Sitzung vom 9. März 1899, 1 Uhr.

Auf der Tagesordnung steht die erste Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend Aenderungen und Er— gänzungen des Strafgesetzbuchs.

In Verbindung damit wird ein Antrag des Zentrums, der fast denselben Inhalt hat wie die Vor⸗ lage, berathen. Letztere ändert die Vorschriften über die Kuppelei (65 180 und 181), schafft Strafvorschriften für die Zuhälter (5 1812) und verschärft die Vorschriften über das Verkaufen und Feilhalten von Druckschristen (c8 184, 1842 und 1846). Der Antrag des Zentrums enthält außer⸗ dem, den Kommissionsbeschlüssen der früheren Session ent⸗ sprechend, eine Aenderung bezüglich der sittlichen Gefährdung von Arbeiterinnen durch die Arbeitgeber unter Mißbrauch des Arbeits- oder Dienstverhältnisses (5 1822) und eine Straf⸗ bestimmung für Personen, welche ansteckende Krankheiten ver⸗

breiten. . Endlich wird in Verbindung hiermit über einen Antrag

des Abg. Freiherrn von Stumm (Rp.) ,,

„Den Reichskanzler zu ersuchen, bei Gelegenheit der in Aussicht stehenden Revision des Strafgesetzbuchs auf die Verschärfung der⸗ jenigen Strafen Bedacht ju nehmen, welche für Sittlichkeits—⸗

verbrechen, insbesondere für die gegen Kinder gerichteten, vor⸗

gesehen sind.“

Staatssekretär des Reichs⸗-Justizamts Dr. Nieberding:

Meine Herren! Unsere heutige Vorlage befaßt sich mit einzelnen strafrechtlichen Bestimmungen, die, wie die Vergangenheit zeigt, in juristischer wie in sozialpolitischer Beziehung mit besonderen Schwierig⸗ keiten verknüpft sind. Die Bestimmungen hängen an und für sich nicht alle zusammen, aber sie sind doch verknüpft durch ein gemein sames Interesse, sie gruppieren sich um die wichtige Aufgabe, die jüngeren Schichten unserer Bevölkerung mehr als bisher vor der Gefahr sittlicher Verwilderung zu schützen. Diese Aufgabe verfolgt nunmehr der Reichs⸗ tag bis in die dritte Legislaturperiode hinein. Schon in der vorletzten Legislaturperiode haben die verbündeten Regierungen dem Reichstage eine Vorlage gemacht, die den gleichen Zweck verfolgte wie die gegen⸗ wärtige. Als sie nicht zur Erledigung kam, wiederholten die Re—⸗ gierungen sie in der vorigen Legislaturperiode, und als auch dieser Versuch scheiterte, ist aus der Mitte des Hauses ver— schiedene Male eine Anregung dahin gegeben worden, daß die Gesetzgebung in dem von den verbündeten Regierungen be⸗ fürworteten Sinne einschreiten möge. So haben noch in der letzten

Session der vorigen Legislaturperiode sehr eingehende Verhandlungen stattgefunden, über welche dem Hause ein schriftlicher Bericht vor⸗ gelegt worden ist. Das Resultat dieser vielfachen und vieljährigen Bemühungen ist in einer Beziehung erfreulich: es hat sich bezüglich mehrerer Punkte der damaligen Vorlagen und Anträge doch mehr und mehr eine Annäherung der Ansichten herausgestellt, die auf eine schließliche Uebereinstimmung hoffen lassen durfte. Auf der anderen Seite ist das Resultat aber bedauerlich; denn es haben sich bei dem Mangel der Uebereinstimmung in einzelnen Beziehungen doch schließlich die Aussichten auf eine Gesammtverständigung nicht eröffnet.

Ich bin weit entfernt, deshalb dem Reichstage einen Vorwurf zu machen. Ich kann mir im Gegentheil sehr wohl erklären, daß gerade das tiefe Interesse, welches hier im Hause an dem Gegenstand ge⸗ nommen ist, dahin geführt hat, die Verständigung zu erschweren. Es handelt sich um sittliche und gesellschaftliche Probleme, deren Lösung in einer nach allen Richtungen hin befriedigenden Weise nach der Natur der menschlichen Verhältnisse niemals zu hoffen sein wird, um Probleme denen außerdem das formale Recht der Gesetzgebung nur in gewissen Grenzen, und auch dann nur schwer beizukommen vermag. Es ist erklärlich, wenn auch vielleicht bedauerlich, daß unter den Umständen die Einen im Unmuth über die geringe Wirksamkeit der bestehenden Gesetze den Bogen noch weiter anspannen wollen, die Anderen in der Eikenntniß des geringen Erfolgs, der mit gesetzlichen Beftimmungen zu erreichen ist, schon das Gegebene vielleicht als zu viel betrachten. Unter dem Druck und Widerdruck dieser verschiedenen Anschauungen sind wir an dem todten Punkt angelangt, über den wir bis dahin nicht hinauskamen, und der jede legislative Verbesserung unseres be⸗ stehenden Rechts vereitelt hat.

Nun bin ich der Meinung und die verbündeten Regierungen theilen sie —ů daß dieser Zustand auf die Dauer nicht möglich ist, daß deshalb, weil in gewissen Beziehungen die Meinungen im Hause so weit auseinander gehen, die Gesetzgebung auf dem ganzen Gebiete zur Unfruchtbarkeit verurtheilt wird. Es ist ein bedauerliches Schauspiel, welches Reichstag und verbündete Regierungen, die Faktoren der Reichsgesetzgebung, dem Lande bieten, indem sie über Fragen, die das sittliche Empfinden des Volks in weiten Kreisen doch tief berühren, zu irgend welcher abschließenden Regelung nicht gelangen können. Man sollte sich auch fragen, ob es im Interesse der Bevölkerung liegt, daß man zwar über Einzelheiten der bisher diskutierten Vorschläge zu einer Annäherung der Anschauungen kommt, die] insoweit eine Ver— ständigung hoffen lassen, daß man aber deshalb doch praktisch zu nichts gelangt, weil man nicht in allem einen Ausgleich der Ansichten erreicht. (Sehr richtig!)

Auch wenn wir die thatsächlich bestehenden Zustände auf dem hier fraglichen Gebiete ung vergegenwärtigen, wird man nicht sagen können, daß sie in ihrer Entwickelung die Unthätigkeit der Gesetzgebung, wie sie in den letzten sieben Jahren hervorgetreten ift, zu rechtfertigen vermögen. Im Gegentheil, man kann sich der Be⸗ sorgniß nicht verschließen, daß wir auf diesem Gebiete in einer Periode sittlichen Niedergangs begriffen sind. Es ist eine traurige Thatsache, die ich hier ausspreche; aber ich glaube, sie ist unwiderleglich, und ich möchte mir gestatten, aus unserer Statistik Ihnen einige Zahlen anzuführen, die, wie ich glaube, keine Meinungsverschiedenheit in dieser Beziehung aufkommen lassen. Ich habe vor mir einige Zahlen aus der Reichs statistik von 1882 bis 1897, nicht aus der Zeit vor 1882, weil wir für die früheren Jahre eine Reichsstatistik nicht besitzen.

Wenn ich mir das Gebiet der Verbrechen und Vergehen ansehe, welches unser Strafgesetzbuch in einem besonderen Kapitel behandelt unter der Ueberschrift Verbrechen und Vergehen gegen die Sittlichkeit“, dann ergiebt unsere Statistik, daß auf diesem ganzen Gebiet in den 16 Jahren von 1882 bis 1897 auf je eine Million der strafmündigen Bevölkerung entfallen sind im Jahre 1882: 200 Fälle, im Jahre 1897 aber 290 Fälle. Mit anderen Worten, die Zahl der Verbrechen und Vergehen gegen die Sittlichkeit ist je für eine Million Ein= wohner um fast die Hälfte der Ausgangszahl von 1882 gewachsen.

Ich sebe mir weiter ein Gebiet an, das -in engeren Grenzen sich hält, die Verbrechen und Vergehen gegen die §§ 176, 177 und 178 des Strafgesetzbuchs. Diese Bestimmungen umfassen einmal die unzüchtige Vergewaltigung von Personen und sodann die Verbrechen und Vergehen gegen Kinder; dabei muß ich zur besseren Würdigung der Zahlen die bedauerliche und auch bei dieser Gelegenheit für das Haus nicht unwichtige Thatsache hervorheben, daß von den Verbrechen und Vergehen auf diesem Gebiet etwa 4 aller Fälle auf die Mißhandlung von Kindern entfallen. Von allen, eben bezeichneten Deliktfällen fielen nun, wiederum auf je eine Million der strafmündigen Be= völkerung, im Jahre 1882: 90, im Jahre 1887 schon 95. Dann hat sich die Zahl ziemlich stabil gehalten. Sie war im Jahre 1891 auch 95, im Jahre 1896 aber 120, von 90 im Jahre 1882 ist die Zahl also gestiegen auf 120 Fälle im Jahre 1896.

Endlich um ein Gebiet zu berühren, das gerade in dem vor— liegenden Gesetzentwurf eine besondere Rolle spielt, die Kuppelei, die Verbrechen und Vergehen gegen die 5§5 180 und 181 des Strafgesetz⸗ buchs, so ergeben sich, wiederum für je eine Million Einwohner, im Jahre 1882 nur 43, im Jahre 1885 schon 49, im Jahre 1891 6. im Jahre 1894 74, im Jahre 1897 sogar 77 Fälle! Eine Steigerung, meine Herren, die der dringenden Beachtung der legislativen Körper— schaften würdig ist. Noch eine letzte Zahl, die Sie bei der Prüfung der Vorlage interessieren wird, die Zahl derjenigen Fälle, in denen jugendliche Verbrecher, Personen unter 18 Jahren, an den Delikten auf dem Sittlichkeitsgebiet betheiligt sind. Ich habe in dieser Beniehung vor mir die Zahlen des Jahres 1897, da betrug die Zahl derjenigen Deliktfälle, die sich gegen 5 176 Nr. 3 des Straf⸗ gesetzbuchs richten, Vergehen gegen Kinder, im ganzen Reiche 3085. Von diesen 3085 Fällen kamen 592 auf jugendliche Thäter, mit an— deren Worten, die Zahl der jugendlichen Delinquenten auf diesem Gebiete betrug 1909 der ganzen Verbrecherzahl. Was dann die S5§ 176, Nr. 1 und 2, und FS§ 177 und 178 betrifft, die verschiedenen Fälle der unsittlichen Vergewaltigung, so entfielen auf das Jahr 1897 im Ganjen 1092 Fälle. Davon gehören 234 jugendlichen Personen unter 18 Jahren an, das sind 21 oo sämmtlicher Falle. Ich glaube, für jeden, dem es mit der geistigen und sittlichen Ge— sundung des Volkes Ernst ist, spricht die Wucht dieser Zahlen genügend. Sie ist nach meiner Meinung ein unwiderleglicher Beweis dafür, daß die sittlichen Zustände bei uns seit 1882 sich verschlechtert haben, und sie ist, wie ich hoffe, angethan, das Haus von neuem ernfthaft vor die Frage ju stellen, ob man nicht in den Sitllichkeitsfragen, die uns in den letzten Jahren beschäftigt haben, zu irgend elner, einiger⸗